Urteil des SozG Dresden vom 12.04.2010

SozG Dresden: eintritt des versicherungsfalles, medizinische rehabilitation, befristete rente, behandlung, befristung, erwerbsfähigkeit, arbeitsmarkt, epilepsie, gerichtsgutachten, depression

Sozialgericht Dresden
Urteil vom 12.04.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 24 KN 289/09
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23.1.2009 verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem Leistungsfall am 7.11.2008 beginnend ab 1.6.2009 befristet bis
31.5.2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. II. Die Beklagte hat dem Kläger seine
notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung. Der 1965 geborene Kläger ist
gelernter Kfz-Elektriker, arbeitete als solcher bis November 1991, danach bis August 1996 als Disponent und
angestellter Handelsvertreter im Elektrobereich, anschließend bis Februar 2006 als Verkäufer in einem Auto-
Fachmarkt und dann nach kurzer Arbeitslosigkeit ab November 2006 als selbstständiger Handelsvertreter für
elektrische Bauelemente. Dieses Gewerbe gab er im Juli 2009 auf. In seinem Versicherungsverlauf sind bis
einschließlich Oktober 2006 lückenlos Pflichtbeiträge und ab November 2006 freiwillige Beiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung gespeichert. Nach einem ersten epileptischen Anfall im Mai 2004 wurde er ab Juli 2004 mit einem
GdB von 50 (wegen Epilepsie bei Hirnzyste) als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Am 3.12.2007 beantragte er
deshalb Erwerbsminderungsrente und legte die Behandlungsberichte ab Mai 2004 sowie eine Bescheinigung seiner
behandelnden Psychiaterin vom 10.7.2007 vor, wonach er keine wirtschaftlich verwertbare Arbeit mehr leisten könne.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin zunächst eine stationäre psychosomatische Rehabilitation vom
26.5.2008 bis 20.6.2008, aus der er sofort arbeitsfähig entlassen wurde. Diagnostiziert wurden dort eine gemischte
Angst- und depressive Störung, eine lokalisationsbezogene fokale, symptomatische Epilepsie mit komplexen
Anfällen, wiederkehrende Lumboischialgien bei fraglicher Wurzelirritation am Segment L4/5 sowie eine zurückgebildete
Halbseitensymptomatik rechts mit kognitiven Einschränkungen als Zustand nach einem Zwischenfall bei einer
Mandeloperation im sechsten Lebensjahr. Dagegen wandte der Kläger bei der Beklagten ein, dass sein
Gesundheitszustand schwankend sei, ihn seine Psychiaterin bereits ab 2.7.2008 wieder arbeitsunfähig geschrieben
und ihm deshalb (wie beigefügt) am 28.8.2008 erneut bescheinigt habe, dass er keine wirtschaftlich verwertbare Arbeit
mehr leisten könne. Nachdem der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten (SMD) auf dieser Grundlage am 30.9.2008
eingeschätzt hatte, dass der Kläger noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich mittelschwere Arbeit verrichten
könne, lehnte die Beklagte eine Erwerbsminderungsrente mit Bescheid vom 13.10.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.1.2009 ab. Mit seiner Klage vom 17.2.2009 wendet der Kläger dagegen ein, dass er
vor allem wegen der Auswirkungen der Epilepsie, der Halbseitensymptomatik und der gemischten Angst- und
depressiven Störung keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne. Dazu komme noch das
Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom. Seine Erwerbsunfähigkeit werde durch die erneute Bescheinigung seiner
Psychiaterin vom 7.5.2009 nochmals bestätigt. Folgerichtig komme deshalb auch das Gerichtsgutachten zur
Annahme einer vollen Erwerbsminderung, jedenfalls seit Beginn seiner nunmehr dauerhaften Arbeitsunfähigkeit am
7.11.2008. Die Kläger beantragt, den Bescheid vom 13.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23.1.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser
Erwerbsminderung zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie sieht aufgrund der Befunde der
behandelnden Ärzte keine Änderung und hält das neurologisch-psychiatrische Gerichtsgutachten zwar für
grundsätzlich zutreffend, aber die danach allein zur vollen Erwerbsminderung führende depressive Episode für eine
vorübergehende Erkrankung, die keinen Rentenanspruch begründe. Im Übrigen sei eine Rentengewährung für den
Heilungsverlauf kontraproduktiv. Dem Gericht liegt zur Entscheidung neben den Befundberichten und Unterlagen der
behandelnden Ärzte aus dem Verwaltungs- und Gerichtsverfahren insbesondere das neurologisch-psychiatrische
Gerichtsgutachten von Dr. med. B vom 10.11.2009 mit Untersuchung am 6.11.2009 vor. Wegen der weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 13.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23.1.2009 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger deshalb (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat aufgrund
eines Leistungsfalles am 7.11.2008 beginnend ab 1.6.2009 befristet bis 31.5.2012 Anspruch auf Rente voller
Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI. 1. Der Kläger ist nachweisbar mindestens seit 7.11.2008 voll
erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 1 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind Versicherte
voll erwerbsgemindert, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sie
sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI teilweise erwerbsgemindert, wenn sie zwar mindestens drei, aber keine sechs
Stunden täglich mehr dazu in der Lage sind. Erwerbsgemindert in diesem Sinne ist deshalb nicht, wer unter den
üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein
kann (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI). In diesem Fall ist dann auch die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu
berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI). Die Arbeitsmarktlage ist jedoch im Umkehrschluss zu
berücksichtigen und führt zur vollen Erwerbsminderung, wenn für einen eigentlich nur teilweise erwerbsgeminderten
Versicherten der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist, weil ihm nicht innerhalb eines Jahres ein entsprechender
Teilzeitarbeitsplatz angeboten werden konnte (BSG - Großer Senat -, Beschl. v. 19.12.1996 - GS 2/95 -, Juris Rn. 38
= SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, der sich das Gericht anschließt, kann unter
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes allerdings selbst derjenige noch erwerbstätig sein, der -
unabhängig von einem bestimmten Berufsbild - in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten zu verrichten,
die im ungelernten Bereich gefordert zu werden pflegen (z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen,
Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.), selbst wenn ihm diese
leichten Tätigkeiten nur noch mit Einschränkungen möglich sind. Kann er dies noch mindestens sechs Stunden
täglich, liegt somit unabhängig von der Arbeitsmarktlage in der Regel keine Erwerbsminderung vor. Kann er dies noch
mindestens drei, aber keine sechs Stunden mehr, liegt hingegen in der Regel nur eine teilweise und erst bei
verschlossenem Teilzeitarbeitsmarkt eine volle Erwerbsminderung vor (BSG - Großer Senat -, Beschl. v. 19.12.1996 -
GS 2/95 -, Juris Rn. 34/35 und 48/49 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8; für das seit 1.1.2001 geltende aktuelle Recht
bestätigt durch: BSG, Urt. v. 5.10.2005 - B 5 RJ 6/05 R -, Juris Rn. 18 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 5). Eine Ausnahme
von diesem Grundsatz gilt jedoch, wenn ausschließlich noch körperlich leichte Tätigkeiten im ungelernten Bereich
verrichtet werden können (mithin auch keine mittelschweren Tätigkeiten mehr) und die Einschränkungen selbst bei
körperlich leichten Tätigkeiten derart erheblich sind, dass entweder eine Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, die zur Folge hat, dass der
Versicherte eine Vielzahl bestimmter, selbst leichter Tätigkeiten nicht ausführen kann. Dann ist - trotz der praktischen
Schwierigkeiten - zumindest eine konkrete Verweisungstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu benennen, die der
Versicherte noch ausüben und die er auch aufsuchen kann, um sicherzustellen und nachprüfbar zu machen, dass er
trotz seiner Leistungsminderung noch eine Erwerbstätigkeit auszuüben vermag und dass diese Verweisungstätigkeit
alle Merkmale aufweist, die von Gesetzes wegen den Rentenanspruch ausschließen (dazu ausführlich mit Beispielen:
BSG - Großer Senat -, Beschl. v. 19.12.1996 - GS 2/95 -, Juris Rn. 37 und 48 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8; für das seit
1.1.2001 geltende aktuelle Recht bestätigt durch: BSG, Urt. v. 5.10.2005 - B 5 RJ 6/05 R -, Juris Rn. 18 = SozR 4-
2600 § 43 Nr. 5). Kann eine solche Verweisungstätigkeit benannt werden, ist der Arbeitsmarkt jedoch trotz drei- oder
sogar sechsstündigem Leistungsvermögen in dieser Tätigkeit verschlossen und volle Erwerbsminderung
anzunehmen, wenn - im Sinne der sog. Katalogfälle Nr. 3 bis 7 - die Zahl der danach in Betracht kommenden
Arbeitsplätze nicht unerheblich reduziert ist, weil der Versicherte nur in Teilbereichen des Tätigkeitsfeldes eingesetzt
werden kann (Nr. 3) oder derartige Arbeitsplätze als Schonarbeitsplätze (Nr. 4) oder als Aufstiegspositionen (Nr. 6)
nicht an Betriebsfremde oder allgemein nicht an Berufsfremde (Nr. 5) vergeben werden oder ohnehin nur in ganz
geringer Zahl vorkommen (Nr. 7). Darüber hinaus ist der Arbeitsmarkt generell trotz drei- oder sogar sechsstündigem
Leistungsvermögen sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als auch in einer Verweisungstätigkeit verschlossen
und volle Erwerbsminderung anzunehmen, wenn - im Sinne der sog. Katalogfälle Nr. 1 und 2 - das jeweils nötige
Leistungsvermögen nur unter betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen erreicht wird (Nr. 1) oder der Arbeitsplatz aus
gesundheitlichen Gründen nicht aufgesucht werden kann (Nr. 2). Diese Katalogfälle sind abschließend (BSG - Großer
Senat -, Beschl. v. 19.12.1996 - GS 2/95 -, Juris Rn. 38 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8, m. w. N.). Bei Anwendung dieser
Kriterien ist der Kläger vorliegend mindestens seit 7.11.2008 voll erwerbsgemindert, weil spätestens ab diesem
Zeitpunkt nachgewiesen ist, dass er auch körperlich leichte Tätigkeiten, die im ungelernten Bereich gefordert zu
werden pflegen, keine drei Stunden täglich mehr verrichten kann. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus
dem neurologisch-psychiatrische Gerichtsgutachten von Dr. med. B. Der Sachverständige hat beim Kläger eine
armbetonte rechtsseitige Bewegungsstörung mit herabgesetzter Muskelspannung und Bewegungsüberschuss im
rechten Arm, eine Epilepsie mit ständiger Gefahr neuer Anfälle, eine kognitive Beeinträchtigung in Form einer
Verlangsamung psychischer Abläufe, einem unterdurchschnittlichen Langzeitgedächtnis, einer weit
unterdurchschnittlichen Aufmerksamkeitsleistung mit Neigung zu Fehlleistungen sowie eine mittelgradige depressive
Episode von bedeutsamen Ausmaßen bestehend seit Beginn der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit am 7.11.2008
festgestellt. Dem Kläger sind nach dem Gutachter nur noch leichte Arbeiten möglich, wenn sie nicht beidhändig
ausgeführt werden müssen und wenn sie im Gehen und Stehen eine ausreichende Trittsicherheit gewährleisten. Die
Fingerfertigkeit und Griffsicherheit ist danach rechtsseitig weitgehend aufgehoben und deshalb auch die Arbeit an
Büromaschinen erheblich erschwert und zeitaufwendig. Zeitdruck dürfe der Kläger ebenfalls nicht ausgesetzt werden.
Solange die seit 7.11.2008 in der aktuellen Ausprägung bestehende Depression andauert, kann der Kläger nach
Einschätzung des Sachverständigen aber selbst Arbeiten, die diesen Anforderungen genügen, nur unter drei Stunden
arbeitstäglich verrichten. Die Depression ist nach Dr. med. B jedoch gut behandelbar und bedingt typischerweise nur
eine vorübergehende Leistungsminderung. Es gebe aber auch chronische Verläufe, die einer längeren Behandlung
bedürfen. Aufgrund der guten Behandlungsmotivation des Klägers bestehe bei ihm eine gute Prognose, wenn die
abgebrochene tagesklinische Behandlung fortgesetzt und anschließend erneut eine psychosomatische
Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt werde. Er sieht sich insoweit diagnostisch weitgehend in Übereinstimmung mit
der Rehabilitation vom 26.5.2008 bis 20.6.2008 und die unterschiedliche Leistungsbeurteilung durch die damals nicht
vorhersehbare Zunahme der Depression bedingt. Diese Einschätzung ist für das Gericht ohne weiteres
nachvollziehbar. Sie entspricht auch dem persönlichen Eindruck der Kammer in der mündlichen Verhandlung, wo die
vom Sachverständigen geschilderte depressive Symptomatik beim Kläger offensichtlich war. Letztlich wird die
medizinische Einschätzung des Gutachters auch vom SMD der Beklagten nicht in Zweifel gezogen, so dass das
Gericht keine Bedenken hat, dem Sachverständigen zu folgen. Soweit der SMD von einer nicht rentenberechtigenden,
weil gut behandelbaren Leistungseinschränkung ausgeht, ist dies - rechtlich - unzutreffend. Es kommt nicht darauf an,
ob die Erkrankung gut behandelbar ist, wenn die Behandlung tatsächlich nicht zur Behebung der Leistungsminderung
führt und der Zustand der aufgehobenen Leistungsfähigkeit (nur unter dreistündiges Leistungsvermögen) mehr als
sechs Monate andauert, was hier seit 7.11.2008 der Fall ist. Rückschauend betrachtet ist dann erwiesen, dass die
volle Erwerbsminderung gerade nicht "nur vorübergehend" und "nur auf absehbare Zeit" vorhanden war, sondern
dauerhaft, d. h. mehr als sechs Monate vorlag. Dabei ergibt sich die Frist von sechs Monaten für die Auslegung des
Begriffs "auf nicht absehbare Zeit" in § 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI in Anlehnung an § 101 Abs. 1
SGB VI, wonach befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erst ab dem siebten Kalendermonat nach
Eintritt der Erwerbsminderung zu leisten sind (BayLSG, Beschl. v. 2.2.2010 - L 19 R 1039/09 ER -, Juris Rn. 12, mit
Verweis auf BSG, Urt. v. 23.3.1977 - 4 RJ 49/76 -, Juris Rn. 14 bis 16 = SozR 2200 § 1247 Nr. 16). Zwar gilt der
Grundsatz "Reha vor Rente", d. h. Rentenleistungen sollen erst dann gewährt werden, wenn zunächst aussichtsreiche
Teilhabeleistungen - wie hier eine medizinische Rehabilitation wegen der guten Behandelbarkeit der Depression -
erfolglos erbracht wurden oder wenn - was hier nicht der Fall ist - Teilhabeleistungen von vornherein keinen Erfolg
versprechen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI; § 8 Abs. 2 SGB IX). Jedoch ermöglicht dieser Grundsatz die Versagung
einer Erwerbsminderungsrente nur dann, wenn der Versicherte seinen Mitwirkungspflichten gemäß den §§ 60 ff. SGB I
(insbesondere gemäß § 63 SGB I) nicht nachkommt und der Rentenversicherungsträger deshalb von seinem
Versagungsrecht gemäß § 66 SGB I ordnungsgemäß Gebrauch macht (dazu im Einzelnen: LSG Rh.-Pf., Urt. v.
17.3.2003 - L 2 RJ 230/02 -, Juris Rn. 38 ff. = NZS 2004, 47 ff.). Eine Mitwirkungspflichtverletzung des Klägers ist
hier aber ebenso wenig ersichtlich wie ein Vorgehen der Beklagten nach § 66 SGB I. Allein auf eine prognostische,
zukunftsgerichtete Beurteilung der voraussichtlichen Dauer der Erwerbsminderung zum jeweiligen
Entscheidungszeitpunkt (z. B. bei Erlass des Ausgangs- oder des Widerspruchsbescheides) kann hingegen nicht
abgestellt werden, weil andernfalls eine Rente trotz aufgehobenem Leistungsvermögen dauerhaft oder zumindest über
Jahre hinweg nur deshalb versagt werden könnte, weil eine Behandlung Erfolg versprechend erscheint und nach
prognostischer Einschätzung innerhalb der nächsten sechs Monate zur Behebung der Leistungsminderung führen
könnte, gleichgültig, ob den Versicherten am späteren Nichteintritt des prognostizierten Behandlungserfolgs ein
Verschulden trifft oder ihm insoweit eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Daher muss es zulässig sein,
die Prognose nachträglich und rückschauend zu überprüfen, um festzustellen, ob der Versicherte nicht doch "auf nicht
absehbare Zeit", d. h. mehr sechs Monate im rentenberechtigendem Ausmaß erwerbsgemindert war bzw. ist (ebenso
m. w. N.: BayLSG, Beschl. v. 2.2.2010 - L 19 R 1039/09 ER -, Juris Rn. 12 sowie BSG, Urt. v. 23.3.1977 - 4 RJ 49/76
-, Juris Rn. 14 bis 16 = SozR 2200 § 1247 Nr. 16). Schließlich hält das Gericht das Argument des SMD, eine
Rentengewährung sei für den Heilungsverlauf kontraproduktiv, für nicht nachvollziehbar. Dem ist schon deshalb nicht
zu folgen, weil das Gesetz für das Entstehen eines Rentenanspruchs allein darauf abstellt, ob tatsächlich
gesundheitsbedingt eine Erwerbsminderung vorliegt (§ 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI), nicht aber
darauf, ob diese behoben werden kann oder nicht und aus welchen Gründen dies der Fall ist. Hierauf kommt es
vielmehr erst bei der Entscheidung über die Befristung der Rente an (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). Zudem ist der
Kläger nur nach Maßgabe des Gesetzes (§§ 60 ff. SGB I) verpflichtet, an seiner Heilung mitzuwirken, so dass ihm die
Rente nur bei Verletzung dieser gesetzlich geregelten Mitwirkungspflichten im dafür vorgeschriebenen Verfahren (§§
66, 67 SGB I) versagt werden darf. Dies schließt eine Versagung infolge anderer, nicht gesetzlich geregelter Gründe
aus, falls die gesetzlichen Voraussetzungen des Rentenanspruchs ansonsten vorliegen. Denn gemäß § 31 SGB I
dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des Sozialgesetzbuchs nur begründet, festgestellt,
geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Im Übrigen ist selbst eine
dauerhafte Rentengewährung nicht endgültig. Sie kann vielmehr jederzeit gemäß § 48 SGB X wieder aufgehoben
werden, falls sich der Gesundheitszustand bessert (vgl. auch § 102 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Angesichts dessen
erschließt sich dem Gericht nicht, weshalb eine Rentengewährung für den Heilungsverlauf überhaupt kontraproduktiv
sein sollte. Dies bedürfte jedenfalls einer näheren Begründung im Einzelfall, woran es hier fehlt. Die nur pauschale
Behauptung der Kontraproduktivität der Rentengewährung durch den SMD stellt die Beurteilung des Sachverständigen
daher nicht in Frage. 2. Liegt volle Erwerbsminderung und damit der Versicherungsfall ab 7.11.2008 vor, erfüllt der
Kläger ausgehend von diesem Zeitpunkt auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen
voller Erwerbsminderung, so dass am 7.11.2008 auch der Leistungsfall eingetreten ist (zu den Begriffen des
Versicherungs- und Leistungsfalles vgl. BSG, Urt. v. 26.6.1990 - 5 RJ 62/89 -, SozR 3-1500 § 77 Nr. 1, Juris Rn. 13
bis 15). Angesichts des bis Oktober 2006 lückenlos mit Pflichtbeitragszeiten belegten Versicherungsverlaufs hatte der
Kläger bis zum Eintritt des Versicherungsfalles am 7.11.2008 sowohl die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß
§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erfüllt (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 3 SGB VI) als auch die Voraussetzungen des §
43 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 2 SGB VI (jeweils i. V. m. § 43 Abs. 4 bis 6 SGB VI), wonach der Versicherte in den
letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge in einer versicherten
Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt haben muss. Denn insbesondere im Hinblick auf die letztgenannte Drei-Fünftel-
Belegung reicht es aus, dass beim Kläger im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 7.11.2003 bis 6.11.2008 von
November 2003 bis Oktober 2006 genau drei Jahre an Pflichtbeitragszeiten vorliegen. 3. Trotz des Leistungsfalles am
7.11.2008 besteht jedoch Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erst ab 1.6.2009 und nur befristet bis
31.5.2012. Denn Erwerbsminderungsrenten werden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI grundsätzlich befristet
geleistet, wobei die Befristung längstens drei Jahre betragen (§ 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) und nur auf das Ende
eines Kalendermonats erfolgen darf (§ 102 Abs. 1 Satz 3 SGB VI). Eine kürzere Befristung als drei Jahre kommt nur
in Betracht, wenn die begründete Aussicht besteht, dass die Erwerbsminderung schon zu einem früheren Zeitpunkt
behoben werden kann (vgl. BSG, Urt. v. 12.8.1982 - 11 RA 38/81 -, Juris Rn. 14 ff. = SozR 2200 § 1276 Nr. 7),
während eine unbefristete Rente gemäß § 102 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 SGB VI nur bei arbeitsmarktunabhängigen
Renten (was hier zutrifft) und in diesen Fällen auch nur dann gewährt werden darf, wenn unwahrscheinlich ist, dass die
Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Letzteres ist nach der Rechtsprechung des BSG erst ab dem
Zeitpunkt anzunehmen und eine Dauerrente zu gewähren, ab dem angesichts des bis zu diesem Zeitpunkt
festgestellten medizinischen Verlaufs aus ärztlicher Sicht eine - rentenrechtlich relevante - Besserung der
Erwerbsfähigkeit nicht mehr zu erwarten ist und zwar unter Berücksichtigung aller zu diesem Zeitpunkt denkbaren
Behandlungsmöglichkeiten (gleichgültig, ob duldungspflichtig oder zumutbar), die dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dabei gehen Unsicherheiten in der Prognose nach Ausschöpfung des
Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 20 SGB X, § 103 SGG) zu Lasten des Versicherten (BSG, Urt. v. 29.3.2006 - B 13 RJ
31/05 R -, Juris Rn. 15 bis 13 = SozR 4-2600 § 102 Nr. 2). Danach kommt hier nur eine befristete Rente in Betracht,
weil Dr. med. B nachvollziehbar und unstreitig von einer guten Behandlungsmöglichkeit ausgeht. Die volle
Erwerbsminderungsrente wird deshalb gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats
nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet, hier bei einem Leistungsfall am 7.11.2008 mithin ab
dem 1.6.2009. Wann die vorgeschlagene Behandlung allerdings zu einer tatsächlichen Besserung führen wird, konnte
der Sachverständige nicht feststellen, da es auch chronische Verläufe gibt, die einer längeren Behandlung bedürfen.
Eine kürzere Befristung als die gesetzlich vorgesehenen drei Jahre kommt deshalb nicht in Betracht, so dass die
Befristung bis zum 31.5.2012 erfolgt. Dies ist auch unschädlich, weil die Beklagte mit einem Änderungsbescheid
reagieren kann, falls sich trotzdem vor Ablauf der Befristung eine Besserung ergeben sollte (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGB
VI). Der Rentengewährung vom 1.6.2009 bis 31.5.2012 steht schließlich auch § 43 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI
nicht entgegen, weil der 1965 geborene Kläger die Regelaltersgrenze erst später, im Alter von 67 Jahren, erreicht (§
35 Satz 2 SGB VI). Die Übergangsvorschrift des § 235 SGB VI für vor dem 1.1.1964 geborene Versicherte findet auf
ihn hingegen keine Anwendung. II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der
Entscheidung in der Sache.