Urteil des SozG Marburg vom 06.10.2010

SozG Marburg: quote, rlv, mrt, daten, richterliche kontrolle, vergütung, verfügung, versorgung, gemeinschaftspraxis, wachstum

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Gericht:
SG Marburg 11.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 11 KA 189/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
Der RLV-Zuweisungsbescheid der Beklagten vom 27. Mai 2009 für das Quartal
III/09 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2010 wird aufgehoben und
die Beklagte verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen
außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Der Streitwert wird auf 5000€ festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des zugewiesenen Regelleistungsvolumens
(RLV) sowie über die Rechtmäßigkeit der dieser Berechnung zugrunde liegenden
Rechtsgrundlagen.
Die Klägerin ist eine radiologische Gemeinschaftspraxis mit Vorhaltung von CT und
MRT und seit dem 1.1.2008 in der Zusammensetzung Frau Dr. A., Herr Dr. B. und
Herr Dr. C. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Die Dres. B. und C. betrieben gemeinsam schon seit 2004 eine Praxis an
unterschiedlichen Standorten, Frau Dr. A. kam im Januar 2008 dazu.
Praxissitz der neuen Gemeinschaftspraxis ist A-Stadt. Nach einigen zeitlichen
Verzögerungen hat die Klägerin ihre Praxisräume, für die sie erhebliche
Investitionen vorgenommen hatte, im Laufe des Sommers 2009 fertig gestellt und
ihre Tätigkeit aufgenommen.
Grundlage der Investitionsentscheidung der Klägerin war ein Schreiben der
Beklagten vom 02.10.2007, mit folgendem Wortlaut:
„Grundsätzlich muss ich erwähnen, dass eine verbindliche Aussage bezüglich der
Honorarverteilung im Jahr 2008 nicht möglich ist… Somit kann ich nur Angaben
machen, wie die Honorarverteilung aussehen würde, wenn sich an den jetzigen
Bedingungen nichts grundlegend ändern würde… Mit dem 1. Quartal 2008 erlischt
Ihr Status „Junge Praxis“. Dies bedeutet, dass Sie im Rahmen der
Fallzahlbegrenzungsregelung an Ihren eigenen Fallzahlen aus gewissen
Vorquartalen gemessen werden (sofern solche vorliegen). Letztendlich haben Sie
jedoch immer Anspruch auf die durchschnittliche Fallzahl Ihrer Fachgruppe…“
Mit Bescheid vom 09.06.2009 erhielt die Klägerin zudem die Genehmigung, eine
Zweigpraxis in X-Stadt zu betreiben.
Die Beklagte wies der Klägerin auf der Grundlage der Fallzahlen aus dem Jahr 2008
mit Bescheid vom 27.05.2009 ein Regelleistungsvolumen in Höhe von 3.700,09 €
für das Quartal III/09 zu. Es resultiere aus der Multiplikation der für das RLV
relevanten Fallzahl aus dem Quartal III/08 mit dem arztgruppenspezifischen
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relevanten Fallzahl aus dem Quartal III/08 mit dem arztgruppenspezifischen
Fallwert. Zur Förderung der Versorgung in Berufsausübungsgemeinschaften für
fach- und schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaften wurde ein 10%-
iger Aufschlag gewährt. Die Berechnung ergibt sich aus der folgenden Tabelle:
Gegen den Bescheid hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.
Mit Bescheiden vom 7., 9. bzw. 17. September 2009 hat die Antragsgegnerin den
Mitgliedern der Klägerin jeweils mit Wirkung zum 29. Juli 2009 die Genehmigung zur
Abrechnung von CT- bzw. MRT-Leistungen bzw. für Dr. A.. auch die Genehmigung
zu Abrechnung von Leistungen der diagnostischen Radiologie und MR-
Angiographie erteilt.
Mit weiterem Bescheid vom 07.09.2009 korrigierte die Beklagte den Bescheid vom
27.05.2009 daraufhin dahingehend, dass das RLV der klägerischen Praxis auf
3.960,25€ festgelegt wurde. Die Erhöhung ergab sich aus der Anpassung des
Fallwertes für Frau Dr. A. auf 59,55€ aufgrund der geänderten Einstufung in die
Gruppe der Radiologen mit Vorhaltung von CT und MRT.
Mit weiterem Bescheid vom 08.10.2009 korrigierte die Beklagte das RLV für das
Quartal III/09 erneut, diesmal auf 5.860,69€, wobei die Einstufung in die RLV-
Gruppe und die Fallwertanpassung auch für die Kollegen B. und C. vorgenommen
wurde. Beide Korrekturbescheide sind Bestandteil des Widerspruchsverfahrens
geworden.
Das Gesamthonorar der Klägerin belief sich nach Abrechnung auf 9.244,12€. Die
Zahl der abgerechneten Behandlungsfälle lag bei 371. Die Honorarforderung
betrug 40.600,00€, die Überschreitung des RLV damit 34.739,50€. Gegen den
Honorarbescheid ist das Widerspruchsverfahren noch anhängig.
Gegen die Zuweisung des Regelleistungsvolumens ab dem Quartal III/09 wendete
sich die Antragstellerin zunächst im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Das
SG Marburg (Beschluss vom 06.08.2009, Az. S 11 KA 430/09 ER) gab diesem
Antrag insoweit statt, als Leistungen im Fachgebiet der Radiologie bis zur Höhe
des Fachgruppendurchschnitts zu vergüten seien. Der Bescheid vom 27.05.2009
sei offensichtlich rechtswidrig, weil die vorgenommene Regelung evident gegen
Art. 12 GG verstoße und aufgrund des damit verbundenen Ausmaßes der
Einschränkungen sogar einem Berufsverbot gleichkomme. Das Ermessen der
Antragsgegnerin im Hinblick auf die Zuweisung des RLV ab dem Zeitpunkt der
Vorliegens aller gerätetechnischen Voraussetzungen sei insoweit auf Null
reduziert, als aufgrund der Lückenhaftigkeit der untergesetzlichen Vorgaben eine
andere Entscheidung als die Zuweisung eines RLV in Höhe des
Fachgruppendurchschnitts nicht in Betracht komme. Zwar könne eine Zusicherung
im Schreiben vom 2. Oktober 2007 nicht gesehen werden. Gleichwohl sei rechtlich
zutreffend, dass die Möglichkeit des Wachstums bis zum Durchschnitt der
Fachgruppe auch unter dem Regime des HV 2009 gegeben sein müsse. Eine
„Junge Praxis“ liege nicht vor, die Antragstellerin sei jedoch als
unterdurchschnittlich abrechnende Praxis zu qualifizieren. Für diese enthalte der
Beschluss des Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 auch in der
Gestalt des 20. April 2009 keine Regelung. Die Regelungsbefugnis für
„Neuzulassungen von Vertragsärzten“ und für „Praxen in der Anfangsphase und
Umwandlung der Kooperationsform“ sei auf die Partner der Gesamtverträge
delegiert, die hiervon unzureichend Gebrauch gemacht hätten. Es bestehe
insofern eine Regelungslücke, welche vor dem Hintergrund der
Grundrechtsrelevanz gefüllt werden müsse. Nach der Rechtsprechung des BSG
müssten umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit
haben, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Da
die Verpflichtung zur Gewährleistung einer gewissen Wachstumsmöglichkeit nicht
allein auf junge Praxen zu beschränken sei, sondern alle Praxen erfasse, deren
Umsatz den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe unterschreitet, müssten
die für junge Praxen entwickelten Grundsätze für die Antragstellerin entsprechend
gelten. Auch Vertragsärzte mit unterdurchschnittlicher Patientenzahl dürften nicht
gehindert werden, durch Erhöhung der Patientenzahl zumindest einen
durchschnittlichen Umsatz zu erzielen. Grundsätzlich sei es auch
unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen zumutbar, dass ihr pro Jahr zulässiges
Honorarwachstum beschränkt werde. Es seien Wachstumsraten in einer
Größenordnung zuzulassen, die es noch gestatteten, den durchschnittlichen
Umsatz in absehbarer Zeit zu errechnen. Absehbar in diesem Sinne sei ein
Zeitraum von fünf Jahren. Mangels abweichender Regelungen sei es der
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Zeitraum von fünf Jahren. Mangels abweichender Regelungen sei es der
Antragstellerin nach allgemeinen Regelungen zuzubilligen, sofort bis zum
Durchschnitt der Fachgruppe wachsen zu können.
Das Hessische LSG (Beschluss vom 21.12.2009, Az. L 4 KA 77/09 B ER) bestätigte
diese Entscheidung insoweit, als der Klägerin für das Quartal III/2009 ein
Regelleistungsvolumen auf der Basis der tatsächlich abgerechneten 379 Arztfälle
und für das Quartal IV/2009 ein Regelleistungsvolumen auf der Basis von 1.500
Fällen zuerkannt wurde.
Auch einer unterdurchschnittlich abrechnenden Praxis sei es grundsätzlich
zumutbar, dass ihr pro Jahr ein zulässiges Honorarwachstum beschränkt werde,
wenn absehbar sei, dass der Fachgruppendurchschnitt innerhalb von fünf Jahren
erreicht werde, es sei denn, es seien Umstände glaubhaft gemacht, die eine
Sonderregelung rechtfertigten.
Eine derartige Sonderregelung sei im vorliegenden Fall gerechtfertigt, da ein
außergewöhnlicher Grund im Sinne von Abschnitt II Ziff. 3.4 Satz 3 letzter
Spiegelstrich HV 2009 vorliege. Derartige außergewöhnliche Gründe lägen bereits
dann vor, wenn über einen längeren Zeitraum eine Praxisführung nur unter
eingeschränkten zeitlichen Bedingungen möglich gewesen sei, ohne dass es zu
einer Praxisschließung gekommen sei, mit der Folge, dass in den Aufsatzquartalen
auskömmliche Fallzahlen nicht zu erbringen waren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2010 wies die Beklagte den Widerspruch der
Klägerin zurück. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 17.02.2010.
Die Klägerin trägt vor, dass das Schreiben der Beklagten vom 02.10.2007 als
Zusicherung zu verstehen sei, die einen Anspruch auf Wachstum bis zum
Fachgruppendurchschnitt beinhalte. Darüber hinaus handele es sich um eine
Neugründung, der man insofern das Attribut der „Jungen Praxis“ zugestehen
müsse. Das untergesetzliche Regelwerk bestehend aus dem Beschluss des
Bewertungsausschusses vom 27./28.8.2008 und dessen Umsetzung durch den
Honorarvertrag 2009 (HV 2009) enthalte zudem eine Regelungslücke im Hinblick
auf die Behandlung von unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen. Diese Lücke
sei durch die Rechtsprechung des BSG zu den Anforderungen von Art. 12 i. V. m.
Art. 3 GG sowie den Grundsätze der Honorarverteilungsgerechtigkeit zu schließen.
Darüber hinaus habe das BSG im Urteil vom 03.02.2010, Az. B 6 KA 1/09 R erneut
entschieden, dass die Beschlüsse des Bewertungsausschusses an seiner
Rechtsprechung zu unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen bzw. Aufbaupraxen
zu messen seien.
Das zugeteilte RLV sei im Hinblick auf den Grundsatz der
Honorarverteilungsgerechtigkeit unangemessen. Ihr sei ein RLV zuzumessen,
welches dem Fachgruppendurchschnitt entspreche und dem Umfang der Tätigkeit
ab dem Quartal III/09 Rechnung trage. Hierfür sei die Heranziehung des
Aufsatzzeitraums 2008 ungeeignet, was sich unmittelbar aus der Höhe des RLV
ergebe. Die im Aufsatzzeitraum (Quartal III/08) erzielten Honorarwerte seien
deshalb so gering, weil bei allen Partnern der Gemeinschaftspraxis in der
Vergangenheit Niederlassungsschwierigkeiten bestanden hätten. Die Finanzierung
und Realisierung des radiologischen Zentrums habe auf der Realisierung der
Zusicherung der Beklagten mit Schreiben vom 2. Oktober 2007 beruht, wonach
ein Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt möglich sei.
Basierend auf diesen Eckdaten, sei ein Businessplan mit einem
Gesamtinvestitionsvolumen (für Grundstückskauf, Planung und Erstellung eines
Praxisneubaus, Gerätekauf, Einstellung und Schulung von Personal) von ca. 6,5
Millionen Euro erstellt worden, auf dessen Grundlage ein entsprechender Kredit
aufgenommen worden sei. Im Hinblick auf die notwendigen Praxissitzverlegungen
und die Einrichtung eines radiologischen Zentrums könne die Praxis der Klägerin
als „Neugründung“ bewertet werden. Die Regelungen in Anlage 1 des Beschlusses
des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008, wonach für
neu zugelassene Ärzte die durchschnittliche Zahl der kurativ-ambulanten Arztfälle
des entsprechenden Vorjahresquartals herangezogen werden könne, habe die
Beklagte unter Abschnitt II. Ziff. 3.35 des HV 2009 nicht oder nur unvollkommen
umgesetzt. Beide Regelungen sähen nicht vor, wie lange eine Praxis als
Neugründung anzusehen sei, bzw. wie Praxen, die erheblich unter dem
Fachgruppendurchschnitt liegen, zu behandeln seien.
Der Bescheid für das Quartal III/09 sei rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des
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Der Bescheid für das Quartal III/09 sei rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (Urteil vom 21. Oktober 1988 – B 6 KA 71/97 R – SozR 3-
2500 § 85 Nr. 28, S. 28) sei es mit dem Grundsatz der
Honorarverteilungsgerechtigkeit aus Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art 3 Abs. 1 GG
unvereinbar, wenn Vertrags(zahn)ärzte mit unterdurchschnittlicher Fallzahl ihren
Umsatz durch eine Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten nicht
zumindest bis zum durchschnittlichen Umsatz der (Zahn)Arztgruppe steigern
könnten. Danach dürften HVM-Vorschriften über die Begrenzung des
Fallzahlzuwachses nicht jedes Wachstum der einzelnen Praxis blockieren, ein
gewisses, kontinuierliches Fallzahlwachstum müsse vielmehr generell möglich sein
(BSG, Urteil vom 11. September 2002 – B 6 KA 30/01 R – SozR 3-2500, § 85, S.
411). Nach ihrer Auffassung dürfe deshalb selbst nach Ablauf eines Fünf-Jahres-
Zeitraums die Wachstumsprivilegierung nicht dadurch relativiert werden, dass die
Praxis auf ein typischerweise geringeres Punktzahl- bzw. Honorarvolumen in der
Aufbauphase zurückgeworfen werde. Das BSG habe das Erreichen des
Fachgruppendurchschnitts jedenfalls innerhalb von fünf Jahren für notwendig
gehalten.
Es sei naheliegend, ihr den Status „Junge Praxis“ aufgrund der Genehmigung der
Gemeinschaftspraxis zum 13. Dezember 2007 zuzubilligen.
Bei den Vorgaben des Bewertungsausschusses handele es sich – entgegen der
vom Hessischen LSG vertretenen Auffassung – um keine Wachstums-Regelung im
Sinne der Rechtsprechung des BSG. Dies ergebe sich schon daraus, dass die
Möglichkeit, jeweils auf den Fallzahlen des Vorjahresquartals aufzusetzen, allen
Praxen zugebilligt werde, also schon von der Logik her nicht auf Jungspraxen oder
unterdurchschnittlich abrechnende Praxen zugeschnitten sei, auf die die
Rechtsprechung des BSG mit notwendiger Eindeutigkeit abstelle.
Zudem könne diese Regelung nur mühsam mit dem Begriff eines „Wachstums“ in
Verbindung gebracht werden. Unabhängig von der Tatsache, dass Wachstum
Kontinuität voraussetze, sei mit dem Grundsatz der Honorargerechtigkeit nicht
vereinbar, dass die in Aussicht genommene Regelung dazu führe, dass eine Praxis
für den Zeitraum eines Jahres (bzw. bei entsprechendem Wachstum über mehrere
Jahre) mit ihren Leistungen völlig unvergütet bleibe. Dies entspreche nicht einer
angemessenen Vergütung. Das BSG nehme darüber hinaus stets eine
quartalsbezogene und nicht jahresbezogene Betrachtung des Wachstums vor.
Schließlich sei im vorliegenden Verfahren noch zu berücksichtigen, dass der
Fallwert für radiologische Praxen mit Vorhaltung von CT und MRT nur einheitlich
gebildet werde. Den spezifischen Praxisbesonderheiten werde dabei nicht
Rechnung getragen, insbesondere dann nicht, wenn schwerpunktmäßig die
kostenintensiven MRT-Leistungen erbracht würden. In der klägerischen Praxis sei
der Anteil der Leistungen wie folgt zu gewichten: 70% MRT, 10% CT und 20%
konventionelle Radiologie.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten über die Zuweisung des Regelleistungsvolumens
für das Quartal III/2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2010
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Widerspruch unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass es sich bei dem Schreiben vom 02.10.2007 keineswegs um
eine Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X gehandelt habe, da ausdrücklich auf
die Bedingung des Fortbestehens der Rechtslage hingewiesen worden sei. Die
Passage, auf die sich die Klägerin beziehe, enthalte die ausdrückliche
Einschränkung, dass im Rahmen von Fallzahlbegrenzungsregelungen ein Anspruch
auf Zugrundelegung der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe bestehe.
Streitgegenstand sei jedoch das RLV.
Der Honorarvertrag 2009 gewährleiste für die Klägerin eine Wachstumsmöglichkeit
durch die Anknüpfung an das jeweilige Vorjahresquartal bis zur Abstaffelung. Für
eine Ausnahmeregelung sei kein Raum, da die Klägerin im Aufsatzzeitraum bereits
niedergelassen gewesen sei. Von einer jungen Praxis könne nicht mehr
ausgegangen werden, da zwei Mitglieder der Gemeinschaftspraxis bereits seit
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ausgegangen werden, da zwei Mitglieder der Gemeinschaftspraxis bereits seit
geraumer Zeit zugelassen seien.
Die Gemeinschaftspraxis bestehe seit 1. Januar 2008 in gleicher
Zusammensetzung, im Quartal III/09 stünden daher Fallzahlen aus dem
Aufsatzzeitraum des Quartals III/08 zur Verfügung, weiteren Sonderkonstellationen
wie dem Ausgleich von überproportionalen Honorarverlusten,
Sicherstellungsgründe und begründete Fälle, insbesondere bei
Praxisbesonderheiten, sei Rechnung getragen worden.
Gegen die Übertragbarkeit der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung zur
fallzahlabhängigen Quotierung und zum Individualbudget spreche, dass die
Ermittlung des Regelleistungsvolumens je Arzt durch eine Multiplikation mit dem
arztgruppenspezifischen Fallwert erfolge. Die Darstellung, ein kontinuierliches
Fallzahlwachstum sei auf Grundlage des HV 2009 nicht möglich, sei nicht
nachvollziehbar. Steigerungen der Fallzahlen von Jahr zu Jahr seien so lange
unbegrenzt ermöglicht, bis die vorgesehene Abstaffelung eintrete. Ein
kontinuierliches Fallzahlwachstum in zeitlich angemessenem Rahmen sei damit
gewährleistet. Innerhalb eines Jahres könnten auch nach der Systematik des HV
2009 durchschnittliche Werte erreicht werden.
Entgegen der Auffassung des Hessischen LSG im Beschluss zum Az. L 4 KA 77/09
B ER liege kein außergewöhnlicher Grund gemäß Abschnitt II Ziffer 3.4 letzter
Spiegelstrich des HV 2009 vor. Dieser Tatbestand sei nicht anwendbar, da es sich
bei der Regelung bereits der Überschrift nach um Kriterien zur Ausnahme von der
Abstaffelung handele. Da keine Fallwertabstaffelung im streitgegenständlichen
Quartal vorgenommen worden sei, könne diese Regelung hier keine Anwendung
finden.
Außergewöhnliche Gründe könnten im Sachzusammenhang der Reglung nur
solche sein, die vom Vertragsarzt nicht verschuldet seien, beispielsweise das
explizit genannte Kriterium Krankheit. Derartige unverschuldete Umstände seien
bei der Praxisgründung der Klägerin gerade nicht erkennbar.
Der Erweiterte Bewertungsausschuss habe den Partnern der Gesamtverträge im
Hinblick auf die Vorgaben für Neuzulassungen und die Umwandlungen der
Kooperationsform ausdrücklich einen Ermessensspielraum eingeräumt. Auf dieser
Grundlage sei Ziffer 3.5 Satz 1 in den HV 2009 eingefügt worden.
Schließlich komme eine Erhöhung des RLV auch nicht aufgrund von
Praxisbesonderheiten in Betracht. Diese könnten erst angenommen werden, wenn
eine Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von
mindestens 30% vorliege, was bei der Klägerin nicht der Fall sei.
Die Beteiligten tragen übereinstimmend vor, dass sie die Vorgaben der
Beschlüsse des (Erweiterten) Bewertungsausschusses vom 27./28.8.2008,
17.10.2008 und 23.10.2008 (im folgenden Beschlüsse 2008) für rechtswidrig
halten.
Die Beklagte weist jedoch darauf hin, dass sie an diese Vorgaben gebunden sei.
Die Klägerin trägt insbesondere vor, dass es nicht in die Zuständigkeit des
Bewertungsausschusses falle, das seitens des Gesetzgebers bei der
Berücksichtigung der Morbiditätsstruktur vorgegebene Kriterium „Geschlecht“
eigenmächtig nicht zu berücksichtigen (Teil F Nr. 3.2.2). Selbstverständlich
bestünden Unterschiede in der Morbidität zwischen den Geschlechtern. Die
Nichtberücksichtigung des Geschlechts durch den Bewertungsausschuss erfolge
willkürlich.
Auch die Ermittlung des Orientierungswertes, der HV-Quoten (Teil A Nr. 2.2, Teil B
Nr. 1.2) sowie der Veränderungsrate der morbiditätsbedingten Leistungsmenge
2009 (Teil B Nr. 4) sei willkürlich erfolgt und ergebe eine Benachteiligung Hessens.
Bei der EBM-Anpassung habe eine fachgruppenspezifische Anpassung erfolgen
müssen, was mit der Festlegung einer einheitlichen Quote von 9,7% (Teil A Nr. 2)
nicht geschehen sei. Unter dem Strich führe diese EBM-Quote dazu, dass faktisch
der Orientierungswert um nahezu 10% abgesenkt worden sei. Diese liege daran,
dass die zunächst bestimmte Leistungsmenge um die entsprechende
Änderungsrate von 9,7% vermindert worden sei. Der Orientierungswert liege daher
genau um diesen EBM-Faktor zu niedrig.
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Zudem habe es der Bewertungsausschuss in rechtswidriger Weise unterlassen,
nach den Vorgaben des Gesetzgebers regionaler Besonderheiten in der Kosten-
und Versorgungsstruktur zu berücksichtigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der
Beteiligten wird ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakten, insbesondere
auch die Sitzungsniederschrift zum Termin vom 24.08.2010, sowie die
beigezogenen Prozessakten zum einstweiligen Anordnungsverfahren (SG Marburg,
S 11 KA 430/09 und Hessisches LSG, S 4 KA 77/09 B ER, SG Marburg, Beschluss
vom 01.09.2010 – S 11 KA 604/10 ER), die Gegenstand der Entscheidungsfindung
waren.
Entscheidungsgründe
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den
Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es
sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten
handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid vom 27.05.2009, geändert durch die Bescheide vom 07.09.2009 und
08.10.2009, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2010 ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf
Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
A. Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlagen
Die dem HV 2009 (abgeschlossen zwischen der Beklagten und den Hessischen
Krankenkassenverbänden gemäß § 87a bis § 87c SGB V für die Zeit ab dem
01.01.2009, im folgenden HVV 2009) zugrunde liegenden Beschlüssen des
(Erweiterten) Bewertungsausschusses vom 27./28.08.2008 sowie vom 17.10.2008
und 23.10.2008 (im folgenden Beschlüsse EBewA 2008), sind ihrerseits zwar
teilweise rechtswidrig, verletzen jedoch die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die
Kammer bestätigt diesbezüglich ihre Auffassung aus dem Grundsatzverfahren
zum Az. S 11 KA 340/09, Urteil vom 06.10.2010.
Die Klägerin kann grundsätzlich die Rechtmäßigkeit von Beschlüssen des
Bewertungsausschusses im vorliegenden Verfahren auch geltend machen.
Der Zuweisungsbescheid für das RLV III/09 an die Klägerin stellt einen
Verwaltungsakt dar, der mit Widerspruch und Klage angefochten werden kann. Im
Rahmen dieses Verfahrens ist eine inzidente Überprüfung der dem Bescheid
zugrunde liegenden Normen vorzunehmen (Engelhard in Noftz u. a., Kommentar
zum SGB V, § 87b Rn. 93).
Die Zuweisung des RLV für das streitgegenständliche Quartal III/09 beruht auf den
gesetzlichen Vorgaben für die Honorarverteilung, die sich aus §§ 87 ff. SGB V i. V.
m. den Beschlüssen EBewA 2008 sowie dem HV 2009 ergeben.
Eine Rechtsverletzung der Klägerin ergibt sich aus den Beschlüssen EBewA 2008
jedoch nicht.
Dem Bewertungsausschuss kommt bei der ihm übertragenen Aufgabe der
Konkretisierung des Inhalts des Gesetzes Gestaltungsfreiheit zu (so das BSG in
ständiger Rechtsprechung, zuletzt Urteil vom 17.03.2010, Az. B 6 KA 43/08 R;
Urteil vom 03.02.2009, Az. B 6 KA 31/08 R)
Der Gestaltungsspielraum des BewA ist auch von der Rechtsprechung zu
respektieren. Gleichwohl unterliegt der Bewertungsausschuss als untergesetzlicher
Normgeber gerichtlicher Kontrolle; er ist an die einfachgesetzlichen Vorgaben
ebenso wie an die grundrechtlichen Gewährleistungen in Art. 3 Abs. 1 und Art. 12
Abs. 1 GG gebunden (BSG, Urteil vom 17.03.2010 – B 6 KA 41/08 R).
Die richterliche Kontrolle untergesetzlicher Normen beschränkt sich jedoch darauf,
ob die äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtssetzungsbefugnis durch den
Normgeber überschritten wurden. Dies ist erst dann der Fall, wenn die getroffene
Regelung in einem „groben Missverhältnis" zu den mit ihr verfolgten legitimen
Zwecken steht (BVerfGE 108, 1, 19), d. h. in Anbetracht des Zwecks der
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Zwecken steht (BVerfGE 108, 1, 19), d. h. in Anbetracht des Zwecks der
Ermächtigung schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist (so
BVerwGE 125, 384 Rn. 16; vgl. auch BSG, Urteil vom 28.05.2008 – B 6 KA 49/07 R).
Die gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen des BewA ist somit im Wesentlichen
auf die Prüfung beschränkt, ob sich die untergesetzliche Norm auf eine
ausreichende Ermächtigungsgrundlage stützen kann und ob die Grenzen des
Gestaltungsspielraums eingehalten sind. Der BewA überschreitet den ihm
eröffneten Gestaltungsspielraum, wenn sich zweifelsfrei feststellen lässt, dass
seine Entscheidungen von sachfremden Erwägungen getragen sind – etwa weil
eine Gruppe von Leistungserbringern bei der Honorierung bewusst benachteiligt
wird – oder dass es im Lichte von Art. 3 Abs. 1 GG keinerlei vernünftige Gründe für
die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem bzw. für die ungleiche
Behandlung von im Wesentlichen gleich gelagerten Sachverhalten gibt (BVerfG,
Beschluss vom 22.10.2004, SozR 4-2500 § 87 Nr 6 RdNr. 19, 21 m.w.N.).
Diese Anforderungen an die Intensität einer gerichtlichen Kontrolle
untergesetzlicher Normen bedürfen der Modifizierung, sofern das Normprogramm
auf tatsächliche Verhältnisse Bezug nimmt und/oder eine Regelung als sog.
„zahlenförmige Norm" getroffen wird. Macht eine Norm tatsächliche Umstände –
beispielsweise die bundesdurchschnittlichen Kostenquoten der Arztgruppen in
einem bestimmten Jahr – zur Grundlage ihrer Regelung, erstreckt sich die
gerichtliche Überprüfung insbesondere darauf, ob die Festlegung frei von Willkür
ist. Dies ist der Fall, wenn bei allen Arztgruppen nach denselben Maßstäben
verfahren wurde, aber auch dann, wenn weitere Gesichtspunkte – etwa eine
unterschiedliche Einkommensentwicklung der Arztgruppen – eine differenzierte
Regelung sachlich rechtfertigen. Enthält eine Honorierungsregelung, die als solche
keine Grundrechtsbeeinträchtigung von gewisser Intensität betrifft, als
Tatbestandsmerkmale Zahlen oder Formeln, haben die Gerichte zu prüfen, ob
sachliche Gründe erkennbar sind, welche die getroffene Festlegung als nicht
willkürlich erscheinen lassen. Dabei müssen sie Streitpunkten nachgehen und die
Einwände der Prozessbeteiligten würdigen.
Allerdings darf die gerichtliche Kontrolldichte speziell der Entscheidungen des
BewA nicht überspannt werden. Denn der an den Bewertungsausschuss gerichtete
gesetzliche Gestaltungsauftrag zur Konkretisierung der Grundlagen der
vertragsärztlichen Honorarverteilung umfasst auch den Auftrag zu einer sinnvollen
Steuerung des Leistungsgeschehens in der vertragsärztlichen Versorgung. Hierzu
bedarf es komplexer Kalkulationen, Bewertungen, Einschätzungen und Prognosen,
die nicht jeden Einzelfall abbilden können, sondern notwendigerweise auf
generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen angewiesen sind.
Die gerichtliche Überprüfung eines komplexen und auch der Steuerung dienenden
Regelungsgefüges darf sich deshalb nicht isoliert auf die Bewertung eines seiner
Elemente beschränken, sondern muss stets auch das Gesamtergebnis der
Regelung mit in den Blick nehmen. Die Richtigkeit jedes einzelnen Elements in
einem mathematischen, statistischen oder betriebswirtschaftlichen Sinne ist
deshalb nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der gesamten Regelung
(BSG, Urteil vom 28.05.2008 – B 6 KA 49/07 R).
Unter Berücksichtigung dieses gerichtlichen Überprüfungsmaßstabes genügt der
Beschluss des BewA vom 27./28.08.2008 in großen Teilen den gesetzlichen
Anforderungen.
In den §§ 87 ff. SGB V werden die Änderungen des Gesundheitssystems durch die
Einführung des sog. Gesundheitsfonds durch das Gesetz zur Stärkung des
Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) für den Bereich
der vertragsärztlichen Versorgung im SGB V umgesetzt. Abweichend von der
bisherigen Systematik ziehen die Krankenkassen ihre Beiträge zwar weiterhin ein,
übertragen sie dann jedoch an den Gesundheitsfonds, § 52 SGB V. Die
Mittelzuteilung aus dem Gesundheitsfonds an die Krankenkassen erfolgt sodann
im Rahmen des Risikostrukturausgleichs, § 266 SGB V, unter Berücksichtigung von
Morbiditätsgesichtspunkten. Für den Bereich der ambulanten vertragsärztlichen
Versorgung bestimmen die §§ 87a-c SGB V sodann, welche Summen von der
jeweiligen Krankenkasse den Kassenärztlichen Vereinigungen zur Finanzierung der
vertragsärztlichen Versorgung nach welchen Kriterien zur Verfügung gestellt
werden. Im Rahmen dieses Systems legen die §§ 87 bis 87b SGB V in
umfangreicher Form die Ausgestaltung des Honorarverteilungssystems fest. § 87c
SGB V enthält davon abweichend bzw. dazu ergänzend spezifische Vorgaben für
die Übergangsjahre 2009 und 2010.
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I. Bildung des Orientierungspunktwertes, Teil A
Für das Jahr 2009 geben §§ 87 Abs. 2e Satz 1 Nr. 1 bis 3, 87c SGB V zunächst die
Bildung eines bundesweiten Orientierungspunktwertes vor. Dieser ist rechnerisch
durch die Division des Finanzvolumens durch die Leistungsmenge zu ermitteln, §
87c Abs. 1 Satz 2 SGB V. Das Finanzvolumen ergibt sich aus der Summe der
bundesweit insgesamt für das Jahr 2008 nach § 85 Abs. 1 SGB V zur entrichtenden
Gesamtvergütungen in Euro, welche um die für das Jahr 2009 geltenden
Veränderungsrate nach § 71 Abs. 3 SGB V für das gesamte Bundesgebiet zu
erhöhen ist, § 87c Abs. 1 Satz 3 SGB V. Die Leistungsmenge ist als
Punktzahlvolumen auf der Grundlage des einheitlichen Bewertungsmaßstabes
abzubilden; sie ergibt sich aus der Hochrechnung der dem Bewertungsausschuss
vorliegenden aktuellen Abrechnungsdaten, die mindestens 4 Kalendervierteljahre
umfassen. Bei dieser Hochrechnung sind Simulationsberechnungen zu den
Auswirkungen des zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen einheitlichen
Bewertungsmaßstabes auf die von den Ärzten abgerechnete Leistungsmenge
sowie unterjährige Schwankungen der Leistungsmenge im Zeitverlauf
entsprechend der in den Vorjahren zu beobachtenden Entwicklung zu
berücksichtigen, § 87c Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB V. Für die Hochrechnung nach
Satz 4 übermitteln die Kassenärztlichen Vereinigungen dem Bewertungsausschuss
unentgeltlich bis zum 01. Juni 2008 die ihnen vorliegenden aktuellen Daten über
die Menge der abgerechneten vertragsärztlichen Leistungen, die mindestens 4
Kalendervierteljahre umfassen, jeweils nach sachlich-rechnerischer Richtigstellung
und Anwendung honorarwirksamer Begrenzungsregelungen, § 87c Abs. 1 Satz 6
SGB V.
Diese gesetzlichen Vorgaben hat der Bewertungsausschuss in seinen Beschlüssen
2008 in nicht zu beanstandender Weise umgesetzt. Dabei hat er – da die Daten für
das Jahr 2008 noch nicht zur Verfügung standen – auf die Datengrundlage für das
Finanzvolumen von 2007 zurückgegriffen und jeweils die
Grundlohnsummensteigerung für die Jahre 2008 und 2009 in seine Berechnungen
mit einbezogen. Das Gericht hält den von den gesetzlichen Vorgaben
abweichenden Rückgriff auf die Zahlen des Jahres 2007 in Anbetracht des
gesetzlich vorgegebenen Zeitpunktes der Beschlussfassung für nicht zu
beanstanden, zumal die Grundlohnsummensteigerungen für die Jahre 2008 und
2009 Berücksichtigung fanden und es sich um das letzte vollständig abgerechnete
Leistungsjahr gehandelt hat.
EBM-Quote
Darüber hinaus hat der EBewA die EBM-Auswirkungen zum 01.01.2008 in
gesetzeskonformer Weise mit einer Quote von 9,7% in seine Berechnungen
einbezogen. Der Bewertungsausschuss hat die Berechnungsweise dieser Quote
auf der Grundlage eines Vergleichs der Punktzahl je Behandlungsfall in den
Quartalen I/07 und I/08 vorgenommen. Dabei wurde zwar nur das Datenmaterial
aus zwei Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) berücksichtigt. Dies war jedoch
darauf zurückzuführen, dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung das komplette
Datenmaterial für das Quartal I/08 nicht aus allen KVen vorlag und so nur auf der
Basis der Vorabübermittlung der Daten aus zwei KVen überhaupt Daten gewonnen
werden konnten.
Das Gericht hält dieses Vorgehen insbesondere auch deshalb für nicht zu
beanstanden, da sich auch retrospektiv – nach Vorlage sämtlicher Daten – kein
Anpassungsbedarf für die EBM-Quote ergeben hat.
Eine fachgruppenspezifische Berechnung – wie sie die Klägerin fordert – ist
gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Bildung einer einheitlichen Quote für alle
Fachgruppen liegt zur Überzeugung des Gerichts im Rahmen des
Gestaltungsspielraums des BewA.
HVV-Quote
Das Gericht ist zweifelsfrei der Überzeugung, dass die Berücksichtigung einer
bundeseinheitlichen sog. HVV-Quote in Teil A der Beschlüsse BewA 2008 sowie
auch deren Berechnung keinen rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die
Konformität mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 87c Abs. 1 S. 6
SGB V begegnet. Insbesondere kann das Gericht – entgegen des Vortrags der
Klägerin – keine willkürliche Festlegung erkennen.
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Durch die Multiplikation der Leistungsmenge des Jahres 2007 mit der HVV-Quote
hat der Bewertungsausschuss die gesetzliche Vorgabe berücksichtigt, dass
sachlich-rechnerische Berichtigungen sowie die Anwendung honorarwirksamer
Begrenzungsregelungen in die Berechnung einzubeziehen sind.
Sinn und Zweck der Bildung einer bundeseinheitlichen HVV-Quote war, dass
unterschiedliche Verteilungseffekte und Honorarverteilungsgrundsätze der
Vergangenheit der Kassenärztlichen Vereinigung zu einer
bundesdurchschnittlichen einheitlichen Berechnung des anerkannten
Leistungsbedarfes herangezogen werden, mit dem Ziel einer zukünftigen
Vereinheitlichung der vertragsärztlichen Vergütung bundesweit zu erreichen.
Die rechnerische Ermittlung der Quoten erfolgte durch Bildung eines Quotienten
aus der Netto- und Bruttoleistungsmenge für jede KV. Die Bruttoleistungsmenge
entspricht dabei der insgesamt regional abgerechneten Leistungsmenge. Die
Nettoleistungsmenge berechnet sich durch Addition der Leistungsmengen, die im
Rahmen der regionalen Honorarverteilung mit einem nicht abgestaffelten
Punktwert vergütet wurden und der Leistungsmenge, die sich aus dem Verhältnis
aus abgestaffeltem und vollem Punktwert ergibt.
Das Gericht geht nicht davon aus, dass auch die zu abgestaffelten Punktwerten
vergüteten Leistungen als vollwertige Leistungen in die Berechnung mit
einbezogen werden mussten, da dies dem gesetzlichen Zweck der
Berücksichtigung der Honorarbegrenzungsmaßnahmen zuwider laufen würde. Der
BewA musste daher für Hessen gerade nicht eine HVV-Quote von 99,4%
berücksichtigen, sondern hat zutreffend die auf dem von Hessen gelieferten
Datenmaterial beruhende Quote von 94,21% errechnet.
Aus dieser Übersicht ergibt sich auch zweifelsfrei die Richtigkeit der Berechnung
der bundeseinheitlichen HVV-Quote von zunächst 90,59% im Beschluss des
EBewA vom 27./28.8.2008.
Das Gericht hält es auch für richtig, dass diese Quote – nachdem ein Fehler im
Datenmaterial einer KV entdeckt worden war – auf 90,48% im Beschluss des
EBewA vom 23.10.2008 angepasst wurde.
Letztendlich hat der Bewertungsausschuss einen Orientierungspunktwert von
3,5001 Cent in nicht zu beanstandender Weise ermittelt. Vielmehr entspricht die
Berechnungsweise den gesetzlichen Vorgaben. Der Klägerin kann in ihrer
Argumentation, der Orientierungspunktwert liege faktisch genau um die EBM-
Quote zu niedrig, nicht gefolgt werden.
Dass der Orientierungspunktwert damit deutlich unter dem kalkulatorischen
Punktwert von 5,11 Cent liegt, ist zwangsläufige Folge der gesetzlich
vorgegebenen Systematik. Bei dem Kalkulationspunktwert handelt es sich lediglich
um eine Rechengröße.
Im Übrigen ist der EBewA im Hinblick auf die Abweichungen seiner
Beobachtungspflicht nachgekommen, indem er mit Beschluss vom 20. Mai 2009
das Institut des BewA mit einer Überprüfung der Kalkulationsgrundlagen des EBM
beauftragt hat.
II. Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung, Teil B
Neu im System der Honorarverteilung unter dem Regime des Gesundheitsfonds
ist die Bildung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung nach § 87a Abs. 3, §
87c Abs. 4 SGB V. Ziel dieser neuen Regelungssystematik ist eine Verlagerung
des Morbiditätsrisikos auf die Krankenkassen, da diese für zusätzliche Leistungen,
die aus einem Anstieg des Behandlungsbedarfs der Versicherten herrühren auch
rückwirkend noch mehr Honorar zur Verfügung stellen müssen (BT Drucksache
16/3100 Seite 88).
Nach den gesetzlichen Vorgaben berechnet sich die Gesamtvergütung, die jede
Krankenkasse an die Kassenärztliche Vereinigung zu zahlen hat, aus dem Produkt
des Behandlungsbedarf jedes Versicherten, der Zahl der Versicherten, sowie den
regionalen Punktwerten nach der Euro-Gebührenordnung. Für das Jahr 2009
bestimmt sich der mit der Zahl und der Morbiditätsstruktur der Versicherten
verbundene Behandlungsbedarf abweichend von § 87a Abs. 3 Satz 1 SGB V für
jede Krankenkasse wie folgt:
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Für jede Krankenkasse ist die im Jahr 2008 voraussichtlich erbrachte Menge der
vertragsärztlichen Leistungen je Versicherten der jeweiligen Krankenkasse um die
vom Bewertungsausschuss unter Berücksichtigung der Kriterien gemäß § 87a Abs.
4 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB V zu schätzende bundesdurchschnittliche
Veränderungsrate der morbiditätsbedingten Leistungsmenge je Versichertem des
Jahres 2008 gegenüber dem Vorjahr anzupassen und mit der voraussichtlichen
Zahl der Versicherten der Krankenkassen im Jahr 2009 zu multiplizieren. Die im
Jahr 2008 voraussichtlich erbrachte Menge der vertragsärztlichen Leistungen
ergibt sich aus der Hochrechnung der den Vertragsparteien vorliegenden aktuellen
Daten über die Menge der abgerechneten vertragsärztlichen Leistungen, die
mindestens 4 Kalendervierteljahre umfassen, jeweils nach sachlich-rechnerischer
Richtigstellung und Anwendung honorarwirksamer Begrenzungsregelungen; bei der
Hochrechnung sind Simulationsberechnungen zu den Auswirkungen bis zum 01.
Januar 2008 in Kraft getretenen einheitlichen Bewertungsmaßstabes auf die von
den Ärzten abgerechnete Leistungsmenge sowie unterjährige Schwankungen der
Leistungsmenge im Zeitverlauf entsprechend der in den Vorjahren zu
beobachtenden Entwicklung zu berücksichtigen, § 87c Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB V.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen übermitteln den in § 87a Abs. 2 Satz 1 SGB V
genannten Verbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen die Daten nach
Satz 5 unentgeltlich bis zum 31. Oktober 2008, § 87c Abs. 4 Satz 6 SGB V. Der
Bewertungsausschuss seinerseits beschließt bis zum 31. August 2008 ein
zwingend zu beachtendes Verfahren zur Berechnung des Behandlungsbedarfs
nach den Sätzen 1 bis 4 einschließlich der dafür erforderlichen Daten, § 87c Abs. 5
SGB V.
HVV-Quote
Auf der Grundlage dieser Ermächtigungsnorm hat das Gericht zwar Zweifel daran,
dass diese Ermächtigungsnorm in hinreichendem Maße die in Teil B der
Beschlüsse BewA 2008 erarbeiteten länderspezifischen HVV-Quoten legitimiert.
Die Zweifel nähren sich insbesondere aus dem Umstand, dass nach dem Wortlaut
des Gesetzes eine bundeseinheitliche Quote zu bilden war. Zudem ist auffällig,
dass die Regelungen der §§ 87 c Abs. 1 und 4 SGB V wortgleich sind. Damit
scheint aus systematischen Erwägungen heraus zweifelhaft, warum für die Bildung
des Orientierungswertes in Teil A eine bundeseinheitliche HVV-Quote zu bilden sein
soll, für die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung in Teil B jedoch andere
Maßstäbe gelten.
Jedoch steht nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass diese
Quotenbildung in Teil B in grobem Missverhältnis zu den mit ihr verfolgten
legitimen Zwecken gestanden hat und damit willkürlich erfolgt ist. Jedenfalls hat
der EBewA mit dieser Quotenbildung nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts
die äußersten rechtlichen Grenzen seiner Rechtssetzungsbefugnis überschritten.
Die Bildung der länderspezifischen HVV-Quoten ist weder unverhältnismäßig noch
unvertretbar sowohl hinsichtlich der einheitlichen Quote für die neuen
Bundesländer als auch hinsichtlich der Ausdifferenzierung der Quoten für die alten
Bundesländer.
Neue Bundesländer
Für die neuen Bundesländer wurde zum Zwecke der Angleichung des Ost-West-
Gefälles in der vertragsärztlichen Vergütung eine einheitlich erhöhte HVV-Quote
von 95,17% gebildet. Diese Aufstockung erfolgte jedoch nicht zu Lasten der alten
Bundesländer, so dass eine Beschwer der Klägerin nicht resultierte. Dass die
Krankenkassen zusätzliches Geld zur Absenkung des Ost-West-Gefälles in das
System gegeben haben, mag ungerechtfertigt sein, da dieses Geld offensichtlich
zur Verfügung stand und womöglich auch anderweitig und auch zugunsten der
Klägerin hätte verwendet werden können. Nach der gesetzlichen Vorgabe gab es
jedoch für die Klägerin keinen Anspruch auf eine über der
bundesdurchschnittlichen Quote liegende HVV-Quote, sondern das Gesetz sieht
ausdrücklich eine am tatsächlichen Leistungsbedarf orientierte Quotenbildung vor,
die zu einer bundeseinheitlichen Quote von 90,48% geführt hat.
Alte Bundesländer
Die weitere Ausdifferenzierung dieser einheitlichen Quote in den alten
Bundesländern erfolgte anhand des Kriteriums der Ausgaben pro Versichertem in
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Bundesländern erfolgte anhand des Kriteriums der Ausgaben pro Versichertem in
der jeweiligen KV. So hat sich rechnerisch ein Zuschlag von 15% bzw. Abschlag
von 8,2% auf die Differenz der KV-spezifischen zur bundesdurchschnittlichen
Vergütung je Versichertem ergeben.
Hintergrund dieser Anpassung war die Tatsache, dass die stringente Durchführung
der Honorarverteilung nach der gesetzlichen Systematik zu Honorarverwerfungen
geführt hätte. Das Gericht vermag nachzuvollziehen, dass es KVen gegeben hat,
die durch die gesetzliche Regelungssystematik in doppelter Weise negativ
betroffen worden sind.
Diese doppelte negative Betroffenheit abzuschmelzen hält das Gericht für einen
legitimen Zweck, dem der BewA insbesondere vor dem Hintergrund seines
Auftrags zur sinnvollen Steuerung des Leistungsgeschehens Rechnung tragen
durfte.
Hinzu kommt, dass die Regelung unstreitig nicht Verluste gegenüber den
Vergleichszeiträumen für einzelne KVen bedeutet hat, sondern ausschließlich mit
der Honorarreform verbundene Zuwächse abgeschwächt wurden. Insoweit hat die
Honorarreform gleichwohl eine Vermehrung der zur Verfügung stehenden
morbiditätsbedingten Gesamtvergütung bewirkt, so dass sich die Relation von
Maßnahme und Zweck auch unter diesem Aspekt keinesfalls als
unverhältnismäßig darstellt.
Eine unangemessene Benachteiligung Hessens ergibt sich jedenfalls nicht. Der
Beklagten stehen durch die Herabsenkung der hessischen HVV-Quote von 90,48%
auf 90,40% 1,6 Mio. € weniger zur Verfügung. Dies entsprach hinsichtlich der
morbiditätsbedingten Gesamtvergütung einer Reduzierung des Zuwachses um
0,09%, hinsichtlich der Gesamtvergütung insgesamt einer Reduzierung um 0,07%.
Dies erscheint dem Gericht im Hinblick auf den legitimen Zweck der Regelung
hinnehmbar.
Das Gericht hält auch die doppelte Berücksichtigung der HVV-Quote – einerseits
bei der Berechnung des Orientierungspunktwertes, andererseits bei der
Berechnung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung, in die der
Orientierungspunktwert wiederum einfließt – für rechtmäßig. Diese zweifache
Berücksichtigung ist im Gesetzeswortlaut ausdrücklich angelegt.
III. Regionale Besonderheiten
Auf der Grundlage des ermittelten Orientierungswertes vereinbaren die
Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkassen und
die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich jeweils bis zum 31. Oktober eines
jeden Jahres Punktwerte, die zur Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen im
Folgejahr anzuwenden sind, § 87a Abs. 2 Satz 1 SGB V. Aus diesen Punktwerten
und dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen gemäß § 87
Abs. 1 SGB V ist eine regionale Gebührenordnung mit Europreisen (regionale Euro-
Gebührenordnung) zu erstellen, § 87a Abs. 2 Satz 6 erster Halbsatz SGB V. Bei
der Bildung dieser Euro-Gebührenordnung können die Vertragspartner Zu- und
Abschläge von den Orientierungswerten vereinbaren um insbesondere regionale
Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur zu berücksichtigen, §
87a Abs. 2 Satz 2 SGB V, wobei zwingend die Vorgaben des
Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 2f) SGB V anzuwenden sind, § 87a Abs.
2 Satz 3 SGB V.
§ 87 Abs. 2f) SGB V bestimmt wiederum, dass der Bewertungsausschuss jährlich
bis zum 31. August Indikatoren zur Messung der regionalen Besonderheiten bei
der Kosten- und Versorgungsstruktur nach § 87a Abs. 2 SGB V festlegt, auf deren
Grundlage in den regionalen Punktwertvereinbarungen von den
Orientierungswerten nach Abs. 2e Satz 1 abgewichen werden kann. § 87 Abs. 2f)
Satz 2 bis Abs. 2g) SGB V am Ende legt sodann das Verfahren für die Bildung der
Indikatoren und die zugrunde zu legenden Maßstäbe fest.
Abweichend hiervon bestimmt § 87c SGB V für das Jahr 2009, dass – sollte es dem
Bewertungsausschuss bis zum 31. August 2008 nicht möglich sein, die zu
Erstellung eigener Indikatoren erforderlichen Daten zu erheben und auszuwerten –
er die Abweichungen der Wirtschaftskraft eines Bundeslandes von der
bundesdurchschnittlichen Wirtschaftskraft mit Hilfe von amtlichen Indikatoren
ermitteln kann. Diesem gesetzlichen Auftrag ist der BewA im Beschluss vom 27.
und 28.08.2008, Teil C nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Der EBewA
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und 28.08.2008, Teil C nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Der EBewA
stellt lapidar fest, dass nach sorgfältiger Prüfung der Datengrundlagen und deren
Eignung keine Indikatoren zur Messung der regionalen Wirtschaftskraft für das Jahr
2009 anzuwenden seien. Dies gelte auch für Indikatoren zur Versorgungs- und
Kostenstruktur. Auch hier seien regionale Besonderheiten nicht feststellbar. Diese
Einschätzung hält das Gericht mit der Klägerin für unzutreffend, da allgemein
bekannt ist, dass die Bundesländer im Hinblick auf ihre Wirtschaftskraft über sehr
unterschiedliche Voraussetzungen verfügen. Zudem hält es das Gericht für
fernliegend, dass die statistischen Ämter des Bundes und der Länder keinerlei
Indikatoren liefern können, die die Kosten- und Versorgungsstruktur zwischen den
Ländern analysierbar machen, auch wenn dem BewA zuzugeben sein mag, dass
die Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Regionen innerhalb eines
Landes ggf. mehr Signifikanz haben. Die gänzliche Nichtberücksichtigung der
gesetzlichen Vorgaben hält das Gericht vor diesem Hintergrund jedoch für
schlechterdings unvertretbar.
Der Gesetzgeber hat in den o. g. Vorschriften ein sehr detailgenaues System zur
Feststellung dieser regionalen Besonderheiten erarbeitet und bereits in der
Gesetzesbegründung formuliert, dass er davon ausgehe, dass die amtlichen
Indikatoren die relevanten unter den Ländern bestehenden Niveauunterschiede
bei den Praxiskosten hilfsweise abbilden könnten (Bundestagsdrucksache 16/3100
Seite 129). Wenn der Bewertungsausschuss vor diesem Hintergrund lapidar
feststellt, es gäbe diese vom Gesetzgeber vorgesehenen Besonderheiten nicht, so
ersetzt er eine gesetzgeberische Wertentscheidung und setzt sich selber an die
Stelle des demokratischen Normgebers. Damit überschreitet er seine im Rahmen
der Normdelegation übertragene Normsetzungskompetenz. Der Gesetzgeber hat
ausdrücklich keinen Spielraum für den Bewertungsausschuss im Hinblick auf das
„Ob“ der Bestimmung von Indikatoren für die Messung regionaler Besonderheiten
vorgesehen.
Die Rechtswidrigkeit des Beschlusses in Teil C führt jedoch nicht unmittelbar zu
einer Verletzung der Klägerin in ihren Rechten, da die Indikatoren für regionalen
Besonderheiten ausschließlich im Rahmen der Bildung der Euro-Gebührenwerte
eine Rolle spielen und es im Ermessen der Gesamtvertragsparteien liegt zu
entscheiden, ob nach den vom Bewertungsausschuss vorzugebenden Kriterien
eine Anpassung der Euro-Gebührenwerte vorgenommen wird. Insoweit bestehen
zwei unterschiedliche Rechtskreise (vgl. dazu oben) auch weiterhin fort. Im
Rahmen der Vorschriften über regionale Besonderheiten ist die gesetzliche
Konstruktion – anders als im Bereich der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung
– so ausgelegt, dass ein Umsetzungsakt auf Landesebene weiterhin notwendig
bleibt, um dem gesetzlichen Auftrag Rechnung zu tragen.
Vor diesem Hintergrund ist eine hypothetische Rechtsverletzung der Klägerin nur
unter der Prämisse gegeben, dass in Hessen tatsächlich von der
Verhandlungsmöglichkeit zwischen den Parteien der Gesamtverträge Gebrauch
gemacht worden wäre und dies zugunsten der Klägerin. Je nach Indikator wäre
auch ein Abschlag auf die Gebührenwerte durchaus denkbar.
IV. Differenzierung der Morbidität nach Geschlecht
§ 87b Abs. 3 Satz 5 SGB V gibt vor, dass die Morbidität mit Hilfe der Kriterien Alter
und Geschlecht zu bestimmen ist. Der EBewA stellt davon abweichend in seinem
Beschluss vom 27. und 28.08.2008 Teil F Nr. 3.2.2 fest, dass das Kriterium
Geschlecht sich nicht zur Abbildung der Morbidität eigne, da das abgerechnete
Volumen durch dieses Kriterium nicht signifikant beeinflusst werde. Auch insoweit
weicht der EBewA ausdrücklich vom Gesetzeswortlaut ab. Das Gericht hält es an
dieser Stelle jedoch für nachvollziehbar und hinreichend plausibel, dass eine
Analyse des Datenmaterials genau dieses Ergebnis ergeben hat. Insofern mag der
EBewA keine Möglichkeit gehabt haben, die gesetzliche Grundlage in vernünftiger
Art und Weise umzusetzen. Entgegen der Auffassung der Klägerin erscheint diese
Abweichung zumindest nicht willkürlich.
Auf der Grundlage dieser rechtmäßigen bzw. nicht rechtsverletzenden
Rechtsgrundlagen in Verbindung mit dem HV 2009 hat die Beklagte jedoch das
RLV der Klägerin nicht zutreffend festgesetzt.
B. Zusicherung
Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass in dem Schreiben vom 02.10.2007 eine
Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X nicht gesehen werden kann. Aus dem
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Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X nicht gesehen werden kann. Aus dem
Wortlaut des Schreibens im Zusammenhang folgt bereits, dass die dort
getroffenen Aussagen nur auf der Grundlage der damals geltenden
Bestimmungen Geltung beansprucht haben. Der Verfasser bringt sehr deutlich
zum Ausdruck, dass seinen Äußerungen im Hinblick auf zukünftig zu erwartende
Änderungen der Rechtsgrundlage, als unverbindlich zu verstehen sind.
Gleichwohl ist die dort getroffene Aussage der grundsätzlich bestehenden
Möglichkeit eines Wachstums bis zum Durchschnitt der Fachgruppe auch unter
dem Regime des HV 2009 rechtlich zutreffend.
C. Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt
Die Rechtswidrigkeit des RLV-Zuweisungsbescheides ergibt sich zur Überzeugung
des Gerichts zunächst aus der Tatsache, dass die Beklagte nach wie vor die
Vorgaben des BSG zu den Wachstumsmöglichkeiten für unterdurchschnittliche
Praxen missachtet. Das Gericht hält insoweit an seiner Rechtsprechung, Beschluss
vom 06.08.2009, Az.: S 11 KA 430/09 ER sowie Beschluss vom 01.09.2010, S 11
KA 604/10 ER ausdrücklich fest.
Das BSG hat wiederholt klargestellt, dass umsatzmäßig unterdurchschnittlich
abrechnende Praxen die Möglichkeit haben müssen, zumindest den
durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen (ua BSGE 83, 52, 58 f =
SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 206 ff; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 27 S 195; BSG SozR 3-
2500 § 85 Nr 48 S 411; BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, jeweils RdNr 19;
zuletzt Urteil vom 03.02.2010, B 6 KA 1/09 R). Dem Vertragsarzt muss - wegen
seines Rechts auf berufliche Entfaltung unter Berücksichtigung der sogenannten
Honorarverteilungsgerechtigkeit (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 32 RdNr 17 sowie
das weitere Urteil vom 28.3.2007, B 6 KA 10/06 R - MedR 2007, 560 = USK 2007-
26) – die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder
auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu
gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit den
Berufskollegen zu verbessern (BSGE 92, 233 = SozR 4-2500 § 85 Nr 9, jeweils
RdNr 18; BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, jeweils RdNr 19; BSG, Urteile vom
28.1.2009 aaO). Daher ist allen Praxen mit unterdurchschnittlichen Umsätzen die
Möglichkeit einzuräumen, durch Umsatzsteigerung jedenfalls bis zum
Durchschnittsumsatz der Fachgruppe aufzuschließen (stRspr des 6. Senats, ua
BSGE 83, 52, 58 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 206 f; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 6
RdNr 19; BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, jeweils RdNr 19; BSG SozR 4-2500
§ 85 Nr 32 RdNr 16; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 28) und damit ihre Praxis
zu einer mit typischen Umsätzen auszubauen (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 32 RdNr
17; BSG MedR 2007, 560 = USK 2007-26).
Für neu gegründete Praxen hat das BSG in seiner Entscheidung vom 03.02.2010
dies dahingehend präzisiert, dass für sog. „Aufbaupraxen" bzw. „Anfängerpraxen"
insoweit Besonderheiten gelten, als ihnen in der Aufbauphase, die auf einen
Zeitraum von drei, vier oder fünf Jahren bemessen werden kann (vgl. BSG SozR 4-
2500 § 85 Nr 32 RdNr 16; BSG MedR 2007, 560 = USK 2007-26), die Steigerung
auf den Durchschnittsumsatz sofort möglich sein muss, während dies anderen,
noch nach der Aufbauphase unter-durchschnittlich abrechnenden Praxen
jedenfalls innerhalb von fünf Jahren ermöglicht werden muss (BSG jeweils aaO).
Allerdings haben auch Aufbaupraxen keinen Anspruch auf Teilhabe an der
Honorarverteilung, der über den Durchschnittsumsatz der Fachgruppe hinausgeht
(BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 6 RdNr 19). Diese Rechtsprechung des BSG, der sich
das Gericht vollumfänglich anschließt, bezieht sich ausdrücklich auf die hier
streitgegenständliche Problematik von Fallzahlzuwachsregelungen.
Ausgehend hiervon geht das Gericht davon aus, dass es sich bei der Klägerin um
eine Aufbaupraxis, wenn auch nicht Anfängerpraxis handelt, die erst seit dem
01.01.2008 in der jetzigen Zusammensetzung besteht.
Für diese Aufbaupraxis gebietet es der Grundsatz der
Honorarverteilungsgerechtigkeit, jegliche Fallzahlbegrenzungen bis zum
Durchschnitt der Fachgruppe in der Aufbauphase zu unterlassen.
Das Gericht geht weiter davon aus, dass diese letztlich aus Art. 3 Abs. 1 GG
abgeleitete Rechtsprechung auch für die mit dem GKV-WSG geschaffenen
Regelleistungsvolumina gilt (so auch Engelhard in: Hauck/Haines, SGB V, § 87b,
Rn. 96).
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Zunächst bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der BewA bzw. EBewA
überhaupt berechtigt ist, Regelungen zu den Praxen in der Aufbauphase selbst nur
subsidiär vorzusehen und im Übrigen an die Gesamtvertragsparteien auf
regionaler Ebene zu delegieren.
Probleme hinsichtlich der Delegationsbefugnis sieht das Gericht im Hinblick auf §
87b Abs. 4 SGB V, wonach der Bewertungsausschuss u. a. das Verfahren zur
Berechnung und zur Anpassung der Regelleistungsvolumina nach den Absätzen 2
und 3 sowie Art und Umfang, das Verfahren und den Zeitpunkt der Übermittlung
der dafür erforderlichen Daten zu bestimmen hat (Satz 1). Die Befugnis der
Gesamtvertragsparteien ist demgegenüber darauf beschränkt, gemäß den
Vorgaben des Bewertungsausschusses nach den Sätzen 1 und 2 unter
Verwendung der erforderlichen regionalen Daten die für die Zuweisung der
Regelleistungsvolumina nach Absatz 5 konkret anzuwendende Berechnungsformel
festzustellen (§ 87b Abs. 4 Satz 3 SGB V). Daraus könnte zu schließen sein, dass
der Bewertungsausschuss wenigstens in groben Zügen die Behandlung von jungen
Praxen bzw. Aufbaupraxen zu regeln hat. Im Hinblick auf die in §§ 87b SGB V zum
Ausdruck kommenden honorarpolitischen Vereinheitlichungstendenzen und der
Tatsache, dass regionale Besonderheiten für die Behandlung sog. junger Praxen
ohne Bedeutung sind, dürfte dies auch dem Zweck der Aufteilung der Befugnisse
entsprechen.
Das Gericht hält die vorgenommene Delegation jedoch im Ergebnis im Rahmen
des Gestaltungsspielraums des BewA für zulässig.
Das Gericht ist jedoch der Überzeugung, dass die Gesamtvertragsparteien des HV
2009 der Rechtsprechung des BSG zu Praxen in der Aufbauphase nicht
hinreichend Rechnung getragen haben. Sie haben durch die Regelung Nr. 3.5 die
Aufbauphase faktisch auf ein Jahr begrenzt. Wer im Vorjahresquartal als
Aufsatzquartal bereits zugelassen war, kann nach dem Wortlaut der Vorschrift nur
die seinerzeit abgerechnete Fallzahl, unabhängig davon, ob und in welchem
Umfang sie unter der durchschnittlichen Fallzahl liegt, erhalten. In der Folgezeit
gelten dann die Regelungen, die für alle unter-durchschnittlichen Praxen gelten (s.
sogleich). Nr. 3.5 HV 2009, die insoweit die subsidiär geltende Regelung des
Erweiterten Bewertungsausschusses übernimmt, ist somit offensichtlich nicht im
Einklang zu der genannten Rechtsprechung des BSG (Bedenken zu Nr. 3.5 des
Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses in seiner 7. Sitzung am
27./28.8.2008, Teil F insoweit auch bei Engelhard, aaO., Rdnr. 97).
Zwar muss der Beklagten darin gefolgt werden, dass der Erweiterte
Bewertungsausschuss den Partnern der Gesamtverträge im Hinblick auf die
Gestaltung der Vorgaben für Neuzulassungen und Umwandlungen der
Kooperationsform einen Ermessensspielraum eingeräumt hat.
Dieser Ermessensspielraum wird jedoch durch die Rechtsprechung des BSG zu
unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen bzw. Praxen in der Aufbauphase
begrenzt.
Die Kammer hält insoweit ausdrücklich an ihrer im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren bereits dargelegten Rechtsauffassung fest, wonach der HV
2009 im Hinblick auf Regelungen zu Wachstumsmöglichkeiten
unterdurchschnittlich abrechnender Praxen bzw. Aufbaupraxen lückenhaft ist.
Diese Lücke wird jedoch durch die Rechtsprechung des BSG zu dieser Frage
geschlossen. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 02.03.2010, der sich die
Kammer ausdrücklich anschließt, erneut bekräftigt, dass selbst der
Bewertungsausschuss an die Vorgaben dieser Rechtsprechung gebunden ist. Dies
entspricht aufgrund der grundrechtlichen Relevanz der Thematik im Hinblick auf
die Betroffenheit des aus Art. 3 und 12 GG hergeleiteten Grundsatzes der
Honorarverteilungsgerechtigkeit auch rechtssystematischen Erwägungen.
Weder für unterdurchschnittliche Praxen noch für Praxen in der Aufbauphase sieht
der HV 2009 eine ausdrückliche Regelung vor. Die Höhe des
Regelleistungsvolumens eines Arztes ergibt sich aus der Multiplikation des zum
jeweiligen Zeitpunkt gültigen KV-bezogenen arztgruppenspezifischen Fallwertes
gemäß Anlage 2 und der Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal. Damit gilt die
tatsächliche Fallzahl des Vorjahresquartals. Eine Steigerung des
Regelleistungsvolumens im Folgejahr ist daher nur möglich, wenn im aktuellen
Quartal die Fallzahl im Vergleich zum Vorjahresquartal regelleistungswidrig
gesteigert werden kann. Dies widerspricht nicht nur dem Zweck, möglichst auch
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gesteigert werden kann. Dies widerspricht nicht nur dem Zweck, möglichst auch
eine Leistungsausweitung zu verhindern, sondern zwingt den Vertragsarzt dazu,
zunächst vergütungslos Leistungen zu erbringen, um im Folgejahr seine
Vergütung steigern zu können. Je geringer die RLV-relevante Fallzahl ist, um so
prozentual höher ist der Teil der Leistungen, der zunächst ohne Vergütung
erbracht werden muss. Zwar sind damit theoretisch enorme Umsatzsprünge
denkbar. Dies gilt aber im Übrigen auch für durchschnittliche bzw.
überdurchschnittliche Praxen; insofern greift dann nur ab 150 % der
durchschnittlichen Fallzahl die Abstaffelungsregelung. Damit gibt der HV 2009
einen Weg vor, der es Praxen in der Aufbauphase nicht ermöglicht,
abrechnungskonform, also ohne nennenswerte Honorareinbußen, ein
durchschnittliches Regelleistungsvolumen zu erhalten. Dies hält das Gericht im
Anschluss an seine Rechtsprechung (Beschluss vom 06.08.2009 – S 11 KA 430/09
ER und Beschluss vom 01.09.2010 – S 11 KA 604/10 ER) für rechtswidrig (insofern
abweichend, aber ohne Thematisierung der aufgezeigten Problematik die
Beschwerdeentscheidung LSG Hessen, Beschluss v. 21.12.2009 - L 4 KA 77/09 B
ER –; vgl. a. Engelhard, aaO, Rdnr. 98).
Das Gericht hält es im Rahmen der BSG-Rechtsprechung entgegen der Beklagten
für unerheblich, warum die Partner der Klägerin in den Aufsatzquartalen nur
geringe Fallzahlen hatten. Jedenfalls sind geringe Fallzahlen in Aufsatzquartalen
gerade charakteristisch für Praxen, die unterdurchschnittlich abrechnen bzw. sich
in der Aufbauphase befinden. Warum diese Fallzahlen gering sind, vermag dabei
im Einzelfall dahinstehen.
Das Gericht hält die Annahme der Beschwerdeinstanz, die Praxis der
Antragstellerin könne binnen eines Jahres – bezogen auf das RLV –
durchschnittliche Honorarwerte erreichen, für nicht zutreffend. Diese Annahme gilt
nur dann, wenn bereits im Vorjahresquartal der RLV-Berechnung eine Fallzahl
zugrunde gelegt wird, die bereits dem Durchschnitt der Fachgruppe entspricht. Es
ist unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen sowie Praxen in der Aufbauphase
auf der Grundlage des Grundsatzes der Honorarverteilungsgerechtigkeit nicht
zuzumuten, dass ein Großteil der Leistungen über den Zeitraum eines Jahres
unvergütet bleiben, nur um ein Jahr später wieder an die Leistungsmenge bzw. die
Fallzahl anknüpfen zu können. Die Klägerin hat völlig recht mit ihrer Behauptung,
dass insoweit schon begrifflich nicht mehr von einer „Wachstums“möglichkeit
gesprochen werden kann. Darüber hinaus folgt das Gericht der Klägerin auch
dahingehend, dass die Betrachtung des Wachstums quartalsbezogen und nicht
jahresbezogen zu erfolgen hat.
Das Beispiel der Klägerin manifestiert anschaulich, dass sich auch mehr als ein
Jahr nach tatsächlicher Aufnahme der Praxistätigkeit – im Quartal III/2010 – auf der
Grundlage der Rechtsprechung der Beschwerdeinstanz eine Situation perpetuiert,
die dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit in keiner Weise mehr
Rechnung trägt (vgl. dazu Beschluss vom 01.09.2010 – S 11 KA 604/10 ER).
Das Gericht hält vorliegend mit der Beklagten die von Seiten der
Beschwerdeinstanz der Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsgrundlage einer
Sonderregelung zum RLV nach Abschnitt II Ziff. 3.2.1. HV 2009 im Sinne eines
außergewöhnlichen Grundes gem. Abschnitt II Ziff. 3.4 Satz 3 letzter Spiegelstrich
HV 2009 für nicht einschlägig. Die Regelung findet sich unter der Überschrift
„Kriterien zur Ausnahme von der Abstaffelung“. Da im streitgegenständlichen
Quartal keine Fallwertabstaffelung vorgenommen wurde, kann diese Regelung
schon begrifflich keine Anwendung finden.
Eine Sonderregelung ist der Klägerin auf der Grundlage der einschlägigen
Rechtsprechung des BSG zu Praxen in der Aufbauphase zu gewähren. Dies wird
die Beklagte bei ihrer erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben.
D. Fallwertdifferenzierung in der Gruppe der Fachärzte für Diagnostische Radiologie
mit Vorhaltung von CT und MRT
Schließlich steht der Klägerin keine Sonderregelung im Hinblick auf den Fallwert zu,
weil sie behauptet, schwerpunktmäßig kostenintensive MRT-Leistungen zu
erbringen.
Die Bildung der für das RLV relevanten Fach(arzt-)gruppen ist vom EBewA in
Anlage 1 zum Beschluss vom 27./28.8.2008 im Rahmen seines
Gestaltungsspielraums geregelt. Dort wird differenziert zwischen:
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- Fachärzte für Diagnostische Radiologie ohne Vorhaltung von CT und MRT
- Fachärzte für Diagnostische Radiologie mit Vorhaltung von CT
- Fachärzte für Diagnostische Radiologie mit Vorhaltung von MRT
- Fachärzte für Diagnostische Radiologie mit Vorhaltung von CT und MRT
Die Klägerin wird in letzterer Arztgruppe geführt. Zur Überzeugung des Gerichts
steht fest, dass es innerhalb dieser Gruppe je nach Schwerpunkt der Praxis zu
großen Unterschieden in der Kostenstruktur kommen kann. So wird eine Praxis,
die schwerpunktmäßig konventionelle Radiologie betreibt, jedoch auch CT und MRT
vorhält, von den im Verhältnis zu den anderen radiologischen Fachgruppen in der
Regel deutlich höheren Fallwerten profitieren, während eine Praxis wie die der
Klägerin, die schwerpunktmäßig kostenintensive MRT-Leistungen erbringt,
möglicherweise Probleme mit der Kostendeckung bekommt.
Zur Überzeugung des Gerichts steht jedoch fest, dass es innerhalb dieser
Fachgruppe die eigene unternehmerische Entscheidung jedes Arztes ist, sein
Leistungsspektrum zu gestalten. Hierfür trägt jeder Arzt das unternehmerische
Risiko. Dass Radiologen, die CT und MRT vorhalten sog. „Verdünnerscheine“ im
Bereich der konventionellen Radiologie benötigen, um ihre Praxis wirtschaftlich zu
führen, ist der Kammer bekannt. Insoweit rechtfertigt der Umstand, dass die
Klägerin sich entschieden hat, schwerpunktmäßig MRT-Leistungen zu erbringen,
keine Sonderregelung im Hinblick auf eine Anhebung des Fallwertes.
Nach alledem musste die Klage Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil hatte die Verfahrenskosten zu
tragen.
Für die Streitwertfestsetzung gilt in Verfahren vor den Gerichten der
Sozialgerichtsbarkeit, dass, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert
nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der
Sache nach Ermessen zu bestimmen ist. Bietet der Sach- und Streitwert für die
Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein
Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.