Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.11.2007

OVG NRW: berufliche ausbildung, pflege, behinderung, sozialhilfe, unterbringung, jugendhilfe, eingliederung, versorgung, gesellschaft, geburt

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 866/06
Datum:
22.11.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 866/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 20 K 9273/03
Tenor:
Die Berufung wird zugelassen, soweit der Kläger die Erstattung seiner
Aufwendungen für den Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Januar
2003 in Höhe von 143.050,56 EUR begehrt.
Im übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten bezüglich des abgelehnten Teils des
Zulassungsantrags.
Die Kostenentscheidung und die Festsetzung des Streitwertes bezüglich
des zugelassenen Teils bleiben dem Berufungsverfahren vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes für den abgelehnten Teil des
Zulassungsantrags wird auf 60.116,66 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
Erfolg, weil im Hinblick auf den genannten Erstattungszeitraum - anders als bezüglich
des Erstattungszeitraums vom 1. Februar 2003 bis zum 5. September 2004 - i. S. v. §
124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstliche Zweifel an der entscheidungstragenden Annahme
des Verwaltungsgerichts bestehen, die seinerzeit Frau B. zu leistende Hilfe sei nicht
vorrangig dem § 19 SGB VIII zuzuordnen.
2
Es trifft nicht zu, dass sich die Frau B. und ihrem Sohn zu leistende bzw. geleistete Hilfe
weniger als eine einheitliche Hilfemaßnahme nach § 19 SGB VIII als vielmehr als Hilfe
zur Eingliederung in die Gesellschaft für zwei - getrennt zu sehende - Personen darstellt,
weil der Unterbringungs- und Betreuungsbedarf bezüglich beider maßgeblich darin
3
seine Ursache hat, dass sie jeweils aufgrund ihrer Behinderung in ihrer Fähigkeit
eingeschränkt sind, an der Gesellschaft teilzuhaben. Sowohl der Eingliederungsbedarf
der Mutter - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im übrigen - als auch der
des Kindes wird hier vielmehr von der Hilfe nach § 19 SGB VIII abgedeckt.
Jugendhilfe und Sozialhilfe sind zwei umfassende sozialrechtliche Hilfesysteme mit
unterschiedlichen Aufgaben und Rechtsfolgen, die nicht trennscharf aufeinander
abgestimmt und deshalb auf nicht sachtypisch voneinander abzugrenzen sind.
Dementsprechend ist auch die Frage, wie der Hilfebedarf rechtlich zutreffend zu
erfassen ist, wenn eine (minderjährige oder volljährige) Frau, die zuvor - etwa nach dem
BSHG/SGB XII wegen einer Behinderung - selbst hilfebedürftig war, ein Kind bekommt,
nach wie vor umstritten.
4
Vgl. die Nachweise bei: OVG NRW, Beschluss vom 30. November 2000 - 22 B 762/00 -,
FEVS 53, 265;
5
VG Hamburg, Urteil vom 26. Mai 2005 - 13 K 195/05 -, ZfJ 2005, 486.
6
Die durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe KICK (BT-
Drucks. 15/5616, S. 11, 44) erfolgte Änderung des § 27 SGB VIII in Form der Anfügung
des Absatzes 4, wonach eine Hilfe zur Erziehung auch die Unterstützung der
minderjährigen Mutter als Leistungsempfängerin bei der Pflege und Erziehung ihres
Kindes umfasst, wenn dieses während ihres Aufenthaltes in einer Einrichtung oder
Pflegefamilie zur Welt kommt, führt auch unter Berücksichtigung der Verweisung in §
35a Abs. 1 Satz 3 SGB VIII n. F. zur Klärung von Abgrenzungsschwierigkeiten nur für
einen begrenzten Leistungsbereich, der zudem über § 41 Abs. 2 SGB VIII n. F. allenfalls
dem jungen Volljährigen bis zum 27. Lebensjahr (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII) offen
steht, während die Hilfeempfängerin hier schon bei der Geburt ihres Kindes das 30.
Lebensjahr überschritten hatte. Im übrigen ist das KICK insoweit erst zum 1. Oktober
2005 - also nach Ablauf des streitbefangenen Erstattungszeitrau-mes - in Kraft getreten.
7
Jedenfalls für den Erstattungszeitraum gilt demgegenüber, dass § 19 SGB VIII bei
Vorliegen seiner Voraussetzungen - namentlich der Zwecksetzung, die
Erziehungskompetenz des Elternteils zu stärken - trotz Erfüllung auch des Tatbestandes
der Eingliederungshilfe nach dem BSHG die für die Mutter allein in Frage kommende
Hilfeart darstellt, die den Eingliederungsbedarf der Mutter mitumfasst.
8
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. November 2000
9
- 22 B 762/00 -, a.a.O.; VG Düsseldorf, Urteil vom 31. August 1998 - 19 K 4705/95 -,
NDV-RD 1999, 86; Urteil vom 6. April 2005 - 19 K 8703/02 -, Juris; VG Hamburg, Urteil
vom 26. Mai 2005 - 13 K 195/05 -, a.a.O.; Kunkel, in: LPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 19 Rdn.
18; Münder u.a., FK-SGB VIII, 5. Aufl., § 19 Rdn. 18.
10
Dabei kann dahinstehen, ob sich die Hilfe nach den Grundsätzen der Spezialität
deswegen vorrangig nach § 19 SGB VIII richtet, weil die Eingliederungshilfe von ihrer
Konzeption her auf Einzelpersonen bezogen ist und mit dem Eintritt einer
Schwangerschaft und/oder Geburt das Kind mit der Folge in den Mittelpunkt rückt, dass
sich die Hilfeform nunmehr vorrangig an dessen Belangen orientiert,
11
so VG Düsseldorf, Urteil vom 31. August 1998 - 19 K 4705/95 -, a.a.O.; zustimmend:
12
OVG NRW, Beschluss vom 30. November 2000 - 22 B 762/00 -, a.a.O.; vgl. auch:
Münder u.a., FK-SGB VIII, a.a.O., § 19 Rdn. 18; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann,
SGB VIII, 3. Aufl., § 19 Rdn. 22,
bzw. daraus, dass § 19 SGB VIII anders als die sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe
nicht nur auf die Eingliederung des Elternteils, sondern mit der Unterstützung desselben
auch darauf abzielt, Erziehungsdefizite beim Kind abzuwenden,
13
vgl. zu dieser Ansicht: OVG NRW, Beschluss vom 30. November 2000 - 22 B 762/00 -,
a.a.O.; ihm folgend: VG Hamburg, Urteil vom 26. Mai 2005 - 13 K 195/05 -, a.a.O.; VG
Gelsenkirchen, Urteil vom 10. Juni 2005 - 19 K 1193/03 -, Juris,
14
oder nicht vielmehr ausschließlich aus Gründen der hier noch einschlägigen
Konkurrenzbestimmung des § 10 Abs. 2 SGB VIII a. F. (jetzt: § 10 Abs. 4 SGB VIII).
15
Vgl. dazu im einzelnen: LSG NRW, Urteil vom 30. Juli 2007 - L 20 SO 15/06 -, Juris.
16
Da die Hilfeempfängerin nicht unter den Kreis der jungen Menschen nach § 7 Abs. 1 Nr.
4 SGB VIII fällt, greift hier insoweit nicht die Rückausnahme des § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB
VIII a. F., sondern findet die Grundregel aus § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII a. F.
Anwendung, wonach Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem BSHG
vorgehen. Im Rahmen der Konkurrenzvorschrift des § 10 Abs. 2 SGB VIII a. F. ist auch
nicht die völlige Deckungsgleichheit kongruenter Eingliederungsmaßnahmen nach dem
BSHG und solcher nach dem Jugendhilferecht erforderlich. Die Regelung eines Nach-
bzw. Vorrangs zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe setzt vielmehr
voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch aus
Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend,
kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind,
17
vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 1999
18
- 5 C 26.98 -, FEVS 51, 337 (340);
19
mithin ist auch bei einer nur teilweisen Überschneidung von der notwendigen
Kongruenz auszugehen.
20
So auch LSG NRW, Urteil vom 30. Juli 2007 - L 20 SO 15/06 -, a.a.O.; zur
Maßgeblichkeit der Konkurrenzregelung in § 10 SGB VIII auch: Münder u.a., FK-SGB
VIII, a.a.O., § 19 Rdn. 18.
21
Soweit die Hilfeleistung an das Kind demgegenüber vorliegend unter die
Rückausnahme nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII a. F. fallen sollte, ist das schon
deshalb ohne Belang, weil lediglich die Erstattung der Hilfeleistungen an die Mutter im
Streit ist. Darüber hinaus hat die Beklagte an das Kind auch keine Eingliederungshilfe,
sondern eben solche nach § 19 SGB VIII geleistet.
22
Es kann ferner nicht in Abrede gestellt werden, dass jedenfalls in der Person von Frau
B. von Januar 1999 bis Ende Januar 2003 die Tatbestandsvoraussetzungen einer
Hilfeleistung nach § 19 SGB VIII insoweit vorgelegen haben, als die gemeinsame
Betreuung in einer geeigneten Wohnform dazu diente, die Mutter wegen der bei ihr
aufgrund ihrer Persönlichkeitsentwicklung bestehenden Defizite bei der Pflege und
23
Erziehung ihres Kindes zu unterstützen. Nach dem Protokoll des Fachgespräches vom
21. September 1998 war es Ziel der Hilfe in der Mutter-Kind-Einrichtung H. , die Mutter
zu befähigen, dem Kind ohne Hilfe von außen gerecht zu werden. Ihren Niederschlag
findet diese Zielsetzung in den Hilfeplanfortschreibungen vom 27. Oktober 1998
(Verselbständigung der Mutter im Hinblick auf das Kind im besonderen, Förderung der
Mutter-Kind- Beziehung, „Hilfe anfragen" einüben, Einstellung auf die ständige
Weiterentwicklung des Kindes, notwendige medizinische Versorgung besser mit der
Einrichtung absprechen"), vom 21. September 1999 (Unterstützung zur weiteren
Förderung zur altersgemäßen Entwicklung des Kindes, Stärkung der Sensibilität der
Mutter für die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes), vom 24. Februar 2000
(Unterstützung zur weiteren Förderung zur altersgemäßen Entwicklung des Sohnes
hinsichtlich seiner Entwicklungsverzögerung, Stärkung der Sensibilität der Mutter für
körperliche und geistige Entwicklung des Kindes), vom 16. Mai 2000 (Unterstützung zur
weiteren Förderung der altersgemäßen Entwicklung des Sohnes hinsichtlich seiner
Entwicklungsverzögerung, Stärkung der Sensibilität der Mutter für die körperliche und
geistige Entwicklung des Kindes, Einhaltung der Vereinbarung zwischen Frau B. und
dem H. bzgl. des Umgangs mit dem Kind und dessen Erziehung), vom 20. Dezember
2000 (Unterstützung zur weiteren Förderung der altersgemäßen Entwicklung des
Sohnes hinsichtlich seiner Entwicklungsverzögerung, Stärkung der Sensibilität der
Mutter für die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes, Einhaltung der
Vereinbarungen), vom 27. Februar 2001 (Unterstützung zur weiteren Förderung der
altersgemäßen Entwicklung des Sohnes hinsichtlich seiner Entwicklungsverzögerung,
Stärkung der Sensibilität der Mutter für die körperliche und geistige Entwicklung des
Kindes, Einhaltung der Vereinbarungen) und insbesondere in dem Bericht der
Einrichtung vom 2. März 2001 (Erlernen einer eigenen Haushaltsführung und der
Tagesorganisation mit dem Kind, Erwerb der Befähigung zur Versorgung und Erziehung
des Kindes).
Nach dem Protokoll des Fachgespräches vom 5. März 2001 sollte auch das Ziel der
Unterbringung in der ins Auge gefassten Langzeiteinrichtung, als die ab dem 12. Juni
2001 das T. . K. -Haus - Heim für N. , W. , F. und L. - fungierte, die adäquate Förderung
der Kindesmutter zur Ermöglichung eines Zusammenlebens mit ihrem Sohn sein. Nach
der Hilfeplanfortschreibung vom 18. Juli 2001 trug die Einrichtung die von Frau B.
gefassten Ziele ihrer Betreuung in der Einrichtung mit, zu erlernen, ihre eigenen
Fähigkeiten, T1. zu fördern, besser einzusetzen, Grenzen zu setzen und diese
einzuhalten sowie Hilfe insbesondere in Überforderungssituationen anzunehmen. Auch
nach der Hilfeplanfortschreibung vom 8. Januar 2002 benötigte Frau B. weiterhin
professionelle Hilfe, um ihrem Sohn gerecht werden zu können. Laut
Hilfeplanfortschreibung vom 24. Mai 2002 lag der Arbeitsfokus der Einrichtung in der
Vergangenheit und Gegenwart auf der Einübung lebenspraktischer Dinge, machte die
schrittweise Verselbständigung der Hilfeemp- fängerin namentlich in der Erziehung
ihres Sohnes gute Fortschritte und traten in Grenzsituationen weiterhin Schwierigkeiten
auf. Die Kindesmutter müsse noch lernen, bei Bedarf angebotene Hilfen und
Unterstützung anzunehmen; im Mittelpunkt der Arbeit stehe in der nächsten Zeit die
Beziehungsarbeit zwischen Mutter und Kind. An diesen Zielen hat sich nach der
Hilfeplanfortschreibung vom 13. November 2002 nichts wesentliches geändert. Der
Entwicklungsbericht des T. . K. -Hauses vom 7. Januar 2003 an den Kläger beschreibt
rückblickend die bis dahin erreichte Aufar- beitung von Persönlichkeitsdefiziten der
Hilfeempfängerin in Hinblick auf ihre Mutterrolle.
24
Soweit im Verlaufe der Betreuung von Mutter und Kind deutlich geworden ist, dass Frau
25
B. niemals in der Lage sein wird, sich mit ihrem Sohn zu verselbständigen, steht dies
nach der ständigen Rechtsprechung des Senates einer Hilfeleistung nach § 19 SGB VIII
nicht entgegen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. September 2007 - 12 B 1237/07 -, Beschluss vom
30. November 2000 - 22 B 762/00 -, a.a.O.
26
Ist die Hilfe nach § 19 SGB VIII darauf ausgerichtet, Müttern, deren
Persönlichkeitsentwicklung einen erzieherischen Bedarf auslöst, zu helfen, so gilt dies
auch für Mütter, die aufgrund einer seelisch/geistigen Behinderung auf absehbare Zeit
nicht ohne Unterstützung bei der Pflege und Erziehung ihres Kindes bleiben können.
27
So auch: VG Hamburg, Urteil vom 26. Mai 2005
28
- 13 K 195/05 -, a.a.O.
29
Der Normzweck erfasst also auch Mütter, deren aus einer geistigen Behinderung
resultierendes Persönlichkeitsdefizit zwar die Möglichkeit eines selbständigen Lebens
mit dem Kind nicht absehen lässt, aber aufgrund der vorhandenen Fähigkeiten zum
Aufbau einer Bindung an das Kind und einer Beziehung zu ihm eine
unterstützungsfähige, einem Erziehungsdefizit beim Kind vorbeugende Entwicklung
zulässt. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn die Mutter zum Aufbau einer
Bindung an das Kind und einer Beziehung zu ihm aufgrund ihrer Behinderung gänzlich
nicht in der Lage ist. Davon kann vorliegend mit Blick auf die vorstehend zitierten
fachkundigen Äußerungen jedoch ersichtlich nicht die Rede sein.
30
Soweit demgegenüber noch bis einschließlich Januar 2003 Hilfe auf der Grundlage von
§ 19 SGB VIII zu gewähren sein wird, teilt der Senat nicht die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, bei der Mutter sei behinderungsbedingt unter keinen Umständen
eine schulische oder berufliche Ausbildung bzw. eine Berufstätigkeit in Betracht
gekommen, so dass nach § 19 Abs. 2 SGB VIII jedenfalls deshalb eine Hilfe nach § 19
Abs. 1 SGB VIII ausgeschlossen gewesen sei. Wenn es in der psycho-sozialen
Diagnose des Jugendamtes der Beklagten vom 20. Januar 2003 unter Ziffer 1.3 heißt,
dass Frau B. gerne wieder einer beruflichen Tätigkeit nachgehen würde, und sie nach
Ziffer 1 zwar keinen Beruf erlernt hat, in der Vergangenheit jedoch gelegentlich in einer
Werkstatt für behinderte Menschen tätig gewesen ist, spricht das schon gegen das
Vorliegen der vom Verwaltungsgericht angenommenen tatsächlichen Voraussetzungen
eines solchen Leistungsausschlusses. Ungeachtet dessen gibt die vom
Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung,
31
OVG NRW, Beschluss vom 30. November 2000
32
- 22 B 762/00 -, a.a.O.,
33
auch die angenommene Rechtsfolge in dieser Stringenz nicht her, denn in dem
einschlägigen - nicht entscheidungstragenden - Passus heißt es „dürfte allenfalls" und
wird damit lediglich unter bestimmten - nicht näher erläuterten - Umständen ein
Ausschluss für möglich gehalten. Diesbezüglich ist aber konkret zu beachten, dass
Mütter oder Väter, die für ein Kind allein zu sorgen haben und aufgrund ihrer
Persönlichkeitsentwicklung der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes
bedürfen, häufig mit einer neben der Betreuung des Kindes aufzunehmenden oder
34
fortzuführenden schulischen oder beruflichen Bildung oder Berufsausübung von vorn-
herein überfordert sein können. § 19 Abs. 2 SGB VIII verpflichtet deshalb in erster Linie
lediglich den Träger der Sozialhilfe, auf das Ziel einer schulischen bzw. beruf-lichen
Ausbildung oder auf eine Berufstätigkeit im Sinne eines obligatorischen Pro-
grammpunkts der spezifischen Hilfe nach § 19 Abs. 1 SGB VIII hinzuwirken.
So Münder u.a., FK-SGB VIII, a.a.O., § 19 Rdn. 2; Happe/Saurbier, in:
Jans/Happe/Saurbier/Mahs, Jugendhilferecht, Stand Juni 2007, KJHG Erl. Art. 1 § 19
Rdn. 32.
35
Allerdings dürfte Sinnhaftigkeit einer Leistung nach § 19 SGB VIII in Frage gestellt sein,
wenn sich der Elternteil ohne vernünftigen Grund weigert, eine Ausbildung zu machen
oder eine Berufstätigkeit aufzunehmen.
36
So Grube, in: Hauck/Haines, SGB VIII, Stand September 2007, K § 19 Rdn. 18.
37
Ist eine solche (Ausnahme-)Konstellation indes nicht gegeben, wird die Bestimmung
des § 19 Abs. 2 SGB VIII in der Regel jedoch nicht dazu führen können, die Hilfe mit der
Begründung zu verweigern, dass innerhalb eines angemessenen Zeitraums die
Aufnahme einer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung oder einer Berufstätigkeit
nicht erreichbar erscheint.
38
Vgl. Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, a.a.O., § 19 Rdz. 8; Münder u.a.,
FK-SGB VIII, a.a.O., § 19 Rdn. 14; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, a.a.O., § 19 Rdn. 10.
39
Gerade wenn die Ziele des § 19 Abs. 2 SGB VIII aus nicht von dem Elternteil zu
vertretenden Gründen nicht erreicht werden können, kann die Hilfe nach § 19 Abs. 1
SGB VIII um so notwendiger sein.
40
Vgl. Kunkel, in: LPK-SGB VIII, a.a.O., § 19 Rdn. 11.
41
Allerdings kann die der Frau B. gewährte Hilfeleistung nur - unter Berücksichtigung
einer angemessenen Auslaufphase - bis zum Ablauf des Monats Januar 2003 als
solche i. S. d. § 19 SGB VIII qualifiziert werden. Ausweislich des Schreibens des T. . K. -
Hauses vom 9. Januar 2003 und des Berichtes des T2. L. G. und N. e.V. vom 20. Januar
2003 - beide gerichtet an das Jugendamt - hat die Kindesmutter nach einer „Auszeit"
von 2 Wochen kurz vor Weihnachten in einem Hilfeplangespräch vom 7. Januar 2003
deutlich gemacht, dass sie sich mit der Erziehung ihres Sohnes auf Dauer überfordert
und auch mit Unterstützung der Einrichtung nicht weiter in der Lage sehe, T1. in einer
eigenen Wohnung zu versorgen und zu betreuen. Sie befürwortete, dass T1. möglichst
bald stationär in einer heilpädagogischen Einrichtung untergebracht werde. Daraufhin
ist endgültig eine getrennte Unterbringung der Mutter in der Wohngruppe 3 und des
Kindes in der Wohngruppe 1 erfolgt. Alle pflegerischen und erzieherischen Aufgaben
wurden von diesem Zeitpunkt an von den MitarbeiterInnen des Heimes übernommen,
und die Beteiligung von Frau B. beschränkte sich fortan auf die Wahrnehmung von
Terminen beim Arzt, im Kindergarten und in einer wöchentlichen gemeinsamen
Spielstunde mit einer Heilpädagogin, auf den Einkauf von Kinderkleidung und auf eine
zusätzliche Beschäftigungszeit mit T1. von 1 Stunde wochentags bzw. 2 Stunden an
den Wochenenden. Aufgrund der in dieser Weise bewusst erfolgten räumlich getrennten
Unterbringung von Mutter und Kind kann nicht mehr von einer Unterbringung in einer
gemeinsamen Wohnform i. S. d. § 19 SGB VIII ausgegangen werden.
42
Vgl. dazu auch: VG München, Urteil vom 15. Februar 2006 - M 18 K 04.6150 -, Juris.
43
Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Hilfeleistung - nachdem die Mutter zunächst in
einer Anpassungsphase mit der neuen Situation vertraut gemacht worden ist - der Art
nach noch fortlaufend auf eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit der Mutter mit dem
Ziel gerichtet gewesen ist, dem Entstehen eines Erziehungsdefizits beim Kind
vorzubeugen. Im Entwicklungsbericht an den Kläger vom 7. Januar 2003 heißt es, sie
benötige eine weitere therapeutische Begleitung im bevorstehenden Veränderungs-
/Abschiedsprozess und sei im übrigen zur Zeit nicht in der Lage, ohne Unterstützung ein
s e l b s t ä n d i g e s Leben zu führen. Hilfeplanfortschreibungen oder Berichte, in
denen in Bezug auf die Mutter Zielsetzungen genannt werden, die dem § 19 SGB VIII
entsprechen, finden sich hingegen in den dem Senat vorliegenden Akten ab Anfang
2003 nicht mehr. Vielmehr ist auch die Hilfe nach § 19 SGB VIII für den Sohn T1. am 5.
Mai 2003 eingestellt worden und stellt der Erhebungsbogen zum individuellen
Hilfeplanverfahren des Landschaftsverbandes Rheinland vom 6. August 2003 unter der
Rubrik „Vorrangige Probleme" unter Ziffer III.1 bezeichnenderweise lediglich darauf ab,
dass ein Zusammenleben des Antragstellers T1. B. mit seiner Mutter nicht mehr möglich
sei, da diese aufgrund seines Aufmerksamkeitsbedürfnisses einerseits und seines
Pflege- und Förderbedarfs andererseits überfordert sei und ihm nicht gerecht werden
könne.
44
Die Kostenentscheidung bezüglich des abgelehnten Teils des Zulassungsverfahrens
beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2, 2. Halbsatz VwGO.
45
Die Streitwertfestsetzung für den abgelehnten Teils des Zulassungsverfahrens folgt aus
§§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG.
46
Dieser Beschluss ist - soweit die Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist - nach §
152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar. Soweit die
Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts
nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
47
48