Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 24.03.2011

OVG Koblenz: gemeinderat, bebauungsplan, grünfläche, friedhof, eigentümer, beratung, versickerung, angehöriger, satzung, grundstück

OVG
Koblenz
24.03.2011
1 C 10737/10.OVG
Bauplanungsrecht (Normenkontrolle, Bebauungsplan)
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Normenkontrollverfahren
des Herrn
- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Lenz und Johlen, Kaygasse 5, 50676 Köln,
gegen
die Ortsgemeinde Nörtershausen, vertreten durch den Bürgermeister der Verbandsgemeinde Untermosel,
Bahnhofstraße 44, 56330 Kobern-Gondorf,
- Antragsgegnerin -
Prozessbevollmächtigter: Meiborg Rechtsanwälte, Hindenburgplatz 3, 55118 Mainz,
wegen Bebauungsplan (Normenkontrolle)
hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 24. März 2011, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Zimmer
Richter am Oberverwaltungsgericht Schneider
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Berthold
für Recht erkannt:
Der Bebauungsplan „Auf Rödern/Am Friedhof“ der Ortsgemeinde Nörtershausen vom 19. Februar 2010,
bekannt gemacht am 19. März 2010, wird für unwirksam erklärt.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Antragsteller zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan „Auf
Rödern/Am Friedhof“ der Antragsgegnerin für deren Ortsteil Pfaffenheck. Er ist Eigentümer eines mit
einem Wohnhaus bebauten Grundstückes im Plangebiet.
Am 25. Oktober 2000 fasste der Gemeinderat der Antragsgegnerin den Aufstellungsbeschluss und legte
zugleich eine Abgrenzung des Plangebietes fest, die er in seiner Sitzung vom 21. März 2002 noch einmal
bekräftigte. Danach sollte das Plangebiet entlang der im Plangebiet verlaufenden Straßen „Auf Rödern“
und „Am Friedhof“ im Wesentlichen lediglich die - weitgehend vorhandene - einseitige
Straßenrandbebauung südlich entlang dieser Straßen erfassen. Die dieser auf der nördlichen
Straßenseite gegenüberliegenden unbebauten land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen sollten
nicht in das Plangebiet einbezogen werden. Im Juli 2007 legte die Verbandsgemeindeverwaltung dem
Gemeinderat der Antragsgegnerin einen Vorschlag für eine veränderte Gebietsabgrenzung vor, wonach
nunmehr auch die nördlich der genannten Straßen gelegenen, bislang unbebauten Wald- bzw.
Wiesenflächen in das Plangebiet einbezogen werden sollten. Am 5. Juli 2007 beschloss der Gemeinderat
der Antragsgegnerin eine dementsprechende neue Plangebietsabgrenzung, die am 10. August 2007
ortsüblich bekannt gemacht wurde.
Der hiernach erarbeitete und von dem Gemeinderat der Antragsgegnerin am 22. Februar 2008
beschlossene Planentwurf, der auch Gegenstand der frühen Bürgerbeteiligung und der Beteiligung der
Träger öffentlicher Belange war, sah wie letztendlich auch die als Satzung beschlossene Planung
bezüglich der im Juli 2007 neu in das Plangebiet einbezogenen Flächen keine Bauflächen, sondern
nördlich der Straße „Am Friedhof“ forstwirtschaftliche Flächen und nördlich der Straße „Auf Rödern“ eine
private Grünfläche vor. In der hierzu erarbeiteten Begründung des Bebauungsplanes wurde ausgeführt,
das Plangebiet sei größtenteils schon bebaut und werde überwiegend wohnbaulich genutzt. Die
Grundkonzeption des Flächennutzungsplanes werde in Bezug auf die Verteilung der Bauflächen und der
Freiflächen wie Wald- und Grünlandflächen bei der Bauleitplanung beibehalten. Zweck der Planung sei
die Absicherung des gewachsenen Gebäudebestandes sowie die Steuerung der Bebauung in den noch
vorhandenen Baulücken. Dabei solle der grüne Charakter des Baugebiets bewahrt werden. Zur
Sicherung der Bestandssituation werde die Grünfläche nördlich der Straße „Auf Rödern“, die derzeit als
Weide genutzt werde, als private Grünfläche festgesetzt.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2009 wandte sich der Antragsteller gegen diese Planung. Seine
Einwendungen zielten vorrangig darauf ab, die Kosten für die anstehende Erschließung des Plangebietes
und damit die voraussichtlichen Erschließungsbeitragsforderungen zu senken. In diesem Zusammenhang
wandte sich der Antragsteller auch gegen die Festsetzung nicht bebaubarer Flächen nördlich der Straßen
„Auf Rödern“ und „Am Friedhof“, wo seiner Auffassung nach Bauflächen festgesetzt werden sollten.
Darüber hinaus rügte er, dass an der Beschlussfassung ein befangenes Ratsmitglied mitgewirkt habe.
In der Folgezeit wurde die Planung überarbeitet. Dabei wurde auf der beabsichtigten privaten Grünfläche
nördlich der Straße „Auf Rödern“ eine Fläche für die Versickerung von Niederschlagswasser vorgesehen.
Gegen diese wandte sich der die Fläche als Pächter bewirtschaftende Bruder eines Ratsmitgliedes – vor
der Offenlage der überarbeiten Planung zwar außerhalb des Planaufstellungsverfahrens an das
Abwasserwerk der Verbandsgemeinde Untermosel allerdings mit gleichzeitiger Durchschrift für die
Antragsgegnerin – mit einem Schreiben vom 25. Mai 2009. Die Offenlage der überarbeiteten Planung
erfolgte vom 29. Juli bis 30. Juli 2009.
Mit Schreiben vom 22. Juli 2009 wandte sich der Antragsteller u. a. erneut gegen die beabsichtigte
Festsetzung unbebaubarer Flächen in dem Plangebiet und trug hierzu vor, es handele sich dabei um voll
erschlossene Innenbereichsflächen. Die Fläche nördlich der Straße „Auf Rödern“ sei eine ökologisch
völlig verödete Fläche. Des Weiteren wandte er sich gegen den Verlust von einzelnen Bäumen, die zur
Herstellung der Erschließungsanlagen gefällt werden sollten, und verwies darauf, dass der Artenschutz
durch die Planung berührt werde, weil die überplanten Flächen ein Refugium für Fledermäuse und Vögel
darstellten.
Die Einwendungen wies der Gemeinderat durch Beschluss vom 19. Februar 2010 im Wesentlichen mit
der Begründung zurück, die nach den beabsichtigten Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht
bebaubaren Flächen - jeweils nördlich der genannten Straßen - würden aus städtebaulicher und
landespflegerischer Sicht als private Grün- bzw. Forstwirtschaftsflächen festgesetzt. Dort solle keine
Bebauung erfolgen. Der Verlust einzelner Bäume im Zusammenhang mit dem Straßenbau sei nicht
vermeidbar. Verstöße gegen artenschutzrechtliche Verbotstatbestände seien nicht zu erwarten. Natürliche
Nester oder von Vögeln genutzte Baumhöhlen seien in dem Planbereich nicht festgestellt worden.
Am 19. Februar 2010 fasste der Gemeinderat den Satzungsbeschluss, der nach vorheriger Ausfertigung
am 19. März 2010 ortsüblich bekannt gemacht wurde.
Zur Begründung seines am 15. Juni 2010 eingegangenen Normenkontrollantrages trägt der Antragsteller
vor, der Bauleitplan sei unwirksam, weil an der Beschlussfassung darüber ein gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 GemO ausgeschlossenes Ratsmitglied mitgewirkt habe. Hierbei handele es sich um den Bruder
eines Landwirtes, der Pächter der nördlich der Straße „Auf Rödern“ gelegenen Weideflächen sei, die in
dem angegriffenen Bebauungsplan als private Grünflächen festgesetzt worden seien. Diese Festsetzung
sei im Interesse des genannten Landwirtes erfolgt. Demgegenüber sei von Anliegern der Straßen im
Plangebiet im Planaufstellungsverfahren der Wunsch vorgetragen worden, auch dort Bauflächen festzu-
setzen, um dadurch die zu erwartenden Erschließungsbeiträge für die einzelnen beitragspflichtigen
Grundstückseigentümer des Plangebietes zu verringern. Durch die dem Wunsch dieser Eigentümer nicht
nachkommende Festsetzung einer die dort dauerhafte Fortführung der landwirtschaftlichen Nutzung
ermöglichenden privaten Grünfläche werde dem Bruder des Ratsmitgliedes ein Vorteil verschafft. Die
Mitwirkung des ausgeschlossenen Ratsmitgliedes führe gemäß § 22 Abs. 6 GemO zur Unwirksamkeit des
Bauleitplanes.
Darüber hinaus sei die Festsetzung der Grünfläche nicht erforderlich. Gleiches gelte für die Festsetzung
der Versickerungsmulde innerhalb dieser Grünfläche, was sich schon aus der Begründung des
Bebauungsplanes ergebe. Gegen diese Festsetzung habe sich im Übrigen auch der erwähnte Landwirt
gewandt.
Der Antragsteller beantragt,
den Bebauungsplan „Auf Rödern/Am Friedhof“ der Ortsgemeinde Nörtershausen für unwirksam zu
erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Normenkontrollantrag abzulehnen.
Sie trägt vor:
Bei dem von dem Antragsteller erwähnten Ratsmitglied habe kein Sonderinteresse vorgelegen, das
dieses Ratsmitglied gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO von der Beschlussfassung ausgeschlossen
hätte. Gerade weil der Antragsteller diese Behauptung bereits im Rahmen der frühen Bürgerbeteiligung
vorgetragen habe, sei die Frage eingehend geprüft worden. Die Prüfung habe jedoch zu dem Ergebnis
geführt, dass ein Sonderinteresse nicht vorliege. Bei den fraglichen Weideflächen handele es sich um
eine Fläche von lediglich 0,6 ha, die der Bruder eines Ratsmitgliedes als Nebenerwerbslandwirt nutze.
Deren Verlust könne die Existenz dessen Betriebes nicht gefährden. Die Bebauungsplanfestsetzungen
stünden dieser Nutzung zudem nicht entgegen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, handele es sich
jedoch wegen der geringeren Größe der als private Grünflache und als Fläche für Versickerung
festgesetzten Flächen um einen völlig unerheblichen und deshalb zu vernachlässigenden Nachteil für
den erwähnten Landwirt. Darüber hinaus sei das Unmittelbarkeitskriterium nicht erfüllt. Soweit der Antrag-
steller auf eine Entscheidung des 2. Senats des Gerichtes abstelle, sei der Sachverhalt mit dem
vorliegenden nicht vergleichbar, weil es seinerzeit um einen vorhabensbezogenen Bebauungsplan
gegangen, hier doch lediglich eine Angebotsplanung beschlossen worden sei. Darüber hinaus habe der
frühere Normenkontrollsenat des Gerichtes bereits entschieden, dass der Umstand, dass ein
Gemeinderatsmitglied bezüglich bestimmter Grundstücke eines Plangebietes Pächter sei, keinen
Ausschließungsgrund darstelle.
Die Festsetzung der nicht bebaubaren Grün- bzw. Fortwirtschaftsflächen sei nicht zu beanstanden. Schon
seit Beginn der Planung sei Planungsziel lediglich eine einseitige Anbaubarkeit der Straßen „Auf Rödern“
und „Am Friedhof“ gewesen. Die Einbeziehung der streitigen Flächen in das Plangebiet sei nur der
Rechtsklarheit wegen erfolgt. Eine Ausdehnung der Ortslage in diesen Bereich solle hierdurch verhindert
werden. Schließlich fehle dem Antragsteller das Rechtsschutzinteresse, da es ihm lediglich darum gehe,
künftig geringere Erschließungsbeiträge zahlen zu müssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die
Planaufstellungsunterlagen der Antragsgegnerin (2 Ordner). Diese Unterlagen waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bauleitplan ist unwirksam, weil an der Beschlussfassung darüber ein kraft Gesetzes
ausgeschlossenes Gemeinderatsmitglied der Antragsgegnerin mitgewirkt hat. Der Umstand, dass im
vorliegenden Fall der Bruder dieses Gemeinderatsmitgliedes nicht Eigentümer, sondern Pächter der
überplanten, landwirtschaftlich genutzten Flächen ist, steht dem nicht entgegen. Das Vorliegen eines
Ausschließungsgrundes bezüglich der Beratung und Entscheidung über einen Bebauungsplan ist, wie im
vorliegenden Fall, nämlich dann anzunehmen, wenn das betroffene Gemeinderatsmitglied oder ein naher
Angehöriger desselben einen abwägungserheblichen eigenen Belang im Rahmen der von dem
Gemeinderat zu treffenden Abwägungsentscheidung geltend machen kann, was nicht davon abhängt, ob
der durch die Festsetzungen für ein Grundstück Betroffene Eigentümer dieses Grundstücks ist. Nicht
entscheidend ist demgegenüber, ob sich dieser Belang im Ergebnis gegenüber widerstreitenden anderen
privaten oder öffentlichen Belangen durchsetzt.
Bezüglich des streitgegenständlichen Bebauungsplanes, den der Gemeinderat der Antragsgegnerin
gemäß § 10 Abs. 1 BauGB als Satzung beschlossen hat, gelten die Vorschriften der Gemeindeordnung
über Satzungen, hier § 24 Abs. 2 GemO und damit auch die Regelung des § 22 GemO, wonach bestimmte
Gemeinderatsmitglieder nicht beratend oder entscheidend an einer solchen Bauleitplanung mitwirken
dürfen. Letzteres ist gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO dann der Fall, wenn die Entscheidung ihnen
selbst oder einem ihrer Angehörigen im Sinne des Abs. 2 der Vorschrift einen unmittelbaren Vorteil oder
Nachteil bringen kann. Angehörige im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO sind gemäß Abs. 2 Satz 1
Nr. 3 der Vorschrift Verwandte bis zu dritten Grad, wozu auch Geschwister zählen. Gemäß § 22 Abs. 6
Satz 1 GemO ist eine Entscheidung unwirksam, wenn sie unter Mitwirkung einer nach § 22 Abs. 1 GemO
ausgeschlossenen Person ergangen ist. Das ist hier der Fall. Die Satzung gilt vorliegend auch nicht etwa
wegen Einheit der Präklusion als von Anfang an wirksam, weil die Verletzung der Vorschrift innerhalb der
Jahresfrist der §§ 22 Abs. 6 Satz 5, 24 Abs. 6 GemO durch den Normenkontrollantrag geltend gemacht
worden ist.
Sinn und Zweck des gesetzlichen Mitwirkungsverbotes des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO ist es,
kommunale Ratsmitglieder anzuhalten, ihre Tätigkeit ausschließlich nach dem Gesetz und ihrer freien nur
durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung auszurichten, ihnen persönliche Kon-
fliktsituationen zu ersparen sowie das Vertrauen der Bürger in eine saubere Kommunalverwaltung zu
erhalten und zu stärken (OVG Rheinland-Pfalz, AS 25, 161 [164]; OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ-RR 2000,
103 [104]). Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob das betroffene Ratsmitglied durch die
Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte einen möglichen Vor- oder Nachteil tatsächlich erfährt. Vielmehr
genügt ein dahingehender Anschein. Der besteht bereits dann, wenn konkrete Umstände den Eindruck
begründen, das Ratsmitglied könne bei seiner Entscheidung auch von persönlichen Interessen geleitet
werden. Ein einen eigenen privaten abwägungserheblichen Belang in die im Rahmen der Bauleitplanung
zu treffende Abwägungsentscheidung einbringendes Gemeinderatsmitglied ist daher von vorneherein von
der Beratung und Beschlussfassung über den Bauleitplan ausgeschlossen, weil diese eigenen Belange
von dem Gemeinderat in der Abwägung zu berücksichtigen sind.
Aus dem aufgezeigten Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO folgt, dass das darin verankerte
Unmittelbarkeitskriterium die Beziehung zwischen dem Ratsmitglied und dem Beratungs- und
Entscheidungsgegenstand umschreibt. Insoweit dient es der Abgrenzung individueller Belange von
Gruppeninteressen. Wird das Ratsmitglied nur als Teil einer Gruppe berührt, liegt lediglich eine mittelbare
Betroffenheit vor. Folglich ist ein Ratsmitglied nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 22
Abs. 3 GemO nicht nach Abs. 1 ausgeschlossen, wenn es als Angehöriger einer Berufsgruppe oder eines
Bevölkerungsteils, deren gemeinsame Belange berührt werden, betroffen ist. Demnach fordert § 22 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 GemO für den Ausschluss eines Ratsmitgliedes von der Beratung und Beschlussfassung eine
Individualisierung seines Interesses am Beratungs- und Entscheidungsgegenstand. Erforderlich ist ein auf
seine Person bezogener besonderer, über den allgemeinen Nutzen oder die allgemeine Belastung
hinausgehender möglicher Vor- oder Nachteil. Er muss eng mit den persönlichen Belangen des
Ratsmitgliedes zusammenhängen und darf zusätzlich nicht von derart untergeordneter Bedeutung sein,
dass er vernachlässigt werden kann. Denn eine zu weitgehende Anwendung des Mitwirkungsverbotes
würde die Zusammensetzung des gewählten Rates unter Verstoß gegen demokratische Grundprinzipen
unzulässig verändern. Deshalb ist die Unmittelbarkeit des Vor- oder Nachteils bei einem Ratsmitglied
gegeben, bei dem aufgrund seiner engen persönlichen Beziehung zum Beratungsgegenstand ein
individuelles Sonderinteresse besteht, welches zu einer Interessenkollision führt und die Besorgnis
nahelegt, der Betroffene werde nicht mehr uneigennützig und gemeinwohlorientiert handeln. Wann dies
der Fall ist, ergibt eine Bewertung der Beziehung zwischen dem Ratsmitglied und dem Beratungs- und
Entscheidungsgegenstand aufgrund der Umstände des Einzelfalles.
Das Merkmal der Unmittelbarkeit eines möglichen Vor- oder Nachteils liegt - entgegen der Auffassung der
Antragsgegnerin - allerdings nicht erst dann vor, wenn zwischen der zutreffenden Entscheidung des Rates
und den möglichen vor- oder nachteiligen Folgen ohne Hinzutreten eines weiteren Umstandes eine
direkte Kausalität besteht (sog. formale Theorie, vgl. HessVGH, NVwZ 1982, 44 [45]) oder wenn die zu
Verwirklichung des Vor- oder Nachteils erforderliche Umsetzung des Ratsbeschlusses zwangsläufig zu
erwarten ist (sog. modifizierte formale Theorie, vgl. Schaaf/Oster in: Kommunalverfassungsrecht
Rheinland-Pfalz, Stand: November 2008, § 22 Ziffer 2.3.4.4). Ein lediglich so verstandenes Kau-
salitätskriterium würde nicht immer zu sachgerechten Ergebnissen führen. Bedarf eine Ge-
meinderatsentscheidung - wie im vorliegenden Fall - einer Umsetzung, die sowohl ihrem Inhalt als auch
ihrem Zeitpunkt nach nicht zwangsläufig erfolgt, dürfte ein Ratsmitglied, das einen Vor- oder Nachteil von
der Entscheidung haben könnte, auch nach der modifizierten formalen Sicht ohne weiteres an der
Beratung und Entscheidung teilnehmen. Damit würde das Mitwirkungsverbot in nicht wenigen Fällen leer
laufen, obwohl dies wegen einer besonderen Nähe des Ratsmitgliedes zum Beratungsgegenstand dem
Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO widerspricht (vgl. Urteil des 2. Senats des
erkennenden Gerichts vom 24. Juli 2009, AS RP-SL 37, 361 ff. m.w.N.; vgl. auch Beschluss des 8. Senates
des erkennenden Gerichts vom 26. September 2003, BauR 2004, 42 f. und OVG Mecklenburg-
Vorpommern, Urteil vom 22. Juni 2005 – 3 K 10/02 – in juris [Rn. 27 m.w.N.]). Demzufolge kann es
entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin letztlich nicht darauf ankommen, ob hier von dem
Gemeinderat ein vorhabenbezogener Bebauungsplan aufgestellt oder eine Angebotsplanung
beschlossen worden ist, abgesehen davon, dass die Festsetzung einer Versickerungsfläche auf der von
dem vorerwähnten Bruder eines Ratsmitgliedes angepachteten Fläche schwerlich eine Angebotsplanung
darstellen dürfte.
Die Problematik hat die Antragsgegnerin im Planaufstellungsverfahren zwar gesehen und, wie sie
vorgetragen hat, aufgrund der diesbezüglichen Einwendungen des Antragstellers im Rahmen der frühen
Bürgerbeteiligung auch geprüft. Der sich auf die in dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 12. Juli 2010
zitierten Ausführungen in dem Kommunalbrevier hierzu gestützten Schlussfolgerung, im vorliegenden Fall
liege ein Sonderinteresse deshalb nicht vor, weil der Bruder des betroffenen Gemeinderatsmitgliedes
lediglich Pächter der in das Plangebietes einbezogenen Weideflächen sei, folgt der Senat jedoch nicht.
Zwar weist die Antragsgegnerin zutreffend darauf hin, dass der frühere Normenkontrollsenat des
erkennenden Gerichtes (Urteil vom 2. Dezember 1985 - 10 C 9/82 -) seinerzeit die Auffassung vertreten
hatte, dass der aufgrund eines Miet- oder Pachtvertrages oder eines ähnlichen schuldrechtliches
Verhältnisses bestehende Besitz eines Ratsmitgliedes an einem Grundstück im Plangebiet in der Regel
kein Ausschließungsgrund im Sinne des § 22 Abs. 1 GemO bei der Aufstellung eines Bebauungsplanes
ist. Dabei berücksichtigt sie jedoch nicht, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes wie
auch der Obergerichte seitdem in Bezug auf die Antragsbefugnis des vorgenannten Personenkreises in
einem Normenkontrollverfahren eine Fortentwicklung erfahren hat, der auch bei dem Verständnis des
§ 22 GemO Rechnung zu tragen ist.
Wie aus § 1 Abs. 1 BauGB zu ersehen ist, bilden den Regelungsgegenstand bauplanerischer
Festsetzungen die bauliche und die sonstige Nutzung der im Plangebiet gelegenen Grundstücke. Die
durch den Bebauungsplan vermittelte baurechtliche Qualität hängt nicht von den jeweiligen Eigentums-
oder Besitzverhältnissen ab. Rechtsbeeinträchtigungen als Folge nachteiliger Festsetzungen kann,
solange der Plan Geltung für sich beansprucht, ein wechselnder Kreis von Personen erleiden, dem als
Eigentümer, dinglich Nutzungsberechtigter, Mieter oder Pächter nebeneinander oder nacheinander
Rechte an einem bestimmten Grundstück zusteht. Die Tatsache, dass eine bestimmte
Grundstücksnutzung nur aufgrund eines Miet- oder Pachtvertrages geschieht, führt nicht dazu, dass die
damit zusammenhängenden Interessen bei der planerischen Abwägung unberücksichtigt zu bleiben
hätten (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1999, BVerwGE 110, 36 ff. und Beschluss vom 25. Januar
2002, BauR 2002, 1199 ff.; BayVGH, Beschluss vom 8. Januar 2007 - 24 N 06.2110 - in juris; OVG NRW,
Beschluss vom 14. Juli 2010 - 2 B 637/10.NE - in juris, jeweils m.w.N.). Deshalb ist es unerheblich, ob das
durch eine Bauleitplanung betroffene Ratsmitglied selbst oder ein Angehöriger desselben im Sinne von
§ 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GemO Eigentümer von Grundstücksflächen im Plangebiet ist oder darin gelegene
Flächen z.B. als Pächter landwirtschaftlich nutzt. Maßgeblich ist vielmehr, ob durch die Bauleitplanung
solche eigenen Interessen berührt werden, die in die planerische Abwägung einzustellen sind und aus
denen, eine Antragsbefugnis im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO abgeleitet werden kann. Maßgeblich
ist es entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin daher nicht, ob ein Gemeinderatsmitglied als
Eigentümer an einer seinen Grundbesitz betreffenden Planungsentscheidung mitwirkt. Vielmehr kommt es
darauf an, ob seine durch die Planung betroffenen privaten Interessen schutzwürdig sind und deshalb die
Grenze zur Abwägungserheblichkeit überschreiten, weshalb sie dann in die Abwägung durch den
Gemeinderat einzustellen sind. So liegt der Fall hier.
Dabei ist zunächst anzumerken, dass es insoweit nicht, wie die Antragsgegnerin schriftsätzlich
vorgetragen hat, entscheidungserheblich darauf ankommt, ob die Überplanung des von einem
Gemeinderatsmitglied oder von dessen Verwandten im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GemO
bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen die Existenz des landwirtschaftlichen Betriebes gefährdet.
Weder der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes noch der obergerichtlichen Rechtsprechung
ist nämlich zu entnehmen, dass die Schwelle zur Abwägungserheblichkeit eines privaten betrieblichen
Belanges erst dann überschritten würde, wenn die Existenz eines landwirtschaftlichen Betriebes durch die
Bauleitplanung in Frage stünde. Belege hierfür legt die Antragsgegnerin auch nicht vor. Es ist vielmehr
lediglich so, dass, sofern eine potentielle Existenzgefährdung eines landwirtschaftlichen Betriebes in die
Abwägung einzustellen wäre, hierdurch diesen privaten Belangen ein besonderes Gewicht zukäme.
Allenfalls geringfügige und deshalb vernachlässigbare private Belange sind nicht in die Abwägung
einzustellen. Von solchen vernachlässigbaren privaten Belangen ist im vorliegenden Fall auf der
Grundlage der Planaufstellungsunterlagen indessen nicht auszugehen.
So wird bereits im ersten Entwurf der Begründung des Bebauungsplanes (Stand: 7. Januar 2009 s. S. 56
und 57 der Planaufstellungsunterlagen) darauf abgestellt, dass die Grünfläche nördlich der Straße „Auf
Rödern“ als Weiden genutzt werden und komplett eingezäunt sind. Zur Sicherung der Bestandssituation
solle diese Fläche als private Grünfläche festgesetzt werden, wodurch die Nutzung der Fläche
beibehalten werden könne. Auch die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz regte mit Schreiben vom
27. Februar 2009 (Bl. 91 der Planaufstellungsakte) an, dass die Fläche auch weiterhin der
landwirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung stehen solle. Zudem hatte sich der die Fläche
bewirtschaftende Bruder des hier in Rede stehenden Gemeinderatsmitgliedes mit Schreiben vom 28. Mai
2009 (Bl. 32 der Gerichtsakte) gegen die Festsetzung einer Fläche für Versickerung auf der von ihm
angepachteten Parzelle Nr. ../. gewandt. Zwar ist dieses Schreiben, worauf die Antragsgegnerin zutreffend
hinweist, an das Abwasserwerk der Verbandsgemeinde Untermosel gerichtet. Dass sich nach seinem
Betreff ausdrücklich gegen die geplante Festsetzung des Bebauungsplanes richtende Schreiben, das am
2. Juli 2009 – vor der Offenlage der Planaufstellungsunterlagen - bei der Verbandsgemeinde Untermosel
einging, sollte in Durchschrift auch der Antragsgegnerin selbst zugeleitet werden. Hieraus wird
hinreichend deutlich, dass die Überplanung der betreffenden Grünflächen nicht als eine letztlich
vernachlässigbare Angelegenheit von der Antragsgegnerin selbst, der Landwirtschaftskammer und dem
betroffenen Landwirt angesehen worden sind.
Wie sich aus der auf dem vorgenannten Schreiben vom 28. Mai 2009 angegebenen Anschrift des
betreffenden Landwirtes ergibt, handelt es sich zudem offensichtlich auch um hofnahe Weideflächen,
denen in Bezug auf das Interesse eines Pächters, diese auch forthin nutzen zu können, ein besonderes
Gewicht zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1999, a.a.O.). Nach den dem Senat vorliegenden
Unterlagen (Lagepläne und Luftbilder, Quelle Landschaftsinformationssystem der Naturschutzverwaltung
Rheinland-Pfalz) liegen die vorgenannten Weideflächen nämlich lediglich ca. 120 m Luftlinie entfernt von
dem nordwestlich davon gelegenen Anwesen des vorgenannten Landwirtes, das unmittelbar an das
Plangebiet angrenzt. Es handelt sich damit nicht um solche Weideflächen, die wegen ihrer weiten
Entfernung von der Hofstelle nur von vernachlässigbarem Interesse wären.
Da der angefochtene Bauleitplan bereits aus den vorstehenden Gründen für unwirksam zu erklären war,
bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner weiteren Erörterung der von dem Antragsteller darüber hinaus
gegen die Bauleitplanung vorgetragenen Bedenken.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167
VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
RMB
gez. Zimmer
gez. Schneider
gez. Dr. Berthold
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).
gez. Zimmer
gez. Schneider
gez. Dr. Berthold