Urteil des SozG München vom 09.02.2005

SozG München: streichung, krankenversicherung, form, tod, abschaffung, auszahlung, beerdigungskosten, vertrauensschutz, entlastung, gestaltungsspielraum

Sozialgericht München
Urteil vom 09.02.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 47 KR 1491/04
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 29. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober
2004 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Zahlung von Sterbegeld aus der Versicherung der 2004 verstorbenen Versicherten E. M.
Einen Antrag des Klägers auf Auszahlung von Sterbegeld lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Juli 2004 ab.
Durch das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz, GMG)
sei das Sterbegeld (bisher: §§ 58, 59 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch) zum 1. Januar 2004 weggefallen.
Den Widerspruch vom 30. Juli 2004 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2004 zurück. Sie
verwies darauf, dass die Streichung des Sterbegeldes aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung vom Gesetzgeber schon seit längerer Zeit geplant gewesen sei.
Mit der Klage vom 20. Oktober 2004, eingegangen am 21. Oktober 2004, macht der Kläger weiter einen Anspruch auf
Sterbegeld geltend. Das GMG enthalte keine Regelung, wonach §§ 58, 59 SGB V aufgehoben würden. Im Übrigen
stelle die Streichung des Sterbegeldes aus dem Leistungskatalog eine eklatanten Verstoß gegen den Grundsatz des
Vertrauensschutzes dar. Seine Mutter sei seit über 50 Jahren bei der Beklagten versichert gewesen. Die Leistung
Sterbegeld sei eine Säule der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen. In den früheren Jahren habe es als
Mehrleistung bis zum 40fachen des Grundlohnes erreichen können. Seine Mutter habe darauf vertraut, dass das
Sterbegeld bei ihrem Tode gezahlt werde und zusammen mit einer 1980 abgeschlossenen privaten
Sterbegeldversicherung die Kosten der Bestattung decken sollte. Schließlich ergebe sich durch die Streichung des
Sterbegeldes (0,3 % der gesamten Ausgaben) keine signifikanten Einsparungen in der gesetzlichen
Krankenversicherung.
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 17. November 2004 unter Verweis auf die Begründung des
Widerspruchsbescheides, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2004
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Sterbegeld aus der Versicherung der verstorbenen E. M. zu
gewäh ren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Klageakte sowie den der beigezogenen Akte der
Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. In der Sache
ist sie aber unbegründet, weil dem Kläger kein Anspruch auf Gewährung von Sterbegeld aus der Versicherung der
2004 verstorbenen Versicherten Frau E. M. gemäß §§ 58, 59 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) in der bis
31. Dezember 2003 geltenden Fassung zusteht.
Die bisherige Regelung im Siebten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB V enthielt bis 31. Dezember 2003 in §§ 58,
59 SGB V a.F. eine Regelung des Sterbegeldanspruchs. Danach wurde beim Tod eines Versicherten an denjenigen,
der die Bestattungskosten trägt, ein Zuschuss zu den Bestattungskosten (Sterbegeld) bezahlt, wenn der Verstorbene
am 1. Januar 1989 versichert war. Das Sterbegeld betrug beim Tod eines Mitglieds zuletzt gemäß § 59 SGB V a.F.
noch 525,00 Eur., beim Tod eines nach § 10 Versicherten 262,50 Eur.
Bis 31. Dezember 2003 war das Sterbegeld ferner in § 11 Abs. 1 Satz 2 SGB V als Leistung der gesetzlichen
Krankenversicherung aufgeführt.
a) Durch Art 1 Nr. 36 GMG wurde das Dritte Kapitel des SGB V einschließlich der §§ 58, 59 SGB V neu gefasst.
Danach werden im Siebten Abschnitt, der mit "Zahnersatz" benannt ist, die §§ 55 bis 59 aufgeführt, die Regelungen
zum Zahnersatz enthalten. Ferner wurde § 11 Abs. 1 Satz 2 SGB V a.F. durch Art. 1 Nr. 3 GMG gestrichen.
Gleichzeitig wurde § 21 Abs. 1 Nr. 5 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I), der ebenfalls das Sterbegeld
erwähnte, mit Wirkung zum 1. Januar 2004 gestrichen.
In der Begründung des Gesetzesentwurfs wurde ausgeführt, es handele sich dem Grunde nach um eine
versicherungsfremde Leistung; ihre Streichung sei ein notwendiger Solidarbeitrag, um die finanzielle Situation der
gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren (FraktEntw BT-Drucks. 15/1525 S. 91). Auf Seite 76 f des Entwurfs
wird ausgeführt, dass bestimmte Leistungen in die Eigenverantwortung der Versicherten übertragen werden.
Sterbegeld, Entbindungsgeld und Leistungen bei Sterilisation, die nicht aus medizinischen Gründen geboten seien,
müssen künftig von der Versicherten selbst finanziert werden. Zu Nummer 3 (§ 11) wird auf Seite 80 zur Begründung
dargelegt, es handele sich um eine Folgeregelung zur Aufhebung des Siebten Abschnittes im Dritten Kapitel
(Streichung des Anspruchs auf Sterbegeld).
Nach Auffassung des Gerichts bestand durch die Neufassung u.a. der §§ 58, 59 SGB V, durch die ausdrückliche
Streichung des § 11 Abs. 1 Satz 2 SGB V und die ergänzend heranzuziehende Begründung des Fraktionsentwurfs
ohne Zweifel der Wille des Gesetzgebers, das Sterbegeld abzuschaffen.
Zwar findet sich gesetzestechnisch keine ausdrückliche Regelung des Inhalts, dass §§ 58, 59 SGB V aufgehoben
und durch folgende Regelungen (die den Zahnersatz betreffen) ersetzt werden. Doch ist durch die begriffliche
Verwendung des Änderungsbefehls "fassen" nach Art. 1 Nr. 36 GMG bzw. die inhaltliche Neufassung und die
Neuformulierung u.a. der §§ 58, 59 SGB V in ausreichender Form klargestellt, dass die bisherigen Regelungen der §§
58, 59 SGB V nicht mehr weiter gelten, sondern abgeschafft werden.
Damit ist nach Überzeugung des Gerichts das Sterbegeld wirksam abgeschafft worden. Ergänzend ist auf das
"Handbuch der Rechtsförmlichkeit", herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz (2. Aufl. 1999, Rdnr. 627 f)
hinzuweisen, dem in der Praxis (vgl. § 42 Abs. 4 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien) der
Gestaltung von Änderungsgesetzen in Deutschland eine besondere Bedeutung zukommt. Danach wird durch den
Änderungsbefehl "wird/werden wie folgt gefasst" der Wortlaut einer Gliederungseinheit ganz gegen einen neuen
Wortlaut ausgetauscht. Es sei dann in der Regel überflüssig, den bisherigen Text ausdrücklich aufzuheben, weil der
neugefasste Wortlaut an die Stelle des bisherigen Wortlauts trete.
b) Diese Änderung trat auch bereits zum 1. Januar 2004 und nicht erst zum 1. Januar 2005 in Kraft.
Nach Art. 37 Abs. 1 GMG ist sowohl die Neufassung des Siebten Abschnitts des Dritten Kapitels als auch § 11 Abs.
1 Satz 2 und § 21 Abs. 1 Nr. 5 SGB I zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten. Eine Ausnahme besteht lediglich
insoweit, als gemäß Art. 37 Abs. 8 GMG mit Ausnahme des § 58 Abs. 3 die Neufassung der §§ 58, 59, also der
Regelungen, die statt der Regelungen zum Sterbegeld in ihrer Neufassung die Leistungen Zahnersatz betreffen, erst
mit Wirkung vom 1. Januar 2005 in Kraft treten. Die §§ 58, 59 SGB V a.F. wurden für die Zeit vor dem 1. Januar 2005
nicht gesondert aufgehoben.
Allerdings ergibt sich daraus nicht, dass auch das Sterbegeld erst zum 1. Januar 2005 abgeschafft worden sei. Dies
ergibt sich zum einen aus der Streichung der das Sterbegeld betreffenden Regelungen nach § 11 Abs. 1 Satz 2 SGB
V a.F. und § 21 Abs. 1 Nr. 5 SGB I a.F. bereits zum 1. Januar 2004 (Art. 37 Abs. 1 GMG), zum anderen aus dem
Inkrafttreten der Neufassung des § 58 Abs. 3 SGB V n.F. bereits mit Wirkung vom 1. Januar 2004. Damit hat der
Gesetzgeber erkennbar mit Wirkung bereits ab 1. Januar 2004 das Sterbegeld abgeschafft. Auch gilt die Überschrift
des Dritten Kapitels des SGB V "Zahnersatz" bereits ab 1. Januar 2004.
Das Gericht teilt die Auffassung des Sozialgerichts Chemnitz (Gerichtsbescheid vom 24. November 2004, Az.: S 13
KR 684/04), dass es zu sinn- und systemwidrigen Ergebnissen führen würde, neben den seit 1. Januar 2004 unstreitig
geltenden Vorschriften nach §§ 56, 57, 58 Abs. 3 SGB V auch die §§ 58, 59 SGB V a.F. anzuwenden. Die
Regelungen des Sterbegeldes stünden dann systemwidrig in dem Abschnitt Zahnersatz; ferner hinge § 58 Abs. 3
SGB V n.F. wegen Fehlens eines § 58 Abs. 1 oder 2 SGB V a.F. im leeren Raum.
Ergänzend ergibt die o.g. Darlegung des gesetzgeberischen Willens und die hierzu durchgeführten Berechnungen zum
Einsparungseffekt, dass eine Abschaffung des Sterbegeldes zum 31. Dezember 2003 beabsichtigt war. Der
Gesetzgeber rechnete nämlich bereits für das Jahr 2004 mit einer Einsparung in Höhe von 0,4 Mrd. Eur durch die
Gesetzgeber rechnete nämlich bereits für das Jahr 2004 mit einer Einsparung in Höhe von 0,4 Mrd. Eur durch die
Abschaffung des Sterbegeldes. Auf Seite 171 f der BT-Drucks. 15/1525 wird von einem geschätzten finanziellen
Entlastungsvolumen durch die vorgesehenen Regelungen für die gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von rd. 10 Mrd.
Eur in 2004 ausgegangen, wobei hiervon gemäß der abgedruckten Tabelle auf das eingesparte Sterbegeld für das
Jahr 2004 ein Betrag von insgesamt 0,4 Mrd. Eur entfallen.
Dabei können zur Auslegung des gesetzgeberischen Willens ergänzend zu dem Fraktionsentwurf auch Indizien
außerhalb des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens herangezogen werden wie die Verlautbarungen am Rande des
Gesetzgebungsverfahrens. Dabei wurde sowohl innerhalb der Legislative als auch bei Äußerungen der Exekutive stets
deutlich, dass eine Einstellung des Sterbegeldes zum 31. Dezember 2003 erfolge. Auf die damaligen zahlreichen
Veröffentlichungen in den Medien wird verwiesen.
c) Die Einstellung des Sterbegeldes, deren Höhe zuletzt noch maximal 525 Eur betrug, stellt auch keinen Verstoß
gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen Art. 14 GG (Eigentum) oder das Rechtsstaatsprinzip in Form des
Vertrauensschutz dar.
Ein Verstoß gegen Art. 14 GG liegt nicht vor. Zwar unterliegen auch sozialversicherungsrechtliche Ansprüche und
Anwartschaften dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG. Sie stehen jedoch in einem ausgeprägten sozialen Kontext.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat deshalb im Rahmen von Fragen zur Beitragsfestsetzung in der
gesetzlichen Sozialversicherung entschieden, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber sogar die Befugnis
verleiht, (Renten-)Ansprüche und -anwartschaften zu beschränken, Leistungen zu kürzen und Ansprüche und
Anwartschaften umzugestalten, sofern dies einem Gemeinwohlzweck dient und dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit genügt (BVerfG, NJW 2000, 2496; BVerfGE 100, 1 ff, 37 f).
Hinsichtlich Art. 14 GG wird insoweit auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25. Juni 1991 (Az.: 1/3
RK 21/90) und vom 7. August 1991 (Az.: 1 RK 12/91) zur Kürzung des Sterbegeldes verwiesen. Diese Ausführungen
sind auch auf die vorliegende Streichung des Sterbegeldes übertragbar. Insbesondere sind die Ausführungen des
Klägers verfehlt, bei dem Sterbegeld handele es sich um eine Säule der gesetzlichen Krankenversicherung. Dem
kann bei einem inzwischen verbliebenen maximalen Betrag von 525 Eur nicht zugestimmt werden. Zuletzt war das
Sterbegeld nur mehr ein meist bei weitem nicht mehr ausreichender Zuschuss zu den Beerdigungskosten.
Es liegt aber auch kein Verstoß gegen den Vertrauensschutz im Sinne des nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit
Art. 20 Abs. 3 GG normierten Rechtsstaatsgebotes vor.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist erst dann verletzt, wenn die gesetzgeberischen Maßnahmen bei Abwägung
einerseits ihrer Schwere für den Betroffenen und andererseits der sie rechtfertigenden Gründe die Grenze des
Zumutbaren überschreiten (siehe z.B. BSG v. 1. Dezember 1999 zu § 22 Abs. 4 Fremdrentengesetz, Az.: B 5 RJ
26/98 R, unter B. 2. e) ee), m.w.N.).
Dabei ist die Streichung des Sterbegeldes vor dem Hintergrund der drastisch angestiegenen Ausgaben der
gesetzlichen Krankenkassen insgesamt, die die Einnahmen nicht auszugleichen vermögen, und somit vor dem
Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der bundesdeutschen gesetzlichen
Krankenversicherung zu sehen. Es ist daher als verfassungsgemäß anzusehen, wenn der Gesetzgeber durch das
GMG ein Bündel von Maßnahmen vorgesehen hat, um zu einer Kostendämmung im gesetzlichen Gesundheitssystem
zu gelangen. Die Einzelinteressen des Klägers an der Auszahlung des Zuschusses zur Beerdigung tritt
demgegenüber zurück.
Auch kann nicht durchgreifen, dass die Versicherte selbst auf die Auszahlung des Sterbegeldes vertraute und in den
80er Jahren zur Abdeckung der restlichen und somit nach ihrer Vorstellung gesamten Beerdigungskosten eine private
Versicherung abgeschlossen hat. Auch insoweit treten ihre Interessen im Rahmen einer Interessenabwägung
gegenüber dem dargelegten Interesse an der Erhaltung des Systems zurück. Im Übrigen dürfte das Vertrauen der
Versicherten nicht durch die Abschaffung des restlichen Zuschusses enttäuscht worden sein, sondern durch die
kontinuierliche Absenkung der Höhe des Sterbegeldes im Laufe der Jahre. Insoweit hat das Bundessozialgericht in
der o.g. Entscheidung aber bereits dargelegt, dass ein Verfassungsverstoß nicht gegeben sei.
Ob die Streichung des Sterbegeldes mit einer geschätzten Entlastung von 0,4 Mrd, Eur für das Jahr 2004 geeignet
ist, dem Ziel der Entlastung der Krankenversicherung zu dienen, kann im Ergebnis dahin gestellt bleiben. Zum einen
ist die Streichung jedoch nicht gesondert zu sehen, sondern als Teilmaßnahme im Rahmen verschiedener
gesetzgeberischer Maßnahmen, zum anderen ist dem Gesetzgeber insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum
zuzubilligen. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber diesen weiten Gestaltungsspielraum mit der
vorgenommenen Streichung des Beerdigungszuschusses überschritten hätte. Insbesondere kann es nicht darum
gehen, im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung zu prüfen, ob ein anderer Weg zu denselben Einsparungen und
zu weniger Belastungen der Versicherten führen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.