Urteil des SozG Berlin vom 26.01.2009

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Sozialgericht Berlin
Urteil vom 26.01.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 165 SF 15/09 E
Die Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts Berlin
vom 11. Januar 2008 wird zurückgewiesen. Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Das Gericht verweist zunächst zur Begründung in entsprechender Anwendung von § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) nach eigener Prüfung auf die zutreffende Gründe der angefochtenen Entscheidung (vgl. Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 142 Randziffern 5, 5 a, 5 b, 5d m. w. N.).
Entgegen der Ansicht des Klägers im Erinnerungsvortrag entsteht eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 2
Nr. 3 VV RVG nicht schon bei einem Teilanerkenntnis. Dafür besteht keine Rechtsgrundlage. Denn bereits der
eindeutige Wortlaut von Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG verlangt ein "dass das Verfahren (1.) nach angenommenem
Anerkenntnis (2 ...) ohne mündliche Verhandlung endet". Danach ist auch nicht "allein" entscheidend, dass keine
mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Die weitergehende Erledigungserklärung wird dabei durch die bewilligte
Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG abgegolten.
Im Gegensatz zu Verfahren nach § 197a SGG löst in Verfahren nach § 183 SGG die Beendigung des Verfahrens
durch den Abschluss eines Vergleichs im schriftlichen Verfahren, d.h. die Beteiligten beenden den Rechtsstreit durch
gegenseitiges Nachgeben, wie z.B. durch ein Teilanerkenntnis und teilweiser Klagerücknahme, nicht den Anfall einer
Terminsgebühr aus. Nach dem Wortlaut des Gebührentatbestandes der Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG und dem
Willen des Gesetzgebers hat dieser für Verfahren nach § 183 SGG einen besonderen Gebührenanreiz zum Abschluss
eines Vergleiches bzw. eines Teilanerkenntnisses unter Erledigung im übrigen zwischen den Beteiligten im
schriftlichen Verfahren nicht für erforderlich gehalten; die Bestimmung der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 Alt. 3 VV RVG ist
nicht analog anwendbar, vgl. Straßfeld, SGb 11/08, S. 640 m.w.N. zur entsprechenden Rechtsprechung der LSGe
Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Thüringen - insbesondere LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 10. Mai 2006 – L 10 B 13/05 SB:
"Ob es sich bei dem Regelungsvorschlag um ein Teilanerkenntnis oder ein Vergleichsangebot handelt, bedarf keiner
abschließenden Beurteilung. Denn Ziff. 3 der Nr. 3106 VV RVG meint ein Anerkenntnis, dessen Annahme den
Rechtsstreit (insgesamt) erledigt. Die bloße Annahme des Vorschlages, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "G" festzustellen, hätte den Rechtsstreit nicht beendet. Dazu war vielmehr
noch die Abgabe einer prozessbeendenden Erklärung erforderlich. Dies ist durch Erledigungserklärung des Klägers
erfolgt.
Eine der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 3. Alt. VV RVG entsprechende Regelung - Entstehen einer Terminsgebühr auch in
den Fällen, in denen in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgesehen ist, ein schriftlicher Vergleich
geschlossen wird - enthält die Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV RVG nicht. Daraus darf aber nicht der Schluss
gezogen werden, dass insoweit eine Gesetzeslücke besteht, die im Wege der Rechtsprechung geschlossen werden
könnte. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind die Richter nur berufen, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt,
weil es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem
Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine
Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (BSG, Urteil vom 10.05.1995 - 1 RK 20/94 -, BSGE 76, 109 ff.;
Senatsbeschluss vom 04.09.2002 - L 10 B 2/02 KA ER -). Weder liegt hier ein absichtliches oder ein versehentliches
Schweigen des Gesetzes vor, noch ist nach Inkrafttreten des RVG eine Gesetzeslücke durch eine Änderung
tatsächlicher Umstände eingetreten. Der Gesetzgeber hat vielmehr ausdrücklich in Nr. 3104 VV RVG auf die
Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV RVG verwiesen, sofern es sich um ein sozialgerichtliches Verfahren handelt, in
dem Betragsrahmengebühren entstehen. Hätte er eine der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 3. Alt. VV RVG entsprechende
Vorschrift auch für diese sozialgerichtlichen Verfahren treffen wollen, hätte er - wie er das hinsichtlich Nr. 3104 Abs. 1
Ziff. 3 ("Die Gebühr entsteht auch, wenn ... das Verfahren vor dem Sozialgericht nach angenommenen Anerkenntnis
ohne mündliche Verhandlung angenommen endet") geregelt hat - eine entsprechende Regelung in der Nr. 3106 VV
RVG treffen können.",
und LSG Thüringen, Beschluss vom 19. Juni 2007 – L 6 B80/07 SF:
"Im Übrigen fällt auch ein Teilanerkenntnis, von dem wohl die Beteiligten des Hauptsacheverfahrens - entsprechend
ihrer Diktion – ausgegangen sind, nicht unter Nr. 3106 VV RVG, denn ihre bloße Annahme hätte den Rechtsstreit
nicht erledigt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2006 – L 10 B 13/05 SB). Eine der Nr. 3104
Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 VV RVG entsprechende Regelung, nach der eine fiktive Terminsgebühr bei einem schriftlichen
Vergleich entsteht, existiert in Nr. 3106 VV RVG nicht. Die analoge Anwendung kommt nicht in Betracht (vgl. LSG
Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 16. August 2006, - L 20 B 137/06 AS und vom 10. Mai 2006, a.a.O.), denn es
fehlt an einer Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat in Nr. 3104 VV RVG ausdrücklich auf die Spezialvorschrift des
Nr. 3106 VV RVG verwiesen, wenn es sich um ein sozialgerichtliches Verfahren handelt in dem
Beitragsrahmengebühren entstehen, ohne die Vergleichsregelung aufzunehmen. Er hat damit an dieser Stelle
offensichtlich einen besonderen Gebührenanreiz nicht für notwendig erachtet."
Diese Auslegung ist verfassungsrechtlich unbedenklich, BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 BvR
2091/06.
Die Gegenmeinung des SG Trier, Beschluss vom 25. Januar 2007- S 6 SB 122/05 - in JurBüro 08, S 86 argumentiert
mit dem Wortlaut (auch ein Teilanerkenntnis sei ein Anerkenntnis i.S.v. § 101 Abs. 2 SGG – nach hiesiger Ansicht
aber nicht im Sinne der Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG; der Wortlaut von Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG fordere
gerade nicht, dass die einseitige Prozesshandlung der Annahme des Anerkenntnisses als solche den Rechtsstreit
erledige – nach hiesiger Ansicht sehr wohl: "wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis endet"), ferner
mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift (Gebührenanreiz zur Entlastung der Gerichte von mündlichen Verhandlungen)
sowie der Analogie zu Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 letzter Halbsatz VV RVG (Versehen des Gesetzgebers). Diese letzten
Argumente des SG Trier sind aus den bereits oben genannten Gründen abzulehnen.
Schließlich kann der Beklagte entgegen dem weiteren Kostenvortrag des Klägers auch nicht "jederzeit durch
Anerkenntnis der Forderung bis zu 99,9% das Entstehen der Gebühr gem. Nr. 3106 VV RVG verhindern". Denn bei
der Abgabe eines Teilanerkenntnis hat sich der Beklagte nicht "reziprok" an dessen kostenrechtlichen Auswirkungen
zu orientieren, sondern ausschließlich an der nach seiner Ansicht materiell-rechtlichen – teilweisen - Begründetheit
des mit der Klage geltend Anspruchs.
Die Kostenentscheidung für das Erinnerungsverfahren beruht auf § 193 SGG.
Die Kammer hält eine gesonderte Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren für erforderlich, da das
Erinnerungsverfahren im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren eine gesonderte Angelegenheit i.S.d § 18 Nr. 5
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) darstellt (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.
September 2005 - L 2 B 40/04, AnwBl 2006, 146; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2006 - L 6 B
221/06 SB, jeweils für das Beschwerdeverfahren; vgl. zur Verfahrensgebühr für sozialgerichtliche Verfahren über die
Beschwerde und die Erinnerung, wenn in dem Verfahren Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen: Nr. 3501
des Vergütungsverzeichnisses zum RVG; überdies Rohwer-Kahlmann, SGG, 4. Auflage, 42. Lieferung 2004, § 197
RdNr. 18; Schneider, KostRsp., Nr. 1 § 18 Nr. 5 RVG, Lieferung 264, Februar 2007; Schneider/Wolf, RVG, 3. Auflage
2006, § 16 RdNr. 108 ff.).
Die Kammer folgt ausdrücklich nicht dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg (VG Regensburg, 11.
Kammer, Beschluss vom 01.07.2005, Az.: RN 11 S 03.2905), wonach nach dem ausdrücklichen Wortlaut des
Gesetzes nur Verfahren über eine Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers in Angelegenheiten, in
denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses richten, eine besondere Angelegenheit nach § 18
Nr. 5 RVG darstellen sollen. Das SGG kennt den Rechtspfleger nicht. Aus dem Gebührentatbestand Nr. 3501 VV
RVG ergibt sich eindeutig, dass eine Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit über
die Beschwerde und die Erinnerung, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, umfasst ist. Dass der Gesetzgeber
in § 18 Nr. 5 RVG vom "Rechtspfleger" spricht, darf als glattes (redaktionelles) Versehen des Gesetzgebers gewertet
werden.
Dieser Beschluss ist, auch hinsichtlich der Kostengrundentscheidung, unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).