Urteil des SozG Stade vom 18.06.2009

SozG Stade: gebühr, widerspruchsverfahren, auflage, hauptsache, verwaltungsverfahren, qualifikation, ermessen, bayern, vorverfahren, erlass

Sozialgericht Stade
Beschluss vom 18.06.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 34 SF 80/08
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. März 2008 wird zurückgewiesen.
Gründe:
Streitig ist die Höhe erstattungsfähiger Rechtsanwaltsgebühren.
Die zulässige Erinnerung ist unbegründet. Der Ansatz der Verfahrensgebühr in Höhe von 127,50 EUR ist nicht zu
beanstanden.
Zu Recht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle für das erstinstanzliche Eilverfah-ren die Verfahrensgebühr
nach Nr 3103 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zu § 3 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) anstelle der
beantragten Verfahrensgebühr nach Nr 3102 VV in Ansatz gebracht.
Durch den geringeren Gebührenrahmen nach Nr 3103 VV RVG gegenüber Nr 3102 VV RVG wird dem Umstand
Rechnung getragen, dass der Rechtsanwalt durch seine Tätig-keit im Verwaltungsverfahren oder im Vorverfahren mit
der Materie bereits vertraut ist und deshalb die Vorbereitung des Gerichtsverfahrens für ihn weniger arbeitsaufwendig
ist als für einen Rechtsanwalt, der erstmals mit der Materie befasst wird. Dies ergibt sich insbesondere aus der
Begründung des Gesetzentwurfes zu Nr 3103 (BT-Drucks 15/1971, Seite 212). Der niedrigere Gebührenrahmen der Nr
3103 VV RVG ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gerechtfertigt. Die Tätigkeit des Rechtsan-walts
in sozialgerichtlichen Eilverfahren wird regelmäßig dadurch erleichtert, dass er in derselben Sache bereits im
Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig geworden ist. Zwar gilt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
ein anderer Maßstab als im Hauptsacheverfahren. So genügt zum Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b
Abs 2 Satz 2 SGG, dass der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes
glaubhaft macht. Der Vortrag des Rechtsanwalts zur Be-gründung des Anordnungsanspruchs ist aber inhaltlich
regelmäßig deckungsgleich mit der Widerspruchsbegründung. In beiden Fällen sind die Voraussetzungen für das
Vorlie-gen des materiell-rechtlichen Anspruchs vorzutragen. Lediglich hinsichtlich der Glaub-haftmachung des
Anordnungsgrundes ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Verhältnis zum Widerspruchsverfahren ein
weiterer eigenständiger Vortrag notwendig. Aus den genannten Gründen ist es gerechtfertigt, sowohl im Klagverfahren
als auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von einem einheitlich reduzierten Gebührenrahmen auszugehen
(ebenso ua SG Hannover, Beschluss vom 1. Dezember 2008 - S 34 SF 177/08; LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 25. August 2006 - L 8 B 31/05 SO; LSG Bayern, Beschluss vom 18. Januar 2007 - L 15 B 224/06 AS
KO; SG Aurich, Be-schluss vom 09. Mai 2006 - S 25 SF 20/05 AS; SG Stade, Beschluss vom 11. Juni 2009 - S 34
SF 97/08).
Das Gericht vermag sich dagegen der Auffassung, dass sich der Gebührentatbestand der Nr 3103 VV RVG nur auf
solche Verwaltungs- bzw Widerspruchsverfahren beziehe, die einem Hauptsacheverfahren vorgelagert sind, nicht aber
auf das Verfahren des vor-läufigen Rechtsschutzes anwendbar sei, nicht anzuschließen (so aber SG Oldenburg,
Beschluss vom 15. August 2005, S 47 AS 169/05 ER). Wie im Hauptsacheverfahren setzt auch die einstweilige
Anordnung nach § 86b Abs 2 SGG die fristgerechte Einlegung eines Widerspruchs gegen den ablehnenden Bescheid
voraus, da es hier anderenfalls regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Letztlich "profitiert" der Rechtsanwalt
regel-mäßig sowohl im Klageverfahren als auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von seiner Tätigkeit im
Verwaltungsverfahren (vgl SG Aurich, Beschluss vom 09. Mai 2006, S 25 SF 20/05 AS), so dass die Zugrundelegung
der verringerten Gebühr für beide Verfahrensarten gerechtfertigt ist.
Der Gebührenrahmen für die Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug beträgt vorlie-gend nach Nr 3103 VV RVG
20,- bis 320,- EUR. Die Mittelgebühr hieraus beträgt 170,- EUR. Nicht zu beanstanden ist vorliegend die Festsetzung
der Verfahrensgebühr in Höhe einer 3/4-Mittelgebühr mit 127,50 EUR.
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller
Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der an-waltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit
sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftragsgebers nach billigem Ermessen. Das
Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs 1 S 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu er-setzen ist, so
ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs 1 S 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig
ist.
Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen
Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen
Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit
ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Be-rechnungspraxis
gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG
fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines
Bemessungsmerkmals das überwie-gende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-
Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).
Vorliegend ist die Urkundsbeamtin der Gebührenbemessung des Rechtsanwalts richti-gerweise nicht gefolgt, danach
den Kriterien des § 14 RVG eine Qualifikation der Angele-genheit also durchschnittlich nicht zu rechtfertigen ist. Die
vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebühr ist unbillig iS von § 14 RVG. Die Bedeutung des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens für den Antragsteller wird von der Kammer als durchschnittlich eingestuft, Gegenstand des
Verfahrens waren nicht existenzsichernde Leistungen. Da-gegen erweisen sich insbesondere Umfang und
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit - bezogen auf ein durchschnittliches Verfahren vor den Sozialgerichten - als
unterdurch-schnittlich. Ebenso als deutlich unterdurchschnittlich einzustufen sind die Verfahrensdau-er und die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers. Allein die Tat-sache, dass das einstweilige
Anordnungsverfahren in diesem Fall die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen hat bzw vorwegnehmen
musste, führt nicht zu einer anderen Einschätzung. Die Problematik der Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen
einer zu treffenden Entscheidung betrifft vor allem und in erster Linie das Gericht, das sich mit dieser Frage ggf
intensiv auseinandersetzen muss. Dagegen erhöht sich durch diesen Gesichtspunkt regelmäßig nicht die
Schwierigkeit der Tätigkeit des Rechtsan-walts.
Bei einer Gesamtbetrachtung aller Kriterien des § 14 RVG ist demzufolge die Entschei-dung der Urkundsbeamtin,
dass lediglich der Ansatz der 3/4-Mittelgebühr als Verfahrens-gebühr gerechtfertigt ist, nicht zu beanstanden. Da die
Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts um mehr als 20% von der vom Gericht für angemessen gehaltenen Ge-bühr
abweicht, ist von einer unbilligen und damit nicht verbindlichen Gebührenbestim-mung auszugehen (Gerold/Schmidt-
Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 12).
Im Übrigen nimmt das Gericht Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im angefochte-nen Beschluss vom 18. März
2008.
Die Entscheidung ist endgültig, § 197 Abs 2 SGG.