Urteil des SozG Augsburg vom 30.09.2008

SozG Augsburg: abkommen über soziale sicherheit, altersrente, verordnung, rumänien, aufschiebende wirkung, europäisches recht, sozialversicherungsabkommen, entstehungsgeschichte, republik

Sozialgericht Augsburg
Urteil vom 30.09.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 14 R 417/08
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 3. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27. Mai 2008 verurteilt, die Altersrente des Klägers ab 1. April 2008 ohne Vornahme eines Fiktivabzugs im Sinne
von § 31 FRG zu zahlen. II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kürzung der Altersrente des Klägers durch Vornahme eines Fiktivabzugs in Höhe einer
geschätzten rumänischen Altersrente wegen in Rumänien zurückgelegter rentenrechtlicher Zeiten.
Der am 1943 in Rumänien geborene Kläger ist Berechtigter nach § 1 Fremdrentengesetz (FRG) und lebt seit Juni 1990
in Deutschland. In Rumänien legte der Kläger rentenrechtliche Zeiten in der dortigen Rentenversicherung zurück.
Am 10.10.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente aus der deutschen
gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Schreiben vom 20.12.2007 erklärte der Kläger über seinen Bevollmächtigten,
dass der Leistungsbeginn in Rumänien aufgeschoben werden solle und bat um Bestätigung, dass von der Beklagten
ein Verfahren dort nicht eingeleitet werde. Mit Bescheid vom 26.02.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger
Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.01.2008. Dabei wurden Versicherungszeiten von September 1959 bis Juni
1990 nach dem FRG berücksichtigt. Mit Schreiben vom 27.02.2008 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass sie
beabsichtige, die aus Rumänien zustehende Rente ab 01.04.2008 mit monatlich 120,88 EUR anzurechnen, auch wenn
der Kläger diese tatsächlich nicht beziehen sollte. Ab diesem Zeitpunkt zu viel gezahlte Rentenbeträge seien vom
Kläger zurückzuzahlen. Die Beklagte empfahl dem Kläger, die ihm in Rumänien zustehenden Rentenansprüche
geltend zu machen. Der Anrechnungsbetrag sei auf der Basis eines rumänischen Rentenpunktes für die Altersrente
eines durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners ermittelt worden.
Mit Schreiben vom 21.03.2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er bei seiner Entscheidung bleibe und dass
der Beklagten ein Fiktivabzug verwehrt sei.
Durch Bescheid vom 03.04.2008 berechnete die Beklagte sodann die Versichertenrente des Klägers ab dem
01.04.2008 neu. Dabei wurde die "voraussichtlich zustehende rumänische Rente" in Höhe von 120,88 EUR
angerechnet. Die sich im April 2008 ergebende Überzahlung sei vom Kläger zu erstatten.
Hiergegen legte der Kläger am 25.04.2008 Widerspruch ein, der im Wesentlichen damit begründet wurde, dass für die
Beklagte keine Berechtigung zur Anwendung des § 31 FRG bestehe. Eine Verpflichtung zum Verzicht auf die
gesetzlich ausdrücklich eingeräumte Dispositionsmöglichkeit lasse sich weder aus § 2 Abs. 1 FRG noch aus dem
Gesetz zum Abkommen vom 08.12.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen herleiten.
Das geltende Recht mache die Aufschiebung des Leistungsbeginns nicht von bestimmten Gründen abhängig. Bei der
Wahrnehmung dieses Dispositionsrechts dürften nicht die gleichen Folgen eintreten, wie diese etwa für den Verzicht
gelten würden. Letztlich sei auch die Berechnung des fiktiven Abzugsbetrags völlig willkürlich.
Daraufhin erfolgte im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs aufgrund Bescheids vom 13.05.2008
die ungekürzte Auszahlung der Rente durch die Beklagte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die
Zulässigkeit der Minderung der Rente des Klägers um die ihm voraussichtlich zustehende rumänische Rente ergebe
sich aus dem Sinn von § 31 FRG und stehe insbesondere im Zusammenhang mit § 2 FRG. Nach § 2 S. 1 Buchstabe
b FRG gelte das FRG nicht für rentenrechtliche Zeiten, die nach der Verordnung 1408/71 (EWG), einem
Sozialversicherungsabkommen oder den innerstaatlichen Vorschriften eines Vertragsstaates anrechenbar seien.
Damit werde bestimmt, dass die Entschädigung der ausländischen Versicherungs- und Beschäftigungszeiten
vorrangig vom Träger des Staates zu erfolgen habe, nach dessen Rechtsvorschriften sie zurückgelegt worden seien;
das FRG sei insoweit nachrangig. Nach § 2 S. 2 FRG sei in bestimmten Fällen das FRG jedoch weiterhin
anzuwenden; diese Ausnahmeregelung habe der Gesetzgeber aus Vertrauensschutzgründen eingeführt. Der
Vertrauensschutz sei in der Erwartung eingeräumt worden, dass der durch das entsprechende Abkommensrecht
ermöglichte Bezug einer ausländischen Rente nach § 31 FRG angerechnet werden könne. Dieser Zusammenhang
zwischen den genannten Vorschriften ergebe sich aus der entsprechenden Gesetzesbegründung zu Art. 5
Zustimmungsgesetz (ZustG) vom 18.06.1991 zu dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Republik Polen über soziale Sicherheit (DPSVA). Aus dieser Vertrauensschutzregelung ergebe sich eine besondere
Verpflichtung für den Berechtigten, seinen ausländischen Rentenanspruch zu realisieren. Tue er dies nicht, sei die
deutsche Rentenversicherung im Hinblick auf Sinn und Zweck der abkommensrechtlichen
"Weitergeltungsbestimmung" bezüglich des FRG berechtigt, seine FRG-Leistung auf den Umfang zu beschränken, der
dem Berechtigten bei Erhalt der zustehenden ausländischen Rente verbleiben würde. Das Dispositionsrecht des Art.
44 der Verordnung 1408/71 (EWG) könne nicht dazu führen, die Anrechnungsvorschrift des § 31 FRG zu umgehen.
Die vorgenommene Berechnung des fiktiven Abzugsbetrags sei nicht willkürlich. Sei ein individueller ausländischer
Rentenbetrag nicht bekannt, werde der Anrechnungsbetrag bezogen auf Rumänien entsprechend der dortigen
Rentenformel unter Zugrundelegung des Wertes eines rumänischen Rentenpunktes für die Altersrente eines
durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners in Abhängigkeit zu der Anzahl der deckungsgleichen Zeiten des
Berechtigten berechnet.
Hiergegen richtet sich die am 11.06.2008 zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage. Diese wurde im Wesentlichen
damit begründet, dass für einen Fiktivabzug eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden sei. Der Kläger könne eine Rente
in rumänischer Währung nicht verwenden. Ein Leistungsverzicht sei nicht erklärt worden. Der "sehr kreativen
Auslegung" von § 2 FRG könne nicht gefolgt werden. Das Gesetz zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit habe einen anderen Hintergrund: Es sollte Folgen des
deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens, die sich durch erhebliche Besserstellungen auch im Vergleich
zum FRG ergeben hätten, ablösen. Der Gesetzgeber habe nicht etwa die bestehenden Regeln des § 31 FRG
abgeändert, sondern gerade explizit auf das FRG und dessen Fortbestand, auch unter Anwendung des § 31 FRG bei
tatsächlichem Export einer Rente, Bezug genommen. Bei FRG-Leistungen handle es sich nicht um
Ermessensleistungen, die der Rententräger beliebig gestalten könne. Eine Ausnahme im Falle der Nutzung der
Dispositionsmöglichkeit gemäß Art. 44 sei nicht vorgesehen. Bei Wahrnehmung dieses Dispositionsrechts dürften
nicht die gleichen Folgen eintreten, wie diese etwa für den Verzicht gemäß § 46 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB
I) gelten würden. Die Rechtsfolgen eines Verzichts seien für den Fall einer gesetzlich eingeräumten
Dispositionsmöglichkeit gerade nicht anwendbar. Raum für eine Analogie bestehe im Hinblick auf den eindeutigen
Gesetzeswortlaut nicht. Die Berechnung des fiktiven Abzugsbetrags sei völlig willkürlich. Das Recht aus Art. 44 der
Verordnung 1408/71 (EWG) dürfe nicht durch Sanktionen ausgehöhlt werden, was europarechtswidrig wäre.
Den am 11.06.2008 ebenfalls gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nahm der Kläger am
08.07.2008 zurück (S 14 R 412/08 ER).
Die Beklagte hat sich im Wesentlichen entsprechend der Begründung des Widerspruchsbescheids geäußert. Zudem
hat sie (im Verfahren S 14 R 412/08 ER) darauf hingewiesen, dass die Ergänzung des § 2 S. 2 FRG auch dem Kläger
zugute komme; insofern sei es unverständlich, dass der Kläger diese Ergänzung des Gesetzes auf das Abkommen
mit Polen beschränkt sehen wolle. Bei der fiktiven Anrechnung nach § 31 FRG handle es sich um ein einheitliches
Verfahren der Deutschen Rentenversicherung und somit sämtlicher Rentenversicherungsträger.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 03.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
27.05.2008 zu verpflichten, die Altersrente ohne Fiktivabzug gemäß § 31 FRG zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten der
Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig.
Sie erweist sich auch als begründet.
Die Kammer konnte im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr
Einverständnis erteilt haben.
Der Bescheid der Beklagten vom 03.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2008 ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit dort ein Fiktivabzug im Sinne von § 31 FRG vorgenommen wird.
Der Kläger hat von seiner durch Art. 22 Abs. 3 des deutsch-rumänischen Sozialversicherungsabkommens bzw. durch
Art. 44 Abs. 2 S. 2 der Verordnung 1408/71 (EWG) eingeräumten Dispositionsbefugnis Gebrauch gemacht und die
rumänische Rente aufgeschoben. Dennoch ist die Beklagte nicht berechtigt, auf die Altersrente des Klägers aus der
deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 FRG eine (in Euro umgerechnete) fiktive Rente
des Klägers aus der rumänischen Rentenversicherung anzurechnen und die deutsche Rente in Höhe der fiktiven
rumänischen Rente zu kürzen. Denn hierfür ist eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden.
Die Anrechnung einer fiktiven rumänischen Rente auf die deutsche Altersrente des Klägers stellt einen belastenden
Eingriff für diesen dar. Hierzu bedarf es nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (§ 31 SGB I) einer
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Eine solche besteht jedoch nicht.
Dass der Kläger über die Vorschriften des FRG einen Anspruch auf Berücksichtigung seiner in Rumänien
zurückgelegten Versicherungszeiten bei der Berechnung seiner deutschen Altersrente hat, ist zwischen den
Beteiligten nicht umstritten und bedarf keiner näheren Erörterungen. Durch das FRG wird der Kläger aufgrund des dort
geregelten Eingliederungsprinzips so gestellt, als wäre er im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt
gewesen. Die Folge hiervon ist, dass die rumänischen Zeiten des Klägers zu einer Erhöhung seiner deutschen Rente
führen. Eine Änderung der Rechtslage hat sich insoweit nicht durch das am 01.06.2006 in Kraft getretene Abkommen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über Soziale Sicherheit ergeben. Nach Nr. 13 des
Schlussprotokolls bleiben die deutschen Rechtsvorschriften über Leistungen für nach dem Fremdrentenrecht
anrechenbare Versicherungszeiten von dem Abkommen unberührt. Auch durch den Beitritt Rumäniens zur
Europäischen Union zum 01.01.2007 hat sich bezüglich der Geltung des FRG im vorliegenden Fall keine wesentliche
Änderung ergeben. Gemäß Art. 6 der Verordnung 1408/71 (EWG) ist diese zwar grundsätzlich an die Stelle auch des
deutsch-rumänischen Sozialversicherungsabkommens getreten; dies gilt jedoch nicht für die im Anhang III zur
Verordnung aufgeführten Bestimmungen der dort genannten Abkommen über Soziale Sicherheit, Art. 6 in Verbindung
mit Art. 7 Abs. 2 Buchstabe c) der Verordnung 1408/71 (EWG). Nach Buchstabe A Nr. 20 Buchstabe b) des Anhangs
III gilt Nr. 13 des Schlussprotokolls zum deutsch-rumänischen Sozialversicherungsabkommen weiterhin.
Eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die die Beklagte zur Kürzung der deutschen Altersrente des Klägers
berechtigen würde, findet sich weder im europäischen Recht noch in bilateralen Sozialversicherungsabkommen. Auch
die deutschen innerstaatlichen Rechtsvorschriften enthalten keine entsprechende Norm.
Anders als die Beklagte meint, ist auch § 31 FRG keine tragfähige Rechtsgrundlage.
Bei der Auslegung einer Gesetzesvorschrift kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) und der herrschenden Meinung in Lehre und Rechtsprechung auf den in der Vorschrift zum Ausdruck
kommenden "objektivierten Willen" des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem konkreten
Sinnzusammenhang ergibt, an (z.B. BVerfGE 1, 312; 11, 130). Damit bekennt sich die herrschende Meinung zur so
genannten objektiven Auslegungstheorie.
Dem ist jedoch nicht zu folgen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das BVerfG seine Aussage zur
Auslegungsmethode auf die These stützt, das Grundgesetz schreibe keine bestimmte Methode der
Gesetzesauslegung vor (BVerfGE 88, 167). Dies ist jedoch unzutreffend. Denn jedenfalls soweit die
Gesetzesauslegung durch staatliche Gerichte erfolgt, trifft das Grundgesetz durch die Anordnung der
Gewaltentrennung und des Demokratieprinzips zumindest indirekt Aussagen hinsichtlich der Methodenwahl; letztlich
haben die Gerichte diejenige Methode zu wählen, die ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabe am besten entspricht. Zum
anderen kann die objektive Auslegungstheorie insbesondere aufgrund ihrer fehlenden Methodenehrlichkeit und nur
vermeintlichen Objektivität nicht überzeugen; vielmehr besteht die Gefahr eines Subjektivismus der an der Auslegung
beteiligten Personen. Sie erfasst lediglich zutreffende Teilaspekte (s. zur Kritik z.B. Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl.,
Rn. 806 ff). Nicht zuletzt spricht gegen die Ansicht der herrschenden Meinung, dass die Auslegungspraxis des
BVerfG seiner eigenen Auslegungstheorie in einer kaum überschaubaren Fülle von eigenen Entscheidungen
widerspricht (für Viele z.B. bereits Böckenförde, NJW 1976, S. 2090).
Nach richtiger Ansicht ist bei der Gesetzesauslegung der Wille der normsetzenden Instanz maßgebend. Auslegung
umfasst jedoch mehr als die Reproduktion dieses Willens. Sie schließt auch die Entwicklung von
Auslegungsvorschlägen mit ein, wenn dieser Wille nicht eindeutig erkennbar ist oder zu offenbar sinnwidrigen
Ergebnissen führt. Dabei ist insoweit zwischen empirischer Ermittlung von möglichen Textbedeutungen einerseits und
Präferenzsetzung bei der Auswahl unter konkurrierenden Normhypothesen andererseits zu unterscheiden, auch wenn
- anders als von einem Teil der Lehre vertreten (vgl. hierzu z.B. Braun, Die Interpretation wirtschaftsrelevanter
Grundrechte in Österreich und Deutschland, Diss. Regensburg 1999, S. 17 ff m.w.N.) - beides wissenschaftliche
Auslegung, die (auch) die Gerichte vorzunehmen haben, ist. Die Unterscheidung ist offenzulegen. Nur hierdurch
können die unterschiedlichen Grundlagen für Autorität und Geltung der gefundenen Auslegungsergebnisse deutlich
gemacht werden.
Somit kommt bei der Auslegung von gesetzlichen Vorschriften dem Normzweck der Gesetzgebung besondere
Bedeutung zu. Dieser ist mit den verfügbaren Hilfsmitteln der Auslegung zu erforschen. Hierbei bzw. bei der
Entwicklung von Auslegungsvorschlägen sind die so genannten klassischen Auslegungsmethoden heranzuziehen.
Maßgeblich sind also die Auslegung nach dem Zweck (Teleologie), dem Wortlaut, der Systematik und der
Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Keine dieser Methoden darf insoweit vernachlässigt werden.
Für den vorliegenden Rechtsstreit bedeutet dies Folgendes:
Die Beklagte beruft sich bei der Anwendung von § 31 FRG auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift und greift dabei
auch auf Aspekte der Entstehungsgeschichte zurück. Der von der Beklagten angeführte Zweck, nämlich die
Ermöglichung der Beschränkung der deutschen Rente in dem Umfang, in dem der Versicherte eine ausländische
Rentenleistung erhalten kann, und letztlich die Entlastung der deutschen Rentenversicherung, die für nach dem FRG
berücksichtigte Zeiten keine Beiträge erhalten hat, beruht nach Ansicht der Kammer zwar auf nachvollziehbaren
Erwägungen, ist § 31 FRG jedoch nicht "zusinnbar".
Hiergegen steht zunächst der eindeutige Wortlaut der Vorschrift, die gerade davon spricht, dass eine Rente bzw. eine
andere Leistung "gewährt" bzw. "ausgezahlt" wird. Das Ruhen eines Teils der deutschen Rente wird vom Gesetz nur
für den Fall der tatsächlichen Auszahlung einer ausländischen Leistung angeordnet, was vorliegend gerade nicht
gegeben ist. Eine Auslegung, nach der auch die gegenteilige Fallkonstellation von der Vorschrift erfasst werden soll,
ließe sich mit dem Sinn der oben genannten Worte nicht vereinbaren (so auch Sozialgericht ¬- SG - Koblenz vom
07.05.2008, S 1 R 1232/07).
Auch die Entstehungsgeschichte von § 31 FRG spricht gegen eine Auslegung, die in der Vorschrift eine
Ermächtigungsgrundlage für die Kürzung durch die Beklagte sieht. § 31 FRG ist Nachfolgevorschrift des bis
31.12.1958 geltenden § 1 Abs. 5 Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG), nach dem ein Leistungsanspruch
erlosch, wenn von einem ausländischen Versicherungsträger für denselben Versicherungsfall "eine Leistung gewährt
wird oder auf Antrag gewährt würde". Den Materialien zum Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz
(FANG) vom 25.02.1960 ist nicht zu entnehmen, dass die Alternative "auf Antrag gewährt würde" nur versehentlich
keinen Eingang in die Neuregelung des § 31 FRG, der seit 1959 unverändert gilt, gefunden hat. Somit ist davon
auszugehen, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 31 FRG tatsächlich enger fassen wollte, als in der
auch bezüglich der Rechtsfolge (Erlöschen statt Ruhen des Leistungsanspruchs) schärferen Fassung von § 1 Abs. 5
FAG (Bayerisches Landessozialgericht, BayLSG, vom 02.07.2008 - L 14 B 469/08 R ER).
Anders als die Beklagte meint, hat sich an dieser Rechtslage auch nichts durch die Einfügung von § 2 S. 2 FRG
durch Art. 5 ZustG DPSVA 1990 geändert. Eine Änderung des materiellen Regelungsgehalts von § 31 ist durch den
Gesetzgeber weder anlässlich der Einfügung des § 2 S. 2 FRG noch in der Folgezeit erfolgt. Wie das BayLSG
(a.a.O.) festgestellt hat, bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber anlässlich der Einfügung dieser
Vorschrift die Erwartung hatte, der betroffene Personenkreis werde stets Rentenansprüche im Ausland geltend
machen. Dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung zur Antragstellung erwogen hat, ist in keiner Weise belegt. Auch
der Begründung zu Art. 5 ZustG DPSVA 1990 kann dies nicht entnommen werden (BayLSG, a.a.O.). Darin wird
darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit einer Anpassung des Fremdrentenrechts an die sich verändernden
Verhältnisse zwischen Ost und West von einer Änderung des § 2 FRG unberührt bleibe. Der Gesetzgeber hat sich bei
Änderung des § 2 FRG somit gerade vorbehalten, weitergehende Regelungen zu treffen.
Eine analoge Anwendung des § 31 FRG auf den Fall der Nichtgewährung und Nichtauszahlung einer ausländischen
Rentenleistung, weil sich die Verhaltensweise der FRG-Berechtigten, ihre zustehenden ausländischen
Rentenansprüche nicht in Anspruch zu nehmen, erst in letzter Zeit ergeben hätte und dies für den Gesetzgeber nicht
absehbar gewesen wäre, kommt nicht in Betracht. Bereits aus rechtsstaatlichen Erwägungen ist die analoge
Anwendung von zu Eingriffen ermächtigenden Rechtsvorschriften im Bereich des sozialen Leistungsrechts auf
Ausnahmefälle zu beschränken. Vorliegend ist jedoch vor allem maßgeblich, dass insoweit keine planwidrige
Regelungslücke besteht, zu deren Schließung die Kammer berufen wäre. Voraussetzung hierfür wäre, dass das
Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung insoweit die Rechtsfindung überlassen wollte, oder wenn es
den betreffenden Sachverhalt aufgrund eines Versehenes nicht erfasst oder wenn sich der nicht geregelte Tatbestand
erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (z.B. BSG SozR 3-5919
zu § 76 Nr. 4 m.w.N., BSG SozR 3-2500 zu § 38 Nr. 1 m.w.N.). Die vorliegende, von der deutschen
Rentenversicherung nach ausdrücklichem Hinweis der Beklagten einheitlich - nach Überzeugung der Kammer jedoch
rechtswidrig - gelöste Problematik, dass Versicherte, die in zwei Staaten Leistungsansprüche haben, eine
Rentenleistung gegebenenfalls nur aus der deutschen Rentenversicherung beantragen, war dem Gesetzgeber wohl
angesichts der von § 1 Abs. 5 FAG abweichenden Fassung der streitgegenständlichen Norm bekannt. Auch ergibt
sich wie oben angeführt aus der Begründung zu Art. 5 ZustG DPSVA 1990, dass das Fremdrentenrecht erst später
den veränderten politischen Verhältnissen angepasst werden sollte. Gleichwohl hat der Gesetzgeber darauf verzichtet,
eine dem § 31 FRG entsprechende erweiternde Regelung über die Anrechnung fiktiver Auslandsrenten zu treffen. Mit
dem BayLSG (a.a.O.) ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber weiterhin die Anrechnung auf tatsächlich
ge-leistete Auslandsrenten beschränken wollte. Es kann daher nicht angehen, die Anwendung des § 31 FRG nun im
Lichte der geänderten Verhältnisse zu sehen und der bisherigen Auslegung nur noch im Verhältnis zu den FRG-
Herkunftsländern zu folgen, mit denen die Bundesrepublik Deutschland keine vertraglichen Beziehungen auf dem
Gebiet der sozialen Sicherheit unterhält.
Die Notwendigkeit für eine analoge Anwendung des § 31 FRG ergibt sich auch nicht aus Art. 44 Abs. 2 der
Verordnung 1408/71 (EWG). Diese Vorschrift gibt EU-Bürgern ein Dispositionsrecht hinsichtlich der Feststellung von
Leistungsansprüchen in einem weiteren Mitgliedstaat. Aufgrund der in der deutschen Sozialversicherung geltenden
Dispositionsfreiheit kann ein Versicherter auch einen bereits gestellten Antrag auf Sozialversicherungsleistungen noch
bis zur Bestandskraft des bewilligenden Verwaltungsaktes zurücknehmen. Eine solche Antragsrücknahme ist nach
richtiger Ansicht (z.B. Seewald in Kassler Kommentar, § 46 Rn. 9) kein Verzicht im Sinne von § 46 Abs. 1 SGB I, so
dass § 46 Abs. 2 SGB I allenfalls analog gelten kann, wenn ein Antragsrecht vom Versicherten rechtsmissbräuchlich
beschränkt wird. Nach BayLSG, a.a.O., gilt für den Aufschub der Feststellung eines ausländischen
Leistungsanspruchs gemäß Art. 44 Abs. 2 der Verordnung 1408/71 (EWG) nichts anderes.
Vorliegend hat der Kläger weder einen Rentenantrag zurückgenommen noch auf eine Rente (teilweise) verzichtet, was
der Kläger über seinen Bevollmächtigten ausdrücklich klargestellt hat. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass
der Kläger - wie die Beklagte meint - § 31 FRG "umgangen" habe; § 46 Abs. 2 SGB I ist weder direkt noch analog
anwendbar. Das Verhalten des Klägers war nicht von unredlichen, von der Rechtsordnung nicht gebilligten Motiven
getragen. Der Kläger hat vielmehr von seiner ihm rechtlich gewährten Dispositionsfreiheit Gebrauch gemacht. Aus der
Gesetzgebungsgeschichte von § 31 FRG und den Intentionen des Gesetzgebers ergibt sich, dass ein Antrag auf
Aufschub der Leistung nicht rechtsmissbräuchlich ist (BayLSG, a.a.O.). Dafür spricht u.a., dass das mit großem
zeitlichen Abstand nach Einfügung des § 2 S. 2 FRG abgeschlossene deutsch-rumänische
Sozialversicherungsabkommen in Art. 22 Abs. 3 dem Kläger ein gleichlautendes Antragsrecht zugesteht. Wäre der
Gesetzgeber davon ausgegangen, dass dem Berechtigten ein Dispositionsrecht nicht zustehe bzw. die Ausübung
dieses Rechts rechtsmissbräuchlich sei, hätte er eine einschränkende Regelung im Gesetz treffen können. Es
bestehen jedoch nicht einmal Hinweise für derartige Überlegungen.
Die Kammer sieht sich auch nicht durch den Beschluss des BayLSG vom 19.08.2008 - L 6 B 523/08 R ER - zu einer
anderen Rechtsauffassung veranlasst. Denn anders als dort festgestellt wird, bietet der Wortlaut des § 31 FRG gerade
keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte die Norm im vorliegenden Fall zutreffend anwendet. In Auslegung des §
31 FRG kann - wie ausgeführt - gerade nicht gesagt werden, ein Träger der Sozialversicherung "gewähre" eine Rente
und "zahle sie aus", wenn keine Gewährung und Zahlung erfolgen. Auf das Verhalten des Rentenberechtigten kommt
es bei der Auslegung nach dem Wortsinn der "an Klarheit nicht zu überbietenden Vorschrift" (SG Koblenz, a.a.O.)
nicht an. Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte ist festzustellen, dass die Gesetzesmaterialien zwar keinen
ausdrücklichen Hinweis enthalten, dass es der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 31 FRG nunmehr in das
Belieben des Berechtigten stellen wollte, die Leistungen des ausländischen Trägers zu beantragen. Wie ebenfalls
ausgeführt, spricht jedoch nach Auswertung der Materialien zum FANG jedenfalls nichts dafür, dass eine der
Vorgängervorschrift entsprechende schärfere Fassung des § 31 FRG nur versehentlich unterblieben ist. Auch der vom
BayLSG (a.a.O.) erwähnte Hinweis durch den Abgeordneten-Bericht Schütz zur BT-Drs. III/1532 S. 2 vermag die
Kammer nicht davon zu überzeugen, dass der Gesetzgeber insoweit die Rechtslage unverändert lassen wollte.
Die Beklagte war nach alledem nicht berechtigt, die fiktive rumänische Rente auf die von ihr zu leistende Rente
anzurechnen. Etwas anderes könnte sich in Fallkonstellationen wie dieser nur durch ein Tätigwerden des
Gesetzgebers bzw. durch Initiativen auf europäischer Ebene ergeben.
Vorliegend konnte somit offen bleiben, ob - wie der Kläger meint - die Berechnung des Anrechnungsbetrages
willkürlich war. Nicht zu entscheiden war im Übrigen auch, ob die Auslegung von § 31 FRG durch die Beklagte
entsprechend der Ansicht des Klägerbevollmächtigten gegen europäisches Recht verstößt, da es hierauf nicht mehr
ankommt.
Der Bescheid der Beklagten vom 03.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2008 war somit
teilweise rechtswidrig und daher abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.