Urteil des SozG Stade vom 03.08.2009

SozG Stade: medizinisches gutachten, gebühr, rente, pauschal, fax, akte, gerichtsgutachten, auflage, ermessensspielraum

Sozialgericht Stade
Beschluss vom 03.08.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 34 SF 25/09 E
Auf die Erinnerung der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 23. Januar 2009
geändert. Die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden auf 348,17 EUR zuzüglich Zinsen von
5% über dem Basiszinssatz seit dem 27. August 2008 festge-setzt. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Gründe:
Streitig ist die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren. Die Klägerin macht insoweit die Festsetzung
einer höheren Verfahrensgebühr nach Nr 3102 VV RVG, einer höheren Einigungsgebühr nach Nr 1006 VV RVG sowie
einer höheren Dokumentenpau-schale nach Nr 7000 VV RVG geltend.
Die Erinnerung ist teilweise begründet.
Zu Unrecht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle lediglich eine Verfahrensgebühr nach Nr 3102 VV RVG in
Höhe von 250,- EUR festgesetzt. Zutreffend kann die Klägerin eine Verfahrensgebühr in Höhe von 300,- EUR geltend
machen.
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller
Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der an-waltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit
sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Das
Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs 1 Satz 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist,
so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie
unbillig ist.
Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen
Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen
Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit
ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Be-rechnungspraxis
gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG
fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines
Bemessungsmerkmals das überwie-gende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-
Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).
In den sozialgerichtlichen Verfahren, die die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsmin-derung dem Grunde nach
betreffen, können in der Regel abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles Rahmengebühren iS von § 14
RVG beginnend ab der Mittel-gebühr bis - im Einzelfall - zur Höchstgebühr gerechtfertigt sein und damit dem billigem
Ermessen entsprechen. Dabei kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Bedeutung des Rechtsstreits
für den Fall, dass die Bewilligung von Rente wegen Er-werbsminderung dem Grunde nach streitig ist, als
überdurchschnittlich einzustufen ist. Darüber hinaus ist hier zu berücksichtigen, dass der Rechtsanwalt glaubhaft
dargelegt hat, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zumindest leicht überdurchschnittlich gewesen ist. Nach
alledem hält es das Gericht für gerechtfertigt, vorliegend eine Verfah-rensgebühr, die ausgehend von der Mittelgebühr
um 20 % erhöht wird, anzusetzen. Ge-rechtfertigt ist danach eine Verfahrensgebühr nach Nr 3102 VVRVG in Höhe
von 300,00 EUR. Da die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts um mehr als 20 % von der vom Gericht als
angemessen gehaltenen Gebühr abweicht, ist von einer unbilligen und damit nicht verbindlichen Gebührenbestimmung
auszugehen (Gerold/Schmidt-Mayer, aaO, Rn 12).
Hinsichtlich des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist nicht ersichtlich, dass dieser we-sentlich über den in einem
durchschnittlichen sozialgerichtlichen Verfahren zu erwarten-den Umfang einer anwaltlichen Tätigkeit hinaus geht. Der
Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat im Wesentlichen eine Klagebegründung (Schriftsatz vom 04. Oktober 2007)
sowie eine etwa einseitige Stellungnahme zum eingeholten Gerichtsgutachten (Schrift-satz vom 07. August 2008)
gefertigt. Darüber hinaus wurden drei Kurzschriftsätze über-sandt. Die Tatsache, dass im Verfahren ein medizinisches
Gutachten zu lesen und zu würdigen war, führt alleine noch nicht zu einer Überdurchschnittlichkeit der anwaltlichen
Tätigkeit. Denn in einem sozialgerichtlichen Verfahren entspricht es dem Regelfall, dass zumindest ein medizinisches
Gutachten im Verfahren eingeholt wird und von den Betei-ligten zu lesen und zu würdigen ist. Mangels weiterer
Anhaltspunkte kann vorliegend da-her allenfalls ein ganz leicht überdurchschnittlicher Umfang der anwaltlichen
Tätigkeit gesehen werden. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist dagegen vorliegend für ein
sozialgerichtliches Verfahren als durchschnittlich anzusehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse der Klägerin wesentlich vom Durch-schnitt abweichen, sind nicht erkennbar. Nach alledem
hält das Gericht es für vertretbar, dass als Verfahrensgebühr eine um 20 % erhöhte Mittelgebühr geltend gemacht
wird.
Zutreffend hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Einigungsgebühr nach Nr 1006 VV RVG in Höhe von
228,- EUR festgesetzt. Auch insoweit ist eine Erhöhung der Mittelgebühr um 20 % zu rechtfertigen. Im Übrigen wird
auf die Ausführungen zur Verfahrensgebühr Bezug genommen. Da die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts um
mehr als 20 % von der vom Gericht für angemessen gehaltenen Gebühr abweicht, ist von einer unbilligen und damit
nicht verbindlichen Gebührenbestimmung auszugehen (Gerold/Schmidt-Mayer, aaO, Rn 12).
Als Dokumentenpauschale nach Nr 7000 VV RVG kann die Klägerin einen Betrag von 37,15 EUR geltend machen.
Die Kosten für Ablichtungen sind nach dieser Regelung erstattungsfähig, soweit sie zur sachgemäßen Bearbeitung
der Rechtssache geboten sind. Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung der Sache sachgemäß ist, ist auf die Sicht
abzustellen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Rechtsanwalt haben kann, wenn er sich mit der
betref-fenden Leistungsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen
Bearbeitung der Sache auftreten können. Dem Rechtsanwalt ist ein gewisser Ermessensspielraum zu überlassen
(Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl 2008, VV 7000 Rdn 22). Nach der ständigen Rechtsprechung der
niedersächsischen Sozialgerichte (ua SG Osnabrück, Beschluss vom 13. Juni 2007 - S 1 SF 56/06; SG Hil-desheim,
Beschluss vom 20. Oktober 2008 - S 12 SF 28/08; SG Stade, Beschluss vom 8. Juni 2009 - S 34 SF 72/08) kann
allerdings derjenige, der sich nicht der Mühe unterzie-hen will den Umfang der Ablichtungen bei Erhalt der Akten
konkret und sachbezogen zu bestimmen, die Kosten für überflüssige Schreibauslagen nicht der Staatskasse bzw
dem Leistungsträger aufbürden. Das Gericht hält es in diesen Fällen für zulässig, unsubstanti-iert geltend gemachte
Kopierauslagen pauschal zu kürzen, wenn auch auf Nachfrage die Notwendigkeit der einzelnen Kopien nicht belegt
wird (vgl SG Osnabrück, aaO; SG Hil-desheim, aaO). In solchen Situationen ist es nicht Aufgabe des Gerichts, die
notwendi-gen Fotokopien zu ermitteln und von den insgesamt geltend gemachten Fotokopien ab-zuziehen (OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Oktober 2006 - 7 E 1339/05).
Anhand des Inhalts der Leistungsakte und der dem Gericht per Fax vom Prozessbevoll-mächtigten vorgelegten
Kopien wird deutlich, dass Ablichtungen praktisch des gesamten Inhalts der Akte gefertigt worden sind, ohne eine
Prüfung der Notwendigkeit vorzuneh-men. Die Notwendigkeit der gefertigten Kopien wurde von der Klägerin insoweit
nicht substantiiert dargelegt. Das Gericht hält es unter diesen Umständen für gerechtfertigt, pauschal 50 % der
geltend gemachten Fotokopien als notwendig zu berücksichtigen.
Nach alledem berechnen sich die erstattungsfähigen Gebühren und Auslagen wie folgt:
Verfahrengebühr Nr 3102 VV RVG 300,- EUR Einigungsgebühr Nr 1006 VV RVG 228,- EUR Dokumentenpauschale Nr
7000 VV RVG 37,15 EUR Auslagenpauschale Nr 7002 VV RVG 20,- EUR Umsatzsteuer Nr 7008 VV RVG 111,18
EUR Gesamtsumme 696,33 EUR davon 1/2 348,17 EUR