Urteil des SozG Marburg vom 10.12.2008

SozG Marburg: abrechnung, ablauf der frist, vergütung, chirurgie, eigenes verschulden, hessen, stadt, ausnahmefall, verfügung, software

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 10.12.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 85/08
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 4/09
1. Unter Abänderung der Honorarbescheide für die Quartale II und III/05, beide in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.02.2008 wird die Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts über seine Honoraransprüche neu zu bescheiden.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Honorars für die beiden Quartale II und III/05.
Der Kläger ist seit 01.09.2000 als Facharzt für Chirurgie/Gefäßchirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung mit
Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er verfügt über die Zusatzbezeichnung Phlebologie sowie über die Genehmigung
zur Sonographie in der Gefäßdiagnostik und Retroperitoneum sowie zum ambulanten Operieren und zur Erbringung
physikalisch-medizinischer Leistungen. Nach dem Honorarverteilungsvertrag der Beklagten gehört er zur
Honorar(unter)gruppe der Fachärzte für Chirurgie, B 2.3, an und ist abrechnungstechnisch der Fachgruppe/Arztgruppe
VfG 17-00 zugeordnet. Für die streitbefangenen Quartale setzte die Beklagte das Honorar jeweils mit Honorarbescheid
fest, wobei sie den Honorarbescheid für das Quartal II/05 aus abrechnungstechnischen Gründen ersetzte. Der Kläger
legte Widerspruch ein. Im Einzelnen ergebnen sich die Festsetzungen und Daten aus nachfolgender Übersicht:
II/05 III/05 Honorarbescheid vom 27.06.2006 22.01.2006 11.08.2006 Widerspruch eingelegt am 17.03.2006 18.10.2006
Nettohonorar gesamt in EUR 55.187,15 60.189,40 34.297,87 Bruttohonorar PK + EK in EUR 54.172,10 34.315,71
Fallzahl PK + EK 670 552
Fallzahlabhängige Quotierung Ziff. 5.2.1 HVV Fallzahlgrenze 592 601 Aktuelle Fallzahl 670 552 Anerkennungsfähiges
Honorar in Punkten 2.447.049,0 - Quote 95,41 % -
Regelleistungsvolumen Ziff. 6.3 HVV Fallwert 844,8 845,9 Fallzahl 642 552 Praxisbezogenes RLV in Punkten
542.361,6 466.936,8 Abgerechnetes Honorarvolumen in Punkten 2.564.765,0 1.683.200,0 Überschreitung in Punkten
2.022.403,4 1.216.263,2
Ausgleichsregelung Ziff. 7.5 HVV Referenz-Fallzahl 684 641 Referenz-Fallwert in EUR 83,9675 71,5200 Aktueller
Fallwert in EUR 49,7599 44,9556 Auffüllbetrag je Fall in EUR 30,0189 16,1798 Auffüllbetrag gesamt in EUR 20.112,62
8.931,25
Fallwert nach Auffüllung in EUR- 79,7788 61,1354 Fallwert nach Auffüllung im Verhältnis zum Referenz-Fallwert in %-
95,0 85,5 - Berechnungen der Kammer
Zur Begründung seiner Widersprüche führte der Kläger bezüglich des Quartals II/05 aus, der Widerspruch richte sich
zunächst generell und grundsätzlich gegen die Einführung des ab dem 01.04.2005 geltenden EBM 2005. Die
Vergütungsstrukturen und die Kostenansätze seien rechtswidrig und nicht nachvollziehbar. Die betriebswirtschaftliche
Kalkulation basiere auf einer Punktebewertung vom 5,11 Cent. Dieser Punktwert habe auf der Ebene der
Kassenärztlichen Vereinigung nicht gehalten werden können, sodass eine Vergütung unterhalb der zugrunde liegenden
Kosten erfolgt sei. Der Widerspruch richte sich ferner gegen die vorgenommene Honorarverteilung. Nachgewiesene
und öffentlich bekannte Fehlberechnungen der Abrechnung des 3. Quartals 2005 ließen die Schlussfolgerung zu, das
auch im 2. Quartal fehlerhafte Berechnungen der Honoraranteile wegen der Neueinführung des EBM 2005 eingetreten
seien. Der Widerspruch richte sich auch gegen die Berechnung der Honorarabschläge zur Regelung der
Fallzahlbegrenzung. Er widerspreche auch, dass bei der Neuerstellung des Honorarbescheids zu seinen Lasten ein
Betrag von 5.002,25 EUR abgezogen worden sei. Für das Quartal III/05 wandte er sich gegen einen Abzug vom
11.027,89 EUR. Weiter trug er vor, für die von Ihm durchgeführten ambulanten Operationen, Postoperative
Überwachung und Postoperative Behandlung habe er die korrekten EBM- und OPS-Nummern angegeben. Trotzdem
seien diese Operationen im Rahmen des Regelleistungsvolumens der Fachgruppe Chirurgie abgerechnet worden,
obwohl diese Operationen außerhalb des Budgets hätten abgerechnet werden müssen, wie das bis zum Quartal I/05
der Fall gewesen sei. Den Fehler habe er erst nach Erhalt des Honorarbescheides entdecken können. Herr UW. von
der Beklagten habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass seine ambulanten Operationen als budgetiert abgerechnet
worden seien und nicht als nicht budgetiert, was sie nach dem Strukturvertrag mit den Kassen hätten sein müssen.
Der habe die so genannten Pseudoziffern für die Operationen nicht in der Abrechung angegeben. Dies
Pseudonummern habe er auf die grünen Zettel und die roten Zettel der OP-Dokumentation schriftlich aufgetragen und
in der KV zur Abrechnung abgegeben. Die Kopien dieser Formulare lägen in seiner Praxis vor. Er habe keine
schriftliche Benachrichtigung oder telefonische Auskunft über seinen angeblichen Fehler erhalten. Der Beklagten sei
sehr genau bekannt, welche ambulant durchgeführten Operationen budgetiert und welche nicht budgetiert seien.
Betroffen seien die von Ihm in großer Zahl vorgenommenen Operationen V. saphena magna (Crossektomie mit
Stripping) Nr. 90879A und V. saphena parva (Crossektomie mit Stripping) Nr. 90878A. Die "Pseudoziffern" habe er
eingereicht, unvollständig seien allein die digitalen Daten gewesen, auf denen offensichtlich allein die Abrechnung
beruhe. Er reiche die ausgedruckten Leistungsprotokolle ein. Darin seien alle abrechnungstechnisch unzutreffend
geschlüsselten Patienten mit den jeweiligen Leistungsziffern unterstrichen. Die technische Unvollständigkeit der
Abrechnung erfordere eine Richtigstellung, die von Amts wegen vorgenommen werden müsse. Der Kläger verwies
ferner auf sein Vorbringen zu Erhöhung des Regelleistungsvolumens.
Der Kläger hatte am 25.07.2006 die Erhöhung des Regelleistungsvolumens beantragt. Er trug vor, er werde am
01.08.2006 die Praxis von der Berliner Straße in die A-Straße nach Auflösung der Praxisgemeinschaft mit einem
hautärztlichen Kollegen verlegen. Die neue Praxisgründung bei einem in der Praxis ambulant operierenden
Gefäßchirurgen sei mit sehr hohen Investitionen verbunden. Sein Punktzahlvolumen sei deutlich höher als die
durchschnittliche Zahl der Fachgruppe Chirurgie. Seine Praxisinvestitionen seien enorm und überdurchschnittlich im
Vergleich zur Fachgruppe Chirurgie. Er habe nach hygienischen Vorschriften einen Operationstrakt aufgebaut mit zwei
Operationsräumen, Aufwachraum, Schleusenkabinen, Sterilisator- und Vorbereitungsraum und mit einer
entsprechenden anspruchsvollen Ausrüstung. Er benötige kostspielige Geräte zur Diagnostik, z. B. ein farbkodiertes
Duplexgerät zum Preis von 80.000,00 EUR, ein Doppler-Gerät zum Preis von 10.000,00 EUR, eine
Venenverschlussplethysmografie zum Preis von 20.000,00 EUR, eine Anlage für Radiofrequenztherapie zum Preis
von 15.000,00 EUR. Ein Teil der Operationen sei inzwischen budgetiert. Sie seien fünf Gefäßchirurgen in A-Stadt.
Aus Versorgungsgesichtspunkten könne er auf die Leistungen nicht verzichten. Das Honorar in der Belegklinik sei um
fast 60 % reduziert worden. Es gehe um verschiedene diagnostische und therapeutische Leistungen, die er im
Einzelnen aufgeführt hat. Er bitte deshalb, sein Regelleistungsvolumen nicht nach der durchschnittlichen Fallzahl der
Fachgruppe Chirurgie zu messen, sondern seinen Anteil als Facharzt für Gefäßchirurgie und Phlebologie zu bewerten
und das Regelleistungsvolumen entsprechend zu erhöhen. Im Quartal III/05 habe er von 1.682.200 Punkten nur
466.927 Punkte, das bedeute nur 27,76 % vergütet bekommen. Bei verschiedenen Leistungen überschreite er deutlich
den Durchschnitt der Fachgruppe. Einzelne Behandlungen zeigten, dass er hierfür wesentlich mehr Punkte benötige
und dass man ihn nicht nach dem Regelleistungsvolumen einer Gruppe Chirurgie messen könne, weil er deren
Durchschnitt von 845,9 Punkten immer überschreiten müsse. Im Quartal IV/05 seien ihm nur 526.239,0 Punkte
anerkannt worden, er habe 1.377.570 Punkte erbracht. Damit seien nur 38,20 % vergütet worden. Mit Bescheid vom
29.01.2007 wies die Beklagte den Antrag, den sie als Antrag bezogen auf die Quartale II/05 bis II/06 wertete, ab. Zur
Begründung führte sie u. a. aus, der geltende Honorarverteilungsvertrag enthalte Vorgaben zur Bewertung der
Honorarforderungen auf Basis von Regelleistungsvolumina. Das im aktuellen Abrechnungsquartal gültige
praxisindividuelle (fallzahlabhängige) Regelleistungsvolumen einer Praxis bestimme sich im Grundsatz aus der
Multiplikation der im aktuellen Quartal ermittelten arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen und der Fallzahl der Praxis
unter Beachtung der Aufteilung der relevanten Fallzahl in die verschiedenen Altersklassen. Die Zuordnung zu einer der
in der Anlage 6.3 des HVV aufgeführten Arzt-/Fachgruppe richte sich wiederum nach dem Fachgebiet, für das der Arzt
vertragsärztlich zugelassen sei. Für die Fachgruppe der Chirurgen sehe der Honorarverteilungsvertrag folgendes
Regelleistungsvolumen vor:
Primärkassen Ersatzkassen Altersgruppe 0 – 5 6 - 59 -) 60 0 – 5 6 – 59 -) 60 Fallpunktzahl 537 796 1.057 474 701
903
Eine Analyse des Leistungsspektrums des Klägers habe zwar ergeben, dass er einzelne
gefäßchirurgische/phlebologische/sonographische Leistungen im Vergleich zur Fachgruppe häufiger abrechne.
Allerdings werde dennoch keine Möglichkeit gesehen, praxisbezogene Änderungen an den arztgruppenspezifischen
Fallpunktzahlen vorzunehmen. Der Vorstand habe festgelegt, dass eine Sonderregelung nur aus Gründen der
Sicherstellung erfolgen könne. Für die Beurteilung des Aspektes der Sicherstellung sei maßgeblich, ob im Umkreis
von 50 km ausreichend Ärzte zur Verfügung stünden, die die streitgegenständlichen Leistungen abrechneten. Allein
im Planungsbereich A-Stadt-Stadt liege eine Überversorgung an Chirurgen vor. Es seien auch dort weitere
Gefäßchirurgen tätig, ebenso in der näheren Umgebung (z. B. HO-Stadt.). Es seien mehrere Fachärzte
niedergelassen, die ebenfalls phlebologisch-sonographische Leistungen erbrächten. Komme es zu Verwerfungen nach
dem neuen EBM 2005, so erfolge ein Ausgleich nach Ziffer 7.5 des Honorarverteilungsvertrages. Dies habe in den
Quartalen II bis IV/05 bei dem Kläger zu Auffüllungsbeträgen in Höhe von 8.931,25 EUR bis 20.112,63 EUR geführt.
Den hiergegen am 08.02.2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2007
als unbegründet zurück. Die hiergegen am 31.05.2007 erhobene Klage wies die Kammer mit zwischenzeitlich
rechtskräftigem Urteil vom 30.01.2008, Az.: S 12 KA 237/07, zurück.
Die Widersprüche gegen die beiden Honorarbescheide für die Quartale II und III/05 wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 20.02.2008 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte Sie u. a. aus, Sie sei an die
Vorgaben des EBM gebunden. Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-
Modernisierungsgesetz- GMG) seien die Regelleistungsvolumina eingeführt worden. Für den Fall der Überschreitung
der Grenzwerte sei vorzusehen, dass die den Grenzwert überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten
Punktwerten vergütet werde. An die hierzu ergangenen Vorgaben des Bewertungsausschusses sei sie gebunden. Die
fallzahlabhängige Quotierung habe sie gemäß Ziffer 5.2.1 HVV durchgeführt. Soweit die angewandten Kostensätze als
rechtswidrig und nicht nachvollziehbar gerügt würden, so habe sie den Beschluss des Bewertungsausschusses vom
29.10.2004 korrekt umgesetzt. Darin habe dieser auch beschlossen, dass der Punktwert vom 5,11 Cent nicht zum
Ansatz komme. Ein solcher Punktwert könne auch nicht ausgezahlt werden, da lediglich die mit den Krankenkassen
vereinbarte Gesamtvergütung verteilt werden könne. Dabei errechne sich der jeweilige Punktwert, indem zunächst die
Honoraranforderungen aller Vertragsärzte zu einem rechnerischen Punktwert der vorhandenen Gesamtvergütung
gegenübergestellt würden. Soweit die Gesamtvergütung nicht ausreiche, um die Honoraranforderungen mit diesem
Punktwert zu befriedigen, seien Nachforderungen der KV Hessen an die Krankenkassen ausgeschlossen. Vielmehr
müsse eine Quotierung erfolgen, die schließlich im Ergebnis zu dem ausgezahlten Punktwert geführt habe. Dieser
habe im Quartal II/05 nach der Punktwertreduzierung zu Gunsten des Honorarbereichs C für die Primärkassen 3,661
Cent und 3,216 Cent für den Bereich der Ersatzkassen betragen. Die Berechung des Regeleistungsvolumens sei nicht
zu beanstanden. Eine Sonderregelung komme nicht in betracht. Richtig sei der Vortrag des Klägers, dass in beiden
streitbefangenen Quartalen sämtliche Leitungen des ambulanten Operierens in die budgetierte Vergütung geflossen
seien. Eine Vergütung der betreffenden Leistungen gemäß den Strukturverträgen ambulantes Operieren habe nicht
vorgenommen werden können. Dies folge daraus, dass der Kläger in seiner Abrechnung nicht die vorhandenen
Pseudoziffern zur Kennzeichnung der Leistungen des ambulanten Operierens im Rahmen der Strukturverträge
angegeben habe. Über die Notwendigkeit, die Pseudoziffer anzugeben, habe sie hinreichend informiert, u. a. mit dem
Schreiben vom 08.04.2005. In den Quartalen II und III/05 hätten die ambulant operierenden Ärzte durch die Steuerung
über die Pseudoziffer die Wahlmöglichkeit gehabt, ob eine Vergütung über die gesonderte honorarvertragliche
Vereinbarungen bzw. die Strukturverträge oder über die budgetierte Vergütung habe stattfinden sollen. Zum Beispiel
bei einer Ausschöpfung des Regelleistungsvolumens ambulantes Operieren hätten Ärzte diese Steuerungsmöglichkeit
über die Pseudoziffern auch ausdrücklich wahrgenommen und so eine Vergütung über das, eventuell bis dahin nicht
ausgeschöpfte "normale Regelleistungsvolumen" erreicht. Vor diesem Hintergrund habe bei der Bearbeitung der
Abrechnungen nicht automatisch eine Korrektur vorgenommen werden können, da nicht zwingend davon auszugehen
war, dass dies dem Wunsch des Klägers entspreche. Der Kläger sei auch "EDV-Anwender" und reiche seine
Abrechnungsunterlagen mittels maschinell verwertbaren Datenträgers ein. Hierfür erhalte er einen
Verwaltungskostennachlass. Dieser Zweck der Verfahrensvereinfachung könne nur erreicht werden, wenn nicht die
Abrechnungen aller Ärzte stets darauf überprüft würden, ob diese mit den zusätzlichen in Papierform eingereichten
Unterlagen identisch seien. Ein Abgleich finde hier folglich nicht statt. Eine nachträgliche Korrektur sei nicht möglich.
Nach dem Honorarverteilungsvertrag seien die Abrechnungsunterlagen für jedes abgelaufene Quartal zu dem von der
KV festgesetzten Termin bei der zuständigen Bezirksstelle einzureichen. Mit der Abgabe der Abrechnung bestätige
der Arzt auch, dass die eingereichte Abrechnung sachlich richtig und vollständig sei. Die bis zum Quartal I/05
bestehende Regelung, bereits eingereichte Abrechnungsunterlagen innerhalb der ersten 6 Wochen nach Ende des
Abrechnungsquartals zu berücksichtigen mit der Möglichkeit einer Fristverlängerung in begründeten Ausnahmefällen,
sei für die Quartale II bis IV/05 nicht in den Honorarverteilungsvertrag aufgenommen worden. Der Vorstand habe
deshalb diese Regelung fortgeführt mit der Maßgabe, dass die Frist zur Korrektur von 6 auf 10 Wochen für die
Quartale II und III/05 verlängert und für die Quartale ab IV/05 auf 8 Wochen festgesetzt werde. Für eine nachträgliche
Berichtigung von extra budgetären Leistungen verlängere sich die Frist bis zum Zugang des Honorarbescheides.
Darüber hinaus könne im Ausnahmefall diese Frist auch verlängert und eine Korrektur der Abrechnungsunterlagen
noch nach dieser Frist zugelassen werden. Der Kläger habe erstmalig mit Schreiben vom 25.11.2006 um Korrektur
seiner Abrechnungen gebeten. Die Korrekturfristen seien zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen. Gründe für
eine Ausnahme seien nicht ersichtlich. Ab dem 01.10.2005 seien die bisher gültigen Pseudo-Ziffern entfallen und
ambulant erbrachten operativen Leistungen grundsätzlich auf Basis des EBM abzurechnen. Hierüber habe sie mit
Schreiben vom 05.09.2005 informiert. Ebenso sei die durchgeführte Maßnahme der +/- 5 % Ausgleichsregelung
korrekt vorgenommen worden. Dies habe beim Kläger zu Ausfüllungsbeträgen geführt.
Hiergegen hat der Kläger am 06.03.2008 die Klage erhoben, die er mit Schriftsatz vom 20.06.2008 auf Anfrage des
Gerichts auf die Berücksichtigung der Pseudoziffern und ihrer Folgen für die drei Operationstypen Operationen V.
saphena magna, Operationen V. saphena parva und Operationen zur transkutanen Unterbindung der VV. Perforantes,
Varizenexhairese beschränkt hat. Er begehrt, ihm eine Korrektur für die beiden streitbefangenen Quartale
einzuräumen und seinen Honoraranspruch entsprechend zu korrigieren. Sein Honorar für die beiden Quartale sei sehr
niedrig im Vergleich mit den vorherigen Quartalen. Es seien ihm auch Beträge wegen einer Überzahlung abgezogen
worden. Es gehe um die Korrektur der Pseudoziffern für die Operationen V. saphena magna, V. saphena parva und
der transkutanen Unterbindung der VV. Perforantes, Varizenexhairese. Die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 diene
nur zum Ausgleich der Verluste, hätten aber mit dem OP-Pseudoziffern nichts zu tun. In den beiden voran
gegangenen Quartalen habe sein Honorar 98.813,14 EUR (Quartal IV/05) bzw. 96.805,75 EUR (Quartal I/05) betragen.
Sein Verlust betrage im Quartal I/05 ca. 25.000 – 27.000 EUR, im Quartal III/05 ca. 63.000 – 66.000 EUR, gehe man
von der Differenz zu den beiden genannten Vorquartalen aus. Insgesamt betrage der Verlust ca. 93.000 EUR. Die
Pseudoziffern seien erst zum 01.04.2005 eingeführt worden. Zuvor habe es andere Pseudoziffern gegeben. Er habe
die sog. grünen Formulare (Dokumentation zur Qualitätssicherung ambulantes Operieren) mit den neuen
Pseudoziffern bei der Abrechnung abgegeben. Dies habe die Beklagte immer vollkommen ignoriert. Diese Formulare
habe er mit der Abrechnungsdiskette abgegeben. Das Bundessozialgericht habe klargestellt, dass auch verspätete
oder fehlerhafte eingereichte Abrechnungen von der KV lediglich durch Honorarabzüge sanktioniert werden dürften.
Vertragsärzte dürften jedoch nicht gänzlich von Ihrem Honoraranspruch ausgeschlossen werden.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung der Honorarbescheide für die Quartale II und III/05, beide in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.02.2008 die Beklagte zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts über seine Honoraransprüche neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist unter Verweis auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid im Übrigen weiterhin der
Auffassung, der Kläger hätte als "EDV-Anwender" bei der Abrechnung die Pseudoziffer angeben müssen. Er habe
eingeräumt, dass er die Ziffern auf der Abrechnungsdiskette nicht eingetragen habe. Hierüber sei in ihrem
Internetauftritt und mit mehreren Rundschreiben, so u. a. mit Schreiben vom 08.04.2005, informiert worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der Beratungen gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den
Kreisen der Vertragsärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte handelt
(§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Klage ist zulässig. Sie ist auch begründet. Die Honorarbescheide für die Quartale II und III/05, beide in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2008 sind rechtswidrig und waren daher abzuändern. Die Beklagte ist
verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seine Honoraransprüche neu zu
bescheiden.
Die Honorarbescheide für die Quartale II und III/05, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2008
sind insofern rechtswidrig, als die Beklagte eine nachträgliche Korrektur der Abrechnung nicht zugelassen hat.
Nach der Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Verbänden der Krankenkassen
zur Honorarverteilung für die Quartale 2/2005 bis 4/2005, veröffentlicht als Anlage 2 zum
Landesrundschreiben/Bekanntmachung der Beklagten vom 10.11.2005 (im Folgenden: HVV), sind die
Abrechnungsunterlagen für jedes abgelaufene Abrechnungsquartal bis zu dem von der KV Hessen festgesetzten
Termin bei der zuständigen Bezirksstelle der KV Hessen einzureichen (§ 8, Abschnitt 8.1 Abs. 1 HVV). Mit der
Abgabe der Behandlungsausweise und gegebenenfalls eines maschinell verwertbaren Datenträgers bestätigen der
Arzt bzw. Psychotherapeut oder bei einer Gemeinschaftspraxis die Ärzte bzw. Psychotherapeuten in einer
Sammelerklärung/Quartalserklärung, dass die zur Abrechnung eingereichten Leistungen nach den gesetzlichen und
vertraglichen Bestimmungen sowie nach den Vorgaben dieses Honorarverteilungsvertrages erbracht worden sind,
notwendig waren und die eingereichte Abrechnung sachlich richtig und vollständig ist (§ 8, Abschnitt 8.1 Abs. 3 Satz 1
HVV). Einzelheiten der Verfahrensweise bei verspäteter Abrechnungsabgabe bzw. bei nicht ordnungsgemäßer
Rechnungslegung regelt die KV Hessen in eigener Zuständigkeit (§ 8, Abschnitt 8.2 HVV). Entsprechend hat der
Vorstand der Beklagten am 29.08.2005 beschlossen, die ehemalige LZ 601 HVM im Sinne einer Übergangsregelung
fortzuführen; allerdings mit der Maßgabe, dass der Zeitraum von sechs Wochen auf zehn Wochen verlängert wird. Mit
weiterem Beschluss vom 09.01.2006 hat er die Frist für das Quartal IV/05 auf acht Wochen reduziert. Damit wurde
Abs. 5 der LZ 601 HVM des zuvor geltenden Honorarverteilungsmaßstabs übernommen; bei den Abs. 1 bis 4 handelte
sich um Regelungen, die bereits durch § 8, Abschnitt 8.1 HVV übernommen worden waren. Abs. 5 der LZ 601 HVM
lautete: "Die Bezirksstelle kann gestatten, dass ein Arzt bzw. Psychotherapeut innerhalb der ersten 6 Wochen nach
Ende eines Abrechnungsvierteljahres seine bereits eingereichten Abrechnungsunterlagen in den Geschäftsräumen der
Bezirksstelle in Anwesenheit eines Bevollmächtigten der Bezirksstelle berichtigt. In begründeten Ausnahmefällen
kann diese Frist verlängert werden."
Wenn die Kammer auch grundsätzlich der Auffassung ist, dass Fragen der verspäteten Abrechnungsabgabe, der
Abgeltung des Verwaltungsaufwandes bei Fristversäumnis und des Verlusts des Abrechnungsanspruches in ihren
Grundzügen auch inhaltlich im HVV nach § 85 Abs. 4 Satz 2 SGB V zu regeln sind (vgl. BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B
6 KA 71/97 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 28 = BSGE 83, 52 = NZS 1999, 362, zitiert nach juris, Rdnr. 28; BSG, Urt. v.
26.06.2002 - B 6 KA 28/01 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 47 = NZS 2003, 494), so kann aufgrund der grundsätzlichen
Ermächtigungsnorm in § 8, Abschnitt 8.2 HVV die Statuierung einer Regelung durch Übernahme einer
Vorgängerregelung hingenommen werden. Der Inhalt des Abs. 5 der LZ 601 HVM ist aber ebf. rechtlich nicht zu
beanstanden. Die Kammer hält insofern an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. Urt. v. 23.05.2007 – S 12 KA
876/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de, Berufung zurückgewiesen durch LSG Hessen, Beschl. v. 24.04.2008 – L 4 KA
46/07 –; Urt. v. 26.09.2007 - S 12 KA 100/07 - www.sozialgerichtsbarkeit.de -, Berufung anhängig (Az.: L 4 KA 70/07);
Urt. v. 26.09.2007 - S 12 KA 196/07 - www.sozialgerichtsbarkeit.de -, Berufung anhängig (Az.: L 4 KA 71/07)).
Nach Maßgabe dieser Bestimmungen kommt eine nachträgliche Berichtigung der von dem Kläger geltend gemachten
Pseudoziffern nicht in Betracht. Dies ist aber im Fall des Klägers unverhältnismäßig.
Die Kammer geht zunächst davon aus, dass der Kläger die Pseudoziffern nicht angegeben hat. Er hat in der
mündlichen Verhandlung eingeräumt, er wisse nicht mehr, ob er sie auch auf der Abrechnungsdiskette angegeben
habe, jedenfalls könne er einen entsprechenden Nachweis nicht führen. Die Angabe auf dem Dokumentationsbogen,
die die Pseudoziffern jeweils enthielt, diente aber der Qualitätssicherung und nicht der Abrechnung.
Die Vorgaben zur nachträglichen Berichtigung sind grundsätzlich rechtmäßig und waren von der Kammer nicht zu
beanstanden.
Es ist eine der grundlegenden Pflichten jedes Vertragsarztes, die erbrachten Leistungen peinlich genau abzurechnen,
weil die korrekte Abrechnung von der Kassenärztlichen Vereinigungen angesichts der Vielzahl der von ihr in jedem
Quartal zu bewältigenden Datenmengen nur in eingeschränktem Umfang überprüft werden kann (vgl. BSG, Urt. v.
24.11.1993 - 6 RKa 70/91 - BSGE 73, 234 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 4 (juris Rdnr. 22); BSG, Urt. v. 25.10.1989 - 6 RKa
28/88 - BSGE 66, 6, 8 = SozR SozR 2200 § 368a Nr. 24 )juris Rdnr. 15); BSG, Urt. v. 08.07.1981 – 6 RKa 17/80 -
USK 81172 (juris Rdnr. 31)). Der Grundsatz der peinlich genauen Abrechnung gilt unabhängig davon, ob die
Abrechnung auf manuellem Wege oder mittels elektronischer Datenträger erfolgt. Auch wenn sich der Vertragsarzt im
zweiten Fall entsprechender Abrechnungsprogramme bedient, entlastet ihn dies nicht davon, sich vor Weiterleitung
der Diskette an die Kassenärztliche Vereinigung wenigstens anhand von Stichproben zu vergewissern, dass die dort
enthaltenen Angaben frei von Fehlern sind, unabhängig davon, ob diese auf eigenen Falscheingaben oder auf Mängeln
der benutzten Software beruhen (vgl. LSG Niedersachsen, Beschl. v. 17.02.2005 - L 3 KA 218/04 ER -; LSG
Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 15.01.1997 - L 11 Ka 74/96 - NZS 1997, 384, 386).
Der Arzt hat daher mit Abgabe der Abrechnung in einer Sammelerklärung/Quartalserklärung zu bestätigen, dass die
zur Abrechnung eingereichten Leistungen nach den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen sowie nach den
Vorgaben des Honorarverteilungsmaßstabs erbracht worden sind, notwendig waren und die eingereichte Abrechnung
sachlich richtig und vollständig ist (LZ 601 Satz 4 HVM).
Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind auf der Rechtsgrundlage des § 85 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V befugt, in
ihrem HVM Regelungen über die Modalitäten der Abrechnung durch die Vertragsärzte zu treffen. Sie dürfen in diesem
Zusammenhang auch Abrechnungsfristen vorgeben und diese als Ausschlussfristen ausgestalten. Im HVM können
insbesondere nicht nur die Fristen geregelt werden, die die Vertragsärzte bei der Abrechnung einhalten müssen,
sondern auch die Folgen, die sich aus einem Fristversäumnis für die Abrechnungen ergeben. § 85 Abs. 4 Satz 2 SGB
V lässt daher auch eine Regelung im HVM zu, nach der Abrechnungsscheine von der Vergütung ausgeschlossen
sind, die nicht innerhalb des festgesetzten Einsendetermins zur Abrechnung eingereicht werden. Die Ausgestaltung
einer Abrechnungsfrist als Ausschlussfrist stellt für sich genommen keinen derart schwerwiegenden Eingriff in die
Berufsausübung dar, dass für ihn eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung erforderlich wäre. Zweck der
Honorarverteilung ist, dass nach jedem Quartal möglichst schnell und möglichst umfassend die für die
Honorarverteilung zur Verfügung stehenden Beträge ausgekehrt werden. Dies entspricht vor allem dem Interesse der
Vertragsärzte. Denn diese sind - insbesondere wegen der zu bestreitenden Praxiskosten - auf eine möglichst kurze
Zeitspanne zwischen Leistungserbringung und Leistungshonorierung angewiesen. Auch widerspräche die Zahlung
lediglich von Abschlägen auf das voraussichtliche Honorar über einen längeren Zeitraum hinweg dem berechtigten
Interesse der Ärzte an der Kalkulierbarkeit ihrer Einnahmen. Der Zeitpunkt, zu dem die KÄV nach Abschluss des
jeweiligen Quartals die Abrechnung vorzunehmen und den Vertragsärzten ein Honorarbescheid zu erteilen hat, ist
bundesrechtlich zwar nicht vorgegeben. Die KÄVen sind jedoch gehalten, die ihnen von den Krankenkassen gezahlte
Gesamtvergütung (§ 85 Abs. 1 SGB V) umgehend an die Vertragsärzte zu verteilen (§ 85 Abs. 4 SGB V). Demgemäß
sind die KÄVen verpflichtet, den Vertragsärzten alsbald nach Quartalsabschluss Honorarbescheide zu erteilen.
Zahlreiche Bestimmungen sowohl der Bundesmantelverträge als auch des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für
vertragsärztliche Leistungen legen fest bzw. setzen voraus, dass die vertragsärztlichen Leistungen in einem
Kalendervierteljahr zusammengefasst vom Vertragsarzt abgerechnet und von der Kassenärztlichen Vereinigung
vergütet werden. Der Eigengesetzlichkeit eines auf das einzelne Quartal ausgerichteten Gesamtvergütungssystems
entspricht es, Zahlungen möglichst aus der für das jeweilige Quartal zur Verfügung stehenden Gesamtvergütung
vorzunehmen und Rückstellungen oder Nachvergütungen weitestgehend zu vermeiden. Die Bildung von
Rückstellungen, d. h. der Einbehalt von Teilen der für ein Quartal entrichteten Gesamtvergütung, kann unerwünschte
Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit vertragsärztlicher Praxen und damit letztlich auf die Versorgung der
Versicherten haben. Auch die berechtigten Belange der Krankenkassen können tangiert sein, wenn diese die
Gesamtvergütung in gesetzeskonformer Höhe an die Kassenärztliche Vereinigung entrichten, die Vertragsärzte davon
aber nur Teile erhalten, die eine angemessene Vergütung der von ihnen erbrachten Leistungen möglicherweise nicht
gewährleisten. Schließlich sind zahlreiche mengenbegrenzende Regelungen in Honorarverteilungsmaßstäben, wie
etwa Fallzahlzuwachsbeschränkungen oder Individualbudgets, auf das einzelne Quartal bezogen. Die Kassenärztliche
Vereinigung muss deshalb gewährleisten können, dass prinzipiell alle Leistungen eines Quartals rechtzeitig
abgerechnet und von derartigen Steuerungsinstrumenten erfasst werden. Hierfür müssen Anreize zur Verlagerung von
Abrechnungen in Folgequartale, etwa wenn die elektronische Erfassung der Abrechnungswerte einer Praxis einen
starken und partiell unerwünschten Fallzahlzuwachs anzeigt, vermieden werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht
nur gestattet, sondern sachlich geboten, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass alle vertragsärztlichen Leistungen eines
Quartals weitestgehend aus den für dieses Quartal von den Krankenkassen entrichteten Gesamtvergütungen honoriert
werden. Die Ausgestaltung von Abrechnungsfristen als materielle Ausschlussfristen ist zur Erreichung einer möglichst
zügigen, zeitgerechten und vollständigen Verteilung der Gesamtvergütung grundsätzlich geeignet. Fristen für die
Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen dienen umso mehr einer schnellen und umfassenden Honorarverteilung, je
weniger Ausnahmen sie zulassen. Auf der anderen Seite können von Ausschlussfristen erhebliche Wirkungen für den
Vergütungsanspruch des Vertragsarztes ausgehen. Vertragsärzte, die auf Grund eines Versehens oder einer
möglicherweise nicht sofort erkennbaren Störung im elektronischen Übermittlungssystem oder in der praxiseigenen
Software einen größeren Teil ihrer Abrechnungen nicht zu dem von der Kassenärztlichen Vereinigung gesetzten
Termin vorlegen, laufen Gefahr, keinerlei Vergütung ihrer vertragsärztlichen Leistungen zu erhalten. Solche
Auswirkungen einer nicht weiter differenzierten und abgestuften Ausschlussfrist sind durch die
Ermächtigungsgrundlage des § 85 Abs. 4 SGB V nicht gedeckt und stellen zugleich eine unverhältnismäßige
Einschränkung des durch Art 12 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Rechts der Vertragsärzte auf eine Honorierung ihrer
Leistungen dar. Das billigenswerte Ziel möglichst frühzeitiger, zu einem einheitlichen Zeitpunkt abgeschlossener
Abrechnungen der vertragsärztlichen Leistungen rechtfertigt und fordert eine rigide und vor allem kurze
Ausschlussfrist nicht (vgl. BSG, Urt. v. 22.06.2005 - B 6 KA 19/04 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 19 = SGb 2006, 370,
juris Rdnr. 21 - 25). Sachgerechterweise kann die nachträgliche Korrektur von bereits vorgelegten
Abrechnungsscheinen ausgeschlossen sein (vgl. BSG, Urt. v. 22.06.2005 - B 6 KA 19/04 R – aaO., Rdnr. 26).
Ausgehend hiervon ist § 6 LZ 601 Satz 7 HVM nicht zu beanstanden (vgl. bereits Urteil der Kammer vom 23.05.2007 -
S 12 KA 1027/06 – www.sozialgerichtsbarkeit.de, Berufung eingelegt; 09.11.2005 – S 12 KA 28/05 –
www.sozialgerichtsbarkeit.de; s. a. SG Marburg, Urt. v. 29.11.2006, - S 12 KA 290/06 -; www.sozialgerichtsbarkeit.de;
SG Marburg, Urt. v. 29.11.2006 - S 12 KA 888/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de).
§ 6 HVM sieht ein abgestuftes System für die Fälle verspäteter Abrechnung vor. Zunächst wird von der Beklagten ein
Termin zur Abrechnung festgelegt (LZ 601 Satz 1 HVM), der in der Regel etwa 10 Tage beträgt. Korrekturen können
noch innerhalb von sechs Wochen nach Ende eines Abrechnungsvierteljahres eingereicht werden (LZ 601 Satz 7
HVM), also etwa innerhalb eines Monats nach Ende der Einreichungsfrist. In begründeten Ausnahmefällen kann diese
Frist verlängert werden (LZ 601 Satz 8 HVM).
Wird innerhalb der Abrechnungsfrist überhaupt keine Abrechnung eingereicht, so kann dennoch die Abrechnung nach
Ablauf der Frist eingereicht werden. Für diesen Fall sieht der HVM eine Verwaltungskostenpauschale wegen des
Mehraufwands vor. Die Verwaltungskostenpauschale ist so bemessen, das ihr Höchstbetrag bei einer Verspätung von
über 50 Tagen erreicht wird (vgl. LZ 603 HVM). Eine Verwirkung tritt erst innerhalb von 12 Monaten nach dem
vorgeschriebenen Einreichungstermin ein (LZ 604 Satz 1 HVM). In begründeten Ausnahmefällen kann aber der
Geschäftsausschuss eine darüber hinaus verspätete Abrechnung zulassen (LZ 601 Satz 2 HVM).
Der HVM der Beklagten differenziert damit hinreichend zwischen der Bedeutung einer unrichtigen und dem gänzlichen
Fehlen einer Abrechnung. Für das gänzliche Fehlen einer Abrechnung lässt er weitergehende Korrekturen zu
beziehungsweise lässt es zu, dass die Abrechnung bis zu einem Jahr verspätet eingereicht wird, in Ausnahmefällen
sogar noch später. Eine Nichtberücksichtigung der gesamten Abrechnung würde auch zwangsläufig zum Verlust des
gesamten Honorars führen. Demgegenüber ist eine teilweise Unrichtigkeit nur von geringerem Gewicht. Die Richtigkeit
und Vollständigkeit der Abrechnung, die ausschließlich im Verantwortungsbereich des die Abrechnung einreichenden
Arztes liegt, ist auch von der Verspätung einer Einreichung der gesamten Abrechnung zu unterscheiden. Ob der HVM
der Beklagten auch die Nachreichung fehlender Teile einer Abrechnung, also bisher nicht eingereichter
Behandlungsfälle zulässt, und innerhalb welcher Fristen, kann hier dahinstehen, da es für den Kläger nur um die
Korrektur bereits abgerechneter Behandlungsfälle geht.
Nach den genannten Abrechnungsregelungen ist die Korrekturfrist nur in "begründeten Ausnahmefällen" zu verlängern.
Es kann hier dahinstehen, ob hierbei ausschließlich Fälle höherer Gewalt zu verstehen sind. Jedenfalls reicht ein
schlichtes Versehen, Vergessen oder fehlerhaftes Abrechnen nicht aus. Der Vertragsarzt kann sich dabei wegen des
Gebots der peinlich genauen Abrechnung auch nicht darauf berufen, bei dem eingesetzten Personal handele es sich
um ein bisher stets zuverlässig gewesenes Personal und er sei seinen Überwachungspflichten wenigstens durch
stichprobenartige Kontrollen nachgekommen. Delegiert er die Abrechnung, so muss er sich das Handeln der
Mitarbeiter insoweit als eigenes Handeln bzw. eigenes Verschulden zurechnen lassen. Erst wenn ein "begründeter
Ausnahmefall" vorliegt, ist Raum für weitere Ermessenserwägungen der Beklagten.
Entsprechend ist auch die Übernahme des § 6 LZ 601 Abs. 5 der vorhergehenden Honorarverteilungsregelung nicht zu
beanstanden, wie die Kammer bereits entschieden hat (vgl. SG Marburg, Urt. v. 26.09.2007, a.a.O.; SG Marburg, Urt.
v. 29.11.2006, - S 12 KA 290/06 -; www.sozialgerichtsbarkeit.de; SG Marburg, Urt. v. 29.11.2006 - S 12 KA 888/06 -
www.sozialgerichtsbarkeit.de; s. a. SG Marburg, Urt. v. 09.11.2005 – S 12 KA 28/05 – www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Die Abrechnungsregelungen sehen ein abgestuftes System für die Fälle verspäteter Abrechnung vor. Zunächst wird
von der Beklagten ein Termin zur Abrechnung festgelegt (§ 8, Abschnitt 8.1 Abs. 1 HVV), der in der Regel etwa 10
Tage beträgt. Korrekturen können noch innerhalb von zehn Wochen nach Ende eines Abrechnungsvierteljahres
eingereicht werden, also etwa innerhalb von über zwei Monaten nach Ende der Einreichungsfrist. In begründeten
Ausnahmefällen kann diese Frist verlängert werden.
Soweit es jedenfalls nicht um das gänzliche Fehlen einer Abrechnung, sondern lediglich um die Korrektur bereits
abgerechneter Behandlungsfälle geht, ist dieses abgestufte System nicht zu beanstanden. Eine teilweise Unrichtigkeit
der Abrechnung ist gegenüber dem Fehlen oder dem Ausschluss der gesamten Abrechnung von geringerem Gewicht.
Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Abrechnung, die ausschließlich im Verantwortungsbereich des die Abrechnung
einreichenden Arztes liegt, ist auch von der Verspätung einer Einreichung der gesamten Abrechnung zu
unterscheiden. Ob der HVV auch die Nachreichung fehlender Teile einer Abrechnung, also bisher nicht eingereichter
Behandlungsfälle zulässt, und innerhalb welcher Fristen, kann hier dahinstehen, da es für die klägerische Praxis nur
um die Korrektur bereits abgerechneter Behandlungsfälle geht.
Im Fall des Klägers liegt aber nach der genannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folgt,
ein Ausnahmefall vor. Danach laufen Vertragsärzte, die auf Grund eines Versehens oder einer möglicherweise nicht
sofort erkennbaren Störung im elektronischen Übermittlungssystem oder in der praxiseigenen Software einen größeren
Teil ihrer Abrechnungen nicht zu dem von der Kassenärztlichen Vereinigung gesetzten Termin vorlegen, Gefahr,
keinerlei Vergütung ihrer vertragsärztlichen Leistungen zu erhalten. Solche Auswirkungen einer nicht weiter
differenzierten und abgestuften Ausschlussfrist sind durch die Ermächtigungsgrundlage des § 85 Abs. 4 SGB V nicht
gedeckt und stellen zugleich eine unverhältnismäßige Einschränkung des durch Art 12 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten
Rechts der Vertragsärzte auf eine Honorierung ihrer Leistungen dar.
Dies gilt nach Auffassung der Kammer auch, wenn erhebliche Teile der Honorarabrechnung nicht in die Vergütung
eingehen und besondere Umstände hinzukommen. Nach den Berechnungen der Beklagten würde die
Berücksichtigung der Pseudoziffern zu einer Höhervergütung von 37.000 EUR im Quartal II/05 und 17.000 EUR im
Quartal III/05 führen. Der Kläger würde dadurch ein um 68,3 % bzw. 49,5 % höheres Honorar erhalten bzw. der Verlust
beträgt 40,5 % bzw. 33,1 % des dem Kläger mit ca. 91.172 EUR bzw. 51.315 EUR eigentlich zustehenden
Bruttohonoraranspruchs. In dieser Größenordnung lag auch sein Honorar in den Vor- und Nachfolgequartalen. Hinzu
kommt, dass sich aus dem Honorarverteilungsvertrag nicht eindeutig entnehmen lässt, dass ein Wahlrecht bzgl. der
Angabe der Pseudoziffern bestand. Für die vom Kläger hier abgerechneten und strittigen Leistungen ist jedenfalls
nicht erkennbar, welchen Vorteil er bei Nichtangabe der Pseudoziffer gehabt haben sollte, da diese Leistungen keiner
Budgetierung nach der sog. 54er Liste unterlagen. Hinzu kommt, dass er die Pseudoziffern auf den
Dokumentationsbögen angegeben hatte, wenn auch offensichtlich in Verkennung des Umstands, dass diese nicht zur
Honorarabrechnung herangezogen würden, und diese innerhalb der Abrechnungsfristen bei der Beklagten eingereicht
hatte.
Unter verfassungskonformer Auslegung liegt insoweit ein "begründeter Ausnahmefall" vor, der zur Verlängerung der
Korrekturfrist nach den genannten Abrechnungsregelungen führt.
Die Beklagte wird daher bei einer Neubescheidung die nachträgliche Angabe der Pseudoziffern zu berücksichtigen und
das Honorar auf dieser Grundlage neu zu berechnen haben. Dies gilt nur für die Leistungen, die extrabudgetär vergütet
werden, worunter nicht alle vom Kläger angegebene Leistungen fallen.
Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten
des Verfahrens.