Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 13.06.2000

VerfG Nordrhein-Westfalen: aus wichtigen gründen, rückabwicklung, verfassungsbeschwerde, asylbewerber, beschränkung, kontrolle, gestaltungsspielraum, beschwerdegegenstand, integration, kostendeckung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Normen:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 3/98, VerfGH 4/98, VerfGH 5/98
13.06.2000
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Urteil
VerfGH 3/98, VerfGH 4/98, VerfGH 5/98
Art. 78 Abs. 3 LV NRW, § 50 VerfGHG NRW 1952, § 52 VerfGHG NRW
1989, §§ 2, 3, 4, 6 FlüAG NRW, Art. I, II 5.FlüAGÄndG
Eine Untätigkeit des Gesetzgebers ist nach nordrhein-westfälischem
Recht mit der Kommunalverfassungsbeschwerde nicht angreifbar (hier
betreffend das Fünfte Änderungsgesetz zum Flüchtlingsaufnahmegesetz
NRW).
Hinsichtlich der von den Beschwerdeführerinnen zu 16., 19., 22. und 27.
erhobenen Verfassungsbeschwerden wird das Verfahren eingestellt.
Die weiteren Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen, soweit
sie sich gegen Art. II des Fünften Gesetzes zur Änderung des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes richten; im Übrigen werden sie als
unzulässig verworfen.
A.
Die Beschwerdeführerinnen - kreisfreie Städte sowie kreisangehörige Städte und
Gemeinden - wenden sich gegen die Kostenerstattungsregelungen im Zusammenhang mit
den ihnen übertragenen Aufgaben der Unterbringung, Versorgung und Betreuung
ausländischer Flüchtlinge durch das Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) in der Fassung
des Art. I des Fünften Gesetzes zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes vom 18.
Februar 1997 (GV NRW S. 1102) - 5.FlüAGÄndG - bzw. gegen die genannte Vorschrift des
Änderungsgesetzes sowie gegen die in Art. II 5.FlüAGÄndG getroffene
Übergangsregelung.
I.
Das Fünfte Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes ist veranlasst worden
durch die Urteile des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9.
Dezember 1996 - VerfGH 11/95 u.a. - (NWVBl. 1997, 129) und - VerfGH 38/95 - (NWVBl.
1997, 135), in denen der Verfassungsgerichtshof die Erstattungsregelung des § 6 Abs. 1
FlüAG in der Fassung des Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Ausführung des
Asylbewerberleistungsgesetzes (AG AsylbLG), des Vierten Gesetzes zur Änderung des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes und des Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Landesaufnahmegesetzes vom 29. November 1994 (GV NRW S. 1087) - Artikelgesetz -
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(FlüAG a.F.) für unvereinbar mit Art. 78 Abs. 3 der Verfassung des Landes Nordrhein-
Westfalen (LV) erklärt hat.
1. Die Erstattungsregelungen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes knüpfen an die
Aufgabenzuweisungen in § 1 FlüAG, § 1 Abs. 1 AG AsylbLG und § 96 des
Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) an. Nach § 1 FlüAG obliegt den Gemeinden die
Aufgabe, die ihnen zugewiesenen oder bei ihnen die Aufnahme begehrenden
ausländischen Flüchtlinge im Sinne des § 2 FlüAG aufzunehmen und unterzubringen.
Zuständig für die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind
ebenfalls die Gemeinden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AG AsylbLG). Sie tragen nach § 2 Satz 1 AG
AsylbLG die Kosten für die Durchführung des Gesetzes. Erhalten ausländische Flüchtlinge
Leistungen unmittelbar nach dem Bundessozialhilfegesetz, so sind mit der Durchführung
die kreisfreien Städte und Kreise betraut, sofern die Kreise nicht nach § 3 des Gesetzes zur
Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (AG-BSHG) kreisangehörige Gemeinden zu
dieser Aufgabe heranziehen. Für jeden ausländischen Flüchtling im Sinne des § 2 FlüAG,
der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG oder laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
entsprechend dem Bundessozialhilfegesetz (§ 2 AsylbLG) oder unmittelbar nach dem
Bundessozialhilfegesetz erhält, gewährt das Land eine Vierteljahrespauschale.
2. Für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG betrug die Vierteljahrespauschale
1.935,-- DM (§ 4 Abs. 1 FlüAG a.F.) zuzüglich 90,-- DM zur Abgeltung des besonderen
Betreuungsaufwandes (§ 4 Abs. 2 FlüAG a.F.). Für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 4 bis
6 FlüAG wurde eine Betreuungspauschale gar nicht, eine Vierteljahrespauschale lediglich
in Höhe von 960,-- DM gewährt, für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 5 und 6 FlüAG jedoch
nur, wenn die Landesregierung die Zahlung beschloss (§ 6 Abs. 1 FlüAG a.F.). Die
Pauschalen wurden für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nr. 1 FlüAG längstens für die Dauer
von vier Monaten nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags, für Flüchtlinge im
Sinne des § 2 Nrn. 2 bis 6 FlüAG längstens für die Dauer von drei Jahren seit der Einreise
bzw. der ab dem 1. Januar 1995 getroffenen erstmaligen Anordnung nach § 32 bzw. § 54
des Ausländergesetzes (AuslG) geleistet (§ 4 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 FlüAG a.F., jeweils
i.V.m. § 3 Abs. 3 Satz 1 FlüAG). Die Übergangsregelung des Art. 4 Nr. 1 Satz 2
Artikelgesetz bestimmte abweichend von § 6 Abs. 1 FlüAG a.F., dass die Erstattung für
Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, für die vor dem 1. Januar 1995 die Aussetzung der
Abschiebung nach § 54 AuslG angeordnet worden war, für die Zeit vom 1. Januar 1995 bis
zum 31. Dezember 1997 erfolgte.
3. Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen erklärte mit den
genannten Urteilen vom 9. Dezember 1996 auf die Verfassungsbeschwerden von
Gemeinden gegen die Kostenerstattungsregelungen des Vierten Gesetzes zur Änderung
des Flüchtlingsaufnahmegesetzes § 6 Abs. 1 FlüAG a.F. und die Nichtgewährung einer
Betreuungspauschale für den Personenkreis des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG für unvereinbar mit
Art. 78 Abs. 3 LV; die erstattungsrechtliche Ungleichbehandlung der Flüchtlingsgruppen
des § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG einerseits und des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG andererseits sei
willkürlich und die Frage der Kostendeckung habe nicht dem Belieben der Exekutive
überlassen werden dürfen. Die zeitliche Beschränkung der Kostenerstattung für Flüchtlinge
im Sinne des § 2 Nr. 1 FlüAG auf die Dauer von vier Monaten nach unanfechtbarer
Ablehnung des Asylantrags (§ 4 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FlüAG a.F.) bzw. für
Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nr. 6 FlüAG auf die Dauer von drei Jahren seit der
erstmaligen Anordnung nach § 54 AuslG (§ 6 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FlüAG
a.F.) ließ der Verfassungsgerichtshof unbeanstandet. Die zeitliche Beschränkung der
Erstattung für abgelehnte Asylbewerber verfolge das legitime Ziel, auf deren zügige
Abschiebung hinzuwirken. Es sei nicht erkennbar, dass der Prognose, im Regelfall sei eine
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Abschiebung innerhalb der Viermonatsfrist möglich, derzeit eine hinreichende Grundlage
fehle. Der Gesetzgeber werde die Regelung aber unter Kontrolle zu halten haben. Der
pauschalierenden Beschränkung der Erstattung auf drei Jahre in § 6 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs.
3 Satz 1 Nr. 3 FlüAG a.F. liege die tragfähige Annahme zu Grunde, die Integration
ausländischer Flüchtlinge schreite mit der Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland fort. Die
Beschränkung der Kostenerstattung für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nr. 6 FlüAG auf
solche, für die eine Anordnung nach § 54 AuslG ab dem 1. Januar 1995 getroffen worden
ist, hielt der Verfassungsgerichtshof ebenso für verfassungsgemäß wie die
Ausnahmeregelung in Art. 4 Nr. 1 Artikelgesetz für die Gruppe der Flüchtlinge aus Bosnien-
Herzegowina.
4. Das Fünfte Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes enthält eine
Neuregelung der in den Urteilen des Verfassungsgerichtshofs vom 9. Dezember 1996 für
verfassungswidrig erklärten Teile des Flüchtlingsaufnahmegesetzes. Die
Vierteljahrespauschale beträgt nach der Neuregelung für alle Flüchtlingsgruppen des § 2
Abs. 1 FlüAG einheitlich 1.935,-- DM (§ 4 Abs. 1 FlüAG i.d.F. des Art. I Nr. 1 Buchst. a
5.FlüAGÄndG - FlüAG n.F. -) zuzüglich der Betreuungspauschale von 90,-- DM (§ 4 Abs. 2
FlüAG n.F.). Für den Zeitraum ab dem 1. Januar 1997 bis zum Inkrafttreten des
Änderungsgesetzes am 1. März 1997 (Art. III 5.FlüAGÄndG) erhalten die Gemeinden eine
Nachzahlung für jeden unter die Erstattungsregelung nach § 6 FlüAG a.F. fallenden
Flüchtling aus Bosnien-Herzegowina in Höhe der Differenz zwischen der Summe der
Pauschalen nach § 4 Abs. 1 und 2 FlüAG a.F. einerseits und der Pauschale nach § 6 Abs.
1 FlüAG a.F. andererseits (Art. II 5.FlüAGÄndG).
5. Ein von der ...-Fraktion in den Landtag eingebrachter Entwurf eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (Landtags-Drucksache ../....) richtete sich
darauf, die Frist der Anrechnung bestandskräftig abgelehnter Asylbewerber und der
Erstattung der für sie erbrachten Kosten von vier auf 23 Monate anzuheben, da die
Prognosebasis der geltenden Frist überholt sei. Dieser Entwurf wurde am 19. März 1998
ebenso abgelehnt wie am 17. Juni 1998 ein von der ...-Fraktion eingebrachter Entwurf
eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (Landtags-
Drucksache ../....), mit dem die dreijährige Frist der Anrechnung und Kostenerstattung für
Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nr. 6 FlüAG, soweit es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge aus
Bosnien-Herzegowina handelt, um ein Jahr bis zum 31. Dezember 1998 verlängert werden
sollte.
6. Nicht in die gesetzliche Erstattungsregelung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes
einbezogen ist die Gruppe der Sonderkontingent-Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina.
Sie gelangten 1992/93 auf Grund einer Übereinkunft von Bund und Ländern in das
Bundesgebiet und wurden von den Gemeinden in Nordrhein-Westfalen ohne gesetzliche
Verpflichtung aufgenommen. In der Übereinkunft verpflichteten sich Bund und Länder, je 50
% der für diese Personengruppe anfallenden Kosten zu tragen. Mit Erlass vom 24. Juli
1992 verteilte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-
Westfalen diese Flüchtlinge auf die Gemeinden und sagte den Gemeinden die Erstattung
der Kosten bis zum 31. Dezember 1996 zu. Da der Bund mit Ablauf des Jahres 1996 die
Zahlung seines Erstattungsanteils an das Land einstellte, sperrte das Land zunächst die
Auszahlung der im Landeshaushalt 1997 in voller Höhe in Ansatz gebrachten
Erstattungssumme, gab seinen hälftigen Erstattungsanteil dann jedoch frei. Für 1998
leistete das Land Erstattungen entgegen vorheriger Ankündigung in voller Höhe.
II.
Die Beschwerdeführerinnen machen mit ihren am 27. Februar, 28. Februar und 2. März
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1998 erhobenen Verfassungsbeschwerden geltend, die angegriffenen Vorschriften des 5.
Änderungsgesetzes bzw. des Flüchtlingsaufnahmegesetzes in der Fassung des
vorgenannten Gesetzes verletzten sie in ihrem Recht auf Selbstverwaltung.
Die Beschwerdeführerin zu 1. beantragt,
festzustellen, dass § 4 Abs. 1 i.V.m. § 3
Abs. 3 Satz 1 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes in der Fassung des 5. Gesetzes zur
Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes vom 18.02.1997 und Artikel II des 5. Gesetzes
zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes vom 18.02.1997 nichtig sind.
Die Beschwerdeführerinnen zu 2. bis 12. beantragen,
Art. I Nr. 1 a) und Art. II des Fünften Gesetzes zur Änderung des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes vom 18. Februar 1997 wegen Verstoßes gegen Art. 78 LV
NW für verfassungswidrig und nichtig zu erklären.
Die Beschwerdeführerinnen zu 16., 19., 22. und 27. haben ihre Verfassungsbeschwerden
zurückgenommen. Die Beschwerdeführerinnen zu 13. bis 15., 17., 18., 20., 21., 23. bis 26.
und 28. bis 33. beantragen,
1. das Fünfte Gesetz zur Änderung des Flücht-
lingsaufnahmegesetzes für verfassungs-
widrig und nichtig zu erklären,
2. den Gesetzgeber zu verpflichten, unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
eine verfassungskonforme Regelung des Finanz-
ausgleichs vorzunehmen.
1. Die Beschwerdeführerin zu 1. hält ihre Verfassungsbeschwerde für zulässig. Sie richte
sich nicht gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers, sondern gegen die Fristregelungen
des Flüchtlingsaufnahmegesetzes, die durch das 5. Änderungs- gesetz übernommen und
in einen neuen Gesamtzusammenhang gestellt worden seien. Ebenso sei die
Übergangsregelung in Art. II 5.FlüAGÄndG ein zulässiger Beschwerdegegenstand.
In der Sache könnten die Befristungen der Kostenerstattung keinen Bestand haben. Nach
Art. 78 Abs. 3 LV sei das Land zu einer Vollkostenerstattung verpflichtet. Selbst wenn aber
dem Gesetzgeber für die Ausformung der Erstattungsregelung ein Gestaltungsspielraum
zuzubilligen sein sollte, missachteten die angegriffenen Vorschriften dessen Grenzen. Der
Dreijahresfrist für die auf Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge bezogenen Kostenerstattung
liege die Annahme zu Grunde, die Integration dieser Personengruppen schreite mit der
Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland fort. Diese Annahme sei nicht nur nicht plausibel,
sondern widerspreche der Intention des Asylbewerberleistungsgesetzes, das für Gruppen
von Ausländern geschaffen worden sei, die sich typischerweise nur vorübergehend in
Deutschland aufhielten. Die durch Erlass getroffene Erstattungsregelung für bosnische
Sonderkontingent-Flüchtlinge verstoße gegen den Gesetzesvorbehalt in Art. 78 Abs. 3 LV.
Die Verfassungswidrigkeit der Regelung über die auf vier Monate befristete
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Kostenerstattung für bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber habe ihren Grund darin,
dass sie die Gemeinden unverhältnismäßig belaste. Die durchschnittliche Verweildauer
bestandskräftig abgelehnter Asylbewerber überschreite die Viermonatsfrist bei weitem. Der
Verzicht auf eine Rückabwicklung für zurückliegende Jahre in Art. II 5.FlüAGÄndG habe
die kommunalen Haushaltsbelange völlig vernachlässigt.
2. Die Beschwerdeführerinnen zu 2. bis 12. machen geltend: Die dem Land durch Art. 78
Abs. 3 LV aufgegebene Kostendeckung sei ein fortlaufender Prozess. Demgemäß könnten
sie sich mit der Verfassungsbeschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass der Gesetzgeber
bei Erlass des 5. Änderungsgesetzes gegen seine verfassungsgerichtlich festgestellte
Pflicht verstoßen habe, die Erstattungsregelung für bestandskräftig abgelehnte
Asylbewerber unter Kontrolle zu halten. Mit dem 5. Änderungs- gesetz habe der
Gesetzgeber zudem eine neue Gesamtlösung geschaffen, die die übernommenen
Bestandteile in einen veränderten, verfassungsrechtlich überprüfbaren Zusammenhang
stelle. Beschwerdebefugt seien sie auch, soweit sie sich gegen die Befristung der
Kostenerstattung für bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge auf drei Jahre wendeten. Nach
Ablauf der Erstattungsfrist treffe den Gesetzgeber eine Überprüfungspflicht, deren
Beachtung von den Gemeinden vor dem Verfassungsgericht eingefordert werden könne.
Ebenso seien der bewusste Verzicht auf eine gesetzliche Sicherstellung der
Kostenerstattung für die Sonderkontingent-Flüchtlinge und die unzureichende
Rückerstattungsregelung in Art. II 5.FlüAGÄndG angreifbar. Die Verfassungsbeschwerde
richte sich in all diesen Punkten nicht gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen. Ignoriere
der Gesetzgeber seine Nachbesserungspflicht bei einer Gesetzesänderung, so liege der
Verfassungsverstoß vielmehr in einem Mangel des ändernden Gesetzes. Neben den
positiv getroffenen Regelungen werde darin zwangsläufig negativ-ausgrenzend befunden,
dass weiter gehende Ansprüche aus Art. 78 Abs. 3 LV nicht anerkannt würden. Für die
Frage, ob das Gesetz wegen versäumter Nachbesserung verfassungswidrig sei, sei nicht
auf den Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses, sondern den der verfassungsgerichtlichen
Entscheidung abzustellen.
Die Verfassungsbeschwerde sei begründet. Die angegriffenen Erstattungsregelungen
verstießen gegen Art. 78 Abs. 3 LV. Nach dieser Bestimmung hätten die Gemeinden einen
Anspruch auf Vollkostenerstattung jedenfalls dann, wenn ihnen staatliche Aufgaben
übertragen würden. Für die Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und Betreuung
ausländischer Flüchtlinge treffe das zu. Die mit dem 5. Änderungsgesetz aufrecht
erhaltenen Befristungen der Kostenerstattung seien danach verfassungswidrig.
Selbst wenn aber Art. 78 Abs. 3 LV dem Gesetzgeber für die Ausformung der
Erstattungsregelung einen Gestaltungsspielraum belassen sollte, sei die angegriffene
Regelung gleichwohl nicht zu rechtfertigen. Die Prognose, die § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
FlüAG zu Grunde liege, habe sich als fehlerhaft erwiesen. Dennoch sei der Landtag
anlässlich des 5. Änderungsgesetzes dem vom Verfassungsgerichtshof erteilten
Kontrollauftrag nicht nachgekommen. Die Frist von drei Jahren, während derer den
Gemeinden für die ihnen zugewiesenen bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge
Kostenerstattung gewährt werde, habe ebenfalls nicht beibehalten werden dürfen. Die zur
Rechtfertigung der Befristung angeführte Überlegung, die Integration dieser
Flüchtlingsgruppe schreite voran, widerspreche dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Darüber hinaus beruhe die Fristregelung auf der fehlerhaften Prognose, die bosnischen
Flüchtlinge würden bald in ihre Heimat zurückkehren. Hinsichtlich der Sonderkontingent-
Flüchtlinge gelte Entsprechendes. Die Praxis, Landeserstattungen für die
Sonderkontingent-Flüchtlinge nur auf der Grundlage von Erlassen zu gewähren, verstoße
außerdem gegen den Gesetzesvorbehalt des Art. 78 Abs. 3 LV.
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Die Übergangsregelung in Art. II 5.FlüAGÄndG werde den Vorgaben in den Urteilen des
Verfassungsgerichtshofs vom 9. Dezember 1996 nicht gerecht. Der Gesetzgeber habe
verkannt, dass ihm eine Abwägungsentscheidung abverlangt worden sei, bei der er alle
maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen habe. Zumindest aber sei ein
Abwägungsdefizit festzustellen, weil die Notwendigkeit, neben der finanziellen Situation
des Landes auch die Interessen der Kommunen in Rechnung zu stellen, ebenso außer
Betracht geblieben sei wie die Möglichkeit einer Teilrückabwicklung. Ferner weise die
gesetzliche Entscheidung eine Abwägungsdisproportionalität zu Lasten der Gemeinden
auf. Ließe man den Einwand des Landes gelten, es fehle an Mitteln, um den jahrelangen
Verfassungsverstoß auszugleichen, so blieben Verletzungen des Art. 78 Abs. 3 LV völlig
sanktionslos.
3. Die Beschwerdeführerinnen zu 13. bis 15., 17., 18., 20., 21., 23. bis 26. und 28. bis 33.
tragen ergänzend vor: Die auf einer überholten Prognose beruhende Viermonatsregelung
beschränke nicht nur in unangemessener Weise die Kostenerstattung, sondern wirke sich
auch bei der Berechnung der Zuweisungsquote nach § 3 FlüAG nachteilig auf die
Gemeinden aus. Hinsichtlich der Dreijahresregelung sei inzwischen belegt, dass ein hoher
Anteil der darunter fallenden Personen auch nach Fristablauf unterstützungsbedürftig
bleibe. Zu Art. II 5.FlüAGÄndG sei darauf hinzuweisen, dass nur aus wichtigen Gründen
des Gemeinwohls von einer Rückabwicklung eines verfassungswidrigen Gesetzes
abgesehen werden dürfe. Solche fehlten.
4. Die Landesregierung macht im Wesentlichen geltend: Die Verfassungsbeschwerden
seien insgesamt unzulässig. Die Beschwerdeführerinnen rügten in allen Punkten
Unterlassungen oder griffen alte Regelungen an, hinsichtlich derer die Beschwerdefrist
verstrichen sei.
Die Verfassungsbeschwerden wären aber auch unbegründet. Art. 78 Abs. 3 LV lege für die
Zuweisung von Pflichtaufgaben an die Gemeinden weder die Modalitäten der
Kostenregelung fest noch schreibe er ein bestimmtes Niveau der Kostendeckung vor.
Bezogen auf die viermonatige Anrechnungs- und Erstattungsfrist in §§ 3 Abs. 3 Satz 1 Nr.
1, 4 Abs. 1 FlüAG habe bei Erlass des 5. Änderungsgesetzes kein Neuregelungsbedarf
bestanden, nachdem der Verfassungsgerichtshof die Frist wenige Wochen zuvor
unbeanstandet gelassen habe. Auf der Datenbasis des Ausländerzentralregisters gebe es
bis heute keinen Anlass, die Regelung zu korrigieren. Die gesetzliche Dreijahresfrist lasse
sich nicht mit Hinweis auf die Zielrichtung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Frage
stellen. Dieses Gesetz strebe zwar keine Integration der leistungsberechtigten
Flüchtlingsgruppen an. Das schließe aber nicht aus, dass sich Angehörige dieser Gruppen
nach längerem Deutschlandaufenthalt besser als am Anfang in den hiesigen
Lebensverhältnissen zurechtfänden. Ebenso habe der Gesetzgeber zu Recht davon
abgesehen, die vergleichsweise kleine Gruppe der Sonderkontingent-Flüchtlinge als
selbständige Kategorie in das Flüchtlingsaufnahmegesetz einzubeziehen. Wie die
Materialien zum 5. Änderungsgesetz zeigten, habe er auch die Übergangsregelung in Art. II
unter Berücksichtigung der maßgeblichen Gesichtspunkte getroffen.
B.
Das Verfahren ist insoweit einzustellen, als die Beschwerdeführerinnen zu 16., 19., 22. und
27. ihre Verfassungsbeschwerden zurückgenommen haben. Infolge der
Rücknahmeerklärungen stehen die Begehren dieser Beschwerdeführerinnen nicht mehr
zur Entscheidung.
C.
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Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
I.
Das Begehren, Art. I 5.FlüAGÄndG bzw. § 4 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 Satz 1 FlüAG n.F. für
verfassungswidrig und nichtig zu erklären, ist unzulässig (1.). Unzulässig ist auch das auf
eine verfassungskonforme Regelung des Finanzausgleichs gerichtete
Verpflichtungsbegehren der Beschwerdeführerinnen des Verfahrens VerfGH 5/98 (2.).
1. a) Mit den Verfassungsbeschwerden wird ein Verfassungsverstoß durch Art. I
5.FlüAGÄndG geltend gemacht. Das trifft auch für das Begehren der Beschwerdeführerin
des Verfahrens VerfGH 3/98 zu, deren Antrag sich auf die Feststellung richtet, "dass § 4
Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 3 Satz 1 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes in der
Fassung des 5. Gesetzes zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes ... nichtig" sei.
Worum es dieser Beschwerdeführerin geht, wird in der Beschwerdebegründung
verdeutlicht. Darin heißt es, der Landesgesetzgeber habe mit dem 5. Änderungsgesetz
eine gesetzliche Neuregelung schaffen wollen, die es erfordere, auch die ohne
Änderungen übernommenen Regelungen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes in die
Überprüfung einzubeziehen. Ausgehend von der Annahme, das Änderungsgesetz habe
die als solche unverändert gebliebenen Regelungen in einen neuen Sinnzusammenhang
gestellt, wird mithin das Änderungsgesetz als eigentlicher Gegenstand der
Verfassungsbeschwerde verstanden. Das entspricht dem Petitum der beiden anderen
Verfassungsbeschwerden.
b) Mit dem genannten Begehren haben die Beschwerdeführerinnen einen zulässigen
Beschwerdegegenstand bezeichnet. Art. I 5.FlüAGÄndG kann nach § 52 Abs. 1
Verfassungsgerichtshofgesetz (VerfGHG) zum Gegenstand einer
Kommunalverfassungsbeschwerde gemacht werden.
c) Die Beschwerdefrist nach § 52 Abs. 2 VerfGHG ist gewahrt. Alle
Verfassungsbeschwerden sind innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des 5.
Änderungsgesetzes erhoben worden.
d) Die Zulässigkeit des Begehrens scheitert aber daran, dass die Beschwerdeführerinnen
durch Art. I 5.FlüAGÄndG unter den von ihnen gerügten Gesichtspunkten nicht beschwert
sind. Sie können nicht geltend machen, durch die angegriffene Bestimmung in ihrem Recht
der Selbstverwaltung verletzt zu sein.
aa) Das 5. Änderungsgesetz enthält lediglich punktuelle Änderungen des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes. Es beschränkt sich darauf, die Kostenerstattung für die
Flüchtlingsgruppen des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG in der Höhe an diejenige für die
Flüchtlingsgruppen des § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG anzupassen. Zu diesem Zweck sind die
Gruppen des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG in die Erstattungsregelung des § 4 Abs. 1 und 2 FlüAG
einbezogen worden; die abweichende, für die Gemeinden ungünstigere
Erstattungsregelung des § 6 Abs. 1 FlüAG a.F. ist gestrichen worden. Mit diesen eng
gefassten, zu Gunsten der Beschwerdeführerinnen wirkenden Änderungen hat der
Gesetzgeber lediglich die Konsequenzen aus den Urteilen vom 9. Dezember 1996
gezogen, in denen der Verfassungsgerichtshof § 6 Abs. 1 FlüAG a.F. und die
Nichtgewährung einer Betreuungspauschale für die letztgenannten Personengruppen für
verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber einen entsprechenden
Neuregelungsauftrag erteilt hatte. Das 5. Änderungsgesetz stellt sich damit nach seinem
objektiven Regelungsgehalt als bloßes Reparaturgesetz im Interesse der Gemeinden dar.
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Hingegen hat das 5. Änderungsgesetz nicht die Regelungen getroffen oder geändert, durch
die sich die Beschwerdeführerinnen beschwert fühlen. Sowohl die Viermonatsfrist des § 3
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FlüAG als auch die Dreijahresfristen des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2 und 3
FlüAG waren bereits Bestandteile des Flüchtlingsaufnahmegesetzes in der Fassung des 4.
Änderungsgesetzes. § 4 Abs. 1 FlüAG verwies hinsichtlich der Kostenerstattungsfristen
gleichfalls schon in der Altfassung auf § 3 Abs. 3 Satz 1 FlüAG. Ebenso wenig wie über die
Fristen verhält sich das 5. Änderungsgesetz über die Frage, ob die Gruppe der
Sonderkontingent-Flüchtlinge in die Erstattungsregelung des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes einbezogen werden sollte.
Die Gesetzesmaterialien bestätigen dieses Verständnis. In der Gesetzesbegründung
(Landtags-Drucks. ../.... S. .) heißt es ausdrücklich, mit dem Änderungsgesetz werde
"ausschließlich dem Auftrag des VerfGH aus den Urteilen vom 9. Dezember 1996 zur
alsbaldigen Neuregelung der Vorschrift nachgekommen". Dieser Auftrag betraf die
Angleichung der Erstattungssätze für die verschiedenen Flüchtlingsgruppen.
bb) Die mit dem 5. Änderungsgesetz vorgenommenen punktuellen Änderungen des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes haben die unverändert gebliebenen Fristregelungen nicht
nach Art einer übergreifenden Gesamtlösung in einen veränderten Zusammenhang
gestellt, der es rechtfertigen könnte, sie als Bestandteil der Neuregelung zu begreifen. Eine
solche indirekte Änderung ist anzunehmen, wenn sich aus dem Änderungsgesetz ein
erweiterter Anwendungsbereich der formal unverändert bleibenden Norm oder eine
sonstige zusätzliche Belastung durch diese Norm ergibt (vgl. VerfGH NRW, NWVBl. 1997,
129, 130; BVerfGE 12, 10, 24; 17, 364, 369; 79, 1, 14; vgl. auch LVG Sachsen-Anhalt, Urteil
vom 13. Juli 1999 - LVG 20/97 -, S. 14 UA). Dies trifft hier nicht zu. Die Ausdehnung der
Erstattungsregelung des § 4 Abs. 1 und 2 FlüAG auf vorher nicht erfasste
Personengruppen bedeutet nicht, dass zugleich auch die Erstattungsfrist auf weitere
Personengruppen ausgedehnt worden wäre. Denn § 6 Abs. 1 FlüAG a.F. verwies schon in
gleicher Weise wie § 4 Abs. 1 FlüAG n.F. auf § 3 Abs. 3 Satz 1 FlüAG. Die mit dem 5.
Änderungsgesetz bewirkte Vereinheitlichung der Erstattungssätze hat also bloß dazu
geführt, dass die vormals in zwei Vorschriften enthaltenen Erstattungsfristen in einer
Vorschrift zusammengeführt worden sind. Inhalt und Tragweite der Fristregelungen haben
dagegen keinen Wandel erfahren. Desgleichen beeinflussen die Regelungen des 5.
Änderungs-gesetzes auch nicht indirekt den Bedeutungsgehalt von Vorschriften des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes, nach denen sich die Frage der Kostenerstattung für die
Sonderkontingent-Flüchtlinge beantworten könnte.
Angesichts dessen kann nicht die Rede davon sein, der Gesetzgeber habe die
Gesamtmaterie einer teils positiven, teils negativ-ausgrenzenden Regelung unterzogen.
Über die erwähnten punktuellen Änderungen hinaus hat er nicht eine negative, sondern gar
keine Regelung getroffen.
cc) Im Ergebnis bedeutet dies, dass Art. I 5.FlüAGÄndG die Beschwerdeführerinnen nicht
beschwert. Seine Regelungen führen ausschließlich zu einer Besserstellung der
Gemeinden gegenüber der vorher bestehenden Rechtslage. Die Regelungen, durch die
sich die Beschwerdeführerinnen belastet fühlen, sind nicht Gegenstand des 5., sondern
des 4. Änderungsgesetzes. Das 4. Änderungsgesetz, das am 1. Januar 1995 in Kraft
getreten war, haben die Beschwerdeführerinnen indes mit Rücksicht auf die insoweit
zwischenzeitlich verstrichene Jahresfrist des § 52 Abs. 2 VerfGHG nicht angegriffen.
e) Obwohl sich die Verfassungsbeschwerden gegen das 5. Änderungsgesetz zum
Flüchtlingsaufnahmegesetz richten, knüpfen die mit ihnen erhobenen Rügen im Kern an
eine Untätigkeit des Gesetzgebers an. Eine solche kann nicht Gegenstand der
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Kommunalverfassungsbeschwerde sein.
aa) Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, das 5. Ände-rungsgesetz sei
verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber hinsichtlich der für die Anrechnung zugewiesener
Flüchtlinge und die Kostenerstattung geltenden Fristen bestehende
Nachbesserungspflichten und hinsichtlich der Sonderkontingent-Flüchtlinge eine Pflicht zur
Einbeziehung in die Regelung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes nicht erfüllt habe. Da das
5. Änderungsgesetz zu diesen Punkten weder direkt noch indirekt eine Regelung getroffen
hat, ist eigentliches Angriffsziel im Zusammenhang mit dem Änderungsgesetz das
Untätigbleiben des Gesetzgebers.
bb) Eine Untätigkeit des Gesetzgebers ist mit der Kommunalverfassungsbeschwerde nicht
angreifbar. An dieser schon zu §§ 13 Nr. 8, 50 des Gesetzes über den
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. März 1952 (VerfGHG
1952, GV NRW S. 35) unter Hinweis auf den Wortlaut und den Sinnzusammenhang der
Regelung vertretenen Auffassung (VerfGH NRW, OVGE 14, 369, 370 f.; 19, 308, 312 f.) hält
der Verfassungsgerichtshof auch für die Nachfolgeregelung der §§ 12 Nr. 8, 52 VerfGHG
fest (ebenso Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 29 II Rdnr. 50).
Angesichts der Rechtsprechung zu der früheren Regelung hätte sich dem Gesetzgeber bei
der Novellierung die Notwendigkeit einer Neufassung aufdrängen müssen, wenn er die
Kommunalverfassungsbeschwerde auch gegen gesetzgeberische Untätigkeit hätte
eröffnen wollen. Der Wortlaut des § 50 Abs. 1 VerfGHG 1952 ist jedoch mit geringen
sprachlichen Abweichungen, die den Sinngehalt unberührt lassen, in § 52 Abs. 1 VerfGHG
übernommen worden. Der Beschwerdegegenstand wird nach wie vor mit dem Begriff des
Landesrechts umrissen. Selbst bei weiter Auslegung (vgl. VerfGHG NRW, NWVBl. 1991,
371; 1994, 265, 266) kann dieser Begriff nicht im Sinne seiner Negation, des Unterbleibens
einer Regelung, verstanden werden.
cc) Die Beschwerdeführerinnen machen allerdings geltend, sich nicht gegen ein völliges
Untätigbleiben des Gesetzgebers zu wenden. Sie rügen vielmehr, er habe anlässlich der
Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes, jedenfalls aber angesichts der inzwischen
verstrichenen Zeit verfassungsrechtliche Handlungspflichten verletzt, indem er korrektur-
bzw. ergänzungsbedürftige Regelungen dieses Gesetzes unverändert gelassen habe.
Unter diesen Umständen sei die Kommunalverfassungsbeschwerde statthaft.
Diese Argumentation verkennt, dass das 5. Änderungsgesetz als bloßes Reparaturgesetz
ein beschränktes Regelungsgebiet hat und der Gesetzgeber zu den
Regelungsgegenständen, die die Beschwerdeführerinnen als korrektur- bzw.
ergänzungsbedürftig rügen, gänzlich untätig geblieben ist. Die hiergegen gerichtete Rüge
erweist sich deshalb - wie bereits oben ausgeführt - als eine solche, deren Angriffsziel doch
das völlige Untätigbleiben des Gesetzgebers ist.
dd) Ob eine Ausnahme hiervon bei einer verfassungsgerichtlich festgelegten
Nachbesserungspflicht in Betracht kommt, kann dahingestellt bleiben. Denn der
Verfassungsgerichtshof hat dem Gesetzgeber - ausgehend von der Verfassungsmäßigkeit
der Regelung - bezogen auf die Viermonatsfrist des § 4 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
FlüAG a.F. keine Nachbesserungspflicht auferlegt, sondern lediglich für die Zukunft
aufgegeben, die Regelung unter Kontrolle zu halten und die zu Grunde liegende
Prognosebasis zu überprüfen.
2. Das auf "eine verfassungskonforme Regelung des Finanzausgleichs" gerichtete
Verpflichtungsbegehren der Beschwerdeführerinnen des Verfahrens VerfGH 5/98 hat deren
Bevollmächtigter erstmals in der mündlichen Verhandlung dahingehend erläutert, es
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handele sich dabei nicht um einen an die erstrebte Feststellung zum 5. Änderungsgesetz
anknüpfenden Annexantrag; das Begehren richte sich vielmehr darauf, unabhängig von
dem Feststellungsantrag Handlungspflichten des Gesetzgebers durchzusetzen.
Der so verstandene Antrag ist unzulässig. Ob die Beschwerdeführerinnen damit in diesem
Verfahrensstadium noch gehört werden können, mag dahingestellt bleiben. Der Antrag ist
jedenfalls schon deshalb unstatthaft, weil das nordrhein-westfälische
Verfassungsgerichtshofgesetz den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Möglichkeit,
mit einem solchen Begehren Verfassungsbeschwerde zu erheben, nicht einräumt. Die §§
52 Abs. 3, 49 VerfGHG gehen von dem Feststellungscharakter des Beschwerdebegehrens
aus; für ein selbständiges Verpflichtungsbegehren geben sie keine Handhabe.
3. Dieses Ergebnis ist auch unter Rechtsschutzgesichtspunkten keiner Korrektur
zugänglich. Die Rechtsschutzfunktion der Kommunalverfassungsbeschwerde (vgl. VerfGH,
OVGE 33, 318; NWVBl. 1994, 265, 266) rechtfertigt es nicht, den als
Rechtssatzverfassungsbeschwerde ausgestalteten Rechtsbehelf in eine allgemein gegen
verfassungswidriges Verhalten des Gesetzgebers gerichtete Verfahrensart umzudeuten.
Ohnehin können die Gemeinden Rechtsschutz gegen ein als nachbesserungsbedürftig
erachtetes Gesetz auch auf andere Weise erlangen. Denn ihnen steht die Möglichkeit offen,
den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu beschreiten und dort auf eine Vorlage an
den Verfassungsgerichtshof nach § 50 VerfGHG zu dringen.
II.
Das weitere Begehren, die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des Art. II 5.FlüAGÄndG
festzustellen, ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Entgegen der Auffassung der Landesregierung richten sich die
Verfassungsbeschwerden insoweit nicht gegen eine Untätigkeit des Gesetzgebers.
Beschwerdegegenstand ist sowohl dem Antragswortlaut als auch der Sache nach eine
landesrechtliche Regelung im Sinne des § 52 Abs. 1 VerfGHG. Der Gesetzgeber hat mit
Art. II 5.FlüAGÄndG eine zeitlich und gegenständlich begrenzte Übergangsregelung
geschaffen, die neben der Anhebung der Kostenerstattungssätze und Ausdehnung der
Betreuungspauschale hinsichtlich der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina für die Zeit ab
dem 1. Januar 1997 zugleich den Ausschluss einer darüber hinausgehenden
Rückabwicklung beinhaltet. Diese Ausschlusswirkung bildet den Angriffspunkt der
erhobenen Rügen.
2. Die Verfassungsbeschwerden bleiben jedoch auch in dieser Hinsicht ohne Erfolg, weil
die Übergangsregelung die Beschwerdeführerinnen nicht in ihrem Recht der
Selbstverwaltung aus Art. 78 Abs. 1 LV verletzt.
a) Der Verfassungsgerichtshof hat in seinen Urteilen vom 9. Dezember 1996 an die
Feststellung der Unvereinbarkeit von § 6 Abs. 1 FlüAG a.F. mit Art. 78 Abs. 3 LV einen
Neuregelungsauftrag geknüpft. Da sich die Feststellung auf den gesamten
Geltungszeitraum der Vorschrift bezog, erklärte er den Gesetzgeber für verpflichtet, unter
Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden, ob und inwieweit eine Rückabwicklung
bereits abgeschlossener Haushaltsperioden im Hinblick auf eine verlässliche und
kalkulierbare Haushalts- und Finanzwirtschaft ausscheidet. Der Verfassungsgerichtshof hat
dem Gesetzgeber also keine Pflicht zur Rückabwicklung auferlegt, aber - anders als das
Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen vom 24. Juni 1986 und 27. Mai 1992 zum
Länderfinanzausgleich (BVerfGE 72, 330, 422; 86, 148, 279) - eine Rückabwicklung auch
nicht mit Rücksicht auf eine kalkulierbare Haushalts- und Finanzwirtschaft ausgeschlossen.
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Die Entscheidung darüber ist vielmehr dem nach Maßgabe der genannten Kriterien
auszuübenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überlassen worden.
Die entscheidungserheblichen Umstände umfassen namentlich die gegenläufigen
finanziellen Interessen des Landes und der für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf eine
ausreichende Finanzausstattung angewiesenen Kommunen. Dabei kommt dem
Gesichtspunkt einer verlässlichen und kalkulierbaren Haushalts- und Finanzwirtschaft, wie
die besondere Hervorhebung durch den Verfassungsgerichtshof belegt, besondere
Bedeutung zu.
b) Art und Intensität der verfassungsgerichtlichen Kontrolle sind daran auszurichten, dass
eine gesetzliche Regelung den Gegenstand der Überprüfung bildet. Nicht gefolgt werden
kann deshalb der Auffassung der Beschwerdeführerinnen, an Art. II 5.FlüAGÄndG seien
die für exekutivische Abwägungsentscheidungen entwickelten Kontrollmaßstäbe
anzulegen. Die Angemessenheit einer gesetzlichen Regelung ist objektiv im Verhältnis zur
geregelten Situation zu beurteilen. Dem gegenüber kommt es auf die subjektiven
Zielvorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen nicht
entscheidend an (BVerfGE 2, 266, 280 f.; 48, 227, 237; 75, 246, 268), mögen diese auch
Hinweise auf den objektiven Sinngehalt des Gesetzes geben. Die Kontrolldichte hat den
spezifischen gesetzgeberischen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu
respektieren.
c) Nach den genannten Grundsätzen ist Art. II 5.FlüAGÄndG nicht zu beanstanden. Auch
unter Berücksichtigung des gemeindlichen Rechts der Selbstverwaltung enthält die
Vorschrift eine vertretbare Regelung der Problemlage, die durch die Anwendung des
verfassungswidrigen § 6 Abs. 1 FlüAG a.F. seit seinem Inkrafttreten entstanden war.
aa) Eine Neuregelung für die Vergangenheit hätte einen Einsatz finanzieller Mittel in großer
Höhe erfordert. Nach den unbestrittenen Angaben im Regierungsentwurf für das 5.
Änderungsgesetz (Landtags-Drucks. ../...., S. . und .) hätte die rückwirkende Anhebung der
Erstattungssätze für die Flüchtlingsgruppen des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG auf die für die
anderen Gruppen geltenden Sätze Kosten in Höhe von ca. 300 Mio. DM verursacht. Diese
Zahl zeigt, dass selbst eine mehr als nur geringfügige Teilrückabwicklung etatmäßig stark
ins Gewicht gefallen wäre.
Die erforderlichen Mittel hätten sich nicht ohne gravierende Auswirkungen auf die
Haushalts- und Finanzwirtschaft des Landes aufbringen lassen. Der Versuch, die Kosten
für eine rückwirkende Teilanhebung der Erstattungssätze für die Flüchtlingsgruppen des §
2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG durch eine entsprechende rückwirkende Absenkung der Sätze für die
Gruppen des § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG auszugleichen, um so eine Gleichbehandlung auf
mittlerem Niveau zu erreichen, wäre wohl schon aus Rechtsgründen nicht realisierbar
gewesen; den dafür nötigen Rückforderungen bereits verausgabter Mittel gegenüber den
durch die Altregelung begünstigten Kommunen dürften Vertrauensschutzgesichtspunkte
entgegen gestanden haben. Jedenfalls hätte eine solche Rückabwicklung massiv in
abgeschlossene Perioden der Haushaltswirtschaft eingegriffen und zu schweren
praktischen Unzuträglichkeiten geführt. Deshalb hätte faktisch nur die Möglichkeit
bestanden, den laufenden Haushaltsvollzug 1997 zusätzlich zu den von der
Landesregierung mit ca. 145 Mio. DM veranschlagten Mehrkosten für die zukunftsgerichtete
Anhebung der Erstattungssätze (Landtags-Drucks. ../.... S. .) mit den
Rückabwicklungskosten zu belasten. Angesichts der ohnehin angespannten
Finanzsituation des Landes hätte dies auf große Schwierigkeiten stoßen müssen und die
Haushaltskalkulation für das Jahr 1997 nachhaltig durchkreuzt.
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bb) Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber auch das Interesse der durch die
beanstandete Erstattungsregelung belasteten Gemeinden an einer Kompensation des
Verfassungsverstoßes zu berücksichtigen. Dieser Verstoß lag aber nicht etwa in zu
geringen Erstattungsleistungen, sondern in der Ungleichbehandlung gleich hohe Kosten
verursachender Flüchtlingsgruppen. Ein Anspruch der Gemeinden, Erstattungsleistungen
auf dem Niveau der Erstattungssätze des § 4 FlüAG a.F. zu erhalten, hatte nicht bestanden.
Dies relativiert das Gewicht, das dem Interesse an einer rückwirkenden Anhebung der
Erstattungssätze für die Flüchtlingsgruppen des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG zukommt, ebenso
wie der weitere Umstand, dass die Nachzahlungen dem Zweck, dem die
Erstattungsleistungen dienen, nach Abschluss der jeweiligen Haushaltsperiode nicht mehr
zugute kommen konnten.
cc) Ferner ist zu beachten, dass der Gesetzgeber auf die Urteile vom 9. Dezember 1996
umgehend reagiert, für die Zukunft eine entsprechend kostenintensive Gleichbehandlung
auf oberem Niveau geschaffen und immerhin - bezogen auf die große Gruppe der
Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina - eine Übergangsregelung für die Zeit zwischen
dem 1. Januar 1997 und dem Inkrafttreten der Neuregelung getroffen hat. Unter
Berücksichtigung aller Umstände ist die Gesamtregelung deshalb der vorgefundenen
Situation nicht unangemessen und hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber eröffneten
Gestaltungsspielraums.