Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 11.07.1995

VerfG Nordrhein-Westfalen (stand der technik, umweltverträglichkeitsprüfung, ausweisung, anlage, standort, fläche, genehmigung, anwendbares recht, planung, 1995)

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 21/93
Datum:
11.07.1995
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 21/93
Leitsätze:
1. Der Plangeber ist verfassungsrechtlich nicht gehalten, bereits bei der
Sicherung des Standortes für eine Müllverbrennungsanlage durch einen
Gebietsentwicklungsplan die konkreten Auswirkungen der Anlage auf
die Umgebung im Detail in den Blick zu nehmen. Unterschreitet er mit
der Standortausweisung den im sogenannten Abstandserlaß NW
vorgesehenen Schutzabstand, so ist dies verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, wenn er die immissionsschutz-rechtliche Situation nicht
offensichtlich verkannt oder eindeutig fehlerhaft abgewogen hat.
2. Im Verfahren der Aufstellung eines Gebietsentwicklungs-plans zur
Sicherung des Standortes für eine Müllverbrennungsanlage war nach
dem LPlG NW in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Oktober
1989 (GV NW S. 476) keine Umweltverträglichkeitsprüfung
durchzuführen.
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
1
A.
2
Die Beschwerdeführerin - eine kreisangehörige Stadt im Kreis H. - wendet sich mit ihrer
Verfassungsbeschwerde gegen die Ausweisung eines Standorts für eine
Müllverbrennungsanlage (MVA) durch die 10. Änderung des Gebietsentwicklungsplans
für den Regierungsbezirk E. , Teilabschnitt C. /H. (GEP-TA B/G).
3
I.
4
Der im nördlichen Stadtgebiet der Beschwerdeführerin ausgewiesene Standort der MVA
betrifft eine Fläche von ca. 8 ha im Bereich zwischen der Bundesstraße B 7. und der
Bundesbahnlinie I. -I. . Dieser Bereich war bereits bislang im GEP-TA B/G als Fläche für
Gewerbe- und Industrieansiedlungen ausgewiesen und ist im Flächennutzungsplan der
Beschwerdeführerin von 1982 als gewerbliche Baufläche sowie zusätzlich als Fläche
5
für Versorgung und Entsorgung ("Mülldeponie/Autowrack") dargestellt. Der für die MVA
vorgesehene Standort liegt im Geltungsbereich der im April 1987 bzw. Dezember 1990
ortsüblich bekannt gemachten Bebauungspläne Nr. .../1 "Gewerbegebiet B 7. /D. -A. -
Straße" und Nr. ... D "Gewerbegebiet B 7. /I. straße". Die Bebauungspläne weisen die
Fläche überwiegend als Industriegebiet, in einem kleineren südlichen Teil als
Gewerbegebiet aus. Die an diesen Teil angrenzenden Flächen sind als Gewerbegebiet,
die sonstigen benachbarten Flächen als Industriegebiet ausgewiesen. Nach den
textlichen Darstellungen beider Bebauungspläne sind in den festgesetzten
Industriegebieten Anlagen der Nr. 1 - 49 der Abstandsliste zum Runderlaß des Ministers
für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1982
(MBl. NW 1982, S. ....) - Abstandsliste 1982 - grundsätzlich nicht zulässig; dazu zählen
auch die unter Nr. 34 aufgeführten Müllverbrennungsanlagen. Ausgenommen sind im
Bebauungsplan Nr. ... A/1 die Nr. .., .., .. und .., soweit von diesen Betrieben keine
unzumutbaren Belästigungen auf die Umgebung ausgehen.
Am 3. Mai 1991 beschloß der Rat der Beschwerdeführerin die Aufstellung des
Bebauungsplans Nr. ... D/1, der unter Abänderung des Bebauungsplans Nr. ... D u. a.
ausdrücklich die vom Kreis H. geplante MVA am vorgesehenen Standort ausschließt.
Der Regierungspräsident E. hat diesen Bebauungsplan als rechtswidrig beanstandet.
Über die hiergegen gerichtete Klage der Beschwerdeführerin hat das
Verwaltungsgericht noch nicht entschieden.
6
Die geplante MVA soll aus dem Kreis H. sowie - aufgrund von
Rücknahmeverpflichtungen in Höhe von insgesamt 840.000 t - aus den Kreisen N. -M.
und Q. Hausmüll, Sperrmüll und hausmüllähnlichen Gewerbeabfall bis max. 180.000 t/a
sowie Klärschlamm bis max. 25.000 t/a verbrennen. Im Kreisgebiet H. war zum
Zeitpunkt der Planung weder eine Deponierungsmöglichkeit noch eine thermische
Abfallbehandlungsanlage vorhanden.
7
Der Kreis H. beantragte im Januar 1992 beim Regierungspräsidenten E. die Aufnahme
des Standortes "H. " für eine thermische Restmüllbehandlungsanlage in den GEP-TA
B/G. Grundlage des Antrags war eine von dem Ingenieurbüro H. , S. und Partner (GRP)
erstellte Konzeptstudie von Januar 1989. Nachdem der Bezirksplanungsrat am 17.
Februar 1992 die Einleitung des Erarbeitungsverfahrens zur 10. Änderung des GEP-TA
B/G beschlossen hatte, legte der Kreis eine in seinem Auftrag erstellte "vertiefende"
Standortfindungsstudie der ... GmbH ( ) von Mai 1992 vor. In diesem Gutachten wurden
aus 90 im Kreisgebiet ausgewiesenen Gewerbe- und Industriegebieten durch fünf
Ausschlußkriterien (Flächengröße, Lage im Naturschutzgebiet, Lage im
Wasserschutzgebiet, Lage im Heilquellenschutzgebiet und objektive Verfügbarkeit)
zunächst fünf Flächen in die engere Wahl genommen. Diese Flächen wurden sodann
nach verschiedenen Abwägungskriterien (u. a. Abstand zur Wohnbebauung und zu
störfallsensiblen Betrieben, Vorbelastung des Raumes, Luft, Zentralität und
Verkehrsanbindung, räumliche Situation, geologische und hydrologische
Voraussetzungen, Erholungseignung) beurteilt. Nach dem Ergebnis dieser Beurteilung
waren die drei Standorte C. , S. und H. untereinander gleichwertig und den anderen
Standorten vorzuziehen.
8
Mit Schreiben vom 5. Juni 1992 übersandte die Bezirksplanungsbehörde den
Beteiligten den Entwurf der GEP-Änderung, der den Standort H. vorsah, sowie das
DPU-Gutachten und gab ihnen bis zum 10. September 1992 Gelegenheit zur
Stellungnahme.
9
Die Beschwerdeführerin erhob gegen die beabsichtigte Änderung des GEP u. a.
folgende Bedenken: Die Standortauswahl sei fehlerhaft im Hinblick auf eine Reihe
näher bezeichneter Defizite des Standortgutachtens der DPU. Das Vorhaben
widerspreche dem Abstandserlaß, der für Müllverbrennungsanlagen einen Abstand von
mindestens 700 m zur nächsten Wohnbebauung vorsehe. Dieser Schutzabstand werde
im Verhältnis zur Wohnbebauung an der I. straße/B 7. um etwa 140 m und zum
Wohnsiedlungsbereich I. straße/T. um fast 200 m unterschritten. Das Vorhaben sei nicht
mit den Bebauungsplänen Nr. 230 A/1 und Nr. 230 D zu vereinbaren. Die
planungsrechtlich angestrebte mittelständisch orientierte städtebauliche Struktur werde
durch die geplante Großanlage zerstört. Die zur Erschließung des Gewerbegebiets
geplanten Verkehrswege, eine Straße und ein Ausziehgleis der ... (...), würden durch
das Vorhaben unterbrochen. Die streitige Fläche gehöre zu den letzten
planungsrechtlich gesichert verfügbaren gewerblich nutzbaren Flächen im Stadtgebiet.
10
Nach mündlicher Erörterung dieser Einwendungen im Termin vom 3. Dezember 1992
beschloß der Bezirksplanungsrat am 25. Januar 1993 die angegriffene 10. Änderung
des GEP-TA B/G. Die Bedenken der Beschwerdeführerin wies er u. a. mit der
Begründung zurück, es bestehe kein prinzipieller Wertungswiderspruch zu den
Bebauungsplänen, wenn die geplante Anlage, obwohl "grundsätzlich" ausgeschlossen,
keine Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die
Nachbarschaft oder die Allgemeinheit hervorrufe. Nach den Erfahrungen der
Gewerbeaufsicht seien bei dem gegebenen Abstand zur Wohnbebauung erhebliche
Immissionen im Sinne des BImSchG nicht zu erwarten, wenn die Anlage dem Stand der
Technik entspreche. Über die Belange des Immissionsschutzes im einzelnen sei im
nachfolgenden Planfeststellungsverfahren zu entscheiden. Der Eingriff in die konkrete
Planung der Beschwerdeführerin sei durch die mit der GEP-Änderung verfolgten
überörtlichen Interessen gerechtfertigt; der konkrete Standort sei im DPU-Gutachten
ausführlich im Vergleich mit anderen Standortmöglichkeiten beurteilt und gewürdigt
worden. Die planungsrechtlich gesicherten verfügbaren Gewerbe- und Industrieflächen
wiesen eine Größe von 79 ha auf. Im gültigen GEP-TA B/G seien weitere ca. 35 - 40 ha
gewerbliche und ca. 50 ha industrielle Siedlungsflächen dargestellt, die auch nach dem
"Fachplan Gewerbe" der Beschwerdeführerin als geeignet angesehen würden.
Demgegenüber beanspruche die MVA lediglich eine Fläche von ca. 5 ha. Die
Erschließung des Gewerbegebiets über Straße und Schiene sei auch bei Errichtung
einer MVA lösbar.
11
Das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-
Westfalen genehmigte unter dem 19. Juli 1993 die vom Bezirksplanungsrat
beschlossene 10. Änderung des GEP-TA B/G. Die Genehmigung wurde im Gesetz- und
Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. September 1993 (S. 512)
bekanntgemacht.
12
II.
13
1.
Beschwerdeführerin geltend, die Ausweisung der MVA auf ihrem Stadtgebiet verletze
sie in ihrem Recht auf Selbstverwaltung.
14
Sie beantragt,
15
festzustellen, daß die 10. Änderung des Gebietsentwicklungsplans für den
Regierungsbezirk E. , Teilabschnitt C. /H. (Darstellung eines Standortes für eine
Abfallbeseitigungs-/Abfallbehandlungsanlage im Gebiet der Stadt H. ),
genehmigt durch Erlaß des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und
Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19. Juli 1993, GV Bl. NW
S. 512, nichtig ist.
16
Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus: Die angegriffene Änderung des GEP sei
verfahrensfehlerhaft zustandegekommen. Der überörtliche Plangeber habe es versäumt,
ein Verfahren im Sinne des § 6 a Raumordnungsgesetz (ROG) bzw. eine einfache
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) im Sinne des § 16 UVPG durchzuführen.
17
Die der Entscheidung des Bezirksplanungsrates maßgeblich zugrundeliegende
Standortstudie der DPU sei mangelhaft. Zu Unrecht seien lediglich Flächen mit einer
Mindestgröße von 5 ha in Betracht gezogen worden; nach dem Anlagenlayout reiche
vielmehr eine Fläche von 3,1 ha aus. Der Vergleich zwischen den fünf Standorten der
engeren Wahl weise methodische Defizite auf. Bei zutreffender Vergleichsbetrachtung
sei der Standort C. besser geeignet als der vorgesehene Standort H. . Bei den
Auswahlkriterien Klima/Luft sei die Immissionsvorbelastung unvollständig berücksichtigt
worden.
18
Es gebe auch keinen Bedarf für eine MVA der geplanten Größenordnung. Die
prognostizierten Abfallmengen seien fehlerhaft ermittelt worden. Das Projekt solle
offenbar über den Entsorgungsbedarf des Kreises hinaus auch "privatwirtschaftliche"
Entsorgungsfunktionen wahrnehmen.
19
Der Plangeber habe den Sachverhalt nicht zutreffend und umfassend ermittelt. Der im
Abstandserlaß vorgesehene Abstand einer MVA zur Wohnbebauung von 700 m werde
um 200 m unterschritten. Die Hauptemissionsquelle liege überdies nach den im
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vorgelegten Antragsunterlagen
250 m näher an der Wohnbebauung als nach dem im GEP-Änderungsverfahren
vorgestellten Anlagenlayout. Die Ausweisung im GEP verstoße ferner gegen die
Grundsätze der Raumordnung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 8 und Nr. 12 ROG. Die
betroffenen Flächen dienten nach der gemeindlichen Planung der Um- und Ansiedlung
von kleinen und mittleren störungsarmen Gewerbebetrieben. Diese mittelständisch
orientierte städtebauliche Struktur werde durch die geplante Großanlage zerstört. Die
Verwirklichung des Vorhabens unterbreche überdies das geplante Ausziehgleis der
TWE sowie den geplanten Straßenzug F. straße/F. -B. -Straße, die
Haupterschließungsstraße für das Gewerbegebiet. Das Vorhaben widerspreche auch
dem Freiflächenentwicklungsplan. Die stadtnahen Erholungszonen westlich der B 7.
und östlich der Bahnlinie seien nicht berücksichtigt worden.
20
Die GEP-Änderung habe das hohe Gewicht der durch die Bebauungspläne Nr. 230 A/1,
230 D und 230 D/1 konkretisierten Planungsvorstellungen nicht angemessen gewürdigt.
Der Bezirksplanungsrat habe verkannt, daß ihre, der Beschwerdeführerin, Planung nicht
nur dem Schutz vor erheblichen Nachteilen oder Belästigungen im Sinne des § 5 Abs. 1
Nr. 1 BImSchG, sondern auch dem Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG
diene. Fehlerhaft sei auch die Einschätzung, die textliche Festsetzung im
Bebauungsplan Nr. 230 A/1, Anlagen der Nr. 1 - 49 der Abstandsliste 1982 seien
"grundsätzlich" zulässig, bedeute, daß die Anlagen unter bestimmten Voraussetzungen
zugelassen werden könnten.
21
Seit Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes am 1. Mai
1993 müßten die gemeindlichen Planungsvorstellungen im GEP-Verfahren umfassend
berücksichtigt werden. Müllverbrennungsanlagen bedürften nicht mehr einer
abfallrechtlichen Planfeststellung gemäß § 7 AbfG, sondern einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gemäß § 4 BImSchG. Während bislang im
Rahmen der fachplanerischen Abwägung die gemäß § 38 BauGB überwindbare
Bauleitplanung als eigenständiger Abwägungsbelang zu berücksichtigen gewesen sei,
sei im Rahmen der gebundenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung hierfür kein
Raum mehr. Der damit verbundene unzulässige Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht
könne nur durch eine Berücksichtigung der Bauleitplanung auf vorgelagerter Ebene,
also im GEP-Änderungsverfahren, ausgeglichen werden.
22
Dem Landtag und der Landesregierung ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
worden. Der Landtag hat sich nicht geäußert.
23
Die Landesregierung ist der Auffassung, ein Raumordnungsverfahren mit einer UVP sei
nicht durchzuführen gewesen, weil § 6 a ROG kein unmittelbar anwendbares Recht und
durch den nordrhein-westfälischen Gesetzgeber erst 1994, also nach Abschluß des
GEP-Verfahrens, umgesetzt worden sei. Soweit die Beschwerdeführerin rüge, die
Standortausweisung beruhe auf Abwägungsfehlern, wiederhole sie lediglich ihre
Einwendungen aus dem GEP-Änderungsverfahren, denen die Bezirksplanungsbehörde
bereits im einzelnen nachgegangen sei und die im Termin vom 3. Dezember 1992
erörtert worden seien. Die Unterschreitung des Schutzabstandes von 700 m sei geprüft
worden; die konkreten Immissionsfolgen seien erst im Anlagengenehmigungsverfahren
zu beurteilen. Die Bezirksplanungsbehörde habe die Bauleitplanung in ihrer Abwägung
hinreichend berücksichtigt. Diese Überlegungen seien jedoch mit Inkrafttreten des
Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes gegenstandslos geworden, weil
Inhalt und Wirkungskraft der verschiedenen Bebauungspläne für die Genehmigung der
MVA nicht mehr entscheidungserheblich seien. Die von der Beschwerdeführerin
angegriffene Bedarfsprognose werde durch das neue Abfallwirtschaftskonzept im
wesentlichen bestätigt. Danach sei für das Jahr 2005 eine Abfallmenge von rund
120.000 t/a im Kreis H. zu erwarten. Allerdings würden die Abfallmengen aus
Rücknahmeverpflichtungen geringer ausfallen.
24
B.
25
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
26
Nach Art. 75 Nr. 4 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen (LV), § 52
Verfassungsgerichtshofgesetz (VerfGHG) können Gemeinden die
Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, daß Landesrecht die
Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der Selbstverwaltung verletze. Nach
ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs gehören zum Landesrecht in
diesem Sinne auch Ausweisungen eines Gebietsentwicklungsplans (VerfGH NW,
OVGE 40, 310; NVwZ 1992, 875 m. w. N.; zuletzt NWVBl. 1995, 126).
27
Auch nach Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom
22. April 1993 (BGBl. I S. 466) kann die Ausweisung eines Standorts für eine
Abfallentsorgungsanlage zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen in einem
Gebietsentwicklungsplan das Selbstverwaltungsrecht einer betroffenen Gemeinde
28
verletzen. Denn unbeschadet der Frage, welche Bedeutung städtebaulichen Belangen
im Genehmigungsverfahren nach §§ 4 ff. BImSchG im Hinblick auf § 38 BauGB
zukommt (vgl. dazu Engel, UPR 1993, 209 ff.; Schink, DÖV 1993, 725, 737; Kutscheidt,
NVwZ 1994, 209, 213; Weidemann, DVBl. 1994, 263 ff. m. w. N.), bleibt die Gemeinde
verpflichtet, ihre Bauleitpläne den Zielen der Landesplanung anzupassen (§ 1 Abs. 4
BauGB); sie darf daher in einem Bauleitplan nicht Nutzungen ermöglichen, die einem
Gebietsentwicklungsplan widersprechen (VerfGH NW, NWVBl. 1995, 126).
C.
29
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
30
Die beanstandete Ausweisung der Müllverbrennungsanlage schränkt zwar die
planerischen Möglichkeiten der Beschwerdeführerin ein, verletzt aber nicht ihr Recht auf
Selbstverwaltung aus Art. 78 Abs. 1 und 2 LV (Art. 28 Abs. 2 GG).
31
I.
32
Art. 78 Abs. 1 LV (Art. 28 Abs. 2 GG) gewährleistet den Gemeinden das Recht der
Selbstverwaltung. Dieses Recht erstreckt sich grundsätzlich auf alle Angelegenheiten
der örtlichen Gemeinschaft und umfaßt die Befugnis zur grundsätzlich
eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte (vgl. BVerfGE 56, 298, 312; VerfGH NW,
OVGE 26, 270, 272 f.; NVwZ 1992, 875). In diesen Bereich der Selbstverwaltung kann
jedoch gemäß Art. 78 Abs. 2 LV (Art. 28 Abs. 2 GG) aufgrund von Gesetzen eingegriffen
werden. Derartigen Eingriffen sind allerdings Grenzen gesetzt: Sie dürfen den
Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie nicht antasten und haben außerhalb dieses
Kernbereichs das Verhältnismäßigkeitsprinzip (BVerfGE 79, 127, 143; VerfGH NW,
NWVBl. 1990, 51, 52) sowie das Willkürverbot (BVerfGE 56, 298, 313) zu beachten.
33
Gesetze im Sinne des Art. 78 Abs. 2 LV (Art. 28 Abs. 2 GG) sind nicht nur förmliche
Gesetze, sondern auch untergesetzliche Rechtsnormen, sofern sie auf einer
hinreichenden Ermächtigungsgrundlage beruhen (VerfGH NW, OVGE 33, 318; NWVBl.
1990, 51). Erfolgt der Eingriff in die Selbstverwaltung durch eine untergesetzliche Norm,
so muß auch die ermächtigende gesetzliche Norm selbst mit Art. 78 LV vereinbar sein.
Die verfassungsgerichtliche Prüfung der Vereinbarkeit der untergesetzlichen Norm mit
Art. 78 LV umfaßt außerdem die Frage, ob diese Norm den allgemeinen gesetzlichen
Ermächtigungsrahmen einhält (vgl. VerfGH NW, NVwZ 1992, 875).
34
II.
35
Ermächtigungsgrundlage für die Aufstellung und Genehmigung der 10. Änderung des
GEP-TA B/G und die darin getroffene Ausweisung der Müllverbrennungsanlage ist § 14
Abs. 1 Landesplanungsgesetz (LPlG) i. V. m. §§ 15 Abs. 4, 16 Abs. 1 LPlG und den
Bestimmungen des Gesetzes zur Landesentwicklung (Landesentwicklungsprogramm -
LEPro -). Diese Ermächtigungsgrundlage begegnet keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken. Dies hat der Verfassungsgerichtshof bereits unter besonderer
Berücksichtigung der Vorschriften des LEPro, die Abfallentsorgungsanlagen betreffen,
entschieden (VerfGH NW, NWVBl. 1990, 51 f.; NWVBl. 1991, 371; NWVBl. 1995, 126).
36
III.
37
Die angegriffene Ausweisung des Standorts für die Müllverbrennungsanlage ist
ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
38
1.
Selbstverwaltungsrechts der Beschwerdeführerin dar, wenn diesem die gemeindliche
Planungshoheit zuzurechnen sein sollte (vgl. zu dieser Frage VerfGH NW, NWVBl.
1990, 51, 52). Denn der Beschwerdeführerin bleibt trotz der durch die Änderung des
GEP-TA B/G getroffenen Festlegung ein hinreichendes Betätigungsfeld zu
eigenverantwortlicher planerischer Gestaltung ihres Gemeindegebietes.
39
2.
Beschwerdeführerin.
40
a)
i. V. m. den Bestimmungen des LEPro. Das mit ihr verfolgte Ziel steht mit dem
Ermächtigungszweck in § 34 Abs. 3 LEPro im Einklang. Nach dieser Vorschrift ist in
allen Teilen des Landes eine ausreichende Standortvorsorge für
Abfallentsorgungsanlagen sicherzustellen.
41
b)
unverhältnismäßig oder willkürlich in die Planungshoheit der Beschwerdeführerin ein.
42
aa)
Regionalplanung eine hinreichend bestimmte - ggf. bereits realisierte (vgl. BVerwGE 84,
209, 220) - örtliche Planung nachhaltig stört oder wesentliche Teile des
Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung der Gemeinde entzieht (BVerwGE 79,
318, 325; 84, 209, 220; VerfGH NW, NWVBl. 1991, 371, 372; NVwZ 1992, 875). Eine
solche Einschränkung der gemeindlichen Planungshoheit ist nur gerechtfertigt, wenn
eine sachgerechte Abwägung des untergesetzlichen Normgebers ergibt, daß
überörtliche Interessen von höherem Gewicht den Eingriff im Einzelfall erfordern (vgl.
BVerfGE 56, 298, 314; 76, 107, 121). Bei dieser Planungsentscheidung ist dem
Normgeber eine Gestaltungsbefugnis und damit die Kompetenz eingeräumt, die
erforderliche Abwägung selbst vorzunehmen. Der Verfassungsgerichtshof hat nur zu
prüfen, ob sich diese in den verfassungsrechtlich vorgezeichneten Grenzen hält. Hierfür
ist maßgebend, ob der erhebliche Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und
ob anhand dieses Sachverhaltes alle sachlich beteiligten Belange und Interessen der
Entscheidung zugrundegelegt sowie umfassend und in nachvollziehbarer Weise
abgewogen worden sind. Soweit hierbei über Wertungen und Prognosen zu befinden
ist, hat der Verfassungsgerichtshof seine Nachprüfungen darauf zu beschränken, ob
diese Einschätzungen und Entscheidungen offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig
widerlegbar sind oder der verfassungsrechtlichen Ordnung widersprechen. Die
angegriffene Regelung ist schließlich bei Beachtung dieser Einschränkungen im
Ergebnis daraufhin zu überprüfen, ob sie das Willkürverbot beachtet und
verhältnismäßig ist, insbesondere der Bedeutung der gemeindlichen
Selbstverwaltungsgarantie Rechnung trägt (BVerfGE 50, 195, 202; 56, 298, 319 f.; 76,
107, 121 f.; VerfGH NW, NWVBl. 1990, 51; NWVBl. 1991, 371; NWVBl. 1993, 170).
43
Die rechtliche Position der Gemeinde in der Gebietsentwicklungsplanung wird nicht
dadurch erweitert, daß mit Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und
Wohnbaulandgesetzes Abfallentsorgungsanlagen nicht mehr einer abfallrechtlichen
44
Planfeststellung, sondern nur noch einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
bedürfen, die gemäß § 38 BauGB ggf. auch dann erteilt werden kann, wenn der
Anlagenstandort bauplanerischen Festsetzungen widerspricht. Zwar ist umstritten, ob
und inwieweit die städtebaulichen Belange einer betroffenen Gemeinde, die bislang in
die planerische Abwägung der abfallrechtlichen Planfeststellung einzustellen waren, bei
Erteilung der an sich gebundenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zu
berücksichtigen sind (s. o). Unbeschadet der Anwort auf diese Frage kommt dem
Gebietsentwicklungsplan keine Auffang- oder Ausgleichsfunktion für möglicherweise
eingeschränkte oder entfallene gemeindliche Rechtspositionen im bundesrechtlich
geregelten Genehmigungsverfahren nach §§ 4 ff. BImSchG zu. Mit der Unterstellung von
Abfallentsorgungsanlagen unter die immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht
und der zeitgleichen Änderung des § 38 BauGB durch das Investitionserleichterungs-
und Wohnbaulandgesetz wollte der Gesetzgeber Verhinderungsplanungen von
Gemeinden gegenüber Abfallentsorgungsanlagen wirksam begegnen. Dieser
Zielsetzung widerspräche es, die in der Gebietsentwicklungsplanung ohnehin zu
berücksichtigende gemeindliche Rechtsposition weiter zu stärken. Der
Bundesgesetzgeber hat mit dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz
den Ländern nicht "gesteigerte" Anforderungen für das Raumordnungsverfahren oder
vergleichbare raumplanerische Verfahren wie der Gebietsentwicklungsplanung
vorgegeben; er hat vielmehr die Pflicht zur Durchführung eines
Raumordnungsverfahrens - insbesondere für die hier in Rede stehenden
Abfallentsorgungsanlagen - entfallen lassen (siehe dazu unter dd).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist die umstrittene Ausweisung nicht zu
beanstanden.
45
bb)
Sachverhalts entsprochen.
46
Zu diesem Gebot gehört die Pflicht zur Anhörung individuell betroffener Gemeinden
(BVerfGE 76, 107, 122). Die Beschwerdeführerin ist im Verfahren zur 10. Änderung des
GEP-TA B/G ordnungsgemäß angehört worden. Die Bezirksplanungsbehörde hat der
Beschwerdeführerin bei gleichzeitiger Unterrichtung über den wesentlichen Inhalt der
beabsichtigten Planung Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb der gesetzlichen
Mindestfrist von drei Monaten (§ 15 Abs. 1 LPlG) gegeben. Dadurch war sie in der Lage,
ihre Interessen sachgerecht zu verfolgen. Sie hat dementsprechend auch eine
eingehende Stellungnahme abgegeben. Die von ihr vorgebrachten Bedenken waren
Gegenstand des Erörterungstermins am 3. Dezember 1992. Sowohl dort als auch bei
der Beschlußfassung über die 10. Änderung des GEP-TA B/G hat eine eingehende
Auseinandersetzung mit diesen Bedenken stattgefunden.
47
Der Plangeber hat auch die Sachverhaltsgrundlage nicht ersichtlich unzutreffend oder
unvollständig für die anschließende Abwägung ermittelt. Wichtige, aber nicht alleinige
Grundlage für den Aufstellungsbeschluß war das umfangreiche Standortgutachten der
DPU, dem eine Studie der GRP vorausgegangen war. Zahlreiche Fachbehörden und
andere Stellen haben hierzu Stellung genommen und das DPU-Gutachten zum Teil
ergänzt und erläutert. Zu einzelnen Fragen haben gerade für den ausgewiesenen
Standort spezielle gutachterliche Stellungnahmen vorgelegen, wie insbesondere die
Bewertung der Landesanstalt für Immissionsschutz zum Komplex Klima/Luft. Darüber
hinaus hat die Bezirksplanungsbehörde die von der Beschwerdeführerin bereits im
Aufstellungsverfahren vorgetragenen Bedenken und Anregungen im einzelnen zur
48
Kenntnis genommen und gewürdigt. Ein Ermittlungsdefizit ist insoweit nicht erkennbar.
Der zugrundegelegte Flächenbedarf von 5 ha als Auswahlkriterium begegnet im
Hinblick auf den von der Gewerbeaufsicht dargelegten Flächenbedarf der
Müllverbrennungsanlage C. (Beiakte Heft 5, Bl. 165) keinen Bedenken. Unerheblich ist,
wo die "Hauptemissionsquelle" der Anlage nach den Antragsunterlagen im
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren angeordnet ist. Weder sieht der
Gebietsentwicklungsplan eine parzellenscharfe Ausweisung mit einer bestimmten
Anlagenkonfiguration vor, noch ist die immissionsschutzrechtliche Genehmigung
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Soweit die Beschwerdeführerin insbesondere geltend macht, der Standort C. sei besser
geeignet als der vorgesehene Standort, rügt sie im Kern keine unzutreffende
Sachverhaltsermittlung, sondern die vergleichende Bewertung der Standorte. Diese ist
verfassungsrechtlich allenfalls dann fehlerhaft, wenn sich eine Standortalternative nach
Lage der Dinge als eindeutig bessere Lösung anbietet oder aufdrängt (vgl. zu dieser
ständigen Rechtsprechung im Planfeststellungsrecht BVerwGE 69, 256, 273). Selbst bei
Anwendung des von der Beschwerdeführerin befürworteten Bewertungsmaßstabs ist
diese Voraussetzung hier nicht erfüllt.
49
cc)
Gebot umfassender und nachvollziehbarer Abwägung der Belange der
Beschwerdeführerin verstoßen.
50
(1)
Bebauungspläne Nr. 230 A/1 und Nr. 230 D eine Müllverbrennungsanlage am
vorgesehenen Standort ausschließen. Diese Beeinträchtigung ist jedoch durch
überörtliche Interessen von höherem Gewicht gerechtfertigt.
51
Die Bebauungspläne Nr. 230 A/1 und Nr. 230 D weisen den größten Teil der in Betracht
kommenden Standortfläche als Industriegebiet, einen kleineren südlichen Bereich als
Gewerbegebiet aus. Die textlichen Festsetzungen schließen für das Industriegebiet
Anlagen der Nr. 1 - 49 des Abstandserlasses 1982, wozu auch die unter Nr. 34
aufgeführte Müllverbrennungsanlage zählt, "grundsätzlich" aus. Hiervon werden
Anlagen der Nr. 32, 38, 41 und 47 ausgenommen, soweit von diesen Betrieben keine
unzumutbaren Belästigungen auf die Umgebung ausgehen. Diese Festsetzungen
dürften dahin zu verstehen sein, daß der Plangeber nur Anlagen der Nr. 32, 38, 41 und
47 - bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen - als Ausnahmen im Sinne des § 31
Abs. 1 BauGB zulassen wollte.
52
Auch wenn danach eine Müllverbrennungsanlage den Festsetzungen der
Bebauungspläne widersprechen dürfte, sind die gemeindlichen Belange im
vorliegenden Fall nicht von solchem Gewicht, daß sie nicht durch überörtliche
Interessen der Abfallentsorgung überwunden werden konnten. Das festgesetzte
Industriegebiet ist seinem Gebietscharakter nach grundsätzlich ein geeigneter Standort
für eine Müllverbrennungsanlage. Die allgemeine Zweckbestimmung eines
Industriegebietes besteht darin, ausschließlich der Unterbringung von
Gewerbebetrieben zu dienen, und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen
Baugebieten unzulässig sind (§ 9 Abs. 1 Baunutzungsverordnung - BauNVO -),
insbesondere also erheblich belästigender Gewerbebetriebe. Die Vorstellung der
Beschwerdeführerin, die betroffenen Flächen dienten lediglich der Ansiedlung von
kleinen und mittleren störungsarmen Gewerbebetrieben, ist weder mit den
53
Festsetzungen ihrer Bebauungspläne noch mit den einschlägigen
bauplanungsrechtlichen Vorschriften vereinbar. Auch die durch § 1 Abs. 9 BauNVO
eröffnete und von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommene Möglichkeit, durch
Festsetzungen im Bebauungsplan bestimmte Arten der in dem betreffenden Baugebiet
allgemein zulässigen baulichen oder sonstigen Anlagen für nicht zulässig zu erklären,
steht unter dem Vorbehalt, daß die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets nicht
in Frage gestellt wird. Die allgemeine Zweckbestimmung eines Industriegebiets bleibt
nur dann gewahrt, wenn die für ein Industriegebiet vorgesehene Hauptnutzung - die
Aufnahme störungsintensiver Betriebe - überwiegend zulässig bleibt (vgl. VGH Baden-
Württemberg, UPR 1994, 455 f.; BVerwG, DVBl. 1993, 1093). Darüber hinaus ist die in
Rede stehende Fläche bereits in dem von der Beschwerdeführerin zu beachtenden
GEP-TA B/G von 1984 als dunkelgrau dargestellter Gewerbe- und
Industrieansiedlungsbereich ausgewiesen worden und soll damit im Grundsatz
Betrieben vorbehalten werden, die in anderen Baugebieten unzulässig sind (GEP-TA
B/G, Ziel 18 Abs. 2); im Gegensatz zu hellgrau dargestellten Gewerbe- und
Industriebereichen, die vorwiegend der Unterbringung von nicht oder nicht erheblich
belästigenden Gewerbebetrieben dienen (GEP-TA B/G, Ziel 18 Abs. 3), soll die
ausgewiesene Fläche daher in erster Linie erheblich belästigende Gewerbebetriebe
aufnehmen. Ob die Bebauungspläne der Beschwerdeführerin den dargestellten
Anforderungen noch genügen, bedarf indes keiner näheren Prüfung. Jedenfalls sind die
zu berücksichtigenden planungsrechtlichen Belange der Beschwerdeführerin eher
schwächer ausgeprägt, weil eine Müllverbrennungsanlage ihrer Typik nach in ein
Industriegebiet gehört. Das Vertrauen der Beschwerdeführerin in den Bestand ihrer
Planungen ist zudem dadurch reduziert, daß sie selbst Ausnahmen für bestimmte
Betriebe der Abstandskategorien 800 m und 500 m (im Sinne des Abstandserlasses
1982) vorgesehen hat. Daß die für den Anlagenbetreiber verfügbare Standortfläche in
ihrem südlichen Bereich als Gewerbegebiet ausgewiesen ist, ist von untergeordneter
Bedeutung, weil der Gebietsentwicklungsplan keine parzellenscharfe Festlegung des
Standorts vorsieht und die Anlage selbst, wie etwa das Anlagenlayout der DPU-Studie
zeigt, ausschließlich in dem als Industriegebiet ausgewiesenen Bereich untergebracht
werden kann.
Angesichts dessen hat der Normgeber der Bedeutung der gemeindlichen
Planungshoheit hinreichend Rechnung getragen und verfassungsrechtlich bedenkenfrei
angenommen, daß der Eingriff der Beschwerdeführerin zumutbar und durch
höherrangige überörtliche Interessen gerechtfertigt sei. Die gesicherte Abfallentsorgung
dient "Gemeininteressen von hoher Bedeutung" (BVerfGE 79, 127, 156), und zwar
grundsätzlich auch dann, wenn mit ihr zugleich privatwirtschaftliche Ziele verfolgt
werden (vgl. BVerwGE 85, 44 ff.; zuletzt BVerwG, DVBl. 1995, 238). Das vom
Normgeber angenommene öffentliche Entsorgungsinteresse wird auch nicht dadurch in
Frage gestellt, daß die Beschwerdeführerin die zu erwartenden Abfallmengen niedriger
schätzt als die Bezirksplanungsbehörde. Auch die Beschwerdeführerin bezweifelt im
Ergebnis nicht, daß ein dringendes Entsorgungsinteresse besteht; gestritten wird
lediglich über die notwendige Kapazität der Müllverbrennungsanlage. Abgesehen
davon, daß die Ausweisung im Gebietsentwicklungsplan nicht hindert, ggf. eine Anlage
mit geringerer Kapazität zu verwirklichen, besteht auf der Ebene der
Gebietsentwicklungsplanung ein weiter Prognosespielraum, der nur eingeschränkt vom
Verfassungsgerichtshof überprüft werden kann. Im vorliegenden Fall sind evidente
Fehleinschätzungen nicht erkennbar.
54
(2)
55
Ausweisung der Müllverbrennungsanlage im Gebietsentwicklungsplan zu
berücksichtigen waren, liegen ferner für die etwa 480 bis 500 m von der
Müllverbrennungsanlage entfernte, teilweise in einem ausgewiesenen Mischgebiet
gelegene Wohnbebauung im Bereich der I. straße vor. Insoweit wird zwar der im
Abstandserlaß des Ministers für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft vom 21.
März 1990 (MBl. NW S. 504) in der Fassung des Runderlasses vom 22. September
1994 (MBl. NW S. 1330) - Abstandserlaß - angegebene Schutzabstand von 700 m
zwischen einer Müllverbrennungsanlage und dem nächsten Wohnbaugebiet um rund
200 m unterschritten. Es ist jedoch bei Zugrundelegung des oben dargelegten
verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs nicht erkennbar, daß der Plangeber die
potentielle immissionsschutzrechtliche Konfliktsituation offensichtlich verkannt oder eine
eindeutig fehlerhafte Abwägung vorgenommen hat.
Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt entschieden, daß eine nachhaltige Störung
der örtlichen Planung und damit ein Eingriff in die Planungshoheit jedenfalls dann nicht
gegeben ist, wenn die Erfahrungswerte des Abstandserlasses eingehalten sind. Diese
Erfahrungswerte haben zwar in erster Linie in der Bauleitplanung Bedeutung, können
aber auch in der Gebietsentwicklungsplanung herangezogen werden. Bei dieser ist -
wie typischerweise auch bei der Bauleitplanung und anders als im abfallrechtlichen
Planfeststellungsverfahren (vgl. Ziffer 3.2 des Abstandserlasses) - die Verträglichkeit
von unterschiedlichen Bodennutzungen zu beurteilen, ohne daß sämtliche Einzelheiten
des potentiell störenden und des potentiell empfindlichen Vorhabens bereits prüffähig
feststehen (vgl. VerfGH, NVwZ 1992, 875, 876; NWVBl. 1995, 126).
56
Werden die in der Abstandsliste angegebenen Abstände im Einzelfall unterschritten,
bedeutet das indes noch nicht, daß der geplanten Flächenzuordnung
immissionsschutzrechtliche Bedenken entgegenstehen. In der Abstandsliste werden
lediglich Abstände angegeben, die unter Immissionsschutzgesichtspunkten auch bei
ungünstigen Bedingungen keine Bedenken hervorrufen, wenn die emitierende Anlage
dem Stand der Technik entspricht. Bei Unterschreitung der Schutzabstände bedarf es
einer Untersuchung der Immissionssituation. Dabei ist der Plangeber freilich nicht
gehalten, bereits auf der Ebene der Gebietsentwicklungsplanung die konkreten
Auswirkungen der geplanten Anlage im Detail in den Blick zu nehmen. Solche
vorhabenbezogenen Punkte können vielmehr dem späteren
Anlagengenehmigungsverfahren vorbehalten bleiben (vgl. auch VerfGH, NWVBl. 1995,
126).
57
Die Unterschreitung des in der Abstandsliste angegebenen Schutzabstandes im
vorliegenden Fall ist danach verfassungsrechtlich bedenkenfrei. Dem Plangeber war die
immissionsschutzrechtliche Problematik bekannt und bewußt. Er hat diesen
Gesichtspunkt während des gesamten Planverfahrens thematisiert. Sowohl das DPU-
Gutachten (insbesondere S. 120 ff.) als auch die vom 7. Januar 1993 datierende
Sitzungsvorlage der Bezirksplanungsbehörde betreffend den Aufstellungsbeschluß zur
Änderung des GEP-TA B/G lassen erkennen, daß die Immissionssituation in den Blick
genommen worden ist. Die der Abwägung maßgeblich zugrundeliegende schriftliche
Stellungnahme der Gewerbeaufsicht führt aus, die Erfahrungen mit ähnlichen Anlagen
zeigten, daß erhebliche Immissionsbelästigungen im Sinne des BImSchG nicht zu
erwarten seien, wenn die Anlage dem Stand der Technik entspricht. Dies ist, wie auch
die Vertreter der Landesregierung in der mündlichen Verhandlung näher erläutert
haben, dahin zu verstehen, daß mit einem den gegenwärtigen Möglichkeiten
entsprechenden gesteigerten technischen und wirtschaftlichen Aufwand die von der
58
Anlage ausgehenden Immissionsrisiken zu bewältigen sind. Angesichts dessen ist die
Einschätzung des Plangebers, die MVA lasse sich ohne erhebliche
immissionsschutzrechtliche Beeinträchtigung der Wohnbaugebiete an der I. straße
verwirklichen, nicht offensichtlich fehlsam oder eindeutig widerlegbar.
dd)
59
(1)
von § 6 a Raumordnungsgesetz - ROG - unterblieben ist. Es ist bereits nicht ersichtlich,
daß die Nichtdurchführung eines Raumordnungsverfahrens die Rechtmäßigkeit des
Gebietsentwicklungsplans berühren könnte, weil das Raumordnungsverfahren
gegenüber der Gebietsentwicklungsplanung ein selbständiges Verfahren ist. Dessen
ungeachtet bestand keine Verpflichtung, ein Raumordnungsverfahren durchzuführen.
Aus § 6 a ROG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S.
1726) konnte sich eine solche Verpflichtung schon deshalb nicht ergeben, weil diese
Rahmenvorschrift noch der Umsetzung in Landesrecht bedurfte (vgl. Bundestags-
Drucksache 11/3916, S. 13 ff.), die in Nordrhein-Westfalen erst mit Gesetz vom 12. April
1994 (GVBl. NW S. 188) erfolgt ist.
60
Unbeschadet der fehlenden landesrechtlichen Umsetzung ist mit Inkrafttreten des
Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes am 1. Mai 1993 die Pflicht zur
Durchführung eines
61
Raumordnungsverfahrens entfallen, weil die in Rede stehende Müllverbrennungsanlage
seit diesem Zeitpunkt dem Genehmigungserfordernis nach §§ 4 ff. BImSchG unterfällt, §
1 Satz 3 Nr. 4 der Verordnung zu § 6 a Abs. 2 des ROG (Raumordnungsverordnung -
RoV -) in der Fassung vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2766) aber lediglich
Abfallentsorgungsanlagen, die der Planfeststellung nach § 7 AbfG bedürfen, erwähnt.
Mit Änderungsverordnung vom 15. August 1994 (BGBl. I S. 2116) hat der
Verordnungsgeber diese sich bereits aus der bisherigen Fassung des § 1 Satz 3 Nr. 4
ROG ergebende Rechtsfolge klargestellt, indem er den Begriff
"Abfallentsorgungsanlage zur Ablagerung oder zur Behandlung von Abfällen" durch
"Anlage zur Ablagerung von Abfällen (Deponie)" ersetzt hat.
62
(2)
Änderung des GEP-TA B/G keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden
ist.
63
Eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung ergibt sich nicht aus
§ 2 Abs. 1 iVm Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung
(UVPG). Nach § 2 Abs. 1 UVPG ist die Umweltverträglichkeitsprüfung unselbständiger
Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren, die der Entscheidung über die Zulässigkeit von
Vorhaben dienen. Entscheidungen im Sinne dieser Vorschrift sind u. a. auch
Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren, die für anschließende Verfahren beachtlich
sind (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 UVPG). Der Gesetzgeber hat damit ausweislich der
Entstehungsgeschichte der Norm lediglich Verfahren im Sinne des § 15 UVPG erfassen
wollen, durch die die Zulässigkeit von Vorhaben beurteilt wird, nicht jedoch
Raumordnungsverfahren im Sinne des § 16 oder vergleichbare Verfahren wie die
Gebietsentwicklungsplanung (vgl. Bundestag-Drucksa-che 11/3919, S. 4, 21, 34 f., 47;
ferner Erbguth/Schink, UVPG, § 2 Rdnr. 53).
64
Eine Pflicht zu einer Umweltverträglichkeitsprüfung folgt auch nicht aus § 16 UVPG iVm
§ 6 a ROG. Dabei kann dahinstehen, ob auf die maßgebliche Gesetzesfassung im
Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses oder der Genehmigung durch das Ministerium
für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft abzustellen ist. Nach § 16 Abs. 1 UVPG i.
d. F. vom 12. Februar 1990 (BGBl. I S. 205) kann im Raumordnungsverfahren oder in
einem anderen raumordnerischen Verfahren, das den Anforderungen des § 6 a Abs. 2
Satz 2 ROG entspricht, eine Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechend dem
Planungsstand des Vorhabens durchgeführt werden. Ungeachtet der Frage, ob dem als
Kann-Bestimmung ausgestalteten § 16 UVPG iVm § 6 a Abs. 1 Satz 2 ROG eine
Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung zu entnehmen ist (vgl. dazu
Erbguth/Schink, UVPG, § 16 Rdnr. 5), liegen jedenfalls die Voraussetzungen der
Vorschrift nicht vor. Der Gebietsentwicklungsplan ist weder selbst ein
Raumordnungsverfahren noch ist ein Raumordnungsverfahren - wie dargelegt -
durchzuführen. Die Gebietsentwicklungsplanung ist auch kein anderes
raumordnerisches Verfahren, das den Anforderungen des § 6 a Abs. 2 Satz 2 ROG i. d.
F. vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1726) entspricht. Diese Norm sieht ihrerseits u. a. vor,
daß das Verfahren dem § 6 a Abs. 1 ROG entsprechen muß; nach dessen Satz 2 muß
das Verfahren eine Umweltverträglichkeitsprüfung (entsprechend dem Planungsstand)
einschließen. Bis zur Neufassung vom 12. April 1994 (GVBl. NW S. 188; vgl. § 14 Abs.
3 Satz 2 n. F.) sah jedoch das LPlG NW in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.
Oktober 1989 (GV NW S. 476) für die Gebietsentwicklungsplanung keine
Umweltverträglichkeitsprüfung vor.
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Auch durch § 16 Abs. 1 UVPG iVm § 6 a ROG jeweils i. d. F. des am 1. Mai 1993 in Kraft
getretenen Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes wird keine Pflicht zu
einer Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Gebietsentwicklungsplanung begründet.
Zwar ist in der Neufassung des § 16 Abs. 1 UVPG der Satzteil "das den Anforderungen
des § 6 a Abs. 2 Satz 2 des Raumordnungsgesetzes entspricht" entfallen, so daß die
Gebietsentwicklungsplanung als "anderes raumordnerisches Verfahren" verstanden
werden kann. Zugleich ist jedoch auch Satz 2 des § 6 a Abs. 1 ROG gestrichen worden,
der davon ausging, daß das Raumordnungsverfahren die Umweltverträglichkeitsprüfung
zwingend einschließt. Damit bleibt es entsprechend der Intention des
Bundesgesetzgebers (vgl. Bundestags-Drucksache 12/3944, S. 25 und 48 f.) der
zuständigen Behörde überlassen, ob sie im Einzelfall im Raumordnungsverfahren oder
in einem anderen raumordnerischen Verfahren auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung
durchführen will. Eine Pflicht hierzu besteht nicht. Die Länder sind zwar nicht gehindert,
weitergehende Regelungen zu treffen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat hiervon
jedoch - wie erwähnt - erst mit der Neufassung des LPlG vom 12. April 1994 Gebrauch
gemacht.
66
Es verstößt auch nicht gegen die Richtlinie 85/337/EWG (EG-Amtsblatt Nr. L 125/40),
wenn das deutsche Recht im hier maßgeblichen Zeitraum nicht zur
Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Gebietsentwicklungsplanung verpflichtete; denn
die Art. 1 und 2 dieser Richtlinie sehen eine Umweltverträglichkeitsprüfung nur für
projekt- bzw. vorhabenbezogene Genehmigungen vor (VerfGH NW, NVwZ 1992, 875,
876 f.; NWVBl. 1995, 126).
67