Urteil des SozG Marburg vom 06.10.2010

SozG Marburg: vergleich, ausnahmefall, stadt, behandlung, steigerung, versorgung, trennung, beendigung, augenheilkunde, abrechnung

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Gericht:
SG Marburg 11.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 11 KA 72/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Gerichtskosten. Die Beteiligten haben einander keine Kosten
zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Honorarbescheide für die
Quartale III/03 bis I/05.
Die Klägerin ist Fachärztin für Augenheilkunde mit Praxissitz in A-Stadt. Mit
Schreiben vom 11.05.2004, 10.11.2004, 13.01.2005, 02.05.2005, 31.05.2005 und
06.10.2005 legte sie jeweils Widerspruch gegen die Honorarbescheide für die
Quartale III/03, I/04, II/04, III/04, IV/04 und I/05 ein.
Das Abrechnungs- und Honorarergebnis der jeweiligen Quartale ist der folgenden
Tabelle zu entnehmen:
In den Quartalen I/97 bis einschließlich III/02 führte sie ihre Einzelpraxis in
Praxisgemeinschaft mit Frau Dr. C..
Zur Begründung ihrer Widersprüche trägt sie vor, dass während der Zeit der
Praxisgemeinschaft mit Frau Dr. C. die abgerechnete Scheinzahl deutlich
abgesunken sei. Die Fallzahl von Frau Dr. C. habe etwa dem Rückgang ihrer
eigenen Fallzahl entsprochen. Nach Beendigung der Praxisgemeinschaft im
Quartal III/02 hätte die Fallzahl dann wieder den ursprünglichen Wert erreicht. Dies
führe im Ergebnis dazu, dass die Fallzahlen aus der Zeit der Praxisgemeinschaft
keinen validen Maßstab für die Quartale III/03 ff. darstellen könnten. Vielmehr seien
diese an den Fallzahlen vorangegangener Quartale zu orientieren.
Darüber hinaus weise die Praxis Besonderheiten auf, wie beispielsweise die
ambulanten Operationen mittels Laser (GO-Nr. 1364 und 1365 EBM ’96) sowie die
Glaukomtherapien, die einen Vergleich mit den restlichen augenärztlichtätigen
Kollegen nicht erlaubten. Diese Besonderheiten rechtfertigten eine
Einzelbetrachtung der Praxis, die zwingend zu einer Nichtanwendbarkeit der
Honorarbegrenzung nach Anlage 3 zu Leitzahl 702 HVM führen müsse. Vor
diesem Hintergrund habe der Vorstand auf der Grundlage der allgemeinen
Härteklausel des HVM eine Einzelfallregelung treffen müssen.
Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2007
zurück.
Die Maßnahme des sogenannten Individualbudgets sei korrekt gemäß der in
Anlage 3 zur Leitzahl 702 HVM enthaltenen Vorgaben durchgeführt worden. Die
geltend gemachten ambulanten Operationen mittels Laser würden wie auch die
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geltend gemachten ambulanten Operationen mittels Laser würden wie auch die
Glaukomtherapien von einer ausreichenden Anzahl der augenärztlichen Kollegen
erbracht, so dass insoweit nicht von Praxisbesonderheiten ausgegangen werden
könne.
Außerdem lasse die geringe Anzahl der abgerechneten Leistungen nach den GO-
Nr. 1364 und 1365 EBM ’96 nicht auf eine Besonderheit bzw. einen
Praxisschwerpunkt schließen. Desweiteren sei festzustellen, dass neben der
klägerischen 16 weitere Augenärzte (ohne Berücksichtigung der
Gemeinschaftspraxen) in A-Stadt Innenstadt zugelassen seien, sodass die
augenärztliche Versorgung hier sichergestellt sei.
Da das klägerische Honorar in sämtlichen Quartalen oberhalb des
Fachgruppendurchschnitts gelegen habe, könne auch eine Sonderregelung im
Hinblick auf die Rechtssprechung des Bundessozialgerichts nicht in Anspruch
genommen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 29.02.2008.
Die Klägerin rügt zunächst einen Begründungsmangel des
Widerspruchsbescheides. Inhaltlich trägt sie vor, dass die tatgegenständlichen
Honorarbescheide gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit
verstießen. Es sei für sie unzumutbar, an die Fallzahlen aus dem Jahre 2002 - zur
Zeit der Praxisgemeinschaft - anzuknüpfen. Es hätten insoweit keine
vergleichbaren Praxisstrukturen vorgelegen, so dass ein Vergleich mit der Zeit der
Praxisgemeinschaft nicht hätte vorgenommen werden dürfen.
Das Patientenklientel rechtfertige insoweit eine Sonderregelung, als vorwiegend
chronisch erkrankte Personen, die einer intensiven und umfangreichen
medizinischen Behandlung bedürften, versorgt würden. Das Patientenklientel
bestehe zu 47% aus Rentnern und Pseudorentnern, was gegenüber den
Vergleichspraxen eine Steigerung von 10% bedeute. Die Laserkoagulation der
Ziffer 1364 würden ausschließlich von 106 der 311 Augenarztpraxen erbracht, die
Ziffer 1365 EBM ’96 von 65 dieser Praxen. Auch die im Vergleich zur Fachgruppe
gesteigerte Abrechnungshäufigkeit für die Ziffern 1241, 1220, 1227 und 1251
begründeten ein atypisches Leistungsspektrum.
Die Klägerin trägt weiter vor, dass sie ca. 500 Schielkinder im Quartal behandele,
die auch nach der Trennung von Frau Dr. C. geblieben seien. Diesen Kindern sei
nicht zuzumuten gewesen, die Sehschule zu wechseln.
Die Klägerin beantragt,
die Honorarbescheide vom 23.03.2004, 23.08.2004, 08.11.2004, 23.03.2005,
28.04.2005 und 15.08.2005, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
22.08.2007, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie über die
Honorarforderung für die streitgegenständlichen Quartale unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, der HVM sehe keine Möglichkeit vor, Bezugsquartale außerhalb der
Jahre 2002, bzw. ausnahmsweise 2001, der Abrechnung zugrunde zu legen. Ein
Härtefall liege im Hinblick auf das anerkannte Honorar nicht vor. Inwieweit der
Wegzug von Frau Dr. C. zu einem Fallzahl- und Honorarrückgang für die Klägerin
geführt habe, sei unaufgeklärt. Es sei zunächst denkbar, dass Frau Dr. C.
Patienten der Klägerin in deren Einvernehmen übernommen habe, so dass die
Klägerin den Umfang ihrer eigenen Tätigkeit habe reduzieren können. Insoweit
trage die Klägerin selbst die Verantwortung für die rückläufigen Fallzahlen. Darüber
hinaus sei denkbar, dass Frau Dr. C. der Klägerin Patienten „abgezogen" habe.
Insoweit stelle sich die Situation nicht anders dar, als auf dem freien Ärztemarkt.
Die Klägerin müsse die wirtschaftlichen Konsequenzen der Konkurrenzsituation
tragen. Ähnlich sei es zu beurteilen, wenn Frau Dr. C. dazu beigetragen hätte, dass
Patienten ausblieben. Auch dies liege im eigenen Risiko der Klägerin.
Darüber hinaus stellten sich die Fallzahlschwankungen nicht als derart gravierend
dar. Diese ergeben sich aus der folgenden Tabelle:
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Die Maßnahme der Individualbudgetierung setze darüber hinaus an
zurückliegendem eigenen Abrechnungsverhalten an. Somit seien in den
Abrechnungswerten des Jahres 2002 bereits die individuellen Besonderheiten
enthalten und die Klägerin werde genau an diesen Verhältnissen gemessen. Eine
Änderung des Leistungsspektrums im Vergleich zum Bezugsquartal sei jedenfalls
nicht eingetreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des Sach-
und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte der Beklagten
und die Gerichtsakte die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und
Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Das Gericht hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den
Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden,
weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten
handelt (§ 12 Abs.3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Honorarbescheide für die Quartale III/03 und I/04 bis I/05, alle in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24.Januar 2008, sind rechtmäßig und verletzen die
Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf eine Anhebung der
Honorare.
Zur Begründung verweist das Gericht zunächst nach § 136 Abs. 3 SGG auf die
Gründe des Widerspruchsbescheides, die weder in tatsächlicher noch in rechtlicher
Hinsicht zu beanstanden sind, insbesondere im Hinblick auf die zugrunde
liegenden Rechtsgrundlagen.
Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass der Widerspruchsbescheid nicht dem
Begründungserfordernis des § 35 Abs. 1 SGB X hinreichend Rechnung trägt. Im
Gegenteil wurden alle von der Klägerin ins Feld geführten Argumente gewürdigt
und bewertet.
Die Klägerin erfüllt auch keinen Ausnahmetatbestand zur Maßnahme der
Individualbudgetierung im HVM. Nach Ziffer 3 kann im begründeten Ausnahmefall
(Urlaub, Krankheit etc.) eine Sonderregelung dahingehend erwirkt werden, dass
anstelle des entsprechenden Vergleichsquartals aus dem Jahre 2002 als
Referenzquartal das entsprechende Quartal des Jahres 2001 zugrunde gelegt wird.
Diese Möglichkeit ist jedoch nicht im Sinne der Klägerin, da sie Bezugsquartale aus
der Zeit vor Gründung der Praxisgemeinschaft heranziehen möchte. Dies sieht der
HVM jedoch nicht vor.
Auch kann die Rechtsprechung des BSG zur unterdurchschnittlich abrechenden
Praxen vorliegend nicht zur Anwendung kommen, weil das Nettohonorar der
Klägerin in allen streitgegenständlichen Quartalen jeweils über dem
Durchschnittshonorar der Fachgruppe gelegen hat.
Auch die darüber hinausgehende im HVM vorgesehene Möglichkeit, eine
Sonderregelung im Sinne einer Härtefallregelung zu treffen, bestand vorliegend
nicht, weil kein begründeter Ausnahmefall vorlag. Dies ergibt sich zur Überzeugung
des Gerichts zunächst aus der Fallzahlstatistik, die nur kurzfristig einen leichten
Anstieg der Fallzahlen auf um die 2500 Fälle in den Quartalen III/03 und I/04
ausweist. Bereits in den Quartalen II/04, III/04 und I/05 hatte die Klägerin ihre
Fallzahlen wieder durchschnittlich auf das Niveau aus dem Jahr 2002 abgesenkt.
Die Fallzahl des Quartals IV/04 mit 3.289 Fällen stellt insoweit einen einmaligen
Ausrutscher dar.
Darüber hinaus kommt auch im Hinblick auf das Leistungsspektrum keine
Sonderregelung in Betracht. Dies gilt sowohl für die ambulanten
Operationsleistungen nach den Ziffern 1364 und 1365, als auch für die von der
Klägerin ins Feld geführten Ziffern 1220, 1227, 1241 und 1251 EBM ’96. Insoweit
hat die Beklagte völlig zutreffend darauf hingewiesen, dass die Maßnahme der
Individualbudgetierung an zurückliegendem eigenen Abrechnungsverhalten
anknüpft und damit in den Abrechnungswerten des Bezugsquartals bereits die
individuellen Besonderheiten enthalten sind, an denen die Klägerin auch zu
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individuellen Besonderheiten enthalten sind, an denen die Klägerin auch zu
messen ist.
Schließlich rechtfertigt auch die Behandlung von Schielkindern keine anderweitige
Beurteilung, da es sich bei der Sehschule um sogenannte Igl-Leistungen handelt,
die außerhalb des Individualbudgets vergütet werden.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO
und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.