Urteil des SozG Duisburg vom 28.06.2007

SozG Duisburg: aufschiebende wirkung, verpflegung, überwiegendes öffentliches interesse, aufrechnung, stationäre behandlung, ärztliche behandlung, vollziehung, anfechtungsklage, mitteilungspflicht

Sozialgericht Duisburg, S 10 AS 51/07 ER
Datum:
28.06.2007
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 10 AS 51/07 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16.04.2006 gegen den
Bescheid vom 12.10.2006 in Gestalt des Änderungsbescheides vom
07.12.2006 und des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2007 wird
angeordnet. Die Aufhebung der Vollziehung der Bescheides vom
12.10.2006 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 07.12.2006 und
des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2007 wird angeordnet. Die
Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der
Antragsstellerin.
Gründe:
1
I.
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Im Streit ist die Frage, ob die der Antragstellerin gewährte Regelleistung für die Dauer
eines stationären Krankenhausaufenthaltes wegen der damit verbundenen Verpflegung
der Antragstellerin um 35 vom 100 zu kürzen ist.
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Die am 14.09.1980 geborene Antragstellerin lebt seit November 2004 in Essen und
bezieht seit Januar 2005 von der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB II. Mit
Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.06.2005 wurden der Antragstellerin für den
Zeitraum vom 01.07.2005 bis zum 31.12.2005 die Regelleistung zur Sicherung des
Lebensunterhaltes in Höhe von 345,- Euro und die Kosten für die Unterkunft und
Heizung in Höhe von 310,- Euro, dass heißt ein monatlicher Gesamtbetrag von 655,-
Euro bewilligt.
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Die Antragstellerin befand sich in der Zeit vom 09.11.2005 bis zum 25.01.2006 in
stationärer psychiatrischer Behandlung im Marienhospital in D ... In einem Telefonat
informierte die Antragstellerin die Antragsgegnerin über ihren stationären
Krankenhausaufenthalt. Darauf hin wurde sie von der Antragsgegnerin mit Schreiben
vom 17.11.2005 darauf hingewiesen, dass ihre Regelsatzleistung für die Dauer des
stationären Krankenhausaufenthaltes um 35 vom 100 gekürzt werde. Gleichzeitig wurde
die Antragstellerin gebeten, eine Bescheinigung des Krankenhauses über die
voraussichtliche Dauer des stationären Aufenthaltes vorzulegen. Das Schreiben enthält
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am Ende den Hinweis, dass gegen den Bescheid innerhalb eines Monats nach
Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden könne.
Mit Schreiben vom 23.11.2005 legte die Antragstellerin gegen die mit Schreiben vom
17.11.2005 angekündigte Kürzung des Arbeitslosengeldes II Widerspruch ein und wies
zur Begründung darauf hin, dass sie sich zwar seit dem 09.11.2005 in stationärer
Behandlung befinde, dass zur therapeutischen Behandlung jedoch auch Tages- und
Wochenenderprobungen mit Aufenthalt in der eigenen Wohnung beziehungsweise in
der Wohnungsumgebung gehörten, so dass ihr insoweit zusätzliche Kosten für Hin- und
Rückfahrt sowie Verpflegung an diesen Tagen entstünden. Gleichzeitig legte die
Antragstellerin eine entsprechende Bescheinigung des Marienhospitales D. vor.
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Auf den Fortzahlungsantrag der Antragstellerin hin wurden ihr mit Bescheid der
Antragsgegnerin vom 21.12.2005 für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 30.06.2006
monatliche Leistungen in Höhe von 534,25 Euro bewilligt. Dabei wurde von dem
Gesamtbedarf in Höhe von 655,- Euro ein Einkommen in Höhe von 120,75 Euro in
Abzug gebracht. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass durch die stationäre
Unterbringung bedingt die Regelleistung um 35 vom 100 (120,75, Euro) zu kürzen
gewesen sei. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom
27.12.2005 und 11.01.2006 Widerspruch und wies nochmals auf die mit den
Wochenend- und Tageserprobungen verbundenen Aufwendungen hin. Auf Anforderung
der Antragsgegnerin legte sie eine Bescheinigung des Marienhospitales vor, aus der
sich ergab, dass der stationäre Aufenthalt bis zum 25.01.2006 befristet war und im
Januar 2006 insgesamt drei Wochenenderprobungen eine Tageserprobung konkret
durchgeführt worden waren.
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Am 01.02.2006 erging bezogen auf den Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 30.06.2006
ein Änderungsbescheid der Antragsgegnerin, mit dem für die Zeit ab dem 01.02.2006
die Regelleistung in Höhe von 345,- Euro und die Kosten für Unterkunft und Heizung in
Höhe von 310,- Euro monatlich ungekürzt, dass heißt in einer Gesamthöhe von 655,-
Euro bewilligt wurde. Für den Monat Januar 2006 wurde ein Einkommen in Höhe von
104,65 Euro angerechnet, so dass sich ein Zahlbetrag in Höhe von 550,35 Euro ergab.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Kürzung aufgrund der stationären
Behandlung der Antragstellerin ab dem 27.01.2006 aus der Berechnung genommen
worden sei, da die stationäre Behandlung nur bis zum 26.01.2006 angedauert habe.
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Am 09.06.2006 erging ein Abhilfebescheid der Antragsgegnerin bezüglich des
Widerspruches der Antragstellerin vom 23.11.2005, mit dem eine teilweise Aufhebung
der Kürzung der Regelleistung erfolgte und eine Nachzahlung in Höhe von 32,19 Euro
angekündigt wurde. Die Neuberechnung wurde mit Änderungsbescheid vom
12.06.2006 vorgenommen, in dem für den Monat Januar 2006 nur noch ein Einkommen
in Höhe von 72,46 Euro in Abzug gebracht wurde, so dass sich ein Zahlbetrag in Höhe
von 582,54 Euro (vorher: 550,35 Euro) ergab. Als Grund für die Änderung wurde
angegeben, dass eine Kürzung der Regelleistung nur noch für die Zeit vom 06.01.2006
bis zum 22.01.2006 vorgenommen worden sei.
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Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 04.07.2006 wurde die Antragstellerin zu einer
beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes II für die
Zeit vom 09.11.2006 bis zum 31.12.2006 angehört. Dabei wurde darauf hingewiesen,
dass sich der Leistungsanspruch wegen der stationären Unterbringung der
Antragstellerin um 209,30 Euro verringert habe und dass die Antragstellerin die
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Überzahlung verursacht habe, weil sie eine für den Leistungsanspruch erhebliche
Änderung in ihren Verhältnissen nicht angezeigt habe. Darauf hin übersandte die
Antragstellerin den gesamten während ihrer Klinikzeit geführten Schriftwechsel an die
Antragsgegnerin und machte darauf aufmerksam, dass sie ihren Mitteilungspflichten
während des Krankenhausaufenthaltes nachgekommen sei.
Am 12.10.2006 erging ein Bescheid der Antragsgegnerin, mit dem der
Bewilligungsbescheid vom 30.06.2005 in Höhe von 209,30 Euro zurückgenommen und
der überzahlte Betrag von der Antragstellerin zurück gefordert wurde. Zur Begründung
wurde ausgeführt, dass Änderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen mitgeteilt
worden seien und für die Zeit vom 09.11.2005 bis zum 31.12.2005 keine Nachweise
oder Hinweise vorlägen, die es rechtfertigen würden, von einer Rückforderung der zu
Unrecht gewährten Leistungen abzusehen. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen,
dass der bestehende Erstattungsanspruch in Höhe von 217,35 Euro ab März 2007 in
fünf Monatsraten in Höhe von jeweils 43,47 Euro von der Regelleistung einbehalten
würden.
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Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 25.10.2006 Widerspruch und bat
um Angabe der Rechtsgrundlagen für die Entscheidung der Antragsgegnerin. Darauf
hin teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 07.12.2006 mit, dass ihre
Entscheidungen nach dem SGB II und den Richtlinien der Agentur für Arbeit getroffen
würden. Ferner wurde mitgeteilt, dass der im Bescheid angegebene
Rückzahlungsbetrag in Höhe von 217,35 Euro und die sich daraus ergebende
Monatsrate in Höhe von 43,47 Euro fehlerhaft seien, da von der Antragstellerin nur ein
Betrag von 209,30 Euro zu erstatten sei. Dieser Betrag werde ab März 2007 in
monatlichen Raten von 41,86 Euro von der Regelleistung einbehalten.
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Die Antragsgegnerin zahlte im Monat März 2007 und in den folgenden Monaten
Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 613,14 Euro an die Antragstellerin aus,
nachdem mit Bescheid vom 20.10.2006 für den Zeitraum vom 01.12.2006 bis zum
31.05.2007 Leistungen in Höhe von 655,- Euro bewilligt worden waren.
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Mit Schriftsatz vom 02.03.2007 wies die Antragstellerin darauf hin, dass ihr Widerspruch
gegen den Aufrechnungsbescheid aufschiebende Wirkung habe. Jedenfalls sei ihr
Vorbringen im Widerspruchsverfahren als ein Antrag auf Anordnung der Aussetzung der
Vollziehung auszulegen, falls die Antragsgegnerin nicht von einer aufschiebenden
Wirkung des Widerspruches ausgehen würde. Für den Fall, dass die Antragsgegnerin
die Aufrechnung fortsetzen würde, wurde die gerichtliche Geltendmachung im Rahmen
eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens angekündigt.
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Nachdem die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 07.03.2007 mitgeteilt hatte, dass ihrer
Auffassung nach der Widerspruch der Antragstellerin keine aufschiebende Wirkung
habe und die Aufrechnung fortgesetzt würde, hat die Antragstellerin mit einem am
14.03.2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz einen Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gestellt.
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Während des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hat die Antragsgegnerin den
Widerspruch mit Bescheid vom 04.04.2007 mit der Begründung zurückgewiesen, die
teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides für den Zeitraum vom 09.11.2005 bis
zum 31.12.2005 sei zu Recht erfolgt, weil die Verpflegung der Antragstellerin während
des stationären Krankenhausaufenthaltes als bedarfsmindernde Leistung mit einem
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Wert von 35 vom 100 der Regelleistung zu berücksichtigen sei. Die Voraussetzungen
für eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung lägen vor, weil die Antragstellerin
ihrer Pflicht zur Mitteilung von nachteiligen Änderungen der Verhältnisse grob fahrlässig
nicht nachgekommen sei. Die Aufrechnung sei nach § 43 SGB II zulässig, da
Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bis zu einem Betrag von 30 vom
100 der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit
Erstattungsansprüchen aufgerechnet werden könnten, die der Hilfebedürftige durch
vorsätzliche oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst
habe.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 18.04.2007 Klage erhoben, die bei
dem Sozialgericht Duisburg unter dem Aktenzeichen S 10 AS 73/07 anhängig ist.
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Die Antragstellerin ist der Auffassung, die aufschiebende Wirkung der Klage sei
anzuordnen, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Aufhebungsbescheides bestünden und die Antragstellerin bei Durchführung der
Aufrechnung nicht in der Lage sei, die laufenden Kosten des Lebensunterhaltes und der
Unterkunft zu bestreiten. Für die von der Antragsgegnerin vorgenommene Kürzung der
Regelleistung wegen der mit dem stationären Krankenhausaufenthalt verbundenen
Verpflegung fehle es an einer Rechtsgrundlage, da in § 19 SGB II die Höhe des
Regelsatzes abschließend im Sinne einer Pauschalisierung festgelegt worden sei und
es dem Wesen der Pauschalisierung widerspreche, bei einem tatsächlich geringeren
Bedarf eine Kürzung der Regelleistung vorzunehmen.
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Die Antragstellerin beantragt schriftlichsätzlich,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 12.10.2006 in Gestalt
des Widerspruchbescheides vom 04.04.2007 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
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den Antrag zurückweisen.
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Sie ist der Ansicht, der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei nicht offensichtlich
fehlerhaft, auch wenn es zu der rechtlichen Problematik unterschiedliche
Rechtssprechung gebe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen
Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin
verwiesen.
24
II.
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Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist die mit Bescheid vom
12.10.2006 und Änderungsbescheid vom 07.12.2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.04.2007 vorgenommene teilweise Aufhebung der
Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom
09.11.2005 bis zum 31.12.205, die Rückforderung des sich daraus ergebenden
überzahlten Betrages in Höhe von 209,30 Euro und die in den Bescheiden
vorgenommene Regelung, dass beginnend mit dem Monat März 2007 eine Aufrechnung
des Rückforderungsbetrages in monatlicher Höhe von 41,86 Euro gegen den Anspruch
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der Antragstellerin auf laufende Leistungen zum Sicherung des Lebensunterhaltes
vorgenommen wird.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid
vom 12.10.2006 in Gestalt des Abänderungsbescheides vom 07.12.2006 und des
Widerspruchsbescheides vom 04.04.2007 ist zulässig und begründet.
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Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der
Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine
aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise
anordnen. Ist - wie hier - bei Erlass eines Widerspruchsbescheides bzw. bei Erhebung
der dagegen gerichteten Klage über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruches noch nicht entschieden, ist eine Änderung des Antrages
dahingehend zulässig, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (vgl. LSG
Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20.04.2006 Aktenzeichen L 3 B 1138/05 U ER,
Meyer-Ladewig § 86 Rn 96).
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Der Antrag nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG ist zulässig, da der Widerspruch und
die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 12.10.2006 in Gestalt des
Abänderungsbescheides vom 07.12.2006 und des Widerspruchsbescheides vom
04.04.2007 keine aufschiebende Wirkung hat. Nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die
aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in Fällen, in denen das durch
Bundesgesetz geregelt worden ist. Aus § 39 Nr. 1 SGB II ergibt sich, dass Widerspruch
und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung haben.
Dabei erfasst § 39 Nr. 1 SGB II auch Aufhebungs- und Rückforderungsentscheidungen
über bereits bewilligte Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, da es sich
auch insoweit um Entscheidungen über Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitssuchende handelt (vgl. mit überzeugender Begründung und Darstellung des
Meinungsstandes: LSG NRW Beschluss vom 26.07.2006 Aktenzeichen L 20 B 144/06
AS ER und LSG NRW Beschluss vom 03.11.2006 Aktenzeichen L 20 B 264/06 AS ER;
ferner LSG NRW vom 19.07.2006 Aktenzeichen L 12 B 55/06 AS ER; LSG NRW
Beschluss vom 31.03.2006 Aktenzeichen L 19 B 15/06 AS ER).
29
Soweit in den angefochtenen Bescheiden geregelt worden ist, dass ab März 2007 eine
Aufrechnung des Rückzahlungsanspruches der Antragsgegnerin gegen die
monatlichen Leistungsansprüche der Antragstellerin in Höhe von 41,86 Euro
vorgenommen werde, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der
Anfechtungsklage nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ebenfalls zulässig. Dabei kann
dahingestellt bleiben, ob eine Aufrechnung in Form eines Verwaltungsaktes oder durch
öffentliche- rechtliche Willenserklärung statt zufinden hat, beziehungsweise ob
zumindest ein Verwaltungsakt ergehen darf (vgl. zum Meinungsstand: Eicher-Spellbrink
§ 43 SGB II Rn 6,7). Da die Antragsgegnerin die Aufrechnung in Gestalt eines
Verwaltungsaktes geregelt hat, kann der Leistungsempfänger Rechtsschutz nur durch
einen Widerspruch beziehungsweise eine Klage gegen den Bescheid erlangen. Auch
insoweit ist die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86 b Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 SGG zulässig, da die Aufrechnung mit Erstattungansprüchen gegen Ansprüche
auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 43 Satz SGB II eine
Entscheidung über die Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende enthält (LSG
NRW Beschluss vom 19.07.2006 Aktenzeichen L 12 B 55/06 AS ER; LSG NRW
Beschluss vom 07.03.2006 Aktenzeichen Ls 20 B 31/06 AS ER).
30
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist begründet, wenn im Rahmen
einer Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers an der
Anordnung der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Allgemeinheit an der
sofortigen Vollziehung das private Interesse überwiegt. Bei der Interessenabwägung
sind - neben einer allgemeinen Abwägung der Folgen bei Gewährung bzw. nicht
Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes - vor allem die Erfolgsaussichten des
Rechtsbehelfes in der Hauptsache von Bedeutung. Ist ein Verwaltungsakt offenbar
rechtswidrig und ist der Betroffene in seinen subjektiven Rechten verletzt, ist die
aufschiebende Wirkung anzuordnen, weil dann ein überwiegendes öffentliches
Interesse an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist der Widerspruch bzw. die Klage
dagegen aussichtslos, wird eine aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die
Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine
Interessenabwägung, wobei die Aussichten des Hauptsacheverfahrens aber mit
berücksichtigt werden können. Je größer die Erfolgsaussichten in dem
Hauptsacheverfahren zu beurteilen sind, desto geringere Anforderungen an das
Aussetzungsinteresse des Antragstellers sind zu stellen (vgl. Meyer-Ladewig § 86 b Rn
12 c mwN).
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Soweit die Antragsgegnerin in den angefochtenen Bescheiden für die Zeit ab März 2007
eine Aufrechnung eines Rückforderungsanspruches in Höhe von 209,30 Euro gegen
den Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
in Höhe von 41,86 Euro monatlich geregelt hat, ist der Bescheid offensichtlich
rechtswidrig, so dass der Antrag auf Aussetzung der aufschiebenden Wirkung insoweit
begründet ist.
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Nach § 43 Satz 1 SGB II können Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
bis zu einem Betrag in Höhe von 30 vom 100 der für den Hilfebedürftigen maßgebenden
Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach dem SGB II
aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder auf
Schadensersatz handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig
unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat. In diesem Zusammenhang kann
dahingestellt bleiben, ob die Antragsgegnerin einen Erstattungsanspruch nach §§ 48,
50 SGB X hat. Jedenfalls hat die Antragstellerin einen Erstattungsanspruch nicht durch
vorsätzliche oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst.
Die Antragsgegnerin stützt die rückwirkende Aufhebung ihres Bewilligungsbescheides
und die Rückforderung von 209,30 Euro auf den Umstand, dass sich die Antragstellerin
in der Zeit vom 09.11.2005 bis zum 31.12.2005 in stationärer Krankenhausbehandlung
befunden hat. Diesen Umstand hat die Antragstellerin der Antragsgegnerin jedoch
bereits zum Beginn des Krankenhausaufenthaltes telefonisch mitgeteilt, was sich
ausdrücklich aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 17.11.2005 ergibt. Darin wird
auf ein mit der Antragstellerin geführtes Telefonat Bezug genommen und ausgeführt,
dass sich die Antragstellerin laut eigenen Angaben zur Zeit im Krankenhaus befinde.
Zudem hat die Antragstellerin nochmals schriftlich mit Schreiben vom 23.11.2005 darauf
hingewiesen, dass sie sich seit dem 9.11.2005 in stationärer Behandlung im
Marienhospital D. befinde, und eine entsprechende Bescheinigung des
Marienhospitales vom 23.11.2005 vorgelegt. Somit ist die Antragstellerin ihrer
Mitteilungspflicht von Anfang an nachgekommen, so dass - entgegen der Ausführungen
im Widerspruchsbescheid vom 04.04.2007 schon die Voraussetzung des § 48 Abs. 1
Nr. 2 SGB X für eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht erfüllt
sind, weil insoweit eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer
33
Mitwirkungspflicht erforderlich ist. Erst recht hat die Antragstellerin nicht vorsätzlich oder
grob fahrlässsig unrichtige oder unvollständige Angaben im Sinne des § 43 SGB II
gemacht und dadurch einen Erstattungsanspruch veranlasst.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches und der Klage war auch insoweit
anzuordnen, als mit dem angefochtenen Bescheiden eine teilweise Aufhebung des
Bewilligungsbescheides vom 30.06.2005 für die Zeit vom 09.11.2005 bis zum
31.12.2005 vorgenommen worden ist.
34
Der Aufhebungsbescheid vom 12.10.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
04.04.2007 ist bereits deshalb offensichtlich rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin zu
Unrecht die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 SGB X bejaht hat. Selbst unter Zugrundelegung des Rechtsauffassung der
Antragsgegnerin, wonach es sich bei dem stationären Krankenhausaufhalt um eine
wesentliche Änderung der Verhältnisse handelt, ist die Antragstellerin ihrer
entsprechenden Mitteilungspflicht nachgekommen, indem sie die Antragsgegnerin
bereits zu Beginn des Krankenhausaufenthaltes telefonisch und schriftlich über diesen
Umstand in Kenntnis gesetzt hat. Woraus die Antragsgegnerin eine vorsätzliche bzw.
grob fahrlässige Verletzung dieser Mitteilungspflicht herleiten will, ist dem
Widerspruchsbescheid nicht ansatzweise zu entnehmen.
35
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass nach Auffassung der Kammer erhebliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides auch
insoweit bestehen, als die Antragsgegnerin überhaupt eine wesentliche Änderung der
für die Bewilligung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes maßgeblichen
und tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X angenommen
hat.
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Soweit die Antragsgegnerin in dem Widerspruchsbescheid vom 04.04.2007 die
Auffassung vertreten hat, die Verpflegung während des stationären
Krankenhausaufenthaltes sei bedarfsmindernd in der Weise zu berücksichtigen, dass
die Regelleistung um 35 vom 100 zu kürzen sei, ergibt sich dafür nach Auffassung der
Kammer keine Rechtsgrundlage. Das SGB II enthält keine dem § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB
XII entsprechende Vorschrift, wonach ein Bedarf unter anderem abweichend festgelegt
wird, wenn er im Einzelfall ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist. Die fehlende
Regelung einer abweichenden Festlegung der Regelleistung im SGB II und der dadurch
bedingte Unterscheid zum SGB XII beruhen nicht etwa auf einer unbeabsichtigten
Regelungslücke. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem SGB II eine Pauschalisierung
der Regelleistung zugrunde liegt. Nur in eng umrissenen Ausnahmefällen (Mehrbedarf
nach § 21 SGB II bzw. Sonderleistungen nach § 23 SGB II) kann eine sich an den
Verhältnissen des Einzelfalles orientierende zusätzliche Leistung erbracht werden. Die
Pauschalisierung der Leistungen für die bei der Festlegung der Regelleistung
berücksichtigten Bedarfe gehört zu den zentralen Grundentscheidungen der Systematik
des Leistungsrechtes des SGB II (vgl. BT-Drucksache 15/1516 Seite 46 ). Anders als die
Leistungen nach dem SGB XII sind die Leistungen nach dem SGB II nicht konkret
bedarfsdeckend, sondern lediglich bedarfsorientiert ausgestaltet (vgl. BT-Drucksache
15/1516 Seite 56). Damit korrespondiert der weitgehende Verzicht auf einmalige
Leistungen. Danach können Hilfebedürftige - abgesehen von den genannten
Ausnahmefällen - auch dann keine höhere Leistungen erhalten, wenn im konkreten
Einzelfall ein zusätzlicher, in der Regelleistung nicht enthaltener Bedarf anfällt oder
wenn ausnahmesweise ein in der Regelleistung enthaltener Bedarf in größerer Höhe
37
entsteht. Daraus folgt aber auch, dass ein Leistungsträger nicht berechtigt ist, die
Leistung abzusenken, wenn ausnahmsweise einmal im Bereich der Regelleistung ein
Teilbedarf entweder gar nicht oder nur in reduzierter Höhe anfällt. Das Wesen der
Pauschaliserung besteht gerade darin, solche Besonderheiten des Einzelfalles nicht zu
berücksichtigen (vgl. für die Verpflegung während eines stationären
Krankenhausaufenthaltes: SG Mannheim Urteil vom 28.02.2007 Aktenzeichen S 9 AS
3882/06; SG Freiburg Urteil vom 24.10.2006 Aktenzeichen S 9 AS 1557/06; SG Berlin
Urteil vom 24.04.2007 Aktenzeichen S 93 AS 9826/06; SG Aachen Urteil vom
25.08.2006 Aktenzeichen S 8 AS 53/06; SG Detmold Urteil vom 28.11.2006
Aktenzeichen S 12 AS 8/06).
Schließlich kann die im Rahmen des stationären Krankenhausaufhaltes zur Verfügung
gestellte Verpflegung auch nicht als zu berücksichtigendes Einkommen nach § 11 Abs.
1 SGB II angesehen werden. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind Einnahmen in Geld
oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen, so dass grundsätzlich auch
Sachleistungen wie eine Verpflegung Einkommen darstellen können. Dabei ist jedoch
zu berücksichtigen, dass es sich bei der Verpflegung eines Patienten während eines
stationären Krankenhausaufenthaltes nicht um eine isolierte Sachleistung handelt,
sondern dass das im Krankenhaus zur Verfügung gestellte Essen Teil der dort
gewährten kurativen Versorgung des Patienten ist. Der untrennbare Zusammenhang
wird insbesondere dadurch deutlich, dass die Verpflegung jeweils in besonderer Weise
auf den Gesundheitszustand und die Erkrankung des Patienten abgestimmt werden
muss. Insoweit bestehen schon erhebliche Zweifel, ob es sich bei der Verpflegung um
eine Leistung handelt, die überhaupt marktfähig ist, dass heißt der ein bestimmter
Geldwert zugeordnet werden kann (dies verneinend: SG Freiburg Urteil vom 24.10.2006
Aktenzeichen S 9 AS 1557/06; SG Mannheim Urteil vom 28.02.2007 Aktenzeichen S 9
AS 3882/06; SG Aachen Urteil vom 25.08.2006 Aktenzeichen S 8 AS 53/06; SG
Detmold Urteil vom 28.11.2006 Aktenzeichen S 12 AS 8/06).
38
Jedenfalls ist die während eines stationären Krankenhausaufenthaltes gewährte
Verpflegung nach Auffassung der Kammer als zweckbestimmte Einnahme im Sinne des
§ 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II anzusehen und unberücksichtigt zu lassen (ebenso SG Berlin
Urteil vom 24.04.2007 Aktenzeichen S 93 AS 9826/06). Nach dieser Vorschrift sind
zweckbestimmte Einnahmen, die einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem
SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass
daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären, nicht als Einkommen
zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist maßgeblich, dass die Gewährung von
Verpflegung während eines stationären Krankenhausaufenthaltes in einer Klinik Teil
eines vielschichtigen Leistungsspektrums ist, mit dem ausschließlich der Zweck verfolgt
wird, die Genesung des Patienten zu erreichen. Diesem Zweck ist zum einen die Art
und Weise der Verpflegung untergeordnet, so dass sie sich streng an den ärztlichen
Vorgaben und dem Gesundheitszustand des Patienten orientiert. Zum anderen tritt die
damit notwendigerweise verbundene teilweise Sicherung des Lebensunterhaltes völlig
in den Hintergrund, weil die ärztliche Behandlung, die pflegerische und die sonstige
medizinische Versorgung mit dem Ziel der Genesung des Patienten im Vordergrund des
stationären Krankenhausaufenthaltes stehen. Somit ist der im Vordergrund stehende
Zweck der Unterbringung im Krankenhaus und der damit notwendigerweise
verbundenen Verpflegung keinesfalls die teilweise Sicherung des Lebensunterhaltes.
Zudem wird durch die Gewährung der Verpflegung während eines
Krankenhausaufenthaltes die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflusst, dass
daneben Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären. Insoweit ist zu
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berücksichtigen, dass während eines Krankenhausaufenthaltes auch spezifische
Kosten entstehen, die sonst nicht anfallen würden (vgl. SG Berlin Urteil vom 24.04.2007
Aktenzeichen S 93 AS 9826/06 und SG Freiburg Urteil vom 24.10.2006 Aktenzeichen S
9 AS 1557/06 jeweils mit zahlreichen Beispielen).
Da die aufschiebende Wirkung auf den Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen
Bescheides zurückwirkt (vgl. Meyer-Ladwig § 86 b Rn 19) und die Antragsgegnerin
unterdessen den Bescheid durch Vornahme der Aufrechnung vollzogen hat (vgl zur
Vollziehung durch Aufrechung: LSG NRW vom 16.04.2003 Aktenzeichen L 10 B 21/02
KA ER) war nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG die Aufhebung der Vollziehung
anzuordnen. Die Antragsgegnerin wird die seit März 2007 einbehaltenen monatlichen
Raten in Höhe von 41,83 Euro an die Antragstellerin nachzuzahlen haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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