Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 31.10.2008

OVG Koblenz: wohnung, illegale ausreise, politische verfolgung, flüchtlingseigenschaft, gefahr, polizei, anfang, repressalien, verein, organisation

OVG
Koblenz
31.10.2008
10 A 10215/08.OVG
Asylrecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
……..
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin Sabine Schmiesing, Aachener Straße 60-62, 50674 Köln,
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Präsidenten des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge, Rothenburger Str. 29, 90513 Zirndorf,
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
wegen Asylrechts (Türkei)
hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 31. Oktober 2008, an der teilgenommen haben
Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Falkenstett
Richter am Oberverwaltungsgericht Hennig
ehrenamtliche Richterin Buchhalterin Glässer
ehrenamtliche Richterin Betriebswirtin Kraft
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Abänderung des aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 24. September 2007 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Trier sowie unter
entsprechender Aufhebung ihres Asylbescheides vom 1. August 2007 verpflichtet, dem Kläger gemäß §
60 Abs. 1 AufenthG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die auf die Verpflichtungsklage zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §
60 Abs. 1 AufenthG entfallenden Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die Kosten des
Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der im Jahr 1980 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit; er
begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60
Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen ist.
Der Kläger reiste im März 2007 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er um die Gewährung von Asyl
bat. Zur Begründung machte er geltend: Er sei nach dem Umzug seiner Eltern ab seinem neunten
Lebensjahr in Istanbul aufgewachsen. Dort habe er sich schon während seiner Gymnasialzeit politisch
betätigt. So habe er sich im Jahr 1995 an zwei Demonstrationen beteiligt, die sich gegen den
Polizeieinsatz vor einem Café in Gazi Mahallesi bzw. gegen den Hochschulbildungsrat gerichtet hätten;
ferner habe er im Jahr 1996 an der Beerdigung des von der Polizei erschossenen H…. und im Jahr 1998
an einer Veranstaltung der „Samstagsmütter“ teilgenommen. Damit im Zusammenhang sei er wiederholt
festgenommen und teilweise so schwer misshandelt worden, dass er sich ins Krankenhaus habe begeben
müssen.
Nach der Ableistung seines Wehrdienstes in den Jahren 2000/2001 habe er sich erneut in Istanbul
niedergelassen. Am 31. Mai 2002 habe er mit Freunden Unterschriften gesammelt, womit sie die
Schließung der Gefängnisse des Typ F und die Beendigung des Todesfastens der Insassen hätten
erreichen wollen. Dabei sei er erneut verhaftet und so gefoltert worden, dass er anschließend abermals
ins Krankenhaus habe gebracht werden müssen. Damals sei gegen ihn und seine mit ihm zusammen
verhaftete spätere Ehefrau N…. Anklage erhoben worden. Während er bereits am 1. Juni 2002 wieder
freigelassen und drei Monate später freigesprochen worden sei, sei das Verfahren gegen seine Ehefrau
zunächst noch weiterbetrieben worden.
Ende 2002 hätten sie geheiratet. In der Folgezeit hätten sie ihre politischen Aktivitäten gemeinsam
fortgesetzt und sich dabei verstärkt für die DHKP-C engagiert. Aufgrund dessen sei er auf Veranlassung
der Polizei von seinem damaligen wie auch zwei weiteren nachfolgenden Arbeitgebern entlassen
worden. Angesichts dessen hätten sie im Jahr 2003 ihren Wohnsitz nach T…., einem Vorort von Istanbul
verlegt, wo sie in der Folgezeit unbehelligt geblieben seien. Allerdings hätten sie auch hier ihre
politischen Aktivitäten weiter geführt. Während er sich insbesondere für den Verein TAYAD wie auch die
prokurdische Partei DEHAP/DTP engagiert habe, habe sich seine Frau zunehmend bei der Organisation
DHKP-C betätigt. Damit im Zusammenhang habe sie Kontakte zu dem Rechtsanwalt Asci aufgenommen,
der die Teilnehmer an dem schon genannten Todesfasten vertreten und inzwischen selbst mit einem
solchen Todesfasten begonnen gehabt habe. Im Rahmen dieser Beziehung habe sich seine Ehefrau
zunehmend politisch radikalisiert und selbst bewaffnete Anschläge befürwortet. Darüber sei es zwischen
ihnen zu Streitigkeiten gekommen, weswegen er im Juni 2006 die Ehewohnung verlassen habe und zu
seiner Familie nach Istanbul zurückgekehrt sei. Allerdings sei die Wohnung nach wie vor auf seinen
Namen gelaufen und ebenso habe er auch weiterhin deren Kosten getragen. Ende Dezember 2006 sei
die Ehe geschieden worden.
Am 7. Januar 2007 seien seine Ehefrau und Rechtsanwalt Asci verhaftet worden. Am 8. Januar 2007 sei
eine Razzia in der Wohnung durchgeführt worden, bei der drei Handgranaten und ferngesteuerte
Granaten sowie eine Pistole gefunden worden seien. Hiervon habe er aufgrund der allgemeinen
Berichterstattung in den Zeitungen erfahren. Am 8. bzw. 9. Januar 2007 habe es sodann eine weitere
Razzia in ihrer früheren Ehewohnung in Istanbul gegeben bzw. sei nach ihm in seinem Heimatdorf
geforscht worden. Ebenso sei die Polizei bei der Familie seiner geschiedenen Ehefrau vorstellig
geworden, wo sie nach seinem Verbleib gefragt habe. Auf Grund dessen sei er von der Rechtsanwältin
A…., die ihn und seine Ehefrau bereits im Jahr 2002 vertreten gehabt und nunmehr erneut seine Frau
vertreten habe, gewarnt worden, dass auch er mit seiner Verhaftung rechnen müsse. Daraufhin habe er
unverzüglich Kontakte zu einer Schlepperorganisation aufgenommen, die ihm seine Ausreise jedoch erst
Anfang März 2007 habe ermöglichen können. Die Richtigkeit seines Vorbringens könne er mit den ihm
aus der Türkei inzwischen zugesandten Unterlagen belegen.
aus der Türkei inzwischen zugesandten Unterlagen belegen.
Diesen Asylantrag lehnte die Beklagte mit Asylbescheid vom 1. August 2007 ab. Zur Begründung machte
sie geltend, dass der Kläger schon deshalb seine Anerkennung als Asylberechtigter nicht verlangen
könne, weil er seine Einreise auf dem Luftweg nicht glaubhaft gemacht habe. Daneben könne er aber
auch nicht die Zuerkennung der Stellung eines politischen Flüchtlings gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG
beanspruchen. Insofern sei vielmehr zu sehen, dass er selbst nur für die Zeit bis in das Jahr 2002 von
staatlichen Repressalien betroffen gewesen sei, wogegen er in den nachfolgenden Jahren bis 2006
unbehelligt geblieben sei. Von daher spreche alles dafür, dass er sich nunmehr mit seinem Asylbegehren
lediglich das Verfolgungsschicksal seiner Ehefrau zunutze machen wolle. Insofern fehle es allerdings
bereits an hinreichend gesicherten Feststellungen dazu, dass es sich bei der genannten N…. überhaupt
um seine ehemalige Ehefrau handele, wie überdies aber auch zur Identität des Klägers selbst. Sonstige
Abschiebungshindernisse seien nicht zu erkennen. Demgemäß sei ihm seine Abschiebung in die Türkei
anzudrohen.
Daraufhin hat der Kläger am 16. August 2007 Klage erhoben. Zur Begründung ist er dem angefochtenen
Asylbescheid mit Ausführungen tatsächlicher und rechtlicher Art entgegengetreten. Außerdem hat er
weitere Unterlagen zum Beleg für die Richtigkeit seines Asylvorbringens vorgelegt.
Diese Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 24. September 2007 abgewiesen. Zur Begründung
hat es ausgeführt: Dem Kläger stehe schon angesichts seiner nicht nachgewiesenermaßen auf dem
Luftweg erfolgten Einreise kein Asylanspruch zu. Darüber hinaus könne er aber auch nicht die
Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft verlangen, weil es insofern bereits an der Schilderung eines
glaubhaften Verfolgungsschicksals fehle. Das Vorbringen des Klägers sei in wesentlichen Bereichen vage
und nicht nachvollziehbar. Dies gelte insbesondere in Bezug auf seine angeblichen eigenen politischen
Aktivitäten und die damit im Zusammenhang geltend gemachten staatlichen Repressalien. Des Weiteren
sei nicht nachvollziehbar, inwiefern ein halbes Jahr nach der Scheidung des Klägers von seiner Ehefrau
in der ehemals gemeinsam genutzten Wohnung ohne sein Wissen ein auf seine Ehefrau
zurückzuführendes Versteck von Waffen gefunden worden sein sollte, obwohl diese bereits zuvor mit ihm
nicht mehr zusammengelebt habe. In diesem Zusammenhang könnten überdies auch die vom Kläger
vorgelegten Unterlagen nicht belegen, dass es sich bei der in den Zeitungsartikeln genannten Wohnung
tatsächlich um seine Wohnung gehandelt habe. Dessen ungeachtet ergebe sich selbst dann keine
Gefährdung des Klägers, wenn dieses seine Ehefrau betreffende Vorbringen zutreffen sollte, da er bereits
ein halbes Jahr vor dem Waffenfund von ihr geschieden gewesen sei und er eine eigene politische
Betätigung nicht glaubhaft gemacht habe.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Senat hinsichtlich seines Begehrens auf die Zuerkennung
seiner Flüchtlingseigenschaft bzw. die Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes zugelassene
Berufung eingelegt. Zur Begründung tritt er den Feststellungen und Annahmen des Verwaltungsgerichts
mit Ausführungen tatsächlicher und rechtlicher Art entgegen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. September 2007
ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Trier sowie unter entsprechender Aufhebung ihres
Asylbescheides vom 1. August 2007 zu verpflichten, für ihn die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1
AufenthG, hilfsweise das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich auf den Inhalt ihres Asylbescheides sowie die Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils.
Der Senat hat mit Beschluss vom 5. Mai 2008 Beweis erhoben zu dem gegen die ehemalige Ehefrau des
Klägers wegen ihrer Zugehörigkeit zur DHKP-C und des in ihrer Wohnung aufgefundenen Waffenlagers
eingeleiteten Ermittlungsverfahren sowie zu einer etwaigen Einbeziehung des Klägers in dieses
Verfahren durch Einholung einer schriftlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 1. September 2008.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten
Schriftsätze sowie auf die das Verfahren betreffenden Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese
Vorgänge sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse lagen dem Senat vor und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage, soweit sie Gegenstand
des Berufungsverfahrens ist, nicht abweisen dürfen, da der Kläger die Feststellung der Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1, 4, 5 und 6 AufenthG i. V. m. Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis
10 der QualRL und § 31 Abs. 2 AsylVfG wegen eines für ihn hinsichtlich der Türkei bestehenden
Abschiebungsverbotes verlangen kann.
Hiernach hat Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Ausländer, dem bei einer
Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und
Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit oder aber sonstige Eingriffe in andere
Grundfreiheiten drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen. Diese
Verfolgung ist als politisch anzusehen, wenn sie in Anknüpfung an die asylerheblichen Merkmale der
Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen
Überzeugung des Betroffenen erfolgt, weil sie alsdann den Einzelnen aus der übergreifenden
Friedensordnung des Staates ausgrenzt und ihm zugleich Anlass gibt, in begründeter Furcht vor einer
ausweglosen Lage außerhalb seines Heimatlandes Schutz zu suchen. Die Gefahr einer derartigen
Verfolgung setzt weiter voraus, dass diese Maßnahmen dem Schutzsuchenden unter Zugrundelegung
einer auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichteten Zukunftsprognose mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohen oder aber dass sie für ihn nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen
werden können, nachdem er in der Vergangenheit bereits politische Verfolgung erlitten hat. Wer von nur
regionaler politischer Verfolgung betroffen war bzw. ist, ist allerdings erst dann als vorverfolgt bzw. verfolgt
anzusehen, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Das ist der Fall, wenn er
in anderen Teilen seines Heimatlandes eine zumutbare Fluchtalternative nicht finden kann. Diese Fragen
sind - bis auf die der Vorverfolgung und des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative vor der
Ausreise - nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, also zum
gegenwärtigen Zeitpunkt zu beurteilen.
Dabei ist vorliegend zunächst davon auszugehen, dass dem Kläger der für Vorverfolgte geltende
herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu Gute zu bringen ist, da er im März 2007 seine Heimat als
unmittelbar von politischer Verfolgung Bedrohter verlassen hat. Dem liegt zu Grunde, dass nach der den
Beteiligten bekannten Rechtsprechung des Senates Aktivisten der in der Türkei verbotenen, die
Verfassung und die Grundordnung des türkischen Staates bedrohenden gewaltbereiten
linksextremistischen Organisationen wie gerade auch der DHKP-C Gefahr laufen, im Falle einer
Festnahme als ernst zu nehmende und mit allen Mitteln zu bekämpfende politische Gegner aus Gründen
ihres missliebigen ideologischen Standortes Opfer schwerwiegender Übergriffe bis hin zu
Misshandlungen und Folterungen zu werden (vgl. dazu Urteil vom 6. Dezember 2002 - 10 A
10089/02.OVG - m. w. N.). An dieser Einschätzung hat sich bis zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers
Anfang des Jahres 2007 ungeachtet der Bestrebungen des türkischen Staates nach einer weiteren
Demokratisierung und Stärkung der Rechtsstaatlichkeit nichts geändert. Wie sich insofern aus den in das
Verfahren eingeführten Erkenntnissen ergibt, hatte es in Sonderheit im Jahr 2004 verschiedentlich
Aktionen gegen die in der DHKP-C organisierten Linksextremisten wie auch gegen die Aktivisten des mit
dieser Organisation verbundenen Vereins TAYAD gegeben, wobei diese Aktionen vielfach mit
gewaltsamen Übergriffen einhergegangen waren, ohne dass sich feststellen lässt, dass der türkischen
Staat derartigen Repressalien mit der gebotenen Entschlossenheit begegnet wäre (vgl. dazu NZZ vom 2.
April 2004, IMK vom 14. März bis 20. April 2004 sowie vom 21. April bis 20. Mai 2004, Kaya vom 17.
November 2005, FAZ vom 24. Februar 2006, taz vom 29. Dezember 2006). Insofern kann aber nicht
zweifelhaft sein, dass auch der Kläger mit großer Wahrscheinlichkeit mit entsprechenden
verfolgungsrelevanten Repressalien überzogen worden wäre, wenn die türkischen Sicherheitskräfte im
Rahmen ihrer Anfang 2007 nach ihm eingeleiteten Suche seiner Person habhaft geworden wären,
erfolgte diese doch vor dem Hintergrund der Festnahme seiner früheren Ehefrau als Gebietsleiterin der
THKP-C und nach der Aufdeckung des in seiner Wohnung aufgefundenen Waffenlagers wie aber auch
seiner eigenen langjährigen Aktivitäten für den Verein TAYAD. Dass die Sicherheitskräfte seinerzeit sogar
von einer Mitverstrickung des Klägers in dieses Engagement seiner Ehefrau ausgegangen sein dürften,
erscheint dabei auch deshalb naheliegend, weil beide schon vor ihrer Verheiratung im Jahr 2002 wegen
gemeinsamer politischer Aktivitäten zusammen verhaftet worden waren. Dementsprechend hatten denn
auch die Sicherheitskräfte bereits unmittelbar nach der Verhaftung der Ehefrau und dem Auffinden des
Waffenlagers nach dem Kläger zu forschen begonnen, wobei sie ihre Suche unter anderem gerade auch
auf die frühere gemeinsame Wohnung der Eheleute wie auch die deren Eltern erstreckt hatten. Diese
Sicht der Dinge wird endlich auch dadurch bestätigt, dass die Rechtsanwältin A…., die die Eheleute
zudem bereits im Jahr 2002 vertreten hatte und nunmehr erneut die Ehefrau vertrat, den Kläger
ausdrücklich davor warnte, dass er voraussichtlich in das gegen diese geführte Verfahren mit
hineingezogen werde. Im Hinblick auf diese Suche hatte dem Kläger seinerzeit auch keine inländische
Fluchtalternative zur Verfügung gestanden, wie sich schon daran zeigt, dass die Sicherheitskräfte sogar in
seiner Heimatregion wegen seines Aufenthaltes ermittelt hatten.
Als hiernach vorverfolgt Ausgereistem wäre dem Kläger die Rückkehr in die Türkei nur zuzumuten, wenn
für ihn die Gefahr einer ihm erneut drohenden politischen Verfolgung mit hinreichender Sicherheit
ausgeschlossen werden könnte. Eine solche Feststellung läst sich indes nicht treffen. Insofern ist vielmehr
zu besorgen, dass der Kläger als nicht durch entsprechende Dokumente ausgewiesener, erfolglos
gebliebener Asylbewerber bereits im Rahmen der Grenzkontrollen auffallen und einer näheren
Überprüfung mit persönlicher Befragung sowie ergänzenden Rückfragen bei den zuständigen
Sicherheitsbehörden überzogen werden wird. Im Rahmen dieser Überprüfung wird dann nicht nur seine
Anfang 2007 erfolgte illegale Ausreise aus der Türkei aufgedeckt werden, sondern ebenso auch die
Umstände, die seinerzeit zu dieser Ausreise geführt hatten. Selbst wenn der Kläger gemäß der
eingeholten Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 1. September 2008 weder im Zusammenhang
mit dem gegen seine Ehefrau geführten Ermittlungsverfahren noch wegen seiner eigenen früheren
Aktivitäten unmittelbar gesucht wird, so werden sich die Sicherheitskräfte diese Gelegenheit dennoch
nicht entgehen lassen, den Kläger wegen dieser Umstände genauer zu befragen und zu bedrängen, um
so weitere Einzelheiten zu dem politischen Engagement seiner Ehefrau und dem in seiner Wohnung
vorgefundenen Waffenlager bis hin zu einer diesbezüglichen etwaigen eigenen Verstrickung des Klägers
in Erfahrung zu bringen. Diese Befragung dürfte dabei umso eindringlicher und damit auch um so eher mit
schwerwiegenden Übergriffen verbunden sein, als der Kläger schon als Schüler ein entsprechendes
gegen den türkischen Staat gerichtetes Engagement an den Tag gelegt hatte und sich von diesem weder
durch seine wiederholten Verhaftungen und teilweise erheblichen Misshandlugen noch im Rahmen
seiner Wehrdienstableistung hatte abbringen lassen. Statt dessen hatte er seine Aktivitäten ab dem Jahr
2002 an der Seite seiner späteren Ehefrau bzw. nach der Eheschließung zunächst sogar noch verstärkt,
wobei es nunmehr sogar zu einem ersten Strafverfahren gegen ihn sowie in der Folgezeit auf Drängen
der Polizei außerdem zum wiederholten Verlust seines Arbeitsplatzes gekommen war. Auch wenn der
Kläger zuletzt nur noch als Mitläufer aktiv gewesen sein mag, so blieb er doch in seinem bisherigen
politischen Umfeld weiterhin tätig, wie auch sich zudem seine Ehefrau nunmehr in gerade eben diesem
Umfeld sogar noch radikalisierte. Von daher spricht viel dafür, dass die Sicherheitskräfte in ihm zumindest
einen wichtigen Zeugen in dem gegen seine Ehefrau anhängigen Ermittlungsverfahren sehen werden
bzw. ihm sogar eine Mittäterschaft bzw. Beihilfe in Bezug auf die Aktivitäten der Ehefrau für die DHKP-C
und hier insbesondere im Hinblick auf das in seiner Wohnung angelegte Waffenlager anlasten werden,
zumal sich dieses Verfahren immer noch in der Beweisaufnahme befindet. Dieser Sicht der Dinge steht
auch nicht etwa der Umstand entgegen, dass der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zufolge sich in
der Ermittlungsakte seiner Ehefrau nicht einmal sein Namen findet, erscheint dies doch insofern eher
befremdlich, als das Waffenlager immerhin nicht nur in der letzten gemeinsamen Ehewohnung des
Klägers und seiner Ehefrau aufgefunden worden war, sondern der Kläger nach wie vor deren Mieter
geblieben und auch für deren Kosten weiterhin aufgekommen war.
Von daher aber lässt sich keinesfalls ausschließen, dass die Sicherheitskräfte im Rahmen ihres weiteren
Vorgehens den Kläger gegebenenfalls auch mit einer verfolgungsrelevanten Behandlung überziehen
werden, weil sie in ihm nicht nur einen besonders wichtigen Informanten, sondern zugleich auch
ernstzunehmenden politischen Gegner des türkischen Staates sehen (vgl. dazu auch Urteil des Senates
vom 10. März 2006 - 10 A 10665/05.OVG - sowie seinen Beschluss vom 19. Februar 2008 - 10 A
11086/07.OVG -). Nur am Rande sei erwähnt, dass dieser Betrachtungsweise auch nicht etwa
entgegensteht, dass in den letzten Jahren in der Türkei kaum noch Fälle von Sippenhaft festgestellt
worden sind (vgl. dazu Urteil des Senates vom 1. Dezember 2006 - 10 A 10887/06.OVG -). Tatsächlich
geht es mit den vorliegend zu besorgenden Repressalien aus der Sicht der Sicherheitskräfte nicht so sehr
darum, den Kläger wegen der politischen Aktivitäten seiner Ehefrau zu schikanieren oder ihn als
einfachen Zeugen unter Druck zu setzen, sondern darum, ihn angesichts seiner eigenen Verstrickungen
in die linksextremistische Szene, seiner gemeinsamen politischen Aktivitäten mit seiner früheren Ehefrau
in die linksextremistische Szene, seiner gemeinsamen politischen Aktivitäten mit seiner früheren Ehefrau
sowie seiner Mitwisserschaft wenn nicht gar Mittäterschaft hinsichtlich deren Engagements für die DHKP-
C bis hin zur Anlegung eines Waffenlagers in der Ehewohnung zu drangsalieren.
In diesem Zusammenhang ist der Senat des Weiteren davon überzeugt, dass die Angaben des Klägers,
mit denen er seine Verfolgungsfurcht begründet hat, in ihrer Gesamtheit der Wahrheit entsprechen. Bereits
die vom Kläger zur Begründung seines Asylantrages vorgelegte schriftliche Darstellung seiner
Lebensumstände in der Türkei sowie der zu seiner Ausreise führenden Ereignisse ließ sein Vorbringen
als derart in sich stimmig und nachvollziehbar erscheinen, dass schon von Anfang an - zumal angesichts
der vom Kläger damit im Zusammenhang vorgelegten Unterlagen - alles dafür sprach, dass der Kläger
darin tatsächlich über sein Leben und seine Erlebnisse berichtet hatte. Sofern die Beklagte und auch das
Verwaltungsgericht dennoch Zweifel an seiner Eigenschaft als Ehemann der am 7. Januar 2006
verhafteten N…., als Mieter der als Waffenlager dienenden Wohnung bzw. sogar an seiner Person selbst
hegten, war der Kläger diesen zudem schon im erstinstanzlichen Verfahren durch die Vorlage weiterer
aussagekräftiger Belege entgegen getreten, die seine bisherige Darstellung zusätzlich zu belegen
vermochten. Demgemäß hat denn die vom Senat insoweit vorsorglich noch eingeholte Stellungnahme
des Auswärtigen Amtes nunmehr gerade auch diesen Teil der Angaben des Klägers in vollem Umfang
bestätigt.
Des Weiteren lässt sich entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts aber auch nicht feststellen, dass
der Kläger sich jedenfalls in Bezug auf die von ihm selbst an den Tag gelegten Aktivitäten widersprüchlich
eingelassen habe. Insofern hat der Kläger zum einen angegeben, dass er sich für die kurdische Sache
eingesetzt habe, indem er der DEHAP beigetreten bzw. später auch in deren Nachfolgeorganisation DTP
tätig gewesen sei. Dieses Engagement des Klägers ist ohne weiteres nachvollziehbar, hatte er insofern
doch in anderem Zusammenhang ausdrücklich herausgestellt, wie sehr er darunter gelitten hatte, dass er
während seines Wehrdienstes die Übergriffe der türkischen Soldaten gegenüber der kurdischen
Zivilbevölkerung hatte mit erleben müssen. Dass der Kläger nicht wusste, ob er auch von der DTP als
förmliches Mitglied geführt worden sei, steht dem nicht entgegen, deckt sich diese Darstellung doch
insofern mit der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 3. April 2006, als sich dieser entnehmen
lässt, dass Mitgliedschaften in der HADEP nach deren Schließung im Rahmen der Neugründung der DTP
oftmals auf diese nicht mehr übertragen worden sein dürften. Sodann hat der Kläger zum anderen
angegeben, sich mit seinen Aktivitäten für die Menschenrechte eingesetzt und dabei zuletzt im Umfeld der
DHKP-C agiert zu haben. Auch dieses Vorbringen ist in sich schlüssig. Der Kläger hatte sich schon als
Schüler nach dem Einsatz der Polizei vor einem Cafe in Gazi Mehallesi gegen die damals von ihr
verübten Übergriffe und ebenso zu Gunsten der so genannten „Samstagsmütter“ eingesetzt gehabt. Im
Rahmen eines ähnlichen Engagements bewegte sich auch seine spätere Teilnahme an der
Unterschriftenaktion zu Gunsten der in den Gefängnissen des Typ F einsitzenden politischen Gefangenen,
die mit ihrem Todesfasten eine Verbesserung ihrer Haftbedingungen zu erreichen versucht hatten.
Gleichzeitig führte ihn dieses Engagement notwendigerweise zu einer Annäherung an das
linksextremistische Lager, da diese Gefangenen vielfach der DHKP-C angehörten. Tatsächlich handelt es
sich denn auch bei dem TAYAD, für den sich der Kläger nunmehr zunehmend einsetzte, um einen dieser
Organisation nahestehenden Verein. Dabei wird die Richtigkeit dieser Schilderung des Klägers nicht
dadurch in Frage gestellt, dass er damit im Zusammenhang auch noch ein Engagement für die HÖC
erwähnt hat, ist diese als legale linke Partei doch gleichfalls diesem politischen Spektrum zuzuordnen
(vgl. zum Ganzen Oberdiek vom 31. Oktober 2005, Information des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge vom Dezember 2005 und taz vom 19. Dezember 2006).
Endlich steht der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu Gunsten des Klägers auch nicht der
Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 8 AufenthG entgegen. Insofern unterfällt der Kläger zunächst nicht
dessen Satz 1, 1. Alt., wonach § 60 Abs. 1 AufenthG keine Anwendung findet, wenn der Ausländer aus
schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik anzusehen ist. Wie sich
aus den bisherigen Ausführungen ergibt, hatte sich der Kläger zwar aufgrund seines Engagements zuletzt
dem zum Einflussbereich der DHKP-C gehörenden Verein TAYAD angeschlossen; er hatte hiernach aber
anders als seine Ehefrau, die sich innerhalb dieser Organisation zunehmend radikalisierte, in ihr
Führungsaufgaben übernahm und schließlich sogar den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat
befürwortete, für sich eine solche Radikalisierung abgelehnt, woraufhin zuletzt sogar die Ehe zerbrach
und der Kläger zu seiner Familie nach Istanbul zurückkehrte. Angesichts dessen kann des Weiteren auch
nicht etwa davon die Rede sein, dass der Kläger mit seiner damaligen Annäherung an die DHPK-C die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 i. V. m. § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllt. Insofern ist bei ihm gerade nicht
aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass er insbesondere ein Verbrechen gegen
den Frieden oder die Menschlichkeit oder eine schwere nichtpolitische Straftat begangen oder sonst den
Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hätte, geschweige denn, dass von ihm
gar die Gefahr ausginge, dass er es künftig zu derartigen Verhaltensweisen kommen lassen werde (vgl.
dazu Urteil des Senates vom 10. März 2006 - 10 A 10665/05 - m. w. N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167
VwGO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe der in § 132 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Steppling gez. Dr. Falkenstett gez. Hennig