Urteil des SozG Fulda vom 03.01.2011

SozG Fulda: vorverfahren, vergütung, angemessene entschädigung, vorbefassung, post, telekommunikation, vorschuss, anwendungsbereich, gebühr, minderung

Sozialgericht Fulda
Beschluss vom 03.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Fulda S 3 SF 43/10 E
Hessisches Landessozialgericht L 2 R 39/11 B
1. Auf die Erinnerung des Erinnerungsführers wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle des SG Fulda vom 03.02.2009 für das Verfahren S 3 R 219/05 geändert und die aus der Staatskasse
zu zahlende Vergütung auf 226,10 EUR festgesetzt.
2. Die weitergehende Erinnerung wird zurückgewiesen
3. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe des im Rahmen vor dem SG Fulda geführten Verfahrens S 3 R 219/05 aus der
Staatskasse zu gewährenden Vergütungsvorschusses.
Der hiesige Erinnerungsführer hat den Kläger im Ausgangsrentenverfahren S 3 R 219/05 als Prozessbevollmächtigter
vertreten. Unter dem 31.08.2005 erhob er Klage und beantragte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter
seiner Beilordnung. Mit Beschluss vom 11.11.2005 bewilligte die 3. Kammer die beantragte Prozesskostenhilfe und
ordnete den Erinnerungsführer ab Klageerhebung als Rechtsanwalt bei.
Ausweislich des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 hat der Erinnerungsführer den Kläger des
Ausgangsverfahrens bereits im Vorverfahren vertreten.
Im Hinblick auf beim Bundessozialgericht anhängige Revisionsverfahren, wurde das Ausgangsverfahren S 3 R 219/05
mit Beschluss vom 09.01.2006 zum Ruhen gebracht.
Am 30.01.2009 beantragte der Erinnerungsführer, den aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütungsvorschuss
wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG 250,- EUR Anrechnung, Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG - 35,- EUR Pauschale für
Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,- EUR Zwischensumme 235,- EUR 19 % Mehrwertsteuer Nr.
7008 VV RVG 37,60 EUR Gesamt 272,60 EUR
Mit dem angegriffenen Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 03.02.2009 hat der Urkundsbeamte der
Geschäftsstelle den Vergütungsvorschuss wie folgt festgesetzt:
Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG 170,- EUR Anrechnung, Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG - 35,- EUR Pauschale für
Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,- EUR Zwischensumme 155,- EUR 19 % Mehrwertsteuer Nr.
7008 VV RVG 24,80 EUR Gesamt 179,80 EUR
Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der Erinnerungsführer den Kläger des Ausgangsverfahrens bereits im
Widerspruchsverfahren vertreten habe, so dass für die Verfahrensgebühr der Gebührenrahmen Nr. 3103 VV RVG zu
berücksichtigen sei. Die Ansetzung der Mittelgebühr sei nicht zu beanstanden. Gem. Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG sei die
Geschäftsgebühr aus der Beratungshilfe zur Hälfte anzurechen.
Am 18.02.2009 erhob der Erinnerungsführer gegen den Beschluss des Urkundsbeamten Erinnerung. Er ist der
Auffassung, der Urkundsbeamte habe bereits den falschen Gebührenrahmen für die Verfahrensgebühr zugrunde
gelegt, maßgeblich sei Nr. 3102 VV RVG. Selbst wenn man aber bei der Verfahrensgebühr den (reduzierten)
Gebührenrahmen Nr. 3103 VV RVG zugrunde lege, stelle die hälftige Anrechnung der Beratungshilfe gem. Nr. 2503
VV RVG eine unzulässige doppelte Anrechung dar. Eine weitere Reduzierung der Verfahrensgebühr aus Nr. 3103 VV
RVG verbiete sich schon deshalb, weil bereits aus der Anmerkung zu Nr. 3103 VV RVG hervorginge, dass
Synergieeffekte aus einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren nicht zu berücksichtigen seien. Zudem stünde
derjenige Anwalt, der einen Kläger ausschließlich im Klageverfahren vertrete im Ergebnis besser dar, als derjenige der
unter Bewilligung von Beratungshilfe im Vorverfahren tätig war.
Unter Bezugnahme auf der Rechtssprechung des 1. Senats des LSG NW (Beschl. v. 18.03.2008 - L 1 B 21/07 AL,
juris), ihrerseits bezugnehmend auf die Gesetzesmaterialien, ist der Erinnerungsführer der Auffassung, dass – soweit
man vom Gebührenrahmen Nr. 3103 VV RVG ausgehe – es an einer Rechtsgrundlage für eine Anrechnung gem. Nr.
2503 Abs. 2 VV RVG fehle.
Der Erinnerungsführer beantragt: Den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
des SG Fulda vom 03.02.2009 für das Verfahren S 3 R 219/05 abzuändern und die aus der Staatskasse zu zahlende
Vergütung auf 321,30 EUR festzusetzen.
Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen und der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
Der Erinnerungsgegner beantragt: Die Erinnerung zurückzuweisen.
Für die Staatskasse hat der Bezirksrevisor beim HessLSG Stellung genommen. Er hält den angefochtenen Beschluss
des Urkundsbeamten für rechtmäßig. Zutreffend sei der Urkundsbeamten vom Gebührenrahmen Nr. 3103 VV RVG für
die Verfahrensgebühr ausgegangen. Auch die Anrechnung der Beratungshilfegeschäftsgebühr gem. Nr. 2503 VV RVG
sei zu Recht erfolgt, insbesondere liege keine unzulässige Doppelanrechung vor. Der Erinnerungsgegner bezieht sich
insoweit auf eine Entscheidung des 12. Senats des LSG NW (Beschl. v. 01.02.2007 – L 12 B 8/06 AS, juris).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen
Akten des Verfahrens S 3 R 219/05 Bezug genommen.
II.
Die gem. § 56 Abs. 1 RVG statthafte Erinnerung ist zulässig und hat in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg.
Zutreffend ist der Urkundsbeamte aber vom Gebührenrahmen Nr. 3103 VV RVG für die Verfahrensgebühr
ausgegangen (dazu sogleich unter 1.). Der angegriffene Vergütungsfestsetzungsbeschluss erweist sich jedoch als
rechtswidrig, soweit der Urkundsbeamte die Gebühren der Beratungshilfe auf den Vergütungsanspruch für das
gerichtliche Verfahren zur Hälfte angerechnet hat (dazu sogleich unter 2.). Der Erinnerungsführer hat Anspruch auf
einen Gebührenvorschuss in Höhe von 226,10 EUR.
Rechtsgrundlage für den beantragten Vorschuss auf die Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt ist § 47 Abs. 1 S.
1 RVG. Danach kann der Rechtsanwalt, dem wegen seiner Vergütung ein Anspruch gegen die Staatskasse zusteht,
für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der
Staatskasse einen angemessenen Vorschuss fordern.
Gem. § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG
nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalt aus der
Landeskasse zu erstatten sind, § 45 Abs. 1 RVG. Es handelt sich bei dem Ausgangsverfahren um ein Verfahren mit
kostenprivilegierten Beteiligten im Sinne von § 183 S. 1 SGG. Damit scheidet die Anwendung des GKG gem. § 197a
Abs. 1 S. 1 SGG aus und die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1
zum RVG.
Gem. § 45 Abs. 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt seine gesetzliche
Vergütung, die er sonst von seinem Mandanten verlangen könnte, aus der Staatskasse, soweit im 8. Abschnitt des
RVG (§§ 44 bis 59) nichts anderes bestimmt ist. Er kann dabei nach § 48 Abs. 1 RVG sämtliche Gebühren und
Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab dem Wirksamwerden seiner Beiordnung ergeben. Die von
ihm danach aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung und der Vorschuss darauf wird auf Antrag des
Rechtsanwalts grundsätzlich (vgl. aber § 55 Abs. 2 RVG) vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des
ersten Rechtszuges festgesetzt, § 55 Abs. 1 S. 1 RVG.
Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt gem. § 3 Abs. 1 RVG i.V.m. § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall
unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem
Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von
einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig
ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien
des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet. Dabei ist
für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche
Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer
Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen.
Als Gebühren und Auslagen, welche gesetzlich geltend gemacht werden können, sind vorliegend – unstreitig – die
Verfahrensgebühr und die Auslagenpauschale angefallen. Zutreffend und ebenfalls unstreitig gehen die Beteiligten
auch von einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Verfahren aus, so dass die Mittelgebühr zu berücksichtigen ist.
1. Zutreffend wird im Vergütungsfestsetzungsbeschluss bei der Verfahrensgebühr auf den Gebührenrahmen Nr. 3103
VV RVG abgestellt, weil der Erinnerungsführer bereits im Vorverfahren tätig war.
Die vom Erinnerungsführer vorgetragene Ungleichbehandlung" in Bezug auf die differenzierte Vergütung von im
Vorverfahren tätigen Anwälten und solchen die ausschließlich im Klageverfahren aufgetreten sind, sieht die Kammer
ebenfalls.
Losgelöst von der Problematik der hälftigen Anrechnung der im Wege der Beratungshilfe erhaltenen Vergütung gem.
Nr. 2503 VV RVG stellt sich die Vergütungssituation wie folgt dar.
Der ausschließlich im Klageverfahren befasste Anwalt erhielt die Verfahrensgebühr aus dem Gebührenrahmen Nr.
3102 VV RVG in Höhe von 250,- EUR (Mittelgebühr), die Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,-
EUR sowie die Mehrwertsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 51,30 EUR mithin im Ergebnis 321,30 EUR.
Der bereits im Vorverfahren tätige Anwalt erhielt hingegen für ein Verfahren gleicher Wertigkeit die Verfahrensgebühr
aus dem Gebührenrahmen Nr. 3103 VV RVG in Höhe von 170,- EUR (Mittelgebühr), die Auslagenpauschale gem. Nr.
7002 VV RVG in Höhe von 20,- EUR sowie die Mehrwertsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 36,10 EUR mithin
im Ergebnis 226,10 EUR.
Sofern der im Vorverfahren befasste Anwalt für diese Tätigkeit Beratungshilfe erhalten hat, erhöht sich die erzielte
Vergütung um diesen Betrag (75,- EUR gem. Nr. 2503 VV RVG). Weitere – über die Beratungshilfe hinausgehende –
Vergütungsansprüche für das Vorverfahren wird der Anwalt gegenüber dem Mandanten nicht geltend machen können,
auch wenn es im Beratungshilfegesetz eine dem § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entsprechende Norm, welche für das
Prozesskosthilfeverfahren weitere Ansprüche gegen den Mandanten ausschließt, nicht gibt.
Stellt man insoweit unter Berücksichtigung der Beratungshilfe auf die Bruttobeträge der Vergütungsansprüche ab,
welche die Tätigkeit (keine Auslagenpauschale oder Steuern) des Anwalts betreffen, mithin vorliegend die
Beratungsgebühr für das Vorverfahren sowie die Verfahrensgebühr für das Klageverfahren, ergibt sich eine Differenz
von 5,- EUR (zzgl. weitere 35,- EUR wenn man Nr. 3103 Abs. 2 S. 1 VV RVG für anwendbar erachtet, dazu sogleich
unter 2.), die der Anwalt, der ausschließlich im Klageverfahren auftritt, gegenüber demjenigen, der auch im
Vorverfahren tätig war, zusätzlich erhält, obschon dieser regelmäßig weniger Aufwand hatte. Anders formuliert erhält
der im Vorverfahren tätige Anwalt rechnerisch betrachtet nicht nur das Vorverfahren (für das gem. Nr. 2400 VV RVG
regelmäßig eine Geschäftsgebühr in Höhe von 240,- EUR anfällt) überhaupt nicht vergütet, er erhält gegenüber dem
ausschließlich im Klageverfahren tätigen Anwalt auch noch 5,- EUR (zzgl. weitere 35,- EUR wenn man Nr. 3103 Abs.
2 S. 1 VV RVG für anwendbar erachtet, dazu sogleich unter 2.) weniger Gebühren für das Klageverfahren.
Diese Gebührenfolge erscheint auch der Kammer nicht unproblematisch. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen
Vorgaben aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG (vgl. zu Anwendbarkeit von Art. 12 GG in Bezug auf
Vergütungsregelungen, BVerfG, Beschl. v. 30.03.1993 – 1 BvR 1045/89 u.a., juris, Rn. 49 ff.; BVerfG, Beschl. v.
23.08.2005 – 1 BvR 46/05, juris, Rn. 16 ff.) hat die Kammer erwogen, den Anwendungsbereich des (reduzierten)
Gebührenrahmens der Verfahrensgebühr aus Nr. 3103 VV RVG teleologisch zu reduzieren, um in Fällen wie dem
vorliegenden auf den Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV RVG abstellen zu können.
Eine solche Auslegung dürfte aber – insbesondere im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut – die Grenzen
richterlicher Rechtsfortbildung übersteigen. Der Gesetzgeber hält sich innerhalb seines verfassungsrechtlich
zugebilligten Einschätzungsspielraums, wenn er das Risiko der Realisierbarkeit der Anwaltsgebühren für ein
Vorverfahren, bei verlorenem Klageverfahren, dem Anwalt aufbürdet, gleichzeitig aber die Synergieeffekte
gebührenmindernd bei den Gebühren für ein Klageverfahren (nur diese werden von der PKH abgedeckt) berücksichtigt.
Die Kammer hält daher weiterhin den Gebührenrahmen aus Nr. 3103 VV RVG für anwendbar.
2. Zur Frage der Anrechnung der erhaltenen Beratungshilfe gem. Nr. 2503 Abs. 2 S. 1 VV RVG auf die
Verfahrensgebühr aus Nr. 3103 VV RVG hat jüngst der 6. Senat des LSG NW (Beschl. v. 29.11.2010 – L 6 AS 52/10
B, juris, Rn. 22 ff.) Folgendes ausgeführt:
22 Auf die angefallenen Gebühren ist die Beratungshilfegebühr, die der Beschwerdeführer auf Anweisung des
Amtsgerichts XY. erhalten hat, nicht nach Nr. 2503 Abs. 2 S. 1 VV RVG anzurechnen.
23 Zur Überzeugung des Senats ist die Vorschrift der Nr. 2503 Abs. 2 S. 1 VV RVG nicht auf Verfahren anzuwenden,
in denen sich an die Beratungshilfe ein gerichtskostenfreies sozialgerichtliches Verfahren anschließt (ebenso LSG
NRW, Beschluss vom 16.12.2009, L 19 B 180/09 AS Rn 70 m.w.N. auch zur gegenteiligen Auffassung). In diesen
Fällen ist die Gebührenvorschrift der Nr. 3103 VV RVG als die Anrechnung einer Vorbefassung abschließend regelnde
Sondervorschrift anzusehen.
24 Der Wortlaut der Nr. 2503 Abs. 2 S. 1 VV RVG selbst schließt zwar eine Kürzung der Gebühren für ein
nachfolgendes kostenprivilegiertes Verfahren nicht aus. Eine einschränkende Auslegung ist aber durch Sinn und
Zweck der Anrechnungsvorschrift geboten. Mit der Anrechnung der nach Nr. 2503 Abs. 1 VV RVG für die Tätigkeit in
einem behördlichen Verfahren anfallenden Beratungshilfegebühr auf die Gebühren des nachfolgenden gerichtlichen
Verfahrens soll berücksichtigt werden, dass aufgrund der Vorbefassung für den bevollmächtigten Rechtsanwalt
regelmäßig ein geringerer Arbeitsaufwand entsteht. Der Zweck der Vorschrift liegt somit darin, eine übermäßige
Vergütung zu verhindern, wenn die Vorbefassung des Anwalts mit der Angelegenheit für den Arbeitsaufwand im
Klageverfahren einen Synergieeffekt zeitigt (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 16.12.2009, L 19 B 180/09 AS
unter Hinweis auf die gesetzliche Entwicklung der Vorschrift). Anders als in den Verfahren mit streitwertgebundenen
Wertgebühren wird Synergieeffekten bei einer Vorbefassung in gerichtskostenprivilegierten sozialgerichtlichen
Verfahren bereits durch eine Minderung des Gebührenrahmens Rechnung getragen. So bestimmt der
Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV RVG, dass sich die erstinstanzliche Verfahrensgebühr, die nach Nr. 3102 VV
RVG 40,00 bis 460,00 Euro beträgt, bei einer vorausgegangenen Tätigkeit im Verwaltungsverfahren auf 20,00 bis
320,00 Euro mindert. Ein sachlicher Grund, der es rechtfertigt, die Vorbefassung des Rechtsanwalts nach dieser
Minderung noch ein weiteres Mal durch Anrechnung der Beratungshilfegebühr nach Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG ist nicht
ersichtlich. Aus der Gesetzesbegründung zu Nr. 2503 VV RVG (vormals: Nr. 2603 VV RVG) ist nicht erkennbar, dass
der Gesetzgeber ausnahmsweise eine doppelte Berücksichtigung beabsichtigt hat (vgl. LSG NRW, a.a.O. m.w.N.).
Auch die Gesetzessystematik spricht gegen eine auf dem selben Umstand beruhende zweifache Gebührenminderung.
An keiner anderen Stelle sieht das RVG eine doppelte Berücksichtigung von Arbeitsersparnis vor. Für die Bemessung
der Gebührenhöhe innerhalb des Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG wird vielmehr sogar ausdrücklich
festgelegt, dass eine Anrechnung der Arbeitsersparnis wegen Vorbefassung lediglich einmal erfolgen darf (Anmerkung
1 zu Nr. 3103 VV RVG). Darüber hinaus wäre nicht erklärlich, warum ein Rechtsanwalt, der für einen Kläger im
vorausgegangenen Widerspruchsverfahren im Rahmen der Beratungshilfe tätig war, eine geringere Gebühr erhält als
derjenige, dessen Mandant in diesem Zeitraum die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von
Beratungshilfe nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Beratungshilfegesetzes (BerHG) noch nicht erfüllt hat. Dies gilt um so mehr
als die Rechtsanwälte nach § 49a S. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verpflichtet sind, Beratungshilfe zu
gewähren. Bei Vorlage eines Beratungshilfescheins ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, das Mandat zu übernehmen,
unabhängig davon, wie er die Erfolgsaussichten des Begehrens beurteilt. Des Weiteren muss er einen Auftraggeber
bei begründetem Anlass auf den möglichen Anspruch aus Beratungshilfe hinweisen (§ 16 Abs. 1 BRAO). Eine
Verletzung dieser Pflicht kann den Rechtsanwalt schadensersatzpflichtig machen (LSG NRW, a.a.O., Rn 77). Stellt
aber die Heranziehung der Rechtsanwälte zur Gewährung von Beratungshilfe einen Eingriff in ihre in Art. 12
Grundgesetz geschützte freie Berufsausübung dar, hat der Staat hierfür eine angemessene Entschädigung zu leisten
(BVerfG, Beschluss vom 04.12.2006, 1 BvR 1198/06 Rn 14 m.w.N.). Dies würde bei einer doppelten Anrechnung in
Frage gestellt.
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich die Kammer an (vgl. zu dieser kontrovers diskutierten Frage
weiterhin: wie hier, gegen eine Anrechnung: SächsLSG, Beschl. 12.08.2009 – L 6 R 167/09 B KO, juris, Rn. 32 ff.; SG
Augsburg, Beschl. v. 11.05.2009 – S 3 SF 100/09 E, juris, Rn. 10 ff.; SG Berlin, Beschl. v. 02.10.2009 – S 164 SF
1112/09, juris, Rn. 4 ff.; a.A. für eine Anrechnung: 1. Senat des LSG NW, Beschl. v. 29.10.2009 – L 1 B 6/09 AS,
juris, Rn. 12 ff. [unter Aufgabe seiner vorher gegenteiligen Rechtsprechung, vgl. Beschl. v. 18.03.2008 – L 1 B 21/07
AL, juris, Rn. 8 ff.]; 12. Senat des LSG NW, Beschl. v. 01.02.2007 – L 12 B 8/06 AS, juris, Rn. 3 ff.; ThürLSG,
Beschl. v. 26.01.2009 – L 6 B 256/08 SF, juris Rn. 14 ff.;).
Nach allem war der Vergütungsvorschuss wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG 170,- EUR Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,-
EUR Zwischensumme 190,- EUR 19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG 36,10 EUR Gesamt 226.10 EUR
Die im Hinblick auf den richtigen Gebührenrahmen weitergehende Erinnerung war zurückzuweisen.
Gerichtskosten werden gem. § 56 Abs. 2 S. 2 RVG im Verfahren über die Erinnerung nicht erhoben. Kosten werden
gem. § 56 Abs. 2 S. 3 RVG nicht erstattet.
Gegen diese Entscheidung ist gem. § 56 Abs. 2 RVG grundsätzlich die Beschwerde statthaft. Ein Vorrang des
Normgefüges des SGG, dahin gehend, dass (auch) gegen Erinnerungen nach § 56 Abs. 1 RVG eine Beschwerde
gem. § 197 Abs. 2 SGG ausgeschlossen ist, erscheint schon deshalb bedenklich, weil die Erinnerung nach § 56 Abs.
1 RVG sich auf Vergütungsfestsetzungen (aus der Staatskasse) gem. § 55 RVG bezieht. § 197 Abs. 2 SGG bezieht
sich hingegen auf Kostenfestsetzungen (zwischen den Beteiligten) gem. § 197 Abs. 1 SGG (wie hier: LSG NW,
Beschl. v. 29.01.2008 – L 1 B 35/07 AS, juris, Rn. 8; bestätigt durch LSG NW, Beschl. v. 10.12.2009 – L 19 B 218/09
AS, juris, Rn. 25; ebenso mit abweichenden Begründungen HessLSG, Beschl. v. 25.05.2009 – L 2 SF 50/09 E, soweit
ersichtlich nicht veröffentlicht; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 17.07.2008 – L 6 B 93/07, juris Rn. 21 ff.;
a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24.02.2009 – L 15 SF 9/09 B, juris, Rn. 7 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschl. v. 28.10.2008 – L 9 B 19/08 AS SF, juris, Rn. 3 ff.).
Vorliegend wird indessen nicht der Beschwerdewert gem. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG in Höhe von 200,- EUR erreicht,
welcher gem. § 56 Abs. 2 S. 1 RVG vorliegend anzuwenden ist. Die Kammer sah sich aber gehalten, im Hinblick
darauf, dass das HessLSG sich zu dieser Thematik – soweit ersichtlich – bis dato noch nicht Stellung bezogen hat,
die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen.