Urteil des SozG Düsseldorf vom 12.02.2007

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Sozialgericht Düsseldorf, S 8 KR 360/04
Datum:
12.02.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 KR 360/04
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 16 KR 45/07
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.10.2004 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2004 verurteilt, die
Kosten des am 12.05.2004 verordneten Lymphdrainage-Gerätes nach
Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu übernehmen. Der Beklagten
werden die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Frage der Versorgung der Klägerin mit einem
Lymphdrainage-Gerät.
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Die 1943 geborene Klägerin leidet unter anderem an einem ausgeprägten chronischen
Liplymphödem sowie einem Weichteilrheumatismus. Im Mai 2004 beantragte sie die
Kostenübernahme für ein Lymphdrainage-Gerät unter Vorlage der Verordnung des
Facharztes für Dermatologie und Venerologie, Priv.-Doz. E1 vom 12.05.2004 sowie
einem Kostenvoranschlag in Höhe von ca. 1.100,00 Euro. Nach Einholung einer
weiteren Auskunft des E1 kam der von der Beklagten angehörte Medizinische Dienst
der Krankenversicherung (MDK) zu der Einschätzung, dass vorrangig vor der
Anwendung eines Lymphdrainage-Gerätes eine manuelle Lymphdrainage sowie das
Tragen vom Kompressionsstrümpfen indiziert sei. Daraufhin lehnte die Beklagte den
Antrag mit Bescheid vom 15.10.2004 ab. Die medizinische Notwendigkeit sei zurzeit
nicht gegeben.
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Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch der Klägerin wies der
Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2004
zurück.
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Die Klägerin hat gegen die ablehnenden Bescheide Klage erhoben, mit der sie ihr
Begehren weiterverfolgt. Sie macht geltend, dass die manuelle Lymphdrainage nicht
häufig genug durchgeführt werden könne. Eine Behandlung dreimal wöchentlich sei
nicht ausreichend, da sie unter Berücksichtigung ihres Schmerz- und Beschwerdebildes
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einer Drainagebehandlung mindestens einmal täglich bedürfe. Kompressionsstrümpfe
könne sie wegen des damit verbundenen starken und zu vermeidenden Drucks in der
Leistengegend nicht tragen sowie aus dem Grund, dass sie aufgrund ihres
schmerzhaften Weichteilrheumatismus Kompressionsstrümpfe nicht selbständig an- und
ausziehen könne.
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.10.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.11.2004 zu verurteilen, die Kosten des am 12.05.2004
verordneten Lymphdrainage-Gerätes zu übernehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Bescheide aus dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig.
Auch in der während des Klageverfahrens unter Berücksichtigung des eingeholten
aktuellen Befundberichtes getroffenen Einschätzung sei der Chirurg und Phlebologe E2
(MDK) überzeugend mit ausführlicher Begründung zu einer Bestätigung der
Einschätzung des MDK im Verwaltungsverfahren gekommen. Nach der Beurteilung des
E2 sei die Durchführung einer leitliniengemäßen Behandlung anzuraten, ggf. empfehle
sich die Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme.
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Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts einen Befundbericht des E1
sowie das Gutachten der Leitenden Ärztin der Klinik für Gefäßchirurgie und Phlebologie
der X-Kliniken E3, L, vom 08.08.2006 eingeholt und die von der Sachverständigen und
E2 zitierten und im Internet veröffentlichte Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für
Phlebologie beigezogen. Auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten
gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten sowie auf die beigezogene
Verwaltungsakte der Beklagten wird Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Der Klägerin steht ein
Anspruch auf Versorgung mit einem Lymphdrainage-Gerät zu.
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Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall
erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, § 33 Abs. 1 Satz 1
des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Die Leistung muss ausreichend,
zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie darf das Maß des Notwendigen nicht
überschreiten, § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V.
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Vorliegend ist die Versorgung der Klägerin mit dem verordneten Lymphdrainage-Gerät
erforderlich. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des behandelnden Arztes E1 und
den Schilderungen der Klägerin. So ist die Behandlung mit einem mechanischen
Lymphdrainage-Gerät zur Linderung der Schmerzen erforderlich, die mit den
ausgeprägten Schwellungen des Liplymphödems verbunden sind. Nach den
übereinstimmenden Angaben sowohl der Klägerin als auch des behandelnden Arztes
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ist die seit 2004 durchgeführte Entstauungsbehandlung mittels eines Lymphdrainage-
Gerätes auch insoweit erfolgreich gewesen, als die Beschwerden stundenweise
abnahmen und erträglich wurden. Es handelt sich damit um eine ausreichende und
zweckmäßige Therapie. Die Geeignetheit der Entstauungstherapie mittels des
Lymphdrainage-Gerätes stellen auch der MDK (E2) und die Sachverständige L nicht in
Frage. Ihre Einwände bzw. Ablehnung der streitgegenständlichen Versorgung beruht
vielmehr darauf, dass sie unter Bezugnahme auf die Leitlinien der Gesellschaft für
Phlebologie andere Therapiemaßnahmen wie die manuelle Lymphdrainage (nach
Földi) für geeigneter halten. Insoweit ist jedoch festzuhalten, dass die Leitlinien der
Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (erstellt am 05.12.1998, zuletzt überarbeitet am
27.05.2004) für die bei einem Liplymphödem anwendbaren Therapien keine
zwangsläufige Rangfolge vorgeben oder empfehlen. Vielmehr findet sich zum
Gliederungspunkt "9. Therapie" zur Ödemreduktion die Auflistung verschiedener
physikalischer Maßnahmen ohne spezifische Bewertung, die vielmehr "je nach
Beschwerdebild eingesetzt werden" können. In diesem Sinne gleichwertig werden
sowohl die manuelle Lymphdrainage als auch die hier streitgegenständliche
pneumatische Kompression sowie die Kompressionstherapie aufgeführt.
Diese Sachlage hat zur Überzeugung der Kammer zur Folge, dass die vom
behandelnden Arzt verordnete Leistung von der Beklagten zu erbringen ist, da diese
sich als geeignete und damit medizinisch vertretbare Behandlungsmaßnahme darstellt,
die nicht unwirtschaftlich erscheint. Vorliegend handelt es sich aus den ausgeführten
Gründen (bisheriger Behandlungserfolg, Inhalt der Leitlinien) bei der Durchführung der
mechanischen Lymphdrainage mit einem Mehrkammersystem um eine geeignete und
medizinisch zumindest vertretbare Behandlungsmaßnahme. Die beantragte Versorgung
erscheint auch keinesfalls unwirtschaftlich und überschreitet nicht das Maß des
Notwendigen. Vielmehr ist sie gegenüber den vom MDK und von der Sachverständigen
angeregten Maßnahmen (hochfrequente manuelle Lymphdrainage, ggf. im Rahmen
einer Rehabilitationsmaßnahme, Durchführung einer Kompressionstherapie mit
Unterstützung eines Pflegedienstes) wesentlich kostengünstiger. Die letzte Auskunft
des E1 hat insoweit ergeben, dass sich unter Berücksichtigung der bisherigen
Behandlung in der Praxis die Anschaffungskosten für das beantragte Lymphdrainage-
Gerät in Höhe von ca. 1.100,00 Euro bereits nach einem Zeitraum von deutlich weniger
als einem Jahr amortisiert haben (unter Zugrundelegung einer dreimal wöchentlich
stattfindenden Behandlung).
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Bei dieser Entscheidung hat die Kammer die Therapiefreiheit des behandelnden Arztes
berücksichtigt, die ihm nicht nur im Rahmen der vertragsärztlich abrechenbaren
Behandlung in der Praxis, sondern auch im Rahmen der (wirtschaftlichen!) Versorgung
mit Hilfsmitteln zukommen muss. Andererseits wäre es kaum nachvollziehbar, dass es
im Rahmen des Ermessens des behandelnden Arztes liegt, welche medizinischen
Maßnahmen er im Rahmen seines Praxisbetriebes ergreift, diese Therapiefreiheit im
Rahmen der Hilfsmittelversorgung jedoch lediglich anlässlich der Genehmigungspflicht
für Hilfsmittel durch eine entsprechende - über die Wirtschaftlichkeit hinausgehende -
Entscheidung des MDK begrenzt oder gar ersetzt werden kann. So hat auch das
Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, dass das Gesetz nur den Nachweis eines
therapeutischen Nutzens eines Hilfsmittels, nicht aber einen therapeutischen
Zusatznutzen oder Vorteil gegenüber der bisherigen (und damit einer anderen)
Behandlungsweise verlangt. Es sei im Rahmen der Therapiefreiheit eine Frage des
Einzelfalls, wie der Arzt eine Verletzung des Versicherten behandele. Die
Therapiefreiheit - als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten
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bzw. der Berufsausübungsfreiheit des Arztes - sei durch das Wirtschaftlichkeitsgebot als
Mittel zur Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung
eingeschränkt (BSG, Urteil vom 28.09.2006 - B 3 KR 28/05 R -; in:
www.bundessozialgericht.de; Stichwort: Entscheidungstexte).
Unter Berücksichtigung der getroffenen Entscheidung konnte dahingestellt bleiben, ob
die von der Sachverständigen und vom MDK für angezeigt gehaltene
Kompressionstherapie unter Berücksichtigung des Einwandes der Klägerin im Termin
der mündlichen Verhandlung (Vermeidung von Druckverhältnissen im Leistenbereich)
durchführbar ist.
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Die Kammer ist der Verordnung des behandelnden Arztes ebenso hinsichtlich der
Auswahl des Lymphdrainage-Gerätes (3-Kammer-Beinmanschetten) gefolgt. Sollte er
diese Verord nung allein aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ausgestellt haben
und unter rein medizinischen Gesichtspunkten in Übereinstimmung mit E2 vom MDK ein
12-Kammer-System für sinnvoller halten, so bleibt es den Beteiligten anheim gestellt, im
Falle der Versorgung mit einem Lymphdrainage-Gerät die Verwendung von
Beinmanschetten mit mehr als 3 Kammern zu vereinbaren. Des Weiteren bleibt es der
Beklagten anheim gestellt, ob sie die Versorgung durch eine einmalige Anschaffung
eines Lympdrainage-Gerätes im Sinne des Kostenvoranschlags oder durch eine
mietweise Finanzierung sicherstellt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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