Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 04.12.2008

OVG Koblenz: cannabis, aufschiebende wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, eingriff in grundrechte, eigenkonsum, betäubungsmittel, fahreignung, polizei, marihuana, geruch

OVG
Koblenz
04.12.2008
10 B 11149/08.OVG
Fahrerlaubnisrecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
……………….
- Antragsteller und Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Uwe Wirsing, Noeser Straße 36, 02929 Rothenburg,
gegen
den Landkreis Mainz-Bingen, vertreten durch den Landrat Kfz-Zulassungsbehörde Oppenheim, St.-
Ambrogio-Ring 11, 55276 Oppenheim,
- Antragsgegner und Beschwerdegegner -
wegen Fahrerlaubnis
hier: aufschiebende Wirkung
hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
21. November 2008, an der teilgenommen haben
Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Falkenstett
Richter am Oberverwaltungsgericht Möller
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts
Mainz vom 2. Oktober 2008 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den
Fahrerlaubnisentziehungsbescheid des Antragsgegners vom 12. September 2008 wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- € festgesetzt.
G r ü n d e
Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner dem
Antragsteller nicht die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens eines Arztes für Neurologie und
Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation oder eines Arztes bei einer Begutachtungsstelle für
Fahreignung aufgeben durfte. Damit konnte aus der Weigerung des Antragstellers, sich untersuchen zu
lassen, nicht der Schluss gezogen werden, er sei zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet. Ein
überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung besteht
danach nicht.
Gemäß § 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV - kann aus der Weigerung eines
Fahrerlaubnisinhabers, sich, wie von ihm gefordert, ärztlich auf seine Fahreignung untersuchen zu lassen,
nur dann auf seine Nichteignung geschlossen werden, wenn er rechtmäßig zur Beibringung des
betreffenden Gutachtens aufgefordert wurde.
Die auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV gestützte Anordnung einer ärztlichen Begutachtung des
Antragstellers vom 15. August 2008 erweist sich jedoch nach der Sachlage, wie sie sich derzeit darstellt,
nicht als anlassbezogen und verhältnismäßig.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens gemäß § 11 Abs. 2 Satz
3 FeV anzuordnen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass Einnahme von Betäubungsmitteln im
Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Steht dabei wie hier allein die Einnahme von Cannabis in
Rede, sind insofern die Besonderheiten gegenüber dem Konsum aller anderen Betäubungsmittel im
Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zu berücksichtigen, wie sie in Nr. 9 der Anlage 4 zur
Fahrerlaubnisverordnung - im Folgenden nur: Anlage 4 - zum Ausdruck gebracht sind. Danach ist ein
einmaliger Cannabiskonsum in fahrerlaubnisrechtlicher Hinsicht irrelevant, führt ein gelegentlicher
Konsum dieser Droge - in der Regel - nur dann zur mangelnden Fahreignung, wenn zumindest einer der
weiteren unter Nr. 9.2.2 der Anlage 4 aufgeführten Umstände - insbesondere das mangelnde
Trennungsvermögen in Bezug auf Konsum und Fahren - gegeben ist, und ist - grundsätzlich - nur dann
allein wegen des Konsums von Cannabis von einer Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen
auszugehen, wenn diese Droge regelmäßig eingenommen wird. Das heißt, die Anordnung einer
ärztlichen Begutachtung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV setzt, wenn es um Cannabisgenuss geht,
voraus, dass entweder hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der
Fahrerlaubnisinhaber gelegentlich Cannabis konsumiert und den Genuss dieser Droge sowie das Führen
eines Kraftfahrzeuges nicht trennen kann - oder ein anderer der in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 genannten
Tatbestände gegeben ist - oder dass solche Anhaltspunkte für eine regelmäßige Einnahme von Cannabis
vorliegen. Wenn hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für ein mangelndes Trennungs-
vermögen im beschriebenen Sinne bzw. das Vorliegen eines der sonstigen in Nr. 9.2.2 der Anlage 4
angeführten Sachverhalte fehlen, ist mit anderen Worten die Anforderung eines Gutachtens nach der
genannten Bestimmung nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn entweder gelegentlicher Cannabiskonsum
oder sogar regelmäßiger Cannabiskonsum gegeben sein dürfte - was durch das Gutachten zu klären
wäre -; es bedarf dann vielmehr nach Maßgabe der obigen Ausführungen „verlässlicher“ Anhaltspunkte
dafür, dass nicht etwa nur gelegentlicher, sondern ein darüber hinausgehender, eben regelmäßiger
Cannabisgenuss nahe liegt.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom
20. Juni 2002 (NJW 2002, 2378) zutreffend festgestellt hat, eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht
ausschließlich auf einmalig festgestellten Cannabisbesitz des Fahrerlaubnisinhabers und dessen
Weigerung, an der weiteren Aufklärung zu seinem Cannabiskonsum mitzuwirken, gestützt werden.
Allerdings kann, worauf das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung des Weiteren
hingewiesen hat, der Cannabisbesitz gegebenenfalls für einen eigenen Konsum dieser Droge seitens des
betreffenden Fahrerlaubnisinhabers sprechen. Ob eine solche Indizwirkung des einmalig festgestellten
Besitzes für Eigenkonsum nur im Falle des Auffindens „einer kleinen Menge“, wie das
Bundesverfassungsgericht sie in dem Zusammenhang angesprochen hat, in Betracht kommt - weil ein
Handeltreiben mit Cannabisprodukten in der Regel eine größere Vorratshaltung erwarten lässt - oder ob
allgemein der Besitz von Cannabis - auch - Eigenkonsum vermuten lässt - weil, wer Cannabis besitzt, in
der Regel auch zum Kreis der Konsumenten zählt (vgl. das vom Bundesverfassungsgericht eingeholte
Gutachten von Prof. Dr. Krüger) -, kann hier dahingestellt bleiben. Festzustellen ist jedenfalls zunächst,
dass auch die Vermutung eines Eigenkonsums des Fahrerlaubnisinhabers zufolge der obigen
Ausführungen für sich allein noch nicht ausreicht, um dem Fahrerlaubnisinhaber gemäß § 14 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens aufgeben zu können. Allerdings lässt sich aus
einem einmalig festgestellten Besitz von Cannabis schwerlich die Vermutung eines -
fahrerlaubnisrechtlich irrelevanten - noch nicht einmal gelegentlichen Cannabiseigenkonsums des
Fahrerlaubnisinhabers herleiten. Nur kann, wie oben dargelegt, bei - vermutlichem - gelegentlichem
Cannabiskonsum nach der genannten Bestimmung allein dann vorgegangen werden, wenn zugleich
hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fahrerlaubnisinhaber das
Führen eines Kraftfahrzeugs und den Genuss von Cannabis nicht trennen kann - oder ein anderer der in
Nr. 9.2.2 der Anlage 4 angeführten Gesichtspunkte gegeben ist - und setzt, sofern solche Anhaltspunkte
fehlen, die Aufforderung zur ärztlichen Begutachtung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV voraus, dass
sich hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte gerade für regelmäßigen Cannabisgenuss ergeben.
Allein auf der Grundlage der beim Fahrerlaubnisinhaber vorgefundenen Menge der Droge lässt sich nach
Auffassung des Senats jedoch nicht mit der für einen mit erheblichen Belastungen verbundenen Eingriff in
Grundrechte zu fordernden „Verlässlichkeit“ bestimmen, ob gelegentlicher oder regelmäßiger Cannabis-
konsum in Rede steht. Mit anderen Worten legt nicht allein eine „kleinere“ Menge nur gelegentlichen
Cannabiseigenkonsums des Fahrerlaubnisinhabers nahe, während eine „größere“ Menge dafür spricht,
dass der Fahrerlaubnisinhaber regelmäßig Cannabis zu sich nimmt, kann doch der Besitz einer
„größeren“ Menge Cannabis genauso gut darauf zurückzuführen sein, dass das Cannabis nicht allein für
den Eigenkonsum des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers bestimmt ist, etwa weil er mit diesem
Betäubungsmittel auch Handel treibt (wie hier wohl auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. Juli
2003 - 10 S 2270/02 -; OVG Berlin, Beschluss vom 15. Januar 2004 - 1 S 16/03 -; anderer Meinung
offenbar OVG Nordrhein-Westfalen in dem vom Antragsgegner zitierten Beschluss vom 15. März 2007 - 16
A 4487/04 -).
Im Falle des Antragstellers ergaben sich keinerlei hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür,
dass der Antragsteller - bei einem angenommenen Eigenkonsum von Cannabis - nicht zwischen der
Einnahme dieser Droge und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen könne. Der mit ihm nach dem
Auffinden von 9,67 g Marihuana in dem von ihm gelenkten Pkw bei der Polizeikontrolle am 26. Juni 2008
durchgeführte Drogenvortest mittels Drugwipe verlief zufolge des Polizeiberichts negativ. Irgendwelche
drogentypischen Ausfallerscheinungen des Antragstellers lassen sich diesem Bericht ebenfalls nicht
entnehmen. Des Weiteren sind in dem Pkw des Antragstellers offenbar keine Reste von Joints, auf den
Genuss von Cannabis im Pkw hindeutende Utensilien oder doch zumindest leere Behältnisse mit
Cannabisanhaftungen aufgefunden worden. Zu einem Eigenkonsum von Cannabis hat der Antragsteller
weder gegenüber der Polizei, noch im nachfolgenden Ermittlungs- bzw. Strafverfahren, noch im
Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, noch im vorliegenden Eilverfahren über das Bestreiten eines
solchen Konsums hinaus irgendwelche Erklärungen abgegeben. Soweit in dem Polizeibericht
festgehalten ist, es sei bei der Kontrolle „aus dem Pkw …. deutlich Cannabisgeruch wahrgenommen“
worden, hat der Antragsteller in der Beschwerdebegründung vorgetragen - ohne dass der Antragsgegner
dem entgegengetreten wäre: Die zuständige Sachbearbeiterin bei der Polizei habe, auf diese Feststellung
im Einsatzbericht angesprochen, erklärt, der Eindruck, der sich hieraus ergeben könne, dass der Geruch
auf den Konsum von Cannabis habe zurückgeführt werden können, sei falsch; die am Einsatz beteiligten
Beamten hätten keinen Anhaltspunkt für einen aktuellen Konsum von Cannabis gehabt; bei der
Verkehrskontrolle sei vielmehr der Geruch des mitgeführten Marihuanas wahrnehmbar gewesen. Für die
Richtigkeit der Darstellung, dass die seinerzeit eingesetzten Polizeibeamten keinen Anhaltspunkt für eine
Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss hatten, spricht, dass sie es bei
der einmaligen Durchführung eines Drogenvortests - mit negativem Ergebnis - belassen und nicht etwa -
aus begründeter Skepsis gegenüber dem Testergebnis - einen weiteren Drogenvortest durchgeführt oder
dem Antragsteller sogar zum Zwecke einer toxikologischen Untersuchung eine Blutprobe abgenommen
haben.
Damit konnte nach den obigen Ausführungen vom Antragsteller nur dann gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens verlangt werden, wenn sich hinreichend konkrete
tatsächliche Anhaltspunkte nicht nur für eine gelegentliche Einnahme von Cannabis - wie sie das in
seinem Pkw vorgefundene Marihuana nahe legen mag -, sondern für einen regelmäßigen
Cannabiskonsum hätten feststellen lassen. Daran fehlt es jedoch. Dass insoweit nicht - allein - auf die
Menge des seinerzeit vom Antragsteller mitgeführten Marihuanas abgestellt werden kann, wurde weiter
oben bereits ausgeführt. Und dass sonst nichts für einen sogar regelmäßigen Cannabiskonsum spricht,
folgt aus dem dargelegten Fehlen jeglicher über den bloßen Drogenbesitz hinausgehender Ansätze
überhaupt für einen Eigenkonsum des Antragstellers. Ergänzend sei hierzu nur noch hervorgehoben,
dass der Antragsteller ausweislich der Verwaltungsakten weder vor dem Vorfall vom 26. Juni 2008 in
betäubungsmittelrechtlicher Hinsicht auffällig geworden war noch es danach ist.
Dass auch für den Antragsgegner bei der Anordnung der Begutachtung offen war, ob der Antragsteller als
potentieller gelegentlicher oder gar als mutmaßlicher regelmäßiger Konsument von Cannabis zu
betrachten sei, ergibt sich im Übrigen aus der in dem Aufforderungsschreiben vom 15. August 2008 für die
Begutachtung formulierten Frage. Danach sollte festgestellt werden, „welches Drogenkonsumverhalten
vorliegt und/oder ob eine regelmäßige Einnahme von Cannabisprodukten vorliegt und dadurch
entsprechend der Anlage 4 Nr. 9 der Fahrerlaubnisverordnung von der Nichteignung …. (des
Antragstellers) ausgegangen werden muss“.
Nach alledem ist dem Antragsteller der begehrte vorläufige Rechtsschutz zu gewähren.
Damit erübrigt sich zugleich eine Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe
für beide Instanzen. Diese Hilfe hätte dem Antragsteller im Übrigen aber auch nicht bewilligt werden
können, da er es auch im Beschwerdeverfahren wie zuvor schon im erstinstanzlichen Verfahren
verabsäumt hat, eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu den Akten
zu reichen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47
des Gerichtskostengesetzes - GKG - i.V.m. Nrn. 1.5 und 46 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
gez. Steppling gez. Dr. Falkenstett gez. Möller