Urteil des SozG Marburg vom 08.09.2010

SozG Marburg: subjektives recht, körperschaft, satzung, versorgung, hessen, steigerung, form, facharzt, verfügung, widerspruchsverfahren

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 08.09.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 638/09
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Er hat auch die
Gerichtskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Honorars und hierbei um Zuordnung des Klägers zu einer anderen
Honorar(unter)gruppe für die drei Quartale I und II/04 sowie I/05.
Der Kläger ist als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin seit 16.06.1984 an der vertragsärztlichen Versorgung mit
Praxissitz in A-Stadt beteiligt, zunächst im Rahmen einer Ermächtigung für kinderneurologische Leistungen. Der
Zulassungsausschuss für Ärzte ließ den Kläger mit Beschluss vom 22.02.2000 im Wege der Sonderbedarfszulassung
nach Nr. 24b BedarfsPlRL-Ä zur vertragsärztlichen Tätigkeit zu. Die Sonderbedarfszulassung nach Nr. 24b
BedarfsPlRL-Ä erstreckte sich nach dem Beschluss für eine Übergangszeit von fünf Jahren auf die Durchführung
besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auf Überweisung durch den behandelnden Vertragsarzt auf
dem Gebiet der Kinderheilkunde bei neurologisch auffälligen und behinderten Kindern sowie bei Personen mit
frühkindlichen Hirnschäden mit einhergehender Epilepsie, auch über das 18. Lebensjahr hinausgehend, abzurechnen
nach im Einzelnen aufgeführten EBM-Nrn. Die Beklagte hat ihn abrechnungstechnisch den fachärztlich tätigen
Kinderärzten (Honorargruppe A 2.3.2) zugeordnet. Er ist ferner seit 1996 Facharzt für Physikalische und Rehabilitative
Medizin und als solcher durch Erweiterung der Zulassung durch Beschluss des Zulassungsausschusses vom
24.04.2007 ebf. zugelassen.
Mit Honorarbescheid vom 16.04.2004 setzte die Beklagte das Nettohonorar für das Quartal III/03 auf 59.988,80 Euro
fest.
In den streitbefangenen Quartalen setzte die Beklagte das Honorar des Klägers durch Honorarbescheid fest, wogegen
der Kläger jeweils Widerspruch erhob. Die Festsetzungen und die Daten der Widerspruchseinlegung ergeben sich aus
nachfolgender Übersicht:
I/04 II/04 I/05 Honorarbescheid vom 05.08.2004 09.10.2004 26.07.2005 Widerspruch vom/eingelegt am
22./24.09.2004 27./28.12.2004 07./09.09.2005
Nettohonorar gesamt in EUR 68.464,57 66.884,83 64.625,69 Bruttohonorar PK + EK in EUR 68.925,80 67.757,97
65.721,13 Fallzahl PK + EK 721 716 694 Korrekturbetrag in EUR zu LZ 506 14.554,53 Punktwert Allg. Leistungen (HG
2) PK/EK in Ct. 4,189/4,715 3,472/3,733 3,585/4,088
Maßnahme nach LZ 506 HVM - Anerkennungsfähiges Honorar in Punkten 1.867.268,1 1.595.239,2 1.867.268,1
Maßgebliche Honoraranforderung 1.892.775,0 1.841.630,0 1.680.530,0 Überschreitung 25.506,9 246.390,8 - 186.738,1
Quote in % 80,65 86,53 100 Belastung in Punkten EK und PK gesamt 363.643,8 - - Maßnahme nach LZ 505 HVM - -
-
Die Beklagte lehnte einen Antrag vom 12.08.2005 auf Erhöhung der Bezugsfallzahl für das Quartal I/05 mit Bescheid
vom 20.01.2006 ab. Darin führte sie aus, nach Ablauf der fünf Jahre der Sonderzulassung sei die
Abrechnungsbeschränkung zum 01.03.2005 entfallen. Eine Änderung des Zulassungsstatus sei damit nicht
vorgenommen worden. Der Kläger nehme daher auch weiterhin im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung an der
vertragsärztlichen Versorgung teil, wobei er sich für die hausärztliche Versorgungsebene entschieden habe. Aufgrund
des Status der klägerischen Praxis als "junge Praxis" sei von einer fallzahlabhängigen Quotierung für die Zeit nach
Niederlassung zum 01.03.2000 bis einschließlich Quartal I/03 abgesehen worden. Für das Quartal I/05 sei die Fallzahl
für das Quartal I/03 herangezogen worden (706 Fälle), weil die Fallzahl im Referenzquartal I/02 demgegenüber nur 676
Fälle betragen habe. Die Maßnahme nach Leitzahl 505 habe in Quartal I/05 keine Anwendung gefunden, da die Arzt-
/Fachgruppe des Klägers mit ihrer gesamten Fallzahlentwicklung um einen Anstieg um weniger als 1% verzeichnet
habe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid 08.05.2006 mit
weitgehend gleichlautender Begründung wie im Ausgangsbescheid zurück.
Zur Begründung seines Widerspruchs gegen den Honorarbescheid für das Quartal I/04 trug der Kläger vor, nach dem
Desaster beim 3. Quartal 2003 habe er im 4. Quartal 2003 eine Steigerung seiner Gesamtabrechnung von 58.726,50
EUR auf 73.878,54 EUR bei einer minimal höheren Scheinzahl gehabt. Im Quartal I/04 sei eine Steigerung der
Scheinzahl von 58 Scheinen zum Vorquartal eingetreten, und trotzdem solle er einen Abfall des Gesamthonorars auf
70.521,05 EUR erfahren. Er protestiere gegen ein Abrechnungssystem, das im keine plausible Berechnung und keine
planbare wirtschaftliche Sicherheit geben und nur noch den faden Geschmack von Lüge und Beliebigkeit hinterlasse.
Ähnlich begründete der Kläger auch seinen Widerspruch für das Quartal II/04. Für das Quartal I/05 trug er vor, er sei
seit 01.03.2005 als Kinderarzt/Hausarzt voll zugelassen. Aus diesem Grund könne die Fallzahlenberechnung nicht mit
2004 verglichen werden, als er noch eine eingeschränkte Sonderbedarfszulassung gehabt habe.
Die Beklagte verband alle drei Widerspruchsverfahren und wies mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2008 die
Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Honorarbescheide seien formell
rechtmäßig. Sie seien ausreichend begründet und gründeten den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X. Die
Honorarbescheide seien auch materiell rechtmäßig. Sie verstießen nicht gegen den Grundsatz der Bestimmtheit, da
sie eindeutig die Höhe des Produkt- und Nettohonorars bestimmten. Sie seien sachlich und rechnerisch richtig auf der
Grundlage wirksamer Regelungen in Form der geltenden Gebührenordnungs- und Honorarverteilungsbestimmungen
erstellt worden. Eine Beschwer durch die Maßnahme der sog. Fallzahlbegrenzung nach Leitzahl 505 HVM liege nicht
vor und in den Quartalen II/04 und I/05 auch keine Beschwer durch die Maßnahme der Honorarbegrenzung nach
Leitzahl 506 HVM. Im Quartal I/05 sei es nach einer Neuberechnung zu einer Überschreitung von 25.506,9 Punkten
im Rahmen der Maßnahme nach Leitzahl 506 HVM gekommen. Nach Korrektur der Abrechnung habe das Honorar im
Quartal I/04 deutlich höher gelegen als im Quartal IV/03. Abweichungen zwischen den Quartalen könnten im Hinblick
auf die zu behandelnde Klientel als auch die zur Verfügung stehende Geldmenge vorkommen.
Hiergegen hat der Kläger am 13.08.2008 die Klage erhoben. Auf Antrag der Beteiligten hat die Kammer mit Beschluss
vom 02.01.2009 das Verfahren zum Ruhen gebracht. Auf Antrag des Klägers vom 03.09.2009 ist das Verfahren
fortgeführt worden.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage vor, der Widerspruchsausschuss sei nach der Satzung der Beklagten
weder ein Organ noch ein satzungsgemäßer Ausschuss. Die Vertreterversammlung könne den
"Widerspruchsausschuss" weder nach den Vorschriften des SGB V noch nach den einschlägigen Bestimmungen der
Satzung der Beklagten errichten. Zuständig zum Erlass eines Widerspruchsbescheides in Honorarangelegenheiten sei
vielmehr die KV Hessen als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Gemäß § 11 der Satzung werde diese
Körperschaft vom hauptamtlichen Vorstand verwaltet sowie gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Der
angefochtene Widerspruchsbescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil er von einer rechtlich unzuständigen Stelle,
nämlich dem Widerspruchsausschuss, erlassen worden sei.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Honorarbescheide für die Quartale I und II/04 sowie I/05, alle in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2008, die Beklagte zu verurteilen, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG entscheide in Angelegenheiten der Sozialversicherung die von der
Vertreterversammlung bestimmte Stelle. Bei Kassenärztlichen Vereinigungen entscheide die von der
Vertreterversammlung bestimmte Widerspruchsstelle. In ihrem Falle sei dies der Widerspruchsausschuss. Im Übrigen
verweise sie auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der Beratungen gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und
Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und
Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die Kammer konnte dies
ohne mündliche Verhandlung tun, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Klage ist zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben
worden.
Die Klage ist aber unbegründet. Die angefochtenen Honorarbescheide für die Quartale I und II/04 sowie I/05, alle in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2008 sind rechtmäßig. Sie waren daher nicht aufzuheben. Der
Kläger hat keinen Anspruch auf Neubescheidung seines Honoraranspruchs unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts.
Die angefochtenen Honorarbescheide für die Quartale I und II/04 sowie I/05, alle in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.07.2008 sind rechtmäßig. Eine Rechtswidrigkeit folgt insbesondere nicht aus dem
Umstand, dass der von der Beklagten eingesetzte Widerspruchsausschuss über die Widersprüche des Klägers
entschieden hat.
Zuständig für den Erlass eines Honorarbescheids und eines Widerspruchsbescheids ist die Beklagte. § 85 SGG sieht
nicht vor, dass über Widersprüche gegen Honorarbescheide ausschließlich der Vorstand zu entscheiden hat. Auch ist
keine andere gesetzliche Bestimmung ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht, aus der sich
ergibt, dass nur der Vorstand als Vorstand darüber zu befinden hätte. Insofern obliegt es der Selbstverwaltung der
Beklagten als Körperschaft des öffentlichen Rechts, wie sie die Verwaltungsverfahren, das heißt hier die
Zuständigkeit innerhalb der Körperschaft regelt. Von daher kommt der Frage, ob der Vorstand selbst oder ein
beauftragter Widerspruchsausschuss entscheidet, eine Außenwirkung im Verhältnis zu den Mitgliedern der
Körperschaft beziehungsweise hier zum Kläger nicht zu. Insofern ist von einem verwaltungsinternen Organisationsakt
auszugehen, dem keine Außenwirkung zukommt und der mangels entgegenstehender gesetzlicher Regelungen
zulässig ist.
Die Beklagte hat somit in zulässiger Weise bestimmt, dass die Landesstelle als Widerspruchsstelle gemäß § 85 SGG
über einen Widerspruch entscheidet und bei ihr ein Widerspruchsausschuss gebildet wird, dem der Erlass von
Widerspruchsbescheiden übertragen wird (§ 5 Abs. 5 Buchst. a Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in
der Fassung vom 08.05.2004, geändert durch Beschluss der Abgeordnetenversammlung vom 26.06.2004 sowie
Beschluss der Vertreterversammlung vom 22.01.2005).
Es ist nicht ersichtlich, dass der Widerspruchsausschuss fehlerhaft besetzt (vgl. § 5 Abs. 5 Buchst. b Satzung)
gewesen wäre.
Von daher war der Widerspruchsausschuss entgegen der Auffassung des Klägers für die Entscheidung zuständig und
konnte in der Sache entscheiden.
Die angefochtenen Honorarbescheide sind auch aus anderen Gründen nicht rechtswidrig. Der Kläger hat weder im
Widerspruchs- noch Klageverfahren, obwohl ihn die Kammer mit Verfügung vom 28.10.2009 hierauf hingewiesen hat,
dargelegt, weshalb die angefochtenen Honorarbescheide materiell rechtswidrig sein sollten. Soweit er sich in den
Widerspruchsverfahren allgemein gegen das Abrechnungssystem gewandt hat, ist der Kammer nicht ersichtlich,
gegen was im Einzelnen der Kläger sich wendet. Soweit der Kläger letztlich geltend macht, die Honorierung sei
insgesamt zu niedrig, konnte dem nicht gefolgt werden. Nach § 72 Abs. 2 SGB V ist die vertragsärztliche Versorgung
im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien der Bundesausschüsse durch schriftliche Verträge der
Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln, dass (auch) die ärztlichen
Leistungen angemessen vergütet werden. Aus dieser Bestimmung kann ein subjektives Recht des einzelnen
Vertragsarztes auf höheres Honorar für ärztliche Tätigkeiten erst dann in Betracht kommen, wenn durch eine zu
niedrige Vergütung ärztlicher Leistungen das vertragsärztliche Versorgungssystem als Ganzes oder zumindest in
Teilbereichen, etwa in einer Arztgruppe, und als Folge davon auch die berufliche Existenz der an dem
Versorgungssystem teilnehmenden Vertragsärzte gefährdet wird (vgl. BSG, Urt. v. 09.12.2004 - B 6 KA 44/03 R –
aaO., juris Rdnr. 130 m. w. N.). Anzeichen hierfür sind nicht ersichtlich. Auch für das klägerische Fachgebiet ist im
Bezirk der Beklagten die vertragsärztliche Versorgung gewährleistet.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen,
dessen Begründung die Kammer folgt (§ 136 Abs. 3 SGG).
Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten
des Verfahrens.
Die Streitwertfestsetzung erfolgte durch Beschluss des Vorsitzenden.
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach
den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet
der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert
von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).
Der Streitwert für eine Klage auf höheres Honorar ist pro Quartal auf den Regelstreitwert festzusetzen, soweit – was
vorliegend der Fall ist - keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete Abschätzung des wirtschaftlichen Werts
des Begehrens ersichtlich sind (vgl. BSG, Beschl. v. 28.01.2009 – B 6 KA 66/07 B – juris). Dies ergab auch den
festgesetzten Wert.