Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.12.1997

OVG NRW (kläger, bundesrepublik deutschland, planwidrige unvollständigkeit, sprache, deutsch, neues recht, allgemeines verwaltungsrecht, muttersprache, vorschrift, aufnahme)

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 4244/94
Datum:
10.12.1997
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 A 4244/94
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 9 K 5973/91
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je einem
Fünftel mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen,
die dieser selbst trägt.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 40.000,-- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
2
Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - durch Beschluß, weil er die Berufung einstimmig
für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Das
Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Berufungsvorbringen der
Kläger rechtfertigt keine andere Entscheidung.
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A. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung von Aufnahmebescheiden, da die
Voraussetzungen der §§ 26, 27 Abs. 1 Satz 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG)
in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993, BGBl. I 829, geändert durch das
Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-
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Versicherungsgesetz - PflegeVG) vom 26. Mai 1994, BGBl. I 1014, nicht vorliegen.
Für die Beurteilung des Anspruchs ist insgesamt neues Recht maßgebend. Denn nach
der hier für die Anwendung des bisherigen Rechts gemäß § 100 Abs. 1 BVFG allein in
Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG kann Aussiedler nur (noch)
sein, wer das Aussiedlungsgebiet vor dem 1. Januar 1993 verlassen hat.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Februar 1993 - 9 C 25.92 -, BVerwGE 92, 70 (72 f) und
vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133 = DVBl. 1996, 198.
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Die Kläger leben jedoch heute noch in der Russischen Föderation.
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I. Die Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG an den
Kläger zu 1) kommt nicht in Betracht, da der Kläger zu 1) nach der Aufgabe seines
Wohnsitzes und dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes die dafür erforderlichen
Voraussetzungen als Spätaussiedler nicht erfüllt.
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Spätaussiedler aus dem hier in Rede stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen
Sowjetunion kann nach § 4 Abs. 1 BVFG nur sein, wer deutscher Volkszugehöriger ist.
Da der Kläger zu 1) nach dem 31. Dezember 1923 geboren ist, ist er nach § 6 Abs. 2
Satz 1 BVFG deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen
Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
BVFG), ihm die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale,
wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG) und er
sich bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes zur deutschen Nationalität erklärt,
sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem
Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
BVFG).
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1. Der Kläger zu 1) erfüllt zumindest nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 BVFG.
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Es kann nicht festgestellt werden, daß dem Kläger das in dieser Bestimmung genannte
bestätigende Merkmal der Sprache vermittelt worden ist.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist unter Sprache im Sinne
des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG grundsätzlich die deutsche Sprache als Muttersprache
oder - bei Zwei- oder Mehrsprachigkeit - als bevorzugte Umgangssprache zu verstehen.
Dabei ist die deutsche Sprache dann als bevorzugte Umgangssprache anzusehen,
wenn sie jemand wie eine Muttersprache spricht, ihr gegenüber den sonstigen von ihm
beherrschten Sprachen im persönlich-familiären Bereich den Vorzug gegeben und sie
damit in diesem Bereich regelmäßig überwiegend gebraucht hat. Dabei wird nicht
verlangt, daß Deutsch als Hochsprache beherrscht wird. Es reicht aus, wenn die
deutsche Sprache - als Muttersprache oder bevorzugte Umgangssprache - so vermittelt
worden ist, wie sie im Elternhaus - z.B. in Form des Dialekts - gesprochen wurde.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, NVwZ-RR 1997, 381 = DVBl
1997, 897 = DÖV 1997, 686.
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Es genügt jedoch nicht, daß Deutsch lediglich in der Jugendzeit bis zur Selbständigkeit
bevorzugte Umgangssprache gewesen ist. Dieses Bestätigungsmerkmal muß vielmehr
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auch im maßgeblichen Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes noch
vorliegen. Sind zu diesem Zeitpunkt Merkmale im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
BVFG nicht oder nicht mehr gegeben, fehlt es an der objektiven Bestätigung des
Bekenntnisses zum deutschen Volkstum.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -.
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Hiervon ausgehend kann der Senat nicht feststellen, daß dem Kläger zu 1) die deutsche
Sprache in dem erforderlichen Maße vermittelt worden ist. Daß er Deutsch als
Muttersprache spricht, ist nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Zwar hat
der Kläger zu 1) in dem Formular zum Aufnahmeantrag angegeben, daß seine
Muttersprache Deutsch sei. Diese Angabe ist jedoch schon deshalb nicht glaubhaft bzw.
geht ersichtlich von einem anderen Verständnis des Begriffs Muttersprache aus, weil der
Kläger zu 1) bei seiner Vorsprache in der Deutschen Botschaft in Moskau erklärt hat, als
Kind im Elternhaus ab dem fünften Lebensjahr neben der deutschen Sprache auch die
russische Sprache erlernt und gesprochen zu haben, also mehrsprachig aufgewachsen
zu sein. Soweit in der Berufungsbegründung von den Prozeßbevollmächtigten der
Kläger vorgetragen wird, der Kläger zu 1) habe bis zum 8. Lebensjahr ausschließlich
Deutsch gesprochen, ist nicht dargelegt, daß und gegebenenfalls weshalb die eigenen
Angaben des Klägers zu 1) bei seiner Vorsprache in der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland in Moskau am 20. April 1994, die von ihm selbst unterschrieben worden
sind, nicht der Wahrheit entsprechen.
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Der Kläger zu 1) hat auch nicht vorgetragen, daß er Deutsch als bevorzugte
Umgangssprache zumindest im familiären Bereich sprach und spricht. Im
Aufnahmeantrag ist "Deutsch/Russisch" als jetzige Umgangssprache in seiner Familie
bezeichnet worden. Ob Deutsch seine bevorzugte Umgangssprache in der Familie ist,
geht aus diesen Angaben nicht hinreichend deutlich hervor. Der Annahme, daß er
Deutsch als bevorzugte Umgangssprache zumindest im familiären Bereich spricht,
stehen seine Angaben zu seinem Sprachverhalten in der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland in Moskau entgegen. Danach spricht er derzeit im engsten Familienkreis
zuhause "Deutsch nie" und "Russisch nur". Dieses Sprachverhalten wird durch das
Ergebnis des Sprachtests bestätigt. Denn ausweislich des Vermerkes der Deutschen
Botschaft in Moskau vom 20. April 1994 versteht der Kläger zu 1) nur "wenig" Deutsch
und spricht "nur einzelne Wörter" Deutsch. Diese Angaben werden auch durch den
Vortrag der Kläger im Berufungsverfahren bestätigt. Danach hat der Kläger zu 1) den
deutschen Dialekt nur bis zu seinem 16. Lebensjahr beherrscht.
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Es liegen auch keine sonstigen in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG benannten oder
unbenannten bestätigenden Merkmale im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG vor.
Fehlt - wie hier - das Merkmal der deutschen Sprache, so kann nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wegen des engen Zusammenhanges
zwischen Sprache, Erziehung und Kultur ohne das Hinzutreten besonderer Umstände,
die die Kläger nicht vorgetragen haben und die nicht ersichtlich sind, auch nicht von
einer deutschen Erziehung des Klägers zu 1) oder von der Vermittlung deutscher Kultur
an ihn ausgegangen werden. Wer nicht Deutsch, sondern Russisch als Muttersprache
oder bevorzugte Umgangssprache spricht, ist regelmäßig Angehöriger des russischen
Kulturkreises, was zugleich eine Erziehung im Sinne des russischen Volkstums
indiziert.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, aaO.
19
Der Senat hat sich dieser Auffassung angeschlossen und zur Begründung im einzelnen
auf die Gründe der genannten Entscheidung verwiesen.
20
Vgl. Urteil des Senats vom 14. Februar 1997 - 2 A 946/94 -.
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Das Vorbringen der Kläger im Berufungsverfahren gibt insbesondere keinen Anlaß, ein
Sachverständigengutachten einzuholen, wie im Schriftsatz vom 23. Juni 1997 angeregt
wird. Hierfür bestünde nur Anlaß, wenn die Kläger erhebliche Tatsachen gegen die
Richtigkeit der oben dargelegten Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts
vorgetragen hätten. Diesen Anforderungen genügt der Vortrag, es sei zu klären, ob die
Meinung des Bundesverwaltungsgerichts wissenschaftlich vertretbar sei, nicht, zumal
die Kläger wissenschaftlich begründete Zweifel an der Auffassung des
Bundesverwaltungsgerichts auch nicht andeutungsweise vortragen.
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Wird somit das von dem Kläger geltend gemachte Bekenntnis zum deutschen Volkstum
nicht durch Sprache, Erziehung, Kultur objektiv bestätigt, wie es nach § 6 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 BVFG erforderlich ist, kann der Kläger zu 1) kein deutscher Volkszugehöriger sein,
weil auch sonstige für die Bestätigung eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum in
Betracht kommende Umstände von ähnlichem Gewicht und ähnlicher Beschaffenheit
wie die in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ausdrücklich angeführten
Bestätigungsmerkmale,
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vgl. dazu BVerwG; Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, aaO.,
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nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich sind.
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2. Bestätigungsmerkmale nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG sind auch nicht gemäß
Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz der Vorschrift hier entbehrlich. Nach dieser Vorschrift
gelten die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG als erfüllt, wenn die
Vermittlung bestätigender Merkmale wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht
möglich oder nicht zumutbar war.
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Zwar tragen die Kläger vor, der Kläger zu 1) könne sich auf diese Fiktion berufen, weil er
noch unter der Kommandantur geboren und eine bessere Vermittlung der deutschen
Sprache in der Familie unter diesen Umständen nicht möglich gewesen sei.
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Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Auch für die Zeit von 1954 bis 1970 kann
für das Gebiet Kokschetaw in Kasachstan, dem Geburtsort des Klägers zu 1), nicht
festgestellt werden, daß die Vermittlung der deutschen Sprache nicht möglich oder nicht
zumutbar war. Nach der Auswertung der dem Senat vorliegenden Erkenntnisse, die den
Prozeßbevollmächtigten der Kläger und den übrigen Beteiligten bekannt sind, ist der
Senat davon überzeugt, daß auch in diesem Gebiet in den Jahren 1954 bis 1970 eine
Vermittlung der deutschen Sprache im häuslichen Bereich möglich war. Den Auskünften
und Stellungnahmen läßt sich nämlich nicht entnehmen, daß es der deutschen
Volksgruppe im Herkunftsgebiet der ehemaligen Sowjetunion außer Estland, Lettland
und Litauen nicht zumutbar oder nicht möglich war, die deutsche Sprache in der Familie
zu überliefern. Die darin enthaltene Darstellung der Sprachsituation läßt vielmehr
erkennen, daß ein Gebrauch der deutschen Sprache als Muttersprache oder als
bevorzugte Umgangssprache bei der Kommunikation zumindest innerhalb des
häuslichen Bereichs grundsätzlich ohne die Befürchtung von Diskriminierungen oder
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Benachteiligungen jederzeit und überall möglich war.
Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an OVG NW v. 13.9.1995 (513-542.40 GUS), S. 1 und 7
f.; Hilkes, Stellungnahme an OVG NW vom 17.9.1995, S. 3 ff.; Weydt, Stellungnahme an
OVG NW vom 23.9.1995, S. 2 f; Eisfeld, Stellungnahme an OVG NW vom 24.11.1995,
S. 6 ff.
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Aus den Auskünften und Stellungnahmen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß
eine Überlieferung der deutschen Sprache grundsätzlich ausgeschlossen war. Gerade
die Feststellung, daß ein rechtliches Verbot der deutschen Sprache in der ehemaligen
Sowjetunion nie ausgesprochen worden ist und sich die Benutzung der deutschen
Sprache fast ausschließlich auf die Familie oder - soweit noch geschlossene deutsche
Siedlungsgemeinschaften vorhanden waren - auf Kontakte unter den Dorfbewohnern
beschränkte, belegt, daß die Vermittlung der deutschen Sprache in den genannten
Aussiedlungsgebieten der ehemaligen Sowjetunion seit dem Zweiten Weltkrieg
zumindest innerhalb der Familien grundsätzlich möglich und zumutbar war.
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Diese Ausführungen gelten nicht nur für Gebiete, in denen zahlreiche Deutsche lebten,
sondern grundsätzlich auch für Bereiche, in denen sich nur wenige Deutsche aufhielten.
In den Auskünften wird nicht zwischen Bereichen, in denen der Anteil der Deutschen an
der Bevölkerung relativ hoch war, und solchen Gebieten unterschieden, in denen nur
einzelne Deutsche lebten. Dies erklärt sich daraus, daß die Sprachvermittlung praktisch
auf den häuslichen Bereich beschränkt war, und deshalb nicht entscheidend vom
Kontakt mit anderen deutschen Familien abhing.
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Diese Feststellungen werden dadurch bestätigt, daß die Kläger vorgetragen haben, in
der Familie des Klägers zu 1) habe Deutsch gesprochen werden können.
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II. Die Klage der Klägerin zu 2) ist ebenfalls unbegründet. Als nichtdeutsche
Volkszugehörige kann sie den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines
Aufnahmebescheides nur auf § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG stützen, der die Einbeziehung
des Ehegatten in den Aufnahmebescheid vorsieht. Da dem Kläger zu 1) aus den oben
dargelegten Gründen ein Aufnahmebescheid nicht zu erteilen ist, kommt eine
Einbeziehung seiner Ehefrau nicht in Betracht.
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Die Klage der Kläger zu 3), 4) und 5) ist unbegründet, weil sie den geltend gemachten
Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides mangels Abstammung von einem
deutschen Volkszugehörigen allenfalls auf § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG stützen können
und die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in einen Aufnahmebescheid des
Klägers zu 1) aus den oben dargelegten Gründen nicht vorliegen.
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B. Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides ergibt sich für die Kläger
auch nicht auf der Grundlage ihrer im Schriftsatz vom 14. Dezember 1994 vertretenen
Auffassung, sie hätten als Vertriebene nach § 7 BVFG in der vor dem 1. Januar 1993
geltenden Fassung einen Anspruch auf Aufnahme aus Art. 116 Abs. 1 GG, der
zumindest eine analoge Anwendung des § 27 BVFG erfordere.
35
Für diese von den Klägern begehrte Verpflichtung der Beklagten gibt es im
Bundesvertriebenengesetz keine Rechtsgrundlage.
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Die von den Klägern begehrte Aufnahme als Vertriebene kann nicht im Wege des im
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Bundesvertriebenengesetz geregelten Aufnahmeverfahrens nach den §§ 26 ff BVFG
erfolgen. Dieses Aufnahmeverfahren erstreckt sich nämlich schon nach dem Wortlaut
des § 26 BVFG allein auf Personen, die die Aussiedlungsgebiete als Spätaussiedler im
Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG verlassen wollen, um im Geltungsbereich dieses Gesetzes
ihren ständigen Aufenthalt zu nehmen. Da nach dieser Vorschrift nur solchen Personen
nach Maßgabe der §§ 27 ff BVFG ein Aufnahmebescheid erteilt werden kann, die sich
auf ihre Spätaussiedlereigenschaft berufen, ist die Erteilung eines Aufnahmebescheides
an die Kläger zum Zwecke ihrer Aufnahme im Bundesgebiet als Vertriebene nach § 7
BVFG a.F. nach Maßgabe der §§ 26 ff BVFG ausgeschlossen.
Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht aus einer analogen Anwendung der
Aufnahmevorschriften des Bundesvertriebenengesetzes. Eine analoge Anwendung
dieser Vorschriften auf die vorliegende Fallgestaltung setzt eine Gesetzeslücke voraus,
d.h. eine planwidrige Unvollständigkeit der Regelungen des
Bundesvertriebenengesetzes.
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Vgl. hierzu Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage 1986, § 17 Rdn. 46
und 49.
39
Eine solche planwidrige Unvollständigkeit liegt hier nicht vor. Nach den Vorschriften des
Bundesvertriebenengesetzes sollen und können im Wege des Aufnahmeverfahrens,
d.h. durch Erteilung eines Aufnahmebescheides, nur Personen aufgenommen werden,
die die Aussiedlungsgebiete als "Spätaussiedler" verlassen wollen (§ 26 BVFG). Dieser
Wortlaut, der den Kreis der Bewerber um einen Aufnahmebescheid eindeutig benennt
und damit beschränkt, spricht gegen eine planwidrige Unvollständigkeit der Regelungen
des vertriebenenrechtlichen Aufnahmeverfahrens, soweit es um die Aufnahme von
Personen geht, die nicht als Spätaussiedler die genannten Gebiete verlassen wollen.
Bestätigt wird dies ferner durch die Entstehungsgeschichte der Einfügung des
Aufnahmeverfahrens in das Bundesvertriebenengesetz. Denn den Materialien sowohl
des Aussiedleraufnahmegesetzes als auch des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes ist
zu entnehmen, daß die Neuregelung mit der Notwendigkeit der Erteilung eines
Aufnahmebescheides im Regelfall vor Verlassen der Aussiedlungsgebiete nur den
Bewerberkreis der Aussiedler bzw. Spätaussiedler erfassen und nur diese einer
Vorprüfung der geltend gemachten Rechte unterwerfen wollte.
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Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Regelung des
Aufnahmeverfahrens für Aussiedler (Aussied-leraufnahmegesetz- AAG) vom 21. April
1990, BT-Drucksache 11/6937, Abschnitt A. Zielsetzung, S. 1, Gegenäußerung der
Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Gesetz vom 21. Mai
1990, BT- Drucksache 11/7189, Nummer 5, S. 5, sowie Gesetzentwurf der
Bundesregierung eines Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen
(Kriegsfolgenbereinigungsgesetz-KfbG) vom 7. September 1992, BT-Drucksache
12/3212, Begründung, Abschnitt A. Allgemeiner Teil, Nummer 1, S. 19 f, und Abschnitt
B. Besonderer Teil, zu Nummern 24 bis 30 des Artikels 1 (§§ 26 bis 29), S. 26.
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Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus Art. 116 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG). Danach ist Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes unter
anderem, wer als Abkömmling eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit
Aufnahme gefunden hat. Das bedeutet nicht, daß alle Abkömmlinge eines Vertriebenen
deutscher Volkszugehörigkeit einen Anspruch auf Aufnahme haben. Das Erfordernis der
Aufnahme ist vielmehr eine eigenständige Voraussetzung, die für den Erwerb des in Art.
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116 Abs. 1 GG geregelten Status neben den anderen in Art. 116 Abs. 1 GG genannten
Voraussetzungen zu erfüllen ist.
Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1992 - 1 C 54.89 -, Buchholz 11 Art. 116 GG Nr.
22 = BVerwGE 90, 173.
43
C. Den Klägern steht auch nicht der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf
Einbeziehung in den 1990 der Frau T. N. , der Mutter des Klägers zu 1), erteilten
Aufnahmebescheid zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 27 Abs. 1 Satz 2
BVFG. Diese Vorschrift setzt nämlich im Regelfall voraus, daß die Bezugsperson im
Zeitpunkt des Erlasses des Einbeziehungsbescheides die Aussiedlungsgebiete noch
nicht verlassen hat und zudem in jedem Fall nicht vor dem 1. Januar 1993 ausgereist
sein darf.
44
Zwar ist dies in § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG nicht ausdrücklich aufgeführt. Bereits der
Wortlaut der Vorschrift macht jedoch im Zusammenhang mit dem Wortlaut des § 27 Abs.
1 Satz 1 BVFG hinreichend deutlich, daß eine Einbeziehung eines Aufnahmebewerbers
in einen Aufnahmebescheid einer sich bereits in der Bundesrepublik Deutschland auf
Dauer aufhaltenden Bezugsperson mit dem Status eines Aussiedlers nach § 1 Abs. 2
Nr. 3 BVFG a.F. ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich aus der Formulierung in § 27 Abs.
1 Satz 2 BVFG, daß (nur) Ehegatten und Abkömmlinge von "Personen im Sinne des
Satzes 1" in deren Aufnahmebescheid einbezogen werden können. Denn der
Aufnahmebescheid gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird nach dem insoweit
eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift nur "Personen mit Wohnsitz in den
Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Verlassen dieser Gebiete die Voraussetzungen
als Spätaussiedler erfüllen". Infolgedessen stellt schon die Formulierung des § 27 Abs.
1 Satz 1 und 2 BVFG klar, daß eine Einbeziehung in einen Aufnahmebescheid nur
solcher Bezugspersonen in Betracht kommt, die erst nach dem 31. Dezember 1992, das
heißt nach dem Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember
1992 (BGBl. I S. 2094), die Aussiedlungsgebiete verlassen haben, da das frühere Recht
Spätaussiedler nicht kannte.
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Hiervon ausgehend ist eine Einbeziehung der Kläger in den Übernahmebescheid ihrer
Mutter bzw. Großmutter schon deshalb ausgeschlossen, weil diese die
Aussiedlungsgebiete bereits unter Aufgabe ihres dortigen Wohnsitzes vor dem 1.
Januar 1993 verlassen hat, da sie sich seit Juni 1991 erkennbar auf Dauer in der
Bundesrepublik Deutschland aufhält.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 und 162 Abs. 3 VwGO
iVm § 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht
gemäß § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 GKG.
48