Urteil des SozG Dresden vom 26.10.2009

SozG Dresden: nachtarbeit, thüringen, erwerbseinkommen, haushalt, mehrarbeit, hauptsache, rechtseinheit, steuerrecht, spesen, gerichtsakte

Sozialgericht Dresden
Urteil vom 26.10.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 32 AS 1317/08
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung der vom Arbeitgeber des Klägers zu 2. gezahlten Nacht-, Sonn- und
Feiertagszuschläge auf den Bedarf für Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II für die
Zeit von Mai bis September 2007 und November 2007 bis April 2008.
Die Kläger beziehen von der Beklagten seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die 1966
geborene Klägerin zu 1. und der 1963 geborene Kläger zu 2. sind miteinander verheiratet. Der 1997 geborene Kläger
zu 3., die 1990 geborene Klägerin zu 4. sowie der 2000 geborene Kläger zu 5. sind ihre im Haushalt lebenden Kinder.
Die Klägerin zu 4. bezog im Mai 2007 Berufsausbildungsbeihilfe i.H.v. 237,00 EUR. Die Klägerin zu 1. ging im
gesamten Streitzeitraum einer geringfügigen Beschäftigung nach, für die ihr 165,00 EUR (brutto = netto) zuflossen.
Für die Kläger zu 3.-5. floss Kindergeld i.H.v. jeweils 154,00 EUR je Kind und Monat zu. Der Kläger zu 2. war im
streitigen Zeitraum erwerbstätig an einer Apfelabpackanlage bei der. Er erzielte Einkommen in wechselnder Höhe,
darunter auch steuerfrei gewährte Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge.
Der Kläger zu 2. erzielte im Monat Mai 2007 Erwerbseinkommen i.H.v. brutto 1.011,83 EUR und 808,21 EUR netto.
Hierin enthalten sind steuerfreie Nachtzuschläge i.H.v. 3,83 EUR. Die Beklagte bewilligte den Klägern für den Monat
Mai 2007 ursprünglich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 650,99 EUR. Mit Änderungsbescheid
vom 12.10.2007 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen für diesen Monat i.H.v. 705,60 EUR. Hiergegen legten
die Kläger am 8.11.2007 ohne Begründung Widerspruch ein. Unter dem 20.2.2008 erließ die Beklagte einen
Änderungsbescheid, mit dem sie den Klägern für Mai 2007 Leistungen i.H.v. 735,15 EUR bewilligte. Mit
Widerspruchsbescheid vom gleichen Tag wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Am 17.3.2008
haben die Kläger hiergegen unter dem Aktenzeichen S 32 AS 1318/08 Klage erhoben.
In den Monaten Juni und Juli 2007 erzielte der Kläger zu 2. Einkommen wie folgt: im Juni 2007 1.135,73 EUR brutto,
910,55 EUR netto (incl. 13,50 EUR Feiertags- und 7,43 EUR Nachtzuschläge); im Juli 2007 1.008,00 EUR brutto,
842,89 EUR netto (incl. 12,75 Sonntags- und 5,40 EUR Nachtzuschläge). In Abänderung des ursprünglichen
Bewilligungsbescheides bewilligte die Beklagte den Klägern mit Änderungsbescheid vom 12.10.2007 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat Juni 2007 i.H.v. 792,85 EUR und für den Monat Juli 2007 i.H.v. 858,11
EUR. Am 8.11.2007 legten die Kläger ohne Begründung hiergegen Widerspruch ein. Unter dem 20.2.2008 erließ die
Beklagte einen Änderungsbescheid, mit dem sie den Klägern für den Monat Juni 2007 Leistungen i.H.v. 822,40 EUR
und für den Monat Juli 2007 i.H.v. 887,65 EUR bewilligte. Mit Widerspruchsbescheid vom selben Tag wies die
Beklagte den Widerspruch sodann zurück. Am 17.3.2008 haben die Kläger hiergegen unter dem Aktenzeichen S 32
AS 1319/08 Klage erhoben.
In den Monaten August und September 2007 erzielte der Kläger zu 2. Einkommen wie folgt: im August 2007 1.064,55
EUR brutto, 851,23 EUR netto (incl. 8,55 EUR Nachtzuschläge); im September 2007 1.135,05 EUR brutto, 906,23
EUR netto (incl. 2,25 EUR Nachtzuschläge). Im September 2007 floss dem Kläger zu 2. zudem Arbeitslosengeld
i.H.v. 109,36 EUR zu. In Abänderung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides bewilligte die Beklagte den Klägern
mit Änderungsbescheid vom 12.10.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat August 2007
i.H.v. 853,95 EUR und für den Monat September 2007 i.H.v. 548,14 EUR. Am 8.11.2007 legten die Kläger ohne
Begründung hiergegen Widerspruch ein. Unter dem 20.2.2008 erließ die Beklagte einen Än-derungsbescheid, mit dem
sie den Klägern für den Monat August 2007 Leistungen i.H.v. 883,49 EUR und für den Monat September 2007 i.H.v.
726,18 EUR bewilligte. Mit Widerspruchsbescheid vom selben Tag wies die Beklagte den Widerspruch sodann
zurück. Am 17.3.2008 haben die Kläger hiergegen unter dem Aktenzeichen S 32 AS 1317/08 Klage erhoben.
In den Monaten November 2007 bis April 2008 erzielte der Kläger zu 2. Erwerbseinkommen wie folgt: Monat Brutto-
Einkommen Netto-Einkommen Nacht-/Sonn- und Feiertagszuschläge November 2007 293,63 EUR 264,55 - Dezember
2007 1.060,95 EUR 847,63 EUR - Januar 2008 1.077,64 EUR 811,36 EUR 6,98 EUR Februar 2008 1.113,45 EUR
895,41 EUR 9,45 EUR März 2008 1.036,35 EUR 8,33,72 EUR 10,35 EUR April 2008 1.008,00 EUR 808,92 EUR -
Mit Bescheid vom 7.1.2008 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wie
folgt: für den Monat November 2007 i.H.v. 1.326,60 EUR, für den Monat Dezember 2007 i.H.v. 870,89 EUR, für den
Monat Januar 2008 i.H.v. 883,52 EUR und für die Monate Februar bis April 2008 i.H.v. monatlich 870,89 EUR. Am
17.1.2008 legten die Kläger gegen diesen Bewilligungsbescheid ohne nähere Begründung Widerspruch ein. Am
10.6.2008 erließ die Beklagte einen Änderungsbescheid, mit dem sie folgende Leistungen bewilligte: für den Monat
November 2007 nach wie vor i.H.v. 1.326,60 EUR, für den Monat Dezember 2007 i.H.v. 895,82 EUR, für den Monat
Januar 2008 i.H.v. 913,01 EUR, für den Monat Februar 2008 i.H.v. 882,54 EUR, für den Monat März 2008 i.H.v.
936,52 EUR sowie für den Monat April 2008 i.H.v. 958,49 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom gleichen Tag wies die
Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Am 10.7.2008 haben die Kläger unter dem Aktenzeichen S 32 AS
3525/08 Klage erhoben.
Nachdem die Kläger zunächst noch weitere Einkommensanrechnungsmodalitäten – insbesondere die
Nichtberücksichtigung von über die 30-EUR-Pauschale des § 6 Abs. 1 Nr. 1 ALG II-V hinausgehenden
Versicherungsbeiträgen – moniert hatten, wenden sie sich nun lediglich noch gegen die Berücksichtigung der dem
Kläger zu 2. gewährten, steuerfreien Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge als Einkommen. Sie sind der Auffassung,
bei diesen Zuschlägen handele es sich um zweckbestimmte Einahmen i.S.v. § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II. Diese seien
daher nicht als Einkommen zu berücksichtigen.
Die Kläger beantragen zuletzt,
die Beklagte zu verpflichten, den Klägern unter Abänderung der angefochtenen Bescheide für die Zeit von Mai 2007
bis April 2008 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der dem Kläger zu 2.
gewährten Nachtzuschläge als zweckbestimmte Einnahmen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die steuerfrei gezahlten Zuschläge seien keine zweckbestimmten Einnahmen i.S.v. § 11 Abs.
3 Nr. 1a) SGB II. Es sei kein finanzieller Mehraufwand erkennbar, zu dessen Ausgleich die Zuschläge vom Kläger zu
2. in Anspruch genommen werden müssten.
In der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2009 hat sich der Kläger zu 2. zum Zweck der Nacht-, Sonn- und
Feiertagszuschläge geäußert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2009 die Verfahren S 32 AS 1317/08, S 32 AS 1318/08, S
32 AS 1319/08 und S 32 AS 3525/08 zur gemeinsamen Entscheidung unter Führung des erstgenannten Verfahrens
miteinander verbunden. Der Kammer haben neben der Gerichtsakte auch die Verwaltungsakten der Beklagten zur BG-
Nr. 07702BG0008094 vorgelegen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, soweit das Urteil auf
ihnen beruht.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Wegen der
zutreffenden Berechnung zum Bedarf der Kläger und zu dem anzurechnenden Einkommen, die als solche nicht
angegriffen ist, wird auf die verfahrensgegenständlichen Widerspruchsbescheide verwiesen. Die Beklagte
insbesondere hat zu Recht die Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge des Klägers zu 2. als Einkommen i.S.v. § 11
Abs. 1 SGB II berücksichtigt.
Nach § 11 Abs. 1 S.1 SGB sind alle Einnahmen in Geld und Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen. Der
Gesetzgeber hat von diesem Grundsatz zwar in § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II für zweckbestimmte Einnahmen eine
Ausnahme gemacht, die die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem
SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Ausnahmevorschrift sind hier aber
nicht erfüllt. Hierzu müsste es sich um zweckbestimmte Einnahmen handeln, die anderen Zwecken als Leistungen
nach dem SGB II dienen und die die Lage der Kläger nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach
dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Hier fehlt es – anders als etwa bei vom Arbeitgeber steuerfrei ausgeglichenen
Verpflegungsmehraufwendungen (hierzu Urteile der Kammer vom 2.2.2009, S 32 AS 817/08 und vom 5.1.2009, S 32
AS 4709/08) – bereits an der ersten Voraussetzung: Anders als die bisher vorherrschende Rechtsprechung (siehe
insbesondere LSG Thüringen, Beschl. v. 8.3.2005, L 7 AS 112/05 ER unter zu pauschaler Bezugnahme auf BSG, Urt.
v. 21.8.1962, 11 Rv. 1056/60, BSGE 17, 242; SG Chemnitz, Urt. v. 20.6.2008, S 22 AS 4269/07 unter unzutreffender
Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 21.3.1990, 7 Rar 86/87) und Literatur (Brühl, in Münder, Lehr- und Praxiskommentar
SGB II, 3. Aufl. 2009, § 11 Rdnr. 68, dritter Spiegelstrich; Schmidt, in Oestreicher, SGB XII/SGB II, Losebl., Stand
2009, § 11 SGB II Rdnr. 125; Söhngen, in jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rdnr. 58) meint, handelt es sich bei den
steuerfrei gewährten Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen bereits nicht um Einnahmen, die aufgrund einer
Zweckbestimmung anderen Zwecken als Leistungen nach dem SGB II dienen (in diese Richtung für
Erschwerniszulagen auch BSG, Urt. v. 27.2.2008, B 14/7b AS 32/06 R, Rdnr. 49; zweifelnd Mecke, in
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rdnr. 61a).
Das ergibt sich aus folgendem:
1. Sinn des Gesamtkonzepts des § 11 SGB II (i.V.m. den Vorschriften der ALG II-V) ist es, eine Anrechnung solcher
Leistungen als Einkommen auf den Bedarf zu erreichen, die im Einzelfall denselben Zwecken wie die Leistungen nach
dem SGB II dienen, nämlich den Lebensunterhalt zu sichern. Hierdurch soll einerseits verhindert werden, dass der
Grundsicherungsträger Leistungen erbringt, die dem Betreffenden (infolge eines Einkommens) zur Sicherung des
Lebensunterhalts doppelt zur Verfügung stehen. Zum anderen soll insbesondere § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II
verhindern, dass der Zweck einer Leistung, die erkennbar nicht der Sicherung des Lebensunterhalts dient, dadurch
vereitelt wird, dass sie auf Leistungen nach dem SGB II angerechnet wird (BSG, Urt. v. 6.12.2007 – B 14/7b AS
16/06 – Rdnr. 16). Daraus folgt, dass eine Leistung ist i.S.d. Vorschrift zweckbestimmt ist, wenn ihr erkennbar eine
bestimmte Zweckrichtung beigemessen werden kann und die Leistung im Fall ihrer Anrechnung auf Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts ihren Zweck nicht erreichen würde (BSG, Urt. v. 6.12.2007 – B 14/7b AS 16/06 –
Rdnr. 16). Ausgehend von diesen Grundsätzen dienen Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge nicht feststellbar
anderen Zwecken als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Diese dienen der Sicherung
des Lebensunterhalts von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht auf anderem Wege
beseitigt werden kann (BSG, Urt. v. 6.12.2007 – B 14/7b AS 16/06 – Rdnr. 17). Eine erkennbar andere Zweckrichtung
kann den Zuschlägen nicht beigemessen werden.
2. Anders als bei sog. Spesen, den Verpflegungsmehraufwendungen, die ebenso wie Nacht-, Sonn- und
Feiertagszuschläge (siehe § 3b EStG) bis zu einer bestimmten Höhe steuerfrei gewährt werden können (siehe § 3 Nr.
13 i.V.m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 EStG), ergibt sich eine solche Bestimmung eines anderen Zwecks als der Sicherung
des Le-bensunterhalts nicht bereits aus der Natur der Leistung. Wie die Bezeichnung bereits deutlich macht, sollen
durch Verpflegungsmehraufwendungen nämlich die erhöhten Kosten der Ernährungsbeschaffung ausgeglichen
werden, die eine auswärtige Beschäftigung fernab vom eigenen Haushalt mit sich bringt (vgl. Urteile der Kammer vom
2.2.2009, S 32 AS 817/08 und vom 5.1.2009, S 32 AS 4709/08; ferner SG Dresden, Beschl. v. 26.6.2008 – S 21 AS
1805/08 – juris-Rdnr. 18). Ausgeglichen werden sollen durch Spesenzahlungen aber unter Umständen auch solche
Kosten, die bei der Ausübung bestimmter Berufe, etwa dem des Fernfahrers, typischerweise anfallen, insbesondere
Aufwendungen für die hygienische Versorgung an Raststätten oder Autohöfen. All dies sind Leistungen, die ersichtlich
vom Zweck der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht erfasst sind. Eine solche eindeutige
Zweckbestimmung ist bei den Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen nicht ersichtlich.
3. Eine hinreichende Zweckbestimmung kann auch nicht bereits darin gesehen oder dadurch fingiert werden, dass der
vom Arbeitgeber gewährte Zuschlag einkommensteuerrechtlich privilegiert ist (vgl. § 3b Abs. 1 EStG). § 3b EStG ist
aus wirtschafts- und ar-beitsmarktpolitischen Gründen eingeführt und trotz fortwährender rechtspolitischer Diskussion
gehalten worden, insbesondere weil es ein Allgemeininteresse an Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit gibt (Erhard, in
Blümich, EStG, KStG, GewStG, Nebengesetze, Losebl., Stand Mai 2009, § 3b EStG Rdnr. 5 m.w.N.) oder ein
solches jedenfalls behauptet wird. Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit soll steuerlich gefördert werden, um sie für die
Arbeitnehmer attraktiv zu machen. Eingeführt wurde die Steuerfreiheit für Mehrarbeitslöhne zu Beginn des zweiten
Weltkrieges (Erhard a.a.O. Rdnr. 2), wohl um zu demonstrieren, dass die Reichregierung selbst in Kriegszeiten in der
Lage sei, Steuern zu senken, statt Kriegssteuern einzuführen. Dies alles zeigt, dass das Steuerrecht Lenkungsziele
verfolgt, die von den Zwecken des SGB II, das den Lebensunterhalt der Hilfebedürftigen sicherstellen soll,
grundverschieden sind. Diese steuerrechtlichen Lenkungsziele geben daher für die Frage der Zweckbestimmung i.S.v.
§ 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II nichts her.
4. Der den Zuschlägen bisweilen zugesprochene Zweck, sie glichen aus, dass Nachtarbeit den Menschen physisch
stärker beanspruchende als die am Tage geleistete Arbeit; Nachtarbeit führe daher auch zu zusätzlichen Mahlzeiten
(so insbesondere LSG Thüringen, Beschl. v. 8.3.2005, L 7 AS 112/05 ER unter Bezugnahme von BSG, Urt. v.
21.8.1962, 11 Rv. 1056/60, BSGE 17, 242), gibt die Realität nach Auffassung der Kammer nicht angemessen wieder.
Jedenfalls hier lag der Fall so, dass der Kläger zu 2. dann, wenn es zu Nachtzuschlägen gekommen ist, verlängert
vom Tag "in die Nacht hinein" gearbeitet hat. Der Kläger zu 2. hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er
in diesen Fällen "weitere Pausen" brauchte, in denen er zusätzliche Mahlzeiten zu sich genommen habe. Dies zeigt,
dass nicht die Nachtarbeit, sondern die Mehrarbeit an sich dazu führte, dass der Kläger zu 2. erhöhte Aufwendungen
zu haben glaubt. Mit den Zuschlägen soll aber erklärtermaßen keine Mehrarbeit, sondern die Arbeit zur Nachtzeit
privilegiert werden. Diese Argumentation kann zudem nicht erklären, weshalb gleiches auch für die Sonn- und
Feiertagszuschläge gelten soll. Es ist nicht vorstellbar, dass die Arbeit an Sonn- und Feiertagen den Menschen
physisch stärker bean-spruchen und deshalb zu erhöhtem Nahrungsbedarf führen soll als die Arbeit an Wochentagen.
Über diese Frage geht insbesondere die Rechtsprechung des LSG Thüringen (Beschl. v. 8.3.2005, L 7 AS 112/05 ER)
hinweg, obwohl sie sich ausdrücklich auch auf Sonn- und Feiertagszuschläge bezieht. Auch die Bezugnahme
(insbesondere des SG Chemnitz, Urt. v. 20.6.2008, S 22 AS 4269/07) auf Entscheidungen des BSG zum
Arbeitsförderungsrecht (BSG, Urt. v. 21.3.1990, 7 Rar 86/87), geht fehl. Zwar hat das BSG a.a.O. (allerdings in einem
obiter dictum und ohne nähere Begründung) darauf verwiesen, dass die Zuschläge für Nachtarbeit unter § 138 Abs. 3
Nr. 3 AFG a.F. fielen. Allerdings stellte § 138 Abs. 3 Nr. 3 AFG a.F. selbst ausdrücklich klar, dass
"nichtsteuerpflichtige Aufwandsentschädigungen" als zweckbestimmte Einnahme zu gelten haben. Das BSG musste
sich demnach zu einer argumentativen Absicherung nicht veranlasst sehen. Genau diese Vermutung der
Zweckgebundenheit fehlt hingegen in § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass § 138
Abs. 3 Nr. 3 AFG a.F. auch die in § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II enthaltene Einschränkung, die die Lage des Empfängers
dürfe nicht so günstig beeinflusst sein, dass daneben Leistungen nicht mehr gerechtfertigt wären, nicht enthielt.
5. Da ein mit den Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen abzugeltender finanzieller Mehraufwand nicht erkennbar ist,
stellen diese Zuschläge keine zweckbestimmten Einnah-men i.S.v. § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II dar. Sie können vom
Hilfebedürftigen zur Sicherung des Lebensunterhalts herangezogen werden.
III. Die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt der
Entscheidung in der Hauptsache.
IV. Die Berufung war zuzulassen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt (vgl. §
144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG), die Rechtssache aber nach Auffassung der Kammer grundsätzliche Bedeutung (§ 144
Abs. 2 Nr. 1 SGG) hat. Die Rechts-frage, ob Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge zweckbestimmte Einnahmen
i.S.v. § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II sind, ist bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt. Zudem weicht die Entscheidung
der Kammer von den bereits vorliegenden – auch obergerichtlichen – Entscheidungen anderer Gerichte ab. Die
Klärung dieser Rechtsfrage liegt vor dem Hinter-grund der zu erwartenden weiteren Streitigkeiten im allgemeinen
Interesse, um die Rechtseinheit zu erhalten.