Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18.07.2007

OVG NRW: eltern, einreise, republik moldau, kultur, staatsangehörigkeit, ausreise, anschlussberufung, identifikation, landessprache, eigenschaft

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 2720/04
Datum:
18.07.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 2720/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 K 6444/02
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das angefochtenen Urteil geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der am 1962 in U. /Russland, frühere UdSSR, geborene Kläger begehrt die
Feststellung, dass er Deutscher ohne deutsche Staatsangehörigkeit im Sinne von Art.
116 Abs. 1 Grundgesetz sei. Zur Begründung macht er geltend, er habe mit seiner
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 12. März 2000 i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG
als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Abkömmling in dem
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Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme
gefunden. Die Einreise sei auf der Grundlage der seinen Eltern unter dem 11. Januar
1974 im Rahmen des sog. D1-Verfahrens erteilten und weiterhin wirksamen
Übernahmegenehmigung erfolgt, in die er und seine Geschwister einbezogen gewesen
seien.
Wegen des Sachverhalts im übrigen und des gerichtlichen Verfahrens in der ersten
Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das
Verwaltungsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, der Kläger sei zwar
nicht als Flüchtling, Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als Spätaussiedler
aufgenommen worden, jedoch habe er als Abkömmling seiner am 6. August 1991 in das
Bundesgebiet übergesiedelten, unter dem 15. April 1992 als Vertriebene anerkannten
und am 3. März 1997 eingebürgerten Eltern Aufnahme i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG
gefunden. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils Bezug genommen.
4
Zur Begründung ihrer - zugelassenen - Berufung macht die Beklagte im wesentlichen
geltend, dass der Kläger die Voraussetzungen der im Rahmen des Art. 116 Abs. 1 GG
maßgebenden Bestimmungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 und des § 4 BVFG weder in eigener
Person erfülle noch ein Abkömmling von Spätaussiedlern sei; seine Eltern seien
vielmehr Aussiedler. Die Übergangsvorschrift des § 100 Abs. 4 BVFG erfasse nicht
deutsche Abkömmlinge von Aussiedlern bewusst nicht und könne daher auch nicht auf
diesen Personenkreis angewandt werden. Wegen des Sachvortrags der Beklagten im
Übrigen wird auf Blatt 166 f., 176 f., 193, 204 - 206, 230 - 233 der Gerichtsakte
verwiesen.
5
Die Beklagte beantragt - zum Teil sinngemäß -,
6
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen und
7
die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.
8
Der Kläger beantragt - zum Teil sinngemäß -,
9
die Berufung zurückzuweisen und
10
auf seine Anschlussberufung unter Abänderung des Urteiles des Verwaltungsgerichtes
Köln vom 14.04.2004 festzustellen, dass er aus eigenem Recht nach Art. 116 Abs. 1, 1
Alt. GG Deutscher ohne deutsche Staatsangehörigkeit ist.
11
Er tritt der Rechtsauffassung der Beklagten entgegen und ist der Auffassung, dass er mit
seiner Einreise im Jahr 2000 gemäß § 100 Abs. 4 BVFG i.V.m. §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 6
BVFG in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung (BVFG a.F.) "Spätaussiedler"
geworden sei; namentlich erfülle er die Voraussetzungen des § 6 BVFG a.F. Abgesehen
davon ergebe sich seine Vertriebeneneigenschaft aus § 7 BVFG a.F.; im übrigen sei die
Übergangsvorschrift des § 100 Abs. 4 BVFG wie die durch das
Aussiedleraufnahmegesetz vom 28. Juni 1990, BGBl. I S. 1247, eingeführte
Übergangsvorschrift des § 105c BVFG zu verstehen und erfasse daher auch
Abkömmlinge. Wegen des Sachvortrags des Klägers im Übrigen wird auf Blatt 172 -
175, 178 - 180, 207 f., 220 - 223, 250 - 255, 257, 267 - 272, 277 - 281 der Gerichtsakte
verwiesen.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
13
II.
14
Über die Berufung kann gem. § 130a VwGO durch Beschluss entschieden werden, weil
der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und die Durchführung einer
mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a Satz 1 VwGO). Die
Beteiligten sind hierzu nach § 130a Satz 2 VwGO i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO mit
gerichtlicher Verfügung vom 16. April 2007 und mit weiterer gerichtlicher Verfügung vom
30. Mai 2007 angehört worden.
15
Die Berufung der Beklagten ist nach einstimmiger Auffassung des Senats begründet.
Die Anschlussberufung des Klägers ist nach einstimmiger Auffassung des Senats
jedenfalls unbegründet.
16
Die Klage des Klägers auf Feststellung, dass er Deutscher ohne deutsche
Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG ist, ist unbegründet.
17
Nach Art. 116 Abs. 1 GG ist Deutscher i.S.d. Grundgesetzes vorbehaltlich anderweitiger
gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling
oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder
Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31.
Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.
18
Der Kläger hat mit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im März 2000
nicht i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit in dem
Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme
gefunden. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auf die Sach- und Rechtslage
abzustellen, die im Zeitpunkt der - mit dem Willen zur Begründung eines dauerhaften
Aufenthalts verbundenen - Einreise maßgebend ist, da es für eine Aufnahme i.S.d. Art.
116 Abs. 1 GG auf die im Zeitpunkt des Aufnahmefindens zu erfüllenden
Tatbestandsvoraussetzungen "als Flüchtling oder Vertriebener deutscher
Volkszugehörigkeit oder als dessen .... Abkömmling" ankommt.
19
Vgl. Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl. 2005, Rn. 63 zu Art. 116
GG; Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Loseblattkommentar
Stand: Dezember 2006, Bd. 1, Rn. 34 zu Art. 116 GG.
20
Ob der Kläger bereits vor dem 1. Januar 1993 seine Rechte aus der
Übernahmegenehmigung geltend gemacht hat, kann dahinstehen, da im Rahmen des
Art. 116 Abs. 1 GG das Geltendmachen von Rechten zur Statusbegründung nicht
ausreicht.
21
Unter welchen Voraussetzungen eine Person i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG "als Vertriebener
deutscher Volkszugehörigkeit" in dem dort genannten Gebiet "Aufnahme gefunden hat",
ist seit dem In-Kraft-Treten der durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21.
Dezember 1992, BGBl. I S. 2094, geänderten Fassung des
Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) am 1. Januar 1993 abschließend nach den
22
Bestimmungen dieses Gesetzes zu beurteilen. Seitdem können Personen, die - wie der
Kläger - die im Bundesvertriebenengesetz genannten Aussiedlungsgebiete nach dem
31. Dezember 1992 verlassen haben, nur noch dann Aufnahme in der Bundesrepublik
Deutschland i.S.d. Art 116 Abs. 1 GG finden,
23
- wenn sie im Wege des Aufnahmeverfahrens (§§ 26 ff. BVFG) in das Bundesgebiet
gelangt sind und dort Aufenthalt genommen haben und
24
- wenn sie darüber hinaus tatsächlich Spätaussiedler i.S.d. § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG sind
(vgl. auch die entsprechenden Stichtagsregelungen in § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 2 BVFG).
25
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2001 - 1 C 26.00 -, BVerwGE 114, 332 ff.
26
Der Kläger war im Zeitpunkt seiner Einreise im März 2000 schon nicht im Besitz eines
Aufnahmebescheides und ist daher nicht im Wege des Aufnahmeverfahrens in die
Bundesrepublik Deutschland gelangt.
27
Nach § 100 Abs. 4 Satz 1 BVFG sind allerdings Personen, die vor dem 1. Juli 1990 eine
Übernahmegenehmigung des Bundesverwaltungsamtes erhalten haben, bei Vorliegen
der sonstigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 oder des § 4 BVFG auch dann
Spätaussiedler, wenn ihnen kein Aufnahmebescheid nach § 26 BVFG erteilt wurde.
28
Von der Erfüllung dieser Voraussetzungen kann aber nicht bereits deshalb
ausgegangen werden, weil der Kläger - möglicherweise - nach § 7 BVFG a.F. in der bis
zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung die Vertriebeneneigenschaft seiner Mutter
erworben hat. Diese Bestimmung leitet lediglich den bei einem Elternteil entstandenen
Status, nicht aber dessen Lebens- und Vertreibungsschicksal und die persönlichen
Volkszugehörigkeitsmerkmale auf das Kind über,
29
vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2003
30
- 5 C 44.01 -, NVwZ-RR, 601 f.; OVG NRW, Beschluss vom 8. März 2007 - 12 A 48/05 -,
31
so dass der Kläger nicht von der Erfüllung der nach § 100 Abs. 4 Satz 1 BVFG
maßgebenden sonstigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 oder des § 4 BVFG
befreit ist.
32
Im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Einreise im März 2000 erfüllte der Kläger nicht die
materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG. Hiernach ist
Vertriebener, wer nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vor dem 1.
Juli 1990 oder danach im Wege des Aufnahmeverfahrens vor dem 1. Januar 1993 die
dort genannten Gebiete (einschl. der ehemaligen Sowjetunion) verlassen hat oder
verlässt, es sei denn, dass er, ohne aus diesen Gebieten vertrieben und bis zum 31.
März 1952 dorthin zurückgekehrt zu sein, nach dem 8. Mai 1945 einen Wohnsitz in
diesen Gebieten begründet hat (Aussiedler). Der Kläger hat die ehemalige Sowjetunion
jedoch weder vor dem 1. Januar 1990 noch im Wege des Aufnahmeverfahrens vor dem
1. Januar 1993 verlassen.
33
Der Kläger erfüllte zu dem hier maßgebenden Zeitpunkt seiner auf Dauer angelegten
Aufenthaltsnahme in Deutschland auch nicht die Voraussetzungen des hier weiter in
34
Betracht zu ziehenden § 4 Abs. 1 BVFG,
vgl. zu dem für die Anwendung von § 4 BVFG maßgebenden Zeitpunkt: BVerwG, Urteil
vom 12. März 2002 - 5 C 45.01 -, BVerwGE 116, 119 ff.,
35
da er nicht deutscher Volkszugehöriger i.S.d. § 4 i.V.m. § 6 BVFG in der im
maßgebenden Zeitpunkt geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 5 Buchstabe b) des
Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BVFG a.F.), BGBl. I S.
2094, war.
36
Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG a.F. ist ein - wie der Kläger - nach dem 31.
Dezember 1923 Geborener deutscher Volkszugehöriger, wenn ihm die Eltern, ein
Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung,
Kultur vermittelt haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG a.F. bezogen auf das - nicht das Bekenntnis (§ 6
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG a.F.), sondern unmittelbar die Zugehörigkeit zum deutschen
Volkstum - bestätigende Merkmal Sprache, dass sie von den Eltern, einem Elternteil
oder anderen Verwandten grundsätzlich vom Säuglingsalter an bis zur Selbständigkeit
vermittelt worden ist. Sie muss nicht vorrangig vor anderen Sprachen vermittelt worden
sein. Es ist ausreichend, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die
Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Die
Kenntnis der deutschen Sprache im Zeitpunkt der Aus- bzw. Einreise ist zwar kein
Tatbestandsmerkmal, ihr kommt aber als Indiz für oder gegen eine frühere Vermittlung
deutscher Sprache Bedeutung zu.
37
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2000
38
- 5 C 44.99 -, BVerwG 112, 112 ff.; Urteil vom
39
12. März 2002 - 5 C 2.01 -, BVerwGE 116, 114 ff.
40
Es kann zu Lasten des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägers,
41
vgl. BVerwG. Urteil vom 27. Juli 2006
42
- 5 C 3.05 -, DVBl. 2007, 194 ff.,
43
nicht mit dem erforderlichen, vernünftige Zweifel ausschließenden Grad an
Wahrscheinlichkeit,
44
vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2006 - 5 C 3.05 -, a.a.O.,
45
davon ausgegangen werden, dass der Kläger bis zum Eintritt der Selbständigkeit die
deutsche Sprache in einem Umfang vermittelt bekommen hat, dass er sie wie die
Landessprache gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist.
46
So hat der Kläger im Rahmen seiner Klage gegen die Ablehnung der Erteilung eines
Aufnahmebescheides - VG Köln 4 K 1363/94 - selbst vorgetragen, zum Zeitpunkt der
Ausreise "ganz wenig Deutsch" gesprochen zu haben.
47
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 1998
48
- 2 E 320/97 -.
49
Dies wird bestätigt durch die Feststellung der Beklagten, wonach der Kläger bei seiner
Vorsprache in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in D. / Republik Moldau
am 20. Juli 1994 keinerlei Kenntnisse der deutschen Sprache gehabt hat. Diese
Umstände rechtfertigen schon für sich genommen den Schluss, der Kläger habe schon
bei Eintritt der Selbständigkeit, die in der Regel mit 16 Jahren erreicht wird - hier also im
Jahr 1978 -, keine hinreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache gehabt. Dass
dieser Schluss zutrifft, wird durch den weiteren Akteninhalt nachhaltig belegt. Bei der
o.g. Vorsprache hat der Kläger nämlich weiter erklärt, ihm sei von den Eltern die
russische Sprache vermittelt worden; Deutsch habe nur die Großmutter gelegentlich mit
ihm gesprochen. Außerdem hat die Mutter des Klägers auf die im Rahmen seines
Aufnahmeverfahrens geäußerte Bitte des Bundesverwaltungsamts vom 18. Februar
1992 um Angaben zur Pflege des deutschen Volkstums selbst ausdrücklich angegeben,
dass der Kläger bis zur Ausreise seiner Eltern in die Bundesrepublik Deutschland
(August 1991) mit diesen zusammengewohnt habe und seine Eltern mit ihm Deutsch
geredet hätten. Der Kläger würde jedoch nur "ganz wenig Deutsch" verstehen und
reden, da die deutsche Sprache nicht erlaubt gewesen sei.
50
Diese in sich schlüssigen Umstände stehen der im Schriftsatz vom 26. April 2007
aufgestellten Behauptung des Klägers entgegen, bis zur Ausreise seiner Eltern habe er
sich vor allem im Familienkreis und mit Freunden gut auf Deutsch unterhalten können.
Abgesehen davon, dass diese Behauptung nicht ohne weiteres den Schluss rechtfertigt,
der Kläger habe bis zum Eintritt der Selbständigkeit die deutsche Sprache in einem
Umfang vermittelt bekommen, dass er sie wie die Landessprache gesprochen hat, ist
die Behauptung des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägers auch aufgrund
der offen zutage liegenden Widersprüche nicht geeignet, dem Senat den für die
richterliche Überzeugungsbildung erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit zu
vermitteln. Angesichts dieser - auch mit Schriftsatz vom 4. Juli 2007 - nicht plausibel
aufgelösten Widersprüche kommt eine Beweiserhebung nicht in Betracht; angesichts
dessen drängt sich auch die Beiziehung der Vertriebenenakte der Mutter des Klägers
nicht auf.
51
Soweit der Kläger geltend macht, ihm sei auch die deutsche Kultur und die deutsche
Erziehung vermittelt worden, führt dies nicht weiter. Wie das beschließende Gericht
bereits in seinem Beschluss vom 12. Februar 1998 - 2 E 320/97 - ausgeführt hat, besteht
zwischen dem Bestätigungsmerkmal Sprache einerseits und den
Bestätigungsmerkmalen Erziehung und Kultur andererseits ein sehr enger innerer
Zusammenhang, weil Basis für die Erziehung eines Kindes sowie die Vermittlung einer
bestimmten Kultur regelmäßig die Sprache ist. Deutsche Erziehung und deutsche Kultur
können ohne eine gleichzeitige Vermittlung der deutschen Sprache nur unter
besonderen Umständen vermittelt werden.
52
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996
53
- 9 C 8.96 -, DVBl. 1997, 897.
54
Derartige besondere Umstände sind im vorliegenden Verfahren nicht dargelegt worden.
55
Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man unter Anwendung des
56
"Günstigkeitsprinzips",
vgl. BVerwG, Urteil vom 2. November 2000 - 5 C 1.00 -, ZFSH/SGB 2001, 348 f.,
57
auf § 6 BVFG in der bis zum 1. Januar 1993 geltenden Fassung abstellt, da im
vorliegenden Fall - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat und worauf zur
Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird - fehlende oder mangelhafte
deutsche Sprachkenntnisse der Annahme der Überlieferung des volksdeutschen
Bewußtseins entgegenstehen.
58
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 51.89 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 64;
Urteil vom 19. April 1994 - 9 C 343.93 -, DVBl. 1994, 938.
59
Soweit der Kläger geltend macht, auf das Bestätigungsmerkmal der Beherrschung der
deutschen Sprache komme es nicht an, weil mit seiner volksdeutschen Abstammung
bereits ein Bestätigungsmerkmal gegeben sei, wird verkannt, dass hier die - trotz des
angeblich permanenten Gebrauchs auch der deutschen Sprache durch die Eltern des
Klägers - fehlende Kenntnis und Beherrschung der deutschen Sprache der Annahme
entgegensteht, dass sich der Kläger mit dem Volkstumsbewußtsein seiner
volksdeutschen Eltern identifiziert hat, in die Bekenntnislage seiner Eltern
hineingewachsen ist und sich diese zu eigen gemacht hat, so dass es an dem
Nachweis der Identifikation mit der volksdeutschen Bekenntnislage seiner Eltern fehlt.
Eine Beherrschung der deutschen Sprache ist nach der vom Kläger selbst zitierten
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich dann nicht erforderlich, wenn
die innere Einstellung durch äußere Tatsachen belegt wird, die eine diesbezügliche
Überzeugungsbildung gestatten.
60
Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 19. April 1994
61
- 9 C 20.93 -, BVerwGE 95, 311 ff.; Urteil vom 13. Juni 1995 - 9 C 392.94 -, BVerwGE 98,
367 ff.
62
Dabei kann eine subjektive Übernahme volksdeutschen Bewußtseins nicht unbesehen
deshalb angenommen werden, weil der Spätgeborene - wie der Kläger - in einem
volksdeutschen Elternhaus aufgewachsen ist.
63
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1995
64
- 9 C 392.94 -, a.a.O.
65
An äußeren unmittelbaren oder mittelbaren Tatsachen, die dem Senat den
erforderlichen Grad an Gewissheit,
66
vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2006 - 5 C 3.05 -, NVwZ 2007,
224, m.w.N.,
67
für die subjektive Identifikation des Klägers mit dem Volkstumsbewußtsein der Eltern
vermitteln, fehlt es hier jedoch.
68
Voraussetzung für die Annahme einer derartigen Identifikation ist, dass sich ein aus
einer bestimmten Situation ergebendes konkretes aktives Einwirken des
69
volksdeutschen Elternteils auf das Kind feststellen lässt, das bei diesem hinsichtlich
seines Volkstums zu einem entscheidenden, bis zur Selbständigkeit fortwirkenden
Schlüsselerlebnis geführt hat.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 51.89 -, a.a.O. unter Bezugnahme auf
BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1986 - 9 C 6.86 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 47.
70
Ein derartiges Schlüsselerlebnis hat es, wie der Kläger selbst auf Seite 4 seines
Schriftsatzes vom 4. Juli 2007 ausgeführt hat, nicht gegeben.
71
Auch wenn man mit Blick auf das besondere Schicksal der deutschen Volksgruppe in
der Sowjetunion ein konkretes aktives Einwirken nicht für erforderlich hält,
72
vgl. BVerwG Urteil vom 13. Juni 1995
73
- 9 C 392.94 -, a.a.O.,
74
lassen die vom Kläger geltend gemachten Umstände (etwa das Feiern von
Weihnachten, Ostern, Pfingsten nach deutschem Brauch, die Kenntnis von
Weihnachtsgedichten und deutscher Küche, das Tragen kurzer Hosen mit Hosenträgern
sowie seine deutschen Eigenschaften wie Fleiß, Sauberkeit und Pünktlichkeit) nicht
erkennen, dass sie über die mit dem Aufwachsen in einem volksdeutschen Elternhaus
verbundene Hinnahme bestimmter Verhaltensweisen und Aneignung bestimmter
Eigenschaften hinaus Ausdruck des subjektiven Bewußtseins gewesen sind,
ausschließlich dem deutschen Volk als einer national geprägten Kulturgemeinschaft
anzugehören. Ebenso reicht das Vorbringen des Klägers, in dem Bewußtsein
aufgewachsen zu sein, zu der diskriminierten deutschen Volksgruppe zu gehören,
hierzu in Anbetracht der weiteren Gegebenheiten nicht aus.
75
Vgl. auch in diesem Zusammenhang BVerwG Urteil vom 13. Juni 1995 - 9 C 392.94 -,
a.a.O.
76
Im Gegenteil, der Umstand, dass der Kläger trotz des familiären Zusammenlebens mit
seinen Eltern bis zu deren Ausreise im Jahr 1991 und der jahrelang seitens sei-ner
Eltern auch gesprochenen deutschen Sprache offenbar keinerlei diesbezügliche
Aktivitäten gezeigt und diese Sprache erlernt hat, sondern nach der Aussage seiner
eigenen Mutter nur "ganz wenig Deutsch" verstanden und auch nur "ganz wenig
Deutsch" hat sprechen können, kennzeichnet nachdrücklich die fehlende subjektive
Identifikation mit dem deutschen Volkstum.
77
Angesichts dieser erkennbar nicht volksdeutschen subjektiven Bekenntnislage des
Klägers kommt auch dem Umstand, dass der Kläger in seinem Inlandspass mit
deutscher Nationalität eingetragen ist, keine den Rückschluss auf eine entsprechende
subjektive Bekenntnislage rechtfertigende Bedeutung zu, zumal nach dem damals
geltenden sowjetischen Passrecht dem Kläger aufgrund der volksdeutschen Nationalität
beider Elternteile kein Wahlrecht zustand. Eine etwaige Angabe der deutschen
Nationalität in der dem Pass zugrundeliegenden "Forma Nr. 1" stellt sich daher lediglich
als die Hinnahme der zwingenden rechtlichen Gegebenheiten dar.
78
Der Kläger hat mit seiner Einreise im März 2000 auch nicht i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG als
Abkömmling eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit Aufnahme gefunden.
79
Unter welchen Voraussetzungen eine Person i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG als Abkömmling
eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit Aufnahme gefunden hat, ist seit dem
In-Kraft-Treten der durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz geänderten Fassung des
Bundesvertriebenengesetzes am 1. Januar 1993 ebenfalls nach den Bestimmungen
dieses Gesetzes zu beurteilen. Personen, die - wie der Kläger - nicht selbst Vertriebene
deutscher Volkszugehörigkeit sind, können danach als Abkömmlinge eines
Vertriebenen nur noch dann Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland finden, wenn
sie Abkömmlinge eines Spätaussiedlers i.S.d. § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG sind (vgl. § 4
Abs. 3 Satz 2 BVFG). Die einschlägigen Bestimmungen des
Bundesvertriebenengesetzes stellen insoweit die in Art. 116 Abs. 1 GG dem
Gesetzgeber vorbehaltene gesetzliche Regelung für den Erwerb des Deutschenstatus
dar.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. April 2004 - 1 C 3.03 -, BVerwGE 120, 292 ff. m. w. N.
80
Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BVFG setzt der Erwerb der Eigenschaft eines Statusdeutschen
durch einen nichtdeutschen Abkömmling voraus, dass
81
? die Bezugsperson, von der der Abkömmling abstammt, Spätaussiedler i.S.d. § 4
BVFG ist,
82
? der Abkömmling in den der Bezugsperson erteilten Aufnahmebescheid gem. § 27 Abs.
1 Satz 2 BVFG einbezogen worden ist und
83
? im Geltungsbereich des BVFG Aufnahme gefunden hat.
84
Im vorliegenden Fall sind weder die bereits im August 1991 übergesiedelten Eltern des
Klägers Spätaussiedler i.S.d. § 4 BVFG noch ist ihnen ein Aufnahmebescheid erteilt
worden, in den der Kläger als Abkömmling nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG einbezogen
worden ist.
85
Auf die dem Kläger auf der Grundlage des § 22 AuslG 1965 im Rahmen des sog. D1-
Verfahrens erteilte ausländerrechtliche
86
- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2004
87
- 19 B 1396/02 -; ferner Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, 2. Aufl., Stand: Juni
1990, AuslG § 22 Anm. 3 -
88
Übernahmegenehmigung vom 11. Januar 1974, die Grundlage des ihm für die Einreise
im März 2000 erteilten Visums gewesen ist, kann sich der Kläger in diesem
Zusammenhang nicht mit Erfolg berufen. Gemäß § 100 Abs. 4 Satz 1 BVFG sind
Personen, die vor dem 1. Juli 1990 eine Übernahmegenehmigung des
Bundesverwaltungsamtes erhalten haben, nämlich nur bei Vorliegen der sonstigen
Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 oder des § 4 auch dann Spätaussiedler, wenn
ihnen kein Aufnahmebescheid nach § 26 erteilt wurde. Dies folgt aus der insoweit
eindeutigen und damit einer Auslegung nicht zugänglichen vertriebenenrechtlichen
Regelung des § 100 Abs. 4 Satz 1 BVFG. Der Kläger hätte deshalb - selbst wenn man
davon ausgeht, dass er aufgrund seiner Einbeziehung in die seinerzeit seinen Eltern
erteilte Übernahmegenehmigung ebenfalls i.S.d. § 100 Abs. 4 Satz 1 BVFG eine
Übernahmegenehmigung erhalten hat - in eigener Person die sonstigen
89
Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 oder des § 4 BVFG erfüllen müssen, um die
Eigenschaft als Spätaussiedler - und damit gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 BVFG die
Eigenschaft als Statusdeutscher - zu erlangen. Die sonstigen Voraussetzungen des § 1
Abs. 2 Nr. 3 oder des § 4 BVFG erfüllt der Kläger jedoch in eigener Person, wie oben
dargelegt, nicht.
Dass § 100 Abs. 4 Satz 1 BVFG entgegen seinem eindeutigen Wortlaut auch
Abkömmlinge erfasst, die - wie hier - eine ausländerrechtliche Übernahmegenehmigung
erhalten haben oder in eine solche nur einbezogen sind, jedoch in eigener Person die
Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 oder des § 4 BVFG nicht erfüllen, kann nicht
angenommen werden. Der Gesetzgeber ist vielmehr bei dem Erlass des
Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes davon ausgegangen, dass der weitaus größte Teil
der bisher begünstigten Angehörigen ohnehin selbst die Voraussetzungen für die
Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft erfülle.
90
Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 7. September 1992,
BT-Drucks. 12/3212, S. 27 (zu Nummer 33).
91
Aus diesem Grund wurde mit dem Erlass des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes auch
die bis dahin für die Zusammenführung getrennter Familien geltende Vorschrift des § 94
BVFG a.F. ersatzlos aufgehoben, zumal gerade der Nachzug von Familienangehörigen
eines Spätaussiedlers, der Deutscher i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG ist, bundeseinheitlich
über das seit dem 1. Januar 1991 in Kraft getretene Ausländergesetz (§ 23 Abs. 1 bis 3
sowie Abs. 4 i.V.m. § 22 AuslG) gesteuert werden sollte.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2000
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- 1 C 24.00 -, DVBl. 2001, 664 ff.
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Die mit dem Erlass des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes einhergehende qualitative
Zäsur und Neuausrichtung der Zuzugssteuerung - die dementsprechend einen
Rückschluss von der Funktion des mit dem Aussiedleraufnahmegesetz vom 28. Juni
1990, BGBl. I S. 1247, eingeführten § 105c BVFG a.F. auf § 100 Abs. 4 BVFG nicht
zulässt - und die dabei vorgenommene Beschränkung der vertriebenenrechtlichen
Privilegierung auf Inhaber von Übernahmegenehmigungen, die in eigener Person die
Voraussetzung des § 1 Abs. 2 Nr. 3 oder des § 4 BVFG erfüllen, bietet keinen Raum, die
im Rahmen des Art. 116 Abs. 1 GG maßgebende Bestimmung des Vertriebenenrechts,
hier § 100 Abs. 4 BVFG, entgegen seinem eindeutigen Wortlaut erweiternd auszulegen.
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Vgl. auch Bay VGH, Urteil vom 29. Juli 2004 - 5 B 02.956 -, juris.
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Soweit dieser Auffassung Entscheidungen des bisher zuständigen 19. Senats
entgegenstehen sollten, hält der nunmehr zuständige Senat hieran nicht mehr fest.
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Soweit der Kläger auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. August
2006 - 5 B 37/06 - hinweist, lässt sich hieraus für den vorliegenden Fall, insbesondere
für die Anwendung des § 100 Abs. 4 Satz 1 BVFG, nichts gewinnen. Denn, wie der
Kläger selbst vorträgt, ist der Kläger in dem vom Bundesverwaltungsgericht
entschiedenen Fall - anders als der Kläger im vorliegenden Fall - bereits vor dem 1.
Januar 1993 und damit vor dem Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes und
der Neufassung des BVFG in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die Frage, ob
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der Kläger im Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts als Vertriebener oder als
dessen Abkömmling Aufnahme gefunden hat, war danach gerade nicht nach den hier
maßgebenden, eine Neuordnung des Zuzugs bewirkenden Regelungen des
Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes und der Neufassung des BVFG zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit erfolgt gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 72 Nr. 1 GKG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 1
und 3 GKG.
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