Urteil des SozG Dresden vom 02.12.2009

SozG Dresden: angewandte kunst, künstler, einkünfte, bildende kunst, versicherungspflicht, veröffentlichung, gestaltung, meldung, anerkennung, spiel

Sozialgericht Dresden
Urteil vom 02.12.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 25 KR 223/08
I. Es wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29.10.2007 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 01.04.2008
festgestellt, dass die Klägerin ab dem 24.08.2007 nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versicherungspflichtig
ist. II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem Künstler-sozialversicherungsgesetz
(KSVG).
Die am 1978 geborene Klägerin absolvierte von September 1996 bis Juli 2000 ein Studium an der W. Hochschule,
Fachbereich Angewandte Kunst, Studiengang Textilkunst. Am 19.07.2000 schloss sie nach bestandener
Diplomprüfung das Studium als Diplomdesigne-rin (FH) ab. Das Thema ihrer Diplomarbeit lautete: "Das gefilzte Spiel –
ein Angebot für den Grundschulbereich". Die Klägerin stellt Objekte unterschiedlicher Art aus Filz her. Unter ihren
Arbeiten befinden sich u. a. eine Tastwand für sehbehinderte und blinde Kin-der ("Flächen für die Sinne") und
"Fenster-Filze". Daneben filzt die Künstlerin auch Klei-dungsstücke, die die Klägerin als tragbare Kunstobjekte
bezeichnet und die nach ihrer An-gabe bei Performances und Fotoaufnahmen zur Anwendung kommen
("Schneewittchens Versuchung", "Kleine Seejungfer", "Kleine MeerJungFrau"). Weiter stellt die Klägerin
Kopfbedeckungen her, die sie Hutobjekte nennt. Darüber hinaus fertigt die Klägerin unter-schiedlichste Objekte aus
Filz (unter anderem Fingerpüppchen, Taschen, Schmuck, Filzge-fäße und Tierfiguren). Neben der Gestaltung von
Filzobjekten war die Klägerin seit ihrem Studium auch im pädagogischen Bereich tätig. So war sie im Rahmen von
Honorarverträ-gen u. a. an der Jugendkunstschule M., an den Sozialpflegeschulen H. und dem Gymnasi-um C. tätig.
Gegenstand der von ihr geleiteten Kurse war jeweils die Textilgestaltung. Schließlich veröffentlichte die Klägerin im
Jahr 2008 das Buch "FilzSpiel, the felted play" und erzielte hieraus seitdem ein entsprechendes Honorar (vgl. die
Honorarabrechnungen vom 27.06.2008 und 30.09.2008, Bl. 44 und 51 der Gerichtsakte). Darüber hinaus erhält sie seit
April 2009 auf der Grundlage eines Verlagsvertrages einen Vorschuss auf einen weiteren Text- und Bildband, dessen
Veröffentlichung beabsichtigt ist in Höhe von insge-samt 5.000,00 EUR. Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr
2007 vom 26.08.2008 weist für die Klägerin Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 4.894,00 EUR und der
Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 22.07.2009 Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von
5.737,00 EUR aus.
Mit Bescheid vom 27.09.2001 stellte die Beklagte auf eine entsprechende Meldung der Klägerin die
Versicherungspflicht nach § 1 KSVG in der Renten-, Kranken- und Pflege-versicherung fest. Nachdem die Klägerin
aufgrund der Geburt ihres Sohnes ihre freiberuf-liche Arbeit unterbrochen hatte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom
17.01.2006 das En-de der Versicherungspflicht nach § 1 KSVG zum 31.01.2006 fest.
Am 24.08.2007 ging bei der Beklagten die Meldung der Klägerin ein, dass sie erneut eine selbständige künstlerische
Tätigkeit aufgenommen habe. In dem entsprechenden Fragebo-gen gab die Klägerin an, dass sie im laufenden
Kalenderjahr voraussichtlich 3.950,00 EUR erzielen werde. Im Laufe des folgenden Verwaltungsverfahrens legte die
Klägerin zahlrei-che Unterlagen vor, die sich auf ihre gestalterische und pädagogische Arbeit beziehen (Verträge,
Rechnungen für verkaufte Filzobjekte und Zeitungsartikel).
Mit Bescheid vom 29.10.2007 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin nicht der Versi-cherungspflicht nach dem
KSVG unterliege, da ihre Tätigkeit nicht als künstle-risch/publizistisch im Sinne des KSVG angesehen werden könne.
Wer Textilien als Einzel-stücke oder in Kleinserie nach eigenen Entwürfen selbst schneidere oder in anderer Weise
herstelle, gehöre aufgrund seines durch handwerkliche Arbeiten geprägten Tätigkeitspro-fils nicht zum Personenkreis
der Designer. Dies gelte insbesondere dann, wenn die herge-stellten Textilien mit vergleichbaren Produkten
industrieller oder rein handwerklicher Her-kunft konkurrierten und wenn der Hersteller seine Wertschätzung und sein
Einkommen auch aus der handwerklichen Qualität seiner Arbeiten beziehe (Hinweis auf BSG, Urteil vom 24.06.1998,
Aktenzeichen B 3 KR 13/97).
Mit ihrem unter dem 13.11.2007 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass ihre Tätigkeit nicht
handwerklich geprägt sei. Vergleichbare Produkte industrieller oder rein handwerklicher Herkunft gebe es nicht und es
sei auch nicht ihre Absicht, mit solchen zu konkurrieren. Ihre Kleidobjekte seien tragbare Kunstobjekte, die vor allem
für Fotoserien oder auch Performances zum Einsatz kämen. Sie wies darauf hin, dass ihre künstlerischen Arbeiten in
Museen und Galerien zu sehen seien. Daraufhin wies sie auf die beabsichtigte Veröffentlichung ihres ersten Buches
hin. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin weitere Unterlagen vor, die sich auf ihre gestalterische,
pädagogische und publizistische Arbeit beziehen (Auszüge aus Katalogen und Zeitschriften, Fotografien,
Honorarabrechnungen, Rechnungen über den Verkauf von Kunstobjekten).
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.04.2008 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläge-rin zurück. Eine
Zugehörigkeit zum versicherungspflichtigen Personenkreis des KSVG habe nicht festgestellt werden können.
Personen, die eine handwerkliche Tätigkeit im Sin-ne der Handwerksordnung ausübten, seien nicht als Künstler im
Sinne von § 2 KSVG an-zusehen. Die Tätigkeit der Klägerin im Bereich des Verkaufs selbst entworfener Filzbe-
kleidung, -accessoires und -objekte sei der Tätigkeit des in Anlage B Abschnitt 1 Ziffer 19 der Handwerksordnung
verzeichneten Damen- und Herrenschneiders gleichzusetzen, so dass grundsätzlich eine handwerkliche Tätigkeit
anzunehmen sei, die nicht unter § 2 Satz 1 KSVG falle. Zwar könne nach der Rechtsprechung auch auf
handwerklicher Grundlage Kunst geschaffen werden. Für eine Bewertung als künstlerische Leistung komme es darauf
an, ob eine über eine rein technisch-manuelle Gestaltung hinausgehende schöpferische Leistung entfaltet werde.
Wann (noch) Handwerk oder (schon) Kunst vorliege, richte sich nach dem Abgrenzungsmaßstab der "Anerkennung
als Künstler in den einschlägigen fach-kundigen Kreisen als "Künstler". Dabei sei im Bereich der Bildenden Kunst
maßgebend, ob der Betroffene mit seinen Werken (schwerpunktmäßig) an Kunstausstellungen teilneh-me, (aufgrund
einer Juryentscheidung) Mitglied eines einschlägigen Berufsverbandes sei, in Künstlerlexika aufgeführt sei oder eine
Auszeichnung als Künstler erhalten habe, was vorliegend nicht belegt worden sei. Nicht ausreichend sei die hohe
Wertschätzung bei Kol-legen oder Kunden, Mitgliedschaft in einem örtlichen Kunstverein oder die entsprechende
Bezeichnung in Zeitungsberichten, ebenso wenig wie die Teilnahme an Modemessen oder zusammen mit anderen
Textilgestaltern/Kunsthandwerkern. Nur sofern das Ausüben einer bestimmten Tätigkeit als künstlerisch oder
publizistisch anzusehen sei, gelte die Vermitt-lung der dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten an Dritte, als
eine künstlerische oder publizistische Lehrtätigkeit. Die Lehrtätigkeit als Dozentin für Textilgestaltung könne damit
nicht als künstlerisch betrachtet werden. Als Autorin habe sie keine erwerbs- bzw. berufsmäßige und nicht nur
vorübergehende selbständige Betätigung mit einer entspre-chenden Einnahmeerzielung zur Bestreitung des
Lebensunterhaltes belegt.
Mit der am 30.04.2008 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie hält daran fest, dass die von ihr
ausgeübte Tätigkeit nicht dem Handwerk zuzuordnen sei. Auch ihre Dozententätigkeit übe sie im Rahmen ihrer
künstlerischen Tätigkeit aus. Über die Vermittlung der Technik hinaus liege der Schwerpunkt bei den von ihr geleiteten
Kursen auf den künstlerischen Inhalten. Ziel sei es, dass der Kursteilnehmer in der Lage sei, eigene Ideen zu
entwickeln, Entwürfe zu erstellen und zu realisieren. Zur Dokumentation ihrer künstlerischen Tätigkeit hat die Klägerin
neben Ausstellungskatalogen, Zeitungsausschnit-ten, Einladungen zu Kunstprojekten und Ausstellungen das von ihr
veröffentlichte Buch "FilzSpiel, the felted play" vorgelegt. Die vorgenannten Unterlagen werden als Beiakte zur
Gerichtsakte geführt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 29.10.2007 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 01.04.2008
festzustellen, dass sie ab dem 24.08.2007 nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versicherungspflichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin sei im Bereich des Kunsthandwerks tätig. Bei den von der Klägerin verkauf-ten Ringen, Hüten,
Fingerpüppchen handele es sich nicht um Kunstgegenstände. Die Klä-gerin sei vielmehr im Bereich des
Kunsthandwerks/Angewandte Kunst tätig. Sie sei dem-nach auch als Pädagogin im Bereich Textil nicht als Künstlerin
tätig. Zwar seien die durch die Veröffentlichung ihres Buches erzielten Einkünfte als Einkünfte aus publizistischer
Tätigkeit zu werten. Schwerpunktmäßig erziele die Klägerin jedoch ihre Einnahmen aus ihrer Tätigkeit als Dozentin im
Bereich Textilgestaltung, bei der es sich nicht um eine Tä-tigkeit im Sinne des KSVG handele. Die Beklagte wäre
unter Berücksichtigung der im Jahr 2009 erzielten Einkünfte aus publizistischer Tätigkeit im Vergleichswege bereit,
die Versicherungspflicht nach § 1 KSVG ab dem 01.01.2009 als Publizistin festzustellen. Die Klägerin hat dieses
Vergleichsangebot nicht angenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der
Beklagten sowie der Gerichtsakte einschließlich Beiakte verwiesen. Die vorgenannten Unterlagen haben vorgelegen
und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin ist zumindest seit dem Eingang der Meldung am 24.08.2007 als Künstlerin nach dem KSVG
versicherungspflichtig tätig. Rechtsgrundlage des Begehrens auf Feststel-lung der Versicherungspflicht in der
Künstlersozialversicherung ist § 1 Nr. 1 KSVG. Da-nach werden selbständige Künstler und Publizisten in der
Rentenversicherung der Ange-stellten, in der gesetzlichen Kranken- und in der sozialen Pflegeversicherung versichert,
wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vo-rübergehend ausüben. Dies
ist vorliegend der Fall. Vorliegend sind drei Tätigkeitsfelder bzw. Einkunftsquellen zu unterscheiden, nämlich die
Herstellung und der Verkauf von Filzobjekten, die Tätigkeit als Dozentin und die Tätigkeit als Publizistin. Nach
Ansicht der Kammer ist für alle drei Tätigkeitsfelder die Versicherungspflicht zu bejahen.
Unter Berücksichtigung der durch die Klägerin vorgelegten Unterlagen, die einen guten Überblick über ihr Gesamtwerk
geben, ist die Kammer zur Überzeugung gelangt, dass die Klägerin bei der Gestaltung und Anfertigung von
Filzobjekten als Künstlerin im Sinne von § 2 KSVG tätig ist.
Als künstlerische Tätigkeit werden in § 2 Satz 1 KSVG drei Bereiche jeweils in den Spiel-arten des Schaffens,
Ausübens und Lehrens umschrieben, nämlich die Musik, die Bildende Kunst und die Darstellende Kunst. Eine
weitergehende Festlegung, was darunter im Ein-zelnen zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität
und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder nicht erfolgt. Der Gesetzgeber spricht im
KSVG nur allgemein von "Künstlern" und "künstlerischen Tätigkeiten", auf eine Definition des Kunstbegriffs hat er
hingegen bewusst verzichtet (BT-Drucks 8/3172, S 21). Dieser Begriff ist deshalb aus dem Regelungszweck des
KSVG unter Berücksichti-gung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschlie-ßen
(vgl. BSG, Urteil vom 15.11.2007, Aktenzeichen B 3 KS 3/07 R, Kalligraf, Rdnr. 10, m. w. N.) Aus den Materialien
zum KSVG ergibt sich, dass der Begriff der Kunst trotz seiner Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen
Tätigkeiten umfasst, mit denen sich der "Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der
künstleri-schen Berufe (Künstlerbericht)" aus dem Jahre 1975 (BT-Drucks 7/3071) beschäftigt (BSG, a. a. O, m. w.
N). Der Gesetzgeber hat damit einen an der Typologie von Aus-übungsformen orientierten Kunstbegriff vorgegeben,
der in aller Regel dann erfüllt ist, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen eines bestimmten
Kunsttyps entspricht. Bei diesen Berufsfeldern ist das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen, ohne dass es auf die
Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankommt oder eine bestimmte Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird
(BSG a. a. O.).
Vorliegend unterfällt die Klägerin zwar von ihrer Ausbildung her dem im Künstlerbericht der Bundesregierung
genannten Katalogberufs des Textildesigners. Allerdings muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden,
dass die Klägerin nicht nur im Bereich des Designs tätig ist, sondern auch die von ihr entworfenen Objekte selbst
anfertigt. Da für die Herstellung der von der Klägerin entworfenen Objekte auch manuell-technische Fähigkei-ten
erforderlich sind und keine reine Designtätigkeit vorliegt, ist im vorliegenden Fall eine Abgrenzung zum Handwerk bzw.
Kunsthandwerk erforderlich. Nach der Rechtsprechung gehören handwerkliche Tätigkeiten, auch wenn ihnen ein
gestalterischer Freiraum imma-nent ist, entsprechend der historischen Entwicklung und der allgemeinen
Verkehrsauffas-sung grundsätzlich nicht zum Bereich der Kunst (vgl. BSG, Urteil vom 24.06.1998, Akten-zeichen B 3
KR 13/97 R Feintäschner; Urteil vom 28.02.2007, Aktenzeichen B 3 KS 2/07 R, Tätowierer, Rdnr. 18; Urteil vom
15.11.2007, Aktenzeichen B 3 KS 3/07 R, Kalligraf, Rdnr. 15). Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es bei der
Abgrenzung zwischen künstlerischer und (kunst-) handwerklicher Tätigkeit darauf an, ob manuell-technische
Fertigkeiten oder eigenschöpferische Leistungen im Vordergrund stehen (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.2007,
Aktenzeichen B 3 KS 3/07 R, Kalligraf, Rdnr. 14 f; Urteil vom 28.02.2007,Aktenzeichen B 3 KS 2/07 R, Tätowierer,
Rdnr. 17). Die Herstellung von Filz-objekten, gleich welcher Art, als Ergebnis textiler Gestaltung ist danach der
bildenden Kunst im Sinne von § 2 Satz 1 KSVG zuzuordnen, wenn der Schwerpunkt der Berufsaus-übung durch eine
eigene Gestaltqualität geprägt wird. Dies ist dann der Fall, wenn den gefilzten Objekten überwiegend ein hohes Maß
an eigenschöpferischen Inhalten zukommt. Liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit hingegen auf der handwerklich-
technischen Bearbei-tung des Werkstoffs Wolle, kommt eine Einordnung der Filzgestaltung als Kunst im Sinne des §
2 Satz 1 KSVG nur dann in Betracht, wenn der Urheber trotz seiner Stellung als Kunsthandwerker mit seinen Werken
in Kunstkreisen als Künstler anerkannt und behandelt wird (vgl. BSG, Urteil vom 24.06.1998, Aktenzeichen B 3 KR
13/97 R, Rdnr. 20, Fein-täschner; BSG, Urteil vom 15.11.2007, Aktenzeichen B 3 KS 3/07 R, Rdnr. 15, Kalligraf). Nur
im letzteren Fall ist maßgebend, ob der Betroffene an Kunstausstellungen teilnimmt, Mitglied von Künstlervereinen
ist, in Künstlerlexika aufgeführt wird, Auszeichnungen als Künstler erhalten hat oder andere Indizien auf seine
Anerkennung als Künstler schließen lassen (BSG, Urteil vom 15.11.2007, Aktenzeichen B 3 KS 3/07 R, Rdnr. 15,
Kalligraf).
Die Klägerin übt weder einen in den Anlagen zur Handwerksordnung genannten Berufe aus, noch ist ihre Tätigkeit aus
anderen Gründen als handwerklich zu qualifizieren.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Tätigkeit der Klägerin keinem der in den Anla-gen zur Handwerksordnung
genannten Berufe gleichzusetzen. Insbesondere entspricht die Tätigkeit entgegen der von der Beklagten im
Widerspruchsbescheid genannten Ansicht nicht der Tätigkeit des in der Anlage B Abschnitt 1 Ziffer 19 der
Handwerksordnung ver-zeichneten Berufes des Damen- und Herrenschneiders. Ganz abgesehen davon, dass die von
der Klägerin hergestellten Bekleidungsobjekte nur einen Teil ihres Gesamtwerkes dar-stellen, können sie - auch im
weiteren Sinne - nicht mit den Bekleidungsstücken vergli-chen werden, die ein Damen- oder Herren Schneider
herstellt. Die Klägerin hat angegeben, dass die von ihr hergestellten Bekleidungsobjekte tragbare Kunstobjekte
darstellen, die vor allem für Fotoaufnahmen und Performances zum Tragen kommen. Die Kammer hat keine
Veranlassung, diese Angabe der Klägerin in Zweifel zu ziehen. Bei unbefangener Betrach-tung der von der Klägerin
gefertigten Kleidobjekte ("DornRöschen", "Kleine Seejungfer", "Kleine MeerJungFrau" bzw. das von ihr gefertigte
bunte Kleid für die Schwangerschaft) steht eindeutig nicht der Bekleidungszweck, sondern die künstlerische
Darbietung im Vor-dergrund. Mögen auch vereinzelte Hüte der Klägerin als Hüte tragbar sein, so steht auch bei diesen
Hüten die künstlerische Aussage und nicht die Praktikabilität im Vordergrund.
Zwar ist kann eine handwerkliche Tätigkeit auch dann vorliegen, wenn sie nicht in den Anlagen zur Handwerksordnung
genannt ist (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.2007, Aktenzei-chen B 3 KS 2/07 R, Tätowierer, Rdnr. 18). In diesem Falle
muss die Beklagte bzw. das Gericht nach den oben genannten Kriterien beurteilen, ob eine handwerkliche Tätigkeit
oder eine künstlerische Tätigkeit vorliegt. Nach aufmerksamer Durchsicht ihrer Arbeiten steht für die Kammer fest,
dass den von der Klägerin hergestellten Objekten ganz überwie-gend ein hohes Maß an eigenschöpferischen Inhalten
zukommt. Es wird deutlich, dass es der Klägerin nicht in erster Linie darauf ankommt, eine gewisse Menge an
verkäuflichen Produkten herzustellen, sondern darauf, ihre eigenen gestalterischen Ideen mit eigener Aussagekraft
umzusetzen. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Unterschiedlichkeit der von der Klägerin gefertigten Objekte. So
stellte sie neben den Spiel- und Kleidobjekten auch Wand- und Fensterbehänge her, die sich für die Kammer als
Bilder darstellen, bei denen zur Gestaltung nicht Farbe, sondern Wolle verwendet wurde. Darüber hinaus hat die Klä-
gerin eine Vielzahl von Filzobjekten hergestellt, die im Rahmen von Performances und Happenings vorgestellt werden.
Neben den bereits erwähnten Kleidobjekten zählen hierzu ihre Baumkleider, der "Uterus" aus Filz, die "Fliegenden
Fische" sowie der "Schafspelz". Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass die Klägerin teilweise auch
Filzobjekte herstellt, die sich an Gebrauchsobjekte anlehnen (Kondomtaschen, Pulswärmer, Finger-püppchen), aber
auch bei den vorgenannten Gegenständen steht die eigenschöpferische Komponente vor der Zweckmäßigkeit und
Praktikabilität im Vordergrund. In keinem Falle konkurriert die Klägerin mit diesen Objekten mit industriell hergestellter
Ware. Schließlich kommt dem Umstand, dass die Klägerin keine handwerkliche, sondern eine künstlerische
Ausbildung hat, eine besondere Bedeutung zu. Bereits im Rahmen ihres Studiums und ih-rer Diplomarbeit wurde durch
ihre Ausbilder anerkannt, dass die Art und Weise, wie sich die Klägerin mit dem Thema Filz auseinandersetzt, Inhalt
eines künstlerischen Studien-ganges und einer künstlerischen Tätigkeit sein kann.
Nachdem die Tätigkeit der Klägerin nicht als (kunst-) handwerkliche Tätigkeit zu qualifi-zieren ist, kommt es nicht
darauf an, ob sie in fachkundigen Kreisen als Künstlerin aner-kannt und behandelt wird. Eine solche Anerkennung als
Künstler in fachkundigen Kreisen ist nur dann erforderlich, wenn handwerkliche Tätigkeit ausnahmsweise als
künstlerische Tätigkeit qualifiziert werden soll. Wenn feststeht, dass keine handwerkliche Tätigkeit vor-liegt, ist eine
Anerkennung als Künstlerin in fachkundigen Kreisen nicht erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2005,
Aktenzeichen B 3 KR 37/04 R, Webdesignerin, Rdnr. 22).
Nachdem die Klägerin in ihrer gestalterischen Tätigkeit als Künstlerin zu qualifizieren ist, ist auch ihre Tätigkeit als
Dozentin dem Bereich der Bildenden Kunst zuzuordnen. Eine lehrende Tätigkeit im Bereich der Bildenden
Kunst/Design ist ebenfalls als künstlerische Tätigkeit anzusehen, sofern eine künstlerische Fachbildung vorliegt
(Finke, in Fin-ke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, § 2 Rdnr. 10). Letzteres ist bei der Klägerin zu beja-hen. Die
Klägerin unterrichtet "Textilgestaltung", was auch ihrem künstlerischen Ausbil-dungsgang entspricht. Dabei kommt es
nicht darauf an, dass Laien oder Schüler unterrich-tet werden, die keine professionelle Auswertung des Gelernten
anstreben (Finke, a. a. O., Rdnr. 8).
Seit Beginn des Jahres 2008 liegt darüber hinaus bei der Klägerin eine publizistische Tä-tigkeit im Sinne von § 1 Satz
1 Nr. 1 KSVG vor, da sie zu diesem Zeitpunkt ihr erstes Buch veröffentlicht hat und hieraus Einnahmen erzielt.
Die Klägerin übt ihre künstlerische und publizistische Tätigkeit auch erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend aus,
so dass auch die Voraussetzung des § 1 Nr. 1 KSVG erfüllt ist. Die Klägerin hat durch zahlreiche Unterlagen
nachgewiesen, dass sie die künstlerische Tätigkeit nicht aus reiner Liebhaberei, sondern auch zum Zwecke des
Broterwerbs ausübt: Sie hat mindestens seit Antragstellung Filzobjekte hergestellt, ausgestellt und verkauft, ist ihrer
Dozententätigkeit nachgegangen und hat ein Buch veröffentlicht und sich im Rahmen eines Verlagsvertrags zur
Veröffentlichung eines weiteren verpflichtet. Sie hat darüber hinaus aus den vorgenannten Tätigkeiten Einnahmen
erzielt und versteuert.
Die Klägerin ist auch nicht versicherungsfrei nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG. Nach der vor-genannten Vorschrift ist
versicherungsfrei, wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit
voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3.900,00 EUR nicht übersteigt. Übt der Selbständige verschiedene
künstlerische und pu-blizistische Tätigkeiten aus, kommt es nicht darauf an, ob das Arbeitseinkommen aus jeder
dieser Tätigkeiten schon für sich genommen die maßgebliche Grenze von 3.900,00 EUR über-steigt; vielmehr ist das
Arbeitseinkommen aus sämtlichen Tätigkeiten zusammenzurechnen (vgl. SG Karlsruhe, Urteil vom 16.03.2009,
Aktenzeichen S 5 KR 5778/07). Arbeitsein-kommen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG ist der nach den
allgemeinen Gewinner-mittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständi-gen
Tätigkeit (§ 36a Satz 1 KSVG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Das Einkommenssteuerrecht
differenziert nicht zwischen verschiedenen Arten künstlerischer und publizistischer Tätigkeit, sondern fasst diese zu
einer einheitlichen Gruppe zusammen (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommenssteuergesetz – Einkünfte aus freiberuflicher
Tätigkeit). Gleiches muss auch bei der Prüfung der Einkommensgrenze nach § 3 Abs. 1 KSVG gelten (vgl. SG
Karlsruhe a.a.O., Rdnr. 29). Die Klägerin hat bereits in ihrer am 24.08.2007 ein-gegangenen Meldung angegeben, dass
sie voraussichtlich im Jahr 2007 3.950,00 EUR Jahres-arbeitseinkommen erzielen werde. Der
Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2007 weist Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 4.894,00 EUR
aus. Somit ist festzuhalten, dass sowohl nach der Prognose der Klägerin als auch nach dem tatsächlichen Verlauf
Einkünfte über 3.900,00 EUR erzielt worden sind. Gleiches gilt für das Jahr 2008, für das der entspre-chende
Einkommenssteuerbescheid 5.737,00 EUR Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus-weist. In Anbetracht der Tatsache,
dass die Klägerin im Jahr 2009 bereits einen Vorschuss in Höhe von 5.000,00 EUR für die Veröffentlichung ihres
zweiten Buches erhalten hat, ist zu erwarten, dass sie auch im Jahr 2009 die Einkommensgrenze von 3.900,00 EUR
überschreiten wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.