Urteil des SozG Aachen vom 25.05.2007

SozG Aachen: arbeitslosigkeit, unternehmen, produktion, einkünfte, entlastung, eingliederung, belastung, gewerbe, qualifikation, rechtskraft

Sozialgericht Aachen, S 9 AL 5/07
Datum:
25.05.2007
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 9 AL 5/07
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 1 AL 43/07
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist ein Anspruch des Kläger auf Überbrückungsgeld (Übbg), hilfsweise
Arbeitslosengeld (Alg).
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Der Kläger war von 1989 bis zum 00.00.2006 als Ingenieur abhängig beschäftigt.
Parallel übte er eine vom zeitlichen Umfang nicht planbare, selbstständige
Nebentätigkeit im Softwarebereich aus. Seine Anstellung löste der Kläger zum
00.00.2006, weil er nach eigenen Angaben aufgrund interner Umstrukturierung auf
einen seiner Qualifikation nicht entsprechenden Arbeitsplatz umgesetzt werden sollte.
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Der Kläger beantragte am 22.06.2006 die Gewährung von Übbg zur Aufnahme einer
selbstständigen Tätigkeit nach § 57 des 3. Buches Sozialgesetzbuch (SGB III). Zu der
beabsichtigten Existenzgründung gab er am 19.07.2006 an, er habe vor, das bereits seit
1989 nebenher betriebene Gewerbe fortzuführen, nun aber in Vollzeit. Er werde ein
Büro anmieten und ab August 2006 einen freien Mitarbeiter und drei Angestellte
anstellen. Vorgelegte Steuerbescheide für 0000/00 zeigen Umsätze bzw. Einkünfte aus
selbstständiger Tätigkeit in jeweils nur dreistelliger Höhe. Das Einkommen aus
abhängiger Beschäftigung bis 00.00.2006 lag ohne Sonderzahlungen bei rund 3.700,-
EUR brutto monatlich.
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Der Kläger gab gegenüber der Beklagten an, er habe sein Arbeitsverhältnis zu dem
gewahlten Zeitpunkt kündigen müssen, da er nur dann für das geplante Unternehmen
für Produktion und Vertrieb von Löschsteuer- und Brandmeldezentralen
Alleinvertriebsrechte für bestimmte Produkte für Deutschland bekommen könne und weil
diese Produkte auf der nur alle zwei Jahre stattfindenden Fachmesse im Oktober 2006
vorgestellt werden sollten.
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Der Kläger gab weiter an, er arbeite seit dem 01.07.2006 in Vollzeit, er habe aber noch
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keinen Umsatz durch die selbstständige Tätigkeit, da er mit Vorbereitungen und
Entwicklung beschäftigt sei.
Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Übbg ab (Bescheid vom 21.09.2006). Durch
Eigenkündigung und anschließende Existenzgründung habe der Kläger das Risiko der
Arbeitslosigkeit selbst herbei geführt. Bei nahtlosem Übergang von Beschäftigung in
Selbstständigkeit könne Übbg nicht gewährt werden. Den Widerspruch wies die
Beklagte zurück (Bescheid vom 19.12.2006).
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Einen parallel vom Kläger gestellten Antrag auf Alg ab 01.07.2006 lehnte die Beklagte
ebenfalls ab (Bescheid vom 05.09.2006, Widerspruchsbescheid vom 19.12.2006), da
der Kläger wegen seiner mehr als kurzzeitigen selbstständigen Beschäftigung nicht
arbeitslos sei.
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Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger erstmals vorträgt, er habe keine
mehr als kurzzeitige Tätigkeit ausgeübt, was sich auch daraus ergebe, dass er 2006
insgesamt nur 180,- EUR eingenommen habe. Er habe entgegen seinen Planungen
seine ursprünglich nebenberuflich ausgeübte selbstständige Tätigkeit nicht zu steigern
vermocht, weil Aufträge ausgeblieben seien. In seinem Alg-Antrag vom 22.05.2006
habe er eindeutig angegeben, unter 15 Stunden zu arbeiten. Seine abweichenden
Angaben im Antrag auf Übbg seien als Prognose zu verstehen. Es sei nicht einzusehen,
dass er nun weder Alg noch Übbg erhalten solle. Übbg komme im übrigen nach dem
gesetzlichen Tatbestand auch in Betracht, wenn Arbeitslosigkeit "vermieden" werde.
Dies sei auch bei einem nahtlosen Übergang aus der Beschäftigung in die
selbstständige Tätigkeit der Fall.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Bescheid der Beklagten vom 21.09.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 19.12.2006 aufzuheben und dem Kläger
Überbrückungsgeld nach gesetzlicher Maßgabe zu gewähren.
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2.hilfsweise den Bescheid der Beklagten vom 05.09.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 19.12.2006 aufzuheben und dem Kläger
Arbeitslosengeld nach gesetzlicher Maßgabe zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Der Kläger kann weder Alg noch Übbg beanspruchen.
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Anspruch auf Übbg haben nach § 57 SGB III in der zur Zeit der Antragstellung am
22.06.2006 noch geltenden Fassung Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer
selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitlosigkeit beenden oder vermeiden.
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Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor.
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Dabei kann offen bleiben, ob bei Entscheidungsreife des Antrags im September 2006
mangels einer Übergangsvorschrift schon § 57 SGB III in seiner ab 01.08.2006
geltenden Fassung anzuwenden war, in der die Tatbestandsalternative "Arbeitslosigkeit
vermeiden" nicht mehr enthalten war. Denn der Kläger hat durch seine
unternehmerische Entscheidung keine Arbeitslosigkeit im Sinne des § 57 SGB III
vermieden. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift, die die Förderung der
Gründung einer selbstständigen Existenz auf die Fälle begrenzen soll, in denen die
Solidargemeinschaft durch Leistungsansprüche wegen Arbeitslosigkeit belastet wird.
Der Anreiz zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch Arbeitslose oder von
Arbeitslosigkeit Bedrohte soll der Entlastung des Arbeitsmarktes dienen. Ein Anspruch
auf Übbg scheidet daher aus, wenn ein Arbeitnehmer durch den Abschluss eines
Aufhebungsvertrages oder durch Eigenkündigung Arbeitslosigkeit erst begründet oder
eine Situation herbeiführt, die ohne die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen
Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III hätte begründen können
(Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.04.2006, L 8 AL 4150/05).
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So liegt der Fall aber hier. Der Kläger hat sein ungekündigtes Beschäftigungsverhältnis
gelöst, um die selbstständige Tätigkeit aufzunehmen. Ohne dieses Verhalten wäre es zu
einer Belastung der Solidargemeinschaft gar nicht erst gekommen.
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Neben dem somit erfolglosen Hauptantrag erweist sich auch der Hilfsantrag als
unbegründet. Denn Voraussetzung für die Bewilligung von Arbeitslosengeld ist
Arbeitslosigkeit, zu deren Voraussetzungen es u. a. gehört, dass der Antragsteller
beschäftigungslos ist (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Dies ist nicht der Fall bei der
Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit mit einer Arbeitszeit von 15 Stunden
wöchentlich oder mehr. Der Kläger hatte aber bei der Beklagten angegeben, ab
01.07.2006 Vollzeit zu arbeiten und im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit ab
August 2006 sogar noch vier weitere Mitarbeiter beschätigen zu müssen. Die erstmals
im Klageverfahren aufgestellte Behauptung, tatsächlich habe der Kläger immer nur
weniger als 15 Stunden gearbeitet, was sich aus seinen niedrigen Umsätzen ergebe,
überzeugt die Kammer nicht, denn der Kläger hatte ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass er zunächst keine Umsätze machen könne, weil er mit umfangreichen
Vorbereitungsarbeiten im Hinblick auf die im Oktober stattfindende Messe beschäftigt
sei. Selbst wenn aber objektiv Beschäftigungslosigkeit vorgelegen haben sollte, wäre
der Kläger dann aber nicht verfügbar gewesen (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III). Denn hierzu
gehört, dass der Kläger Vorschlägen der Beklagten zur beruflichen Eingliederung zeit-
und ortsnah hätte Folge leisten können (§ 119 Abs. 5 Nr. 2 SGB III). Hiervon konnte die
Beklagte keinesfalls ausgehen, da der Kläger ihr gegenüber jedenfalls den Eindruck
von Vollbeschäftigung erweckt hat. Sie hatte deshalb keinerlei Anlass, für den Kläger
Vermittlungsbemühungen zu unternehmen. Zu Recht hat sie deshalb seinerzeit den
Antrag des Klägers abgelehnt.
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Darauf, dass bei möglicherweise inzwischen veränderten Verhältnissen für die Zahlung
von Arbeitslosengeld eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung bei der Beklagten
notwendig ist (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, § 122 Abs. 1 Satz 1 SGB III), ist der Kläger in
der mündlichen Verhandlung am 25.05.2007 hingewiesen worden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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