Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.05.2006

OVG NRW: sri lanka, politische verfolgung, amnesty international, unhcr, regierung, wahrscheinlichkeit, staatliche verfolgung, zahl, ausreise, flüchtlingshilfe

Oberverwaltungsgericht NRW, 21 A 3940/04.A
Datum:
24.05.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
21. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 A 3940/04.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 19a K 4321/03.A
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten
werden nicht erhoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der am . 1980 in Jaffna geborene Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger tamilischer
Volkszugehörigkeit. Er beantragte am 27. Juni 2003 seine Anerkennung als
Asylberechtigter.
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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge - Bundesamt - am 27. Juni 2003 machte der Kläger folgende Angaben: Er
habe die Mittelschule bis zum Abschluss - 10. Klasse - besucht. Einen Beruf habe er
nicht erlernt. Nachdem er die Schule verlassen habe, habe er für die LTTE gearbeitet. Er
habe Benzin und Reifen von Jaffna in seinen Heimatort gebracht und dort an die LTTE
weitergegeben. Gleiches habe er mit Öl und Batterien gemacht. Es habe seinerzeit an
den Kontrollstellen keine Probleme gegeben, da er noch Schüler gewesen sei und in
Jaffna zur Schule gegangen sei. Auf dem Rückweg habe er dann die genannten Dinge
mit in seinen Heimatort gebracht. Dies habe er bis zum Jahre 1999 getan. Er habe einen
Militärausweis gehabt, auf dem "Schule" gestanden habe. Auch habe er einen
Militärpassierschein gehabt. Mit Hilfe dieser Ausweise habe er noch bis 1999 die Waren
ins Heimatdorf bringen können. Gelebt habe er von dem Verdienst seines Vaters bzw.
von Geld, das ihm die LTTE gegeben habe. Im Oktober 1999 sei er vom Militär
festgenommen worden. Man habe ihn vier Tage lang in einem Militärlager festgehalten.
Am 5. Tag sei er wieder freigelassen worden. Im Militärlager sei er gefragt worden, ob er
irgendetwas für die Organisation gemacht habe. Dies habe er verneint. Aufgrund dieser
Festnahme habe er ins Vanni-Gebiet gehen wollen. Unterwegs sei er in Thanankilappu
wiederum festgenommen worden. Es sei so gewesen, dass sie ihn dort am Ufer für
einen Tag festgehalten hätten. Am nächsten Tag sei er unter der Auflage, sich in dem
Militärlager bei seinem Heimatort zu melden, wieder freigelassen worden. Das habe er
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jedoch nicht getan. Weil er sich nicht zum Militärlager begeben habe, sei sein Vater von
den Sicherheitskräften mitgenommen worden. Sein Vater sei vier Tage lang inhaftiert
gewesen. Er - der Kläger - sei zusammen mit seiner Mutter zur EPDP gegangen und
habe dort mit einem Mitglied des Parlaments namens K. gesprochen und diesen
gebeten, für die Freilassung seines Vaters zu sorgen. Er sei dort aufgefordert worden,
für die EPDP zu arbeiten. Insgesamt habe er aber nur 40 Tage für diese Organisation
gearbeitet. Seine Aufgabe sei es gewesen, in seinem Heimatort gleich Bescheid zu
sagen, wenn die LTTE auftauche. Im Büro der EPDP habe er jeden Sonntag schriftlich
erklären sollen, wer von der LTTE alles in das Heimatdorf gekommen sei. Er habe dann
jeweils erklärt, dass weder Mitglieder noch Anhänger der LTTE gekommen seien. Dies
habe man ihm aber nicht geglaubt, weshalb er für zwei Tage festgehalten und
währenddessen geschlagen worden sei. Dienstags sei er dann laufen gelassen worden
mit der Aufforderung, am darauffolgenden Sonntag wiederzukommen und die Wahrheit
zu sagen. Dies habe sich im Jahr 2000 zugetragen. Die LTTE habe von seinen
Aktivitäten für die EPDP erfahren und ihm brieflich mitgeteilt, dass er nicht mehr für die
EPDP arbeiten dürfe. Danach habe die LTTE über das Radio verbreiten lassen, dass
die Einwohner des Heimatdorfes (Navatkuli) dieses verlassen sollten. Da er befürchtet
habe, mit beiden Seiten Probleme zu bekommen, sei er noch im Jahre 2000 in das
Vanni-Gebiet gegangen. Von dort aus sei er dann über Waldwege bis nach Vavuniya
und nachfolgend weiter nach Colombo gereist. Dort habe er Kontakt mit einem
Schlepper aufgenommen, der ihm geraten habe nach Dubai oder Saudi-Arabien zu
gehen. Da er keine Identity-Card gehabt habe, um einen Reisepass beantragen zu
können, habe er sich zu einem Friedensrichter begeben. Dieser habe eine polizeiliche
Bescheinigung gefordert. Im Februar 2000 sei er dann bei der Polizei vorstellig
geworden, um diese Bescheinigung zu erhalten. Tatsächlich sei ihm die Bescheinigung
am 8. Februar 2000 ausgehändigt worden. Damit sei er zum Friedensrichter gegangen.
Über den Friedensrichter habe er dann am 10. Februar 2000 einen Antrag auf
Ausstellung eines Personalausweises gestellt. Auf der Polizeiwache seien seine
gesamten Personalien aufgenommen worden. Anlässlich dieser Angaben habe die
Polizei Nachforschungen in Jaffna angestellt und herausbekommen, dass er vor der
EPDP geflohen sei. Er sei dann am 14. Februar 2000 von Geheimpolizisten
festgenommen worden. Ihm sei vorgeworfen worden, für die LTTE gearbeitet zu haben
und von der EPDP weggegangen zu sein. Während dieser Festnahme sei er
geschlagen worden. Am 3. März 2000 sei er wieder freigelassen worden. Dann sei er
erneut am 13. März 2000 festgenommen worden. Vom zuständigen Gericht sei er am 6.
Juni 2000 freigesprochen worden. Bei seiner Freilassung sei ihm gesagt worden, dass
er sich jeden Sonntag in Colombo bei der zuständigen Polizeiwache melden und eine
Unterschrift leisten solle. Außerdem sei ihm gesagt worden, dass er im August 2000, im
Oktober 2000 und im Januar 2001 noch mal zum Gericht kommen solle. Die Termine
August 2000 und Oktober 2000 habe er wahrgenommen. Er habe noch mehrfach vor
Gericht erscheinen müssen, weil sein Verfahren dort noch nicht abgeschlossen
gewesen sei. Die Termine habe er bekommen und wahrnehmen müssen, weil er sonst
immer wieder hätte festgenommen werden können. Er sei verdächtigt worden, wegen
der LTTE nach Colombo gekommen zu sein. Im Januar 2001 sei dann ein Cousin von
ihm von Jaffna nach Colombo gereist. Mit dessen Personalausweis sei er nach Jaffna
zurückgegangen. Dort habe er sich bis zum Jahre 2003 mit der Identity-Card von seinem
Cousin aufgehalten. Weder die EPDP noch die LTTE hätten gewusst, dass er wieder in
Jaffna gewesen sei. Am 15. Mai 2003 sei er dann vom Militär festgehalten worden. Dies
sei erfolgt, weil die EPDP Nachrichten über ihn an das Militär gegeben habe. Er gehe
davon aus, dass seine wahre Identität an die EPDP verraten worden sei. Vom Militär sei
er nicht geschlagen worden. Am 29. Mai 2003 sei er dann aus dem Büro in Jaffna ohne
Wissen der Militärs geflohen. Dies sei ihm aus folgenden Gründen möglich gewesen.
Um das Büro herum habe sich ein Zaun aus Palmenholz befunden. In diesem Zaun sei
ein Loch gewesen, wo normalerweise immer die Hunde hinein- und herauskröchen.
Durch dieses Loch sei ihm die Flucht gelungen. Es sei niemand dort gewesen, der auf
ihn aufgepasst habe. Zwar seien ein paar Leute dort gewesen, diese hätten sich aber
Videofilme angesehen. Ein anderer Junge habe für diese Leute kochen müssen. Diese
Gelegenheit habe er genutzt, um zu fliehen. Während der Haft sei es so gewesen, dass
sie tagsüber immer bewacht worden seien. Abends, wenn es dunkel geworden sei,
hätten sie Feuerholz holen sollen. Diese Gelegenheit habe er dann zur Flucht genutzt.
Nach der Flucht sei er sofort nach Hause gegangen. Da dieses im von der LTTE
kontrollierten Gebiet liege, habe die EPDP nicht dorthin kommen können. Von zu Hause
aus sei er dann später nach Colombo gegangen und ausgereist.
Von der EPDP sei er immer wieder freigelassen worden, weil er ihnen zugesagt habe,
für sie zu arbeiten. Nur die Polizei habe ihm nicht mehr geglaubt.
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Probleme bei der Ausreise aus Sri Lanka habe er dann nicht mehr gehabt. Er habe das
Jaffna-Gebiet am 1. Juni 2003 verlassen und sei dann mit einem Boot in das Vanni-
Gebiet gefahren und von dort noch am selben Tag mit einem Kleinbus nach Vavuniya
gelangt. Von Vavuniya aus sei er am 6. Juni 2003 mit einem Kleinbus nach Colombo
gefahren, wo er am 7. Juni 2003 angekommen sei. Dort habe er sich zunächst in einer
Lodge und später dann in einer vom Schlepper organisierten Wohnung aufgehalten. Am
12. Juni 2003 sei er dann von Colombo nach Bangkok geflogen. Dort habe er sich zehn
Tage lang aufgehalten. Am 22. Juni 2003 gegen 23.30 Uhr, sei er von Bangkok aus
nach Frankfurt am Main geflogen, wo er am 23. Juni 2003 um 6.30 Uhr in der Früh
angekommen sei. Er sei mit der Fluggesellschaft Thai-Airways nach Frankfurt geflogen.
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Mit Bescheid vom 19. August 2003 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers
ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen und forderte den Kläger unter
Fristsetzung und Abschiebungsandrohung zur Ausreise auf.
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Der Kläger hat am 29. August 2003 Klage erhoben. Die Klage hat er nicht schriftlich
begründet. In der mündlichen Verhandlung vom 6. August 2004 hat der Kläger sich
erklärt: Er habe bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt nicht alles gesagt. Er müsse
nunmehr Neues vortragen. Er sei zur Mitarbeit bei der LTTE gezwungen worden. Er sei
dann wegen des Verdachts aktiver Unterstützung für vier Tage festgehalten und in
einem Camp misshandelt worden. Er sei aufgefordert worden, Mitglieder der LTTE zu
verraten. Er habe LTTE-Mitglieder durch Kopfnicken identifizieren sollen. Er habe dann
Nicht-Mitglieder verraten, weil ihm versprochen worden sei, freigelassen zu werden.
Nach seiner ersten Festnahme sei er nach Colombo gegangen. Da er dort nicht habe
bleiben können, sei er mit einem Fischerboot in seine Heimat zurückgekehrt und dort
habe er sich wegen einer Fischereierlaubnis in einem Militärlager gemeldet. Dabei sei
er erneut nach LTTE- Aktivisten befragt worden. Er habe nichts gesagt. Deshalb sei sein
Vater mitgenommen worden. Danach sei er mit seiner Mutter zur EPDP gegangen.
Diese habe ihnen Hilfe für den Fall versprochen, dass er LTTE-Mitglieder verrate. Er sei
dann, nachdem er zwei verraten habe, freigelassen worden. Auch in der Folgezeit habe
er falsche Informationen über LTTE-Aktivisten abgegeben. Danach sei er wieder wegen
der Falschinformationen festgehalten und geschlagen worden. Er habe zugesagt, zu
Hause die Namen von LTTE-Aktivisten aufzuschreiben. Deshalb habe man ihn
freigelassen. Er sei dann mit einem Boot aus seiner Heimat geflohen. Über die Vanni-
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Region sei er nach Colombo gekommen. Ein Schlepper habe ihm gesagt, er bräuchte
Bescheinigungen von der Polizei für die Ausreise. Bei der Polizei habe er sich am 2.
Februar 2000 gemeldet und am 8. Februar 2000 einen Antrag gestellt. Während dieser
Zeit habe er sich in einer Lodge aufgehalten. Am 14. Februar 2000 sei er dann unter
dem Verdacht, ein LTTE-Spion zu sein, vom CID festgenommen worden. Dort habe man
ihn geschlagen. Nach einer Haft von einer Woche habe er Besuch von Mitgliedern einer
Menschenrechtsorganisation bekommen. Sie hätten dafür gesorgt, dass er in einem
Krankenhaus behandelt und ihm ein Anwalt zur Seite gestellt worden sei. Er sei dann
freigesprochen worden, weil die Sicherheitskräfte gemerkt hätten, dass eine falsche
Person verhaftet worden sei. Am 13. März 2000 sei er dann erneut festgenommen
worden und zwar im Zusammenhang mit Bombenanschlägen durch den Criminal
Brunch der Polizei. Während dieser Festnahme habe er erneut Namen nennen sollen.
Man habe ihn in eine Einzelzelle gesteckt. Dort sei er geschlagen worden. Besuch habe
er nicht erhalten dürfen. Kein Anwalt habe ihn besucht und auch ein Gerichtsverfahren
habe nicht stattgefunden. Während seiner Festnahme vom 15. bis 20. Mai 2000 sei er
nicht so (stark) misshandelt worden. Dann hätten ihn Leute vom ICRC im Krankenhaus
besucht. Dort habe er sich in der Psychiatrie befunden. Er sei mit Fußfesseln ans Bett
gekettet gewesen. Sicherheitskräfte hätten ihn dort befragt. Es sei dann zu einer
Gerichtsverhandlung gekommen. Direkt freigelassen habe man ihn nicht. Das alles sei
möglicherweise im Mai 2000 gewesen. Er sei dann erneut ins Gefängnis verlegt
worden. Dort habe man ihn wieder misshandelt. Am 6. Juni 2000 sei es dann zu einer
weiteren Gerichtsverhandlung gekommen, bei der sein Anwalt und er gesagt hätten,
dass er krank sei. Dies habe er wegen der Misshandlungen behauptet. Er habe auf
Anraten seines Anwalts seine Verletzungen gezeigt und gesagt, dass er nicht mehr in
ein staatliches Krankenhaus wolle. Deshalb sei er dann letztlich auch freigelassen
worden.
Nach Hinterlegung einer Bürgschaft und einer Kaution sei er dann freigelassen worden.
Um welches Gericht es sich in Colombo gehandelt habe und wer der Bürge gewesen
sei, könne er nicht sagen. Am 1. August und 17. Oktober 2000 sei er dann erneut bei
Gericht erschienen. Auch Anfang 2001 habe er dort erscheinen sollen. Er sei dann aber
nicht mehr dorthin gegangen. Vielmehr sei er mit der Identity-Card seines Cousins nach
Jaffna zurückgekehrt, wo er sich versteckt gehalten habe.
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Er habe sich bis Mai 2003 dann wieder in Malakam aufgehalten. Wegen der
Friedensverhandlungen habe er mit einem Schiff nach Colombo fahren wollen. An
einem Checkpoint sei er kontrolliert worden und wegen der falschen Identity-Card
festgenommen worden. Er sei wieder in das Lager in Navatkuli gekommen. Dort habe
man ihn fünf Tage festgehalten und misshandelt. Am 20. Mai 2003 seien dann EPDP-
Leute gekommen. Sie hätten ihn in Karainagar verhört. Dabei hätten sie ihm gedroht,
damit er LTTE-Mitglieder verrate. Man habe ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen
und ihn getreten. Man habe ihm gedroht, ihn nicht frei zu lassen, wenn er nicht
entsprechende Angaben mache. Er habe dort sieben bis acht Tage arbeiten müssen.
Dann hätten sie ihn in ein Büro in Jaffna gebracht, wo er LTTE-Mitglieder habe
identifizieren sollen. Am 28. Mai 2003 sei er dann mit einem Anderen geflohen. Er sei
am späten Nachmittag oder am Abend durch ein kleines Loch im Zaun des
Bürogebäudes geflohen. Der Andere habe ihm bei seiner weiteren Flucht geholfen. Auf
dieser Flucht sei er über Vavuniya nach Colombo gekommen. Dort habe er Kontakt zu
einem Agenten aufgenommen und zwar mit Hilfe seiner Fahrer. Als er in Negombo
angekommen sei, habe er Geld von einem Cousin aus England bekommen. Zu dem
habe er zuvor telefonisch Kontakt aufgenommen. Mit diesem Geld habe er nachfolgend
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die Fahrer und den Agenten bezahlt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger folgende
Unterlagen vorgelegt, die ihm erst nach seiner Einreise durch seinen Agenten
zugeschickt worden sein sollen: ICRC-Ausweis, Bescheinigung des International
Committee Red Cross vom 7. Juni 2000, Bescheinigung der Human Rights Comission
of Sri Lanka vom 4. Juli 2000 in Kopie, Bescheinigung des Private Medical Certificate of
Departement of Health Services vom 3. Juli 2000.
10
Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Inhalt im Einzelnen verwiesen wird, hat das
Verwaltungsgericht die Klage mit den Anträgen,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 19. August 2003 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten
anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
vorliegen,
12
hilfsweise,
13
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides zu verpflichten festzustellen, dass
Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG vorliegen,
14
abgewiesen.
15
Der Kläger schloss am 13. Juli 2005 die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen N. R.
C. . Zu diesem Zweck beantragte der Kläger auf Anraten der Stadtverwaltung der Stadt I.
bei der Botschaft Sri Lankas in C1. einen Nationalpass. Dieser wurde dem Kläger
bereits am 29. Dezember 2004 seitens der Botschaft ausgehändigt. Mit diesem Pass
reiste der Kläger zwischenzeitlich einmal zu Besuchszwecken nach England.
16
Auf Antrag des Klägers hat der Berichterstatter mit Beschluss vom 29. November 2005
gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - in Verbindung mit § 138 Nr. 3
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - die Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts zugelassen. Der Beschluss ist den Prozessbevollmächtigten des
Klägers am 5. Dezember 2005 zugestellt worden.
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Zur Begründung der Berufung hat der Kläger sein Vorbringen wie folgt begründet: Wie
bereits dargelegt sei er mehrfach unter dem pauschalen Verdacht der Unterstützung der
LTTE festgenommen und dabei erheblich misshandelt worden. Es handele sich
insoweit um eine asylrechtliche Vorverfolgung. Sie knüpfe an seine Volkszugehörigkeit,
an sein Alter sowie an seine Herkunft aus der Jaffna-Region an. Soweit er geltend
gemacht habe, Verfolgungsmaßnahmen auch durch Angehörige der EPDP aufgesetzt
gewesen zu sein, sei dieses Vorbringen ebenfalls asylrelevant, da es sich bei der EPDP
um eine tamilische Organisation handele, die sowohl damals in enger Abstimmung mit
den srilankischen Sicherheitskräften tätig gewesen sei als auch derartige Tätigkeiten bis
zum heutigen Tage entfalte. Deren Handeln sei demgemäß dem srilankischen Staat
zuzurechnen. Zudem wäre es nach der ausdrücklichen Einbeziehung nichtstaatlicher
Verfolgung in das Asylverfahrensgesetz seit dem 1. Januar 2005 auch unter diesem
Gesichtspunkt relevant.
18
In der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2006 ist der Kläger ergänzend zu seinen
19
Asylgründen befragt worden. Insoweit wird auf das hierüber gefertigte Protokoll Bezug
genommen. Aufgrund der mündlichen Verhandlung notwendig gewordene Ermittlungen
zu den vom Kläger benötigten Medikamenten ergaben, dass es sich dabei um
Allopurinol AL 300 sowie Diclofenac handelt.
Der Kläger beantragt,
20
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom
6. August 2004 (19a K 4321/03.A) und unter Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19. August 2003 zu
verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass in seiner
Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Staates Sri
Lanka vorliegen,
21
hilfsweise,
22
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60
Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich des Staates Sri Lanka vorliegen.
23
Die Beklagte beantragt,
24
die Berufung zurückzuweisen.
25
Die Erkenntnisse und Unterlagen, auf die die Beteiligten mit Schriftsatz vom 21. Februar
2006 hingewiesen worden sind, sowie die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 7.
Oktober 2002 an das Verwaltungsgericht Bremen, vom 31. August 1999 und vom 6.
Oktober 1999 an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, vom
21. Dezember 1998 an das Verwaltungsgericht Augsburg sowie die Sammlung von
Presseatikeln zur Situation in Sri Lanka, Gerichtsordner Sri Lanka VI, sind Gegenstand
der mündlichen Verhandlungen gewesen.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes (Beiakte
Heft 1) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
28
Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als
Asylberechtigter (I.) oder auf die Feststellung des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs.
1 AufenthG, das mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes - ZuwandG - vom 30. Juli
2004 (BGBl. I S. 1950) am 1. Januar 2005 an die Stelle des Abschiebungsverbotes nach
§ 51 Abs. 1 AuslG getreten ist (II.). Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf
Feststellung von sonstigen Abschiebungsverboten im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG, der § 53 AuslG ersetzt, ist ebenfalls unbegründet (III.).
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I. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, gemäß Art. 16a Abs. 1 GG
30
als Asylberechtigter anerkannt zu werden. Allerdings steht diesem Begehren nicht
bereits entgegen, dass der Kläger sich von der Botschaft Sri Lankas in C1. einen
Nationalpass hat ausstellen lassen und mit diesem nach England gereist ist (1.). Asyl
31
(2.) kann ihm vielmehr deshalb nicht gewährt werden, weil er unverfolgt ausgereist ist
(3.) und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG)
nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, bei einer Rückkehr nach Sri
Lanka politisch verfolgt zu werden (4.).
1. Einer Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 2 GG stehen die
Beantragung und Erteilung eines Nationalpasses sowie die Einreise mittels dieses
Passes nach Großbritannien nicht entgegen.
32
Eine analoge Anwendung des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG verbietet sich,
33
vgl. zur Vorgängervorschrift BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1987 - 9 C 277.86 -,
BVerwGE 78, 152, 155.
34
Die Beantragung und Verlängerung des Reisepasses hat im Fall des Klägers auch
keine Auswirkungen auf die im vorliegenden Verfahren zu treffende
Prognoseentscheidung. Dies könnte vorliegend nur angenommen werden, wenn der
Kläger dadurch zu erkennen gegeben hätte, dass er sich wieder dem Schutz des
Staates Sri Lanka - mittels des Nationalpasses gleichsam auf Vorrat - unterstellen will.
Tatsächlich hat der Kläger jedoch allein zur Erledigung einer administrativen
Angelegenheit bei einer deutschen Verwaltung den Pass besorgt. Eine erneute
Unterschutzstellung war der Beantragung des Nationalpasses daher bereits objektiv
nicht zu entnehmen. Auch subjektiv hat der Kläger sich erklärtermaßen nicht den
diplomatischen Schutz Sri Lankas sichern wollen. Allein zur Eheschließung mit einer
Deutschen will er den Nationalpass beantragt haben.
35
Dieser Annahme steht auch nicht die mit dem Nationalpass erfolgte Reise nach
England entgegen. Allein die Benutzung des Nationalpasses bei Einreisen in das
europäische Ausland besagt nicht, dass der Kläger sich bei Schwierigkeiten mittels
seines Nationalpasses des Schutzes des Staates Sri Lanka bedienen wollte. Vielmehr
spricht bei Asylbewerbern allgemein einiges dafür, dass sie sich bei Aufenthalten im
europäischen Ausland vordringlich auf ihren Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik
Deutschland berufen dürften. Im Fall des Klägers stand dies bereits deshalb zu
erwarten, weil er mit seiner deutschen Ehefrau reiste. Bestätigt wird diese Erwartung
durch den Umstand, dass der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland und nicht nach
Sri Lanka zurückkehrte.
36
Aus den vorgenannten Gründen steht auch die Besuchsreise nach England als solche
nicht einer Asylanerkennung entgegen.
37
2. Nach Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Eine Verfolgung ist
dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische
Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare
Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer
Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzen.
38
BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315
(333 ff.).
39
Die Rechtsverletzung, aus der der Asylbewerber seine Asylberechtigung herleitet, muss
40
ihm gezielt, d.h. gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale zugefügt worden
sein. Hieran fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen
Zustände in seinem Herkunftsstaat zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen,
Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner
Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen.
BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315
(335) m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (204 f.).
41
Die in diesem Sinne gezielt zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein,
die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt,
so dass der davon Betroffene gezwungen war, in begründeter Furcht vor einer
ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.
42
Das Grundrecht auf Asyl dient dem Schutz vor staatlicher politischer Verfolgung.
Verfolgungsmaßnahmen Dritter können deshalb nur dann einen Asylanspruch
begründen, wenn sie dem Staat zurechenbar sind. Eine asylrechtlich relevante
Verantwortlichkeit des Staates für Verfolgungsmaßnahmen Dritter ist anzunehmen,
wenn die Verfolgungsmaßnahmen auf Anregung des Staates zurückgehen oder doch
dessen Unterstützung oder einvernehmliche Duldung genießen.
43
BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341 (358);
Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, BVerfGE 76, 143 (169); BVerwG,
Urteil vom 22. April 1986 - 9 C 318.85 u.a. -, BVerwGE 74, 160 (162 f.); Urteil vom 15.
Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 (143); Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -,
BVerwGE 88, 367 (371).
44
Auch staatliche Maßnahmen, die der Rechtsordnung des Herkunftsstaates
widersprechen, sind dem Staat zurechenbar, sofern es sich nicht nur um vereinzelte
Exzesstaten von Amtswaltern handelt. Es bedarf allerdings verlässlicher Erkenntnisse,
die auf bloße Einzelexzesse hindeuten; anderenfalls bleibt das Handeln seiner
Sicherheitsorgane dem Staat zurechenbar.
45
BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 2003 - 2 BvR 134/01 -, DVBl 2003, 1260, im Anschluss
an BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315
(352).
46
Die Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG setzt voraus, dass dem Betroffenen in
eigener Person politische Verfolgung droht. Diese Gefahr eigener politischer Verfolgung
des Asylbewerbers kann sich auch aus gegen Dritte gerichtete Maßnahmen ergeben,
wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit
ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und
Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung).
47
BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 (231);
BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1989 - 9 C 33.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 105;
Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (202 f.).
48
Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist zunächst, dass die
festgestellten asylrechtsrelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in
Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende asylerhebliche Merkmal
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treffen. Denkbar ist sowohl eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung
begründende Gruppenmerkmal - etwa die Volkszugehörigkeit - als auch eine
Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zu Grunde liegt. Dies kann etwa der Fall sein,
wenn sich die Verfolgung zwar eigentlich gegen eine tatsächlich oder vermeintlich
separatistische Überzeugung richtet, der Staat aber einer ethnisch definierten
Bevölkerungsgruppe pauschal eine Nähe zu separatistischen Aktivitäten oder gar
generell deren Unterstützung unterstellt. Ein solcher pauschaler Verdacht kann eine
"Separatismus-Verfolgung" je nach den Umständen des Falles als "ethnische"
Gruppenverfolgung erscheinen lassen.
BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 - 2 BvR 1638/93 -, InfAuslR 1994, 105 (108);
BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (205); Urteil vom 30.
April 1996 - 9 C 170.95 -, BVerwGE 101, 123 (125).
50
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt darüber hinaus eine bestimmte
Verfolgungsdichte oder jedenfalls sichere Anhaltspunkte für das Vorliegen eines
staatlichen Verfolgungsprogramms voraus.
51
BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 (142 f.); Urteil vom 5.
Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (204 ff.); Urteil vom 30. April 1996 - 9 C
170.95 -, BVerwGE 101, 123 (125).
52
Für die Feststellung der erforderlichen Verfolgungsdichte ist die Gefahr einer so großen
Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich,
dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder
um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen
vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden
Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so
ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden
Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle
Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung,
die von Dritten ausgeht, und einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung sind
hinsichtlich der erforderlichen "Verfolgungsdichte" im Grundsatz gleich.
53
BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (203 f.); Urteil vom 19.
April 1994 - 9 C 462.93 -, Buchholz 402.25 AsylVfG § 1 Nr. 169; BVerfG, Beschluss vom
11. Mai 1993 - 2 BvR 2245/92 -, InfAuslR 1993, 304 (306).
54
Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung
rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe
der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung "zahlreicher" oder
"häufiger" Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich
für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist,
kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in
Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht
als Bedrohung der Gruppe darstellt.
55
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (206).
56
Wegen der prinzipiellen Überlegenheit staatlicher Machtmittel und ihres effektiven
Einsatzes zur Durchsetzung der jeweiligen Politikziele kann allerdings eine unmittelbar
57
staatliche Gruppenverfolgung schon dann anzunehmen sein, wenn zwar Referenz- oder
Vergleichsfälle durchgeführter Verfolgungsmaßnahmen zum Nachweis einer jedem
Gruppenmitglied drohenden Wiederholungsgefahr nicht im erforderlichen Umfang oder
überhaupt noch nicht festgestellt werden können, aber hinreichend sichere
Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung
bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (204).
58
Aus dem der Asylgewährung zu Grunde liegenden Zufluchtgedanken folgt, dass ein
Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nur dann besteht, wenn der
Asylsuchende in seinem Heimatstaat landesweit von politischer Verfolgung bedroht ist.
An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Betroffene zwar in Teilgebieten seines
Heimatstaates mit politischer Verfolgung in Form individueller oder gruppengerichteter
Verfolgung rechnen muss, wenn er aber in anderen Regionen vor derartiger Verfolgung
hinreichend sicher sein kann (inländische Fluchtalternative). Anlass zu näherer Prüfung
dieser Frage besteht immer dann, wenn der Heimatstaat des Asylbewerbers als ein so
genannter "mehrgesichtiger Staat" nur in Teilen seines Staatsgebiets zu dem Mittel der
politischen Verfolgung greift, etwa weil er nur dort seine Integrität bedroht sieht.
59
BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315
(342); Beschluss vom 22. Dezember 1994 - 2 BvR 168/94 -, NVwZ 1995, 1096 f.;
BVerwG, Urteil vom 10. Mai 1995 - 9 C 434.93 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 170.
60
Der Schutzbereich des Asylgrundrechts wird durch den so genannten
"Terrorismusvorbehalt" begrenzt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts genießt ein
asylsuchender Flüchtling den Schutz des Asylrechts nicht, wenn er von deutschem
Boden aus die Umsetzung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln betreibt. Dies gilt
selbst dann, wenn ihm in seinem Heimatland eine übermäßig harte oder aus anderen
Gründen menschenrechtswidrige Strafe oder etwa mit Folter verbundene Behandlung
droht. Ob ein Asylbewerber von diesem Terrorismusvorbehalt betroffen ist, beurteilt sich
insbesondere danach, inwieweit sein Handeln in der Bundesrepublik Deutschland
geprägt ist durch die Betätigung in oder für Organisationen, die die Durchführung oder
Unterstützung terroristischer Aktivitäten zum Ziel haben. Wird die Unterstützung
terroristischer Aktivitäten erst in Deutschland aufgenommen, ist eine besonders
sorgfältige Prüfung erforderlich, inwieweit das Handeln des Asylbewerbers im
vorstehenden Sinne insgesamt terroristisch geprägt ist. Maßgebend ist, ob das
Verhalten des Asylbewerbers bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände
des einzelnen Falles sich als aktive Unterstützung terroristischer Aktivitäten darstellt.
61
BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2000 - 2 BvR 1280/99 -, DVBl 2001, 66; Beschluss
vom 20. Dezember 1989 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 (145, 152 f.) unter
Bezugnahme auf den Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 - ,
BVerfGE 80, 315 (339 ff.); Beschluss vom 8. Oktober 1990 - 2 BvR 508/86 -, InfAuslR
1991, 18 (19 f.); Beschluss vom 25. April 1991 - 2 BvR 1437/90 -, InfAuslR 1991, 257
(260); BVerwG, Urteil vom 10. Januar 1995 - 9 C 276.94 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 175; Urteile vom 30. März 1999 - 9 C 31.98 -, BVerwGE 109, 1, - 9 C 23.98 -,
BVerwGE 109, 12, und - 9 C 22.98 -, BVerwGE 109, 25.
62
Die Konkretisierung dieser verfassungsimmanenten Schranke des Asylrechts findet
63
Ausdruck in § 60 Abs. 8 AufenthG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift bietet § 60 Abs. 1
AufenthG keinen Schutz vor Abschiebung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden
Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen
ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens
oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Unberührt hiervon bleibt allerdings ein
etwaiger Anspruch auf anderweitigen ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz nach §
60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, etwa vor drohenden Eingriffen in die Menschenwürde durch
Folter oder Todesstrafe.
Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter besteht nur dann, wenn der
Asylsuchende geltend machen kann, dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung
- § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - bei einer Rückkehr in sein Heimatland von politischer
Verfolgung bedroht wäre, wenn ihm also zu diesem Zeitpunkt die Rückkehr in die
Heimat nicht zugemutet werden kann. Für die danach anzustellende Prognose gelten
unterschiedliche Maßstäbe je nach dem, ob der Asylsuchende seinen Heimatstaat auf
der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen
hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im
erstgenannten Fall ist Asyl schon dann zu gewähren, wenn der Asylsuchende bei einer
Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (sog.
herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Hat der Asylsuchende sein Heimatland
jedoch unverfolgt verlassen, so kann sein Asylanerkennungsbegehren nach Art. 16a
Abs. 1 GG nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen
Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
64
BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 (360);
Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (344 ff.); BVerwG,
Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391.
65
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall der gewöhnliche
Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Denn der
Kläger ist im Jahr 2003 nicht als politisch Verfolgter aus Sri Lanka ausgereist. Er war vor
seiner Ausreise aus Sri Lanka nicht (mehr) von individueller politischer Verfolgung
betroffen oder bedroht (a), noch war er in der Gefahr, Opfer einer Gruppenverfolgung zu
werden (b).
66
a) Dem Vortrag des Klägers, bis Oktober 2000 von der LTTE, der EDPD und / oder dem
Militär politisch verfolgt worden zu sein, braucht dabei - ungeachtet seiner
Glaubhaftigkeit - nicht weiter nachgegangen zu werden, weil es an einem
Zusammenhang zwischen diesen geschilderten Vorfällen und der Ausreise fehlt. Der
Kläger hat von Oktober 2000 bis zu seiner Ausreise im Juni 2003 in Sri Lanka vielmehr
unbehelligt gelebt und zur Überzeugung des Gerichts Sri Lanka nicht aufgrund eines
relevanten politischen Verfolgungsdrucks verlassen.
67
Die Vorbringen des Klägers zu den Ereignissen zwischen Oktober 2000 und seiner
Ausreise im Juni 2003 sind widersprüchlich. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt
gab der Kläger an, dass seiner Ausreise eine Inhaftierung seitens des Militärs
vorausgegangen sein soll. Die EPDP findet dabei nur insoweit Erwähnung, als diese
Organisation den Militärs seine - des Klägers - wahre Identität verraten haben soll.
Ausdrücklich erklärte er, von den Militärs nicht geschlagen worden zu sein. Der
Inhaftierung will er sich durch Flucht durch ein Loch in einem Zaun, durch das
68
normalerweise Hunde hinein- und herauskröchen, entzogen haben. Bei der selben
Anhörung erklärte der Kläger aber auch, dass er abends, wenn es dunkel gewesen sei,
Feuerholz habe holen sollen und diese Gelegenheit zur Flucht genutzt habe. Bei seiner
Anhörung durch das Verwaltungsgericht gab er hingegen an, bei einer Kontrolle an
einem Checkpoint wegen der falschen Identity-Card festgenommen worden zu sein. Er
sei dann fünf Tage lang festgehalten und misshandelt worden. Dann will er von der
EPDP verhört worden sein. Deren Mitglieder sollen ihm auch gedroht und mit der Faust
ins Gesicht geschlagen sowie ihn getreten haben. Nach sieben bis achttägigem
Arbeitseinsatz will er dann aus einem Büro der EPDP durch ein Loch im Zaun geflohen
sein. Dies hat er auch im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21. März 2006
erklärt, dabei aber sein Vorbringen in Bezug auf die von ihm erlittenen Misshandlungen
sowohl seitens des Militärs als auch von Seiten der EPDP erheblich gesteigert
dargestellt. Dass er mit einem Mithäftling geflohen sein will, findet keine Erwähnung
mehr. Unsubstantiiert ist sein Vorbringen zum weiteren Geschehen bis zur Ausreise. So
bleibt unklar, wodurch - unterstellt die Flucht erfolgte zu zweit - der Mithäftling ihm bei
der weiteren Flucht nach Colombo geholfen haben soll, wie ihm bei der Suche nach
einem Agenten für die Ausreise Fahrer behilflich gewesen sind und wie es dazu kam,
dass er von seinem Cousin aus England Geld für die Ausreise erhielt, als er - auf der
Flucht befindlich - in Negombo angekommen ist.
Das Vorbringen des Klägers lässt im Weiteren auch nicht hinreichend hervortreten, dass
er zum Zeitpunkt seiner Ausreise in den unter staatlicher Kontrolle stehenden Gebieten,
insbesondere in Colombo, einer ihm unmittelbar drohenden politischen Verfolgung
ausgesetzt gewesen wäre. Eine etwaige Sorge, aufgrund der an seinem Körper
befindlichen Narben bei einem eventuellen Kontakt mit staatlichen Stellen große
Probleme zu bekommen, vermag daran nichts zu ändern. Denn im Juni 2003, als der
Kläger sein Heimatland verlassen hat, war - wie noch dargelegt werden wird - nicht mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Sicherheitskräfte in Sri Lanka
ohne Vorliegen anderer gewichtiger Verdachtsmomente allein aus dem Vorhandensein
von Narben einen aktuellen, konkreten LTTE-Verdacht herleiteten.
69
b) Der Kläger gehörte im Zeitpunkt seiner Ausreise auch keiner Gruppe an, deren
Mitgliedern Verfolgung drohte. Das Gericht hat die die Tamilen betreffenden
allgemeinen Verhältnisse in Sri Lanka bereits für Zeiträume, die vor der Ausreise des
Klägers liegen, in seinen rechtskräftigen Urteilen vom 23. November 2001 - 21 A
4018/98.A und 21 A 5185/98.A - und vom 29. November 2001 - 21 A 3853/99.A - wie
folgt bewertet: Die Verhältnisse in Sri Lanka tragen
70
"nicht die Schlussfolgerung auf eine der Bevölkerungsgruppe der Tamilen oder einer
vorliegend möglicherweise relevanten Untergruppe der Tamilen mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit seitens des srilankischen Staates drohende (Gruppen-)Verfolgung,
und zwar weder für das gesamte Land noch für einzelne Landesteile.
71
aa) Keine landesweite unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung
72
Eine allein ethnisch begründete und diesem Charakter entsprechend landesweite
staatliche (Gruppen-)Verfol-gung von Tamilen findet nicht statt (AA 07.07.1995 S. 1;
24.10.2001 S. 11; ai 28.09.1995 S. 3); auch landesweite allein ethnisch bedingte
Repressalien gegen Tamilen von Seiten der singhalesischen Bevölkerungs-mehrheit
sind selbst nach der LTTE zugeschriebenen Attentaten und Anschlägen sowie
verlustreichen Kämpfen im Norden ausgeblieben (AA 30.08.1996 S. 4; 24.10.2001 S.
73
17). Die Beeinträchtigungen, denen sich Tamilen ausgesetzt sehen, stehen im
Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen srilankischen
Kräften und der LTTE. Entsprechend den unterschiedlichen Ausprägungen dieses
bewaffneten, Überfälle und Terroranschläge auch außerhalb der Kampfgebiete
einschließenden Konflikts stellen sich die Auswirkungen auf die Lage der Tamilen in
den verschiedenen Gebieten Sri Lankas unterschiedlich dar. Im Einzelnen betrachtet
ergibt sich dabei für keinen Bereich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung durch den srilankischen Staat.
bb) Großraum Colombo und sonstige Bereiche des Südens und des Westens Sri
Lankas
74
Im Großraum Colombo und - in geminderter Weise - in den sonstigen Bereichen des
Südens und Westens Sri Lankas drohen Tamilen zwar Beeinträchtigungen. Diese
erreichen aber weithin nicht die Eingriffsintensität, die für eine asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigung erforderlich ist, oder es mangelt ihnen an der notwendigen
Gerichtetheit oder sie sind dem srilankischen Staat nicht zuzurechnen; soweit diese
einer Asylberechtigung entgegenstehenden Gesichtspunkte nicht eingreifen, fehlt es an
der Verfolgungsdichte.
75
(1) Identitätsfeststellung und Verhaftung
76
Angehörige der tamilischen Volksgruppe müssen damit rechnen, einer
Identitätsüberprüfung unterzogen und zu diesem Zweck verhaftet zu werden. Im
Großraum Colombo finden routinemäßig und anlassbedingt umfangreiche Kontrollen
und groß angelegte Razzien statt, die zu Inhaftierungen und Verhören von Personen
führen, die sich nicht ausweisen oder keine zufrieden stellende Erklärung über den
Zweck ihres Aufenthalts geben können (AA 16.01.1996 S. 7; 11.03.2001 S. 10;
24.10.2001 S. 12; KK 22.02.1997 S. 4; Wingler 08.10.1997 S. 31). Von diesen
Maßnahmen - die vor allem im Zusammenhang mit den wiederholten Bombenattentaten
zu sehen sind, zu denen es seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensgespräche
zwischen der Regierung und der LTTE und dem Wiederausbruch der offenen
Kriegshandlungen im Norden Sri Lankas seit April 1995 immer wieder kommt - sind in
erster Linie jüngere Tamilen beiderlei Geschlechts im Alter zwischen etwa 15 bis 40
Jahren, aber auch Tamilen anderer Altersgruppen betroffen (AA 24.10.2001 S. 12; ai --
.06.1999, Länderkurzbericht, S. 3; KK 04.01.1996 S. 54; Südasien 1/00; Wingler --
.05.2000 S. 1). Schätzungen über die Anzahl der von anlassbezogenen
Massenverhaftungen Betroffenen belaufen sich - bezogen auf kurze Zeiträume - schon
bei einzelnen Vorkommnissen auf mehrere Hundert oder gar tausende Personen (AA
05.06.2000 S. 16; KK 04.01.1996 S. 55; 13.05.1996 S. 3; 20.03.1998 S. 2 ff.; Wingler
31.05.1998 S. 27, 33). So haben auch in jüngerer Zeit verschiedene der LTTE
zugerechnete Anschläge (u.a. Bombenattentat auf Staatspräsidentin Kumaratunga und
Bombenanschlag bei einer Wahlveranstaltung einer Oppositionspartei am 18.
Dezember 1999 mit zusammen über 30 Toten; Bombenanschlag in der Nähe des
Amtssitzes der Premierministerin am 5. Januar 2000 mit 11 Toten; Bombenanschlag in
der Nähe des Parlaments im März 2000) zu verstärkten Personenüberprüfungen und
Razzien geführt, in deren Verlauf mehrere Tausend Tamilinnen und Tamilen
festgenommen wurden (AA 18.04.2000 S. 2: etwa 3.000 Personen in den vergangenen
Monaten; AA 24.10.2001 S. 12; KK 29.02.2000 S. 3 f.: schätzungsweise bis zu 10.000
Personen allein im Januar bis Mitte Februar 2000; ferner ai 23.02.2000
99.134> S. 4). Aktuell hat sich die Lage in Colombo ab der zweiten Jahreshälfte 2000
77
eher entspannt. Die Anzahl der Überprüfungsmaßnahmen ist im Vergleich zur ersten
Jahreshälfte 2000 zurückgegangen. Der Bombenanschlag vor dem Rathaus von
Colombo im Oktober 2000 hat keine Massenverhaftungswelle oder Razzien gegen
Tamilen ausgelöst (AA 26.01.2001 S. 7; Wingler --.04.2001 S. 3 f.). Auch nach dem
Anschlag auf den Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden
internationalen Flughafen am 24. Juli 2001 ist es zu einer weit geringeren Anzahl
kurzfristiger Festnahmen gekommen als bei vergleichbar schweren Anschlägen auf
Einrichtungen bzw. Personen in Colombo in der Vergangenheit (AA 24.10.2001 S. 6, 12
und 24).
Den vorbezeichneten Maßnahmen fehlt es an der erforderlichen Eingriffsintensität von
Akten der politischen Verfolgung, und zwar auch dann noch, wenn sie - wie in der weit
überwiegenden Zahl - in kurzzeitige Inhaftierungen münden und es dabei zu keinen
anderweitigen asylerheblichen Rechtsgutverletzungen kommt. Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung sind herkömmlicher und üblicher Bestandteil der präventiven und
repressiven Tätigkeit staatlicher Sicherheitskräfte im Rahmen der Kriminalitäts- und
Terrorismusbekämpfung. Sofern eine sofortige Identifizierung nicht möglich ist, sind
auch kurzfristige Festnahmen zu diesem Zweck in der Staatenpraxis geläufig, sodass in
solchem Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit der die
politische Verfolgung ausmachende Charakter einer Ausgrenzung des Betroffenen aus
der staatlichen Friedensordnung fehlt. Ab welcher Dauer kurzfristige Inhaftierungen zum
Zwecke der Identitätsfeststellung eine asylrechtsrelevante Intensität erreichen, hängt
maßgeblich von den im betrachteten Staat herrschenden Verhältnissen ab,
insbesondere von der Verwaltungsstruktur, den vorhandenen
Kommunikationsmöglichkeiten und der jeweiligen Sicherheitslage. In einem Land wie
Sri Lanka, in dem in Teilen Bürgerkrieg herrscht und die Sicherheitskräfte im Übrigen
landesweit, insbesondere im hier betrachteten Landesteil mit einer Vielzahl
gemeingefährlicher Terroranschläge konfrontiert sind, ist Inhaftierungen mit einer
überschaubaren Dauer von jedenfalls nicht mehr als zwei Tagen ohne zusätzliche
Rechtsgutverletzungen eine die Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung
bewirkende Intensität und Schwere abzusprechen. Dem Aspekt der
Mehrfachverhaftungen derselben Personen (KK 20.03.1996 S. 5; Wingler 08.10.1997 S.
32; ai 16.01.2001 S. 6; European Union, The Council - EU - 25.06.2001 S. 32) kommt,
da nichts dafür ersichtlich ist, dass sie gezielt erfolgen, keine den jeweiligen Eingriff
prägende Bedeutung zu. Insofern ist auch nicht ersichtlich, dass die Dauer der
Inhaftierungen in einer nennenswerten Zahl von Fällen über das für die
Identitätsfeststellungen (jeweils) Erforderliche hinausgeht oder in ihrer Summe ein
solches Ausmaß erreicht, dass gleichwohl ein "Umschlagen" in asylerhebliche
Verfolgung festzustellen ist.
78
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, BVerwGE 111, 334 (337) = NVwZ
2000, 1426 (1427).
79
(2) Inhaftierung länger als zwei Tage
80
Auch die Fälle, in denen die Inhaftierung länger als zwei Tage andauert, tragen nicht
den Schluss, dass die Bevölkerungsgruppe der Tamilen insgesamt oder eine vorliegend
relevante Untergruppe davon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung
ausgesetzt ist. In den Auskünften wird die Größenordnung dieser Fälle seit Jahren im
Wesentlichen auf bis zu etwa 10 v.H. geschätzt (bis zu 10 v.H. länger als 1 oder 2 Tage,
1 v.H. länger als 1 Woche AA 03.03.1994 S. 2, 30.05.1997 S. 2, 27.07.2000 an VG
81
Neustadt S. 3; 11.03.2001 S. 10 und 24.10.2001 S. 12; 10 v.H. KK 04.01.1996 S. 56, 62
f., 75; 13.05.1996 S. 3 und 14.10.1996 S. 3; 10 bis 20 v.H. Wingler --.05.1995 S. 23;
weniger als 20 v.H. ai --.06.1999, torture in custody, S. 9), zum Teil aber auch niedriger
(5 v.H. Schweizerische Flüchtlingshilfe --.04.1994 S. 10, 4 v.H. Wingler 08.10.1997 S.
32 bzw. über 100 von 5.000 Wingler 31.05.1998 S. 27, 28). Dem steht die Mitteilung von
amnesty international, der überwiegende Teil von 1.500 am 6./7. Januar 2000 in
Colombo Verhafteten sei nach einer Meldung der "NZZ vom 10.02.2000" am 28. Januar
2000 wieder auf freien Fuß gesetzt worden (ai 16.01.2001 S. 1), nicht entgegen. Hierbei
handelt es sich um eine Fehlmeldung von amnesty international. Die Aussage bezieht
sich als Referenzquelle ersichtlich auf den Bericht der benannten NZZ vom 10. Januar
2000, dem zu entnehmen ist, dass die srilankische Polizei von den 1.500 Verhafteten
mindestens 329 Personen noch am Tag der Festnahme und mehr als 1.200 Personen
am nächsten Tag, dem 8. Januar 2000, auf freien Fuß gesetzt hat. Bei den Maßnahmen
Ende Dezember 1999/Anfang des Jahres 2000 sollen über 98 v.H. der mit auf die
Wache genommenen Personen innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden wieder auf
freien Fuß gesetzt worden sein (AA 18.04.2000 S. 2).
Von den etwa 10 v.H. der insgesamt über zwei Tage hinaus Festgehaltenen bleiben
etwa die Hälfte länger als drei Tage in Haft (KK 04.01.1996 S. 75), über eine Woche
hinaus etwa jeder Zehnte (AA 10.03.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 12). Auch wenn bei groß
angelegten Sicherheitsüberprüfungen mitunter Tausende festgenommen und hiervon
jeweils Hunderte länger als zwei Tage fest gehalten werden, kann nach der absoluten,
gemäß den Auskünften durchgängig jedenfalls nicht über 2.000 hinausgehenden
Gesamtzahl der Inhaftierten die Haftdauer in einer beträchtlichen Zahl von Fällen die
Zeit von zwei Tagen jedenfalls nicht wesentlich überschreiten.
82
Die Anzahl der wegen Verdachts auf LTTE-Verbindungen nach den Sondergesetzen
zur Terrorismusbekämpfung für längere Zeit in Haft Befindlichen wird für Ende 1995 mit
landesweit zwischen 400 bis 500 Personen und im Großraum Colombo mit 225
Personen angegeben (AA 16.01.1996 S. 8; KK 04.01.1996 S. 66). Nach dem Bericht
einer Menschenrechtsorganisation sollen landesweit ständig zwischen 1.000 und 1.500
tamilische Volkszugehörige inhaftiert sein, ohne dass diese Aussage auf längerfristige
Inhaftierungen beschränkt ist (KK 14.10.1996 S. 3, 24.02.1997 S. 3). In neuerer Zeit wird
die Zahl allein für den Süden bzw. den Bereich Colombo mit weit über oder etwa 1.000
(Wingler 08.10.1997 S. 41, 30.01.1998 S. 12, 30.09.1998 S. 6) bzw. über 2.000 (Wingler
12.12.1997 S. 1) angegeben und landesweit auf bis zu 2.000 (AA 21.08.1997 S. 2;
24.10.2001 S. 24; Wingler --.05.2000 S. 3; Busch 02.11.2000 S. 6, US State Department
--.02.2001 S. 8; ai 08.03.2001 S. 2 unter Hinweis auf US State Department --.02.2001)
geschätzt.
83
Für die Frage, ob dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung droht, haben diese Zahlenangaben allein keinen Aussagewert. Es greift zu
kurz, von einer zwei Tage überschreitenden Dauer einer Inhaftierung, der keine im
Einzelfall bestehenden konkreten Anhaltspunkte für den Verdacht der Beteiligung an
oder des Wissens um terroristische Aktivitäten zu Grunde liegen, auf den Charakter als
politische Verfolgung zu schließen. Ob eine an asylerhebliche Merkmale anknüpfende,
zielgerichtete Verfolgung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals
erfolgt, ist vielmehr anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren
Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu bestimmen. Dafür, dass dies bei den hier in Rede
stehenden Inhaftierungen in maßgeblichem Umfang der Fall ist, fehlt es an
ausreichendem Anhalt. In allen angesprochenen Stellungnahmen wird ein
84
Zusammenhang der Verhaftungsaktionen im Großraum Colombo mit den terroristischen
Aktivitäten der LTTE im Süden und Westen hergestellt. Die Verhaftungsaktionen sind in
jedenfalls prägender Weise objektiv darauf gerichtet, die Infiltration von LTTE-
Terroristen aus dem Norden und Osten des Landes abzuwehren. Insofern wird auf die
für die Sicherheitskräfte entscheidenden Kriterien für die Freilassung wie etwa den
Besitz von Papieren zum Identitätsnachweis, einen langjährigen Wohnsitz am Ort der
Kontrolle, eine gesicherte familiäre und wirtschaftliche Existenz, eine feste Arbeitsstelle
oder einen sonstigen plausiblen Grund für den Aufenthalt verwiesen (AA 16.01.1996 S.
8 f.; 24.10.2001 S. 12; ai 23.02.2000 S. 4; EU 02.04.1997 S. 10; KK
02.09.1997 S. 1); auch führt im Normalfall eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, die
die Polizei bei den Sicherheitsbehörden einholt, zu einer schnellen Haftentlassung (KK
04.01.1996 S. 68). Selbst Inhaftierungen von mehr als einer Woche, die srilankische
Menschenrechtsorganisationen "bei einer substantiellen Anzahl von Personen"
feststellen, werden außer auf den Aspekt der Erwartung von Bestechungsgeld auf die
Überprüfungen und deren schleppende Durchführung bei Einschaltung verschiedener
Sicherheitsstellen zurückgeführt (Südasien 6/97 S. 8). Schließlich weist auch der
Umstand, dass der weit überwiegende Anteil der zunächst Festgenommenen alsbald
wieder freigelassen wird, auf eine über die Tatsache der Zugehörigkeit zur Gruppe der
Tamilen - auch eines bestimmten Alters und Geschlechts - hinausgehende Prüfung
anhand zusätzlicher Kriterien und damit darauf hin, dass der Grund einer Fahndung
nach LTTE-Angehörigen für die Verhaftungen nicht lediglich vorgeschoben ist. Die
erörterten Maßnahmen betreffen zwar gerade und nahezu ausschließlich Tamilen, sie
bezwecken aber nicht die Schlechterstellung dieser Volksgruppe als solche, sondern
dienen der Abklärung von LTTE-Verbindungen und der Verhinderung weiterer
Straftaten. Dass der staatliche Zugriff zwangsläufig Tamilen trifft, ist rein faktischer Natur
ohne Aussagegehalt für die objektive Gerichtetheit im Sinne der politischen Verfolgung.
Bei der Beurteilung, welche Umstände als hinreichend anzusehen sind, um über die
Dauer von zwei Tagen hinausgehende Inhaftierungen von tamilischen
Volkszugehörigen wegen fehlender Gerichtetheit der Maßnahmen auf asylerhebliche
Merkmale aus dem Bereich der politischen Verfolgung auszuklammern, ist darüber
hinaus die Intensität der abzuwendenden Gefahr maßgeblich einzustellen. Insofern ist
zu berücksichtigen, dass die Terroranschläge, die von der LTTE verübt oder ihr
zugerechnet werden, darauf angelegt sind, unter Inkaufnahme einer Vielzahl
unbeteiligter Opfer und erheblicher Sachschäden die Sicherheitslage nachhaltig zu
erschüttern, für anderweitige Erfolge der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die LTTE
Rache zu nehmen und Sicherheitskräfte außerhalb des eigentlichen Kampfgebietes zu
binden. Dies gilt beispielsweise für die Anschläge auf Treibstofflager im Oktober 1995,
auf die Zentralbank im Januar 1996, auf einen Vorortzug im Juli 1996, auf das
Handelszentrum im Oktober 1997 und auf den Zahntempel in Kandy im Januar 1998
(AA 24.10.2001 S. 6) sowie für folgenschwere Explosionen in der Nähe des
Hauptquartiers der Luftwaffe im Februar 1998 und eines Bahnhofs im März 1998
(Wingler 31.05.1998 S. 39), ferner für die bereits oben angesprochenen
Bombenanschläge in den Jahren 1999 bis 2001, insbesondere den Anschlag auf den
Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden internationalen Flughafen am
24. Juli 2001 sowie zuletzt den Anschlag auf den srilankischen Premierminister am 29.
Oktober 2001 (SZ vom 30.10.2001). Der Druck auf die staatlichen Stellen, dem zu
begegnen, ist nicht zuletzt deshalb ganz erheblich, weil bei einer Destabilisierung zu
besorgen ist, dass es über die unmittelbare Rechtsgutbeeinträchtigung hinaus erneut zu
ausgreifenden Unruhen und Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen kommt.
Die Ausführung der Anschläge durch Selbstmordkommandos oder entsprechende
85
Einzeltäter, zumindest durch Täter, die ihr Leben zu riskieren bereit sind, zwingt dazu,
dem möglichen Umfeld des Täterkreises, der - wie die Ziele der Anschläge, die
Durchführung und das verwendete Material zeigen - der Vorbereitung und Unterstützung
bedarf, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Spannweite möglicher Ziele der
Terroranschläge lässt vorbeugende Maßnahmen dabei generell als schwierig
erscheinen. Dieses hohe und schwer einzudämmende Gefahrenpotential sowie die
nicht zuletzt durch den Bürgerkrieg in Teilen des Landes und die Fluktuation der
Bevölkerung bedingten Schwierigkeiten schon bei der Abklärung der Identität
Festgenommener sind geeignet, auch Inhaftierungen von mehr als zwei Tagen wegen
mangelnder Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale den Charakter einer politischen
Verfolgung zu nehmen, wenn und solange die Identität des Betroffenen nicht geklärt ist
und/oder Zweifel an den Gründen für den Aufenthalt im Großraum Colombo vorliegen.
Anderes kann dann gelten, wenn die staatlichen Aufklärungsmaßnahmen zur
Terrorismusbekämpfung, die ohne konkrete Verdachtsmomente zunächst lediglich an
asylerhebliche Merkmale wie etwa die Volkszugehörigkeit anknüpfen, über das
angemessene Maß hinausgehen. Insbesondere bei einer übermäßig langen
Freiheitsentziehung kann dies anzunehmen sein. In diesem Fall spricht eine Vermutung
dafür, dass sie nicht nur der Terrorismusabwehr dienen, sondern den Einzelnen
zumindest auch wegen seiner asylrechtlichen Merkmale treffen und deshalb politische
Verfolgung darstellen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, a.a.O. S. 341.
86
Anhaltspunkte dafür, dass es dazu - über Einzelfälle hinaus - kommt, lassen sich aus
dem bereits gewürdigten Zahlenmaterial nicht gewinnen. Ergänzend wird auf die
nachfolgenden Ausführungen zu (4) verwiesen.
87
(3) Bestechungsgeld
88
Die Inhaftierungen erlangen den Charakter der politischen Verfolgung auch nicht
dadurch, dass - wie es verbreitet geschieht - Festnahme und Verzögerung der
Freilassung erfolgen, um Lösegeld zu erpressen (KK 04.01.1996 S. 56, 14.10.1996 S. 4,
12.03.1999 S. 5; Wingler 01.11.1995 S. 10 - danach geschieht dies "fast schon
routinemäßig" -, Wingler 08.10.1997 S. 33) oder das Angebot von Bestechungsgeld
abzuwarten (Südasien 6/97 S. 8); soweit es sich dabei nicht von vornherein um
Übergriffe ohne asylerheblichen Charakter handelt -
89
vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1997 - 9 B 882.97 -, S. 3 -,
90
fehlt es, da nur Gelegenheiten ausgenutzt werden, an der erforderlichen Gerichtetheit
des kriminellen Tuns.
91
(4) Misshandlungen während der Inhaftierung und widerrechtliche Langzeitinhaftierung
92
Dass es bei den Inhaftierungen über den Freiheitsentzug - unter den in Sri Lanka dabei
gegebenen Verhältnissen (AA 24.10.2001 S. 25; KK 28.03.2000 S. 5 f.; 31.07.2001 S. 7;
02.08.2001 S. 6) - hinaus allgemein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Maßnahmen
kommt, die den Schluss auf eine gezielte Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale begründen, lässt sich dem vorliegenden Auskunftsmaterial,
das alles an Informationen aufgegriffen hat, was zur Verfügung stand oder beschafft
werden konnte, nicht entnehmen. Fälle von Folter bei kurzfristig, insbesondere zur
93
Identitätsabklärung Verhafteten werden nur vereinzelt berichtet (ai --.06.1999, torture in
custody, S. 9; 01.03.1999 S. 4). Die Gefahr von Folter nimmt jedoch bei längeren
Inhaftierungen zu (ai 01.03.1999 S. 2); vor allem bei Inhaftierungen wegen eines
konkreten und individualisierten LTTE- Verdachts muss mit Folter gerechnet werden
(AA 12.07.1995 S. 2: "besonders gelagerte Einzelfälle"; 24.10.2001 S. 21: "schwer
wiegende Verstöße kommen aber weiter vor"; 27.07.2000 an VG Arnsberg S. 2 f.; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 8 f.; 01.03.1999 S. 4; KK 20.03.1996 S. 9; 22.06.1999,
Anlage Forum for Human Dignity 12.01.1999; Wingler 11.10.1995 S. 2; 08.10.1997 S.
33; 30.09.1998 S. 3, 4; 27.05.1999 S. 3 f.: "immer noch" bzw. "weiterhin" sowie --
.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR -- .07.1998 S. 2: Fälle von Folter geben Anlass zu großer
Besorgnis). Insoweit sind Misshandlung und Folter vor allem bei Verhören durch die
Spezialeinheiten zur Terrorismusbekämpfung (u.a. 4. und 6. Stock des CID
Headquarters, die Special Police Branch [früher: Security Coordinating Division] und
das Terror Investigation Department) zu besorgen. Diesen Einheiten werden regelmäßig
führende LTTE- Kader oder sonstige LTTE-Aktivisten überstellt, gegen die konkrete
Verdachtsmomente hinsichtlich der Beteiligung an Terroranschlägen bestehen (AA
27.07.2000 an VG Neustadt S. 4; 15.03.2001 S. 3; 24.10.2001 S. 11 und 24; KK
31.07.2001 S. 5). Im Übrigen kommen Berichte über Fälle von Folter und Tod in Haft
zumeist aus den nördlichen und östlichen Gebieten, in denen Auseinandersetzungen
mit der LTTE stattfinden (Wingler 12.10.2000 S. 1; --.04.2001 S. 1 ff.; KK 28.03.2000).
Insgesamt ist in den letzten Jahren gegenüber der früheren Praxis der Sicherheitskräfte
eine Verringerung der Gefahr von Verhören unter Folter festzustellen (AA 24.10.2001 S.
21). Das ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Regierung
Kontrollmechanismen gegenüber den weit gehenden Befugnissen der Sicherheitskräfte
geschaffen hat (UNHCR 25.04.1997 S. 3). Das Problem der Folter wird - anders als
früher (dazu AA 23.06.1992 S. 8 f.; 12.01.1993 S. 1) - nach der Umsetzung der
Konvention gegen Folter in nationales Recht seit 1994 angegangen. Sie kann mit
erheblicher Gefängnis- und Geldstrafe geahndet werden; zudem unterliegen die
Verantwortlichen disziplinarischen Maßnahmen und können zu
Entschädigungsleistungen verurteilt werden (AA 24.10.2001 S. 22; ai --.06.1999, torture
in custody, S. 4 ff.). Zur Verringerung der Gefahr von Folter und einer ungerechtfertigten
Verlängerung der Haftdauer sahen die in der Vergangenheit in unterschiedlichem
Umfang und ab dem 4. August 1998 - mit Verhängung des Ausnahmezustandes für das
gesamte Land - zunächst wieder landesweit geltenden Bestimmungen des
Notstandsrechts, "Emergency Regulations - ER -" (AA 24.10.2001 S. 7), vor, dass -
jeweils binnen 24 Stunden - von der Armee Festgenommene der nächstgelegenen
Polizeistation zu überstellen waren - was im Allgemeinen beachtet wurde (US State
Department --.02.2001 S. 7) - und dass Festnahmen durch die Polizei dem
"Superintendent of Police" des Bezirks gemeldet werden mussten (AA 06.04.1998 S.
10; 28.04.2000 S. 21). Spätestens nach 48 Stunden mussten die Festgenommenen dem
Richter vorgeführt werden (KK 22.02.1997 S. 7), es sei denn, ein höherrangiger Beamter
oder Offizier erließ eine "Detention Order", die ein Festhalten ohne richterlichen
Haftbefehl von bis zu 60 bzw. - nach Versetzung des Landes in Kriegsbereitschaft am 3.
Mai 2000 - 90 Tagen ermöglichte (KK 05.02.1997 S. 5; AA 28.04.2000 S. 21;
01.08.2000). Nachdem die Geltungsdauer des Notstandsrechts im Juli 2001 bedingt
durch die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht verlängert worden
war, sodass es am 4. Juli 2001 außer Kraft trat (AA 24.10.2001 S. 8; Flück Südasien
3/01 S. 64), ist keine wesentliche Änderung eingetreten. Es wurden gestützt auf Art. 27
des PTA Verordnungen erlassen und ein den ER ähnliches Regime etabliert (AA
24.10.2001 S. 8). Verhaftungen sind danach weiterhin durch die Polizei möglich; die
94
Betroffenen müssen innerhalb von 72 Stunden dem Haftrichter vorgeführt werden.
Personen, die von der Armee verhaftet werden, müssen unverzüglich der Polizei
vorgeführt werden (AA 24.10.2001 S. 8). Die Möglichkeit eines längeren Festhaltens
mittels einer "Detention Order" einer hohen Polizeidienststelle besteht danach nicht
mehr (AA 24.10.2001 S. 24). Nach dem PTA konnte und kann die Polizei weiterhin
einschlägig Verdächtige bis zu 72 Stunden festhalten. Danach müssen sie
grundsätzlich dem zuständigen Ermittlungs- bzw. Untersuchungsrichter vorgeführt
werden, es sei denn, das Verteidigungsministerium erlässt eine "Detention Order" für
maximal 3 Monate, die in weiteren 3-Monats-Abständen auf bis zu 18 Monaten
verlängerbar ist. Darüber hinaus ist ein Festhalten nur mit richterlicher Genehmigung
zulässig (AA Lagebericht 06.04.1998 S. 11; 28.04.2000 S. 22; 01.08.2000 S. 3;
24.10.2001 S. 24 f.). Ferner waren und sind unter anderem Mitglieder des IKRK befugt,
alle gemäß den vorgenannten Regelungen festgehaltenen Verdächtigen bzw.
Verurteilten zu besuchen (EU 11.11.1997 S. 16; AA 28.04.2000 S. 22; 24.10.2001 S.
11). Auch sonst waren und sind Besuche bei den Inhaftierten möglich (AA 06.05.1999 S.
5; Wingler 30.01.1998 S. 12).
Darüber hinaus hat die Regierung weitere Kontrollmechanismen geschaffen. Am 1. Juli
1997 hat die National Human Rights Commission (NHRC) ihre Arbeit aufgenommen.
Diese unter der Leitung eines pensionierten Richters des obersten Gerichtshofs Sri
Lankas tätige Nachfolgeeinrichtung der früheren Human Rights Task Force hat die
Aufgabe, darüber zu wachen, dass die in den Sondervorschriften zur
Terrorismusbekämpfung vorgesehenen Regelungen eingehalten werden (AA
21.08.1997 S. 3). Ferner ist im Sommer 1998 eine aus Parlamentariern und Ministern
gebildete, allgemein erreichbare Kommission zur Entgegennahme und Prüfung von
Beschwerden wegen Belästigungen und Misshandlungen bei Verhören eingerichtet
worden (Anti Harrassment Committee - AHC -, AA 31.08.1998 S. 2; 26.07.2001 S. 2;
24.10.2001 S. 10; Wingler 30.09.1998 S. 3, 5).
95
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die gesetzlichen Sicherheitsvorkehrungen in der
Praxis nicht durchweg eingehalten werden und dass auch die sonstigen von der
srilankischen Regierung etablierten Kontrollmechanismen häufig nicht effektiv greifen
(KK 22.02.1997 S. 16; AA 17.03.1997 S. 6; 24.10.2001 S. 25; UNHCR --.07.1998 S. 3 f.
m.w.N.; ai --.06.1999, torture in custody, S. 8, 12, 16). Es kommt zu Überschreitungen
der vorgegebenen Fristen, die aber auch bei Verhaftungen im Rahmen normaler
Strafverfahren festzustellen sind (EU 11.11.1997 S. 17; US State Department --.02.2001
S.7). Auch sonst sind Verstöße insbesondere auf den unteren Ebenen der
Sicherheitskräfte festzustellen (AA 19.01.1999 S. 12 und 15). Eine generelle
Verschlechterung ist insoweit jedoch auch nach dem Verbot der LTTE in den im
Ausnahmezustand befindlichen Gebieten (Wingler 31.05.1998 S. 39; AA 24.10.2001 S.
13), welches nunmehr unter den Regelungen des PTA aufgrund einer
Rechtsverordnung vom 4. Juli 2001 neu erlassen worden ist (AA 24.10.2001 S. 4 und
13; Flück Südasien 3/01 S. 64), nicht eingetreten, sodass die grundsätzliche
Wirksamkeit nicht in Frage gestellt ist. Verstöße sind weithin mit Strafe belegt und ihnen
wird nachgegangen (AA 16.01.1996 S. 11; 11.07.1997 S. 2; ai --.06.1999, torture in
custody, S. 4 f.); dass derartige Verfahren schleppend verlaufen - was zum Teil auf das
srilankische Strafverfahrenssystem (EU 11.11.1997 S. 10), zum Teil auf die sachlich
bedingten Probleme in der Klärung der Verantwortlichkeit und der Beweisführung (AA
19.01.1999 S. 15) zurückzuführen ist -, schließt eine schon durch die Strafandrohung
und das Aufgreifen von Vorkommnissen hervorgerufene Effizienz nicht aus. Daneben
besteht die Möglichkeit, sich mit Beschwerden an den Obersten Gerichtshof zu wenden,
96
wovon zunehmend Gebrauch gemacht wird (ai --.06.1999, torture in custody, S. 26 f.).
Auch gibt es Anwälte, die sich in Fällen der Menschenrechtsverletzungen engagieren
(AA 19.01.1999 S. 26). Wenngleich Prozesse gegen Sicherheitskräfte oder die
Heranziehung der Verantwortlichen zur Zahlung von Entschädigungsleistungen -
anders als Entschädigungsleistungen des srilankischen Staates (ai --.06.1999, torture in
custody, S. 27) - zunächst noch nicht bekannt geworden sind (Wingler 08.10.1997 S. 35;
27.05.1999 S. 4) bzw. nur wenige Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen sich
vor Gericht verantworten mussten und in den seltensten Fällen verurteilt wurden und
darüber hinaus allgemein beklagt wird, dass Menschenrechtsverletzungen weitgehend
ungeahndet bleiben (UNHCR --.07.1998 S. 3; ai --.06.1999 S. 4), so zeigen die
geschaffenen Möglichkeiten jedenfalls insofern Wirkung, als die Sicherheitskräfte - wie
Auskünfte übereinstimmend belegen - im Vergleich zu früher zurückhaltender agieren.
(5) Gefahrenprognose, Risikofaktoren für asylerhebliche Misshandlungen
97
Nach dem Vorstehenden ist für ... Tamilinnen und Tamilen festzuhalten, dass die
Gefahr, im Großraum Colombo im Zusammenhang mit den Kontrollen und eventuell
daran anschließenden Festnahmen Opfer politischer Verfolgung zu werden, gering ist.
Zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichtet sich diese Möglichkeit - je nach den
Umständen des Einzelfalls - allenfalls für Personen, die konkret verdächtigt werden, mit
geschehenen oder geplanten Anschlägen der LTTE in Verbindung zu stehen oder in
sonstiger hervorgehobener Weise in Tätigkeiten der LTTE oder einer ihrer
Frontorganisationen verstrickt zu sein.
98
Als Risikofaktoren dafür, bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen derartigen
Verdacht zu geraten und hieran anknüpfend von schwerer körperlicher Misshandlung
und Folter während der Inhaftierung bedroht zu sein, gelten nach den vorliegenden
Erkenntnissen für Tamilinnen und Tamilen im Allgemeinen folgende Umstände:
fehlende oder nicht ordnungsgemäße Ausweispapiere, Lebensalter unter 35 bis 40
Jahren, geringe singhalesische Sprachkenntnisse, Geburtsort auf der Jaffna-Halbinsel,
Ankunft in Colombo erst kurz zurückliegend, Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, in
Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltener
Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft, Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten
der Sicherheitskräfte und das Vorhandensein körperlicher Wunden (Medical Foundation
--.06.2000 S. 41 unter Berufung auf einen Länderbericht des britischen
Innenministeriums; ai 16.01.2001 S. 7; ähnlich KK 18.02.2000 an VG Bremen S. 2; zu
einzelnen Risikofaktoren vgl. AA 25.01.2000 S. 1 f.; ai 30.08.1999 S. 1; Wingler
30.09.1998 S. 2, 13).
99
Allgemeine Aussagen zum Gewicht dieser Kriterien und dem Grad der aus ihrem
Vorliegen resultierenden Wahrscheinlichkeit eines intensiveren Zugriffs der
Sicherheitskräfte lassen sich nur eingeschränkt treffen. ...:
100
Die allgemeinen Merkmale Alter, fehlende Papiere, Herkunft von der Jaffna- Halbinsel,
geringe singhalesische Sprachkenntnisse und erst kurz zurückliegende Ankunft in
Colombo reichen als solche weder für sich gesehen noch in ihrer Gesamtheit aus, um
einen relevanten LTTE-Verdacht bei den srilankischen Sicherheitskräften zu wecken.
Diese Kriterien greifen im Wesentlichen für den ersten Zugriff ein, wie sich etwa aus
einer Zusammenstellung von Aktionen der Sicherheitskräfte im Zeitraum von Oktober
1997 bis Januar 1998 ergibt (KK 20.03.1998 S. 2 ff.); asylrelevante Eingriffshandlungen
knüpfen an diese Kriterien aber nicht mit einer für die Annahme einer
101
Gruppenverfolgung notwendigen Dichte an. Dies macht schon ein Vergleich der Zahl
der für längere Zeit nach den Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung Inhaftierten
und der geringen Zahl bekannt gewordener Fälle von Misshandlung und Folter während
Lang- und Kurzzeithaft einerseits mit der Zahl der im Großraum Colombo lebenden
Tamilen andererseits deutlich. Wie oben bereits ausgeführt, sind landesweit etwa 2.000
Personen nach den Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung inhaftiert. Von Folter
und Misshandlungen während einer Kurzzeit- oder Langzeithaft wird - wie sich ebenfalls
aus den oben unter I.2.b) bb) (4) angeführten Erkenntnissen ergibt - lediglich in einer
letztlich nicht über Einzelfälle hinausgehenden Zahl berichtet; für weiter gehende
Behauptungen fehlt es an jeglichen Belegen. Dem ist gegenüberzustellen, dass etwa
400.000 Tamilen im Großraum Colombo leben, von denen ca. 150.000 aus dem Norden
und Osten des Landes stammen (EU 11.11.1997 S. 13). Im Ergebnis nichts anderes gilt
bezogen auf den Anteil der jungen Tamilen im Rekrutierungsalter der LTTE. Zwar ist die
Altersgruppe der 15- bis 30- jährigen (so AA 24.10.2001 S. 12) bzw. der 15- bis 40-
jährigen (so KK 04.01.1996 S. 54) von den Sicherheitskontrollen besonders betroffen;
auch werden insoweit nicht mehr in erster Linie nur junge Männer (allgemein hierzu:
Wingler 27.05.1999), sondern inzwischen gleichermaßen junge Frauen aufgegriffen,
offenbar weil an den jüngsten Bombenanschlägen in Colombo auch junge Frauen als
"Suicid-Bombers" beteiligt waren (AA 24.10.2001 S. 12; KK [Keller] Südasien 1/00; EU
25.06.2001 S.32). Der Anteil der in Colombo lebenden jungen Tamilen ist aber so hoch,
dass sich die aktuelle Gefahr eigener Verfolgungsbetroffenheit für jeden Angehörigen
dieser Gruppe nicht feststellen lässt.
Vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE
96, 200 (203) und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, NVwZ-RR 1996, 57.
102
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes auf der Grundlage der Volkszählung von
1981 beträgt der Anteil der 14- bis 40-jährigen etwa 60 v.H. (AA 10.01.1996 S. 3).
Verlässliche Zahlen aus neuerer Zeit stehen nicht zur Verfügung, doch dürfte sich an
der sehr jungen Altersstruktur der srilankischen Bevölkerung und der Bewohner von
Colombo nichts Wesentliches geändert haben. Dies bedeutet, dass schätzungsweise
240.000 bzw. - soweit zusätzlich auf die Herkunft aus dem Norden oder Osten des
Landes abgestellt wird - 80.000 Personen in Colombo dieser risikobehafteten Gruppe
angehören.
103
Dass für die von Wingler gebildete "Untergruppe der jüngeren aus dem Nord/Osten
stammenden tamilischen Neuankömmlinge ohne ausreichenden 'valid reason' für einen
Aufenthalt im 'Süden'" (Wingler 12.12.1997 S. 1, 15 ff., 31.05.1998 S. 45 ff., 30.09.1998
S. 2, 13, 27.05.1999 S. 2, 9) eine grundlegend andere Situation besteht, lässt sich nicht
mit der erforderlichen Verlässlichkeit feststellen. Soweit Wingler (12.12.1997 S. 1 f.)
angibt, "etwa 50 % der verhafteten Population der jüngeren Tamilen aus dem
Nord/Osten ohne ausreichenden 'valid reason' für einen Aufenthalt im 'Süden'
[befänden] sich im Rahmen der neueren Verhaftungswellen länger als einen Monat in
widerrechtlicher Haft" - andernorts spricht er sogar von 100 v.H. (30.09.1998 S. 13) -, ist
die Aussage zum einen mangels konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte vor dem
Hintergrund des sonstigen Auskunftsmaterials nicht nachvollziehbar. Zum anderen fehlt
es an der erforderlichen Differenzierung der Maßnahmen nach dem Charakter als
politische Verfolgung, wie sie im Vorstehenden dargetan ist. ...
104
Hinsichtlich des Risikofaktors eines aktenkundigen oder den Sicherheitsbehörden auf
sonstige Weise zugetragenen LTTE-Verdachts muss nach der tatsächlichen oder
105
vermeintlichen Position des Betroffenen innerhalb der LTTE und dem Grad der
Unterstützung unterschieden werden. ... Wer die LTTE, insbesondere im Bereich der
von ihr beherrschten Gebiete wie etwa der von 1990 bis 1995 unter ihrer Kontrolle
stehenden Jaffna-Halbinsel gezwungenermaßen oder im Rahmen seiner Berufstätigkeit
bzw. geschäftlichen Beziehungen oder im karitativen Bereich (z.B. Essensausgabe,
Transport von Medikamenten) unterstützt hat, muss heute nicht mehr damit rechnen,
dass deswegen Verfolgungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden. Selbst ehemals
aktiv am bewaffneten Kampf beteiligten LTTE- Kadern, die sich unter Bekenntnis zu
ihrer Vergangenheit ins Privatleben zurückgezogen haben, und von denen daher keine
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mehr zu erwarten ist, droht in aller Regel keine
Strafverfolgung mehr (AA 11.02.2000 S. 4 ff.; 05.06.2000 S. 10 ff.; 24.10.2001 S. 14; vgl.
auch KK 26.07.1999 an VG Bremen S. 1 f.).
Das Bestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem LTTE-Mitglied oder -
Unterstützer führt im Allgemeinen ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
asylrelevanten Maßnahmen. Sippenhaft findet in Sri Lanka in der Regel nicht statt, ein
entsprechender Tatbestand ist dem srilankischen Strafrecht fremd (AA 04.02.2000 S. 1;
01.12.2000; 24.10.2001 S. 16). Gefährdet sind allenfalls ... (Tamilen), deren Angehörige
eine höherrangige aktive Stellung in der LTTE bekleiden, wenn dies den
Sicherheitsbehörden bekannt wird. Je konkreter der Verdacht, je enger die
verwandtschaftliche Beziehung, je höher die Stellung des Verwandten in der LTTE ist
und je spektakulärer seine Taten sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen
Familienangehörigen, selbst in Verdacht zu geraten (AA 09.11.1996 S. 3; ai 23.02.2000
S. 2; siehe auch KK 03.02.2000, wo für 2 der 3 genannten Belegfälle
ausdrücklich ein Bezug zu Bombenanschlägen hergestellt wird). Eine weniger wichtige
Aktivität für die LTTE, z.B. die Veröffentlichung eines Gedichts in einer Publikation der
LTTE, führt demgegenüber nicht zu einer erhöhten Gefährdung von
Familienangehörigen des Verfassers (KK 17.11.1998 S. 2). Ebenso ist für einen ...
(Tamilen) regelmäßig unschädlich, wenn er nur mit einem einfachen Kämpfer der LTTE
verwandt ist. Dies folgt daraus, dass es zahlreiche Familien gibt, die - häufig
zwangsweise - einen LTTE-Kämpfer stellen (AA 05.09.1997 S. 1 f.; 05.06.2000 S. 10),
die Zahl der berichteten Verhaftungen von Familienangehörigen demgegenüber aber
vergleichsweise gering ist. Amnesty international geht davon aus, dass "derzeit nicht
von einer Alltäglichkeit bzw. Regelmäßigkeit" solcher Verhaftungen ausgegangen
werden kann, und kann - wie auch sonstige Quellen - über wenige Einzelfälle hinaus
keine konkreten Zahlen zur Inhaftnahme von Familienangehörigen bekannter oder
mutmaßlicher LTTE-Anhänger benennen (ai 23.02.2000 S. 4).
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass verwandtschaftliche Beziehungen oftmals nur
schwer erkennbar sind, da LTTE-Kämpfer während ihrer fünfjährigen "Dienstzeit"
Aliasnamen tragen und ihre Identität nicht an Außenstehende bekannt geben (AA
09.11.1996 S. 3.).
106
Auch Körperverletzungen und Narben reichen für sich gesehen in aller Regel nicht aus,
um bei den srilankischen Sicherheitskräften einen aktuellen, konkreten LTTE-Verdacht
zu wecken. Zwar können typische Kampfverletzungen wie Schusswunden (so AA
25.01.2000 S. 1 f.) oder Narben, die sich jemand als LTTE- Kämpfer zugezogen haben
kann (so ai 30.08.1999 S. 1; Wingler 01.04.1999 S. 5), eine erhöhte Festnahmegefahr
auslösen (ähnlich KK 12.03.1999 S. 1 f., der allerdings nicht nach der Art der Narben
differenziert). Damit ist aber nichts über die beachtliche Wahrscheinlichkeit
asylerheblicher Weiterungen gesagt. Denn in Sri Lanka leben zahlreiche Personen, die
im Zusammenhang mit Kriegsereignissen und Anschlägen, aber auch durch Arbeits-,
107
Straßenverkehrs- und Haushaltsunfälle Verletzungen erlitten haben (AA 25.01.2000 S.
1 f.), sodass ein etwaiger Anfangs- Verdacht auf Grund von Narben - vorbehaltlich der
Besonderheiten des Einzelfalls, namentlich des Vorliegens weiterer erheblicher
Verdachtsmomente - regelmäßig nichts für eine beachtliche
Verfolgungswahrscheinlichkeit hergibt; selbst eine Schusswunde kann jemand nicht nur
als aktiver Kämpfer, sondern auch als unbeteiligter Zivilist erlitten haben.
Lassen sich somit - zusammenfassend - hinsichtlich der genannten Risikofaktoren
verallgemeinerungsfähige Aussagen für die Bejahung einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für Tamilen oder eine relevante Untergruppe
nicht gewinnen, kann auch die Frage, ob der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
bei den srilankischen Sicherheitskräften in den konkreten Verdacht einer Verstrickung in
Aktivitäten der LTTE gerät, nicht bereits unter Rückgriff auf die hier betrachtete
allgemeine Lage in Sri Lanka abschließend beurteilt werden; das ihm ... konkret
drohende Verfolgungsrisiko muss vielmehr nach Maßgabe der in seiner Person konkret
verwirklichten Risikomerkmale unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation
bewertet werden.
108
(6) Sonstige Beeinträchtigungen
109
Die Situation, mit der ... nach Colombo gelangende Tamilen konfrontiert sind, trägt auch
nicht aus anderen als den bereits erörterten Umständen den Schluss auf die beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung dieser Volkszugehörigen oder einer nach
asylerheblichen Merkmalen eingegrenzten Gruppe unter ihnen. Der Aufenthalt ist zwar
schwierig, doch drohen die Beeinträchtigungen, so weit sie überhaupt die für eine
Verfolgung erforderliche Intensität erreichen, nicht in einem solchen Grade, dass auf die
für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige Dichte geschlossen werden
kann, bzw. lassen sie sich weithin und in entscheidendem Umfang nicht auf ein
staatliches Handeln mit der eine politische Verfolgung ausmachenden Gerichtetheit auf
asylerhebliche Merkmale zurückführen.
110
(a) Niederlassungsmöglichkeit im Großraum Colombo
111
Ob es als Akt der politischen Verfolgung zu werten ist, wenn ein Staat einem durch die
Volkszugehörigkeit abgegrenzten Teil seiner Staatsangehörigen entgegen einem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf freie Wahl des Aufenthaltsortes den Aufenthalt in
bestimmten Landesteilen verwehrt und so die Betroffenen zwingt, in Landesteile
auszuweichen, in denen ihnen Nachteile insbesondere in Folge von kriegerischen
Auseinandersetzungen drohen (vgl. dazu KK 02.09.1997, Anhang Südasienbüro vom 2.
Juli 1997), mag dahinstehen. Ein solcher Zwang ist für den Großraum Colombo
jedenfalls nicht in dem Sinne gegeben, dass er jeden ... Tamilen mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit trifft. Amtliche Regelungen in dieser Hinsicht - mit der
anzunehmenden Folge einer verbreiteten Durchsetzung - bestehen nicht (AA
02.10.1997; 30.01.1998; 24.10.2001 S. 31; UNHCR 12.02.1998; KK 13.09.1997 S. 4;
18.02.2000 an VG Hannover S. 2 f.; 11.06.2001 S.5; 02.08.2001 S. 2; Wingler
08.10.1997 S. 40). Zwar ist zu beobachten, dass ... (Tamilen), die sich bei der
zuständigen Polizeistation melden, um sich dort registrieren zu lassen, ein so genanntes
"stay permit" regelmäßig jeweils nur für wenige Wochen erhalten und bei der Erteilung
und Verlängerung - zumal mangels klarer Vergabevorschriften - Korruption und Willkür
eine Rolle spielen (KK 18.02.2000 an VG Hannover). Auf der anderen Seite fehlt es
aber an nachvollziehbaren Referenzfällen über zwangsweise Rückführungen von aus
112
dem Norden oder Osten zugewanderten ... Tamilen in ihre Heimatgebiete. ... Dies
schlägt sich insbesondere auch darin nieder, dass der Anteil der tamilischen
Wohnbevölkerung Colombos weit überproportional wächst und kaum noch oder gar
nicht mehr hinter dem singhalesischen Bevölkerungsanteil zurücksteht (AA 05.06.2000
S. 2 f.; 21.06.2001 S. 8). Es fehlt damit schon an einer tatsächlichen Grundlage für den
Schluss, jedem ... Tamilen oder einer eingrenzbaren Untergruppe drohten mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen, die sich als faktischer Zwang erweisen,
Colombo zu verlassen, und denen er nur durch Weiterreise in Gebiete ausweichen
könnte, in denen er mit andersartigen Gefahren von erheblichem Gewicht konfrontiert
wäre. Soweit ... Tamilen durch Meldeauflagen, das Erfordernis von Ausweispapieren
und eines sachlichen Grundes für den Aufenthalt sowie durch - unter Umständen bei
Nichterfüllen dieser Anforderungen - drohende Festnahme bei den zahlreichen
Kontrollen und die im Umgang mit den Sicherheitskräften bestehenden sprachlichen
Schwierigkeiten (KK 22.09.1997 S. 4; 08.12.1998 S. 3; 02.08.2001 S. 2; Südasien 6/97
S. 8; EU 11.11.1997 S. 13) der Aufenthalt in Colombo erschwert und - wie in den
Auskünften zum Teil gefolgert wird - faktisch verwehrt wird (Wingler 08.10.1997 S. 40;
KK 22.09.1997 S. 4; 22.06.1999 S. 8; Südasien 1-2/98 S. 14), ist auf die vorstehenden
Ausführungen zur Möglichkeit, eventuell fehlende Papiere zu erlangen, und zu
mangelnden Anhaltspunkten dafür, dass ... die Anerkennung eines sachlichen Grundes
für den Aufenthalt verneint wird, zu verweisen. Ein genereller Grund, die Meldeauflagen
als unzumutbar nicht zu befolgen oder nicht erfüllen zu können, ist daher auch nicht
ersichtlich. Da der in Auskünften angesprochene Druck, Colombo zu verlassen, letztlich
aus den drohenden Festnahmen gefolgert wird (KK 08.12.1998 S. 4 ff.), kann insofern
auf das oben zur mangelnden Intensität und Dichte derartiger Übergriffe Gesagte
verwiesen werden.
(b) Existenzbedingungen
113
Die weiteren Beeinträchtigungen hinsichtlich der Existenzbedingungen, auf die ...
Tamilen im Großraum Colombo treffen, sind ihrer Schwere nach noch nicht
asylerheblich, sind nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu besorgen oder sind
nicht als staatliche Verfolgung mit asylrelevanter Gerichtetheit zu werten. Arbeit zu
finden ist - nicht nur für Tamilen - zunächst schon wegen der angespannten
Arbeitsmarktsituation (die Arbeitslosenquote betrug laut Fischer-Weltalmanach 2002,
Spalte 758, im Jahresdurchschnitt 2000 7,5 v.H.), also in Folge der allgemeinen
Wirtschaftslage nicht einfach. Soweit auf zusätzliche Probleme für Tamilen verwiesen
wird, weil potentielle Arbeitgeber bei der Einstellung von Tamilen Schwierigkeiten mit
den Sicherheitskräften befürchten (KK [Keller] Südasien 1/00 S. 49; 22.06.1999 S. 9),
kann ungeachtet der Frage nach der erforderlichen Schwere der Beeinträchtigung nicht
von einer politischen Verfolgung gesprochen werden. Inwieweit Sprachprobleme (KK
08.12.1998 S. 3) trotz des hohen tamilischen Bevölkerungsanteils in Colombo (AA
27.05.1999 S. 2; 21.06.2001 S. 4) Bedeutung haben ... mag dahinstehen; hier fehlt jeder
Ansatz für eine staatliche Eingriffshandlung. Die Möglichkeit, sich eine Unterkunft zu
verschaffen, ist zunächst durch die allgemeine Knappheit an Wohnraum in Colombo
und die demgemäß hohen Preise, ferner durch die Sicherheitslage mit der Folge von
Kontrollen und unter Umständen auch Schließung von Unterkünften geprägt (KK
08.12.1998), so dass dieselben Erwägungen wie zur Arbeitssituation eingreifen und
zusätzlich auf die jedenfalls einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohender
Obdachlosigkeit wegen fehlender Papiere und Aufenthaltsberechtigung
entgegenstehenden obigen Erwägungen zum Aufenthalt, insbesondere unter dem
Aspekt des Meldeerfordernisses Bezug genommen werden kann. Für eine weit
114
verbreitete Obdachlosigkeit ist dem umfassenden Auskunftsmaterial nichts Greifbares
zu entnehmen; zumindest die Erlangung einer einfachen Unterkunft in einem der
zahlreichen Billighotels (lodges) ist grundsätzlich möglich (AA 27.05.1999 S. 2;
21.06.2001 S. 4; KK 20.07.2000 S. 2; 11.06.2001 S.3; 02.08.2001 S. 1; UNHCR
24.08.2001 S. 4). Dass ... (Tamilen) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sonstige
schwere Rechtsgutbeeinträchtigungen im Hinblick auf ein Leben in Colombo drohen, ist
nicht festzustellen. Daher mag auch dahinstehen, inwieweit ein staatliches Handeln
oder Unterlassen mit asylerheblicher Gerichtetheit zu Grunde liegt. Fälle der
Verelendung oder eines bloßen Dahinvegetierens am Rande des Existenzminimums
sind nicht bekannt (AA 06.05.1998 S. 2, 21.06.2001 S. 5; KK 08.12.1998 S. 8). Selbst
wenn ein ... System der sozialen Grundsicherung nicht besteht (AA 27.05.1999 S. 1;
24.10.2001 S. 30; KK 08.12.1998 S. 1 ff.), ist dies kein tragfähiges Indiz für eine in dem
erforderlichen Grad konkretisierte Gefahr der Rechtsgutverletzung. Insofern sind die in
Sri Lanka gewachsenen Verhältnisse zu beachten, nach denen die Familien und die
Dorfgemeinschaften traditionell für Hilfsbedürftige einstehen (AA 06.05.1998 S. 1;
24.10.2001 S. 31), und sich demgemäß ein fest gefügtes System der Sicherung nicht
entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund kommt der Feststellung der tatsächlichen
Lebensmöglichkeiten entscheidendes Gewicht gegenüber dem Fehlen einer
organisierten und geregelten, regelmäßigen Unterstützung - nur diese wird von Keller-
Kirchhoff (KK 08.12.1998) auch für die Hilfe der Volksgruppe sowie karitativer
Organisationen und Einrichtungen verneint - zu. Für Feststellungen, dass es in einer
relevanten Dichte zu Fällen von Verelendung tatsächlich gekommen ist oder kommen
wird, gibt das umfassende Auskunftsmaterial nichts her.
(7) Mittelbare staatliche Verfolgung
115
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ist auch nicht im Hinblick auf
Übergriffe der übrigen Zivilbevölkerung gegen Tamilen gegeben; insofern fehlt es
jedenfalls heute an der erforderlichen Verfolgungsdichte, ferner - für die in den letzten
Jahren bekannt gewordenen Vorfälle - an der Verantwortlichkeit des srilankischen
Staates. Zu Pogromen wie zuletzt im Jahre 1983, als Hunderte von in Colombo
ansässigen Tamilen zu Tode kamen und eine weitaus größere Zahl ihr Hab und Gut
verlor, ist es seitdem trotz fortbestehender ethnischer Spannungen nicht mehr
gekommen. Ereignisse wie die Zerstörung zahlreicher Geschäftshäuser 1995 in Galle
(AA 12.10.1995 S. 3; Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 34 ff.), ein Überfall auf
indien-tamilische Siedler im Bezirk Galle, bei dem ein Mädchen ermordet wurde
(Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 37), die Ermordung von zwei Tamilen im
Oktober 1995 in Colombo (KK 26.10.1995 S. 7) sowie am 25. Oktober 2000 ein Vorfall
im Bezirk Bandarawela, bei dem Singhalesen etwa 30 tamilische Insassen eines
"Rehabilitationslagers" getötet und weitere ca. 15 zum Teil schwer verletzt haben
(Busch 02.11.2000 S. 2; AA 26.01.2001 S. 5; 24.10.2001 S. 15 f.; Wingler --.04.2001 S.
3), sind - verglichen mit der Bevölkerungszahl im Süden des Landes - verschwindend
gering und haben bei weitem nicht das Ausmaß der früheren Pogrome erreicht. Zudem
ergreift der srilankische Staat zahlreiche Maßnahmen, um derartige Übergriffe zu
verhindern bzw. gegebenenfalls zu beenden und aufzuklären. So wurden die
Ausschreitungen im Bereich Galle polizeilich untersucht und es wurden Singhalesen
verhaftet (KK 24.10.1995 S. 35 f.). Die Regierung kündigte entschlossenes Handeln im
Wiederholungsfall an (AA 12.10.1995 S. 3) und verstärkte die Sicherheitsvorkehrungen
(KK 24.10.1995 S. 37). Nach der Eroberung von Jaffna warnte Staatspräsidentin
Kumaratunga vor Übergriffen auf Tamilen (KK 04.01.1996 S. 62). Auch am Abend des
Anschlags auf einen Pendlerzug in einem Vorort von Colombo am 25. Juli 1996 mit ca.
116
70 Toten rief sie zur Ruhe und Zurückhaltung auf (AA 30.08.1996 S. 4), sodass die
gefürchteten Ausschreitungen ausblieben (Wingler --.09.1996 S. 41). Dass
Ausgangssperren, verstärkte Präsenz der Sicherheitskräfte sowie zur Besonnenheit
mahnende Ansprachen der Staatspräsidentin ihre Wirkung nicht verfehlen, zeigt der
Umstand, dass es weder nach dem gezielten Bombenanschlag auf das buddhistische
Heiligtum in Kandy ("Zahntempel") am 25. Januar 1998 noch nach dem Attentat auf die
Staatspräsidentin selbst am 18. Dezember 1999 zu befürchteten Ausschreitungen kam
(AA 28.04.2000 S. 14). Schließlich kündigte die Präsidentin auch unmittelbar nach dem
oben angesprochenen Vorfall in Bandarawela an, alle Schritte zu unternehmen, um die
Situation unter Kontrolle zu bringen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu
ziehen (Busch 02.11.2000, Anlage "President appeals for restraint"). Die Familien
erhielten in der Folgezeit eine Entschädigung und es wurde eine Sonderkommission zur
Untersuchung des Vorfalls eingesetzt. Zwischenzeitlich wurden 60 Polizisten vom
Dienst suspendiert; es wurde eine polizeiliche Sonderermittlungsgruppe
zusammengestellt, die gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft ermittelt und der
Sonderkommission zuarbeitet. Mehrere hundert Zeugen wurden vernommen und es
erfolgten auch Verhaftungen (AA 26.01.2001 S. 6; 24.10.2001 S. 16). Bei dieser
Sachlage fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass es in absehbarer Zukunft zu
pogromartigen Ausschreitungen seitens der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit
kommt, die dem srilankischen Staat zuzurechnen sind und für einen jeden Tamilen die
konkrete Gefahr eigenen Betroffenseins mit sich bringen.
cc) Bürgerkriegsgebiete im Norden
117
In Teilen des Nordens Sri Lankas ist die Lage seit Jahren durch Bürgerkrieg
gekennzeichnet. Seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensverhandlungen und dem
Bruch der "Vereinbarung zur Einstellung der Feindseligkeiten" (KK 20.02.1995 S. 3;
Wingler 31.03.1995 S. 2) kam es zunächst mit Schwergewicht auf der Jaffna- Halbinsel
(KK 04.01.1996 S. 8, 22) und sodann in der "Vanni-Region" - hierzu zählen die Distrikte
Mullaitivu, Kilinochchi sowie Teile von Vavuniya und Mannar - (Wingler 30.01.1998 S.
14; 31.05.1998 S. 16 ff.; 30.09.1998 S. 19; 01.04.1999 S. 8; AA 28.04.2000 S. 14 f.) zu
Militäroffensiven von staatlicher Seite, mit denen es zunächst gelang, die LTTE
zurückzudrängen (AA 19.01.1999 S. 5, 18). Nach erheblichen Geländegewinnen der
LTTE sowohl auf der Halbinsel Jaffna als auch in der Vanni- Region im November 1999
und April 2000, bei denen unter anderem der strategisch wichtige "Elephant Pass"
eingenommen wurde (AA 11.07.2000 S. 1; 26.01.2001 S. 1), erstreckt sich das von der
LTTE beherrschte Gebiet auf die Region nördlich Vavuniyas bis nördlich vom "Elephant
Pass" (AA 24.10.2001 S. 18). Der weitere Vormarsch der LTTE auf die Stadt Jaffna
konnte von den Regierungstruppen gestoppt werden (AA 11.07.2000 S. 1; 26.01.2001
S. 1). Eine Gegenoffensive der Regierungstruppen auf der Jaffna-Halbinsel im April
2001 blieb erfolglos (AA 24.10.2001 S. 6). Den Auskünften über die
Auseinandersetzungen ist zu entnehmen, dass die im Kampfgebiet lebende
Zivilbevölkerung erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird (ai 23.02.2000
99.135> S. 2; AA 11.07.2000 S. 1; ai --.--.2001 S. 519). Darüber hinaus kommt es in
Folge des Kampfgeschehens zur Zerstörung und Beschädigung sozialer, kultureller und
religiöser Einrichtungen (KK 04.01.1996 S. 4 ff.; Wingler 30.09.1998 S. 20; ai
23.02.2000 >ASA 37-99.135> S. 2). Militäroffensiven lösen ferner Fluchtbewegungen
mit in die Hunderttausende gehenden Flüchtlingen aus (AA 19.01.1999 S. 18;
26.01.2001 S. 1; 24.10.2001 S. 19; KK 04.01.1996 S. 6; Wingler 01.11.1995 S. 6;
30.01.1998 S. 14; 31.05.1998 S. 19; --.04.2001 S. 4; ai --.--.2001 S. 519; UNHCR
24.08.2001 S. 1); daneben führt auch Zwang von Seiten der LTTE zu
118
Fluchtbewegungen (AA 16.01.1996 S. 2; 24.10.2001 S. 18).
Für die erforderliche Bewertung der heutigen Situation und die gebotene Prognose
können neben den die Vanni-Region betreffenden jüngeren Auskünften auch die
Erkenntnisse zum staatlichen Vorgehen auf der Jaffna-Halbinsel mitberücksichtigt
werden. Es mangelt an Anhaltspunkten dafür, dass sich das Bürgerkriegsgeschehen bei
räumlicher Verlagerung qualitativ geändert hat oder regionale Unterschiede die
Beurteilung beeinflussen können. Insgesamt stellen sich die zwischenzeitlichen Erfolge
der LTTE und die Entwicklungen in jüngster Zeit als eine weitere Phase in dem
langjährigen Auf und Ab des Kampfgeschehens dar, in dem bislang keiner der
Kriegsgegner den anderen kriegsentscheidend niedergerungen hat; den vorliegenden
Informationen - weitere Erkenntnisquellen sind nicht verfügbar - lassen sich dabei keine
Ansatzpunkte dafür entnehmen, dass mit den jüngeren Entwicklungen nunmehr eine
neue, den bisherigen Rahmen des Kriegsgeschehens überschreitende Entwicklung
eingeleitet worden wäre.
119
Danach ist zwar davon auszugehen, dass der Krieg von der srilankischen Armee in
einer Weise geführt wird, die die gebotene Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in hohem
Maße vermissen lässt. Die Geschehnisse während der bisherigen Kriegshandlungen
bieten aber keine Basis für die Annahme, dass das Vorgehen der staatlichen
Sicherheitskräfte die Merkmale einer auch im Rahmen des Handelns des Staates als
Partei im Bürgerkrieg möglichen politischen Verfolgung (BVerfGE 80, S. 340) aufweist
(wie hier OVG Lüneburg, Urteile vom 10. Juni 1996 - 12 L 1726/96 -, S. 8 ff. und vom 19.
September 1996 - 12 L 2005/96 -, S. 15 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 20. März 1998 -
A 16 S 60/97 -, S. 87 ff. und Beschluss vom 8. Februar 2001 - A 6 S 1888/00 -, S. 13, 16;
VGH Kassel, Urteile vom 10. November 1998 - 10 UE 3035/95 -, S. 26 ff., vom 3. Mai
2000 - 5 UE 4657/96.A -, S. 38 ff., und vom 29. August 2000 - 10 UE 3556/69.A -, S. 52
ff.; OVG Berlin, Beschluss vom 23. August 2000 - 3 B 47.95 -, S. 26 ff.; ähnlich OVG
Weimar, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 3 KO 869/96 -, S. 48 ff.; in der Bewertung
abweichend früher OVG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 1996 - 11 A 11369/96 -, S. 8 f., im
jüngeren Urteil vom 8. Juli 1998 - 11 A 10473/98 -, S. 5 als "sehr zweifelhaft"
bezeichnet). Es kann nicht festgestellt werden, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte
nach ihrer objektiven Gerichtetheit über eine militärische Prägung mit dem Ziel der
Rückeroberung von der LTTE beherrschter bzw. der Sicherung rückeroberter Gebiete
(KK 24.10.1995 S. 9 f.; 04.01.1996 S. 22; 20.03.1996 S. 6) sowie der Abwehr,
Schwächung oder Vernichtung der LTTE (AA 16.01.1996 S. 5; 19.01.1999 S. 19;
Wingler 31.05.1998 S. 17) hinausgingen oder -gehen.
120
(1) Keine gezielte physische Vernichtung der Zivilbevölkerung
121
Angesichts der Siedlungsstruktur, der Guerilla-Taktik der LTTE, die ein ausgedehntes
Netz mit einer unbekannten Anzahl militärischer Stützpunkte in den von ihr kontrollierten
Gebieten besitzt (KK 04.01.1996 S. 2, 9), über mobile Lager verfügt (AA 16.01.1996 S.
2) und die Bevölkerung vor der Zusammenarbeit mit den Militärkräften warnt (Wingler --
.11.1996 S. 8), sowie ferner unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die srilankischen
Truppen auf Grund ihres technischen Standards jedenfalls in der Vergangenheit
zumeist zu "punktgenauen" Angriffen nicht in der Lage waren (Wingler 01.11.1995 S. 4,
8; KK 04.01.1996 S. 41; AA 16.01.1996 S. 6) und niedrig fliegende Flugzeuge oder
Hubschrauber von Boden-Luft-Raketen der LTTE bedroht sind (KK 24.10.1995 S. 11;
Wingler 29.04.1996 S. 22), ist die Beeinträchtigung der tamilischen Zivilbevölkerung
durch die Kampfhandlungen allein kein tragfähiger Hinweis auf eine über die
122
Bekämpfung der LTTE hinausgehende Gerichtetheit der Kampfhandlungen gegen die
Tamilen. Eine zu gegenteiligen Schlussfolgerungen führende andersartige
Vorgehensweise der Armee bei ethnisch anders zusammengesetzter Zivilbevölkerung
ist nicht festzustellen, da in den Kampfgebieten nach der Vertreibung anderer
Bevölkerungsgruppen durch die LTTE (AA 14.02.1995 S. 3; 12.10.1995 S. 3;
05.06.2000 S. 4, 28.04.2000 S. 15: "ethnische Säuberung") ausschließlich Tamilen
leben. Der Umstand, dass die Sicherheitskräfte bei ihren Kampfmaßnahmen keine
(Wingler 20.07.1995 S. 4) oder nur punktuell (AA 16.01.1996 S. 2) Rücksicht auf
eventuell mitbetroffene Zivilisten nehmen, mag diese zwar als menschenrechtswidrig
prägen, stellt allein jedoch keinen Grund dar, sie als objektiv gezielt an asylerhebliche
Merkmale anknüpfende staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu qualifizieren (vgl.
BVerfGE 80, 341), zumal die Sicherheitskräfte angewiesen wurden und bemüht sind,
bei Kampfhandlungen die Verluste unter der Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu
halten (AA 28.04.2000 S. 8; 01.12.2000 S. 2; 26.01.2001 S. 2). So wurde etwa die
Zivilbevölkerung vor Luftangriffen auf LTTE-Ziele gewarnt (AA 19.01.1999 S. 19; US
State Department --.02.2001, S. 10). Für die Opfer einer irrtümlichen Bombardierung
durch die Luftwaffe im September 1999, bei der in einem Dorf bei Puthukkudiyiruppu 22
Zivilisten den Tod fanden, ordnete die Regierung die Zahlung einer Entschädigung an
(US State Department --.02.2001 S. 4, 10). Angesichts des Umfangs der Offensiven, des
eingesetzten Kriegsgeräts, der im Kampfgebiet herrschenden Bevölkerungsdichte, die
sich in den Zahlen der Flüchtlinge niederschlägt, sowie der Dauer und Härte der
Auseinandersetzungen tragen die Zahl der Vorkommnisse mit erheblicher
Einbeziehung der Zivilbevölkerung und die Zahl der Opfer nicht den Schluss, dass die
Aktionen objektiv auch auf die physische Vernichtung oder schwer wiegende
Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung gerichtet sind.
Für die Jaffna-Halbinsel berichtet Wingler als Folge der ersten Offensive im Jahre 1995
von 234 toten und 1.414 verwundeten Zivilisten sowie 183.000 Flüchtlingen (Wingler
03.10.1995 S. 24), Keller-Kirchhoff nennt 205 tote und 953 schwer verletzte Zivilisten
und ca. 188.000 Flüchtlinge (KK 04.01.1996 S. 13). Die Offensive "Reviresa", die im
Dezember 1995 zur Einnahme der Stadt Jaffna führte (KK 04.01.1996 S. 31), forderte im
Oktober 1995 neben zahlreichen Toten und Verwundeten unter den Soldaten und
LTTE-Kämpfern 104 Tote und 194 Verletzte unter der Zivilbevölkerung (KK 04.01.1996
S. 12) und führte zu 200.000 bis 550.000 Flüchtlingen (KK 04.01.1996 S. 15). Die Zahl
der getöteten oder verletzten Zivilisten wird für die Zeit von April 1995 bis Ende
1995/Frühjahr 1996 mit 800 angegeben (AA 01.03.1996 S. 1; Wingler 29.04.1996 S. 22:
800 Tote), für die Zeit bis Frühjahr 1997 mit 900 (AA 17.03.1997 S. 10). Als Folge der
Kämpfe im Jahr 2000 wird von mindestens 150 - von beiden Kampfparteien - getöteten
Zivilisten berichtet (ai --.--.2001 S. 519), wobei allein der Vormarsch der LTTE auf Jaffna
im April und Mai mehr als 100 zivile Opfer gefordert haben soll, hierunter auch Opfer von
Bombardierungen und Artilleriebeschuss seitens der srilankischen Streitkräfte (US State
Department --.02.2001 S. 10). Insofern ist von Bedeutung, dass nach der Rückeroberung
Jaffnas durch die Regierungstruppen etwa 500.000 Einwohner zurückgekehrt sind (AA
28.04.2000 S. 15; 24.10.2001 S. 19), die nunmehr von den neuerlichen
Kampfhandlungen betroffen werden.
123
Für die Vanni-Region ist von einer betroffenen und auf der Flucht befindlichen
Bevölkerung von 300.000 bis 400.000 (AA 28.04.2000 S. 15), ca. 490.000 (US State
Department --.02.2001 S. 10) oder weit mehr als 500.000 Personen (Wingler 31.05.1998
S. 19) auszugehen. Für die ersten acht Monate des Jahres 1997 wird von 37 bei
Bombardierungen (von beiden Kampfparteien) getöteten Zivilisten berichtet (Anlage 1
124
zu UNHCR --.07.1998 S. 10). Wingler stellt fest, dass bei den Militäraktionen bis
Sommer 1997 weniger zivile Opfer zu beklagen waren als bei der Eroberung Jaffnas
1995 (Wingler, 10.07.1997 S. 43). Als Folge der Kämpfe Ende 1999 wird von einer
massiven Betroffenheit der Zivilbevölkerung berichtet und als Beispiel ein Granatangriff
auf die Kirche von Madhu bei Mannar genannt, bei dem 44 Zivilisten getötet und 50
Menschen verletzt worden sind (ai 23.02.2000 S. 2). Für das Jahr
2000 wird im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg von insgesamt mehr als 100 bzw.
mindestens 150 zivilen Opfern gegenüber 2.000 Toten in den Reihen der Kriegsparteien
berichtet (US State Department --.02.2001 S. 9 f.; ai --.--.2001 S. 519).
Das IKRK gelangt zu dem Schluss, die zivilen Opfer in den Auseinandersetzungen
seien geringer, als es unter vergleichbaren Bedingungen in anderen Ländern der Fall
sei (AA 24.10.2001 S. 11). Hinzu kommt, dass die die Zivilisten schwer
beeinträchtigenden Aktionen ganz überwiegend (zu Ausnahmen KK 04.01.1996 S. 8 f.)
in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang konkreter Offensiven der srilankischen
Regierungstruppen standen. Eine flächendeckende Bombardierung, die ihrer Art nach
auf das objektive Ziel einer Beeinträchtigung des zivilen Lebens um seiner selbst willen
schließen ließe, kann nicht festgestellt werden. Die von Wingler als
"Flächenbombardierungen" zusammengefassten und gewerteten Angriffe auf im
Einzelnen benannte Ansiedlungen (Wingler --.05.1995 S. 18), die sich überwiegend
gegen von der LTTE kontrollierte Orte richteten (KK 04.01.1996 S. 1, 4; AA 16.01.1996
S. 1), lassen einen militärischen Bezug der Angriffe insofern erkennen, als sie den
Kampfoperationen zu Lande vorausgingen (Wingler 29.04.1996 S. 22) und die
benannten Orte später von den Regierungstruppen eingenommen wurden (AA
16.01.1996 S. 1). Auch die Stellungnahme des UNHCR (UNHCR --.07.1998, S. 2,
Anlage 1, Rdnr. 151) stellt in Bezug auf die angeführten Menschenrechtsverletzungen
der Sicherheitskräfte den unmittelbaren Bezug zum Bürgerkriegsgeschehen besonders
heraus. Einzelnen folgenschweren Angriffen auf zivile Ziele können ebenfalls keine
tragfähigen Anhaltspunkte für eine über militärische Ziele hinausgehende Gerichtetheit
der Aktionen entnommen werden; insofern wird beispielsweise auf den Bombenangriff
auf das Gelände der Kirche von Navali verwiesen, bei dem wohl 130 Menschen den
Tod fanden; die näheren Umstände sind ungeklärt, insbesondere steht die Möglichkeit
im Raum, dass für die zahlreichen Opfer die Explosion eines nahe gelegenen
Munitionslagers der LTTE verantwortlich war (KK 04.01.1996 S. 4; AA 16.01.1996 S. 3).
Auch hinsichtlich des oben angesprochenen Granatangriffs auf die Kirche von Madhu
wird der Zusammenhang mit Kämpfen zwischen Regierungstruppen und LTTE-
Angehörigen hervorgehoben (ai 23.02.2000 S. 2); von welcher Seite
der Angriff ausging, wird nicht berichtet.
125
(2) "Gegenterror"
126
Dass die Kriegsführung über die mit ihr verbundene vorherrschende Missachtung des
Rechts auf Leben und schwer wiegende Menschenrechtsverletzungen wie Tötung,
Verschwindenlassen und Misshandlungen (UNHCR --.07.1998 S. 2 und zugehörige
Anlage 1 S. 9 ff.; ai --.06.1999, torture in custody, S. 21 ff.) und die somit zweifellos
gegebene Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung hinaus darauf gerichtet
ist, die im LTTE-Gebiet lebenden und an den Auseinandersetzungen nicht unmittelbar
beteiligten Personen unterhalb der Schwelle der physischen Vernichtung oder
Beeinträchtigung unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen und so auszugrenzen, kann
ebenfalls nicht festgestellt werden. Dem steht zum einen das von der srilankischen
Regierung verfolgte, die militärischen Kampfhandlungen ergänzende (längerfristige)
127
politische Konzept zur Lösung des Konflikts durch Dezentralisierung bzw.
Regionalisierung der Macht und teilweise Autonomie für tamilische Siedlungsgebiete
sowie das in den vergangenen Jahren in Jaffna von der Regierung mit Erfolg
durchgeführte Wiederaufbauprogramm entgegen (KK 04.01.1996 S. 22 ff.; AA
16.01.1996 S. 5; 28.04.2000 S. 15, 16; 05.06.2000 S. 6; 24.10.2001 S. 19). Ferner
spricht dagegen, dass von der Regierung etwa im Fall Navali die Untersuchung durch
eine Kommission angeordnet wurde und die berichteten schwer wiegenden Angriffe auf
zivile Ziele eher Einzelfälle geblieben sind. Die letzte Aussage ist trotz der wiederholt
verfügten, zwischenzeitlich jedoch wieder aufgehobenen (AA 24.10.2001 S. 12)
Pressezensur für die Berichterstattung über Vorfälle im Zusammenhang mit Aktionen
der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte (AA 30.08.1996 S. 2; 28.04.2000 S. 9;
01.08.2000 S. 2; KK 04.01.1996 S. 10; Wingler 31.05.1998 S. 18; 30.09.1998 S. 19)
möglich; es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es während ihrer Geltung zu
schwer wiegenderen Angriffen der staatlichen Streitkräfte auf zivile Ziele gekommen ist,
da diese nach dem Ende der Pressezensurmaßnahmen bekannt geworden wären und
der Propagandaapparat bzw. "Auslandsinformationsdienst" der LTTE unabhängig von
den Zensurmaßnahmen in der Lage ist, Mitteilungen zu verbreiten (Wingler 03.10.1995
S. 45 f.); derartige Meldungen fehlen auch für die gegenwärtige Situation.
(3) Keine Vertreibung in ausweglose Lage
128
Für die Feststellung, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte objektiv auf eine
Vertreibung der Tamilen und deren Abdrängen in eine ausweglose Lage, also auf eine
Verelendung und damit verbundene Ausgrenzung der Zivilbevölkerung im Norden
gerichtet sind, ist ebenfalls kein Raum. Die Versorgungslage einschließlich der
medizinischen ist in den Kriegsgebieten zwar schlecht, insbesondere für die in die
Hunderttausende gehenden Flüchtlinge in der Vanni-Region; es gelten Einfuhrverbote
für Waren, die der LTTE für die Kriegsführung vorteilhaft sein könnten, wobei die Armee
die Verbote zum Teil auch auf nicht kriegswichtiges Material erstreckt (AA 24.10.2001 S.
30; Wingler 31.05.1998 S. 16 f.). Andererseits und trotz der in der zweiten Hälfte des
Jahres 1998 vorübergehend erfolgten Kürzung der Lebensmittellieferungen an die
Zivilbevölkerung (AA 28.04.2000 S. 27) stellt die Regierung aber immer wieder
Lebensmittel und sonstige Hilfsgüter zur Verfügung, insbesondere unter Einschaltung
des Roten Kreuzes und anderer Organisationen (AA 24.10.2001 S. 30). Die Lage ist
danach vergleichbar mit der, die auf der Jaffna-Halbinsel festzustellen war (vgl. dazu KK
04.01.1996 S. 48, 51; Wingler 13.07.1996 S. 30). Die weit gehende Blockierung des
Wirtschaftslebens durch die Beschränkung von Gütern und Transportwegen (KK
04.01.1996 S. 42 ff.) ist nachvollziehbar Bemühungen zuzuordnen, möglichen Nutzen
für den Bürgerkriegsgegner, welcher im Übrigen regelmäßig auch Teile von
Lebensmittellieferungen für seine Kämpfer abzweigt (AA 07.11.1995 S. 2; 24.10.2001 S.
30), weitestgehend auszuschalten. Dies zeigt sich auch daran, dass die Regierung in
Gebieten, in denen sie die Gebietsgewalt zurückerlangt hat, die Wiederherstellung der
privaten Wirtschafts- und Geschäftsstruktur als vorrangig ansieht, was etwa in Jaffna seit
Jahren zur freiwilligen Rückkehr zehntausender Tamilen geführt hat (AA 24.10.2001 S.
19).
129
(4) Exzesse der Sicherheitskräfte
130
Soweit es in den umkämpften Bürgerkriegsgebieten in unmittelbarem Bezug zu
Zivilisten zu schweren Übergriffen durch srilankische Soldaten gekommen ist, seien es
die wiederholt berichteten Vergewaltigungen oder etwa die Entführung und Ermordung
131
zweier junger tamilischer Frauen sowie im Zusammenhang mit einem dieser Fälle der
Ermordung dreier weiterer Tamilen, handelt es sich offensichtlich um Exzesstaten ohne
Aussagegehalt für einen Hintergrund politischer Verfolgung; es ist bekannt geworden,
dass in derartigen Fällen Sonderkommissionen zur Untersuchung eingesetzt,
Armeeangehörige verhaftet (Südasien 7-8/96 S. 17; KK 24.02.1997 S. 6; AA 24.10.2001
S. 25) und in einem aufsehenerregenden Prozess mehrere Armeeangehörige als Täter
zum Tode und weitere zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind (South-
Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10; AA 28.04.2000 S. 20; ai 25.01.2001 S. 3). Es zeigt
sich, dass die Übergriffe staatlicherseits nicht einfach hingenommen, erst recht nicht als
Mittel einer Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung akzeptiert werden.
(5) "Quasi-staatliche" Verfolgung durch die LTTE
132
In den vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten, in denen der srilankische Staat seine
Gebietsgewalt an die LTTE verloren hat, hat diese - unter Übernahme des
Vorgefundenen - eigene quasi-staatliche Strukturen aufgebaut (AA 05.06.2000 S. 7 f.;
24.10.2001 S. 18; Südasien 5/00 S. 16) und eine innere Ordnung von gewisser Stabilität
errichtet, wenngleich diese nur durch Hilfeleistung des srilankischen Staates - etwa
durch Finanzierung der Einrichtungen der Daseinsvorsorge und
Nahrungsmittellieferungen - aufrecht zu erhalten ist (AA 05.06.2000 S. 7 f.). Aufgrund
dieser in den betreffenden Gebieten errungenen Ordnungsgewalt dürfte die LTTE trotz
der andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen um ihren Einflussbereich mit den
srilankischen Streitkräften und der deshalb fehlenden Gebietsherrschaft "nach außen"
die Fähigkeit zu einer "quasi-staatlichen" politische Verfolgung der dort ansässigen
Bevölkerung erlangt haben.
133
Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 20.00 - und - 9 C 21.00 -, jeweils a.a.O.
134
Gleichwohl kann im hier gegebenen Zusammenhang offen bleiben, ob das in den
Erkenntnisquellen als brutal und menschenrechtswidrig beschriebene Vorgehen der
LTTE-Angehörigen gegenüber der in ihrem Einflussbereich ansässigen
Zivilbevölkerung - so werden Entführungen zur Lösegelderpressung, Festnahmen und
Hinrichtungen politisch Andersdenkender, Tötung von "Kriegsgefangenen" und
Zivilisten, Folterungen und Zwangsrekrutierungen beschrieben (AA 24.10.2001 S. 18;
Südasien 3/01 S. 65) - die Merkmale einer "quasi-staatlichen" politischen Verfolgung
aufweist. Die der LTTE aufgrund ihrer Gebietsgewalt gegebene Verfolgungsmächtigkeit
ist auf geringe Teilflächen des Staatsgebiets von Sri Lanka beschränkt; ... (Tamilen)
werden ... in den übrigen, vom srilankischen Staat beherrschten Landesteilen durch die
srilankischen Sicherheitskräfte geschützt; dort droht ihnen nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch die LTTE.
135
Vgl. zum anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit BVerwG, Urteil
vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 -, NVwZ 1997, 194 (196 f.).
136
Bei der insoweit - gegebenenfalls - vorliegenden Konstellation der Verfolgung durch
einen anderen ("Quasi-") Staat ist es auch ohne Bedeutung, ob am Ort der
Schutzgewährung die Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative gegeben
sind.
137
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. August 1996, a.a.O., S. 197.
138
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Annahme einer
politischen Verfolgung von Tamilen durch die LTTE in deren Einflussgebiet auch für die
Frage einer politischen Verfolgung von Tamilen durch den srilankischen Staat in den
übrigen Landesteilen für das Klagebegehren ohne jede Bedeutung wäre; insbesondere
wäre wegen des fehlenden sachlichen Zusammenhangs zwischen eventuellen
Verfolgungsakten der LTTE und dem Handeln der srilankischen staatlichen
Sicherheitskräfte -
139
vgl. zu diesem Kriterium BVerwG, Urteile vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 -, a.a.O., S.
196 f., und vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97 ff. = NVwZ 1997, 1134 -
140
weiterhin für die Frage staatlicher politischer Verfolgung der Prognosemaßstab der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.
141
dd) Gebiete im Norden mit staatlicher Gebietsgewalt
142
Für die Gebiete, in denen es zur Beendigung des offenen Bürgerkriegs gekommen ist
und der srilankische Staat die Gebietsgewalt zurückgewonnen und auch im Rahmen
der jüngeren Auseinandersetzungen behauptet hat, ist eine mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung ... nicht festzustellen.
143
(1) Allgemeine Sicherheitslage
144
Das allgemeine Vorgehen der Regierung bietet keinen Ansatz zur Feststellung einer
ausgrenzenden Behandlung der gesamten tamilischen Zivilbevölkerung. Eine große
Zahl von 1995 aus dem westlichen Teil der Jaffna-Halbinsel geflüchteten Tamilen ist
nach der Einnahme weiter Gebiete der Jaffna-Halbinsel durch die Armee (Südasien-
Büro 15.04.1996 S. 1) in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (Wingler 13.07.1996 S. 27;
AA 24.10.2001 S. 19). Die Zahl der tamilischen Bevölkerung wird derzeit mit etwa
500.000 angegeben (AA 24.10.2001 S. 19). Ein singhalesischer Journalist berichtete
nach einer Informationsreise von Zerstörungen unterschiedlichen Ausmaßes, Mangel an
Nahrungsmitteln und Medikamenten, andererseits von offener Anerkennung für das
Verhalten der Armee, die um ein positives Bild in der tamilischen Zivilbevölkerung
bemüht sei und von der sich diese nicht bedroht fühle (KK 06.06.1996 S. 6 ff.). Auch
nach dem Bericht einer Menschenrechtsorganisation (UTHR 27.12.1996 S. 2, 4 f.)
wurde die Rolle der Armee und besonders einiger Kommandeure, etwa in Vadamaratchi
und in dem die Stadt Jaffna einschließenden Gebiet positiv gesehen; allerdings hat
auch ein Abgeordneter im Parlament eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen
Armee und Bevölkerung beklagt (KK 24.02.1997 S. 6). Von Seiten der Regierung
wurden alsbald große Anstrengungen unternommen, außer den Soldaten auch die
Zivilbevölkerung zu versorgen (Wingler --.09.1996 S. 26). Die Versorgung mit
Lebensmitteln wurde relativ stabil; viele Schulen, die Universität und Krankenhäuser
haben ihren Betrieb wieder aufgenommen (AA 30.08.1996 S. 9; 27.05.1999 S. 6;
28.04.2000 S. 15; 05.06.2000 S. 7; 26.01.2001 S. 2; Wingler 27.11.1996 S. 23). Zum
Aufbau einer zivilen Verwaltung auf der Jaffna-Halbinsel entsandte die Regierung
tamilische Beamte (KK 06.06.1996 S. 3 f.); im Januar 1998 fanden kommunale Wahlen
statt (Wingler 31.05.1998 S. 10, 20) und die Situation in Jaffna verbessert sich trotz weit
greifender Kontrollen durch das Militär zusehends (UNHCR --.07.1998 S. 4 und
zugehörige Anlage 1 S. 6 f.). Die Menschenrechtslage wird gegenüber derjenigen vor
Juni 1997 als erheblich verbessert beurteilt (AA 19.01.1999 S. 16; Wingler 30.09.1998
S. 10; --.04.2001 S. 3 f.). Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verhalten der
145
Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung in den von ihnen beherrschten
Gebieten im Norden in Folge des Wiederaufflammens der kriegerischen
Auseinandersetzungen ab Ende 1999 geändert hat, sind nicht ersichtlich.
(2) Festnahmen und Fälle von "Verschwindenlassen"
146
Soweit die Sicherheitskräfte bei ihrem Kampf gegen die LTTE wie im Großraum
Colombo und den übrigen südlichen Gebieten zum Mittel kurzzeitiger
Massenverhaftungen von Tamilen zum Zweck der Identitätskontrolle greifen (UNHCR
24.08.2001 S. 1 f.), gilt das oben Ausgeführte. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit
politischer Verfolgung ergibt sich hieraus - von Fällen eines konkreten LTTE- Verdachts
der Sicherheitsbehörden gegen den Betroffenen abgesehen - nicht. Bedenken im
Hinblick auf eine politische Verfolgung folgten aus früheren Berichten über Festnahmen
und Verschwindenlassen insbesondere junger tamilischer Männer (vgl. insoweit die
Zusammenstellungen UTHR 27.12.1996 S. 2 ff. und ai --.11.1997 nebst Anhängen A
und C). Für den jetzigen Zeitraum sowie die weitere Entwicklung - auch in künftig
wieder in die Gewalt der staatlichen Kräfte gelangenden Bereichen - ... ergeben diese
Vorgänge jedoch nichts Tragfähiges im Sinne der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
politischer Verfolgung.
147
(a) Vorfälle im Jahr 1996
148
Im April und Mai 1996 sollen über 500 tamilische Jungen und Mädchen, die sich unter
den Flüchtlingen befanden, in Internierungslager auf der Jaffna-Halbinsel und an
unbekannte Orte - auch im Süden des Landes - verbracht worden sein, wobei spätere
Freilassungen nur in geringer Zahl bekannt wurden; Anfang Juli 1996 kam es nach
Bombenanschlägen zu einer weiteren großen Verhaftungswelle (Wingler 13.07.1996 S.
12, 36). Für den Herbst 1996 wird von mehr als 300 Verschwundenen berichtet, die in
Militärhaft genommen worden waren (Wingler 10.02.1997 S. 32). Nach
Zusammenstellungen eines Parlamentsabgeordneten aus dem November 1996 und
dem Januar 1997 wurden in jener Zeit in Jaffna ca. 130 Personen verhaftet und gelten
als verschwunden (KK 24.02.1997 S. 5). Insgesamt gelten für das gesamte Jahr 1996
über 700 Personen als verschwunden (AA 18.04.2000 S. 19) bzw. für sechs Monate des
Jahres etwa 540 Personen (ai --.11.1997 S. 1). Es wird befürchtet, dass sie gezielt
umgebracht worden oder unter Folter zu Tode gekommen sind (AA 28.04.2000 S. 19).
Hierauf deutet auch die Aussage eines angeklagten Armeeangehörigen zu
Massengräbern in der Region um Chemmani hin (South-Asia Bureau, Inform --.07.1998
S. 10 f.; Wingler 30.09.1998 S. 9 f.), wenngleich die hieran anschließenden
Nachforschungen ab Frühjahr 1999 bislang erst zum Auffinden von 15 Leichen führten
(AA 28.04.2000 S. 20). Im Weiteren können Zahlen dieser Größenordnung -
gegebenenfalls sogar mit einem Zuschlag für unbekannt gebliebene Fälle - zu Grunde
gelegt werden. Es kann hier dahinstehen, ob und in welchem Umfang
Verhaftungsaktionen ihrer objektiven Gerichtetheit nach der Erfassung von LTTE-
Anhängern und -Unterstützern dienen - insofern zeigen Einzelvorkommnisse eine
zumindest grobe Überprüfung unter Freilassung von Unverdächtigen (ai --.11.1997 S. 9)
- doch ist zu beachten, dass die Anlässe einzelner Übergriffe, nämlich Aktionen der
LTTE oder deren anderweitige militärische Erfolge (ai --.11.1997 S. 7; AA 28.04.2000 S.
19), auch für ein undifferenziertes Vorgehen sprechen. Schließlich kann offen bleiben,
ob aus den Zahlen und den Umständen der Zugriffe auf eine hinreichende
Verfolgungsdichte geschlossen werden kann. Die Geschehnisse des Jahres 1996 sind
nämlich für die heutige Situation ... ohne tragenden Aussagegehalt.
149
(b) Entwicklung nach 1996
150
Zahl und Umfang vergleichbarer Übergriffe sind nach dem Jahre 1996 erheblich
zurückgegangen. Die Aussage des UNHCR (--.07.1998 S. 3), seit der Wiederaufnahme
der bewaffneten Auseinandersetzungen 1995 habe die Anzahl der Fälle von
Verschwindenlassen permanent zugenommen und die Anzahl der berichteten Fälle
habe sich 1997 wiederum erhöht - soweit damit nicht die über mehrere Jahre
fortgeschriebene Gesamtzahl gemeint ist -, kann jedenfalls für die Jaffna-Halbinsel -
Jaffna ist neben Batticaloa und Mannar in diesem Zusammenhang erwähnt - nicht zu
Grunde gelegt werden. Eine Präzisierung im Hinblick auf die Größenordnung oder auf
tragfähige Grundlagen für die Aussage findet sich nicht. Sie kann insbesondere auch
dem Material, auf dem die Stellungnahme des UNHCR beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), nicht entnommen werden. Soweit in den herangezogenen
Unterlagen Sri Lanka als das Land mit den meisten Verschwundenen im Jahre 1997
bezeichnet wird (Anlage 2 Ziffer 348), ist das für die Entwicklung im Lauf der Jahre und
in Bezug auf den hier zu betrachtenden Landesteil ebenso ohne Gehalt wie die
ersichtlich zeitlich weit greifende Aussage, die Verletzungen von Menschenrechten
seien über Jahre hinweg so zahlreich, häufig und ernstlich, dass man nicht von
isolierten Einzelfällen des Fehlverhaltens ausgehen könne (Anlage 1 Ziffer 151).
Demgegenüber enthält das sonstige Auskunftsmaterial verschiedener Stellen mit
unterschiedlichen Quellen genaue Angaben und ergibt ein in den Grundzügen
übereinstimmendes Bild, sodass den pauschalen und ohne Bestätigung gebliebenen
Aussagen des UNHCR kein Gewicht gegeben werden kann: Für die erste Jahreshälfte
1997 wird von 35 bzw. 41 Verschwundenen berichtet. In der Folgezeit ist zunächst kein
Fall dieser Art auf der Jaffna-Halbinsel mehr bekannt geworden (ai --.11.1997 S. 2;
Wingler 30.01.1998 S. 19; AA 24.10.2001 S. 23; US State Department --.02.2001 S. 5).
Im Dezember 2000 ereignete sich dann ein weiterer Vorfall mit 8 Verschwundenen - und
letztlich Getöteten - bei Mirusevil auf der Halbinsel Jaffna (US State Department --
.02.2001 S. 3, 5; AA 24.10.2001 S. 22; ai --.--.2001 S. 519), der unmittelbar nach
Bekanntwerden zur Festnahme der verantwortlichen Soldaten wegen Folter und Mordes
führte (US State Department --.02.2001 S. 3, 5; AA 24.10.2001 S. 22); das Verfahren
gegen die 19 in Untersuchungshaft befindlichen Armeeangehörigen dauert an (AA
24.10.2001 S. 22). In den übrigen Gebieten des Nordens können sich in der Folgezeit
nur einzelne Fälle von Verschwindenlassen ereignet haben, da die Zahl möglicher
Verschwundener für 1999 und 2000 landesweit mit jeweils 12 bis 15 (ai --.--.2001 S.
519: "mindestens 20" im Jahr 2000, davon 11 im Gebiet Vavuniya) angegeben wird (AA
24.10.2001 S. 23), von denen 1999 allein 6 dem Raum Batticaloa zugeordnet werden
(AA 28.04.2000 S. 20). Für die Monate Januar bis September 2001 nennt das
Auswärtige Amt unter Bezugnahme auf amnesty international landesweit etwa 10 Fälle
(AA 24.10.2001 S. 23); anderenorts wird berichtet, Fälle von Verschwindenlassen
ereigneten sich vor allem in den Regionen Vavuniya und Mannar, wobei auf eine von
der HRC in Vavuniya genannte Zahl von 15 nach Verhaftung vermissten Personen
Bezug genommen und eine Vielzahl von Fällen durch die LTTE Entführter aufgeführt
wird (Südasien 3/01 S. 65).
151
Abgesehen von der sich aus diesen bekannt gewordenen Zahlen ergebenden
durchgreifenden Verbesserung der Situation gibt es weitere Umstände, die es plausibel
erscheinen lassen, dass sich die Zahl der Verschwundenen wie dargestellt auf einen
Stand reduziert hat, bei dem es ersichtlich an der für eine Gruppen- oder
Untergruppenverfolgung erforderlichen Dichte fehlt; von einer Situation, in der die
152
Übergriffe unterschiedslos auf die Mitglieder einer (Unter-) Gruppe gerichtet sind und
nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut fallen, dass daraus bei objektiver
Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr
eigener Betroffenheit entsteht -
vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O., S.
203 und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, a.a.O. -,
153
kann nicht gesprochen werden. Die srilankische Regierung ist bemüht, den Übergriffen
der Armee durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen und die Grundsätze der oben
zum Großraum Colombo schon angesprochenen Notstandsgesetzgebung zur
Anwendung zu bringen (AA 28.04.2000 S. 20) - so werden etwa Mitteilungen über eine
Verhaftung erstellt (Wingler 31.05.1998 S. 44) - sowie das Bewusstsein für die
Menschenrechte in der Armee zu verbreiten (ai --.11.1997 S. 14). Sowohl bei der
Rekruten- als auch bei der Offiziersausbildung wurden Menschenrechtsfragen in den
Ausbildungskatalog aufgenommen (AA 21.08.1997 S. 2; 28.04.2000 S. 8); bei den in
Jaffna stationierten Truppenteilen wurden ferner besondere "Menschenrechtseinheiten"
- human right cells - eingerichtet (AA 24.10.2001 S. 10; 28.04.2000 S. 20; US State
Department -- .02.2001 S. 10); nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes beruht die zu
beobachtende Reduzierung der Fälle von Vermissten auf den von der Regierung bzw.
der Präsidentin getroffenen Maßnahmen (AA 24.10.2001 S. 23). Insbesondere aber ist
Wirkung davon zu erwarten, dass es - wie etwa im Anschluss an den erwähnten Vorfall
in Mirusuvil - zu Verfahren kommt, in denen die Verantwortlichkeit von
Armeeangehörigen für schwer wiegende Vorkommnisse geklärt werden soll und über
die in der Presse berichtet wird (ai --.11.1997 S. 2: "Signal für die Sicherheitskräfte"; AA
24.10.2001 S. 22 f.; 28.04.2000 S. 20) - in einem Strafverfahren gegen
Armeeangehörige, die im Norden eingesetzt waren, ist es inzwischen zu einer
Verurteilung gekommen (South-Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10, AA 28.04.2000 S.
20). Armee- und Polizeiführung haben die Verschwundenenfälle kritisiert und
angekündigt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (US State Department --
.02.2001 S. 5). Ferner ist von Bedeutung, dass dem Verschwinden von Personen durch
staatlich eingerichtete Kommissionen nachgegangen wird. So ist beim
Verteidigungsministerium ein Board of Investigation eingerichtet worden, dem Hunderte
von Beschwerden vorliegen und von dem bereits in 160 Fällen die Spuren ermittelt
worden sind; außerdem ist die HRC, die inzwischen über Zweigniederlassungen in
Jaffna und Vavuniya verfügt (AA 24.10.2001 S. 9; Wingler 30.01.1998 S. 19),
eingeschaltet, die bereits Ende 1997 über 270 Fällen nachging (ai --.11.1997 S. 2, 12,
13); auf Anordnung von Präsidentin Kumaratunga wurden sieben im August 2000
bekannt gewordene Fälle von Verschwinden einer internen Untersuchung unterzogen
(ai --.--.2001 S. 519). Schließlich wird dem Vorgehen der Armee insbesondere im
Hinblick auf das Verschwinden von Zivilisten auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit
gewidmet. So hatte eine in Colombo erscheinende Wochenzeitung eine regelmäßige
Rubrik mit Namen von als verschwunden geltenden Personen eingerichtet (KK
22.02.1997 S. 5); ferner warfen Richter des Obersten Gerichtshofs den
Verfolgungsbehörden öffentlich Rechtsverletzungen und Folter vor (KK 24.02.1997 S. 4;
ai 23.02.2000 S. 5). Auch der Aussage eines wegen der Tötung von
Zivilisten zum Tode verurteilten Armeeangehörigen zur Existenz von Massengräbern
von der Armee Getöteter wird durch staatliche Stellen, die hierbei internationale
Menschenrechtsorganisationen beteiligen, unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit
nachgegangen (AA 28.04.2000 S. 20). In jüngerer Zeit hat die srilankische Regierung -
auch auf die Kritik nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen hin -
154
eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um von Polizei- und Armeeangehörigen
begangene Menschenrechtsverstöße konsequenter zu ahnden und die Verfahren zu
beschleunigen, wie die Anordnung von Gegenüberstellungen und die Durchführung von
Prozessen vor einem Gremium von Berufsrichtern; letztere Maßnahme dient auch dazu,
einer möglichen Einflussnahme auf Schöffenrichter vorzubeugen (AA 24.10.2001 S. 23).
...
155
(3) Andere Übergriffe der Sicherheitskräfte
156
Im Hinblick auf die weiteren unmittelbaren Übergriffe von Angehörigen der
Sicherheitskräfte gegen tamilische Zivilisten, insbesondere auf die Fälle der
Vergewaltigungen oder der willkürlichen Tötungen - für die Zeit von Januar bis
September 1997 ist von über 30 Fällen berichtet worden, zu denen Untersuchungen
durchgeführt worden sind (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 7) - ist auf die
vorstehenden Ausführungen zum Rückgang des Verschwindenlassens zu verweisen,
zumal der Verdacht auf extralegale Tötungen durch die Sicherheitskräfte in den Jahren
2000 und 2001 in erster Linie im Zusammenhang mit den Verschwundenen-
Schicksalen steht (AA 24.10.2001 S. 22). Auch insofern greifen die Maßnahmen zur
stärkeren Disziplinierung der Soldaten, sodass jedenfalls nunmehr von Exzesstaten
auszugehen ist, die nicht als politische Verfolgung zu werten sind; im Übrigen mangelt
es auch hier an der erforderlichen Dichte der Übergriffe.
157
(4) Übergriffe nichtstaatlicher tamilischer Organisationen
158
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung ergibt sich auch
nicht aus Übergriffen von Angehörigen militanter tamilischer Organisationen, die mit der
LTTE in offenem Konflikt stehen und mit denen die srilankische Armee auf regionaler
Ebene zusammenarbeitet (AA 28.04.2000 S. 14), wie den im Norden operierenden
"People's Liberation Organisation of Tamil Eelam" - PLOTE - und "Tamil Eelam
Liberation Organisation" - TELO -. Diese Organisationen geben zum einen
Informationen über LTTE-Mitglieder an Sicherheitsbehörden weiter, arbeiten bei der
Identifikation von LTTE-Angehörigen mit den Sicherheitskräften zusammen und liefern
von ihnen aufgegriffene LTTE-Mitglieder an die Sicherheitskräfte aus (AA 24.10.2001 S.
17). Zum anderen führen die Organisationen auch selbstständig Razzien, Festnahmen
und Verhaftungen durch, in deren Rahmen es in der Vergangenheit wiederholt zu
Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, darunter auch unrechtmäßige
Festnahmen, Inhaftierungen in illegalen Haftplätzen, Misshandlungen sowie Fälle des
Verschwindenlassens (AA 24.10.2001 S. 17 f.; ai 01.03.1999 S. 4; 16.01.2001 S. 5; US
State Department --.02.2001 S. 2, 6 ff.).
159
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung von Tamilen in den
Aktionsräumen der genannten Organisationen im Norden ergibt sich aus diesen
Vorfällen nicht. Dabei kann offen bleiben, ob das Handeln der Mitglieder dieser
Organisationen gegenüber der Zivilbevölkerung in jeder Hinsicht staatlicher Billigung
oder jedenfalls Duldung unterliegt und diesem daher zuzurechnen ist, oder ob der Staat
in den Grenzen der ihm gegebenen Möglichkeiten Maßnahmen ergreift, um Übergriffen
entgegenzuwirken, was einer Qualifizierung als mittelbare staatliche Verfolgung bereits
vom Ansatz her entgegenstünde. Von einer Duldung illegaler Inhaftierungen geht
amnesty international unter Hinweis auf die Beobachtung von Armeefahrzeugen und
Soldaten in illegalen Haftzentren der PLOTE aus (ai 23.02.2000 S. 3).
160
Wingler meint, die Aktivitäten entzögen sich "fast jeglicher Kontrolle" und die Regierung
habe "keine klaren Schritte" unternommen, dem entgegenzuwirken (Wingler --.05.2000
S. 2; --.04.2001 S. 3). Das Auswärtige Amt spricht von einem "entschiedenen
Eingreifen" der Sicherheitskräfte gegen rechtswidrige Aktivitäten der PLOTE und TELO
in Vavuniya in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 (AA 04.02.2000 S. 2; 01.12.2000 S.
4) bzw. in jüngerer Zeit (AA 24.10.2001 S. 18); insofern berichtet das US State
Department von einer Entwaffnung der PLOTE und TELO durch die Regierung im
Anschluss an eine bewaffnete Auseinandersetzung in Colombo im Mai 1999 (US State
Department --.02.2001, S. 2, 6), die allerdings als nicht effektiv eingeschätzt wird (US
State Department --.02.2001 S. 4). Die Angaben in den vorliegenden Erkenntnissen
ergeben jedenfalls nicht, dass diejenigen Übergriffe von Seiten der genannten
Organisationen, die nicht bereits bei objektiver Bewertung auf die Bekämpfung der
LTTE im Bürgerkrieg gerichtet sind und sich hierin erschöpfen, von einer derartigen
Häufigkeit sind, dass für jeden der (mehreren hunderttausend) Tamilen im betroffenen
Gebiet die ernsthafte Gefahr bestünde, ohne Anknüpfung an irgendwelche über
Volkszugehörigkeit, Alter und Geschlecht hinausgehenden individuellen Merkmale
Übergriffen asylerheblicher Intensität ausgesetzt zu sein. So beziffert etwa amnesty
international die Zahl der in illegalen Haftzentren der PLOTE in "unbestätigter Haft"
gehaltenen Personen auf 40 (ai 01.03.1999 S. 4) und stellen sich die Fälle von
Verschwundenen, für die u.a. die PLOTE verantwortlich gemacht wird (Nachweise etwa
in Anlage 1 zu KK 26.02.1999), ebenfalls als Einzelfälle dar, denen zudem
staatlicherseits nachgegangen wird (vgl. Anlage 1 zu KK 26.02.1999). Soweit davon
berichtet wird, nach einer Meldung der Zeitung "The Island" vom 24. März 2000 werde
die PLOTE in einem Untersuchungsbericht für die Tötung von 620 Menschen in
verschiedenen Teilen des Landes verantwortlich gemacht, wobei sie Unterstützung von
Armeeangehörigen erhalten habe (ai 16.01.2001 S. 5), bezieht sich die Zahlenangabe
ersichtlich auf einen Zeitraum von mehreren Jahren und hat keinen Bezug zu aktuellen
Entwicklungen. So hat das Auswärtige Amt in jüngerer Zeit noch einmal bekräftigt, dass
die Regierung seit 1999 verschärft gegen Eigenmächtigkeiten der PLOTE vorgehe,
dass sich die Verhältnisse seit der zweiten Hälfte des Jahres 1999, insbesondere nach
der Ermordung eines örtlichen PLOTE- Führers im September 1999, verbessert hätten
(AA 01.12.2000 S. 4) und dass der Einfluss der PLOTE gerade seit den letzten Wahlen
zurückgegangen sei, nachdem sie nicht mehr im srilankischen Parlament vertreten sei
(AA 24.10.2001 S. 18). Für eine gegenteilige Entwicklung sind keine Anhaltspunkte
ersichtlich.
ee) Östliche Landesteile
161
Die Verhältnisse in den östlichen Landesteilen beinhalten über die auch in den anderen
Landesteilen verbreiteten Aktionen der Sicherheitskräfte zur Identifizierung und
Verhaftung von LTTE-Angehörigen, die in gleicher Weise wie dort zu bewerten sind,
hinaus zwar Gefährdungen von Leib und Leben dort lebender Tamilen durch staatliche
oder staatlich geduldete bewaffnete Kräfte. Die für die Annahme einer
Gruppenverfolgung unerlässliche Dichte von derartigen Übergriffen, also eine Situation,
in der die Übergriffe unterschiedslos auf die Mitglieder einer Gruppe gerichtet sind und
nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut fallen, dass daraus bei objektiver
Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr
eigener Betroffenheit entsteht, die für ihn den Aufenthalt dort unzumutbar erscheinen
lässt, ist aber für die Tamilen insgesamt oder eine Untergruppe nicht festzustellen.
162
(1) Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen
163
Eine Situation offenen Bürgerkriegs unter mehr als regional begrenztem Verlust der
Gebietshoheit des Staates ist in den östlichen Landesteilen nicht entstanden. Die
Militäroperationen im Norden Sri Lankas ab April 1995 führten zu einer Reduzierung der
Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte im Osten, was dort eine Destabilisierung zur
Folge hatte (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro 15.04.1996 S. 2; Wingler 11.12.1995
S. 45; 31.01.1996 S. 39; Südasien 7-8/96 S. 11, UNHCR --.07.1998 S. 4). Der Abzug der
Truppen ermöglichte es LTTE-Kadern einzudringen, sodass sich der Einflussbereich
der LTTE im Osten des Landes ausweitete (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro
15.04.1996 S. 2). Nach ihrer Niederlage auf der Jaffna-Halbinsel hat sie ihre Präsenz im
Osten weiter verstärkt und kontrolliert dort viele Gebiete (KK 06.06.1996 S. 13; Wingler --
.09.1996 S. 36; AA 24.10.2001 S. 18: Gebiete um Batticaloa und Amparai); die
srilankische Regierung hielt und hält jedoch zumindest die Gebietsgewalt über den
Landstreifen an der Küste und die dortigen (größeren) Ortschaften (EU 02.04.1997 S. 4;
Wingler 31.05.1998 S. 19; AA 24.10.2001 S. 18; KK 04.01.1996 S. 32). Zu militärischen
Aktionen, die zum Teil auch zivile Opfer, ganz überwiegend aber Opfer unter den
staatlichen Sicherheitskräften und der LTTE fordern, kommt es nur vereinzelt
(Südasienbüro 15.04.1996 S. 1 f.; Wingler 10.02.1997 S. 18, AA 24.10.2001 S. 18);
Großoffensiven fanden mit Ausnahme einer gegen Urwaldeinrichtungen der LTTE
gerichteten Operation (Wingler 31.01.1996 S. 41 f.) nicht statt (KK 04.01.1996 S. 18).
Wenngleich auch von "wahllosen Bombardierungen" ziviler Ziele berichtet wird
(UNHCR --.07.1998, Anlage 1, Nr. 46), erlangen diese Vorfälle wegen der geringen Zahl
der berichteten Opfer (für die Zeit von Januar bis August 1997 wird eine Zahl von 37
Toten und 30 Verwundeten genannt, UNHCR --.07.1998, Anlage 1 Nr. 47), die zudem
zum Teil der LTTE angelastet werden (UNHCR --.07.1998, ebda.), kein das militärische
Auftreten der staatlichen Sicherheitskräfte im hier betrachteten Gebiet prägendes
Gewicht. Während der Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen im Norden
Sri Lankas Ende 1999 wurden die Sicherheitskräfte im Osten zeitweilig in erhöhte
Alarmbereitschaft versetzt, um auch hier befürchteten Aktionen der LTTE militärisch
entgegentreten zu können (AA 18.04.2000 S. 1). Größere militärische
Auseinandersetzungen sind jedoch nicht bekannt geworden. Von einer nachhaltigen
Beeinträchtigung der tamilischen Bevölkerung durch Maßnahmen des Staates, die einer
kriegerischen Auseinandersetzung zuzuordnen und unter den dafür vom
Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Voraussetzungen auf den Charakter als
politische Verfolgung zu prüfen wären, ist hiernach nicht auszugehen.
164
(2) Vergeltungsaktionen nach LTTE Aktionen/"Verschwin-denlassen"
165
Vergeltungsaktionen, die über die Bekämpfung der LTTE oder der Aufklärung ihres
Umfeldes hinausgehen, sind seit 1995 immer wieder vorgekommen und haben zum Tod
zahlreicher Zivilisten geführt. So wurde für Mai 1995 von einem Dutzend
außergesetzlicher Hinrichtungen, für August 1995 von der Tötung zweier Zivilisten und
für November 1995 in einem Fall von der Tötung mehrerer, in einem weiteren Fall von
der Tötung von drei oder sieben Zivilisten berichtet; Anfang 1996 kam es zu einem
besonders gravierenden Vorfall mit der Tötung von 24 Zivilisten, darunter 13 Kindern
und auch Frauen (KK 20.03.1996 S. 4; Wingler 29.04.1996 S. 38 ff. ; AA 30.08.1996 S. 9
f.). Gegen Ende 1996 wurde eine Aktion durchgeführt, bei der tamilische Bewohner
ganzer Ortschaften ins offene Feld getrieben und kontrolliert wurden, eine unbekannte
Zahl nach der Festnahme durch die Armee verschwunden ist und mehrere Personen
getötet wurden (Wingler 10.02.1997 S. 30, 40, 43). Für 1996 und 1997 sind ferner
Brandstiftungen und Vertreibungen der Bewohner belegt, wobei auch Personen zu
166
Schaden kamen (Wingler 13.07.1996 S. 41 f., 08.10.1997 S. 23 f.). Für die ersten acht
Monate des Jahres 1997 wurde von 35 Getöteten berichtet und davon, dass die Fälle
unter Notstandsrecht untersucht wurden, aber auch davon, dass Tötungen von den
Sicherheitskräften bewaffneten Auseinandersetzungen zugeschrieben werden, um so
eine Untersuchung zu umgehen (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 9). Im September
1997 wurden bei einem Übergriff 6 Tamilen getötet; weitere wurden verletzt oder
verschwanden (Wingler 08.10.1997 S. 23). Im Februar 1998 wurden acht junge Tamilen
verhaftet und brutal getötet (Wingler 31.05.1998 S. 43). Fälle des Verschwindens von
tamilischen Zivilisten sind auch darüber hinaus - etwa nach Festnahmen durch die
Sicherheitskräfte bei Kontrollen - festzustellen (UNHCR --.07.1998 S. 3), wobei die Zahl
den Umständen gemäß, also insbesondere wegen der mangelnden präzisen Erfassung
und Zusammenfassung sowie mangels fortdauernder Beobachtung der Fälle, nur wenig
zuverlässig angegeben werden kann. Als Anzahl der verschwundenen Personen wird
für den Nordosten für den Zeitraum eines Jahres ab dem Herbst 1994 etwa 30
angegeben (KK 04.01.1996 S. 70 f., 75). Im Frühjahr 1996 wurden bezogen auf den
Osten einige Fälle von Verschwundenen bekannt (EU 02.04.1997 S. 12 unter Hinweis
auf die von amnesty international genannte Zahl sieben), für 1998 wird bezogen auf
Trincomalee kein Fall mehr benannt (AA 24.10.2001 S. 23). Für den Bezirk Batticaloa
wird berichtet, im ersten Halbjahr 1997 seien 16 Personen verschwunden (ai --.11.1997
S. 2), im Jahre 1999 6 Personen (AA 28.04.2000 S. 20). Für die ersten 9 Monate des
Jahres 2000 wird für das Gebiet um Vavuniya und den Osten Sri Lankas zusammen die
Zahl von 9 Personen genannt, die aus dem Gewahrsam der Sicherheitskräfte
verschwunden sind (US State Department --.02.2001 S. 1), für die Zeit von Januar bis
September 2001 ist von landesweit etwa 10 Verschwundenenfällen die Rede (AA
24.10.2001 S. 23). Der UNHCR teilt mit, im Osten seien Fälle von Verschwindenlassen
sowie schwer wiegende Misshandlungen im Polizeigewahrsam weiterhin ein ernst zu
nehmendes Problem (UNHCR --.07.1998 S. 4); konkretere Angaben lassen sich seiner
Stellungnahme und dem in Bezug genommenen Material allerdings nicht entnehmen.
Eine Liste mit den Namen von 2.000 Verschwundenen, über die berichtet wird (Wingler
08.10.1997 S. 26), ist ebenfalls kaum nachvollziehbar, wenn sie - was in dem Bericht
nicht deutlich wird - allein auf die Zeit nach dem Regierungswechsel, den
Friedensgesprächen und dem erneuten Einsetzen der LTTE-Übergriffe bezogen wird,
wohl aber bei Einbeziehung der Verhältnisse ab 1990/1991, die ein nachhaltig anderes
Bild ergaben und nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 8. Juli 1992 - 21
A 914/91.A -) den Schluss auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung
junger tamilischer Männer trugen. Da der Verfasser der Liste seit langer Zeit in
Batticaloa ansässig ist und sich mit der Situation der Bevölkerung befasst, ist
anzunehmen, dass es sich um eine fortgeschriebene Liste handelt; angesichts der sich
nicht zuletzt in den Auskünften niederschlagenden Beobachtung der Entwicklung durch
Menschenrechtsorganisationen (EU 02.04.1997 S. 5) kann trotz des oben aufgezeigten
Vorbehalts von einer anderweitig nicht bekannt gewordenen Zahl in der genannten
Größenordnung nicht ausgegangen werden. Auch der Angabe von Wingler (Wingler --
.05.2000 S. 2), "die meisten Fälle von Verschwinden und Tod in Haft werden derzeitig
aus dem Osten berichtet", ist keine Aussage zu einer hohen Zahl derartiger
Vorkommnisse zu entnehmen; sie findet vielmehr ihre Erklärung in dem allgemein in Sri
Lanka konstatierten Rückgang derartiger Übergriffe, der sich etwa in der Zahl von
landesweit jeweils etwa 12 bis 20 Verschwundenenfällen in den Jahren 1999 und 2000
und etwa 10 Fällen in den ersten neun Monaten des Jahres 2001 widerspiegelt (AA
24.10.2001 S. 23; ai --.--.2001 S. 519), wobei sich allerdings allein im Jahr 1999
mindestens sechs Fälle im Raum Batticaloa ereigneten (AA 28.04.2000 S. 20).
In Verbindung mit Aktivitäten der LTTE stehen auch das berichtete Heranziehen von
Zivilisten zum Räumen von Minen und als lebende Schutzschilde im Raum Batticaloa
(KK 24.10.1995 S. 5; Wingler 03.11.1995 S. 2, 31.01.1996 S. 41) sowie die Racheakte
von Singhalesen (Wingler 31.01.1996 S. 43) oder Moslems (AA 17.03.1997 S. 5;
28.04.2000 S. 13). Ohne feststellbaren Bezug zu vorangegangenen Aktivitäten der
LTTE sind Plünderungen (Wingler 08.10.1997 S. 24) und Übergriffe gegen Frauen; von
Fällen der Vergewaltigung wird immer wieder berichtet, wobei insbesondere auch auf
eine Dunkelziffer hingewiesen wird (KK 22.02.1997 S. 7; Wingler 10.07.1997 S. 52,
08.10.1997 S. 26; EU 02.04.1997 S. 12; AA 24.10.2001 S. 25).
167
(a) Kein staatliches Verfolgungsprogramm
168
Die für die Prüfung, ob jeder in dem hier betrachteten östlichen Landesteil sich
aufhaltende Tamile in der Gefahr aktueller Betroffenheit steht, aussagekräftige Frage, ob
hinter den vorgenannten Beeinträchtigungen ein bestimmtes, der Art nach eine
politische Verfolgung beinhaltendes Programm steht, ist jedoch zu verneinen. Dabei
braucht nicht auf die Einzelgesichtspunkte eingegangen zu werden, die für eine
Qualifizierung von Vorfällen als Akte politischer Verfolgung maßgeblich sind. Der
Annahme eines Verfolgungsprogramms stehen zunächst die Verschiedenartigkeit und
Spannweite der vorstehend aufgeführten Akte, die Vielfalt der Anlässe und Ursachen
sowie die Unterschiedlichkeit der Handelnden entgegen. Es kann auch nicht davon
ausgegangen werden, die Regierung lasse die Situation gewollt unkontrolliert und
dulde bewusst die Beeinträchtigungen der Tamilen, etwa um diese als
Bevölkerungsgruppe ungeachtet einer etwaigen Verbindung zur LTTE auszugrenzen.
Denn die Übergriffe bleiben nicht mehr ohne jede staatliche Reaktion. So ist der Vorfall
von Anfang 1996, bei dem 24 Personen getötet wurden, zum Gegenstand einer
offiziellen Untersuchung gemacht worden (Südasien-Büro 15.04.1996 S. 4, AA
30.08.1996 S. 9 f.) und führte der Übergriff mit 6 Toten im September 1997 alsbald zur
Versetzung der Verantwortlichen (Wingler 08.10.1997 S. 23). Auch nach
Vergewaltigungen kam es zu Festnahmen (AA 24.10.2001 S. 25; KK 22.02.1997 S. 6 f.).
Als Folge eines Vorfalls in Thamapalakamam in der Nähe von Trincomalee im Februar
1998, bei dem Polizei und Heimwehren acht Tamilen, darunter drei Kinder getötet
haben sollen, wird von der Inhaftierung von 31 Polizisten und 10 Mitgliedern der
Heimwehren berichtet, von denen 4 Personen wegen Mordes und 17 Personen wegen
Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt worden sind (US State Department --
.02.2001 S. 3). Die eingeleiteten Maßnahmen führen zwar nicht zu zügiger Klärung der
Verantwortlichkeit und abschließenden Maßnahmen (AA 24.10.2001 S. 25; Wingler
08.10.1997 S. 25), sie stehen aber der in dem angeführten Senatsurteil vom 8. Juli 1992
- 21 A 914/91.A - noch maßgeblich mit herangezogenen Schlussfolgerung entgegen,
die Tamilen seien Übergriffen völlig hilflos ausgesetzt und fänden nirgendwo Gehör. In
diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass in den Medien von den Übergriffen
berichtet wird, Politiker Vorfälle aufgreifen und öffentliche Proteste stattfinden (AA
24.10.2001 S. 25; Wingler 08.10.1997 S. 23). Die in dem Bericht des UNHCR vom Juli
1998 wiedergegebene Aussage einer Arbeitsgruppe der UN-
Menschenrechtskommission über eine "systematische Praxis des
Verschwindenlassens" ergibt nichts anderes. Diese Aussage wird in keiner Hinsicht
konkretisiert und untermauert. Welches System insbesondere mit welchen Kriterien in
Bezug auf die Betroffenen zu Grunde liegen soll, wird ebenso wenig verdeutlicht wie die
tatsächlichen Geschehnisse, an die der Schluss auf ein Vorgehen in bestimmter Weise
anknüpfen soll. Den Berichten, auf denen die Stellungnahme beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), lässt sich Dahingehendes ebenfalls nicht entnehmen;
169
insbesondere trägt der sich mit Fragen des Verschwindenlassens befassende Bericht
die Aussage nicht. Damit stimmt überein, dass sich in dem oben ausgewerteten und
eine Vielzahl von Informationen bietenden Auskunftsmaterial kein Anhaltspunkt für eine
solche generelle oder systematische Praxis der Sicherheitskräfte findet und dass der
Bericht selbst die Bewertung enthält, man könne "nicht von einer geplanten Politik von
Menschenrechtsverletzungen sprechen" (UNHCR --.07.1998 S. 1 f., Anlage 1 Rdnr.
151).
(b) Dichte der Übergriffe
170
Die aufgezeigten Beeinträchtigungen - für die im Einzelnen eine Untersuchung des
Charakters der politischen Verfolgung unterbleibt - reichen in ihrer Gesamtheit nicht aus,
um auf eine aktuelle Gefahr für jeden Einzelnen zu schließen. Die Vergeltungsschläge
sind im Vergleich zu den Übergriffen der LTTE eher selten geblieben. Denn die
Situation ist seit Jahren dadurch geprägt, dass die LTTE eine Vielzahl von Übergriffen
auf strategisch wichtige Ziele, auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei sowie - um
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen zu provozieren (KK 04.01.1996 S. 34;
AA 17.03.1997 S. 4) - auf singhalesische Dörfer verübt (KK 04.01.1996 S. 17, 34;
Wingler 31.01.1996 S. 40 f., 10.07.1997 S. 39, 53, 08.10.1997 S. 21, 23,). Es kam zu
Übergriffen der LTTE mit in Einzelfällen sehr hoher Zahl an Opfern vor allem unter der
singhalesischen Bevölkerung - so im Mai 1995 mit 42 (AA 07.11.1995 S. 1) und im
Oktober 1995 mit 73 Getöteten (KK 24.10.1995 S. 15). Die Zahl der getöteten
Sicherheitskräfte ist insbesondere auf den Außenposten hoch (Wingler 08.10.1997 S.
23). Für Anfang 1996 etwa wurde sie auf über 500 geschätzt (Wingler 29.04.1996 S. 34),
allein im Januar 1997 betrug sie über 200 (Wingler 10.02.1997 S. 18). Angriffe auf
Armeelager und Polizeistellen, die teilweise mehrere oder gar bis zu 30 Menschenleben
fordern, werden als sehr zahlreich, manchmal als fast täglich geschehend dargestellt
(Wingler 29.04.1996 S. 34, 13.07.1996 S. 9, 10.07.1997 S. 39; AA 12.07.1995 S. 1).
Hinzu kommen Terroranschläge, etwa auf Verkehrsmittel und Politiker (Wingler --
.09.1996 S. 18, 37, 08.10.1997 S. 27; AA 05.06.2000 S. 13). Eine Situation, bei der
praktisch nach jedem Akt der LTTE mit einer zugespitzten Gefährdung zu rechnen ist, ist
daher nicht festzustellen. Das Verschwindenlassen von Personen bei Gelegenheit der
Vergeltungsaktionen und in sonstigen Zusammenhängen sowie die Vergewaltigungen
sind zwar - was in die Beurteilung der Zumutbarkeit des Aufenthalts einfließen muss -
Akte von ganz erheblicher Schwere; die Häufigkeit kann aber selbst bei
Berücksichtigung einer Dunkelziffer nicht als so hoch angesehen werden, dass für jeden
aus dem jeweils in Betracht zu ziehenden Personenkreis mit dem jederzeitigen Eintritt
zu rechnen ist, zumal die schon angesprochene mögliche Publizität und staatliche
Reaktion eine eindämmende Wirkung entfalten können. Auch für die sonstigen
Übergriffe wie die durch andere Bevölkerungsgruppen und Organisationen sowie das
Heranziehen zum Minensuchen usw. und in einer Gesamtschau ergibt sich nach dem
umfangreichen Material, das ersichtlich alles aufgegriffen hat, was in Erfahrung zu
bringen war, sodass auch kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht, keine in dem
erforderlichen Sinne zugespitzte Gefahrenlage für den Einzelnen.
171
(3) "Quasi-staatliche" Verfolgung durch LTTE
172
Ob Angehörige der LTTE in den von ihr beherrschten südöstlichen Gebieten um
Batticaloa und Amparai (AA 24.10.2001 S. 18) politische Verfolgung betreiben, kann
ebenso dahingestellt bleiben, wie dies hinsichtlich der LTTE-beherrschten Gebiete im
Norden der Fall ist. Insofern kann auf das oben Ausgeführte Bezug genommen werden."
173
Auch die weitere Entwicklung in Sri Lanka seit den Urteilen des Gerichts vom 23.
November 2001 - 21 A 4018/98.A und 21 A 5185/98.A - und vom 29. November 2001 -
21 A 3853/99.A -, die das Gericht fortlaufend in den Entscheidungen vom 15. November
2002 - 21 A 4834/99. A und 21 A 1329/00.A -, vom 5. Dezember 2003 - 21 A 636/01.A,
21 A 1542/02.A, 21 A 54/01.A - und vom 19. November 2004 - 21 A 580/99.A und 21 A
3441/03.A - zusammengestellt hat, gibt keinen Anlass, von politischer
Gruppenverfolgung tamilischer Volkszugehöriger bis zur Ausreise des Klägers im Juni
2003 auszugehen.
174
So konnte das Gericht in der Entscheidung vom 19. November 2004 zur Entwicklung in
Sri Lanka seit Herbst 2001 feststellen:
175
"Ausgangspunkt der aktuellen Entwicklung in Sri Lanka war die Parlamentswahl im
Dezember 2001. Nach dem Übertritt von 13 Abgeordneten zur Oppositionspartei "United
National Party" (UNP) und dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit ihres
Wahlbündnisses "People's Alliance" (PA) sah sich Präsidentin Kumaratunga veranlasst,
am 10. Oktober 2001 das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben
(Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747; FR vom 12.10.2001, NZZ vom 11.10.2001 und
12.10.2001). Im Vorfeld der Parlamentswahlen kam es - wie schon regelmäßig bei
früheren Parlamentswahlen - zu Anschlägen, unter anderem zu einem
fehlgeschlagenen Selbstmordattentat auf den damaligen Premierminister Ratnasiri
Wickremanayake am 29. Oktober 2001 in Colombo (AA 06.09.2002 S. 6; SZ vom
30.10.2001) und zu einem Selbstmordanschlag auf den Öltanker "Silk Pride" vor der
Küste Sri Lankas am 30. Oktober 2001 (SZ vom 31.10./01.11.2001); insgesamt kamen in
dem von Gewalttaten geprägten "blutigen Wahlkampf" (Flück, Menschenrechtslage in
Sri Lanka, Südasien 4/01 S. 67; NZZ vom 05.12.2001 und 07.12.2001) - in anderen
Berichten ist sogar vom "blutigsten Wahlkampf in der Geschichte des Inselstaates" (FR
vom 05.12.2001) bzw. vom "gewalttätigsten in Sri Lankas Geschichte" (SZ vom
05.12.2001) die Rede - über 40 Menschen ums Leben (ai Jahresbericht 2002 S. 514
<47 Tote>; AA 06.09.2002 S. 23 und Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747 <43
Tote>). Auch der Wahlgang selbst wurde überschattet von Schießereien,
Bombenanschlägen und mindestens zehn Todesopfern (AA 06.09.2002 S. 23; NZZ vom
06.12.2001 und 07.12.2001). Bei der Abstimmung am 5. Dezember 2001 rutschte die
bisher regierende PA, die weiterhin eine strikt militärische Lösung des Konflikts mit der
LTTE forderte, auf einen Stimmenanteil von 37,2 v.H. ab. Die mit der PA verbündete
marxistische Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) kam auf 9,1 v.H. Demgegenüber konnte
die oppositionelle UNP, die den Wahlkampf mit dem zentralen Versprechen geführt
hatte, umgehend Friedensgespräche aufzunehmen, 45,6 v.H. der Stimmen gewinnen;
sie stellte 109 der 225 Abgeordneten und besaß zusammen mit der verbündeten "Tamil
United Liberation Front" (15 Mandate) und dem "Sri Lanka Muslim Congress" (5
Mandate) die Parlamentsmehrheit (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747 f.; FAZ vom
08.12.2001, FR vom 08.12.2001, NZZ vom 07.12.2001 und 08./09.12.2001, SZ vom
08./09.12.2001). Mit Amtsantritt der neuen "United National Front" (UNF)-Regierung
unter dem UNP-Vorsitzenden Ranil Wickremasinghe am 12. Dezember 2001 (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 747 f.; NZZ vom 10.12.2001) wurden die Bemühungen um
eine friedliche Lösung des Konflikts wieder aufgenommen (AA 06.09.2001 S.5 f.). Schon
am 19. Dezember 2001 kündigte die LTTE einen einseitigen Waffenstillstand für einen
Monat als Geste des guten Willens an (NZZ vom 20.12.2001). Diese Erklärung erfolgte
zu einem Zeitpunkt, in dem die LTTE weltweit zunehmend unter Druck und dabei vor
allem auch in finanzielle Bedrängnis geraten war und weiter geriet (NZZ vom
176
05.07.2002). Bereits vor dem 11. September 2001 hatten die USA, Großbritannien,
Indien und Kanada die Tätigkeit der LTTE in ihren Ländern unterbunden und ihr damit
einen wesentlichen Teil ihrer traditionellen finanziellen Basis entzogen (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 05.07.2002 und 16.09.2002; vgl. zur
Finanzbeschaffung der LTTE in Deutschland Bundesministerium des Innern,
Verfassungsschutzberichte 2000 S. 219, und 2001 S. 242 f.; Innenministerium NRW,
Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein- Westfalen über das Jahr 2001 S.
247). Im Zusammenhang mit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York
und das Pentagon in Washington am 11. September 2001 hatten Forderungen, die
LTTE bzw. LTTE-Frontorganisationen auch in anderen Ländern zu verbieten sowie ihre
"fundraising"-Aktivitäten zu beschneiden, neue Nahrung erhalten (KK 17.04.2002 S. 5;
FAZ vom 23.09.2002). Am 21. Dezember 2001 schlossen sich die Regierungstruppen
dem Waffenstillstand an; eine Vereinbarung über eine vorläufige einmonatige
Waffenruhe trat am 24. Dezember 2001 in Kraft (AA 06.09.2002 S. 5 f; Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR vom 27.12.2001). Noch im Dezember 2001 bat die
neue Regierung Norwegen offiziell um Hilfe bei der Wiederaufnahme von
Friedensgesprächen (NZZ vom 27.12.2001).
Am 15. Januar 2002 lockerte die Regierung weitgehend das Embargo gegen die von
der LTTE gehaltenen Gebiete (AA 06.09.2002 S. 6; Fischer Weltalmanach 2003 Spalte
748; KK 17.04.2002; FR vom 03.01.2002, FAZ vom 16.01.2002, SZ vom 17.01.2002)
und bestärkte damit die Hoffnungen auf Frieden in Sri Lanka (FAZ vom 16.01.2002, SZ
vom 17.01.2002). Am 21. Januar 2002 wurde die Waffenruhe beidseitig um einen Monat
verlängert (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 22.01.2002, FAZ vom
23.01.2002). In einer symbolischen "Geste guten Willens" entließ die LTTE am 22.
Januar 2002 zehn seit Jahren gefangene Regierungssoldaten und übergab sie an eine
Friedensorganisation aus dem Süden des Landes, in der sich Eltern verschollener
Soldaten zusammengeschlossen haben (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR
vom 23.01.2002). Die Hauptbemühungen der auch von Präsidentin Kumaratunga
unterstützten norwegischen Friedensinitiative galten in der Folgezeit dem Abschluss
eines formalisierten längerfristigen Waffenstillstandsabkommens zwischen Regierung
und LTTE als Basis für weitere Verhandlungen (AA 06.09.2002 S. 6). Rasch stellten
sich Fortschritte und Zeichen wachsender Normalisierung ein (FAZ vom 08.02.2002, FR
vom 23.01.2002). Mitte Februar 2002 wurde vereinbart, die jahrelang umkämpfte
Verbindungsstraße von der Halbinsel Jaffna in den Süden Sri Lankas wieder zu
eröffnen (FR vom 16.02.2002); von Seiten der Regierung wurde die Aufhebung des
Verbots der LTTE in Aussicht gestellt, die diese zur Vorbedingung für die Aufnahme von
Friedensgesprächen gemacht hatte (NZZ vom 24.01.2002, FR vom 20.02.2002 und
08.06.2002, FAZ vom 22.02.2002). Am 22. Februar 2002 erreichten die norwegischen
Vermittler unter dem stellvertretenden Außenminister Vidar Helgesen ungeachtet
schwerer Seekämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen vor der Küste Sri
Lankas (FAZ vom 22.02.2002) ein unbefristetes Waffenstillstandsabkommen zwischen
Regierung und LTTE (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; FAZ vom 22.02.2002,
NZZ vom 22.02.2002, 23./24.02.2002 und 25.02.2002, FR vom 23.02.2002), das
allerdings auf Kritik bei Präsidentin Kumaratunga stieß (Fischer Weltalmanach 2003
Spalte 748; FR vom 23.02.2002, NZZ vom 25.02.2002). Dieses Abkommen trat in der
Nacht vom 22. auf den 23. Februar 2002 in Gestalt des "Memorandum of Understanding
between the Government of the Democratic Socialist Republic of Sri Lanka and the
Liberation Tigers of Tamil Eelam" in Kraft (KK 17.04.2002 S. 6; AA 06.09.2002 S. 5 f.;
NZZ vom 25.02.2002). Neben einem beidseitigen unbefristeten Waffenstillstand sieht es
eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen auf beiden Seiten, Erleichterungen für die
177
Bevölkerung in den Gebieten unter der Kontrolle der LTTE und Fristen von 30 bis 90
Tagen für die Umsetzung aller Vorschriften vor. Eine international besetzte "Sri Lanka
Monitoring Mission" (SLMM) unter Führung Norwegens überwacht die Durchführung
des Abkommens. Als Zeitpunkt für Vorgespräche über eine mögliche friedliche
Konfliktbeilegung wurde Anfang Mai 2002 in Aussicht genommen (AA 06.09.2002 S. 6).
Der Waffenstillstand wurde in der Folgezeit eingehalten und es gab zunächst auch
keine Selbstmordanschläge mehr (NZZ vom 05.07.2002). Am 14. März 2002 besuchte
zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder ein srilankischer Regierungschef die LTTE-
Hochburg Jaffna (NZZ vom 15.03.2002 und 05.07.2002). Bei Kommunalwahlen
unterstützte die Bevölkerung den Kurs der UNF-Regierung und die geplanten
Verhandlungen mit der LTTE (NZZ vom 22.03.2002 und 23.05.2002, FR vom
22.05.2002). Anfang April 2002 erhielt die LTTE die Erlaubnis, Büros auch in den
bislang von Regierungstruppen kontrollierten Gebieten zu eröffnen, um dort ihrer
politischen Arbeit nachgehen zu können (KK 17.04.2002 S. 6). Am 9. April 2002 wurde
die Hauptzufahrtsstraße nach Jaffna nach ihrer Entminung wieder für den Verkehr
freigegeben, sodass nach 12 Jahren Unterbrechung erstmals die Landverbindung
zwischen der Hauptstadt Colombo und Jaffna wieder durchgängig befahrbar ist (KK
17.04.2002 S. 6; Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 10.04.2002). Erste
Inlandsflüchtlinge begannen mit der Rückkehr in ihre Heimatgebiete (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR vom 30.07.2002); LTTE-Führer Prabhakaran, der
sich am 10. April 2002 nach zwölf Jahren Versteck anlässlich einer Pressekonferenz in
Kilinochchi wieder in der Öffentlichkeit hatte sehen lassen (NZZ vom 11.04.2002 und
05.07.2002, SZ vom 12.04.2002), und der Vorsitzende der muslimischen Partei SLMC
unterzeichneten ein Abkommen über die Rückkehr von 100.000 Muslimen in den
Norden Sri Lankas (FAZ vom 15.04.2002). Die zunächst für Anfang Mai, später für Juni
und dann für Juli 2002 angekündigte Aufnahme der Friedensverhandlungen (NZZ vom
28.03.2002, 10.04.2002, 19.04.2002, 23.05.2002 und 05.07.2002, SZ vom
28./29.03.2002) verzögerte sich auch wegen der von der LTTE gestellten Bedingung
einer vorherigen Aufhebung des Verbots ihrer Organisation weiter (FR 31.05.2002). Am
7. Juni 2002 kündigte die Regierung an, das Verbot zehn Tage vor Beginn der
Verhandlungen aufzuheben (FAZ vom 08.06.2002, FR vom 08.06.2002). Mitte August
2002 verständigten sich Regierung und LTTE in Oslo darauf, dass die
Friedensverhandlungen nach Aufhebung des Verbots der LTTE zwischen dem 12. und
17. September 2002 in Bangkok beginnen sollten (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte
748; NZZ vom 15.08.2002, 16.08.2002, 17./18.08.2002 und 14./15.09.2002, SZ vom
14./15.09.2002). Am 5. September 2002 verkündete der srilankische
Verteidigungsminister offiziell das Ende des Verbots der LTTE (Flück, Militärische und
politische Situation im Konflikt in Sri Lanka, Südasien 3/02 S. 72; Keller, Die Suche
nach der Konfliktlösung hat begonnen, Südasien 3/02 S. 75 <76>). Ungeachtet
schwerer innenpolitischer Spannungen zwischen Präsidentin Kumaratunga und
Premierminister Wickremasinghe (Flück, Militärische und politische Situation im Konflikt
in Sri Lanka, Südasien 3/02 S. 72) wurden die Friedensverhandlungen sodann am 16.
September 2002 auf dem Flottenstützpunkt Sattahip südöstlich von Bangkok
aufgenommen (FAZ vom 16.09.2002 und 17.09.2002, NZZ vom 16.09.2002) und
allgemein als "einmalige Chance für Sri Lanka" (NZZ vom 16.09.2002) bewertet. In
dieser ersten Runde der Friedensverhandlungen rückte die LTTE überraschend von
ihrer von der Regierung stets als unverhandelbar (NZZ vom 16.09.2002) bezeichneten
Forderung nach einem eigenen Staat ab (FAZ vom 19.09.2002, NZZ vom 19.09.2002,
SZ vom 19.09.2002). Die Konfliktparteien einigten sich darüber hinaus auf verschiedene
vertrauensbildende Maßnahmen (NZZ vom 19.09.2002). Diese positiven Resultate der
ersten Verhandlungen ließen die Hoffnung auf Frieden weiter wachsen (NZZ vom
19.09.2002, FAZ vom 23.09.2002). Weitere Gespräche wurden für Oktober und
Dezember 2002 sowie für Januar 2003 vereinbart (SZ vom 19.09.2002). Im Oktober
2002 wurde der Friedensprozess durch verschiedene Gewalttätigkeiten überschattet.
Am 9. Oktober 2002 kamen acht Demonstranten durch Polizeischüsse in Ampara im
Osten von Sri Lanka ums Leben, dem ersten ernsten Zwischenfall seit Beginn der
Waffenruhe im Februar 2002 (FAZ vom 11.10.2002). In der Folge dieser Ereignisse kam
es am 11. Oktober 2002 zu Straßenschlachten zwischen Singhalesen und Tamilen im
Nordosten Sri Lankas, bei denen drei Menschen getötet wurden (FAZ vom 12.10.2002).
Außerdem wurde von Ausschreitungen bis hin zu offener Gewalt gegen die muslimische
Minderheit im Osten des Landes berichtet (NZZ vom 16.10.2002, FR vom 26.10.2002),
die befürchtet, unter tamilischer Verwaltung diskriminiert zu werden (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748). Von diesen Ereignissen und auch von der Verurteilung
Prabhakarans zu 200 Jahren Haft durch das Oberste Gericht Sri Lankas am 31. Oktober
2002 (NZZ vom 01.11.2002) unbeeinflusst fand die zweite Runde der
Friedensgespräche vom 31. Oktober bis 3. November 2002 in Bangkok statt; sie endete
erneut mit positiven Resultaten, u.a. der Gründung paritätisch besetzter Ausschüsse, die
auf dem Weg zum Frieden wirtschaftliche, politische und Sicherheitsprobleme lösen
sollen (Flück, Friedensprozess bleibt auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68; Fischer
Weltalmanach 2004 Spalte 793; NZZ vom 04.11.2002).
Zur Förderung des Friedensprozesses stellte eine kurzfristig vom Vermittler Norwegen
einberufene Geberkonferenz (NZZ vom 23.11.2002) Ende November 2002 in Oslo eine
erste Soforthilfe von rund 70 Mio. US-Dollar für den Wiederaufbau Sri Lankas bereit
(Flück, Friedensprozess bleibt auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68 <69>; Fischer
Weltalmanach 2004 Spalte 794). In der dritten, von beiden Seiten als "historisch"
(Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794) bezeichneten Verhandlungsrunde, die vom 2.
bis 5. Dezember 2002 ebenfalls in Oslo stattfand, einigten sich die Chefunterhändler auf
das Modell einer föderalen Struktur nach dem Vorbild der Schweiz (AA 19.06.2003 S. 7;
Flück, Friedensprozess bleibt auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68 <69f.>; NZZ vom
02.12.2002 und 06.12.2002, FR vom 06.12.2002, SZ vom 06.12.2002). Ende 2002 war
die Lage auf der Halbinsel Jaffna trotz aller Unsicherheit durch Aufbruchstimmung (taz
vom 07.01.2003), Geschäftigkeit (SZ vom 15.01.2003) und zahlreiche Verbesserungen
im täglichen Leben (Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord Krishna - Ein
Besuch in Jaffna zwischen Krieg und Frieden, Südasien 4/02 S. 62 <66>)
gekennzeichnet. Die Beratungen auf den weiteren Konferenzen vom 6. bis 9. Januar
2003 in Nakhon Pathom/Thailand, am 7./8. Februar 2003 in Berlin und vom 18. bis 21.
März 2003 in Hakone/Japan gerieten allerdings stärker unter den Druck innen- und
außenpolitischer Zwänge. Als Voraussetzung für die Freigabe von ausgedehnten
militärischen Sicherheitszonen auf der Halbinsel Jaffna für rückkehrende Flüchtlinge
verlangte die Armee bei den Verhandlungen in Nakhon Pathom den Beginn der
sofortigen Entwaffnung der LTTE. Präsidentin Kumaratunga forderte darüber hinaus die
sofortige Auflösung der LTTE-Eliteeinheit "Black Tigers", die für einen Großteil der
Selbstmordattentate in der Vergangenheit verantwortlich ist. Die LTTE lehnte beide
Forderungen kategorisch ab, solange keine politische Lösung in Kraft sei, und stellte
ihre Mitarbeit im Ausschuss zur militärischen Deeskalation ein; vereinbart wurde jedoch
ein Aktionsplan ("Action Plan for an Accelerated Resettlement Programme for the Jaffna
District") für eine erste Wiederansiedlung von Vertriebenen in Gebieten außerhalb der
Hochsicherheitszonen, von dem rund 94.000 Familien bzw. etwa 250.000 bis 320.000
Personen betroffen wären (AA 19.06.2003 S. 7; Flück, Der Kampf um den Frieden geht
weiter, Südasien 1/03 S. 54 <56>; Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; FR vom
07.01.2003, NZZ vom 07.01.2003, FAZ vom 10.01.2003, NZZ vom 10.01.2003).
178
Insgesamt wurde die Verhandlungsrunde trotz einer gewissen Ernüchterung ("Das Ende
der Sensationen", FR vom 07.01.2003) dahin bewertet, dass die Gespräche "auf gutem
Weg" sind (NZZ vom 10.01.2003). Indien blieb in der Beurteilung des
Friedensprozesses weiterhin misstrauisch und zurückhaltend (NZZ vom 22.01.2003).
Wenige Stunden vor der fünften Zusammenkunft in Berlin entdeckten norwegische
Beobachter am 6. Februar 2003 an Bord eines von der srilankischen Marine
aufgebrachten Fischkutters vor der Küste der Halbinsel Jaffna schwere Waffen. Sie
konnten nicht verhindern, dass sich drei Rebellen der Tamil Tigers mit ihrer Ladung in
die Luft sprengten (NZZ vom 10.02.2003 und 22./23.02.2003). Obwohl die
norwegischen Vermittler eine klare Verletzung des Waffenstillstandes durch die LTTE
feststellten, kamen die Verhandlungspartner in Berlin überein, den Zwischenfall nicht
hochzuspielen und "einmütig zu demonstrieren, dass der Friedensprozess irreversibel
sei" (NZZ vom 22./23.02.2003). Sie verständigten sich in humanitären Fragen; die LTTE
erklärte sich bereit, künftig keine Kindersoldaten mehr zu rekrutieren (Vorwürfe, dies
weiterhin zu praktizieren, waren zuletzt im Januar 2003 laut geworden, FR vom
21.01.2003) und Kindersoldaten, die unter Waffen stehen, zu ihren Familien
zurückzuschicken (Flück, Der Kampf um den Frieden geht weiter, Südasien 1/03 S. 54
<56>; Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 10.02.2003). Im Laufe des
ersten Jahres nach Beginn des Waffenstillstandes kehrten rund 200.000 Flüchtlinge in
die Bürgerkriegsgebiete zurück (FR vom 03.02.2003).
Der bis dahin erfreuliche Verlauf der Friedensgespräche wurde im März 2003 durch
eigenmächtige Schritte der LTTE im Norden und Osten des Landes getrübt; sie eröffnete
unter anderem in von der Regierung kontrollierten Gebieten im Osten eigene "Gerichte"
und "Polizeistationen" (AA 19.06.2003 S. 7). Nach wie vor gab es auch Verletzungen
des Waffenstillstandsabkommens, wobei die norwegisch geführte "Sri Lanka Monitoring
Mission" 90 v.H. der Vorfälle der LTTE zuordnete (AA 19.06.2003 S.7). Das sechste
Treffen in Hakone, das weitgehend der Föderalisierung des Staates gewidmet war,
blieb ergebnislos (Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 22./23.03.2003).
Als Hauptursache galt ein Zwischenfall, bei dem die srilankische Marine am 10. März
2003 200 Meilen östlich von Trincomalee ein Versorgungsschiff der LTTE wegen
Verdachts auf Waffenschmuggel versenkt hatte; dabei waren die elf
Besatzungsmitglieder - alle Angehörige der "Sea- Tigers" - ums Leben gekommen (AA
19.06.2003 S. 7; FR vom 11.03.2003 und 08.04.2003, NZZ vom 18.03.2003). Außerdem
hatten Präsidentin Kumaratunga und ihre Partei Vorbehalte gegen eine Änderung der
Staatsstruktur geäußert, die das Parlament im Rahmen einer Verfassungsänderung
beschließen muss (Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794). Am 18. April 2003 kamen
bei gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Muslimen und Tamilen im Nordosten Sri
Lankas drei Menschen ums Leben; 15 Menschen wurden bei Zwischenfällen in Mutur
verletzt (FAZ vom 19.04.2003). Mitte April wurde die LTTE von einem internationalen Sri
Lanka-Treffen mit den wichtigsten Geberländern in Washington ausgeschlossen. Die
USA begründeten dies damit, keine offiziellen Kontakte mit einer Terrororganisation
unterhalten zu wollen (NZZ vom 23.04.2003). Daraufhin erklärte der LTTE- Unterhändler
Balasingham am 21. April 2003 in einem Schreiben an den srilankischen
Premierminister die Aussetzung der Friedensgespräche (AA 19.06.2003 S. 7). Er
begründete den Boykott der siebten, für Ende April 2003 geplanten Gesprächsrunde in
Thailand damit, dass die LTTE der "wichtigste Friedenspartner und authentische
Vertreter des tamilischen Volks" sei (Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; FAZ vom
23.04.2003, FR vom 23.04.2003, NZZ vom 23.04.2003). Mit zunehmender Dauer des
Boykotts nahm die allgemeine Nervosität zu; mehrere norwegische Diplomaten bis hin
zum Außenminister flogen nach Kilinochchi, um den LTTE-Führer Prabhakaran
179
umzustimmen (NZZ vom 19.05.2003). Im Juni 2003 forderte die LTTE die vollständige
Übertragung der Interimsverwaltung im Norden des Landes. Premierminister
Wickremasinghe lehnte dies mit Verweis auf die Verfassung ab. Sein Angebot, sie für
den Wiederaufbau und die Wiederansiedlung von Flüchtlingen zuständig zu machen,
wies die LTTE Anfang Juni 2003 zurück, sodass Termin und Bedingungen für eine
Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zunächst offen blieben (Fischer
Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 07./08.06.2003). Die große Geberkonferenz
am 9./10. Juni 2003 in Tokio mit Vertretern von rund 50 Staaten, multilateralen
Finanzorganisationen, der srilankischen Regierung, aber ohne die LTTE, versprach Sri
Lanka Hilfsgelder für die nächsten vier Jahre in Höhe von mehr als 4,5 Milliarden US-
Dollar, gekoppelt an die erfolgreiche Fortsetzung des Friedensprozesses (Clemens, Im
Überblick..., Südasien 2/03 S. 57 <58>; Korf, Schafft Entwicklung Frieden in Sri Lanka?,
Südasien 2/03 S. 59; Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 10.06.2003 und
11.06 2003, SZ vom 16.06.2003). Am 14. Juni 2003 wurde einer der Führer der
Revolutionären Befreiungsfront Eelam vor seinem Haus in Jaffna getötet; zeitgleich
lieferte sich die srilankische Marine vor der Nordküste ein Feuergefecht mit Booten der
LTTE, in dessen Verlauf ein Schiff der Rebellen explodierte und sank (NZZ vom
16.06.2003, SZ vom 16.06.2003). Am 19. Juni 2003 schlug Premierminister
Wickremasinghe vor, dass die LTTE im Nordosten des Landes eine
Übergangsregierung bildet; die LTTE lehnte auch dieses Angebot auf Wiederaufnahme
der Friedensverhandlungen ab (FR vom 21.06.2003, NZZ vom 21./22.06.2003). Am 1.
Juli 2003 verurteilte ein Gericht in Colombo zwei Polizisten und drei Bewohner eines
Dorfes östlich von Colombo zum Tode; im Oktober 2000 hatten rund 800 Dorfbewohner
das dortige Rehabilitierungs- Camp gestürmt und 28 festgehaltene mutmaßliche LTTE-
Angehörige erschlagen (NZZ vom 03.07.2003). Anfang August 2003 berieten LTTE-
Führungskräfte in Paris über die Fortsetzung der seit April unterbrochenen
Friedensgespräche (FR vom 23.08.2003). Angesichts wachsender Spannungen
zwischen Tamilen und Angehörigen der muslimischen Minderheit verhängte die
srilankische Regierung am 22. August 2003 eine Ausgangssperre über die Städte
Kalmunai und Samanthurai im Osten der Insel (FAZ vom 23.08.2003, FR vom
23.08.2003). Erstmals seit dem Abbruch der Friedensverhandlungen trafen sich am 9.
September 2003 anlässlich einer Tagung des Eidgenössischen Departements für
auswärtige Angelegenheit in Bern wieder Vertreter beider Seiten, um mit Schweizer
Experten über die Möglichkeiten dezentraler, föderaler Strukturen zu diskutieren (FR
vom 10.09.2003, NZZ vom 12.09.2003). Die US-Botschaft in Colombo rief die LTTE am
17. September 2003 auf, ihre Forderungen an die Regierung realistisch zu gestalten
und an den Verhandlungstisch zurückzukehren (FR vom 18.09.2003). Mehr als fünf
Jahre nach dem Anschlag auf einen buddhistischen Tempel wurden am 15. Oktober
2003 drei Angehörige der LTTE vom Obersten Gericht in Colombo zum Tode und zu
insgesamt 1.850 Jahren Haft verurteilt (NZZ vom 16.10.2003). Am 30. Oktober 2003
reagierte die LTTE auf die Regierungsvorschläge vom 17. Juli 2003 zur
Interimsverwaltung in den tamilischen Gebieten; sie forderte in einem in einer feierlichen
Zeremonie dem norwegischen Botschafter überreichten Papier die Einräumung
weitgehender Autonomie für den Norden und Osten des Landes (Interim Self-governing
Authority - ISGA) und bekundete ihre Bereitschaft, an den Verhandlungstisch
zurückzukehren (NZZ vom 03.11.2003, FAZ vom 22.11.2003, Schweizerische
Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 2, UNHCR 4/04 S. 21). Die Regierung signalisierte in
ihrer Reaktion zwar "fundamentale Differenzen" zu ihrer eigenen Haltung, nahm das
Dokument aber als Verhandlungsgrundlage für die Wiederaufnahme der
Friedensgespräche an (NZZ vom 03.11.2003 und 05.11.2003).
Präsidentin Kumaratunga reagierte am 4. November 2003 auf die von ihr als
"Bedrohung der nationalen Sicherheit" (NZZ vom 06.11.2003) und "Ausverkauf der
Heimat" (SZ vom 08./09.11.2003) eingestuften Konzessionen mit der Entlassung der
Minister für Inneres, Verteidigung und Information, deren Ressorts sie selbst übernahm,
sowie mit der Suspendierung des Parlaments für zwei Wochen (Fischer Weltalmanach
2005 S. 408; FR vom 05.11.2003, NZZ vom 05.11.2003 und 20.11.2003). Der zu dieser
Zeit in Washington weilende Premierminister Wickremasinghe verurteilte die Schritte
der Präsidentin auf Schärfste (NZZ vom 05.11.2003). Die Staatskrise (FAZ vom
05.11.2003) und der offene Machtkampf (SZ vom 06.11.2003) verschärften sich weiter,
als Kumaratunga am 5. November 2003 den Ausnahmezustand über Sri Lanka
verhängte (FAZ vom 06.11.2003, FR vom 06.11.2003, NZZ vom 06.11.2003 und SZ
vom 06.11.2003). Obwohl sich die Regierung um eine umgehende Wiedereinsetzung
des Parlaments bemühte (NZZ vom 07.11.2003) und Kumaratunga den
Ausnahmezustand nach der Rückkehr des begeistert begrüßten Premierministers am 7.
November 2003 wieder aufhob (FAZ vom 08.11.2003), schwelte die von gegenseitigen
Anschuldigungen bestimmte Krise weiter (NZZ vom 08./09.11.2003 und 10.11.2003).
Am 10. November 2003 verschob die Regierung weitere Friedensgespräche mit der
LTTE auf unbestimmte Zeit (FAZ vom 11.11.2003, FR vom 11.11.2003 und NZZ vom
11.11.2003). Die vor einem Scherbenhaufen stehenden norwegischen Vermittler (NZZ
vom 12.11.2003) brachen ihre Mission am 14. November 2003 vorläufig ab (FAZ vom
15.11.2003, NZZ vom 15.11.2003). Erst in der zweiten Novemberhälfte entspannte sich
die Situation zunächst, nachdem Kumaratunga Zeichen der Kompromissbereitschaft
gesetzt hatte (FAZ vom 17.11.2003), das Parlament am 19. November 2003 erstmals
wieder zusammengetreten war (NZZ vom 20.11.2003), die LTTE von ihrer strikten
Weigerung abgerückt war, mit der Präsidentin zu verhandeln (FAZ vom 21.11.2003),
und die Regierung Kumaratunga die Zusammenarbeit anboten hatte, um die
Friedensgespräche mit der LTTE fortzusetzen (SZ vom 21.11.2003). Die Präsidentin
erklärte hierzu am 21. November 2003, bis spätestens 15. Dezember 2003 müsse eine
gemeinsame Linie gefunden werden (FAZ vom 23.11.2003).
180
Im Januar 2004 entbrannte der Machtkampf, den die Präsidentin schließlich gewinnen
sollte, neu. In einer Fernsehansprache beanspruchte Kumaratunga überraschend für
sich das Recht, über das Jahr 2005 hinaus zu regieren (FAZ vom 15.01.2004).
Außerdem ging sie ein Wahlbündnis mit der dem Friedensprozess ablehnend
gegenüberstehenden singhalesisch-marxistischen JVP ein, was als Versuch
interpretiert wurde, den Prozess ganz zum Stillstand zu bringen (FR vom 24.01.2004).
Der von PA und JVP gegründeten United People's Freedom Alliance (UPFA) schlossen
sich Anfang Februar 2004 weitere kleinere Parteien an (Schweizerische Flüchtlingshilfe
16.02.2004 S. 3). Am 7. Februar 2004 löste die Präsidentin in einem
Überraschungscoup (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408 das Parlament auf und ordnete
für den 2. April 2004 vorgezogene Neuwahlen zur Nationalversammlung an (Fischer
Weltalmanach 2005 S. 408; UNHCR 4/04 S. 23; FR vom 09.02.2004; taz vom --
.02.2004). Die LTTE kritisierte die Entscheidung als "schweren Rückschlag" für den
Friedensprozess, kündigte aber an, den Waffenstillstand vorerst weiter einzuhalten (FR
vom 10.02.2004). Am 11. Februar 2004 entließ die Präsidentin 39 Mitglieder der
Regierung Wickremasinghes (FR vom 11.02.2004; NZZ vom 18.02.2004), was ebenfalls
auf heftige Kritik von Seiten der LTTE und der Regierung stieß (AA 30.03.2004 S. 8;
NZZ vom 18.02.2004).
181
Den Wahlen gingen Gewalttätigkeiten namentlich im Norden und Osten voraus, wo es
zu mehreren Mordfällen an Angehörigen von mit der LTTE rivalisierender
182
Gruppierungen kam (UNHCR 4/04 S. 23; NZZ vom 31.03.2004). Insgesamt verliefen die
Wahlen aber vergleichsweise friedlich (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101
<111>; NZZ vom 01.04.2004 und 05.04.2004). Die UPFA, das von Kumaratunga
geführte Wahlbündnis, ging mit 45,6 v.H. der Stimmen bzw. 105 Sitzen als stärkste Kraft
aus den Wahlen hervor (UNHCR 4/04 S. 9; KAS/Auslandsinformationen -- .05.2004 S.
101 ?104?; NZZ vom 07. April 2004: 47 v.H.), verfehlte aber die absolute Mehrheit. Die
UNP Wickremasinghes fiel auf knapp 38 v.H. der Stimmen zurück und errang -
zusammen mit dem Ceylon Worker's Congress - 82 Sitze; das Parteienbündnis Illankai
Tamil Arasu Kachchi oder Tamil National Alliance (TNA), das die politischen
Forderungen der LTTE unterstützt, wurde mit 6,8 v.H. der Stimmen bzw. 22 Mandaten
drittstärkste Kraft (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408; KAS/Auslandsinformationen --
.05.2004 S. 101 ?104?; UNHCR 4/04 S. 10; NZZ vom 05.04.2004). Im Parlament ist
nunmehr außerdem die Jathika Hela Urumaya (JHU), eine neue Partei des
buddhistischen Klerus, vertreten, die 5,9 v.H. der Stimmen (9 Sitze) errang
(KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?104?; UNHCR 4/04 S. 10, 24; NZZ
vom 07.04.2002: 8 Sitze).
Am 6. April 2004 vereidigte die Präsidentin den als moderat geltenden Mahinda
Rajapakse als neuen Premierminister (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408; NZZ vom
07.04.2004 und 08.04.2004). In seinem 31-köpfigen Minderheitskabinett, das Rajapakse
am 10. April 2004 vorstellte, übernahm die Präsidentin selbst die Schlüsselressorts
Verteidigung und Verfassungsangelegenheiten sowie das Bildungsministerium (Fischer
Weltalmanach 2005 S. 408). Die JVP erhielt vier Ministerposten
(KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 <11>>; NZZ vom 03.05.2004). Während
Rajapakse bei seinem ersten Auftritt von der Notwendigkeit sprach, den
Friedensprozess in Gang zu halten (NZZ vom 07.04.2004), drohte die LTTE nach dem
Wahlsieg der Parteienallianz Kumarantungas zunächst mit einer Wiederaufnahme des
bewaffneten Kampfes (NZZ vom 06.04.2004). In der ersten Parlamentssitzung erlitt das
Regierungsbündnis eine Abstimmungsniederlage. Mit den Stimmen der JHU konnte
sich der Kandidat der Opposition bei der Wahl des Speakers durchsetzen (NZZ vom
03.05.2004), worauf die Mönche im Parlament von Angehörigen der JVP beschimpft,
bedroht und mit Büchern beworfen wurden; einige erhielten später Morddrohungen.
Befürchtungen wurden laut, dies sei ein Vorgeschmack auf den Stil der sich
ankündigenden politischen Auseinandersetzung (KAS/Auslandsinformationen --
.05.2004 S. 101 <114>).
183
Auf Seiten der LTTE verschärfte die Revolte des Oberkommandeurs der LTTE-
Bodenstreitkräfte, Vinayagamoorthi Muralitharan alias "Colonel (Oberst) Karuna", der
sich Anfang März 2004 von Prabhakaran lossagte, die Situation (UNHCR 4/04 S. 13;
FAZ vom 12.03.2004; FR vom 09.03.2004 und 05.04.2004; NZZ vom 08.03.2004 und
09.03.2004). Er soll über 5000 bis 7500 Kämpfer und damit rund ein Drittel der LTTE-
Streitmacht verfügt haben (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?108?; NZZ
vom 16.03.2004 und 13.04.2004; FR vom 14.04.2004). Am 9. April 2004 griff die LTTE
die abtrünnige Truppe an. Es kam zu Kämpfen am Fluss Verugal, der die
Tamilengebiete Batticaloa und Trincomalee voneinander trennt; dabei wurden
mindestens 22 Menschen getötet (UNHCR 4/04 S. 13; NZZ vom 10./11.04.2004 und
16.04.2004; FR vom 13.04.2004 und 16.04.2004). Bei ihrer Offensive nahmen die LTTE-
Truppen nach eigenen Angaben über 300 der Kämpfer Karunas fest, drangen etwa 10
km weit in dessen Gebiet vor und besetzten eine Reihe von Dörfern. Oberst Karuna gab
seinen Widerstand nach wenigen Tagen auf und tauchte unter (FR vom 14.04.2004,
NZZ vom 14.04.2004 und SZ vom 14.04.2004). Die Regierung und auch die SLMM
184
erklärten, die Kämpfe stellten eine Verletzung des Waffenstillstands dar (NZZ vom
13.4.2004). Die LTTE ihrerseits warf in der Folge der Regierung vor, die Waffenruhe
dadurch zu verletzen, dass sie dem verschwunden bleibenden Karuna Schutz gewähre
und ihn unterstütze (FR vom 08.07.2004; NZZ vom 08.07.2004).
Sowohl die Regierung als auch die LTTE gaben Ende April 2004 zu erkennen, dass sie
eine rasche Wiederaufnahme der Friedensgespräche wünschten (NZZ vom 03.05.2004;
FR vom 04.05.2004). Trotz entsprechender Bemühungen der norwegischen Vermittler
bis hin zum Außenminister Petersen (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408; NZZ vom
03.05.2004; FR vom 04.05.2004) kam es dazu jedoch nicht. In den Sommermonaten
verschlechterten sich die Voraussetzungen für eine Fortführung der Verhandlungen
zusehends. Zwischen den Anhängern Prabhakarans und Oberst Karunas entbrannte
ein blutiger Machtkampf. In den Monaten Mai und Juni wurden mehrere Attentate auf
LTTE-Kader verübt, für die die LTTE den untergetauchten Karuna und mittelbar die
srilankischen Sicherheitskräfte verantwortlich machte (FR vom 08.07.2004; NZZ vom
08.07.2004 und 08.10.2004). Am 7. Juli 2004 ereignete sich in Colombo erstmals seit
der Vereinbarung der Waffenruhe im Februar 2002 ein Selbstmordanschlag, der der
LTTE zugeschrieben wurde. Eine Frau, die versucht hatte, zum EPDP-Politiker Douglas
Devananda vorzudringen, aber von der Polizei zur Wache mitgenommen wurde,
zündete dort einen an ihrem Körper angebrachten Sprengsatz. Außer ihr kamen vier
Polizisten ums Leben (NZZ vom 08.07.2004; FR vom 08.07.2004 und 04.08.2004).
Weitere Anschläge folgten. So wurden am 25. Juli 2004 acht Männer - nach Angaben
der LTTE Vertraute Oberst Karunas - in einem Vorort Colombos im Schlaf getötet (FR
vom 04.08.2004); Ende Juli wurden ein Geheimdienstagent (FR vom 04.08.2004) und
am 16. August 2004 ein Politiker der EPDP auf offener Straße erschossen (NZZ vom
17.08.2004). Allein in vier Wochen im Juli/August 2004 verloren 25 Menschen ihr Leben
(NZZ vom 26.08.2004). Im September 2004 ermordete ein LTTE- Kommando nach
eigenen Angaben Karunas älteren Bruder bei Batticaloa (taz vom 01.10.2004).
185
Der norwegische Vizeaußenminister Helgesen reiste Ende Juli "frustriert" nach
fünftägigen ergebnislos gebliebenen Gesprächen wieder ab. Er warf beiden Seiten
Gleichgültigkeit und mangelndes Gefühl für den Ernst der Lage vor; dies könne in einen
Krieg auf kleiner Flamme münden (FR vom 04.08.2004). Die LTTE setzte im August
2004 alle Gespräche mit der Armee im Osten des Landes aus und verwies zur
Begründung darauf, das Militär unterstütze den abtrünnigen Oberst Karuna (NZZ vom
26.8.2004). Auch weitere Bemühungen der norwegischen Friedensmission um eine
Wiederaufnahme der Gespräche blieben vorerst ohne Erfolg (NZZ vom 24.09.2004 und
08.10.2004; taz vom 01.10.2004)."
186
Diese Ausführungen belegen für sich, dass sich die Situation seit dem Jahre 2001
bezogen auf eine mögliche Gruppenverfolgung der Tamilen erheblich entspannt
darstellt und sie von daher ausgeschlossen werden kann.
187
4. Der unverfolgt ausgereiste Kläger muss nicht befürchten, bei einer Rückkehr nach Sri
Lanka mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt zu werden.
188
Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsmaßnahme ist anzunehmen,
wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung
gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein
größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden
Tatsachen überwiegen.
189
Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 1988 - 9 C 32.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 80, vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143 (150, 151) = NVwZ 1988,
538, und vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 = NVwZ 1992, 582
(584) m.w.N.
190
Maßgebend ist in dieser Hinsicht letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die
Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung
anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist,
ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage
des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den
Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den
Heimatstaat auch dann sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von
weniger als 50 v.H. für Verfolgungsmaßnahmen gegeben ist.
191
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
192
In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit von
Verfolgungsmaßnahmen nicht aus.
193
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - 9 C 60.89 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 134, S. 262, insoweit in BVerwGE 87, 52 nicht abgedruckt.
194
Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben aber die
Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer politischen Verfolgung, wird
auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf
sich nehmen.
195
Vgl. BVerwG. Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584, unter Berufung
auf U.S. Supreme Court vom 9. März 1987, zitiert bei Hailbronner, Ausländerrecht,
Kommentar, Stand: Mai 2003, B 1, Art. 16a GG Rdnr. 263, und sinngemäß
wiedergegeben in der UNHCR-Zeitschrift "Flüchtlinge", August 1987, S. 8, 9.
196
Dabei muss freilich beachtet werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts an die Bejahung einer "beachtlichen" Wahrscheinlichkeit
einer drohenden Verfolgungsmaßnahme höhere Anforderungen zu stellen sind, als sie
nach dem so genannten herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die
Verneinung einer "hinreichenden Sicherheit" vor politischer Verfolgung erfüllt sein
müssen.
197
Vgl. einerseits zum Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit u.a. BVerwG, Urteile
vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, a.a.O., S. 501 m.w.N., und vom 18. Januar 1994
- 9 C 48.92 -, a.a.O., S. 500, und andererseits zum Maßstab der "hinreichenden
Sicherheit" u.a. BVerwG, Urteile vom 25. September 1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70,
169 (171), und vom 26. März 1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175 (178 f.) m.w.N.;
Göbel-Zimmermann, in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Stand: Mai
2003, Bd. II, B 1 Art. 16 a GG Rdnr. 42 m.w.N.
198
Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände auch die besondere
Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung
einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe
199
mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der
Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er
in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B.
lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
200
Nach diesen Grundsätzen droht dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Sri Lanka nicht
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. In Sri Lanka ist
zwischenzeitlich keine Situation eingetreten, in Folge der in Anknüpfung an die
tamilische Volkszugehörigkeit Heimkehrern bei der Einreise (a) oder in absehbarer
Zukunft während des nachfolgenden Aufenthalts in Sri Lanka politische Verfolgung
droht (b). Dem Kläger droht in Sri Lanka auch aufgrund individueller Umstände keine
politische Verfolgung (c).
201
a) Das Gericht hat die Situation der Tamilen in Sri Lanka im Zusammenhang mit der
Einreise in ihr Heimatland in seinen rechtskräftigen Urteilen vom 23. November 2001 -
21 A 4018/98.A und 21 A 5185/98.A - und vom 29. November 2001 - 21 A 3853/99.A -
wie folgt bewertet:
202
Die Einreise nach Sri Lanka ist über den internationalen Flughafen nördlich von
Colombo (Bandaranaike-International-Airport) möglich, ohne dass Rückkehrern bei den
regelmäßigen und eingehenden Personenkontrollen, die insbesondere auch wegen der
Besorgnis des Einschleusens von im Ausland für Anschläge ausgebildeten LTTE-
Kadern stattfinden (KK 24.02.1997 S. 2), mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
Maßnahmen drohen, die als politische Verfolgung zu bewerten sind. Allein die
Tatsachen des Auslandsaufenthalts und der Anbringung eines Asylbegehrens im
Ausland stellen bei der Einreise keine Anknüpfungspunkte für Übergriffe der
Sicherheitskräfte dar (AA 20.04.2001 S. 4; 24.04.2001; 24.10.2001 S. 27; UNHCR
25.04.1997). Für Rückkehrer, die im Besitz eines gültigen srilankischen Reisepasses
sind, ist die Einreise in aller Regel unproblematisch (AA 24.10.2001 S. 26).
203
a) Identitätskontrollen
204
Mit einer eingehenderen Überprüfung müssen die Rückkehrer rechnen, die nicht über
einen Reisepass, sondern lediglich über ein von srilankischen Auslandsvertretungen
auf der Grundlage der (Eigen-)Angaben des Betroffenen zum Zwecke der Einreise
ausgestelltes "Identity Certificate Overseas Missions", auch "emergency certificate"
genannt, verfügen (AA 18.04.2000 S. 6 f.; 06.09.2001 S. 4; 24.10.2001 S. 26; amnesty
international - ai - 01.03.1999 S. 3; KK 02.08.2001 S. 3; UNHCR --.07.1998 S. 5).
205
Angehörige dieses Personenkreises werden regelmäßig sowohl von der srilankischen
Einreisebehörde (Immigration Department) als auch von der Kriminalpolizei (Criminal
Investigation Department - CID) am Flughafen zu Identität, persönlichem Hintergrund
und Reiseziel befragt. Anschließend, und zwar in der Regel nach wenigen Stunden,
werden die Betroffenen vom CID routinemäßig dem örtlich zuständigen Magistrate
(Untersuchungsrichter) in Negombo vorgeführt. Dieser befindet darüber, ob die
Rückkehrer zum Zweck der Personenüberprüfung und/oder zur Abklärung eventueller
Strafvorwürfe - vor allem etwaiger Verstöße gegen die Ein- und Ausreisebestimmungen
(Busch 02.11.2000 S. 4) - in Untersuchungshaft genommen werden. In aller Regel ist
dies nicht der Fall, sondern die Betroffenen werden nach ihrer Vorführung gegen
206
Kaution freigelassen (AA 24.10.2001 S. 26; KK 02.08.2001 S. 3 f.; UNHCR 24.08.2001
S. 3). Bei dieser Kaution handelt es sich um eine sog. Surety-bail, d.h. es müssen zwei
Personen - in der Praxis sind es meist Angehörige - bürgen (KK 02.08.2001 S. 3). Die
vereinzelte Behauptung, eine derartige Bürgschaft müsse in jedem Fall von einem
Verwandten unterschrieben werden (Busch 02.11.2001 S. 4), findet in den übrigen dem
Senat vorliegenden Auskünften keine Bestätigung. Sie erscheint vor dem Hintergrund,
dass eine Freilassung gegen Kaution die Regel ist, auch nicht plausibel. Liegen in
Fällen der Personenüberprüfung bis zu dem vom Untersuchungsrichter anberaumten
weiteren Gerichtstermin - wie dies ganz überwiegend der Fall ist - keine Erkenntnisse
gegen den Betroffenen vor, wird das Verfahren endgültig eingestellt (AA 24.10.2001 S.
26; KK 02.08.2001 S. 3; UNHCR 24.08.2001 S. 3).
Diesen allgemeinen Erkenntnissen entspricht es, dass am 15./16. März 2000 bei einer
"Sammelrückführung" von 20 srilankischen Staatsangehörigen (19 Tamilen und einem
Moslem ) aus Deutschland, von denen nur einer über einen
Reisepass verfügte (AA 18.04.2000 S. 7; 25.05.2000, S. 2), achtzehn der Betroffenen
nach einer Vorführung vor dem Magistrate Court in Negombo noch am Ankunftstag
gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt wurden (AA 13.04.2000 S. 1; 25.05.2000 S. 2; KK
10.09.2000 S. 1). Zwei Betroffene wurden auf Antrag der Kriminalpolizei bis zu dem auf
den 21. März 2000 anberaumten Gerichtstermin in Untersuchungshaft genommen, weil
weitere Nachforschungen hinsichtlich der Identität und ein Strafregisterabgleich erfolgen
mussten (AA 18.04.2000 S. 7; 25.05.2000 S. 2); sie wurden erst an diesem Tag gegen
Kaution freigelassen (AA 28.04.2000 S. 23; 25.05.2000 S. 2). Ein weiterer Rückgeführter
aus der Gruppe wurde erst am 21. März 2000 für zwei Tage in Untersuchungshaft
genommen und anschließend auf freien Fuß gesetzt (AA 25.05.2000 S. 3; 24.10.2001 S.
27). Die Verfahren gegen die Abgeschobenen sind zwischenzeitlich eingestellt worden,
soweit die Betroffenen den Gerichtstermin wahrgenommen haben (AA 26.01.2001 S. 7).
207
An der Feststellung, dass abgelehnte Asylbewerber bei der Rückkehr grundsätzlich
keine gravierenden Probleme haben (CIREA 29.06.2001 S. 6 unter Hinweis auf einen
Bericht des UNHCR-Büros in Colombo) und dass Rückkehrer aus dem westlichen
Ausland bei den Einreisekontrollen in der Regel lediglich mit - jeweils
asylunerheblichen - Befragungen und kurzzeitigen Inhaftierungen rechnen müssen,
bestehen auch vor dem Hintergrund des Anschlages auf den Luftwaffenstützpunkt
Katunayake und den angrenzenden internationalen Flughafen vom 24. Juli 2001 keine
Zweifel. Gezielte Nachforschungen der Deutschen Botschaft in Colombo haben keine
Anhaltspunkte für eine Verschärfung der Überprüfungspraxis bei der Einreise ergeben
(AA 24.10.2001 S. 27); dahin gehende Vermutungen finden auch in anderen Quellen
keinerlei Anhalt.
208
bb) Längerfristige Inhaftierung zur Identitätsfeststellung
209
Allerdings ist vereinzelt auch von Fällen berichtet worden, in denen das Festhalten von
Personen im Rahmen der Identitätskontrollen längere Zeit, mitunter mehrere Wochen
dauerte (ai 01.03.1999 S. 3; Wingler 01.04.1999 S. 3). Die Inhaftierung von 192 aus dem
Senegal abgeschobenen Tamilen sowie die Festnahmen zweier weiterer Gruppen von
Rückkehrern, von denen berichtet wurde (KK 20.03.1998; UNHCR --.07.1998 S. 5; ai
01.03.1999 S. 2), betrafen dabei allerdings ersichtlich Sonderfälle, die durch die
Tatsache der Sammelabschiebung in großer Zahl mit erhöhtem Abklärungsbedarf
geprägt waren, sodass es insoweit an einer Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall
fehlt und verallgemeinerungsfähige Schlüsse nicht gezogen werden können. Seit April
210
1997 sind ferner auch Fälle der Inhaftierung von Einzelreisenden, darunter von einigen
Rückkehrern aus Deutschland bekannt geworden (UNHCR --.07.1998 S. 5; KK
08.12.1998). Diese (Einzel-)Fälle lassen jedoch angesichts des Umstandes, dass
jährlich mehrere Hundert abgelehnte Asylbewerber aus westlichen Ländern über den
Flughafen Colombo nach Sri Lanka abgeschoben werden (AA 19.01.1999 S. 21;
27.05.1999 S. 3; 24.10.2001 S. 5: "400 bis 500 im Jahr"), nicht den Schluss auf eine
"Gruppenverfolgung" zu. Denn es mangelt schon an der beim Maßstab der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit für die Annahme einer "Gruppenverfolgung" zu fordernden Dichte
der Zugriffe bezogen auf die nach erfolglosem Asylverfahren aus Europa
Zurückkehrenden oder einer bestimmten Gruppe unter ihnen. Abgesehen davon richtet
sich auch ein über wenige Tage hinausgehendes Festhalten, solange es unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände, die zur Annahme eines
Überprüfungsbedarfs führten, objektiv dem Zweck der Identitätsabklärung dient, und
nicht mit sonstigen schwer wiegenden Rechtsgutverletzungen verbunden ist, nicht
gegen den Betroffenen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale. Es ist daher nicht
als Akt politischer Verfolgung zu qualifizieren. Dies gilt auch für diejenigen allein mit
einem "emergency certificate" zurückkehrenden und daher einer intensiveren
Überprüfung unterzogenen srilankischen Staatsangehörigen, bei denen die Polizei
einer Freilassung auf Kaution widerspricht - wie dies zunächst bei zwei der am 15./16.
März 2000 aus Deutschland zurückgeführten Tamilen der Fall war (AA 25.05.2000 S. 2)
- oder bei denen eine Freilassung (zunächst) etwa deshalb scheitert, weil sich niemand
findet, der für die Kaution unterschreibt.
cc) Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen die Ausreise-, Einreise- und
Passbestimmungen
211
In der Vergangenheit ist es in Einzelfällen vorgekommen, dass aus Deutschland
abgeschobene Personen im Zusammenhang mit Ausweisdelikten strafrechtlich verfolgt
wurden; dies war dann der Fall, wenn mit einem "emergency certificate" nach Sri Lanka
zurückkehrende Personen bei der Identitätsüberprüfung am Flughafen durch die
srilankischen Einreisebehörden bzw. die Kriminalpolizei ein Geständnis in Bezug auf
die im Zusammenhang mit der Ausreise erfolgte Fälschung von Ausweispapieren
ablegten oder wenn das in Deutschland sichergestellte gefälschte Reisedokument den
Begleitpapieren zur Abschiebung beigefügt war und so der srilankischen
Einwanderungsbehörde bzw. Kriminalpolizei zur Kenntnis gelangte; strafrechtlich nicht
verfolgt wurden und werden dagegen Bordkartentausch, illegaler Grenzübertritt und
andere illegale Praktiken, die außerhalb des srilankischen Staatsgebietes vielfach mit
"Schleusungen" einhergehen (AA 24.10.2001 S. 28). Da bei Rückkehrern aus
Deutschland die Reisedokumente, mit denen die Ausreise erfolgte, in der Regel nicht
mehr vorliegen, bleiben etwaige bei der Ausreise verwirklichte Passvergehen - schon
aus Mangel an Beweisen - in der Praxis zumeist ohne strafrechtliche Folgen (AA
16.04.1999 S. 3; 24.10.2001 S. 28). Zu Passvergehen bei der Einreise nach Sri Lanka
kommt es bei rückgeführten Asylbewerbern aus Deutschland grundsätzlich schon
deshalb nicht, weil dieser Personenkreis jedenfalls mit Dokumenten der srilankischen
Botschaft - dem "emergency certificate" - ausgestattet ist (UNHCR 24.08.2001 S. 3). Vor
diesem Hintergrund lassen im März sowie Anfang April 2001 in den in Colombo
erscheinenden Tageszeitungen "Virakesari" und "Thinakural" veröffentlichte Berichte,
derzeit seien etwa 185 Tamilinnen und Tamilen im Gefängnis von Negombo inhaftiert,
die man entweder bei der Rückkehr aus dem Ausland oder bei der Ausreise wegen
angeblich gefälschter Pässe festgenommen habe (KK 31.07.2001 S. 4; 02.08.2001 S.
5), ebenfalls nicht den Schluss zu, dass es sich dabei um Rückkehrer aus Deutschland
212
handelt und dass Angehörige dieses Personenkreises ernsthaft damit rechnen müssen,
wegen eines Passdelikts belangt zu werden. Diese Einschätzung deckt sich mit
früheren Berichten, nach denen zwar seit der Neufassung der srilankischen Einreise-,
Ausreise- und Passbestimmungen bereits bis Februar 1999 über hundert Tamilinnen
und Tamilen wegen der Benutzung gefälschter Personalpapiere bei der Aus- oder
Einreise verhaftet und anschließend verurteilt worden sein sollen (KK 12.03.1999 S. 3);
diese Fälle betrafen aber - wie sich aus konkreten Zahlenangaben in weiterem
Auskunftsmaterial schließen ließ (Schreiben des Forum for Human Dignity vom 28. April
1999, Anlage zu KK 22.06.1999) - ganz überwiegend Festnahmen bei der Ausreise.
Unbeschadet dessen sind strafrechtliche Verurteilungen wegen Verstößen gegen die
Einreise-, Ausreise- und Passbestimmungen nicht als politische Verfolgung zu
qualifizieren. Denn die Ahndung dieser Delikte stellt keine Rechtsgutverletzung in
Anknüpfung an asylrelevante Merkmale dar. Die - nicht neu geschaffenen, sondern seit
1998 lediglich in der Strafandrohung verschärften - Straftatbestände (insbesondere Ein-
oder Ausreisen ohne gültigen Reisepass, Nachmachen oder Fälschen von
Reisedokumenten, Besitz oder Benutzung gefälschter oder nachgemachter
Reisedokumente, Besitz oder Beantragung mehrerer Reisedokumente oder unbefugter
Besitz eines Reisedokumentes einer anderen Person) sind zur Kontrolle der
Außengrenze des Staatsgebiets in der Staatenpraxis geläufig und ergeben so keinen
Hinweis für eine politische Verfolgung. Auch gelten sie für alle srilankischen
Staatsangehörigen und nicht nur für tamilische Volkszugehörige (Südasien Büro
14.09.1998 mit Auszügen aus dem "Immigrants and Emigrants Act"). Soweit unter
Bezugnahme auf Auskünfte und Stellungnahmen eines tamilischen
Parlamentsabgeordneten ausgeführt ist, das novellierte Gesetz treffe insbesondere
tamilische Flüchtlinge (KK 12.03.1999 S. 3 und in Südasien 2/99, S. 11, abgedruckt in:
Wingler 01.04.1999 S. 9), wird lediglich eine tatsächliche Folge aufgezeigt, die als
solche ohne Aussagegehalt für die Frage der politischen Verfolgung ist. Selbst wenn in
die Bewertung eingestellt wird, dass zu der Strafverschärfung die Einflussnahme von
Staaten beigetragen hat, die einen starken Zustrom vorwiegend tamilischer
Staatsangehöriger Sri Lankas festzustellen hatten, spricht dies nicht dafür, dass die ihrer
Natur nach auf die Aufrechterhaltung eines geordneten internationalen Reiseverkehrs
zielenden Vorschriften objektiv auf Tamilen wegen ihrer Volkszugehörigkeit gerichtet
sind; insofern ist insbesondere ihre Zielrichtung der Bekämpfung der Schleppertätigkeit
von Gewicht. Anlass dafür, eine Gerichtetheit der in der Bestrafung liegenden
Beeinträchtigungen auf die tamilische Volkszugehörigkeit in Betracht zu ziehen, könnte
allenfalls dann bestehen, wenn Verstöße durch Tamilen verfolgt würden, diejenigen
durch Staatsangehörige anderer Volkszugehörigkeit aber ungeahndet blieben, oder
wenn die Möglichkeit, die Verstöße durch ordnungsgemäße Papiere und deren
gesetzmäßigen Gebrauch zu vermeiden, zwar Personen anderer Volkszugehörigkeit
eingeräumt, den Tamilen aber vom srilankischen Staat verwehrt würde. Dafür lässt sich
dem in das Verfahren eingeführten Auskunftsmaterial, das den gegenwärtig möglichen
Kenntnisstand umfassend widerspiegelt, nichts Tragfähiges entnehmen. Im Gegenteil
liegen Erkenntnisse vor, nach denen Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen
ebenfalls in relevanter Zahl von Maßnahmen auf der Grundlage des "Immigrants and
Emigrants Act" betroffen sind (KK 08.03.2000, insb. Listen C, D und E; 31.07.2001 S. 1
f.). Die nicht weiter untermauerte Aussage, dass das "verschärfte Strafmaß in der Regel
und Praxis nur auf rückkehrende (abgeschobene) Tamilen und nicht auf Singhalesen
derzeit angewandt" werde (Wingler 01.04.1999), ist daher unzutreffend. Sie wäre im
Übrigen aber auch unergiebig, weil die Verstöße, um deren Ahndung es geht, sich
zwangsläufig in der Bevölkerungsgruppe häufen, die in besonderem Maße ins Ausland
213
drängt (und zurückkehrt). Dem entspricht auch die schon angesprochene Erklärung
eines Abgeordneten, das Gesetz treffe "insbesondere" Tamilen, und die dazu gegebene
Begründung, diese müssten "sich oft gefälschter Papiere bedienen". Auch die in dieser
Begründung enthaltene Aussage zur Notwendigkeit des Gebrauchs falscher Papiere
trägt nicht die Schlussfolgerung auf eine drohende politische Verfolgung. Denn dafür,
dass die in Sri Lanka bestehende Ausreisefreiheit nicht auch für Tamilen gilt, spricht
nichts (AA 16.04.1999 S. 2). Die Möglichkeit, sich schnell und problemlos einen
Reisepass ausstellen zu lassen, ist Tamilen in gleicher Weise eröffnet wie srilankischen
Staatsangehörigen anderer Volkszugehörigkeit (AA 06.09.2001 S. 3; 24.10.2001 S. 28).
Allerdings mag für sie die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit durch die Bedingungen
des dazu erforderlichen Aufenthalts in Colombo faktisch erschwert sein; da die Situation
in Colombo aber ... den Aufenthalt insbesondere auch nicht aus Gründen unzumutbar
macht, die auf gegen Tamilen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gerichteten
Umständen beruhen, kann keine Rede davon sein, Tamilen könnten nicht ohne Verstoß
gegen die Ein- und Ausreisebestimmungen das Land verlassen oder dorthin
zurückkehren. Einer gegenteiligen Einschätzung stünde im Übrigen auch entgegen,
dass nach der Erfahrung, die der Senat in den letzten Jahren in Hunderten von
Asylverfahren srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit
gewonnen hat, die behauptete Ausreise ohne eigenen Pass in aller Regel mit dem
bloßen Verweis darauf erklärt wurde, die Gestaltung der Ausreise habe der Schlepper
übernommen, ohne dass in diesem Zusammenhang auf Probleme bei der Beschaffung
des Passes hingewiesen worden wäre. Ferner stünde einem solchen Schluss die hohe
Zahl der in den vom Senat bearbeiteten Verfahren betroffenen Tamilen entgegen, die
nach ihren eigenen Angaben mit einem gültigen Pass ausgereist sind und bei denen es
erst im Zuge und zur Förderung der Weiterreise sowie der Einreise ins westliche
Ausland zu Manipulationen am Pass oder zur Abgabe des Passes gekommen ist (vgl.
dazu auch AA 16.04.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 28).
dd) Gefahr widerrechtlicher Inhaftierung sowie von körperlicher Misshandlung und Folter
214
Dem Auskunftsmaterial lässt sich weiterhin nicht entnehmen, dass die durch die
genannten Strafvorschriften eröffneten Möglichkeiten eines Zugriffs ohne jeglichen
Anhalt und damit missbräuchlich zu Lasten zurückkehrender Tamilen eingesetzt
werden.
215
Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass Rückkehrern bei Maßnahmen im Rahmen
der Identitätsfeststellung oder in Anwendung der Strafvorschriften des "Immigrants and
Emigrants Act" mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigungen, namentlich Misshandlung und Folter, drohen. Allerdings
enthalten Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten die
allgemeine Einschätzung, dass Folter und körperliche Misshandlungen in Sri Lanka
"nach wie vor weit verbreitet" sind (ai --.06.1999, Länderkurzbericht S. 1, vgl. auch ai
16.01.2001 S. 4; Wingler --.05.2000 S. 1). Nach der Einschätzung von amnesty
international müssen Tamilen, denen die Sicherheitskräfte Beziehungen zur LTTE
unterstellen, "aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Ankunft in Colombo mit der
Verhaftung und längeren Inhaftierung" rechnen, wobei die Gefahr von Folter bei
längerer Inhaftierung zunehme (ai 01.03.1999 S. 2; vgl. auch KK 04.01.1996 S. 56: Fälle
von Folter bei kurzfristiger Inhaftierung sind nicht bekannt geworden). Auch die in
London ansässige "Medical Foundation for the Care of Victims of Torture" schätzt die
Lage abgelehnter Asylbewerber, die nach Sri Lanka zurückkehren, dahin ein, dass
diese mit einer Inhaftierungsdauer von mehr als zwei Tagen rechnen müssen, falls sie
216
bei ihrer Einreise oder danach von den srilankischen Sicherheitskräften verdächtigt
werden, die LTTE zu unterstützen; in der Haft bestehe dann für sie das Risiko von
körperlicher Misshandlung und Folter (Medical Foundation --.06.2000, S. 44, 53). Das
Auswärtige Amt geht ebenfalls davon aus, dass die Sicherheitskräfte bei Verhören im
Vergleich zu früher zwar deutlich zurückhaltender agieren, dass aber schwere
Gewaltanwendung, wie etwa das Schlagen von Personen als Methode der Folter,
Elektroschocks, Verbrennungen sowie das Überstülpen von mit Chilipulver oder Benzin
gefüllten Plastiktüten über den Kopf "weiter vorkommt" (AA 24.10.2001 S. 21).
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die srilankische Polizei in Colombo oder an
anderen Orten in den südlichen Landesteilen "systematisch", also nach einem
bestimmten "System" oder gar generell Folterungen an verhafteten oder sonst
aufgegriffenen und inhaftierten Tamilen vorgenommen hätte oder weiterhin vornimmt (so
Mertsch, Südasien 4/00 vom 05.07.2000, S. 4), sind diesen Erkenntnisquellen aber nicht
zu entnehmen. Vielmehr lassen sich die Aussagen zur Folterpraxis gemessen am
Maßstab einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei konfliktbezogen inhaftierten Tamilen
allenfalls für Personen erhärten, die von den Sicherheitskräften konkret verdächtigt
werden, in schwer wiegende Gewaltakte der LTTE verwickelt (AA 26.07.2001 S. 2 f.)
oder in sonstiger hervorgehobener Weise in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein.
Denn vor allem bei Inhaftierungen wegen eines konkreten und individualisierten LTTE-
Verdachts bzw. bei Überstellung an Sondereinheiten der srilankischen Polizei zur
Terrorismusbekämpfung kann Folter nicht ausgeschlossen werden (AA 12.07.1995 S. 2,
26.01.2001 S. 3; ai, torture in custody, --.06.1999 S. 8 f., 01.03.1999 S. 4, 16.01.2001 S.
4; KK 31.07.2001 S. 5; Wingler --.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --.07.1998 S. 2). Dieser
Bewertung entspricht es, dass die Anwendung von Folter nach Einschätzung einer
Menschenrechtsorganisation während einer sich an eine Festnahme am Flughafen
anschließenden Inhaftierung ungewöhnlich ist (KK 22.06.1999, Anlage Forum for
Human Dignity 12.01.1999). Auch das UNHCR-Büro in Colombo berichtet, dass
abgelehnte Asylbewerber bei der Rückkehr keine gravierenden Probleme haben
(CIREA 29.06.2001 S. 6). Die bekannt gewordenen Umstände der Sammelabschiebung
von 20 srilankischen Staatsangehörigen am 15./16. März 2000 aus Deutschland
wecken an der Feststellung, dass tamilische Rückkehrer im Zusammenhang mit der
Einreise grundsätzlich körperliche Misshandlungen von asylerheblicher Intensität nicht
zu befürchten haben, ebenfalls keine durchgreifenden Zweifel. Soweit dazu behauptet
wird, zwei vom 16. bis 21. März 2000 in Untersuchungshaft genommene Rückkehrer,
seien "nachweislich gefoltert worden" (Wingler --.05.2000 S. 4; abweichend bereits
Wingler 12.10.2000 S. 5: "sollen misshandelt worden sein"), steht diese Aussage im
Widerspruch zu aktuelleren Erkenntnissen. So weist etwa amnesty international darauf
hin, die Behandlung der Abgeschobenen habe nicht die Intensität von Folter erreicht (ai
18.07.2000). Das Auswärtige Amt berichtet, entgegen einer Meldung der der LTTE nahe
stehenden Nachrichtenagentur "Tamilnet" sei die Deutsche Botschaft nicht auf
Folterungen hingewiesen worden; lediglich ein einziger Betroffener, der bis zum 21.
März 2000 inhaftiert worden sei, habe auf Nachfrage eines Botschaftsangehörigen
erklärt, einen Schlag erlitten zu haben, der "einer Ohrfeige vergleichbar" gewesen sei
und keine gesundheitlichen Folgen oder länger andauernde Schmerzen verursacht
habe (AA 25.05.2000 S. 2 f.; 26.01.2001 S. 6 ff.). Auch die Behauptung eines der
Zurückgeführten, "ungefähr zehn" der Abgeschobenen seien Misshandlungen
ausgesetzt gewesen, die "weit über eine Ohrfeige hinausgegangen seien" (KK
10.09.2000 S. 2), hat sich nach den weiteren Recherchen zu der Sammelrückführung
nicht erhärten lassen. Die Aussage steht sowohl zu den bereits angeführten Angaben
des einen Inhaftierten als auch zu den Erklärungen anderer Rückgeführter im
Widerspruch (AA 26.01.2001 S. 7 f.). So soll ein Betroffener am Tag nach der
Rückführung gegenüber Angehörigen der Deutschen Botschaft zwar von dem bereits
erwähnten Schlag berichtet (AA 28.04.2000 S. 24; 25.05.2000 S. 2), im Übrigen aber
erklärt haben, er selbst und die Anderen seien korrekt behandelt worden (AA
25.05.2000 S. 2). Auch der zweite bis zum 21. März 2000 Inhaftierte und andere zu dem
genannten Termin Abgeschobene sollen auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt haben,
von der Polizei korrekt behandelt worden zu sein (AA 25.05.2000 S. 2 f.). Ein weiterer an
diesem Tag Zurückgekehrter soll gegenüber einem Angehörigen einer
niederländischen Hilfsorganisation ebenfalls erklärt haben, er sei nach seiner Ankunft
am Flughafen nicht geschlagen worden (KK 10.09.2000 S. 4). Angesichts dieser
Erklärungen unmittelbar Betroffener gegenüber Angehörigen der Deutschen Botschaft
kann auch der pauschalen Erklärung von amnesty international, "die jüngeren Männer
der Gruppe soll[t]en allerdings während ihrer Befragung durch den CID am Flughafen
geschlagen worden sein" (ai 18.07.2000), kein ausschlaggebendes Gewicht
beigemessen werden. Dass es sich bei dem in Rede stehenden Übergriff auf einen der
am 15./16. März 2000 Zurückgeführten um einen nicht verallgemeinerungsfähigen
Ausnahmefall gehandelt hat, wird schließlich dadurch bestätigt, dass weitere Fälle
dieser Art - trotz Beobachtung der Rückkehrsituation durch mehrere westliche Missionen
- nicht bekannt geworden sind (AA 26.01.2001 S. 8).
Unter welchen Voraussetzungen eine aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende
Person tamilischer Volkszugehörigkeit - begründet oder unbegründet - bei den dortigen
Sicherheitskräften konkret in den Verdacht einer - nicht nur unbedeutenden - LTTE-
Unterstützung gerät und deshalb damit rechnen muss, nicht nur kurzfristig für ein bis
zwei Tage zur Identifizierung, sondern längerfristig mit der Gefahr schwerer körperlicher
Misshandlung und Folterung inhaftiert zu werden, lässt sich angesichts des
vorliegenden Erkenntnismaterials nur eingeschränkt generalisierend und
fallübergreifend beantworten.
217
Dafür, dass Rückkehrer im Hinblick auf die bei den staatlichen Behörden bekannten
Aktivitäten der LTTE bzw. ihrer Auslandsorganisationen sowie wegen der Besorgnis der
Infiltration (KK 18.03.1998; Wingler 31.05.1998 S. 47) gleichsam automatisch mit der
Unterstützung der LTTE im Aufnahmeland bzw. der Begehung von Terrorismusdelikten
in Zusammenhang gebracht werden und dies zu einem Verfahren nach den
Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung führt, spricht nichts. Zwar ist zu
berücksichtigen, dass die LTTE, was den srilankischen Behörden seit längerem (AA
08.01.1999 S. 5; 06.05.1999 S. 2 f.) und nicht erst seit Erscheinen entsprechender
Berichte in der deutschen Tagespresse im Sommer 1999 bekannt ist, ihre im Ausland
geführten Organisationen zur politischen Agitation und zum Sammeln bzw. Eintreiben
von Geld bei den dort lebenden Tamilen einsetzt und so zum großen Teil ihre
militärischen und terroristischen Aktivitäten finanziert (vgl. auch Innenministerium NRW,
Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2000, S. 244
<246>). Auch ist anzunehmen, dass die srilankischen Strafverfolgungsbehörden wegen
der Auslandsaktivitäten der LTTE gegenüber tamilischen Rückkehrern den Verdacht
hegen können, die LTTE durch freiwillige oder erzwungene finanzielle Zuwendungen
im Ausland unterstützt zu haben. Ein solcher pauschaler Verdacht löst aber in der
srilankischen Praxis nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit ein
Strafverfolgungsinteresse mit der Folge längerer Inhaftierung im konkreten Einzelfall
aus, sodass der Frage nach dem Charakter der Strafverfolgungsmaßnahmen als Akte
politischer Verfolgung nicht weiter nachzugehen ist. Die Generalstaatsanwaltschaft in
Colombo bewertet nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes die bloße
finanzielle Unterstützung der LTTE durch Exilsrilanker im Ausland nicht als Verwicklung
218
in terroristische Aktivitäten der LTTE in Sri Lanka, sondern als einfache exilpolitische
Betätigung, die in Sri Lanka nicht strafbar ist (AA 19.01.1999 S. 11; 24.10.2001 S. 20 f.).
Diese Aussage findet ihre nachvollziehbare Erklärung und Bestätigung in der
gutachtlichen Stellungnahme des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg vom 22.
Juli 1998 zur Einschlägigkeit der Straftatbestände des Prevention of Terrorism Act (PTA)
nur bei Terrorismusaktivitäten im Inland; daher besteht kein greifbarer Anhaltspunkt, die
Aussagekraft und Verwertbarkeit der Aussagen des Auswärtigen Amtes zur in Rede
stehenden Strafverfolgungspraxis in Zweifel zu ziehen. Diese bieten vielmehr vor dem
Hintergrund der Rechtslage in Verbindung mit dem sonstigen umfassenden und
ersichtlich erschöpfenden Auskunftsmaterial eine tragfähige Beurteilungsgrundlage
dahin, dass ein Strafverfolgungsinteresse lediglich bei Personen besteht, die in
verantwortlicher Position in nicht unerheblichem Ausmaß an Aktivitäten im Rahmen der
LTTE-Auslandsorganisationen beteiligt sind; hier wird regelmäßig vermutet, dass es
neben den Unterstützungshandlungen im Ausland auch zur Beteiligung an
terroristischen Aktivitäten der LTTE im Inland gekommen ist (AA 08.01.1999 S. 6;
19.01.1999 S. 11; 24.10.2001 S. 20). Dementsprechend muss auch bei sonstigen
Auslandsaktivitäten für die LTTE und ihre Frontorganisationen nach der Bedeutung der
Unterstützungshandlung unterschieden werden. So wirkt etwa die Teilnahme an
regierungskritischen Demonstrationen und das Anprangern von
Menschenrechtsverletzungen auf Flugblättern regelmäßig ebenso wenig
gefahrerhöhend wie die Teilnahme an Sport- und Kulturveranstaltungen der der LTTE
nahe stehenden Organisationen (AA 20.04.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 21; KK 20.05.1998
S. 3). Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung u.a. darin, dass es nach Aussagen
aus vom Auswärtigen Amt als seriös eingeschätzten, näher bezeichneten srilankischen
Anwaltskreisen nur sehr wenige Fälle gibt, in denen es zur Anklage wegen im Ausland
entfalteter Tätigkeiten im Zusammenhang mit der LTTE gekommen ist (AA 08.01.1999
S. 6; 19.01.1999 S. 11 nebst Anlage - Anwaltsliste -; 24.10.2001 S. 21). Zudem
sprechen Schwierigkeiten des Nachweises der Tat (vgl. hierzu insbesondere auch den
Bericht eines Betroffenen vom 11.01.1999, Anhang zu KK 12.03.1999) sowie die
Überlastung der Strafjustiz (AA 06.05.1999 S. 4 f.) gegen regelmäßig oder auch nur bei
einer Vielzahl von Rückkehrern eingeleitete Verfahren und damit erst recht gegen eine
relevante Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen. Die gegenteilige Einschätzung (KK
08.12.1998, 12.03.1999, 22.06.1999 und 28.07.1999) ist ohne tragfähige Grundlage,
zumal inzwischen übereinstimmend berichtet wird, dass die Sondervorschriften zur
Terrorismusbekämpfung bei Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nur sehr selten
angewandt werden (AA 24.10.2001 S. 26) und die Überprüfungen bei der Einreise
regelmäßig nach wenigen Stunden mit der Freilassung - gegebenenfalls gegen Kaution
- und letztlich mit der Verfahrenseinstellung enden (AA 24.10.2001 S. 26; KK
02.08.2001 S. 3; UNHCR 24.08.2001 S. 3).
Sonstige, nicht an Auslandsaktivitäten anknüpfende allgemeine Risikofaktoren dafür,
dass ein Tamile bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen konkreten Verdacht
geraten könnte, in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein, wie etwa Alter, Herkunft, das
Vorhandensein körperlicher Narben und Ähnliches, begründen grundsätzlich ebenfalls
keine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines asylrelevanten Zugriffs im Zusammenhang
mit der Einreise. ... Denn es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Sicherheitskräfte
am Flughafen - über die Verfolgung von Passdelikten und relevanten
Auslandsaktivitäten hinaus - andere Kriterien anlegen als bei Sicherheitskontrollen im
Großraum Colombo."
219
Auch die weitere Entwicklung in Sri Lanka bis zur Ausreise des Klägers, die bereits
220
oben bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung tamilischer Volkszugehöriger dargestellt
wurde, und die sich für die Zeit von November 2004 bis heute wie unter aa) ausgeführt
darstellt, gibt keinen Anlass, von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung für tamilische Volkszugehörige im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland
auszugehen (bb).
aa) Im November 2004 rüsteten sich Regierung und LTTE für neue Kämpfe (SZ vom
26.11.2004). Präsidentin Kamaratunga strebte ein Militärbündnis mit Indien an, das
unter anderem eine Kooperation der Marineverbände vorsah. Darin erblickte die LTTE
eine Verletzung der Prinzipien des Waffenstillstands (SZ vom 26.11.2004). Bereits am
26. Oktober 2004 wurde ein Schweizer in Batticaloa durch einen Granatenanschlag
getötet. Verdächtigungen, dass die LTTE die Granate abgefeuert habe, wies diese
zurück (NZZ vom 27.10.2004). Nach der Ermordung eines Richters und angesichts
zunehmender Kriminalität erklärte die Präsidentin Kamaratunga, dass Sri Lanka ab
sofort wieder die Todesstrafe vollstrecken werde (taz 22.11.2004). Ende November
2004 hisste die LTTE in von der Regierung gehaltenen Regionen die "Nationalflagge"
von Tamil Eelam. Dies stellte eine Verletzung des Waffenstillstandsvertrages dar (NZZ
vom 29.11.2004). Als in der Region von Mannar skandinavische Vertreter der
Waffenstillstandskommission die Fahne entfernen wollten, kamen sie unter Feuer. Im
folgenden Schusswechsel wurde ein Parlamentsabgeordneter der (LTTE-treuen) Tamil
National Alliance verletzt (NZZ vom 29.11.2004). In Trincomalee führten die Flaggen-
Zeremonien zu Demonstrationen von Singhalesen, die Gebäude der LTTE angriffen
(NZZ vom 29.11.2004). In einer Radioansprache erklärte Prabhakaran, wenn die
Regierung die Friedensgespräche nicht ohne Vorbedingungen und unverzüglich wieder
aufnehme, seien die Tamil Tigers gezwungen, den Freiheitskampf wieder
aufzunehmen. Während Kamaratunga die Bereitschaft hierzu mehrfach signalisierte
(Der Spiegel Heft 50/2004, S. 139), stellte die LTTE selbst die Vorbedingung der
Anerkennung einer "Interim Self-Governing Authority" in den von dem LTTE besetzten
Gebieten (NZZ vom 29.11.2004).
221
Die Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember 2004 ließ die Auseinandersetzungen
zunächst in den Hintergrund geraten, aber bereits Anfang Januar 2005 beschuldigten
sich beide Seiten, die Krise zu politisieren (SZ vom 03.01.2005, NZZ vom 10.01.2005)
und setzten die gewohnten Machtkämpfe, erweitert um den Streit, wer über die
Verteilung der Spenden und Hilfsgüter bestimmen soll (NZZ vom 10.01.2005), und mit
gegenseitigen Schuldvorwürfen für die unzureichende Versorgung der Tamilen im
Norden (FR vom 10.01.2005, NZZ vom 01.02.2005) fort. Während in Colombo verbreitet
wurde, dass LTTE-Führer Prabhakaran durch den Tsunami ums Leben gekommen
(NZZ vom 01.02.2005) sowie ein Großteil der aus aufgerüsteten Fischerbooten
bestehenden Marine der LTTE zerstört worden sei, so dass die LTTE in den nächsten
Jahren keinen Krieg mehr anfangen könne, weil die Sea Tiger das Rückgrat ihrer Macht
gewesen sei, dementierte die LTTE diese Berichte umgehend (SZ vom 03.01.2005, Die
Zeit vom 05.01.2005, NZZ vom 10.01.2005). Mitte Januar 2005 wurde von Unicef und
mehreren Hilfsorganisationen berichtet, dass die LTTE vermehrt Minderjährige als
Kindersoldaten und hier insbesondere Waisenkinder rekrutierte (SZ vom
29./30.01.2005), um so ihre durch den Tsunami erlittenen personellen Verluste
auszugleichen, die auf 700 bis 2000 Kämpfer geschätzt wurden (SZ vom 17. 01.2005
und 29./30.01.2005). Am 21. und 22. Januar 2005 brachten norwegische Unterhändler
anlässlich einer angestrebten Kooperation der Bürgerkriegsparteien bei den
Hilfsbemühungen auch eine Wiederbelebung des Friedensprozesses zur Sprache (NZZ
vom 21. Januar 2005); bisher erfolglos (NZZ vom 2. Februar 2005). Am 25. Februar
222
2005 hat die Partei Arbeiterkongress Ceylon der tamilischen Minderheit die weitere
Unterstützung der Regierung aufgekündigt, weil diese mehrere Vereinbarungen nicht
eingehalten habe. Dadurch verlor die regierende Allianz von Präsidentin Kumaratunga
ihre Mehrheit im Parlament (FR vom 26.02.2005). Die seit Februar währenden
Verhandlungen über die Modalitäten der Verteilung der Hilfsgelder (FAZ vom
24.02.2005, NZZ vom 29.04.2005, 19.05.2005) führten im Juni 2005 zu einer
Regierungskrise (NZZ vom 13. und 16.06.2005), in Folge der die militante Singhalesen-
Partei JVP mit ihren 39 Abgeordneten die Koalition verließ. Die Regierung verfügte
damit nur noch über 81 der 225 Sitze im Parlament. (NZZ vom 17.06.2005, FR vom
17.06.2005). Am 24. Juni 2005 schloss sie das Abkommen über die Verteilung der
Hilfsgelder mit der LTTE. Daraufhin kam es in Colombo zu Demonstrationen von
buddhistischen Mönchen und Anhängern der JVP. Die Polizei löste die Demonstration
mit Tränengas auf (NZZ vom 25./26.06.2005). Der Oberste Gerichtshof stoppte im Wege
einer einstweiligen Verfügung Teile des mit der LTTE vertraglich Vereinbarten. Seither
wartet die Regierung mit der Umsetzung des Vertrages insgesamt das Urteil des
Obersten Gerichtshofs ab (FAZ vom 18.08.2005).
Nachdem es im Osten des Landes seit Monaten wieder zu vermehrten
Kampfhandlungen gekommen war und die LTTE mit einer Aufkündigung des
Waffenstillstandes gedroht hatte, wenn die Regierung nicht ihre Unterstützung für LTTE-
feindliche Tamilengruppen einstellte, wurden am 12. August 2005 in Colombo das
Ehepaar Selvarajah, sie eine bekannte, religiös tolerante Fernsehansagerin, er Mitglied
der LTTE-feindlichen Volksbefreiungsorganisation von Tamil Eelam (Plote), sowie der
Außenminister Kadirgamar ermordet. Dies hatte die Verhängung des
Ausnahmezustandes zur Folge, der knapp eine Woche nach den Attentaten vom
Parlament für einen Monat verlängert wurde (NZZ vom 20./21.08.2005, FAZ vom
18.08.2005). Die Morde werden der LTTE zugerechnet (FAZ vom 15.08.2005, NZZ vom
15.08.2005). Es kam zu 16 Verhaftungen (NZZ vom 16.08.2005). Ein anonymer
Sprecher der internationalen Beobachtermission wurde mit den Worten zitiert, er habe
"verläßliche Informationen", dass die LTTE "vom Waffenstillstandsabkommen
zurücktreten werden" (FAZ vom 15.08.2005). In seiner Trauerrede stellte der
Premierminister Rajapakse fest, dass es den Befreiungstigern nicht um das
Zusammenleben verschiedener Gemeinschaften in einem föderalen Staat gehe, und der
Chef des Friedenssekretariats Dhanapala erklärte, die Politik und die
Verhandlungsprozeduren, einschließlich die Rolle des Vermittlers Norwegen müssten
überdacht werden. Ungeachtet dessen startete Norwegen am 16. August 2005 einen
erneuten Vermittlungsversuch (NZZ vom 17.08.2005).
223
Aufgrund der nach sechsjähriger Amtszeit nicht möglichen Wiederwahl Kumaratungas,
die noch ein weiteres Jahr im Amt bleiben wollte, was der Oberste Gerichtshof jedoch
für nicht rechtens hielt (FR vom 27.08.2005, NZZ vom 27./28.08.2005 und 29.08.2005),
ernannte sie den Premierminister Rajapakse für die am 17. November 2005 (FR vom
20.09.2005) anstehenden Präsidentschaftswahlen zum Kandidaten ihrer Partei. Dieser
schloss am 8. September 2005 einen Wahlpakt mit der JVP, die ihn bei den
Präsidentschaftswahlen unterstützen will. Die JVP hatte zuvor einen Forderungskatalog
aufgestellt, der im Wahlpakt an vielen Stellen wörtlich übernommen wurde und folgende
Forderungen enthält: Ablehnung der Autonomievorstellungen der LTTE;
Neuverhandlung des Waffenstillstandsvertrages; Rücktritt vom Vertrag für eine
gemeinsame Ausführung des Wiederaufbaus; Ablösung Norwegens als Vermittler;
Änderung der Wirtschaftspolitik (NZZ vom 10./11.09.2005).
224
Nach Informationen des TamilNet vom 14. und 16. Dezember 2005 ist es vermehrt zu
Verhaftungen und Durchsuchungen einzelner Dörfer im Jaffna-Distrikt gekommen, was
insgesamt zu einer angespannteren Situation geführt hat.
225
Aus den Präsidentschaftswahlen ging Rajapakse als Sieger hervor (NZZ vom 19.
11.2005) Seither mehren sich die Stimmen, dass die Konflikte zwischen der Regierung
und der LTTE zunähmen (FR vom 19.11.2005, NZZ vom 28.11.2005). Belegt wird dies
durch die seit Dezember 2005 in der Tagespresse gemeldeten Bombenanschläge,
politische Morde und Feuerüberfälle (NZZ vom 5.12.2005, 24./25.12.2005, 27.12.2005,
FAZ vom 30.12.2005, NZZ vom 9.01.2006, FR 11.01.2006, NZZ vom 13.01.2006,
12.04.2006, FAZ vom 13.04.2006, 22. 04.2006). Am 25. April 2006 wurde bei einem
Selbstmordanschlag in Colombo der srilankische Armeechef lebensgefährlich verletzt.
Die Regierung riegelte bereits Anfang Januar 2006 die tamilischen Wohnviertel in der
Hauptstadt Colombo studenlang ab und durchsuchte Häuser nach verdächtigen
Personen. Berichtet wird aber auch, dass Norwegen zwischenzeitlich die
Verhandlungsgespräche zwischen der Regierung und der tamilischen
Rebellenorganisation wieder in Gang gebracht hat (FAZ vom 31.12.2005, NZZ vom
24.01.2006, SZ vom 25.01.2006, NZZ vom 26.01.2006, 8.02.2006, 20.02.2006,
23.02.2006) und die ehemaligen Bürgerkriegsparteien am Waffenstillstandsabkommen
festhalten wollen (FR vom 26.01.2005, NZZ vom 24.02.2006). Dabei bleibt die Lage
aufgrund der Anschläge und der Reaktionen des Militärs - Angriffe auf Ziele der LTTE -
allerdings angespannt (NZZ vom 28. April 2006, 13. Mai 2006 ; FAZ vom 13. Mai 2006).
226
bb) Bereits in der Entscheidung vom 19. November 2004 hat das Gericht die weitere
Entwicklung in Sri Lanka seit Herbst 2001 wie folgt gewürdigt:
227
"Die ... Entwicklung in Sri Lanka hat seit Frühjahr 2002 eine umfassende Verbesserung
der Situation der Tamilen in ihrem Heimatland in sämtlichen betrachteten Bereichen
nach sich gezogen. Dies rechtfertigt weiterhin die Bewertung, dass weder die
tamilischen Volkzugehörigen insgesamt noch eine relevante Untergruppe in Sri Lanka
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung bedroht sind.
Andererseits stellt sich die Lage nach Einschätzung des Senats nach wie vor nicht so
dar, dass mit der gebotenen Prognosesicherheit in Sri Lanka insgesamt oder in
irgendeinem Teilbereich für alle Rückkehrer von einer hinreichenden Sicherheit vor
politischer Verfolgung auszugehen ist (a.A.
Tamilen> OVG Sachsen, Urteil vom 3. Juli 2003 - A 1 B 115/00 -).
228
Die politische Situation in Sri Lanka stellt sich nach wie vor als labil dar. Ob die
Friedensgespräche, um deren Wiederaufnahme die norwegische Friedensmission
bemüht bleibt, fortgeführt und schließlich erfolgreich zu einem Abschluss gebracht
werden können, wird allgemein weiterhin mit Skepsis beurteilt. Gefährdungen sind für
den Friedensprozess von zwei Seiten erwachsen:
229
Auf der einen Seite ist das Regierungsbündnis, das von der den Forderungen der LTTE
ohnehin distanziert gegenüberstehenden Präsidentin Kumaratunga geführt wird, von
deutlichen Interessengegensätzen geprägt. Als problematisch stellt sich insbesondere
die starke Stellung der JVP dar, die sozialistische Standpunkte vertritt und
Zugeständnisse an die LTTE ablehnt (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101
<114 f.>; NZZ vom 18.02.2004 03.05.2004, 06./07.03.2004, 05.04.2004 und
07.04.2004). Zudem bildet die UPFA eine Minderheitsregierung, die zur Durchsetzung
ihrer Vorhaben auf die Unterstützung weiterer Parteien angewiesen ist. Das Parlament
230
als solches ist gleichfalls "entlang religiöser, ethnischer und doktrinärer Linien"
polarisiert (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 <114 f.>; vgl. auch FR vom
05.04.04). Die Partei der buddhistischen Mönche, die über immerhin 9 Sitze im
Parlament verfügt, ist in ihrer chauvinistisch-antitamilischen Haltung noch
unnachgiebiger als die JVP (NZZ vom 08.04.2004). Ohnehin wird auch das Anwachsen
des singhalesisch-buddhistischen Nationalismus in Sri Lanka, der sich in Übergriffen
auf Christen und christliche Stätten manifestiert hat, als besorgniserregend bewertet
(KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?115?; Schweizerische Flüchtlingshilfe -
-.02/04 S. 6; UNHCR 4/04 S. 49; FAZ vom 24.01.2004).
Der LTTE und den hiervon abgespaltenen Anhängern des Oberst Karuna auf der
anderen Seite werden gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen; ihre
anhaltenden Mordanschläge und Gefechte machen die Lage zusätzlich unsicher und
werden als Verletzung des Geistes des Waffenstillstandsabkommens betrachtet (NZZ
vom 24.09.2004 und 8.10.2004; taz vom 01.10.2004).
231
Vor diesem Hintergrund war die Berichterstattung in der deutschen Tagespresse über
die innenpolitische Lage über den gesamten Zeitraum seit dem Beginn des
Machtkampfes zwischen Präsidentin Kumaratunga und Wickremasinghe hinweg von
Besorgnis hinsichtlich des Fortgangs des Friedensprozesses bestimmt (FR vom
24.01.2004: "Der Machtkampf in Sri Lanka schmälert die Aussichten auf dauerhaften
Frieden"; NZZ vom 6./7.03.2004: "Ungewisse Zukunft des srilankischen
Friedensprozesses"; FR vom 05.04.2004: "Ungewisse Aussichten"; NZZ vom
05.04.2004: "Beunruhigende Signale aus Sri Lanka"; FR vom 08.07.2004: "Anschlag in
Colombo weckt Kriegsangst"; NZZ vom 08.07.2004: "Der sri-lankische Friedensprozess
ernsthaft gefährdet"; FR vom 04.08.2004: "Tamilenstreit gefährdet Waffenstillstand";
NZZ vom 24.09.2004: "Wachsende Frustration in Sri Lanka - Die
Friedensverhandlungen weiterhin in der Sackgasse" und taz vom 01.10.2004: "Sri
Lankas Friedensprozess steckt fest").
232
Ungeachtet dessen ist festzustellen, dass der Waffenstillstand zwischen LTTE und
srilankischer Regierung, der nunmehr seit über 2 ½ Jahren in Kraft ist, weiterhin im
Wesentlichen eingehalten wird, und sich die positiven Entwicklungen, die sich gerade
für die Volksgruppe der Tamilen im Zuge der Annäherung der beiden Seiten und der
Waffenruhe in den letzten Jahren ergeben haben, verfestigt haben:
233
Eine besondere Gefährdung bei der Einreise nach Sri Lanka besteht für Tamilen nicht.
Bei der Einreise nach Sri Lanka finden nach wie vor Überprüfungen durch die
Einreisebehörden statt (AA 30.03.2004 S. 26; KK 10.09.2003 S. 5). Insofern werden
jedoch nur die Einreisebestimmungen des Landes angewandt; die Überprüfungen
betreffen nicht allein Tamilen (KK 27.01.2003 S. 7; 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S. 6).
Bei einer Einreise mit Passersatzpapieren erfolgen auch Befragungen durch die
Kriminalpolizei (CID) zur Identität, zum persönlichen Hintergrund und zum Reiseziel (AA
19.06.2003 S. 23; 30.03.2004 S. 26). Die in der Vergangenheit übliche Vorführung vor
den Magistrate Court findet nicht mehr statt (AA 19.06.2003 S. 23; 30.03.2004 S. 26).
Verhaftungen bei der Einreise aufgrund einer LTTE-Mitgliedschaft oder einer früheren
Tätigkeit für die LTTE sind nicht mehr bekannt geworden (KK 27.01.2003 S. 7),
nachdem aufgrund der Aufhebung des Verbots der LTTE deren Mitglieder, Unterstützer
oder Sympathisanten grundsätzlich mit keiner strafrechtlichen Verfolgung mehr rechnen
müssen (AA 19.06.2003 S. 5, 14; 02.10.2003 S. 2; 30.03.2004 S. 11; KK 27.01.2003 S.
6; 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S. 5). Etwas anderes gilt nur, wenn die Betroffenen mit
234
schweren Straftatbeständen wie Terroranschlägen in Verbindung gebracht werden (AA
30.03.2004 S. 11; KK 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S. 5) oder vor dem
Waffenstillstandsabkommen unter dem "Prevention of Terrorism Act" (PTA) angeklagt
und gesucht wurden. Insofern haben die Entwicklungen nicht zu einer Amnestie geführt;
es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es derzeit bei kleineren Vergehen
nicht zu einer Inhaftierung und Verurteilung kommt (KK 12.10.2003 S. 4). Asylrelevanz
kommt diesen Einreisekontrollen schon mangels Anknüpfung an asylerhebliche
Merkmale der Betroffenen nicht zu.
Auch die Lage in Colombo sowie den sonstigen Bereichen des Südens und Westens
Sri Lankas ist trotz der Rückschläge im Zusammenhang mit den innertamilischen
Auseinandersetzungen nach wie vor durch eine weitgehende Entspannung
gekennzeichnet. Angehörige der LTTE können nach der Aufhebung des LTTE-Verbots
offen politisch agieren und genießen weitgehende Bewegungsfreiheit, sofern sie auf
Uniform und Bewaffnung verzichten (KK 27.01.2003 S. 5). Der PTA ist zwar nicht
förmlich aufgehoben, wird aber, nachdem sich die Regierung im
Waffenstillstandsabkommen verpflichtet hat, Verhaftungen nach dem PTA nicht mehr
vorzunehmen (Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 9; UNHCR 4/04 S. 39; ai -
-.05.2003 S. 2), seit Anfang 2002 nicht mehr angewandt (AA 21.05.2003 S. 2;
19.06.2003 S. 9; 02.10.2003 S. 2; 30.03.2004 S. 9). Ermittlungen wegen in der
Vergangenheit begangener schwerer Terroranschläge werden allerdings fortgeführt;
hier muss trotz der neuen Lage mit einer Verurteilung gerechnet werden (KK 12.10.2003
S. 5). Bei der Verfolgung von Straftaten im Rahmen der allgemeinen strafgesetzlichen
Vorschriften, wie z.B. illegaler Waffenbesitz oder Mord, ist es unerheblich, ob diese
Straftaten von LTTE-Mitgliedern oder anderen Personen begangen wurden oder diese
Straftaten der Unterstützung der LTTE oder anderer Organisationen oder Personen
dienen bzw. dienten (AA 02.10.2003 S. 2).
235
Die Entspannung der Sicherheitslage findet im Auftreten der Sicherheitskräfte ihren
Niederschlag. Seit dem Abschluss des Waffenstillstandsabkommens finden
Ermittlungsmaßnahmen der Behörden zur Aufklärung bzw. Verhinderung von LTTE-
Anschlägen, von denen neben aktiven LTTE-Mitgliedern auch ihre Helfer bzw.
Verdächtige - oft aus der tamilischen Bevölkerung - betroffen waren, nicht mehr statt (AA
19.06.2003 S. 12; 30.03.2004 S. 9). Angehörige der tamilischen Volksgruppe
unterliegen keiner verstärkten polizeilichen Beobachtung; eine Meldepflicht für Tamilen
bei einem Aufenthalt in den südlichen Gebieten besteht nicht mehr (AA 19.06.2003 S.
12; KK 27.01.2003 S. 6 f.; 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S. 5 f.). Auf einigen Straßen des
Landes und in Colombo, insbesondere an sicherheitsrelevanten Orten, finden zwar
nach wie vor routinemäßig Identitätsüberprüfungen statt (AA 30.03.2004 S. 9). Massive
regelmäßige Kontrollen durch Sicherheitskräfte und die Sperrung ganzer Straßenzüge,
verbunden mit der kurzfristigen Festnahme einer Vielzahl von Tamilen, über die früher
berichtet wurde, gehören aber der Vergangenheit an (AA 19.06.2003 S. 21;
Schweizerische Flüchtlingshilfe --.03.2003 S. 8). Festnahmen bei Kontrollen, deren Zahl
seit Inkrafttreten der Waffenruhe erheblich zurückgegangen ist, sind nicht mehr bekannt
geworden (AA 19.06.2003 S. 5, 12; 30.03.2004 S. 9, 21; KK 27.01.2003 S. 5).
236
Die Haftfälle, die auf dem PTA beruhen, wurden zwischenzeitlich überprüft; zahlreiche
Gefangene wurden freigelassen. Die Zahl der konfliktbezogenen Gefangenen, die 2001
noch bei ca. 2000 lag, war bis zum Frühjahr 2002 auf etwa 1000 (AA 19.06.2003 S. 9,
11; ai --.05.2003 S. 2) und bis Anfang 2004 auf unter 100 gesunken (AA 30.03.2004 S.
9). Amnesty international zufolge waren im Dezember 2003 nur noch 65 Personen auf
237
der Grundlage des PTA inhaftiert (ai --.07.2004 S. 401 ?403>). Eine beachtliche Gefahr
für Tamilen, allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit von irgendwie gearteten
Maßnahmen der srilankischen Sicherheitskräfte - sei es von asylerheblichem, sei es von
geringerem Gewicht - betroffen zu werden, besteht in dem hier betrachteten Bereich
nach alledem gegenwärtig nicht mehr.
In den ehemaligen Bürgerkriegsgebieten sowie den Regionen im Norden und Osten Sri
Lankas ist die Normalisierung weiter fortgeschritten. Der Reiseverkehr von
regierungskontrolliertem in von der LTTE kontrolliertes Gebiet ist annähernd normalisiert
(UNHCR 4/04 S. 43; KAS/Auslandsinformationen 5/04 S. 105). Die
Genehmigungserfordernisse für Reisen aus und in die "uncleared areas" wurden
seitens der Regierung Anfang 2002 aufgehoben (AA 19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S.
15; KK 18.11.2002 S. 9 f.). Allerdings sind nunmehr Bewilligungen der LTTE
erforderlich, um in das von der LTTE kontrollierte Vanni zu gelangen, was lange
Wartezeiten mit sich bringt (Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 14). Die
Wirtschaftsblockade der Regierung über die von der LTTE kontrollierten Landesteile ist
weitgehend aufgehoben (AA 19.06.2003 S. 6; Keller Südasien 4/02 S. 62 <66>; KK
18.11.2002 S. 10; 10.09.2003, S. 1; 12.10.2003 S. 7). Jaffna ist seit Jahren Ziel
zehntausender freiwilliger tamilischer Rückkehrer, wenn auch ihre Wiederansiedlung
wegen infrastruktureller Probleme, der Verminung weiter Gebiete und ungeklärter
Eigentumsverhältnisse auf Schwierigkeiten stößt (ai --.07.2004, S. 401 ?402?;
Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 15 f.; Flück, Zur politischen und
militärischen Entwicklung, Südasien 3/03 S. 67 <69>). Nach Angaben des UNHCR ist
nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommens über ein Drittel der schätzungsweise
800.000 Binnenvertriebenen an ihren Wohnort zurückgekehrt (UNHCR 4/04 S. 51; s.
auch AA 19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S. 15; Schweizerische Flüchtlingshilfe
16.02.2004 S. 15; ai --.05.2003 S. 1; taz vom --.02.2004: 170.000 Rückkehrer allein in
die Stadt Jaffna). Die Regierung hat unter dem Namen 'Triple-R' ein Hilfsprogramm
eingerichtet, mit dem zurückgekehrten Flüchtlingen bei der Wiederansiedlung eine
einmalige Unterstützungszahlung gewährt werden soll (AA 30.03.2004 S. 14).
Allerdings halten die staatlichen Streitkräfte auf der Halbinsel Jaffna größere Gebiete
um ihre Militärstützpunkte, sogenannte "Hochsicherheitszonen", weiterhin unter ihrer
Kontrolle und verwehren auch Flüchtlingen die Rückkehr dorthin (UNHCR 4/04 S. 43;
KK 27.01.2003 S. 2; 10.09.2003 S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe 10/03 S. 3;
16.02.2004 S. 4). Die übrigen Gebiete sind allgemein und frei zugänglich (UNHCR 4/04
S. 43; AA vom 30.03.2004 S. 15).
238
Zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und LTTE-
Angehörigen ist es seit Vereinbarung der Waffenruhe nur noch ganz vereinzelt
gekommen. Aufsehen erregten Vorfälle, bei denen die srilankische Marine in den
Gewässern um Sri Lanka wegen des Verdachts des Waffenschmuggels Schiffe der
LTTE aufbrachte oder versenkte (AA 19.06.2003 S. 7). Weiterungen hatten diese
Ereignisse, bei denen Angehörige der LTTE ums Leben kamen, nicht zur Folge.
Berichte über den staatlichen Sicherheitskräften zugeschriebene Tötungen oder Fälle
des "Verschwindenlassens" gibt es für die Zeit nach Aufnahme der
Friedensverhandlungen nicht (AA 19.06.2003 S. 20 f.). Seitens der LTTE wird den
Sicherheitskräften allerdings seit der Abspaltung Oberst Karunas vorgeworfen, bei der
Revolte die Hand im Spiel gehabt zu haben und durch die Unterstützung Karunas
mittelbar für Opfer unter LTTE-Angehörigen verantwortlich zu sein (NZZ vom 08.07.2004
und 24.09.2004, taz vom 01.10.2004; FR vom 08.07.2004). Die in den Regionen des
Nordens und Ostens aktiven tamilischen Anti-LTTE- Organisationen (PLOTE, TELO,
239
EPDP, EPRLF), denen in der Vergangenheit ebenfalls Menschenrechtsverletzungen
zugeschrieben wurden, sind entsprechend den Vereinbarungen im
Waffenstillstandsabkommen bis zum 24. März 2002 vollständig entwaffnet worden; ihre
Trainingslager wurden aufgelöst (AA 19.06.2003 S. 15 f.).
Der Aktionsspielraum der LTTE hat sich in Folge der Waffenstillstandsvereinbarungen
erheblich erweitert. Ihr wurde erlaubt, auch in den von Regierungstruppen beherrschten
Nordostgebieten Büros zu eröffnen, um dort ihrer politischen Arbeit nachzugehen
(Keller, Die Suche nach der Konfliktlösung hat begonnen, Südasien 3/02 S. 75 <76>;
Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 <67>). In den von
ihr beherrschten Gebieten hat die LTTE ihre den öffentlichen und privaten Sektor
dominierende Stellung gefestigt, eigene Verwaltungsstrukturen, ein eigenes Zoll- und
Steuerwesen und ein eigenes Justizsystem einschließlich eigener Gesetze, Gerichte -
mit ehemaligen Kämpfern ohne juristische Ausbildung als Richtern - und Gefängnisse
auf- bzw. ausgebaut (AA 19.06.2003 S. 16; Schweizerische Flüchtlingshilfe 10/03 S. 3
und 16.02.2004 S. 8, 14; Korf, Wer hat Angst vor dem Schurkenstaat?, Südasien 4/03 S.
59 <62>; Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62
<67>; KK 10.09.2003 S. 1 f.; 12.10.2003 S. 7).
240
Der LTTE wird der ganz überwiegende Teil der Menschenrechtsverletzungen
zugeschrieben, von denen nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommens berichtet
wurde (UNHCR 4/04 S. 32, 34; Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 9; NZZ
vom 25.03.2004 und 22.06.2004). Es gibt Berichte über Hinrichtungen, Folterungen,
Entführungen und Festnahmen politisch Andersdenkender, Erpressung sowie
Waffenschmuggel durch die LTTE (AA 19.06.2003 S. 16; 30.03.2004 S. 14; ai --.07.2004
S. 401 ?402?; --.05-2003 S. 3; UNHCR 4/04 S. 9, 12; Schweizerische Flüchtlingshilfe
16.02.2004 S. 12; 10/03 S. 3, 4 f.; Clemens, Im Überblick ...., Südasien 2/03 S. 57 <58>;
Korf, Wer hat Angst vor dem Schurkenstaat?, Südasien 4/03 S. 59 <63>; Flück, Der
Kampf um den Frieden geht weiter, Südasien 1/03 S. 54 <55>; taz vom --.02.2004).
Tamilische Oppositionsparteien unterliegen seit Aufnahme der Friedensverhandlungen
ebenso wie Menschenrechtsorganisationen und Medien einer massiven Bedrohung
seitens der LTTE, die einen Alleinvertretungsanspruch für die Tamilen erhebt (AA
19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S. 14; Clemens, Im Überblick ...., Südasien 2/03 S. 57
<58>). Insbesondere seit der Abspaltung Oberst Karunas wird die LTTE für zahlreiche
Morde und Entführungen von Anhängern rivalisierender tamilischer Gruppierungen
verantwortlich gemacht (ai --.07.2004 S. 401 ?402 f.?; NZZ vom 08.10.2004; taz vom
01.10.2004). Rechte wie das auf freie Meinungsäußerung, auf ein faires
Gerichtsverfahren oder Religionsfreiheit sind in dem von der LTTE beherrschten Gebiet
nicht gewährleistet (UNHCR 4/04 S. 12, 31, 41).
241
Ihren Nachwuchsbedarf für die Kampftruppen deckt die LTTE - entgegen abweichender
Zusagen unter anderem während der Friedensgespräche in Berlin im Februar 2003 -
weiterhin in erheblichem Umfang durch Zwangsrekrutierungen von Kindern (AA
30.03.2004 S. 14; UNHCR 4/04 S. 54; Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S.
13; NZZ vom 8.10.2004). Nach UNICEF-Meldungen hat sie im Jahre 2003 zwar 200
Kindersoldaten entlassen, gleichzeitig aber 700 Minderjährige neu rekrutiert
(Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 13; FAZ vom 25.01.2004; NZZ vom
25.03.2004). Im August 2003 vereinbarten Regierung und LTTE einen Aktionsplan zur
Demobilisierung von Kindersoldaten und zu ihrer Rehabilitierung, wozu
Rehabilitierungslager eingerichtet werden sollten. Bereits unmittelbar nach der
Eröffnung des ersten Lagers soll die LTTE wieder Minderjährige rekrutiert haben (ai - -
242
.07.2004 S. 401 ?403?).
In den östlichen Landesteilen stehen die wesentlichen Zentren nach wie vor unter der
Kontrolle der Sicherheitskräfte, während die LTTE in den weiten ländlichen, nicht von
den Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten operiert. Gemäß den Regelungen der
Waffenstillstandsvereinbarung dulden die Sicherheitskräfte eine LTTE-Präsenz, die sich
immer stärker verfestigt, auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten (AA 19.06.2003
S. 17; 30.03.2004 S. 14). Auch in von der Regierung kontrollierten Gebieten im Osten
errichtete die LTTE eigene "Gerichte" und "Polizeistationen" (AA 19.06.2003 S. 7).
Vereinzelt kam es zu Verhaftungen von LTTE-Kadern durch die Sicherheitskräfte. Diese
Fälle wurden allerdings meist vom zuständigen Waffenstillstands-Überwachungs-
Komitee gelöst (KK 27.01.2003 S. 5). In den östlichen Regionen kam es zu Spannungen
zwischen den dort ansässigen Bevölkerungsgruppen, die in Einzelfällen zu bewaffneten
Ausschreitungen eskalierten. Am 9. Oktober 2002 wurden während einer Demonstration
im Osten von Sri Lanka acht der Demonstranten durch Polizeischüsse getötet (ai --
.05.2003 S. 4); hierbei handelte es sich um den ersten ernsten Zwischenfall seit Beginn
der Waffenruhe im Februar 2002 (FAZ vom 11.10.2002; Flück, Friedensprozess bleibt
auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68). In Folge dieser Ereignisse kam es am 11. Oktober
2002 zu Straßenschlachten zwischen Singhalesen und Tamilen im Nordosten Sri
Lankas; auch hierbei starben drei Menschen (AA 19.06.2003 S. 6; FAZ vom
12.10.2002). Außerdem wurde von Ausschreitungen bis hin zu offener Gewalt zwischen
Tamilen und Muslimen im Osten des Landes berichtet (AA 19.06.2003 S. 13;
30.03.2004 S. 11; ai --.05.2003 S. 4; Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord
Krishna, Südasien 4/02 S. 62 <66>; KK 10.09.2003 S. 3; 12.10.2003 S. 9). Den
Sicherheitskräften gelang es jeweils alsbald, die Ruhe wieder herzustellen. Nahrung
finden die weiterhin schwelenden Konflikte in der Befürchtung der Moslems, sie könnten
im Falle einer Einigung zwischen der Regierung und der LTTE von der tamilischen
Bevölkerungsmehrheit unterdrückt werden (Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben
Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 <66>). Zu weitgreifenden Unruhen ist es auch in den
östlichen Gebieten Sri Lankas nicht gekommen.
243
Insgesamt wird die derzeitige Situation und namentlich die Menschenrechtslage in Sri
Lanka als gegenüber der Vergangenheit deutlich verbessert beurteilt (UNHCR 4/04 S.
31; AA 19.06.2003 S. 10; ai --.05.2003 S. 1; Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben
Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 <65>; KK 18.11.2002 S. 9), wenngleich die
Einschätzung geäußert wird, das Land befinde sich noch in einer Phase der
Unsicherheit, eine endgültige Lösung des Konflikts liege noch in weiter Ferne
(Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 17; Korf, Schafft Entwicklung Frieden in
Sri Lanka?, Südasien 2/03 S. 59; Flück, Der Kampf um den Frieden geht weiter,
Südasien 1/03 S. 54).
244
Ungeachtet dessen stellt sich die Menschenrechtssituation nach wie vor als
problematisch dar. Das Auswärtige Amt berichtet auch in seinem jüngsten Lagebericht,
dass es - "wenn auch in geringerem Umfang als noch Mitte der 90er Jahre" - "nach wie
vor zu schweren Menschenrechtsverletzungen" wie Folter und überlanger
Untersuchungshaft komme (AA 30.03.2004 S. 5, 17; 19.06.2003 S. 5, 8, 11; s. auch
UNHCR 4/04 S. 8, 31; Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 10: 10/03, S. 3).
Auch amnesty international weist auf weiter "zahlreiche Berichte über Folterungen und
Vergewaltigungen im Gewahrsam der Polizei" (ai --.05.2003 S. 2; s. auch ai --.07.2004
S. 402 ?404?) hin. Einzelfälle von noch in den Jahren 2003 und 2004 bekannt
gewordener überlanger Haft und Folter durch die Sicherheitskräfte haben die
245
Schweizerische Flüchtlingshilfe (16.02.2004 S. 10 f.) und der UNHCR (4/04 S. 38)
benannt. Hervorgehoben wird, dass die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen
weiterhin ein schwer wiegendes Problem darstelle (AA 30.03.2004 S. 17, 20, 22; ai --
.07.2004 S. 402 ?404?; --.05.2003 S. 1; UNHCR 4/04 S. 34; Schweizerische
Flüchtlingshilfe 10/03, S. 3; 16.02.2004 S. 11). Es gibt inzwischen allerdings eine Reihe
von Entscheidungen srilankischer Gerichte, welche die Freilassung Verhafteter oder die
Zahlung von Entschädigungsleistungen für Menschenrechtsverletzungen, insbesondere
Folter, anordnen (AA 19.06.2003 S. 9; 30.03.2004 S. 19; Schweizerische
Flüchtlingshilfe 02.04.2004 S. 11); auch fanden und finden Strafverfahren gegen
Angehörige der Sicherheitskräfte statt, in denen zum Teil Freiheitsstrafen verhängt
worden sind (ai --.05.2003 S. 2 f; --.07.2004 S. 402 <404 f.>)."
Die in dieser Bewertung zum Ausdruck kommende Einschätzung aus November 2004,
die keinen Anlass gab, von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung für tamilische Volkszugehörige im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland
auszugehen, gilt aufgrund der bereits geschilderten Entwicklung, die der
Friedensprozess in Sri Lanka bis heute genommen hat, fort. Es ist allerdings
festzustellen, dass seit dem 19. November 2004 bis zur Tsunami-Katastrophe das Ende
des Waffenstillstandes näher lag als der Fortgang der Friedensbemühungen. Auch nach
der Naturkatastrophe hängt der Frieden an einem seidenen Faden. Beide Seiten drohen
offen mit kriegerischen Auseinandersetzungen, soweit eigenen Forderungen nicht
Rechnung getragen werden sollte. In nationalistischen Kreisen, mit der die Regierung
einen Wahlpakt geschlossen hat, wird die Auswechslung des Vermittlers Norwegen
gefordert. Dass diese Kreise an einer Zusammenarbeit mit der LTTE nicht interessiert
sind, hat die Regierungskrise anlässlich des Vertragsabschlusses betreffend die
Verteilung der Hilfsgelder unter Beteiligung der LTTE offenkundig gemacht. Falls die
LTTE tatsächlich hinter der Ermordung Kadirgamars steckt, wovon allgemein
ausgegangen wird, ist dies ein Zeichen dafür, dass sie nicht länger bereit ist, auf
Zugeständnisse zu warten und einen neuen Krieg billigend in Kauf nimmt. Weiteres
Zeichen für eine Beendigung des Waffenstillstandes sind die zunehmenden
kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und den Einheiten der LTTE
sowie die vielen Attentate und sonstigen Gewalttaten, bei denen häufig Zivilpersonen
getötet bzw. verletzt werden. Weiterhin kommt es in Sri Lanka zu schweren
Menschenrechtsverletzungen, wenn auch in geringerem Umfang als noch Mitte der 90er
Jahre. Hierzu zählen Brutalität in Polizeigewahrsam, Folter und überlange
Untersuchungshaft. Die LTTE zeichnet weiterhin für schwerste Gewaltakte, auch gegen
Zivilpersonen, darunter Zwangsrekrutierungen Minderjähriger und Entführungen von
Personen verantwortlich (AA, Lagebericht vom 16. März 2005, S. 5)
246
Sowohl die zuletzt genannten Vorbehalte hinsichtlich der Menschenrechtssituation als
auch die weiterhin nicht als hinreichend stabil einzuschätzende politische Lage
verbieten es nach Überzeugung des Senats (weiterhin), die Situation in Sri Lanka schon
als so günstig zu beurteilen, dass selbst einem vorverfolgt ausgereisten Tamilen eine
Rückkehr in sein Heimatland wegen dort herrschender Sicherheit vor (erneuter)
politischer Verfolgung zugemutet werden kann. Der Senat sieht sich in seiner
vorsichtigen Einschätzung nicht zuletzt durch die innenpolitischen Ereignisse bis heute -
wie sie oben referiert wurden - bestätigt.
247
Die daraus für den weiteren Fortgang des Friedensprozesses resultierenden
Unsicherheiten in der Prognose der zukünftigen Entwicklung bieten andererseits derzeit
keinen Ansatzpunkt für die Annahme, die seit nunmehr vier Jahren signifikant
248
verbesserte Situation für Tamilen könne sich wieder derart verschlechtern, dass zu
befürchten wäre, Angehörigen dieser Volksgruppe oder irgendeiner Untergruppe könnte
in absehbarer Zeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
Die nach den Meldungen im TamilNet vom 14. und 16. Dezember 2005 festzustellenden
vermehrten Verhaftungen und Durchsuchungen einzelner Dörfer im Jaffna-Distrikt und
die damit einhergehende angespanntere Situation zwischen Sicherheitskräften und der
Bevölkerung sind dazu aufgrund bereits im Ansatz nicht feststellbarer hinreichender
Verfolgungsintensität, ihrer lokalen Begrenzung auf Dörfer im Jaffna-Distrikt und ihrer
geringen Quantität nicht ansatzweise geeignet, eine Situation zu belegen, die auf eine
allgemeine Verfolgungssituation hindeutet.
249
Es kann unentschieden bleiben, ob der LTTE - wofür Vieles spricht - in den von ihr
beherrschten Gebieten eine auf einer organisierten, effektiven und stabilisierten
territorialen Herrschaftsmacht beruhende und damit eine staatsähnliche Gebietsgewalt
zukommt, von der politische Verfolgung ausgehen kann.
250
Vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 20.00 -, BVerwGE 114, 16, und -
9 C 21.00 -, BVerwGE 114, 27.
251
Eine solche Gebietsgewalt wäre auf die von der LTTE beherrschten Gebiete im Norden
und Osten beschränkt. Ein srilankischer Staatsangehöriger wäre in den übrigen
Landesteilen, in die er ausweichen kann (AA 30.03.2004 S. 15) und in denen die LTTE
keinerlei Staatsgewalt innehat, durch die srilankischen Sicherheitskräfte geschützt und
jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung durch die
LTTE bedroht.
252
c) Besondere in der Person des Klägers liegende und in seinem Einzelfall zu
würdigende Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung sind nicht gegeben.
253
Bei einer Rückkehr in vom srilankischen Staat beherrschte Gebiete droht dem Kläger
auch nicht aus sonstigen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung. Insbesondere teilt das Gericht - wie dargelegt - nicht die Auffassung, der
Kläger werde von den Sicherheitskräften bzw. der EPDP nach wie vor (etwa wegen
seiner Aktivitäten für die LTTE) gesucht.
254
Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte wird der Kläger aller Wahrscheinlichkeit
nach daher nach seiner Wiedereinreise und Feststellung seiner Identität - soweit er
darauf überhaupt noch seitens der Sicherheitskräfte angesprochen werden wird - ohne
weiteres in der Lage sein, diesen seine damalige Situation sowie seine Gründe für die
Ausreise zu schildern. Mangels terroristischer Aktivitäten des Klägers in der
Vergangenheit und aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen, beschriebenen
Entwicklung in Sri Lanka ist demnach mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen,
dass der Kläger nach Feststellung seiner Identität bzw. nach Kautionsstellung
ungehindert einreisen darf und keinen weiteren Repressalien ausgesetzt sein wird.
255
Vorstehendes gilt auch im Hinblick darauf, dass er verschiedene Risikofaktoren
aufweist, die die Wahrscheinlichkeit eines ersten Zugriffs zur Identitätsabklärung
erhöhen können. Diese tragen aber nicht den Schluss, dass ihm dabei mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche längerfristige Inhaftierung und/oder körperliche
256
Misshandlungen drohen.
Mit Blick auf die Risikofaktoren fehlende Ausweispapiere, möglicherweise
unzureichende Sprachkenntnisse, Alter und Herkunft teilt der Kläger das Schicksal einer
Vielzahl nach Sri Lanka zurückkehrender tamilischer Asylbewerber, deren Lebensalter
unter 35 bis 40 Jahren liegt, deren Geburts- oder Herkunftsort auf der Jaffna-Halbinsel
oder im übrigen Norden Sri Lankas liegt, die die singhalesische und englische Sprache
nicht beherrschen und die bei ihrer Rückkehr nicht über gültige Ausweispapiere
verfügen, ohne dass es bei diesem Personenkreis, wie bereits zur allgemeinen
Sicherheitslage im Großraum Colombo ausführlich dargelegt, mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit zu asylrelevanten Übergriffen kommt.
257
Im Ergebnis gilt dies auch für den vom Kläger in den Vordergrund seines Vorbringens
gerückten Risikofaktor in Gestalt von Narben, die er aufgrund der Feststellungen in der
mündlichen Verhandlung vom 21. März 2006 am Körper aufweist. Da in Sri Lanka, wie
schon ausgeführt, zahlreiche Personen leben, die im Zusammenhang mit den
Kriegsereignissen und Anschlägen, aber auch durch Arbeits-, Straßenverkehrs- und
Haushaltsunfälle Verletzungen erlitten haben, gibt das Vorhandensein entsprechender
Narben ohne Hinzutreten weiterer Besonderheiten des Einzelfalls für eine beachtliche
Verfolgungswahrscheinlichkeit nichts her. Diese gilt heute umso mehr, als angesichts
der nur noch eingeschränkt durchgeführten und im Wesentlichen auf die Einhaltung der
allgemeinen Einreisebestimmungen beschränkten Kontrollen bei der Ankunft in Sri
Lanka schon nicht gewiss ist, dass die Narben des Klägers von den Sicherheitskräften
überhaupt entdeckt werden. Im Übrigen liegt es angesichts der innenpolitischen Lage
und der Aufhebung des LTTE-Verbots fern, dass die Sicherheitskräfte entdeckte Narben
zum Anlass für weitere Maßnahmen, etwa für medizinische Untersuchungen zu Herkunft
und Ursache der ursprünglich gegebenen Verletzungen nehmen könnten.
258
II. Das Begehren des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG ist ebenfalls unbegründet. Diese Vorschrift ist zum maßgeblichen Zeitpunkt
der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG; Art. 15 Abs. 3
Zuwanderungsgesetz) anwendbar. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein
Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine
Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu
einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht
ist. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift umfasst den des Art. 16a Abs. 1 GG,
259
zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, DVBl 1992,
843; zur Deckungsgleichheit von Art. 16a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem
Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1993 - 9 C
50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 (503); Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ
1994, 497 (498 ff.),
260
und geht darüber hinaus, indem - nach Maßgabe des § 28 AsylVfG - auch selbst
geschaffene Nachfluchtgründe und gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung
durch nichtstaatliche Akteure, etwa in Bürgerkriegssituationen, in denen es an
staatlichen Strukturen fehlt, ein Abschiebungsverbot begründen. Ferner stellt § 60 Abs.
1 Satz 3 AufenthG klar, dass eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn Anknüpfungspunkt allein das
Geschlecht ist.
261
Vgl. Huber, Das Zuwanderungsgesetz, NVwZ 2005, 1 (6, 10).
262
Der Tatbestand des § 60 Abs. 1 AufenthG ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Wie sich
aus den vorstehenden Ausführungen zum Asylanerkennungsanspruch ergibt, droht dem
Kläger in Sri Lanka keine politische Verfolgung; soweit der Schutzbereich des § 60 Abs.
1 Satz 1 AufenthG über den des Art. 16a GG hinausgeht, liegen die hierfür
maßgeblichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
Insbesondere kann sich der Kläger Nachstellungen der LTTE in ihrem
Herrschaftsbereich, die selbst dort im Hinblick auf die geringe Bedeutung des Klägers
für die LTTE vor seiner Ausreise und der seither verstrichenen Zeit nicht zu erwarten
sind, durch Aufenthaltsnahme in anderen Landesteilen entziehen.
263
III. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten
nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben
werden, wenn ihm in dem Staat, in den er abgeschoben werden soll, landesweit mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter, Todesstrafe oder sonst menschenrechtswidrige
Behandlung droht (§ 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG); er soll nicht abgeschoben werden,
wenn für ihn in dem Staat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit
besteht (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG). § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG erfasst nicht nur
verfolgungsunabhängige, sondern auch verfolgungstypische Gefahren, die in den
Anwendungsbereich des Art. 16a GG und des § 60 Abs. 1 AufenthG fallen. Für den Fall,
dass der Ausländer schon vor seiner Ausreise einer derartigen Gefahr ausgesetzt war,
ist nicht der herabgestufte, sondern der allgemeine Prognosemaßstab der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit anwendbar.
264
Zu § 53 AuslG: BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331
(333 ff.); Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265 (269); Urteil vom 4.
Juni 1996 - 9 C 134.95 -, InfAuslR 1996, 289; zur Anwendung auf verfolgungsabhängige
Gefahren: BVerfG, Beschluss vom 3. April 1992 - 2 BvR 1837/91 -, NVwZ 1992, 660;
BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 (329); Urteil vom
30. März 1999 - 9 C 31.98 -, NVwZ 1999, 1346 ff.
265
Die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG wird
weder durch den Terrorismusvorbehalt bzw. durch § 60 Abs. 8 AufenthG,
266
vgl. zu § 53 AuslG: BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1989 - 2 BvR 958/86 -
BVerfGE 81, 142 (155); BVerwG, Urteil vom 30. März 1999 - 9 C 31.98 -, BVerwGE 109,
1 (5) m.w.N.,
267
noch durch § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen.
268
Der Abschiebung des Klägers nach Sri Lanka steht weder die Gefahr von Folter gemäß
§ 60 Abs. 2 AufenthG (1.) noch die Gefahr der Todesstrafe gemäß § 60 Abs. 3 AufenthG
(2.) noch die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gemäß §
60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten vom 4. November 1950, EMRK, (3.) entgegen.
269
1. § 60 Abs. 2 AufenthG greift nicht ein; die dort geforderte konkrete Gefahr, der Folter
unterworfen zu werden, besteht nicht. Wie schon ausgeführt, sind Fälle von Folterung
zwar nicht generell auszuschließen, diese fallen aber im Wesentlichen mit Fällen
politischer Verfolgung zusammen. Da dergleichen aber, wie im Einzelnen dargestellt,
270
vorliegend nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, ist auch eine konkrete Gefahr
- vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391 -,
271
der Folter unterworfen zu werden, zu verneinen.
272
2. Auch das Abschiebungshindernis des § 60 Abs. 3 AufenthG ist in der Person des
Klägers nicht gegeben. Er wird in Sri Lanka nicht wegen einer Straftat gesucht und
bezichtigt sich auch nicht, eine Straftat begangen zu haben, auf die in Sri Lanka die
Todesstrafe steht. Er läuft von daher nicht Gefahr wegen einer solchen zum Tode
verurteilt zu werden.
273
3. Eine Unzulässigkeit der Abschiebung nach der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention -
(EMRK), die zu einem Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen
könnte, ist ebenfalls nicht festzustellen. In Betracht zu ziehen sind nur Umstände, die
sich aus Gefahren ergeben, die in Sri Lanka als dem Zielland der Abschiebung drohen.
Demgegenüber sind nicht von der Beklagten, sondern von der Ausländerbehörde zu
berücksichtigen und im vorliegenden Verfahren daher ohne Belang - neben sonstigen
tatsächlichen Vollstreckungshindernissen wie etwa krankheitsbedingte
Reiseunfähigkeit, fehlende Papiere oder fehlende Verkehrsverbindungen - solche
Umstände, die einer Vollstreckung der Ausreisepflicht entgegenstehen, weil andernfalls
ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet verletzt würde.
274
Vgl. zum wortgleichen § 53 Abs. 4 AuslG BVerwG, Urteile vom 11. November 1997 - 9 C
13.96 -, BVerwGE 105, 322 = NVwZ 1998, 526, und vom 21. September 1999 - 9 C
12.99 -, BVerwGE 109, 305 = DVBl. 2000, 419.
275
Hierzu gehören beispielsweise ein möglicher Anspruch auf Wahrung des
Familienlebens aus Art. 8 EMRK/Art. 6 Abs. 1, 2 GG - bei dessen Prüfung dann
allerdings auch die mittelbar trennungsbedingten Folgen im Zielstaat allein von der
Ausländerbehörde in den Blick zu nehmen sind -,
276
vgl. zum wortgleichen § 53 Abs. 4 AuslG BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C
12.99 -, a.a.O.,
277
sowie Rechtsgutgefährdungen, die allein durch die Abschiebung als solche und nicht
durch die spezifischen Verhältnisse im Zielstaat eintreten.
278
Vgl. zum wortgleichen § 53 Abs. 4 AuslG BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1999 - 9 C
7.99 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 24.
279
Weiterhin scheiden mit Bedeutung insbesondere für die Unzulässigkeit der
Abschiebung wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, Art. 3 EMRK,
Umstände aus, die nicht vom srilankischen Staat ausgehen oder sonst von ihm zu
verantworten sind, also etwa die Folgen des Bürgerkrieges sowie die Auswirkungen
eines unterentwickelten Gesundheitssystems.
280
Vgl. zum wortgleichen § 53 Abs. 4 AuslG BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C
15.95 -, BVerwGE 99, 331 = NVwZ 1996, 476, vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 -,
BVerwGE 104, 265 = NVwZ 1997, 1127, vom 2. September 1997 - 9 C 40.96 -,
281
BVerwGE 105, 187 = NVwZ 1999, 311, vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -,
BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524, und vom 24. Mai 2000 - 9 C 34.99 -, BVerwGE
111, 223 = NVwZ 2000, 1302; ferner Beschluss vom 27. April 2000 - 9 B 153.00 -,
NVwZ-Beilage I 9/2000, 98.
Die danach im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG als möglicherweise relevant
verbleibenden Anknüpfungspunkte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention
sind bereits im Zusammenhang mit den Fragen zur politischen Verfolgung erörtert. Die
diesbezüglich erforderliche konkrete Gefahr,
282
vgl. dazu die Entscheidungen des BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1995 - 2 BvR
384/95 -, DVBl. 1996, 196, und des BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 -,
InfAuslR 1996, 289, die zum wortgleichen § 53 Abs. 4 AuslG ergangen sind,
283
die im Ansatz mit dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
übereinstimmt, wobei jedoch das Element der Konkretheit der Gefahr für diesen
Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten
und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet,
284
vgl. die Entscheidungen des BVerwG, Urteile vom 18. April 1996 - 9 C 77.95 -, NVwZ-
Beilage 8/1996, 58, vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 -, a.a.O., und vom 15. April 1997 - 9 C
38.96 -, a.a.O.; ferner des BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1995 - 2 BvR 384.95 -,
a.a.O., die zum wortgleichen § 53 Abs. 4 AuslG ergangen sind,
285
besteht nicht, wie sich - vorbehaltlich des nachstehend Ausgeführten - bereits aus den
obigen Ausführungen ergibt.
286
Eine konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK
lässt sich nicht im Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche Verurteilung wegen eines
Verstoßes gegen die srilankischen Ein-, Ausreise- und Passbestimmungen feststellen.
Wie ausgeführt, ist es schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein Strafverfahren
wegen eines solchen Verstoßes eingeleitet wird. Abgesehen davon fehlt es an
tragfähigen Anhaltspunkten dafür, dass es sich bei der strafrechtlichen Verfolgung und
Ahndung solcher Verstöße - etwa im Hinblick auf das zu erwartende oder verhängte
Strafmaß - um eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK handelt.
Denn die vorgesehenen Strafen gelten für eine große Spannweite von Delikten und
Begehungsformen. Feststellungen zu der tatsächlich geübten Praxis sind nach dem
vorliegenden Auskunftsmaterial, das ersichtlich alle zur Verfügung stehenden
Erkenntnisquellen und -möglichkeiten ausschöpft, nicht zu treffen. Auch sonst kann die
konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung während der Untersuchungshaft
oder während des Vollzugs einer Strafe wegen eines Verstoßes gegen die genannten
Ein-, Ausreise- und Passbestimmungen nicht festgestellt werden. Zwar lassen sich
während der Haft massive Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte
nicht ausschließen, insbesondere dann nicht, wenn zusätzlich ein wie auch immer
gearteter Verdacht auf LTTE-Unterstützung besteht (ai 01.03.1999 S. 3); für eine
beachtliche Wahrscheinlichkeit aber ergibt sich daraus nichts (vgl. auch AA 16.04.1999
S. 3). Eine konkrete Gefahr einer längeren - nicht mit Folter oder sonstiger
menschenrechtswidriger Behandlung verbundenen - Haft wegen eines Passdelikts
stünde im Übrigen einer Abschiebung nach Sri Lanka nicht entgegen (vgl. § 60 Abs. 6
AufenthG).
287
4. Schließlich ist auch der Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gegeben.
Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aus individuellen Gründen
ist nicht geltend gemacht oder ersichtlich. Eine extreme allgemeine Gefahrenlage, die
jeden einzelnen zurückkehrenden Tamilen gleichsam sehenden Auges dem sicheren
Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern und daher in verfassungskonformer
Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ein Abschiebungshindernis nach Satz 1
begründen würde,
288
vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 = NVwZ
1996, 199, und vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77 = DVBl 1999,
549; Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 671.98 -, NVwZ 1999, 668; Urteile vom 12.
Juli 2001 - 1 C 2.01 und 1 C 5.01 -,
289
ist jedenfalls für den Großraum Colombo, den die Rückkehrer als Erstes erreichen, nicht
gegeben.
290
Soweit oben bereits Übergriffe und sonstige Beeinträchtigungen angesprochen worden
sind, die Tamilen oder Gruppen von ihnen treffen können, sind sie im vorliegenden
Zusammenhang ohne Gewicht, weil sie sich - zumal mit der in Rede stehenden
Eingriffsintensität - schon nicht mit der für die Annahme einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit, geschweige denn mit der für die Annahme einer extremen
Gefahrenlage erforderlichen Dichte feststellen lassen. Insoweit kann auf die
Ausführungen zum Hauptbegehren verwiesen werden.
291
Ebenso wenig liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Rückkehrer einer Verelendung
ausgeliefert wären. Das umfangreiche Auskunftsmaterial, das gerade auch die
Lebensbedingungen im Großraum Colombo in den Blick nimmt, enthält für den hier
erforderlichen Gefährdungsgrad keine tragfähigen Hinweise. Zwar ist die Erlangung
einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage für Tamilen jedenfalls dann nicht einfach, wenn
ihnen familiäre Beziehungen fehlen (UNHCR 23.07.1996 S. 4; KK 24.02.1997 S. 1 und
02.08.2001 S. 1, 3); auch mag der Zugang zu staatlichen Hilfsprogrammen für
Rückkehrer, die nicht aus Colombo stammen, ausgeschlossen sein (AA 27.05.1999 S.
1; 24.10.2001 S. 30; 19.06.2003 S. 26; 16.03.2005, S. 30; KK 08.12.1998 und
22.06.1999 S. 8). Doch greifen ersichtlich andere Hilfsmöglichkeiten ein, etwa durch
bereits in Colombo ansässige Volkszugehörige oder durch lokale und in Sri Lanka
zahlreich vertretene internationale Hilfsorganisationen (AA 14.01.1997; 27.05.1999 S.
2); ferner sind - wenn auch möglicherweise nur eingeschränkte (KK 22.06.1999 S. 9) -
Möglichkeiten zu berücksichtigen, in verschiedenen Wirtschaftszweigen eine - u.U.
einfache, vergleichsweise schlecht entlohnte - Arbeit zu finden (AA 27.05.1999 S. 3;
21.06.2001 S. 4; 24.10.2001 S. 31; 19.06.2003 S. 27; 16.03.2005 S 30), die es
Rückkehrern im Allgemeinen erlaubt, sich mit den Verhältnissen oftmals auch aufgrund
der Unterstützung durch Angehörige im In- und Ausland, die in die gerichtliche
Prognose einzubeziehen ist,
292
vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1998 - 9 C 4.98 -, a.a.O., DVBl. 1999, S. 551, und
Beschluss vom 1. Oktober 2001 - 1 B 185.01 -, Beschlussabdruck S. 3,
293
zu arrangieren. Auch dies erklärt, dass keine Berichte zu Beispielsfällen tatsächlicher
existentieller Gefährdung von Einzelnen oder bestimmten Gruppen vorliegen (AA
06.05.1998; 27.05.1999 S. 4 f.; 21.06.2001; 24.10.2001 S. 29 ff.; 19.06.2003 S. 26 ff.),
obwohl angesichts der vielfältigen Beobachtung der Situation dergleichen schwerlich
294
unerkannt geblieben wäre. Das Fehlen von Belegfällen für eine Verelendung kann nicht
darauf zurückgeführt werden, dass die Rückkehrer nicht im Großraum Colombo
verblieben wären, denn es wird zugleich auf erhebliche Hemmnisse, in andere,
insbesondere tamilisch besiedelte Gebiete zurückzukehren, verwiesen (KK 08.12.1998)
und darüber hinaus berichtet, dass Rückkehrer, soweit ihnen nicht eine erneute
Ausreise gelingt, es in der Mehrzahl vorziehen, im Großraum Colombo Wohnsitz zu
nehmen (AA 27.05.1999 S. 3; 11.03.2001 S. 29; 24.10.2001 S. 31; 19.06.2003 S. 27;
16.03.2005 S. 30).
Die vorstehende Bewertung der Existenzbedingungen für zurückkehrende Tamilen, die
das Gericht bereits in früheren Urteilen in gleicher Weise vorgenommen hat, wird durch
die Entwicklung der jüngeren Vergangenheit im Ergebnis nicht in Frage gestellt.
Vielmehr lassen die stattgefundenen Entwicklungen zum Besseren und insbesondere
die Aussicht auf umfangreiche Wiederaufbauhilfen aus dem Ausland erwarten, dass
sich auch in dieser Hinsicht Verbesserungen einstellen werden.
295
Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation für den Kläger nach seiner
Rückkehr aus individuellen Gründen schlechter darstellen könnte als für tamilische
Rückkehrer allgemein, sind auch bezogen auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7
AufenthG nicht zu erkennen.
296
Allein aus dem Umstand, dass beim Kläger derzeit Behandlungsbedarf durch Einnahme
der Medikamente Allopurinol AL 300 und Diclofenac besteht, ergibt sich für ihn kein
Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Medikament
Allopurinol AL 300 ist im staatlichen Gesundheitssektor verfügbar und wird kostenfrei
abgegeben (vgl. Auskunft des AA vom 07.10.2002 an das VG Bremen im Verfahren 4 K
22113/94.A). Ob Diclofenac selbst in Sri Lanka erhältlich ist, kann das Gericht
dahinstehen lassen. Dicolenac gehört zur Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatikern
(NSAR) und ist ein Analgetikum. Gegenüber Ibuprofen ist die entzündungshemmende
Wirkung stärker ausgeprägt. Nach Auskunft des AA vom 6. Oktober 1999 auf die
Anfrage des Beklagten, ob die dortige Asylbewerberin in Sri Lanka NSAR-Präperate
wie Ibuprofen und stärkere Analgetika erhalten kann und welche Kosten dabei
entstehen, sind NSAR-Präperate in Sri Lanka ohne weiteres erhältlich und werden im
staatlichen Gesundheitssektor ebenfalls kostenlos abgegeben.
297
Dem von den Prozessbevollmächtigten des Klägers zuletzt vorgelegten Bericht der
Schweizerischen Flüchtlingshilfe "Sri Lanka - Behandlungsmöglichkeiten bei
Posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD)" vom 31. März 2006 kommt mangels
feststellbaren Bezugs zu den im vorliegenden Verfahren behaupteten Erkrankungen
keine Bedeutung für das Bestehen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG in der Person des Klägers zu.
298
Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des
angefochtenen Bescheides vom 19. August 2003 sind nicht zu beanstanden. Sie finden
ihre Rechtsgrundlage in §§ 34, 38 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG, nunmehr § 59
AufenthG.
299
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.
300
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
301