Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.12.1999

OVG NRW: besondere härte, ausreise, bereinigung, drucksache, rechtsgrundlage, bekanntmachung, beschränkung, aufenthalt, berechtigter, zusicherung

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 E 686/98
Datum:
03.12.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 E 686/98
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 4 K 7419/95
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kläger zu 1), 3) und 4) tragen die Kosten des Verfahrens zu je einem
Drittel. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde, die allein zugelassen und eingelegt ist, soweit mit dem angefochtenen
Beschluß Prozeßkostenhilfe hinsichtlich der hilfsweise beantragten Verpflichtung der
Beklagten, die Kläger zu 1), 3) und 4) in den Aufnahmebescheid des Vaters des Klägers
zu 1) einzubeziehen, versagt worden ist, ist nicht begründet.
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Die Rechtsverfolgung bietet insoweit nicht die nach § 166 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - iVm § 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO -
erforderliche Aussicht auf Erfolg. Denn die Kläger zu 1), 3) und 4) haben keinen
Anspruch darauf, nachträglich in den Aufnahmebescheid ihres Vaters bzw. Großvaters
J. F. vom 1. September 1992 einbezogen zu werden.
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Als Rechtsgrundlage dafür kommt § 27 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die
Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG)
in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni
1993 (BGBl. I S. 829) in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist ein Abkömmling einer
Person im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG auf Antrag in deren Aufnahmebescheid
einzubeziehen.
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a) Ein Anspruch auf Einbeziehung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG scheitert nicht
bereits daran, daß der Aufnahmebescheid Herrn J. F. am 1. September 1992 und damit
zu einem Zeitpunkt erteilt worden ist, als das Gesetz die zum 1. Januar 1993 durch das
Kriegsfolgenbereinigungsgesetz geschaffene Möglichkeit der Einbeziehung in einen
Aufnahmebescheid noch nicht vorsah, der Bescheid aber erst nach dem 1. Januar 1993
durch Einreise am 12. Januar 1993 ausgenutzt worden ist. Denn nach § 100 Abs. 5
BVFG sind Personen, die vor dem 1. Januar 1993 einen Aufnahmebescheid nach § 26
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BVFG in der vom 1. Juli 1990 bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung des
Aussiedleraufnahmegesetzes vom 28. Juni 1990 (BGBl. I S. 1247) erhalten haben,
Spätaussiedler, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG oder des § 4
BVFG erfüllen. Das bedeutet, daß diese Personen aus Gründen des
Vertrauensschutzes und zur Vermeidung zusätzlicher die Verwaltung unnötig
belastender erneuter Aufnahmeverfahren auch dann Spätaussiedler werden, wenn sie
(nur) die materiellen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG für die
Aussiedlereigenschaft erfüllen. Wird jedoch aufgrund eines Aufnahmebescheides die
Spätaussiedlereigenschaft im Sinne des § 4 BVFG erworben, gehört hierzu nach den §§
26 f. BVFG in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung auch die Möglichkeit der
Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG. Das
bis zum 31. Dezember 1992 durchgeführte Aufnahmeverfahren unterscheidet sich von
dem seit dem 1. Januar 1993 geltenden Aufnahmeverfahren in verfahrensrechtlicher
Hinsicht nicht. Es haben sich nur die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung des
Aufnahmebescheides geändert. Dieser Unterschied ist vom Gesetz als nicht so
wesentlich erachtet, als daß auch zukünftig bei Aussiedlung ab dem 1. Januar 1993
zwischen Aussiedler und Spätaussiedler unterschieden werden müßte. Vielmehr sieht §
100 Abs. 5 BVFG für diese Übergangsfälle vor, daß die Spätaussiedlereigenschaft
alternativ bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 BVFG entsprechend der neuen
Rechtslage oder des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG entsprechend der früheren Rechtslage
erworben wird. Daraus folgt, daß die seit dem 1. Januar 1993 bestehende Möglichkeit
der Einbeziehung nicht allein deshalb versagt werden darf, weil der Aufnahmebescheid
vor dem 1. Januar 1993 erteilt worden ist. Anderenfalls müßte der Inhaber eines vor dem
1. Januar 1993 erteilten Aufnahmebescheides, der nur möglicherweise die
Voraussetzungen des § 4 BVFG erfüllt, in jedem Fall ein zweites und für ihn selbst im
wesentlichen inhaltsgleiches Aufnahmeverfahren durchführen (lassen), um einem
Ehegatten oder Abkömmling eine Einbeziehung zu ermöglichen. § 100 Abs. 5 BVFG
soll das Erfordernis eines weiteren Aufnahmeverfahrens aber gerade ausschließen, weil
es "unbillig" wäre, mit einem nach der früheren Rechtslage erteilten Aufnahmebescheid
eingereisten Personen die Spätaussiedlereigenschaft zu verweigern, wenn sie zwar die
Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG, nicht aber diejenigen nach § 4 BVFG
erfüllen.
So ausdrücklich Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur
Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen (Kriegsfolgenbereinigungsgesetz - KfbG), BT-
Drucksache 12/3212, S. 28.
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b) Im vorliegenden Fall ist § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG als Rechtsgrundlage
heranzuziehen, weil Aufnahmebewerber die im Aussiedlungsgebiet verbliebenen
Kläger zu 1), 3) und 4) als einzubeziehende Abkömmlinge sind. Die Einbeziehung ist
ein eigenständiger Anspruch der einzubeziehenden Person, den diese selbst geltend
machen muß. Es handelt sich - anders als bei § 94 BVFG in der bis zum 31. Dezember
1992 geltenden Fassung - nicht um einen Anspruch der Bezugsperson. Für die
Anwendung der Anspruchsgrundlage sind die Verhältnisse des Anspruchstellers
maßgebend.
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Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG liegen jedoch nicht vor, weil Herr J.
F. als Bezugsperson das Aussiedlungsgebiet bereits endgültig verlassen hat. § 27 Abs.
1 Satz 2 BVFG ist nur auf Ehegatten und Abkömmlinge "von Personen im Sinne des
Satzes 1" anwendbar. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid nur
"Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Verlassen dieser
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Gebiete die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen." Die Verweisung auf
"Personen im Sinne des Satzes 1" läßt nach ihrem Wortlaut zwei
Auslegungsmöglichkeiten zu: Zum einen kann sie sich streng vom Wortlaut her
umfassend auf die in Satz 1 getroffene Regelung beziehen mit der Folge, daß die
Bezugsperson nicht nur nach Verlassen der Aussiedlungsgebiete die Voraussetzungen
als Spätaussiedler erfüllen, sondern zum Zeitpunkt der Einbeziehung auch noch ihren
"Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten" haben muß. Die Verweisung in § 27 Abs. 1
Satz 2 BVFG kann aber auch allgemeiner bezogen auf die Person des Aussiedelnden
so zu verstehen sein, daß die Einbeziehungsmöglichkeit nur bei den in Satz 1
umschriebenen Spätaussiedlern im Sinne des § 4 BVFG und nicht bei Personen im
Sinne der §§ 1 bis 3 BVFG bestehen soll. Dieser mehrdeutige Wortlaut wird jedoch in
der Begründung des Gesetzentwurfs eindeutig dahingehend erläutert, daß eine
Einbeziehung nur dann möglich sein soll, wenn die Bezugsperson die
Aussiedlungsgebiete noch nicht verlassen hat.
So ausdrücklich Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur
Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen (Kriegsfolgenbereinigungsgesetz - KfbG), BT-
Drucksache 12/3212, S. 26.
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Dieses vom Gesetzgeber beabsichtigte und vom Wortlaut des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG
gedeckte Verständnis der Vorschrift hält der Senat für maßgebend. Aus der Systematik
der Vorschriften über das Aufnahmeverfahren und dem Zweck des
Bundesvertriebenengesetzes ergibt sich nichts anderes.
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Zwar ist den §§ 7, 8 und 27 BVFG nicht zu entnehmen, daß Bezugsperson und
einbezogene Personen gemeinsam ausreisen müssen - § 8 Abs. 2 BVFG läßt eher
vermuten, daß eine gemeinsame Ausreise nicht erforderlich ist -, das besagt aber nichts
über die Frage, ob und inwieweit vor der Ausreise die erforderlichen Bescheide
vorliegen müssen.
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Der Zweck der Bestimmungen über die Einbeziehung legt es nahe, daß die
Einbeziehung zum Zeitpunkt der Ausreise der Bezugsperson bereits vorgenommen
worden sein muß. Die Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen, die einen
Status nach dem Bundesvertriebenengesetz erwerben, ohne die materiellen
Voraussetzungen der §§ 4 und 6 BVFG zu erfüllen, wird allein dadurch gerechtfertigt,
daß eine enge familiäre Bindung zur Bezugsperson auch aufgrund eines gemeinsam
erlittenen Vertreibungsschicksals besteht, die nicht zerstört werden soll. Dies zeigt auch
die Regelung in § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG, nach der die Einbeziehung eines Ehegatten
von Gesetzes wegen ihre Wirkung verliert, wenn die Ehe aufgelöst wird, bevor beide
Ehegatten die Aussiedlungsgebiete verlassen haben. Dem Zweck des Gesetzes
widerspräche es, wenn eine Einbeziehung von Personen, die selbst nicht
Spätaussiedler werden, auch dann möglich wäre, wenn ein enger familiärer
Zusammenhalt nicht oder nicht mehr besteht. Würde eine Einbeziehung auch nach der
Ausreise der Bezugsperson noch zugelassen, bestünde für den Nachzug von
Abkömmlingen kaum eine Beschränkung. Noch Jahrzehnte nach der Übersiedlung der
Bezugsperson wären Einbeziehungen möglich, und zwar selbst von Abkömmlingen, die
zum Zeitpunkt der Ausreise der Bezugsperson noch nicht geboren waren. Das ist mit
der Einbeziehungsregelung nicht beabsichtigt.
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Vgl. Urteil des Senats vom 19. Januar 1999 - 2 A 2030/96 -, so im Ergebnis auch
BVerwG, Beschluß vom 20. Januar 1999 - 5 B 11.99 -.
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c) Auch wenn zugunsten der Kläger zu 1, 3) und 4) davon ausgegangen wird, daß eine
nachträgliche Einbeziehung im Härtewege gemäß § 27 Abs. 2 BVFG möglich ist, wenn
die bereits früher ausgereiste Bezugsperson sich auf eine besondere Härte berufen
kann, steht den Klägern zu 1), 3) und 4) kein Anspruch auf Einbeziehung zu. Denn Herr
J. F. als Bezugsperson kann sich auf eine besondere Härte nicht berufen. Es ist weder
dargelegt noch ersichtlich, daß ihm ein weiterer Aufenthalt im Vertreibungsgebiet nicht
zumutbar war. Eine besondere Härte ergibt sich auch nicht aus
Vertrauensgesichtspunkten. Denn Herr J. F. konnte bei seiner Ausreise nicht
berechtigter Weise davon ausgehen, daß sein Sohn mit seiner Familie auch ein Recht
auf Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland haben würde. Irgendeine
Zusicherung, die Grund für ein schützenswertes Vertrauen sein könnte, ist ihm
ersichtlich nicht erteilt worden, zumal der Kläger zu 1) bis zur Ausreise des Herrn J. F.
noch nicht einmal einen Antrag auf Aufnahme gestellt hatte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1, 166 VwGO iVm § 100
Abs. 1, 127 Abs. 4 ZPO .
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Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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