Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.05.2008

OVG NRW: heilpraktiker, angemessenheit, fürsorgepflicht, vorbehalt des gesetzes, schwellenwert, beihilfe, konkretisierung, gestaltungsspielraum, form, vorsorge

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 1088/07
Datum:
14.05.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 A 1088/07
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter entsprechend teilweiser Aufhebung des
Beihilfebescheides vom 25. November 2005 und Aufhebung des
Widerspruchsbescheides vom 17. März 2006 verpflichtet, über den
Beihilfeantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Senats neu zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand als Ministerialdirigent im
Dienste der Beklagten.
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Unter dem 15. November 2005 beantragte der Kläger Beihilfe (u.a.) zu den
Aufwendungen für die Behandlung durch einen Heilpraktiker. Der geltend gemachte
Rechnungsbetrag von insgesamt 352,65 Euro im Beihilfebescheid der (seinerzeit
zuständigen) Oberfinanzdirektion L. vom 25. November 2005 lediglich in Höhe von
202,70 Euro als beihilfefähig anerkannt. Dabei wurde bei den einzelnen
Gebührenpositionen jeweils der Mindestsatz des Gebührenverzeichnisses für
Heilpraktiker (GebüH) und nur falls niedriger der Schwellenwert nach der
Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zugrunde gelegt.
3
Mit Schreiben vom 8. Dezember 2005 legte der Kläger insoweit Widerspruch gegen den
Beihilfebescheid ein. Er führte aus, es sei nicht zulässig, jeweils nur den niedrigsten
Satz des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker anzusetzen. So sei etwa zu
berücksichtigen, dass die Akupunktur-Behandlungen längere Zeit als gewöhnlich
(jeweils 35 statt 20 Minuten) in Anspruch genommen hätten.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2006 wies die Oberfinanzdirektion L. den
Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie an: Das Bundesministerium des Innern
habe bestimmt, dass Aufwendungen für Heilpraktiker (nur) bis zur Höhe des
Mindestsatzes des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker, jedoch höchstens bis zum
Schwellenwert des Gebührenrahmens der Gebührenordnung für Ärzte angemessen
seien. An diese Vorgabe habe sie sich auch im Falle des Klägers exakt gehalten und im
Rahmen einer für jede Gebührenposition erfolgten Gegenüberstellung den
beihilfefähigen Betrag errechnet. Eine Berücksichtigung höherer Sätze sei in diesem
Zusammenhang nicht zulässig.
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Zur Begründung seiner am 19. April 2006 fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger
vorgetragen, die Beklagte sei nicht berechtigt, im Unterschied zu den Regelungen in
einigen Bundesländern die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die Behandlung bei
Heilpraktikern derart einzuschränken. Es stelle einen Ermessensmissbrauch dar, wenn
lediglich der unterste Satz des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker anerkannt
werde. Auch sei zu berücksichtigen, dass das Gebührenverzeichnis keine
Rechtsvorschrift, sondern lediglich ein unverbindliches Verzeichnis von in der Praxis
gefundenen Leistungsberechnungen darstelle. Die vorliegende Ungleichbehandlung
zwischen der Beihilfefähigkeit von Arzt- und Heilpraktikerrechnungen sei sachlich nicht
zu begründen und deshalb als willkürlich zu qualifizieren.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Beihilfebescheides vom 25. November
2005 und des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2006 zu verpflichten,
über seinen Beihilfeantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu entscheiden.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, nach § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV sei bei der Behandlung durch einen
Heilpraktiker grundsätzlich nur der Mindestsatz des Gebührenverzeichnisses für
Heilpraktiker in Ansatz zu bringen. Es sei zulässig, insoweit die Beihilfefähigkeit bei
Behandlung durch einen Heilpraktiker anders zu bewerten als bei der Behandlung
durch einen Arzt.
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Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird,
hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die
von der Beklagten vorgenommene und den angegriffenen Bescheiden zugrunde
liegende Vergleichsberechnung stehe mit der hier maßgeblichen Bestimmung des § 5
Abs. 1 Satz 3 BhV in Einklang. Die entsprechende Regelung sei auch mit
höherrangigem Recht vereinbar. Es könne grundsätzlich nicht beanstandet werden,
12
dass die Angemessenheit der Leistungen bei einer Inanspruchnahme eines
Heilpraktikers anders bewertet werde als bei der Behandlung durch einen Arzt.
Grundsätzlich sei das Berufsbild des Heilpraktikers von dem eines Arztes zu
unterscheiden. Zwar könne der Heilpraktiker in einzelnen Teilbereichen über ein hohes
Maß an Qualifikation verfügen. Aber bei der Frage der Angemessenheit der
Honorierung könne auch berücksichtigt werden, dass er in der Regel nicht über die
gleiche umfassende medizinische Ausbildung wie ein Arzt verfüge. Daraus könne
abgeleitet werden, dass es grundsätzlich nicht angemessen sei, ihn bei vergleichbaren
Leistungen höher als einen Arzt zu honorieren. Vertretbar sei es allerdings auch, dass er
bei vielen Leistungen keinen gleichhohen Betrag in Rechnung stellen dürfe. In dem
betreffenden Zusammenhang maßgeblich auf das Gebührenverzeichnis für
Heilpraktiker abzustellen, sei ebenfalls sachlich vertretbar. Zwar handele es sich hierbei
nicht um eine verbindliche Rechtsvorschrift. Da dieses Verzeichnis aber auf der
Grundlage der Auswertung von tatsächlich in der Praxis abgerechneten Leistungen
erstellt worden sei, könne es regelmäßig zur Grundlage der Überprüfung der
Angemessenheit herangezogen werden. Es liege auch innerhalb des zulässigen
Gestaltungsspielraums des Vorschriftengebers, dabei lediglich den in dem
Gebührenverzeichnis aufgeführten Mindestbetrag zugrunde zu legen. Da in dem
vorerwähnten Gebührenverzeichnis keine feststehenden Regelungen über
Steigerungssätze (z.B. bei besonders schwierigen Behandlungen) vorgesehen seien,
sei unter Berücksichtigung des Grundsatzes der sparsamen Verwendung von
Haushaltsmitteln solches zulässig.
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers, zu deren
Begründung dieser unter Bekräftigung und Vertiefung seines Rechtsstandpunktes im
Wesentlichen vorträgt: Die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV sei mit der Fürsorgepflicht
des Dienstherrn nicht vereinbar und deshalb wegen Verstoßes gegen höherrangiges
Recht unwirksam. Das in der Vorschrift in Bezug genommene Gebührenverzeichnis für
Heilpraktiker aus dem Jahre 1985 sei – im Unterschied zur GOÄ – seitdem nicht
aktualisiert worden. Solches sei auch schwerlich möglich gewesen. Es handele sich ja
nicht um eine Gebührenordnung, die nach irgendwelchen sachlich vertretbaren Kriterien
aufgestellt worden sei und die man beispielsweise mit der Inflationsrate dynamisieren
könne. Bei dem Inhalt des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker gehe es vielmehr
um reine Zufallsergebnisse einer im Jahre 1985 von Privatleuten durchgeführten
Erhebung. Die Kriterien dieser Erhebung seien im Übrigen nicht bekannt. Da die
Bundesländer für die Beihilfe wohl im Wesentlichen die Sätze der GOÄ zugrunde
legten, hätten sich die Heilpraktiker bei ihren Abrechnungen im Übrigen an jene Praxis
angepasst. Mit den Sätzen von 1985 könne dagegen kein Heilpraktiker wirtschaftlich
überleben. Diese Entwicklung dürfe nicht einseitig zu Lasten der Bundesbeamten
gehen. Der schwerste Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn liege indes in
der Bestimmung, dass für das Beihilferecht des Bundes nur der jeweils untere Satz der
Spanne der ermittelten Entgelte als angemessen anzusehen sei. Dafür sei keinerlei
sachgerechte Begründung denkbar. Hintergrund könnten allein rein fiskalische
Interessen sein, ohne jede Berücksichtigung auch der Interessen der betroffenen
Beamten. Das sei das Gegenteil von Fürsorge. Es widerspreche darüber hinaus allen
rechtsstaatlichen Grundsätzen, dass der Staat bei einer für seine Beamten so
existentiell wichtigen Regelung eine nicht nachprüfbare private statistische Erhebung
als Maßstab seinen Leistungen zugrunde lege und sie so in den Rang einer
Gebührenordnung erhebe, die eine ordnungsgemäß zustande gekommene
Rechtsverordnung darstelle. Dies sei zudem ohne jede Notwendigkeit geschehen, da
die GOÄ eine ausreichende Grundlage geboten hätte, wie es die Regelungen der
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Bundesländer, z.B. des Landes NRW, zeigten. Dementsprechend wirke sich die
Rechtsunwirksamkeit des ersten Halbsatzes des § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV nicht
zwangsläufig auch auf die Wirksamkeit des zweiten Halbsatzes aus, welcher sich auf
den Schwellenwert des Gebührenrahmens nach der GOÄ beziehe.
Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach seinem Antrag erster Instanz
zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Unter ergänzendem Verweis auf ihr
erstinstanzliches Vorbringen macht sie geltend: An der Vereinbarkeit der
streitgegenständlichen Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV mit höherrangigem Recht
und darunter insbesondere der Fürsorgepflicht des Dienstherrn bestünden keine
Zweifel. Das Bundesverwaltungsgericht habe dem Dienstherrn bei der Ausgestaltung
der Beihilfevorschriften einen weiten Gestaltungsspielraum zugesprochen, dessen
Grenzen allein durch das als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums
geschützte Fürsorgeprinzip bestimmt würden. Danach habe der Dienstherr im Rahmen
seiner Fürsorgepflicht Vorkehrungen zu treffen, damit der amtsangemessene
Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch
Krankheitsfälle nicht gefährdet werde. Verfassungsrechtlich werde die Grenze der
zumutbaren Belastung erst dann überschritten, wenn der amtsangemessene
Lebensunterhalt nicht mehr gewährleistet sei. Eine lückenlose Erstattung jeglicher
Aufwendungen verlange die Fürsorgepflicht jedoch nicht. Auch gehöre die Regelung
des § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV zu dem Handlungsprogramm der Beihilfe, dessen vorläufige
Fortgeltung das Bundesverwaltungsgericht anerkannt habe, das auch im Interesse der
Gleichbehandlung aller Beihilfeberechtigten zunächst weiterhin anzuwenden sei und
das bisher inhaltlich in aller Regel keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben habe.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (1 Heft) Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht begründete Berufung des Klägers hat
in der Sache Erfolg.
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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat seinem Antrag entsprechend einen
Anspruch darauf, dass die Beklagte über seinen Beihilfeantrag vom 15. November 2005
– hier nach dem Streitgegenstand beschränkt auf die vom Beleg-Nr. 1 erfassten
Aufwendungen der Behandlung durch einen Heilpraktiker – unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats neu entscheidet. Insoweit sind die angefochtenen
Bescheide rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz
1 VwGO). Dieser durfte sich wegen mangelnder Spruchreife der Sache statthafterweise
auf den gestellten Bescheidungsantrag beschränken, mit dem er in vollem Umfang
Erfolg hat (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich allerdings nicht unmittelbar in Anwendung
der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und
Geburtsfällen (Beihilfevorschriften – BhV) in der Fassung vom 1. November 2001
(GMBl. S. 918), zuletzt geändert durch die 29. AVV vom 10. März 2004 (GMBl. S. 548).
Insoweit ist der Beklagten zuzugestehen, dass ihre den angefochtenen Bescheiden
zugrunde liegende Vergleichsrechnung an dem ausgerichtet ist, was § 5 Abs. 1 Satz 3
BhV in Konkretisierung des Begriffs der Angemessenheit (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
BhV) der Höhe der Aufwendungen für (Behandlungs-)Leistungen eines Heilpraktikers
seit langem begrenzend festlegt. Dies geht dahin, dass die Aufwendungen nur
angemessen sind in Höhe des Mindestsatzes des im April 1985 geltenden
Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker, jedoch höchstens bis zum Schwellenwert des
Gebührenrahmens der Gebührenordnung für Ärzte bei vergleichbaren Leistungen (in
diesem Sinne bereits die Fassung 1985 der BhV).
23
Die betreffende Begrenzungsvorschrift ist hier nicht deswegen unanwendbar, weil die
Beihilfevorschriften des Bundes gegen den Verfassungsgrundsatz vom Vorbehalt des
Gesetzes verstoßen. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar einen derartigen Verstoß
festgestellt, zugleich aber bestimmt, dass die in der Form von Verwaltungsvorschriften
getroffenen Regelungen der Beihilfevorschriften für eine Übergangszeit noch fortgelten,
um auf diese Weise zu gewährleisten, dass die fraglichen Leistungen noch weiterhin
nach einem einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden.
24
Vgl. BVerwG, insb. Urteil vom 17. Juni 2004 – 2 C 50.02 –, BVerwGE 121,
103, 109 ff.
25
Diese erst mit dem Ergehen der vorgenannten Entscheidung einsetzende
Übergangszeit ist im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen des
Klägers (Oktober 2005) noch nicht abgelaufen gewesen.
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Die durch § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV inhaltlich erfolgte Begrenzung der Höhe beihilfefähiger
Heilpraktikerleistungen verstößt indes zumindest teilweise gegen höherrangiges Recht.
Soweit sie im Wege statischer Verweisung seit langem unverändert an den Mindestsatz
des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker aus dem Jahre 1985 anknüpft, wird sie
den an eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn zu stellenden
rechtlichen Anforderungen zumal unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht
gerecht.
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Grundlage für die Gewährung von Beihilfeleistungen – wie auch für ihre nähere
Ausgestaltung und Begrenzung – ist die Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Dieser muss
Vorsorge treffen, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten und seiner
Familie bei Eintritt besonderer Belastungen wie (u.a.) durch Krankheit nicht gefährdet
wird. Wie er diese Pflicht erfüllt, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung
überlassen. Nach dem im hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt und auch noch
heute geltenden System (einem sog. "Mischsystem") erfüllt der Dienstherr seine
Fürsorgepflicht gegenüber dem Beamten durch eine finanzielle Hilfeleistung aus
öffentlichen Mitteln – nämlich die Beihilfe –, die zu der im Übrigen vorausgesetzten
Eigenvorsorge des Beamten als ergänzende Leistung hinzutritt. Für den verbleibenden
Teil der krankheitsbedingten Kosten muss also der Beamte aus seinen Mitteln selbst
Vorsorge treffen. Hierzu stellt ihm der Besoldungsgesetzgeber im Rahmen der Bezüge
einen Alimentationsteil zur Verfügung. Kürzungen bzw. Kappungsgrenzen im
Beihilfebereich können sich insofern wechselbezüglich auch auf das
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Alimentationsniveau auswirken. Hierbei wird eine mit Blick auf den verfassungsrechtlich
gewährleisteten Anspruch auf amtsangemessene Alimentation kritische Grenze
jedenfalls dann erreicht, wenn der Betroffene als Folge dieser Kürzungen etc. mit
erheblichen, durch die gewährte Alimentation nicht zumutbar aufzufangenden
Aufwendungen belastet bleibt.
Vgl. zum Ganzen etwa BVerfG, Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 2 BvR
1715/03 -, ZBR 2007, 416, 419 f., m.w.N.
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Zwar besteht – wie immer wieder betont wird – bei der näheren, grundsätzlich eine
abschließende Konkretisierung der Fürsorgepflicht enthaltenden Ausgestaltung
beihiferechtlicher Regelungen für den Dienstherrn ein weiter Gestaltungsspielraum,
welcher prinzipiell auch generalisierende und typisierende Regelungen zulässt, die
zwangsläufig im Einzelfall zu gewissen – in der Regel hinzunehmenden – Härten und
Friktionen für die Betroffenen führen können. Der betreffende Gestaltungsspielraum des
Dienstherrn ist allerdings nicht unbegrenzt und darf insbesondere nicht mit (inhaltlicher)
"Beliebigkeit" verwechselt werden. Die Ausgestaltung im Einzelnen muss sich vielmehr
auch selbst hinreichend an den Strukturen und Zielsetzungen des
Beamtenverhältnisses als gegenseitiges Dienst- und Treueverhältnis und hier
namentlich der dazu wesentlich zählenden Grundpflicht zur Fürsorge orientieren und
sich daran zugleich messen lassen. Etwaige zusätzliche oder auch gegenläufige
Belange und Regelungszwecke – wie hier etwa die Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit
der Verwendung öffentlicher Mittel oder auch die Verwaltungsvereinfachung – lassen
dementsprechend auch im Beihilferecht nicht von vornherein jede denkbare
Gestaltungsmöglichkeit zu. Sie sind vielmehr mit in einen erforderlichen
Abwägungsvorgang einzustellen, welcher im Kern erst die Wahrnehmung des sich aus
der Fürsorgepflicht im vorliegenden Zusammenhang ergebenden materiellen
Gestaltungsauftrags ausmacht. Im Ergebnis dieser Abwägung darf dabei die
positivrechtliche Verpflichtung des Dienstherrn zur Fürsorge (auch soweit deren
verfassungsgeschützter Kern noch nicht betroffen ist) nicht unverhältnismäßig und mit
für die Betroffenen unzumutbaren Folgen hintangestellt werden.
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Vgl. auch Urteil des Senats vom heutigen Tage in dem Verfahren 1 A
1701/07, UA S. 23.
31
Diesen Anforderungen wird § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV indes nicht in vollem Umfang gerecht.
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Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine ausdrückliche leistungsbegrenzende
Reglung zur näheren Konkretisierung des Begriffs der "Angemessenheit" der
Aufwendungen der Höhe nach, beschränkt auf einen bestimmten Leistungssektor,
nämlich die Heilpraktikerleistungen. Derartige – ggf. auch abschließende –
Konkretisierungen eines für den Beihilfebereich strukturellen Merkmals (vgl. § 3 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 BhV) sind prinzipiell unbedenklich, vermögen auf der anderen Seite sogar
zur Rechtsklarheit und -sicherheit beizutragen. Sie dürfen sich bei der näheren
Ausgestaltung allerdings nicht zu weit von dem entfernen, was für das Merkmal als
solches inhaltlich prägend ist. Dies gilt namentlich für pauschalierende Begrenzungen –
etwa in Gestalt von Höchstbeträgen -, welche die Festsetzungsstelle einer (u.U.
aufwändigen) Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall entheben sollen. Derartige
Begrenzungen sind deshalb nur zulässig, wenn sie nach ihrem Umfang dem Gebot
angemessener Fürsorge entsprechen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1978 – 2 C 48.75 -, Buchholz 238.927
BVO NW Nr. 5; Mildenberger, Beihilfevorschriften in Bund, Ländern und
Kommunen, § 5 BhV Anm. 4 Abs. 2.
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Solches vermag der Senat indes in Bezug auf den hier umstrittenen § 5 Abs. 1 Satz 3
BhV nicht festzustellen, soweit dort die Angemessenheit der Aufwendungen – als einer
von zwei maßgeblichen Bemessungsfaktoren – auf den Mindestsatz des im April 1985
geltenden Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker ohne ersichtliche
Ausnahmemöglichkeit begrenzt worden ist, ohne im Übrigen die betreffende, ebenfalls
seit 1985 bestehende beihilferechtliche Regelung im Laufe der Zeit in irgendeiner
Weise an die allgemein gestiegene Preisentwicklung anzupassen.
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Aufgrund seiner Fürsorgepflicht hat der Dienstherr die Beihilfe grundsätzlich nach den
Aufwendungen zu bemessen, die dem Beamten bei der notwendigen Inanspruchnahme
von Angehörigen der Heilberufe in Übereinstimmung mit der Rechtslage tatsächlich
entstehen.
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So ausdrücklich für die Inanspruchnahme eines Arztes: BVerwG, Urteil vom
28. Oktober 2004 – 2 C 34.03 -, ZBR 2005, 169, 170.
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Wird dabei statt eines Arztes ein Heilpraktiker in Anspruch genommen, was nach dem
hier zugrunde liegenden Beihilfeprogramm – insoweit dem Grundsatz der Wahlfreiheit
des Betroffenen in Bezug auf Therapie und Person des Therapeuten durchaus
Rechnung tragend – dem Grunde nach beihilfefähig ist (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV), mag
es etwa aus den vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil niedergelegten
Gründen (zu Unterschieden beim Berufsbild, der Ausbildung etc.) nicht von vornherein
ausgeschlossen sein, zu auch vor dem Art. 3 Abs. 1 GG Bestand habenden
unterschiedlichen Regelungen hinsichtlich der beihilferechtlichen Angemessenheit der
Höhe der Aufwendungen zu gelangen.
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Vgl. entsprechend zu möglichen Unterscheidungen bei der Liquidation von
Ärzten und Diplom-Psychologen auch BVerwG, Urteil vom 29. August 1996
– 2 C 2.95 -, BVerwGE 102, 24.
39
Zum Schutz der betroffenen Beamten vor unzumutbaren Belastungen mit Eigenanteilen
an den entstehenden Kosten muss aber auch für derartige Heilbehandlungen jedenfalls
im Grundsatz gelten, dass die vom Heilpraktiker zivilrechtlich fehlerfrei abgerechneten
Kosten – zumal wenn sie nicht über den durchschnittlich abgerechneten Kosten liegen –
Richtschnur desjenigen sind bzw. bleiben, was der Beihilfegeber seinerseits als für die
ergänzende Hilfeleistung des Dienstherrn angemessene Kosten der betreffenden
Heilbehandlung einstuft, es sei denn, er hat besondere und hinreichend ersichtliche
Gründe, hiervon abzuweichen. Mit anderen Worten: Ausgangspunkt der
Angemessenheitsbewertung hat jeweils eine realistische Betrachtung dessen zu sein,
zu welchen Konditionen der betroffene Beamte die betreffende Behandlungsleistung
tatsächlich erlangen kann.
40
Vgl. in anderem Zusammenhang (Dienstunfallfürsorge) OVG Berlin, Urteil
vom 29. Juni 1999 4 B 46.96 -, Juris Rn. 23 und 24.
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Hier spricht aber bei lebensnaher Betrachtung überhaupt nichts dafür, dass zum
maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (Oktober 2005) Heilpraktikerleistungen
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üblicherweise (noch) zu den Konditionen zu erlangen gewesen sind, die dem
Mindestsatz des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker aus dem Jahre 1985
entsprechen. Hierbei kommen im Wesentlichen zwei Gesichtspunkte zusammen: Zum
einen handelt es sich bei dem in Rede stehenden Gebührenverzeichnis weder um ein
Gesetz noch um eine Rechtsverordnung. Seine Inhalte gehen deswegen nicht auf einen
für die Rechtssetzung typischen Gestaltungs- und Abwägungsvorgang eines
Normgebers zurück und können von diesem folglich auch nicht für die Zukunft – mit
Blick auf das Erkennen eines etwaigen Änderungs-/Anpassungsbedarfs – "unter
Kontrolle gehalten" werden. Statt dessen beruht das Verzeichnis auf rein empirischen
Daten, die auf der Grundlage einer Umfrage unter den in der Bundesrepublik
Deutschland niedergelassenen Heilpraktikern ermittelt worden sind.
Vgl. dazu die Einführung zum Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker
(GebüH); ferner etwa Schröder/Beckmann/Weber, Beihilferecht des Bundes
und der Länder (Bundeskommentar), § 5 BhV Anm. 6; OVG Berlin, Urteil
vom 29. Juni 1999, a.a.O. (Rn. 23).
43
Dabei mag die Belastbarkeit der einzelnen ermittelten Werte dahinstehen. Für die hier
anzustellende Betrachtung wesentlich ist nämlich schon, dass die für die einzelnen
Leistungsarten festgestellten und in das Verzeichnis übernommenen Honorarwerte
einen ("Gesamt-)Rahmen" der damals durchschnittlich angesetzten Vergütungen
wiedergeben, wobei dieser Rahmen je nach Art der Leistung deutlich unterschiedlich
bemessen ist, und zwar in der Weise, dass der obere Wert zum Teil nicht einmal das
Doppelte des unteren Wertes beträgt (vgl. etwa Nrn. 4 und 9), er zum Teil aber sogar
beim ca. Fünffachen (vgl. Nrn. 14.8 und 16.4) liegt. Das lässt den Schluss zu, dass
bezogen auf die in das Verzeichnis übernommenen Honorarspannen Ausreißer nach
oben bzw. nach unten jedenfalls nicht durchgängig zuvor eliminiert worden sind,
sondern diese mit widerspiegeln. Wenn nun der Beihilfegeber wie geschehen für die
Angemessenheit der jeweiligen Leistung ausschließlich an den "Mindestsatz" (genauer:
die jeweilige absolute Untergrenze der für die betreffende Einzelleistung empirisch
ermittelten Daten) anknüpft, hat er von Anfang an den bestehenden Gebührenrahmen
als solchen vernachlässigt und damit nicht dasjenige zugrunde gelegt, was
realistischerweise für die betreffende Leistung (durchschnittlich) als Vergütung zu
entrichten gewesen ist. Soweit Leistungen sich nach Umfang und Schwierigkeiten im
Bereich des Gewöhnlichen halten, wird der Beamte in der Rechtsbeziehung zu seinem
behandelnden Heilpraktiker vielmehr in der Regel allenfalls erwarten und realisieren
können, dass in etwa nach dem Mittelwert der im Gebührenverzeichnis vorgesehenen
Spanne abgerechnet wird.
44
So auch OVG Berlin, Urteil vom 26. Juni 1999, a.a.O. (Rn. 24).
45
Dabei ist noch unberücksichtigt gelassen, dass das Gebührenverzeichnis für
Heilpraktiker in nicht seltenen Fällen (z.B. Nrn. 3, 10 und 12) die Gebührenspanne
lediglich in Form einer Obergrenze ("bis zu ...") festlegt; in diesen Fällen fehlt von
vornherein eine Grundlage, den beihilferechtlich verwendeten Begriff des
"Mindestsatzes" mit Inhalt zu füllen und in der Praxis sinnvoll anzuwenden.
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Mit den vorstehenden Erwägungen hat es allerdings nicht sein Bewenden. Zum
anderen kommt noch hinzu, dass die in Bezug genommene Untergrenze des
Gebührenrahmens inzwischen völlig veraltet ist. Entsprechende empirische
Untersuchungen aus jüngerer Zeit gibt es soweit ersichtlich nicht. Da sich 20 Jahre nach
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der 1985 erfolgten Einführung des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker aber die
Lebenshaltungskosten – zurückhaltend geschätzt – um ca. 35 bis 40 Prozent verteuert
haben dürften, und das Gebührenverzeichnis ja keine normativen Wirkungen zeitigt –
was andernfalls eine entsprechende Anhebung der Vergütung von Zeit zu Zeit
jedenfalls in Höhe der Inflationsrate nahegelegt hätte –, wird mit dem weiteren
statischen Festhalten an dem "Mindestsatz" von 1985 der angesprochene tatsächliche
Gebührenrahmen inzwischen völlig verfehlt. Das hätte die Beklagte bei ihren im
gleichen Zeitraum vorgenommenen zahlreichen Änderungen der Beihilfevorschriften in
Rechnung stellen müssen. Darüber hinaus scheinen sich die Heilpraktiker mittlerweile,
wie der Kläger unbestritten vorgetragen hat und auch durch die zu den streitigen
Aufwendungen vorgelegte Heilpraktikerrechnung bestätigt wird, bei miteinander
vergleichbaren Leistungen statt an ihrem eigenen Gebührenverzeichnis jedenfalls auch,
wenn nicht vornehmlich, an dem Schwellenwert nach der Gebührenordnung für Ärzte zu
orientieren, an die als zweites Begrenzungselement ja auch § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV
anknüpft. Dies ist ein weiterer Anhalt dafür, dass der Beihilfegeber des Bundes in Bezug
auf das vom Kläger angegriffene erste Begrenzungselement bei den Aufwendungen für
Heilpraktikerleistungen zurzeit von einem völlig realitätsfernen Ansatz ausgeht.
Das bestätigt letztlich auch der vorliegende Fall, in welchem dem Kläger für
verschiedene Behandlungsleistungen eines Heilpraktikers in einem Zeitraum von ca. 3
Monaten Kosten in Höhe von 352,65 Euro entstanden sind. Daraus hat die Beklagte in
formal "korrekter" Anwendung der von ihr in vollem Umfang für rechtsgültig gehaltenen
Begrenzungen in § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV beihilfefähige Aufwendungen in Höhe von (nur)
202,70 Euro errechnet. Damit ist nahezu die Hälfte der Aufwendungen (ca. 150 Euro)
hier von vornherein der Beihilfegewährung entzogen. Das sich daraus – auf das Jahr
gerechnet – erhebliche von den Betroffenen selbst aufzubringende Beträge ergeben
können, die bei dem u.a. im Jahr 2005 festzustellenden Zusammentreffen einer
degressiven Einkommensentwicklung mit einer progressiven Entwicklung bei
Kürzungen etwa im Beihilfebereich im Gesamtergebnis die amtsangemessene
Alimentation gefährden, liegt auf der Hand.
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Vgl. in diesem Zusammenhang – dort betreffend den Ausschluss der
Beihilfefähigkeit für nicht verschreibungspflichtige Medikamente – auch
Urteil des Senats vom heutigen Tage in dem Verfahren 1 A 1701/07, UA S.
33 f, m.w.N.
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Es sind hier schließlich auch keine in Abwägung mit den fürsorgerischen
Gesichtspunkten überwiegenden sonstigen Belange des Dienstherrn ersichtlich, welche
die hier insbesondere streitige Begrenzung der Angemessenheit der Aufwendungen für
Heilpraktikerleistungen im ersten Halbsatz des § 5 Abs. 3 Satz 1 BhV sachlich
rechtfertigen könnten. Soweit es – worauf sich auch das Verwaltungsgericht bezieht –
vom Beihilfegeber als nicht vertretbar angesehen worden sein mag, Heilpraktikern
höhere Gebühren zuzubilligen als Ärzten,
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vgl. in diesem Zusammenhang Mildenberger, a.a.O., § 5 BhV Anm. 6b Abs.
1,
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was als solches gut nachvollziehbar ist, erforderte dies keine (generelle) Orientierung
am Mindestsatz des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker. Vielmehr greift, um
dieses Ziel zu erreichen, im Kern schon die im Halbsatz 2 der Regelung vorgesehene
weitere Begrenzung der Angemessenheit, welche sich daran orientiert, dass der
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Schwellenwert des Gebührenrahmens nach der Gebührenordnung für Ärzte nicht
überschritten werden darf. Die im vorliegenden Fall von der Beklagten zur Errechnung
des beihilfefähigen Betrages vorgenommene Vergleichsberechnung zeigt im Übrigen,
dass es jedenfalls nicht den Regelfall darstellt, dass der Mindestsatz nach dem
Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker im selben Bereich wie der Schwellenwert nach
der Gebührenordnung für Ärzte – oder sogar über diesem – liegt. Nur dann aber hätte
das zusätzliche Abheben auf diesen Mindestsatz keine wesentliche eigenständige
beschränkende Wirkung und könnte evtl. vernachlässigt werden. Gründe der
Verwaltungspraktikabilität im "Massengeschäft" Beihilfe lassen es hier ebenso wenig
zwingend erscheinen, gerade (nur) auf einen Mindestsatz abzustellen und überdies
keine Anpassungsmöglichkeiten dieses Satzes vorzusehen bzw. im Laufe der Zeit
vorzunehmen. Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung sind
schließlich – wie schon an anderer Stelle allgemein dargelegt – ebenfalls nicht per se
vorrangig und können sich deswegen nicht in jedem Falle gegenüber (wie hier)
ihrerseits bedeutsamen fürsorgerischen Belangen durchsetzen. Dass und inwieweit
diesbezüglich mit Blick auf § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV überhaupt eine materielle Abwägung
stattgefunden hat, ist nicht ersichtlich.
Dass die vom Kläger angegriffene Begrenzungsregelung – anders als § 5 Abs. 1 Satz 2
BhV in Bezug auf ärztliche Leistungen – auch bei vorliegender besonderer Begründung
des Behandlers von vornherein keinerlei Abweichungsmöglichkeit nach oben – auch
nicht für besonders schwierige und zeitaufwändige Fälle – vorsieht, erscheint mit Blick
auf die gebotene hinreichende Orientierung der Beihilfegewährung an der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn ebenfalls sehr problematisch. Denn es spricht nichts
dafür, dass der Heilpraktiker im Verhältnis zu seinem Patienten rechtlich gehindert wäre,
derartige besondere Umstände bei der Festlegung der Gebührenhöhe im Einzelfall zu
berücksichtigen. Dies muss dann aber auch der Beihilfegeber bei der Festlegung von
Angemessenheitsgrenzen abwägend in die Betrachtung mit einstellen. Da schon die
bisher angeführten Gründe darauf führen, dass die angegriffene Vorschrift des § 5 Abs.
1 Satz 3 BhV zumindest mit ihrem (vom Kläger soweit ersichtlich allein beanstandeten)
ersten Halbsatz höherrangiges Recht verletzt und deswegen insoweit nicht angewendet
werden darf, braucht dies allerdings hier nicht weiter vertieft zu werden.
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Die Unanwendbarkeit des ersten Begrenzungsmerkmals in § 5 Abs. 1 Satz 3 BhV wirkt
sich auf das zweite dort enthaltene (selbständige) Begrenzungsmerkmal – den
Schwellenwert nach der Gebührenordnung für Ärzte – nicht unmittelbar aus. Dessen
weitere Anwendbarkeit bleibt deswegen hiervon grundsätzlich unberührt. Das bedeutet
auf der anderen Seite aber – anders als wohl der Kläger meint – nicht zwingend, dass
dieses Merkmal, unter dessen Zugrundelegung nach dem Willen des Beihilfegebers die
hier in Rede stehenden Angemessenheitsfragen gerade nicht abschließend beurteilt
werden sollten, nunmehr stets alleiniger ("starrer") Beurteilungsmaßstab sein muss.
Vielmehr bleibt letztlich der – auch unter Einbeziehung der jeweiligen Umstände des
Einzelfalles näher zu konkretisierende – Begriff der Angemessenheit als solcher
Grundlage der Beihilfegewährung für Heilpraktikerleistungen.
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Daraus ergibt sich für die gebotene Neubescheidung des Beihilfeantrags des Klägers:
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Die Beklagte wird sich vor dem Hintergrund des § 5 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 BhV
zunächst einmal daran zu orientieren haben, ob und inwieweit die vorliegende
Heilpraktikerrechnung Vergütungsbeträge enthält, die – bezogen auf den Zeitpunkt des
Entstehens der Aufwendungen – über dem Schwellenwert der Gebührenordnung für
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Ärzte für vergleichbare Leistungen gelegen haben und die ausgehend von der im
Halbsatz 2 vorgenommenen Bewertung in diesem Umfang als grundsätzlich nicht mehr
angemessen einzustufen sind. Schon der Wortlaut ("höchstens bis zum ...") verdeutlicht
indes, dass auch unterhalb dieser Grenze noch ein gewisser Spielraum besteht. Diesen
nutzend stünde es der Beklagten beispielsweise auch frei, in unmittelbarer
Konkretisierung des beihilferechtlichen Angemessenheitsbegriffs den Gebührenrahmen,
den das Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker für die einzelnen Leistungen dieser
Berufsgruppe zur Verfügung stellt, unter Fortschreibung der Werte aus dem Jahre 1985
einzelfallbezogen (aber nicht nur am unteren Rande) näher auszuschöpfen, um auf
diese Weise möglichen Besonderheiten der jeweiligen Behandlung besser Rechnung
tragen zu können, als dies mit einer allzu schematischen Anlehnung allein an den
Schwellenwert nach der Gebührenordnung für Ärzte gelingen kann. Das vom Senat für
§ 5 Abs. 1 Satz 3 BhV ausgesprochene Anwendungsverbot bezieht sich in diesem
Zusammenhang allein auf die vom Text des § 5 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 BhV
vorgegebene starre Orientierung am "Mindestsatz" dieses Gebührenverzeichnisses
sowie zugleich auf das statische Festhalten an den tatsächlichen Verhältnissen aus
dem Jahre 1985.
Da der gegenüberstellenden Berechnung im Widerspruchsbescheid vom 17. März 2006
zufolge hier allein solche Heilpraktikerleistungen in Rede stehen, für welche die
Gebührenordnung für Ärzte eine festgelegte Gebühr und damit auch einen
Schwellenwert des Gebührenrahmens enthält, gibt das vorliegende Verfahren keinen
Anlass zu umfassenden Überlegungen, wie die Angemessenheit der Leistungen eines
Heilpraktikers derzeit näher zu bestimmen ist – etwa bezogen auch auf solche
Leistungen, für die es eine vergleichbare ärztliche Leistung nicht gibt. Insoweit könnte
eventuell mit dem OVG Berlin (a.a.O.) der Mittelwert der üblichen Gebührenspanne
einen geeigneten Ansatz für Leistungen üblichen Umfangs und durchschnittlicher
Schwierigkeit bieten, wofür allerdings – wie schon gesagt – das bestehende
Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker aus dem Jahre 1985 schwerlich noch eine
aktuelle Beurteilungsgrundlage bieten kann. Die dort ausgewiesenen
Gebührenspannen wären vielmehr entsprechend der durchschnittlichen Inflationsrate
fortzuschreiben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über ihre
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
gegeben sind. Die Rechtssache hat mit Blick auf die Frage, ob § 5 Abs. 1 Satz 3 Halbs.
1 BhV gegen höherrangiges Recht verstößt, grundsätzliche Bedeutung. Da bis zur
Schaffung einer die Beihilfevorschriften des Bundes ersetzenden gesetzlichen
Regelung noch eine unbestimmte Vielzahl von mit dem vorliegenden Fall
vergleichbaren Verfahren nach Maßgabe des geltenden Rechts abgewickelt werden
müssen, steht der Gesichtspunkt "auslaufenden Rechts" der Revisionszulassung hier
nicht entgegen.
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