Urteil des OVG Saarland vom 14.12.2006

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OVG Saarlouis Beschluß vom 14.12.2006, 2 W 25/06
Widerruf einer Niederlassungserlaubnis bei Fortfall des Aufenthaltszwecks der
Schutzbedürftigkeit trotz Erfüllens der Voraussetzungen für die Vermutung einer
gelungenen Integration und Antrages auf Einbürgerung bei Minderjährigen
Leitsätze
1. Die Ausländerbehörde hat nach der den Widerruf in ihr Ermessen stellenden Vorschrift
des § 52 Abs. 1 Satz 1 AufenthG allgemein die persönlichen Umstände des jeweiligen
Falles und dabei insbesondere die gegen einen Widerruf sprechenden Interessen des
Ausländers zu berücksichtigen. Hierzu gehört auch die Wertentscheidung des Art. 8 EMRK.
2. In den Fällen des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG entsteht mit dem Fortfall des
Aufenthaltszwecks der Schutzbedürftigkeit hinsichtlich politischer Verfolgung ein
gewichtiges öffentliches Interesse am Widerruf eines nur im Hinblick darauf erteilten
ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels.
3. Hat der vom Widerruf betroffene Ausländer, der über lange Jahre eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis/Niederlassungserlaubnis innehat, aber inzwischen seine Einbürgerung
auf der Grundlage des bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen eine Vermutung
gelungener Integration begründenden § 10 StAG förmlich beantragt, so muss die
Ausländerbehörde diesen Aspekt und auch die Erfolgsaussichten dieses
Einbürgerungsbegehrens zumindest mit Gewicht in ihre Ermessenserwägungen einstellen.
4. Dies gilt insbesondere bei minderjährigen in Deutschland geborenen und
aufgewachsenen Kindern, bei denen Fragen der eigenen wirtschaftlichen Integration in die
hiesigen Lebensverhältnisse nach § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG den Einbürgerungsanspruch
nicht ausschließen wohl aber der Widerruf der Niederlassungserlaubnis, deren Vorliegen
auch noch im Einbürgerungszeitpunkt § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG erforderlich ist.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 21. August 2006 – 10 F 32/06 – abgeändert und die aufschiebende
Wirkung ihres Widerspruchs gegen den im Bescheid des Antragsgegners vom 12.6.2006
enthaltenen Widerruf der Niederlassungserlaubnis wieder hergestellt beziehungsweise
hinsichtlich der gleichzeitig erlassenen Abschiebungsandrohung angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Eltern der 1995 in A-Stadt geborenen Antragstellerin, A und M A., gehören zur
Volksgruppe der Ägypter aus Gjakove im Kosovo, reisten im Juli 1992 in die Bundesrepublik
Deutschland ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Auf die nach
Ablehnung dieses Antrags erhobene Klage verpflichtete zunächst das Verwaltungsgericht
das Bundesamt, dem Anerkennungsbegehren zu entsprechen (vgl. das Urteil vom
11.4.1994 – 5 K 571/93.A -). Auf dieser Grundlage wurde die Antragstellerin nach ihrer
Geburt auf entsprechenden Antrag in Anwendung der Regelungen über das Familienasyl (§
26 AsylVfG) als Asylberechtigte anerkannt (vgl. den Anerkennungsbescheid des
Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19.12.1995 – E 2060043-
138 -). Unter dem 14.2.1996 wurde ihr eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Nachdem das zur Anerkennung der Eltern verpflichtende Urteil auf die Berufung des
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten aufgehoben worden war (vgl. hierzu OVG des
Saarlandes, Urteil vom 4.11.1996 - 3 R 149/96 -), widerrief das Bundesamt im März 2003
die Anerkennung der Antragstellerin (vgl. den Bescheid vom 4.3.2003 – 5005878-138 -).
Rechtsbehelfe dagegen blieben ohne Erfolg (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 23.6.2004
– 10 K 102/03.A -).
Mit Schreiben vom 21.12.2005 teilte die Landeshauptstadt A-Stadt (Bürgeramt City) dem
Antragsgegner mit, dass für die Antragstellerin ein Antrag auf Einbürgerung gestellt worden
sei und bat um Übersendung der Ausländerakten.
Durch Bescheid vom 12.6.2006 widerrief der Antragsgegner die nach den
Übergangsvorschriften als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltserlaubnis der
Antragstellerin unter Verweis auf den rechtskräftig negativen Abschluss des Asylverfahrens
der Eltern, forderte sie zur Ausreise binnen eines Monats auf und drohte ihr für den Fall der
Nichtbefolgung die Abschiebung an. In der Begründung wurde auf das Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen des nunmehr einschlägigen § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AufenthG (vormals § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) verwiesen. Im Rahmen des vom Gesetzgeber
eröffneten Ermessensspielraums seien sämtliche Umstände des Einzelfalls einschließlich
schutzwürdiger Interessen des Ausländers an dem weiteren Verbleib in Deutschland,
insbesondere bestehende Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, in den
Blick zu nehmen. Allerdings sei ein auf der Asylanerkennung aufbauendes Aufenthaltsrecht
nicht ausreichend und könne dem Widerruf nicht entgegenstehen. Seit der Abweisung der
Asylklage der Eltern im Jahre 1996 sei klar gewesen, dass die von der Berechtigung der
Eltern abhängige Asylanerkennung der Antragstellerin keinen Bestand haben könne.
Schutzmindernd komme hinzu, dass eine eigenständige Asylberechtigung nie bestanden
habe. Die durch die Geburt in Deutschland zwangsläufig entstehende Verwurzelung in
hiesige Lebensverhältnisse könne ebenso wie das Versäumnis der Eltern, der
Antragstellerin Sprache und Kenntnisse über das Heimatland zu vermitteln, kein Bleiberecht
begründen. Aufenthaltsrechte von Kindern richteten sich nach dem der Eltern. Besondere
wirtschaftliche Bindungen bestünden nicht. Die gesamte Familie beziehe dauerhaft
öffentliche Hilfen. Weiter heißt es in dem Bescheid, „im Übrigen“ dürfte sich eine
Einbürgerung, insbesondere ein Einbürgerungsanspruch der Antragstellerin nach § 10 Abs.
1 StAG erledigt haben, da mit dem Widerruf die als Einbürgerungsvoraussetzung
erforderliche Niederlassungserlaubnis „ausscheide“. Die Anordnung der sofortigen
Vollziehbarkeit des Widerrufs sei geboten. Es bestehe ein gewichtiges öffentliches Interesse
daran, dass endgültig abgelehnte Asylbewerber, denen ein Bleiberecht nicht zustehe, das
Bundesgebiet verließen. Andernfalls müsse im konkreten Fall der Aufenthalt der übrigen
Familienmitglieder zumindest vorübergehend geduldet werden, was eine nicht unerhebliche
Belastung der öffentlichen Kassen mit sich brächte.
Einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des am 29.6.2006
erhobenen Widerspruchs, über den noch nicht entschieden ist, hat das Verwaltungsgericht
mit Beschluss vom 21.8.2006 – 10 F 32/06 – zurückgewiesen. Darin ist unter anderem
ausgeführt, die Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG lägen vor und auch die
Ermessensausübung des Antragsgegners im Widerrufsbescheid sei rechtlich nicht zu
beanstanden. Dabei habe der Antragsgegner auch berücksichtigen dürfen, dass die
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausschließlich auf der damals noch nicht
bestandskräftigen „Asylberechtigung“ der Eltern beruht habe, die bereits 1996
„aufgehoben“ worden sei. Ab diesem Zeitpunkt hätten die Antragstellerin, die Eltern und
ihre Geschwister damit rechnen müssen, dass ihr Aufenthalt in Deutschland in absehbarer
Zeit beendet werde. Der unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, einen
Erlass des rheinland-pfälzischen Innenministeriums vom Dezember 2004 und die im
Übrigen durch das dortige Obergericht revidierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts
Stuttgart erhobene Einwand unzureichender Berücksichtigung des Rechts auf Wahrung des
Familienlebens (Art. 8 EMRK) könne nicht überzeugen. Es sei davon auszugehen, dass die
Antragstellerin mit ihrer Familie in das Heimatland zurückkehre. Des ungeachtet erfülle sie
auch die in dieser Rechtsprechung genannten individuellen Integrationsvoraussetzungen
schon nicht.
Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin „erhebliche Zweifel“ an der Richtigkeit des
erstinstanzlichen Beschlusses geltend. Sie beruft sich insbesondere auf einen
Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom
21.8.2006 – 10 F 32/06 – ist zulässig und begründet. Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO den Prüfungsumfang im Rechtsmittelverfahren abschließend bestimmende
Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 26.9.2006 begründet erhebliche Zweifel an
der Rechtmäßigkeit der in das Ermessen des Antragsgegners gestellten Entscheidung, die
Niederlassungserlaubnis der Antragstellerin zu widerrufen (§ 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AufenthG). Dies gebietet es, den Interessen der Antragstellerin, von einer (sofortigen)
Umsetzung der Widerrufsentscheidung und einem ungehinderten Vollzug der
Aufenthaltsbeendigung bis zur Klärung der durch den Fall aufgeworfenen Rechtsfragen im
Hauptsacheverfahren verschont zu bleiben, den Vorrang einzuräumen (§ 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
Aus Sicht des Senats spricht gegenwärtig alles dafür, dass bei der im Rahmen der
Widerrufsentscheidung vom Antragsgegner vorzunehmenden Ermessensbetätigung, die an
den Maßstäben des § 40 SVwVfG zu orientieren ist, nach Maßgabe des § 114 Satz 1
VwGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt und insbesondere nicht
durch die Gerichte ersetzt werden kann, zu Lasten der Antragstellerin wesentliche gegen
den Widerruf sprechende Umstände ihres konkreten Falles nicht oder allenfalls sehr
unzureichend berücksichtigt wurden.
Das gilt allerdings nicht bereits, soweit die Antragstellerin darauf hinweist, dass sie in
Deutschland geboren und aufgewachsen ist, was der Antragsgegner – aus ihrer Sicht -
nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt habe. Damit sind zwar Aspekte angesprochen,
welche die Ausländerbehörde nach der den Widerruf in ihr Ermessen stellenden Vorschrift
des § 52 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vormals § 43 Abs. 1 AuslG) allgemein zu berücksichtigen
hat. Das ist vorliegend indes nach der Begründung des Bescheides vom 12.6.2006
geschehen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin hat der Antragsgegner die
Schutzwürdigkeit dieser Belange, insbesondere die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts in
Deutschland und die „schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen
Bindungen im Bundesgebiet“ als solche erkannt und angesprochen (siehe dazu die
Ausführungen zur Ermessensentscheidung ab Seite 3 des Bescheids vom 12.6.2006). Der
in diesem Vorbringen der Antragstellerin enthaltene Hinweis auf eine unzureichende
Berücksichtigung des Rechts auf Wahrung des Familienlebens (Art. 8 EMRK, § 60 Abs. 5
AufentG) überzeugt im Ergebnis nicht. Die nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte notwendige „Auseinandersetzung“ mit dem Fehlen eines
in Ausnahmefällen aus dem Schutz des „Privatlebens“ in Art. 8 EMRK herzuleitenden
rechtlichen Abschiebungshindernisses (§ 60a Abs. 2 AufenthG) (vgl. dazu zuletzt OVG des
Saarlandes, Beschlüsse vom 17.10.2006 – 2 Q 25/06 -, insbesondere zum Erfordernis
einer dauerhaften auch wirtschaftlichen Integration und vom 6.12.2006 – 2 W 31/06 -) hat
der Antragsgegner vorgenommen. Er hat dabei allerdings die in dem Fall in Rede
stehenden öffentlichen Interessen – insoweit nachvollziehbar - als vorrangig angesehen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats entsteht in den Fällen des § 52 Abs. 1
Satz 1 Nr. 4 AufenthG mit dem Fortfall des für die Gewährung der Aufenthaltserlaubnis
allein maßgebenden Aufenthaltszwecks der Schutzbedürftigkeit hinsichtlich politischer
Verfolgung ein gewichtiges öffentliches Interesse am Widerruf eines nur im Hinblick darauf
erteilten ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels. Bei der Antragstellerin kommt hinzu, dass
inhaltlich eine solche Berechtigung nie bestand. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im
Januar 1996 beruhte allein auf dem Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 19.12.1995, dem wiederum das im Verfahren ihrer Eltern
ergangene, damals nicht rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11.4.1994 – 5
K 571/93.A - zugrunde lag, das später durch Urteil des Oberverwaltungsgerichts
aufgehoben wurde (vgl. dazu etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 14.2.2003 – 1
W 4/03 -, SKZ 2003, 232, Leitsatz Nr. 90, vom 7.10.2005 – 2 Q 6/05 -, SKZ 2006, 58,
Leitsatz Nr. 68, jeweils noch zu § 43 Abs. 1 AuslG, und vom 23.5.2006 – 2 W 9/06 -, SKZ
2006, 225, Leitsatz Nr. 67, wonach in dieser Situation der Widerruf im Regelfall
unabhängig von der längeren Dauer des Aufenthalts in Deutschland in ganz besonderer
Weise geboten erscheint).
Der Fall der Antragstellerin unterscheidet sich indes in einem wesentlichen Punkt von
diesem „Normalfall“. Er zeichnet sich durch die in der Beschwerdebegründung
angesprochene Besonderheit aus, dass der Widerruf der Niederlassungserlaubnis zur Folge
hat, dass eine wesentliche Voraussetzung für die von der Antragstellerin begehrte
Einbürgerung entfällt. Diesen möglicherweise sogar den Anlass für den Widerruf bildenden
Umstand hat der Antragsgegner ausweislich der Begründung für seine
Widerrufsentscheidung als deren rechtliche Konsequenz erkannt und als ihre mögliche
Folge („dürfte“) im Bescheid vom 12.6.2006 angesprochen. Er hat dies allerdings nicht
zum Anlass genommen, die insoweit im Raum stehende selbständig zu gewichtende
Rechtsposition der Antragstellerin nach Maßgabe des § 10 StAG, die ihr jedenfalls – das
Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für den dort geregelten Einbürgerungsanspruch
unterstellt – durch den Widerruf letztlich entzogen würde, in seine sachlichen Erwägungen
einzubeziehen. Dieses Entscheidungsdefizit begründet durchgreifende Bedenken gegen die
Ordnungsmäßigkeit der Ausübung des Entschließungsermessens und damit gegen die
Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidung insgesamt.
Nach § 10 Abs. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen
gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, bei Vorliegen der dort in den Nr. 1 bis Nr. 5
genannten Voraussetzungen auf seinen Antrag hin einzubürgern. Einen entsprechenden
Antrag hat die Antragstellerin bereits im Jahre 2005 beim zuständigen Bürgeramt der
Landeshauptstadt A-Stadt gestellt. Dass der Antrag nach einer Auskunft des für die
Entscheidung darüber zuständigen Ministeriums dort offensichtlich bis heute nicht vorgelegt
wurde, fällt nicht in den Verantwortungsbereich der Antragstellerin (vgl. dazu das
Antwortschreiben des Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport vom
12.10.2006, Blatt 45 der Gerichtsakte, in dem als Grund für die Nichtweiterleitung
genannt wird, dass „der endgültige Aufenthaltstitel sowie noch gültige Ausweispapiere
bisher < gemeint wohl: nicht > vorgelegt wurden“; zu den möglichen rechtlichen
Konsequenzen einer der rechtswidrigen Ablehnung des Einbürgerungsantrags
gleichzustellenden „qualifizierten Untätigkeit“ der Behörde etwa VGH München, Beschluss
vom 17.2.2005 – 5 BV 04.1225 -, NVwZ-RR 2005, 856). Hinsichtlich der
Voraussetzungen für den Einbürgerungsanspruch ist festzuhalten, dass eine strafrechtliche
Verurteilung der Antragstellerin (Nr. 5) ausscheidet, dass ein verbindliches förmliches
Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (Nr. 1) bei Minderjährigen bis
zum 16. Lebensjahr sinnvollerweise nicht zu verlangen und deswegen auch nach § 10 Abs.
1 Satz 2 StAG nicht erforderlich ist und dass die für die Einbürgerung Erwachsener ab
Vollendung des 23. Lebensjahres geforderten wirtschaftlichen Voraussetzungen der
Bestreitung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen nach SGB II
beziehungsweise SGB XII (Nr. 3) gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG speziell für Minderjährige
nicht gelten. Nach dem Akteninhalt bestehen ferner keine ernsthaften Zweifel, dass der
eine Überprüfung (und Widerlegung) der gesetzlichen Integrationsvermutung (§ 10 StAG)
im Einzelfall ermöglichende Ausschlussgrund eines Fehlens ausreichender Kenntnisse der
deutschen Sprache (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG) bei der in Deutschland geborenen und (nur
hier) aufgewachsenen Antragstellerin nicht vorliegt (vgl. hierzu das vom Bürgeramt in
Saarbrücken in Kopie zur Ausländerakte gesandte Jahreszeugnis 2004/2005 der Schule für
Lernbehinderte „In den Grasgärten“ (Altenkessel) für die Antragstellerin).
Vor dem Hintergrund kommt – neben der Klausel zur Vermeidung einer Mehrstaatigkeit
nach der Einbürgerung (Nr. 4), für die allerdings wiederum die Ausnahmetatbestände des §
12 StAG gelten - der Anforderung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG, wonach der
Einbürgerungsbewerber über eine Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG) oder über eine
qualifizierte Aufenthaltserlaubnis (§ 7 AufenthG) der dort angeführten Arten verfügen
muss, eine zentrale Bedeutung zu. Die Antragstellerin ist seit Februar 1996 im Besitz einer
unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die nach der Überleitungsbestimmung in § 101 Abs. 1
AufenthG mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 1.1.2005 als
(unbefristete) Niederlassungserlaubnis weiter gilt (vgl. die zum 1.1.2005 in Kraft
getretenen Bestimmungen des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die
Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG), Art. 1 des
Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004 (BGBl. I, 1950 ff.)). Diese Position wird ihr durch
die mit Sofortvollzugsanordnung versehene Widerrufsentscheidung des Antragsgegners
genommen, was einen Einbürgerungsanspruch zu Fall bringen kann, weil die in § 10 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 5 StAG genannten Voraussetzungen im Zeitpunkt der
Einbürgerungsentscheidung gegeben sein müssen, mithin das Vorliegen (etwa) einer
Niederlassungserlaubnis im Sinne der Nr. 2 im Zeitpunkt der Stellung des
Einbürgerungsantrags nicht ausreicht.
Die in § 10 StAG zum Ausdruck kommende Wertentscheidung des Bundesgesetzgebers
verlangt, dass die Ausländerbehörde bei einem Widerruf der von einem
Einbürgerungsbewerber langjährig innegehabten Niederlassungserlaubnis diesen Aspekt in
ihre Ermessensentscheidung einfließen lässt und nicht nur – wie vorliegend geschehen – die
mögliche („dürfte“) Rechtsfolge des Entfallens eines ansonsten ernsthaft in Betracht
kommenden Einbürgerungsanspruchs „feststellt“. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf,
dass einerseits der Antragsgegner - wie gesagt - zwar mit Blick auf die Anforderungen für
das Vorliegen eines rechtlichen Abschiebungshindernisses (§ 60a Abs. 2 AufenthG) nach
der Gewährleistung des Art. 8 EMRK („Privatleben“, sog. „faktischer Inländerstatus“) zu
Recht eine insoweit notwendige auch wirtschaftliche Integration der Antragstellerin verneint
hat, andererseits aber nach der Vorgabe in § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG gerade dieser
Gesichtspunkt dort für Minderjährige keine Rolle spielt.
Auch wenn die nach der Gesetzeslage in unterschiedliche Zuständigkeiten fallenden
Entscheidungen über die Einbürgerung beziehungsweise über den weiteren Aufenthalt
eines Ausländers rechtlich zu trennen sind und der Ausländerbehörde in dem
Zusammenhang gewisse „Steuerungsmöglichkeiten“ insbesondere durch die Ausübung
eines ihr aufenthaltsrechtlich eingeräumten Ermessens eröffnet werden (vgl. hierzu etwa
Berlit in Gemeinschaftskommentar (GK) – StAR, Loseblatt, § 10 StAG, RNr. 170 und RNr.
171, mit Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach die
Ausländerbehörde nicht verpflichtet ist, einem Einbürgerungsbewerber allein deswegen den
(weitere) Aufenthalt zu gestatten), ist diese gehalten, dem Anliegen des
Staatsangehörigkeitsrechts bei Vorliegen eines Einbürgerungsantrags zumindest bei
Entscheidungen über den Widerruf unbefristet über den Zeitraum des § 10 Abs. 1 Satz 1
StAG von acht Jahren hinaus den (rechtmäßigen) Aufenthalt in Deutschland legitimierenden
Aufenthaltstiteln im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung Rechnung zu tragen und das
auch als Problem in diesem Zusammenhang zu sehen. Die Vorschrift variiert für den Kreis
der rechtmäßig langjährig in Deutschland lebenden Ausländer, die sich hier auf Dauer
niederlassen wollen, die sonstigen Einbürgerungsvoraussetzungen und verleiht ihnen
grundsätzlich einen subjektiven Anspruch auf Einbürgerung. Ziel ist die Förderung der
Integration langjährig aufgrund entsprechender Aufenthaltstitel rechtmäßig und
unbescholten in Deutschland lebender Ausländer, wobei die Einbürgerung, die speziell im
Falle von Kindern nicht an Fragen der Unwirtschaftlichkeit wegen Bezugs öffentlicher Hilfen
geknüpft ist, als Abschluss eines vom Gesetzgeber bei Erfüllung der in § 10 StAG
geregelten Kriterien angenommenen hinreichenden Integrationsprozesses und als
Grundlage weiterer Integration gedacht ist (vgl. hierzu etwa Berlit in
Gemeinschaftskommentar (GK) – StAR, Loseblatt, § 10 StAG, RNr. 28). Die gesetzlich
gewünschte „Hinwendung“ des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland wird in diesen
Fällen durch die Antragstellung manifestiert. Von daher muss die Ausländerbehörde bei
Entscheidungen der vorliegenden Art über den Widerruf des viele Jahre – jedenfalls, wie
hier, deutlich länger als die Vermutungsfrist für eine ausreichende Integration in § 10 Abs. 1
Satz 1 StAG - bestehenden Aufenthaltstitels eines einbürgerungswilligen Ausländers dieser
Wertentscheidung Rechnung tragen und diese Gesichtspunkte sachlich bewertend
zugunsten der Betroffenen in ihre Ermessenserwägungen einfließen lassen. Sie muss
hierbei klar zum Ausdruck bringen, dass sie sich der „Vernichtung“ des ansonsten mit
hoher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der Integration normierten Einbürgerungsanspruchs
des vom Widerruf betroffenen Ausländers bewusst ist und welche im konkreten Fall
höherwertigen – notwendig besonders gewichtigen - Gesichtspunkte ihr Anlass geben,
sogar diesen Anspruch über den Widerruf der nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG
notwendigen (hier:) Niederlassungserlaubnis „zu Fall zu bringen“ (vgl. hierzu auch BVerwG,
Urteil vom 5.9.2006 – 1 C 20.05 -, betreffend die Rücknahme einer rechtswidrigen
Aufenthaltserlaubnis unter Außerachtlassung der Auswirkungen auf den Erwerb der
deutschen Staatsangehörigkeit durch ein Kind der betroffenen Ausländerin gemäß § 4 Abs.
3 Satz 1 StAG 1999, wonach die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis (dort auf der
Grundlage des § 48 VwVfG) unter Ermessensgesichtspunkten nur dann Bestand haben
Grundlage des § 48 VwVfG) unter Ermessensgesichtspunkten nur dann Bestand haben
kann, wenn die Behörde die erforderliche Interessenabwägung vorgenommen und dabei
alle wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigt hat). Daran fehlt es
vorliegend.
Demnach war auch die auf eine von Rechtsbehelfen ungehinderte Aufenthaltsbeendigung
zielende Abschiebungsandrohung auszusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 47 GKG 2004, wobei eine
Halbierung des Auffangwerts gerechtfertigt erscheint.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar.