Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.12.2002

OVG NRW: politische verfolgung, demokratische republik kongo, auskunft, bundesamt für flüchtlinge, wahrscheinlichkeit, gefahr, abschiebung, ausländer, asylbewerber, botschaft

Oberverwaltungsgericht NRW, 4 A 3366/95.A
Datum:
17.12.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 A 3366/95.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 5 K 2486/93.A
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird, soweit das Verfahren nicht eingestellt
worden ist, geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der Kläger ist Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo. Er reiste im
November 1992 über Belgien in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte
seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung gab er bei seiner Anhörung
vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) im
Wesentlichen an, er sei als Sicherheitspolizist auf dem Flughafen N´Djili beschäftigt
gewesen und habe in Ausübung seiner Tätigkeit einem Neffen des Präsidenten den
Zugang zu einem gelandeten Flugzeug verweigert. Daraufhin sei er von Soldaten
verhaftet und geschlagen worden. Später habe man ihn inhaftiert. Er sei der Spionage
verdächtigt worden, weil man bei ihm zu Hause Flugblätter der UDPS gefunden habe.
Durch Bestechung sei er aus dem Gefängnis frei gekommen.
3
Den Asylantrag des Klägers lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 06. August 1993
ab (Nr. 1). Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des
Ausländergesetzes und dass Abschiebungshindernisse nach § 53 des
Ausländergesetzes nicht vorliegen (Nr. 2 bzw. Nr. 3). Der Kläger wurde unter Androhung
der Abschiebung zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert (Nr. 4).
4
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage erhoben und im Laufe des Verfahrens auf
seine Mitgliedschaft in der UDPS auch in Deutschland hingewiesen.
5
Der Kläger hat erstinstanzlich die Klage insoweit zurückgenommen, als er die
Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG begehrt hat, und nur noch
beantragt,
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1. Ziffer 2) des Bescheides vom 06. August 1993 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des
Staates Zaire festzustellen,
7
2. Ziffer 4) des Bescheides der Beklagten vom 06. August 1993 insoweit aufzuheben,
als dem Kläger die Abschiebung nach Zaire angedroht wird.
8
Die Beklagte hat beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10
Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 23. März 1995 das
Verfahren im Umfang der Klagerücknahme eingestellt und im Übrigen dem Klageantrag
entsprochen.
11
Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, in der Regel
rechtfertige bereits die bloße Mitgliedschaft in der Exilorganisation einer
Oppositionspartei die Annahme, dass dem Parteimitglied bei einer Rückkehr nach Zaire
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahren zumindest für seine Freiheit drohten.
Wegen der Feststellung von Abschiebungshindernissen sei auch die
Abschiebungsandrohung teilweise aufzuheben.
12
Auf Antrag des Beteiligten hat das Gericht mit Beschluss vom 11. Oktober 1995 - 23 A
3366/95.A - die Berufung zugelassen.
13
Der Beteiligte beantragt sinngemäß,
14
das angefochtene Urteil zu ändern, soweit das Verfahren nicht teilweise eingestellt
worden ist, und die Klage abzuweisen.
15
Der Kläger beantragt,
16
die Berufung zurückzuweisen.
17
Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen und weist ergänzend darauf
hin, dass er auch nach der Machtübernahme durch Kabila in der UDPS exilpolitisch
aktiv sei. Er nehme regelmäßig an Veranstaltungen und auch an Demonstrationen teil.
Die Menschenrechtslage in seiner Heimat sei katastrophal. Oppositionelle würden
18
verfolgt. Die exilpolitische Szene in Deutschland werde von Repräsentanten der ADFL
beobachtet. Verschiedene Exilpolitiker seien nach ihrer Rückkehr festgenommen
worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie auf die in diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten,
die Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen. Hinsichtlich der
verwerteten Erkenntnisse wird auf die den Beteiligten übersandte Erkenntnisliste
verwiesen.
19
II.
20
Der Senat entscheidet gemäß § 130a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch
Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche
Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist zuvor Gelegenheit zur
Stellungnahme gegeben worden.
21
Der Senat versteht das Begehren des Bundesbeauftragten dahin, dass die Klage,
soweit sie nicht zurückgenommen worden ist, insgesamt abgewiesen werden soll. Zwar
verhält sich der angekündigte Berufungsantrag nur zu § 51 Abs. 1 AuslG und ist später
nicht weiter präzisiert worden. Es wäre jedoch nicht verständlich, wenn der
Bundesbeauftragte es - trotz der nach seiner Auffassung nicht vorhandenen
Abschiebungsschutzvoraussetzungen gemäß § 51 Abs. 1 AuslG - bei der Feststellung
des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hätte bewenden
lassen wollen. Aus seiner Sicht bestand kein Anlass, die Teilaufhebung der
Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheides) durch das Verwaltungsgericht
hinzunehmen und diese rechtskräftig werden zu lassen, obwohl das Verwaltungsgericht
diese gerade deshalb aufgehoben hat, weil nach seiner Auffassung die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlagen.
22
Die Klage, soweit sie noch anhängig ist, erweist sich nach der maßgeblichen Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der Senatsentscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2
AsylVfG) als unbegründet. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG liegen nicht vor.
1. Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden,
in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder
wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
23
a) Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG entsprechen insofern denen des Art. 16
a Abs. 1 GG, als es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den
politischen Charakter der Verfolgung betrifft.
24
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, NVwZ 1992, 892.
25
Im Unterschied zur Asylanerkennung verlangt das Abschiebungsverbot nach § 51 Abs.
1 AuslG allerdings weder einen Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht
noch das Fehlen anderweitigen Verfolgungsschutzes; es greift beispielsweise auch
dann ein, wenn politische Verfolgung wegen eines für die Asylanerkennung
unbeachtlichen Nachfluchtgrundes droht.
26
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, aaO.
27
Politisch Verfolgter im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG ist derjenige, der in Anknüpfung an
seine politische Überzeugung, an seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn
unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, staatlichen Maßnahmen oder dem
Staat zurechenbaren Maßnahmen Dritter mit Gefahr für Leib oder Leben oder
Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder - allgemein gesagt -
politische Repressalien zu erwarten hat.
28
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, NVwZ 1990,
151.
29
Eine Verfolgung stellt sich dann als politische dar, wenn sie einen öffentlichen Bezug
hat und von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, der der
Verletzte unterworfen ist. Politische Verfolgung ist somit grundsätzlich staatliche
Verfolgung.
30
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260, 1353/98 -, NVwZ 2000, 1165.
31
Staatlichkeit in diesem Sinne stellt ab auf das Vorhandensein einer in sich befriedeten
Einheit, die nach innen alle Gegensätze, Konflikte und Auseinandersetzungen durch
eine übergreifende Ordnung in der Weise relativiert, dass diese unterhalb der Stufe der
Gewaltsamkeit verbleiben und die Existenzmöglichkeit des Einzelnen nicht in Frage
stellen, insgesamt also die Friedensordnung nicht aufheben. Voraussetzung für eine
vom Staat ausgehende oder ihm zurechenbare Verfolgung ist somit die effektive
Gebietsgewalt des Staates im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit. Deshalb
fehlt es an der Möglichkeit politischer Verfolgung, solange der Staat bei offenem
Bürgerkrieg im umkämpften Gebiet faktisch nunmehr die Rolle einer militärisch
kämpfenden Bürgerkriegspartei einnimmt, als übergreifende effektive Ordnungsmacht
aber nicht mehr besteht.
32
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260, 1353/98 -, aaO und
Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, aaO.
33
Eine funktionierende öffentliche Verwaltung, Justiz oder Daseinsvorsorge ist jedoch
keine notwendige Voraussetzung, um von dem Vorhandensein einer asylerheblichen
Staatsgewalt sprechen zu können.
34
Ob die Verfolgung "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen
Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen,
nicht aber nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei
leiten.
35
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. August 1998 - 2 BvR 153/96 - (m.w.N.), NVwZ 1998,
Beilage Nr. 11, 113.
36
Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist - ebenso wie bei der Prüfung der
Voraussetzungen eines Anspruchs aus Art. 16a Abs. 1 GG - im Rahmen des § 51 Abs. 1
AuslG von Bedeutung, ob ein Kläger das ehemalige Zaire bzw. die Demokratische
Republik Kongo (DRK) verlassen hat, weil er politische Verfolgung erlitten hat bzw. ihm
eine solche Verfolgung jedenfalls unmittelbar drohte, oder ob er das Land aus
anderweitigen Gründen verlassen hat.
37
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391; Urteil vom 3.
November 1992 - 9 C 21.92 -, NVwZ 1993, 486.
38
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
39
Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, aaO.,
40
ist, soweit die Gefahr künftiger asylerheblicher Eingriffe in Frage steht, die Einschätzung
nötig, ob eine politische Verfolgung in absehbarer Zeit mit beachtlicher, d.h.
überwiegender Wahrscheinlichkeit droht bzw. - wenn der Betroffene auf Grund bereits
erlittener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung sein Land verlassen hatte
(sog. Vorverfolgung) - ob eine Wiederholung gleicher oder ähnlicher
Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (sog.
herabgestufter Prognosemaßstab).
41
Hinsichtlich des Zeitraums, den die Prognose zu berücksichtigen hat, gilt, dass für die
Frage nach einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden politischen Verfolgung
bei Rückkehr in den Heimatstaat nicht allein darauf abgestellt werden darf, was im
maßgeblichen Zeitpunkt gegenwärtig geschieht oder als unmittelbar bevorstehend
erkennbar ist. Vielmehr ist eine auf absehbare Zeit ausgerichtete Zukunftsprognose
erforderlich.
42
BVerwG, Beschluss vom 31. März 1981 - 9 C 286.80 -, InfAuslR 1981, 276.
43
Soweit es um die Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs geht, ist nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
44
vgl. z.B. Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45.92 - (m.w.N.), InfAuslR 1994, 201 =
DVBl 1994, 524,
45
unter einer eine Vorverfolgung begründenden unmittelbar drohenden Verfolgung eine
bei der Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung zu verstehen.
Das ist stets dann anzunehmen, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise die für
eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb
gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
46
An die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung sind hohe
Anforderungen zu stellen. Allerdings genügt nicht bereits die geringe Möglichkeit eines
Verfolgungseintritts, also jeder - auch entfernt liegende - Zweifel an der künftigen
Sicherheit des Rückkehrers, sondern es müssen hieran mindestens ernsthafte Zweifel
bestehen. Erst recht setzt die Verneinung einer Verfolgungsgefahr nicht voraus, dass die
Gefahr von Übergriffen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über eine "theoretische" Möglichkeit, Opfer
eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen
Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus "reale" Möglichkeit erscheinen
lassen.
47
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 1995 - 9 B 18.95 -, NVwZ-RR 1997, 191; vgl.
ferner hierzu und zum Folgenden: BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -
("Eritrea"), NVwZ 1997, 1134.
48
Die Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs setzt einen inneren
Zusammenhang zwischen der erlittenen und der drohenden erneuten Verfolgung
voraus. Dieser Zusammenhang besteht nur, wenn die an ein bestimmtes
Persönlichkeitsmerkmal geknüpfte (Vor-) Verfolgung auch mit eben dieser Anknüpfung
wieder auflebt. Bei einer früheren Verfolgung, die an eine politische Überzeugung
angeknüpft hat, ist mithin erforderlich, dass auch die befürchtete künftige Verfolgung auf
diese Überzeugung gerichtet ist. Hingegen ist der dargestellte innere Zusammenhang
unterbrochen, wenn die künftige Verfolgung wegen einer neuen, auf andere politische
Ziele oder Inhalte gerichteten politischen Betätigung des Betroffenen droht, oder wenn
die frühere Verfolgung ohne Einfluss auf den späteren Entschluss zum Verlassen des
Heimatstaates gewesen ist.
49
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1998 - 9 B 757.97 -, juris und Urteil vom 26. März
1985 - 9 C 107.84 -, NVwZ 1985, 913.
50
Eine situationsbedingte Vorverfolgung führt danach nur bei Gefahr einer gleichartigen
Verfolgung zur Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs. Die
Maßstabserleichterung entfällt, wenn sich die frühere Verfolgung nicht als
wiederholungsträchtig erweist. Für eine auf andere Ziele gerichtete Betätigung des
politischen Willens und unter möglicherweise veränderten politischen Verhältnissen im
Heimatland müssen deshalb die allgemeinen Grundsätze gelten.
51
Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1983 - 9 C 218.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG
Nr. 43.
52
Der Zusammenhang zwischen bereits geschehenen und in Zukunft drohenden
Verfolgungsmaßnahmen geht dagegen nicht dadurch verloren, dass zukünftige
Verfolgungsmaßnahmen unter anderen Umständen und an anderen Orten erfolgen oder
dass sie nach der Art, wie die vom gleichen Angriffswillen bestimmten Verfolger hierbei
vorgehen, ein anderes Erscheinungsbild tragen.
53
Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juli 1990 - 9 C 78.89 -, NVwZ 1990, 1177.
54
Ist Anknüpfungspunkt der Verfolgung die politische Überzeugung des Asylsuchenden,
so ist der herabgestufte Prognosemaßstab mithin nur dann anzuwenden, wenn bei einer
am Gedanken der Zumutbarkeit der Rückkehr ausgerichteten wertenden
Betrachtungsweise ein innerer Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und
der mit dem Asylbegehren geltend gemachten Gefahr erneuter Verfolgung dergestalt
besteht, dass bei Rückkehr mit einem Wiederaufleben der ursprünglichen Verfolgung zu
rechnen ist oder nach den gesamten Umständen typischerweise das erhöhte Risiko der
Wiederholung einer gleichartigen Verfolgung besteht. Zur Feststellung einer derartigen
Verknüpfung sind die objektiven, nach der Lebenserfahrung hierfür typischerweise
geeigneten Risikofaktoren für eine Verfolgungswiederholung zu würdigen,
insbesondere die fortbestehenden oder veränderten politischen und staatsrechtlichen
Verhältnisse im Heimatstaat sowie die Gerichtetheit der erlittenen und der befürchteten
Verfolgungsmaßnahmen. Ist die erlittene Vorverfolgung beendet gewesen und haben
sich die politischen Verhältnisse im Heimatstaat zwischenzeitlich grundlegend
verändert, so wird dies ein wichtiger Anhaltspunkt dafür sein, dass ein Wiederaufleben
der bereits einmal geschehenen Verfolgung künftig nicht mehr zu besorgen ist. Dies ist
etwa dann der Fall, wenn ein totalitäres Verfolgerregime durch eine rechtsstaatliche
55
Regierung abgelöst wird. Lässt die Änderung der politischen Verhältnisse allein noch
keinen eindeutigen Rückschluss auf die Verminderung des Risikos einer
Verfolgungswiederholung zu, so wird es vor allem darauf ankommen, ob die
feststellbaren objektiven Verfolgungsgründe eine die Nachweiserleichterung
rechtfertigende Verknüpfung aufweisen oder nicht. Dies wird in der Regel dann nicht der
Fall sein, wenn unterschiedliche Verfolgungsmerkmale betroffen sind. Soweit es um die
politische Überzeugung geht, reicht es nicht aus, allein auf dieses Anknüpfungsmerkmal
oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Gruppierung abzustellen.
Vielmehr bedarf es einer genaueren Nachprüfung, ob eine Vorverfolgung wegen
bestimmter politischer Überzeugungen auch unter veränderten politischen
Verhältnissen - wie etwa einem Regimewechsel - ein fortdauerndes
Wiederholungsrisiko indiziert. Die Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs
ist in solchen Fällen grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn das erhöhte Risiko
besteht, dass die (Vor-) Verfolgung wegen einer politischen Betätigung in der
Vergangenheit wieder auflebt oder sich nach deren Fortsetzung oder Wiederaufnahme
im Ausland wiederholt. Der die Herabstufung des Prognosemaßstabs rechtfertigende
innere Zusammenhang ist unterbrochen, wenn künftige Verfolgung wegen einer neuen
auf andere politische Ziele oder Inhalte gerichteten politischen Betätigung oder etwa
nach einer Änderung der politischen Überzeugung droht.
BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 - ("Eritrea"), aaO.
56
b) Ein Anspruch nach § 51 Abs. 1 AuslG scheitert nicht bereits daran, dass es in der
DRK mangels einer effektiven staatlichen Gewalt an der Möglichkeit einer
asylerheblichen Verfolgungsgefahr fehlen könnte.
57
Effektive Gebietsgewalt in diesem Sinne ist jedenfalls im südlichen bzw. südwestlichen
Teil der DRK, in dem der Flughafen Kinshasa/N´Djili gelegen ist, über den allein eine
Abschiebung erfolgen kann, gegeben.
58
Der jetzige Präsident Joseph Kabila ist nach dem Attentat vom 16. Januar 2001 auf
Laurent Désiré Kabila an die Macht gekommen. Letzterer hatte im Mai 1997 mit dem -
inzwischen aufgelösten - Oppositionsbündnis AFDL die mehr als 30-jährige Herrschaft
von Präsident Mobutu Sese Seko beendet und das ehemalige Zaire in "Demokratische
Republik Kongo" umbenannt. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23. März
2000 stellte zum Regime von Laurent Désiré Kabila fest: "Die nach der Übernahme der
Macht im Mai 1997 an das Regime vom Präsident Kabila gerichteten, teilweise
überzogenen Erwartungen auf einen raschen Wiederaufbau des unter Mobutu ruinierten
Landes haben sich nicht erfüllt. Kabila ist es bisher nicht gelungen, dem weitgehend
handlungsunfähigen Staat tragfähige Strukturen zu verleihen. Die Bemühungen, eine
funktionierende und rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Verwaltung und
Justiz zu installieren, sind über erste Ansätze nicht hinausgekommen. Der
Sicherheitsapparat ist zersplittert und agiert willkürlich." Diese Situation hat sich unter
der Nachfolgeregierung des Joseph Kabila nicht geändert. Nach dem Lagebericht des
Auswärtigen Amtes vom 23. November 2001 ist der Staat weitgehend
handlungsunfähig, weil tragfähige Strukturen in Verwaltung und Justiz fehlen; der
vertikal und horizontal zersplitterte Sicherheitsapparat agiert oft unkontrolliert und
willkürlich. Trotz dieser instabilen Situation ist die Regierung des Joseph Kabila gestützt
auf die ihr unterstellten Streitkräfte und Sicherheitsdienste - allerdings beschränkt auf
das Gebiet ihrer Herrschaftsgewalt - in der Lage, in asylerheblicher Weise Staatsgewalt
und damit auch politische Verfolgung auszuüben. Dass die jetzige Regierung in der
59
Lage ist, gezielt Aktionen auszuüben, ergibt sich nicht nur aus der Feststellung des
Auswärtigen Amtes, nach welcher Kongolesen, die mit den Rebellenbewegungen RCD
und MLC in Verbindung stehen, bei Bekanntwerden entsprechender Tatsachen mit
Verhaftung und Strafverfolgung rechnen müssen, sondern auch auf Grund der Tatsache,
dass es auch nach Übernahme der Regierung durch Joseph Kabila immer wieder zu
Übergriffen insbesondere auf Journalisten und Menschenrechtsaktivisten gekommen ist,
also eine Zielgruppe, die naturgemäß das besondere Interesse eines nicht
demokratisch legitimierten Regimes auf sich zieht.
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 4,11,17. Vgl. zur existierenden Staatsgewalt
zur Zeit des Regimes Laurent Désiré Kabila: VGH Baden- Württemberg, Urteil vom 17.
November 1999 - A 13 S 2844/95 -, ?juris? = VGH BW-Ls 2000, Beilage 2, B 5 und OVG
NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2000 - 11 A 1307/95.A - (n. v.); vgl. in diesem
Zusammenhang zum Verhältnis des Elements der "Staatlichkeit" in Bezug auf
"politische Verfolgung" BVerfG, Beschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260, 1353/98 -,
aaO.
60
c) Nach den dargelegten Grundsätzen zum inneren Zusammenhang zwischen erlittener
und erneut drohender Verfolgung ist davon auszugehen, dass Verfolgungsmaßnahmen
unter der Herrschaft Mobutus, die einer aus einer konkreten Situation erwachsenen und
auf sie beschränkten Protesthaltung galten,
61
vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 27. April 1982 - 9 C 308.81 -, NVwZ
1983, 160,
62
oder an Kritik an der Person Mobutus anknüpften, sich auf Grund der veränderten
politischen Verhältnisse - im Sinne eines Wiederauflebens der Vorverfolgung - nicht
wiederholen werden, so dass insoweit der herabgestufte Prognosemaßstab keine
Anwendung findet.
63
Diese Einschätzung beruht auf folgenden Erkenntnissen: Bereits die Regierung unter L.
D. Kabila stellte von ihrer politischen Ausrichtung und ihrem Selbstverständnis her
einen radikalen Bruch mit der Mobutu-Tradition dar.
64
Vgl. Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 14. Juli 1997 gegenüber dem VG
Sigmaringen.
65
L. D. Kabila befand sich über viele Jahre in scharfer und bewaffneter Opposition zu
Mobutu. Er forderte nach seiner Machtübernahme alle im Ausland lebenden ehemaligen
Gegner des Mobutu-Regimes auf, in die DRK zurückzukehren und am Wiederaufbau
des Landes teilzunehmen.
66
Vgl. Lagebericht vom 4. Dezember 1998, S. 33.
67
Unter L. D. Kabila sind die Geheim- und Sicherheitsdienste des Mobutu-Regimes
aufgelöst worden. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts ist davon
auszugehen, dass an der bisherigen Spitze bis hinunter zur Direktorenebene ein
nahezu kompletter Personalaustausch erfolgt ist.
68
Vgl. Lagebericht vom 23. März 2000, S. 8.
69
Etwa zwei Wochen nach der Einnahme Kinshasas durch die AFDL unter L. D. Kabila
gab es eine Verhaftungswelle gegen frühere Minister und Führungspersönlichkeiten
staatlicher Unternehmen der Mobutu-Ära. Einige Zeit später erklärte L. D. Kabila in einer
Fernsehansprache, dass seine Regierung nicht beabsichtige, an Würdenträgern oder
Sympathisanten des ehemaligen Mobutu-Regimes Rache zu üben oder diese politisch
zu verfolgen.
70
Vgl. Lagebericht vom 16. Januar 1998, S. 7, 8.
71
Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass sich die Situation nach dem Regierungsantritt
von J. Kabila zum Nachteil der Asylsuchenden geändert hat.
72
d) Soweit es um die Frage geht, ob Personen, die in der DRK und/oder in der
Bundesrepublik Deutschland das Mobutu-Regime bekämpft haben, bei einer Rückkehr
in die DRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, nimmt der
Senat aufgrund der vorstehend dargelegten Veränderung der politischen Verhältnisse
an, dass sie wegen dieser Aktivitäten schon unter der Regierung L. D. Kabila nichts
mehr zu befürchten hatten.
73
Vgl. Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 14. Juli 1997 gegenüber dem VG
Sigmaringen und Auskunft des Auswärtigen Amts (AA) vom 27. Februar 1998 an das
OVG NRW; vgl. in diesem Zusammenhang auch zahlreiche im November 1999
ergangene Beschlüsse des erkennenden Senats, u.a. vom 3. November 1999 - 4 A
3240/95.A -.
74
Dafür, dass sich insoweit nach dem Regierungsantritt von J. Kabila etwas zum Nachteil
der Asylsuchenden geändert hat, ist auch hier nichts ersichtlich.
75
Vgl. dazu AA, Auskunft vom 28. März 2002 an das VG Gelsenkirchen.
76
e) Soweit es um die Frage geht, ob politische Verfolgung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit wegen exilpolitischer Aktivitäten gegen die Regierungen L.D. Kabila
und/oder J. Kabila droht, ist zu differenzieren. Eine Gefahr besteht insoweit nach
Überzeugung des Senats möglicherweise dann, wenn Asylbewerber Aktivitäten entfaltet
haben, die den Regierungsstellen bekannt geworden sind und die sie als Ausdruck
einer ernst zu nehmenden Gegnerschaft ansehen, weil die Aktivitäten den Bestand der
Regierung gefährden könnten oder jedenfalls als geeignet erscheinen, die Regierung in
der inländischen oder ausländischen Öffentlichkeit in erheblichen Misskredit zu bringen.
In diesen Fällen steht zu befürchten, dass auf politische Gegner zugegriffen wird, um
eine entsprechende Betätigung in der DRK zu verhindern. In allen anderen Fällen
besteht keine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass exilpolitische Betätigungen zu
einer politischen Verfolgung führen können.
77
Von einer ernst zu nehmenden Gegnerschaft kann nur ausgegangen werden, wenn die
Aktivitäten einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden sind oder zumindest bekannt
werden können und der Betroffene damit aus der Masse der übrigen Asylbewerber
deutlich hervortritt, so dass den Regierungsstellen bewusst ist, dass mit diesen
Aktivitäten nicht letztlich nur ein Bleiberecht im Ausland erreicht werden sollte. Dies
kann, wobei allerdings letztlich stets die jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu
würdigen sind, etwa anzunehmen sein, wenn innerhalb einer in deutlicher Gegnerschaft
zu den Kabila-Regierungen befindlichen Oppositionspartei ein Amt bekleidet bzw. eine
78
Funktion ausgeübt wurde oder sonstige Tätigkeiten entfaltet wurden, die nachhaltig über
die bloße Mitgliedschaft in der Partei oder die üblichen Parteiaktivitäten hinausgehen,
wenn also, wie es das OVG Saarlouis in einem kürzlich ergangenen Urteil (vom 14.
Januar 2002 - 3 R 1/01) plastisch ausdrückt, der Asylbewerber "ein eigenes Gesicht"
gezeigt hat. Eine solche exponierte Aktivität kann auch in Form von regimekritischen
Auftritten in Medien wie Funk und Fernsehen oder in Pressekonferenzen, Diskussionen
o.ä. gesehen werden, die einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind.
Dagegen führen nach Überzeugung des Senats unterhalb dieser Schwelle liegende
Verhaltensweisen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgungsgefahr
in der DRK. Dazu gehören zunächst die in Verbindung mit einem Auslandsaufenthalt
stehende reine Asylantragstellung und die bloße Mitgliedschaft in einer
Oppositionspartei ebenso wie darüber hinausgehende normale Parteiaktivitäten, etwa
die Teilnahme an gegen die Kabila-Regierungen gerichteten Demonstrationen und
Kundgebungen als einer unter vielen, selbst wenn dabei für die Öffentlichkeit bestimmte
regimekritische Flugblätter verteilt und Resolutionen verfasst werden. Entsprechendes
gilt ferner für das Verfassen von Zeitungsartikeln oder Schreiben an Regierungsstellen
bzw. an den jeweiligen Präsidenten, auch wenn in diesen eine Gegnerschaft zum
bestehenden Regime zum Ausdruck gebracht wird. Denn alle diese Aktivitäten werden
von den kongolesischen Regierungsstellen dahin gewertet werden, dass sie in erster
Linie asyltaktischen Überlegungen entspringen, indem nämlich - auch und gerade aus
Gründen der noch zu beschreibenden schlechten Versorgungslage in der DRK - ein
Bleiberecht im Ausland erreicht werden sollte. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen,
dass sich viele der heutigen Regierungsmitglieder selbst jahrelang im Exil aufgehalten
haben und durchaus einzuschätzen vermögen, dass ein regimekritisches Verhalten im
Ausland häufig lediglich dem Ziel dient, ein Bleiberecht zu erhalten.
79
Vgl. in diesem Zusammenhang: AA, Auskunft vom 6. Oktober 2000 an den VGH
Mannheim und Auskunft vom 13. Oktober 1999 an das VG Stuttgart.
80
Dieser Einschätzung des Senats entspricht, dass auch die kongolesische Botschaft in
Deutschland sich in der Vergangenheit generell nicht negativ zu in Europa Asyl
beantragenden kongolesischen Staatsangehörigen geäußert hat. Vielmehr wird in der
Asylanerkennung lediglich die Gestattung des Aufenthalts und die damit verbundene
Gewährung von wirtschaftlichen Vorteilen, nicht jedoch die die Entscheidung tragende
Feststellung gesehen, dass der jeweils anerkannte Asylbewerber in seinem Heimatland
als politisch verfolgt gilt.
81
AA, Auskunft vom 6. Oktober 2000 an den VGH Mannheim; vgl. in diesem
Zusammenhang auch AA, Auskunft vom 13. Oktober 1999 an das VG Stuttgart, nach der
die am Flughafen N´Djili mit Rückkehrern befassten Beamten allgemein der Auffassung
seien, ihre kongolesischen Landsleute hätten lediglich ihr Glück im Ausland versucht.
82
Die Überzeugung, dass einfache Aktivitäten im vorstehend beschriebenen Sinne nicht
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgungsgefahr führen, hat sich der
Senat anhand der Erkenntnisse gebildet, die sich mit der Verfolgungssituation in der
DRK selbst und der Beobachtung des Schicksals rückkehrender Asylbewerber
beschäftigen.
83
Was die Erkenntnisse zur Verfolgung von Oppositionellen im Heimatstaat angeht,
gestatten diese einen Rückschluss auf die Einstellung der Regierungsstellen
84
gegenüber exilpolitischen Aktivitäten. Dabei ist davon auszugehen, dass im Ausland
stattfindende Aktivitäten, die im Inland ihre Entsprechung finden und bereits dort keine
Verfolgungsmaßnahmen auslösen, erst recht nicht die Annahme einer
Verfolgungsgefahr rechtfertigen, weil Betätigungen im Ausland für den Bestand der
Regierung weit weniger gefährlich sind. Insoweit stellt sich die Erkenntnislage wie folgt
dar: Im Unterschied zu der Vorgängerregierung des L. D. Kabila ist seit der
Amtsübernahme durch J. Kabila eine Tendenz zur Besserung der - gleichwohl immer
noch schlechten - Menschenrechtslage festzustellen. So hat die von Präsident J. Kabila
angekündigte Nationale Menschenrechtskonferenz in der letzten Juniwoche 2001 unter
Beteiligung von 300 Delegierten aus allen Landesteilen unter bemerkenswert offenen
Bedingungen tagen können. Diese Konferenz erarbeitete u.a. eine Nationale
Menschenrechtscharta, in der umfassend die den Kongolesen und im Kongo lebenden
Ausländern zustehenden Rechte formuliert sind. Um Bindungswirkung zu erlangen,
muss die Charta noch dem Übergangsparlament vorgelegt, vom Präsidenten
ausgefertigt und als Gesetz oder Dekret verkündet werden.
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 7.
85
Wenn auch die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen derzeit noch durch staatliche
Stellen behindert wird (Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen, nicht immer nur
kurzzeitige Inhaftierungen und Drohungen), so nehmen diese gleichwohl ihre Aufgaben
sehr aktiv war. Menschenrechtsverletzungen werden in Veröffentlichungen,
Pressekonferenzen, Seminaren und Podiumsdiskussionen öffentlich kritisiert.
86
Vgl. AA, Auskunft vom 11. Januar 2001 an das VG Wiesbaden; Lagebericht vom 23.
November 2001, S. 8.
87
So sind nach offiziellen Angaben des kongolesischen Innenministeriums 226
Menschenrechtsorganisationen gemeldet, von denen allerdings nur wenige als seriös
gelten sollen. Eine der bekanntesten Meschenrechtsorganisationen, die "Association
Africaine de Défense des Droits de l´Homme" (ASADHO) hat ihre Büros nach
dreijährigem Verbot und nur versteckter Tätigkeit im Mai 2001 wieder geöffnet. Ihre
Informationen und Stellungnahmen können über deren Internetseiten weltweit
abgerufen werden.
88
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 8; AA, Auskunft vom 11. Januar 2001 an das
VG Wiesbaden.
89
Dies verdeutlicht, dass sich die Menschenrechtslage gebessert hat und (oppositioneller)
Kritik weniger streng begegnet wird.
90
Zwar kommt es immer noch zu willkürlichen Verhaftungen aktiver Regimegegner oder
von Personen, die dafür gehalten werden, wobei das Militär bzw. die
Sicherheitsbehörden insoweit eigenmächtig vorgehen. Der vertikal und horizontal
zersplitterte kongolesische Sicherheitsapparat agiert unkoordiniert und unvorhersehbar.
So wurde im Juni 2001 der Chefredakteur des eigentlich regierungsnahen "L 'Avenir" für
einige Tage verhaftet. Wegen angeblicher Unstimmigkeiten im Impressum wurde die
Zeitung "La Libre Afrique" unter Berufung auf das Pressegesetz verboten. Ein Journalist,
der das Vorgehen der Polizei gegen einen Oppositionsmarsch im Juli 2001 beobachten
wollte, wurde kurzzeitig festgenommen. Behinderungen erfolgten in Einzelfällen in der
Weise, dass einflussreichen Persönlichkeiten - nicht nur aus der Regierung, sondern
91
auch aus dem Wirtschaftsleben - eine konkrete Berichterstattung missfiel und die
betreffenden Journalisten wegen Verleumdung, Verstoßes gegen das Pressegesetz etc.
verhaftet, angeklagt und auf hohe Schadensersatzsummen wegen Rufschädigung
verklagt wurden. Weiter hat die Fernsehjournalistin Dorothee Mamba Mpoto in einem
Interview mit ai,
vgl. Auskunft vom 12. Februar 2001 an das VG München,
92
berichtet: Kabilas Leute hätten überall ihre "Comités du Pouvoir Populaire" (CPP)
eingerichtet. Journalisten würden immer wieder in die Büros der Comités geladen. Dort
versuche man, ihnen mit einer Mischung aus Drohungen und Versprechungen die
Sichtweise der Regierung aufzudrängen. Auch nach Angaben von ai kommt es immer
wieder zu Anschlägen auf Zeitungen und Rundfunkeinrichtungen; kritische Journalisten
würden häufig verhaftet und für kürzere oder längere Zeit in Gewahrsam gehalten.
Gleichwohl kann von einer systematischen staatlichen Unterdrückung und Zensur der
vor allem in Kinshasa erscheinenden Presse nach dem Wechsel an der Spitze des
Informationsministeriums im Zuge der Regierungsumbildung durch J. Kabila am 26.
April 2001 nicht mehr gesprochen werden. In regierungskritischen bzw. unabhängigen
Zeitungen werden von Regierungsorganen begangene Menschenrechtsverletzungen
bekannt gemacht und kritisiert. Die politische Opposition, Gewerkschaften und Kirchen
erhalten Gelegenheit zur Verbreitung ihrer Vorstellungen.
93
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 12; AA, Auskunft vom 12. Februar 2001 an das
VG München.
94
Auch eine Betätigung in Parteien, die zur Regierung in Opposition stehen, ist
grundsätzlich möglich. Seit dem Erlass des liberalen Parteiengesetzes vom 17. Mai
2001 sind zahlreiche Parteien neu gegründet worden. Nach Angaben des
Innenministeriums sollen 97 politische Parteien ordnungsgemäß registriert worden sein;
518 Parteien hätten die Registrierung beantragt. Als bedeutendste der
Oppositionsparteien sind derzeit zu nennen die UDPS (Union Démocratique pour le
Progrès Social unter Etienne Tshisekedi), MPR (Mouvement Populaire de la Révolution
unter Cathérine Nzuzi wa Mbombo bzw. Félix Vunduawe te Pemako, = "VTP"- Flügel
der MPR), FONUS (Forces Novatrices pour l'Union et la Solidarité unter Joseph
Olenghankoy), PSDC (Parti Social-Démocrate Chrétien unter André Bo-Boliko bzw.
Denis Tabiana), Pionniers de l'Indépendance unter Justin-Marie Bomboko bzw.
Cléophas Kamitatu Massamba), PALU (Parti Lumumbiste Unifié unter Antoine Gizenga)
und die MNC/L (Mouvement National Congolais unter Francois Lumumba). Allerdings
wird, wie bereits unter dem Regime von L.D.Kabila, auch von der gegenwärtigen
Regierung, jedenfalls in Einzelfällen, versucht, öffentlichkeitswirksame oppositionelle
Parteiaktivitäten zu unterbinden. Eine für den 24. Juli 2001 - also während des
Aufenthaltes des Sonderberichterstatters der UN- Menschenrechtskommission Roberto
Garretón in der DRK, der im Übrigen darauf hingewiesen hat, dass in übermäßig
restriktiver Auslegung des Parteiengesetzes vom 17. Mai 2001 eine Behinderung
politischer Parteien stattfinde - von MPR, UDPS, Pionniers de l'Indépendance und
FONUS geplante Pressekonferenz wurde vor deren Beginn auf Anordnung des
Innenministers sowie des zuständigen Gouverneurs gewaltsam aufgelöst. Gleiches
geschah mit einem für den 30. Juli 2001 geplanten Protestmarsch, der als
staatsfeindlich und unpatriotisch eingestuft wurde, wobei etwa 30 von ungefähr 100
Teilnehmern für einige Tage inhaftiert wurden. Andererseits konnten Vertreter der oben
genannten Parteien am innerkongolesischen Dialog Ende August 2001 in Gaborone
95
ungehindert teilnehmen und eine Pressekonferenz im Anschluss an dieses Treffen
Anfang September 2001 in Kishasa abhalten.
Vgl. zum Vorstehenden: Lagebericht vom 23. November 2001, S. 7,8,11, 12.
96
Die gegenwärtige Regierung ist, was die Kritik an dem jetzigen Präsidenten J. Kabila
betrifft, bis zu einem gewissen Grade tolerant. Es wird über weniger politische
Gefangene berichtet als zur Zeit des Präsidenten L. D. Kabila; allerdings gibt es immer
noch einige politische Häftlinge und immer noch kann es in Einzelfällen zu an die
politische Überzeugung anknüpfenden Festnahmen kommen.
97
AA, Auskunft vom 28. März 2002 an das VG Gelsenkirchen.
98
Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts zieht jedenfalls die einfache Mitgliedschaft in
einer der Oppositionsparteien in der DRK regelmäßig keine Repressionsmaßnahmen
nach sich.
99
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 11.
100
All dies zeigt, dass eine Reaktion der Regierung J. Kabila allenfalls dann zu befürchten
ist, wenn oppositionelle Aktionen breitenwirksam erfolgen. Etwas anderes kann dann
aber erst recht nicht für eine oppositionelle Betätigung im Ausland gelten. In diesem
Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass hinsichtlich Zeitungsartikeln
regimekritischen Inhalts den kongolesischen Behörden bekannt ist, dass diese auch mit
dem Ziel lanciert werden, ein im Ausland betriebenes Asylverfahren zu stützen. Ein
derartiges Verhalten wird von ihnen regelmäßig nicht kriminalisiert, sondern als
legitimer Versuch gewertet, ein Bleiberecht im Ausland zu erlangen.
101
AA, Auskunft vom 30. Oktober 2000 an das VG Wiesbaden; vgl. in diesem
Zusammenhang ferner AA, Auskunft vom 5. April 2000 an das VG Oldenburg, wonach in
Kinshasa erscheinende Tageszeitungen bei einer Auflage von 500 bis maximal 1500
Exemplaren auf Grund fehlender Werbeanzeigen aus der Privatwirtschaft maßgeblich
durch bestellte Zeitungsmeldungen und lancierte Artikel finanziert werden.
102
Entsprechendes gilt nach Auskunft von Menschenrechtsorganisationen für Schreiben an
den ehemaligen Präsidenten L. D. Kabila seitens im Exil lebender Kongolesen. Selbst
wenn der Verfasser in seinen Ausführungen die Regierung in scharfer Form angegriffen
und kritisiert habe, sei man davon ausgegangen, dass solche Schreiben von politisch
unbedarften Personen regelmäßig nur mit dem Ziel verfasst worden seien, ein im
Ausland betriebenes Asylverfahren zu fördern. Eine Weitergabe der Namen an die
zuständigen Ermittlungsbehörden oder an kongolesische Sicherheitsdienste sei in
diesen Fällen nicht erfolgt.
103
Lagebericht vom 7. Mai 1999, S. 23.
104
Der Senat teilt die Einschätzung des Auswärtigen Amts, dass im Einzelfall zu prüfen ist,
ob die exilpolitischen Aktivitäten des Asylantragstellers als ernst zu nehmender Versuch
gewertet werden, die Regierung in der Öffentlichkeit zu diskreditieren bzw. zu
bekämpfen. Dabei ist für die kongolesischen Regierungsstellen in diesem
Zusammenhang allein entscheidend, ob die politischen Aktivitäten im Ausland in einer
so diskreditierenden und exponierten Weise vorgenommen wurden, dass eine breite
105
Öffentlichkeit im Gastland darauf aufmerksam wurde und damit negative Auswirkungen
auf die bilateralen Beziehungen zur DRK gerade auch im Hinblick auf laufende oder
künftige Kooperationen zu befürchten sind. Nach den bisher vorliegenden
Erkenntnissen ist es deshalb im Falle einfacher Mitgliedschaft beispielsweise in einem
Regionalverband der UDPS in Deutschland sowie im Falle der bloßen Teilnahme an
gegen die Regierung der DRK gerichteten Kundgebungen eher unwahrscheinlich, dass
die betreffende Person allein schon deshalb nach Rückkehr mit Verfolgung rechnen
muss.
Vgl. AA, Auskunft vom 06. Oktober 2000 an den VGH Mannheim.
106
Allein das Stellen eines Asylantrags oder ein Auslandsaufenthalt haben nach Kenntnis
des Auswärtigen Amts und namhafter Menschenrechtsorganisationen in keinem Fall zu
staatlichen Verfolgungsmaßnahmen gegen kongolesische Staatsangehörige nach
deren Rückkehr geführt.
107
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 17.
108
Das Verhalten der amtlichen Stellen in der DRK gegenüber aus Deutschland
zurückkehrenden Kongolesen lässt (ebenfalls) keine Gefahr politischer Verfolgung
erkennen. Die Erkenntnislage hinsichtlich in die DRK rückkehrender Asylbewerber stellt
sich wie folgt dar: Es ist zwar nicht in erheblichem Umfang zu Abschiebungen in die
DRK gekommen. Nach Angaben der Bundesregierung,
109
vgl. BT-Drucksache 14/3725 vom 29. Juni 2000,
110
wurden im Jahr 1998 84 und im Jahr 1999 104 Personen abgeschoben. Für das Jahr
2000 gibt das AA,
111
Auskunft vom 18. Januar 2001 an das VG Ansbach,
112
an, dass ihm bzw. der Botschaft Kinshasa insgesamt 591 Rückführungen aus
Deutschland rechtzeitig und formgerecht angekündigt worden seien, von denen in 291
Fällen die Abschiebung aus unterschiedlichen Gründen kurzfristig habe storniert
werden müssen. Es sei allerdings davon auszugehen, dass die Gesamtzahl der
stornierten Abschiebungen höher sei. Aus der Aufstellung der Grenzschutzdirektion
Koblenz an den VGH Mannheim vom 29. Juni 2001 ergibt sich, dass es im Jahr 2000
nur zu 133 Abschiebungen kam. Für die Monate Januar bis Mai 2001 werden 13
Abschiebungen genannt. Aber immerhin lassen sich aus den Referenzfällen
abgeschobener Asylbewerber folgende Erkenntnisse gewinnen: Abgeschobene
Asylbewerber werden bei ihrer Ankunft am Internationalen Flughafen N´Djili/Kinshasa -
ausschließlich dort kommen diese wegen der nur auf dem Luftwege bestehenden
Abschiebungsmöglichkeit an - grundsätzlich von Beamten der Einwanderungsbehörde
befragt. Bei mehreren Abschiebungen - Mitarbeiter der Deutschen Botschaft beobachten
in unregelmäßigen Abständen die Einreise kongolesischer Rückkehrpflichtiger - habe
man feststellen können, dass die mit den rückgeführten Personen befassten Beamten
der Einwanderungsbehörde meist Verständnis für ihre heimkehrenden kongolesischen
Landsleute aufbrächten, die nach allgemein dort vorherrschender Auffassung
regelmäßig lediglich "ihr Glück" im Ausland versucht hätten, was vor dem Hintergrund
der wirtschaftlichen Misere verständlich sei und von keiner staatlichen Stelle in der DRK
kriminalisiert werde.
113
AA, Auskunft vom 13. Oktober 1999 an das VG Stuttgart und vom 06. Oktober 2000 an
den VGH Mannheim.
114
Bei allen ankommenden Passagieren, die nur mit einem Passersatzpapier einreisen,
werden vornehmlich die Staatsangehörigkeit und mögliche Verbindungen zu
Rebellengruppen überprüft. Des Weiteren werden die vorhandenen Fahndungslisten
abgeglichen. Nach den bisherigen Erfahrungen sind Abgeschobene unbehelligt
geblieben und konnten nach Überprüfung durch die Einwanderungsbehörde, den Zoll
und die Gesundheitsbehörden sowie in besonderen Fällen auch durch den
Nachrichtendienst zu ihren Familienangehörigen gelangen. Gegenteilige Berichte
einiger Menschenrechtsorganisationen und die von ihnen genannten Referenzfälle sind
von der Deutschen Botschaft vor Ort eingehend geprüft worden, konnten aber in keinem
Fall bestätigt werden. Insbesondere sind keine Fälle bekannt geworden, in denen
zurückgekehrte Asylbewerber zwangsrekrutiert oder bei Weigerung hingerichtet worden
sind. Ebenso wenig hat sich bewahrheitet, dass Kinder Abgeschobener an staatliche
Verwahreinrichtungen abgegeben worden sind und später als Straßenkinder geendet
haben. Auch konnte nicht bestätigt werden, dass der Militärgerichtshof Asylbewerber
zum Tode verurteilt hat. Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen haben in
besonders gelagerten Fällen im Auftrag der Botschaft die zurückgekehrten Personen
nach wenigen Wochen an ihren Wohnadressen aufgesucht; staatliche Repressionen
gegen diese Personen sind dabei bislang in keinem Fall festgestellt worden.
115
AA, Auskunft vom 28. März 2002 an das VG Gelsenkirchen; Lagebericht vom 23.
November 2001, S. 20-21; vgl. in diesem Zusammenhang auch AA, Auskunft an den
VGH Mannheim vom 6. Oktober 2000.
116
Diese Angaben decken sich mit der Stellungnahme des UNHCR vom 8. März 2001 an
das VG München.
117
Fast vollständig abgedruckt im Asylmagazin 4/2001, S. 27.
118
Auch haben sich nach Angaben des Auswärtigen Amts die behaupteten Verhaftungen
von PALU-Mitgliedern nach Rückkehr auf dem Flughafen N´Djili in allen Fällen nach
entsprechender Überprüfung als Falschmeldungen herausgestellt. Vielmehr ist die
Verhaftung eines PALU-Mitglieds auf dem Flughafen bisher nicht bekannt geworden.
Für zurückkehrende MPR-Angehörige (Angehörige der ehemaligen Mobutu-
Staatspartei) sind Verhaftungen nur unmittelbar nach der Machtübernahme der AFDL
(17. Mai 1997) bekannt geworden; danach ist es zu keinen weiteren Festnahmen mehr
gekommen. Gleiches gilt für Mitglieder der PSDC und der P.U.N.A. (Parti de l´unité
Nationale). Seitens des unmittelbaren Führungskreises der FONUS wurde mitgeteilt,
dass sich die letzte Festnahme auf dem Flughafen N´Djili im Jahre 1998 ereignet hat.
119
AA, Auskunft vom 28. März 2002 an das VG Gelsenkirchen.
120
Der Senat sieht deshalb die Behauptungen des ehemaligen höheren Beamten im
Innenministerium der DRK, She Albert Okito, vor dem VGH Mannheim,
121
Protokoll über die Zeugenvernehmungen am 25. Juli 2000 in den Verfahren A 13 S
2845/95, A 13 S 2478/97 und A 13 S 3166/97,
122
als widerlegt an. Dieser hatte unter anderem ausgesagt, eine auf Grund juristischer
Maßnahmen des jeweiligen Aufenthaltsstaates abgeschobene Person ("Refoulé")
werde von den Sicherheitsdiensten verhört, misshandelt und sodann zwangsrekrutiert.
Nach zwei Wochen militärischer Ausbildung würden die Zwangsrekrutierten an die
Front geschickt. Weigere sich jemand, an die Front zu gehen, werde er exekutiert.
Entscheidend für diese Behandlung sei, ob der Rückkehrer von den Sicherheitsdiensten
als loyal oder nicht loyal eingestuft werde. Alle Kongolesen im Ausland seien
verpflichtet, sich bei der Auslandsvertretung registrieren zu lassen. Nichtregistrierte
würden als Regimegegner gelten; andererseits würden Registrierte nicht ohne weiteres
als unverdächtig gelten. Frauen würden von dieser Behandlung nicht ausgenommen.
Ihre Kinder würden von ihnen getrennt, an staatliche Aufbewahrungsorte verbracht und
endeten später als Straßenkinder.
123
Davon abgesehen ist der Senat trotz der insoweit nicht sehr ergiebigen Erkenntnislage
auch der Überzeugung, dass nicht die einfachen Aktivitäten im vorbeschriebenen Sinne,
sondern allenfalls eine herausgehobene, breitenwirksam angelegte oppositionelle
Tätigkeit in Deutschland den amtlichen Stellen in der DRK bekannt werden.
124
In dem von der Regierung in Kinshasa kontrollierten Gebiet sind verschiedene
Sicherheitsdienste und -organe tätig.
125
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 9.
126
Dagegen ist nicht geklärt, ob die DRK in Deutschland eine umfassende
Auslandsaufklärung betreibt, auch wenn die Agence Nationale des Renseignements
(ANR), die kurz nach der Machtergreifung der AFDL gegründet worden und an die Stelle
des aufgelösten nationalen Sicherheitsdienstes (SNIP) getreten ist,
127
Lagebericht vom 7. Mai 1999, S. 6,
128
neben ihrer Inlandsabteilung, die an Nachforschungen und Repressionmaßnahmen
gegen Regimegegner beteiligt ist, eine Auslandsabteilung unterhält.
129
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 10.
130
So geht das Auswärtige Amt zumindest für die führenden Mitglieder der UDPS im
Ausland davon aus, dass diese deshalb unter Beobachtung stehen, weil ihre Aktivitäten
für die kongolesische Regierung von gewissem Interesse sind.
131
AA, Auskunft vom 28. März 2002 an das VG Gelsenkirchen.
132
Der Bundesnachrichtendienst - BND - berichtet in seiner Auskunft vom 6. Juli 2000 an
das VG Bremen, dass das "Comité de Pouvoir Populaire" (CPP) sowohl in der DRK als
auch im Ausland tätig ist. Die Zentrale befinde sich in Belgien. Das CPP sei ein
Nachrichtendienst, dessen Aufgabe u.a. in der Überwachung von Exilkongolesen, vor
allem in Belgien, bestehe. Es sei möglich, dass das CPP auch Exilkongolesen in der
Bundesrepublik Deutschland überwache. Auf eine Anfrage des Verwaltungsgerichts
Gelsenkirchen hin erklärte der BND unter dem 23. Januar 2002, dass seine Auskunft
vom Juli 2000 weiterhin gelte. Es könne nach gesicherter Erkenntnis nach wie vor
davon ausgegangen werden, dass in Deutschland lebende Exilkongolesen von dem
CPP überwacht werden. Allerdings führt das AA unter Berufung auf "namhafte
133
Menschenrechtsorganisationen" hinsichtlich des CPP aus, es handele sich dabei um
eine auf kommunaler Ebene eingerichtete Organisation, die zunehmend für die
Informationsbeschaffung an der Basis und die damit notwendige Überwachung der
Bevölkerung zuständig sei.
Lagebericht vom 23. März 2000, S. 7.
134
Das spricht zwar zunächst für eine Tätigkeit im Inland, schließt eine solche im Ausland
aber nicht aus.
135
Amnesty International nimmt an, dass die kongolesischen Behörden bemüht seien, die
Aktivitäten von Exilkongolesen zu überwachen, ohne dazu aber nähere Angaben zu
liefern.
136
Vgl. z.B. Auskunft vom 12. Februar 2001 an das VG München.
137
In ähnlichem Sinne äußert sich das Institut für Afrika-Kunde, welches von einer hohen
Wahrscheinlichkeit geheimdienstlicher Auslandsaufklärung spricht.
138
Vgl. z.B. Auskunft vom 7. Dezember 2000 an das VG Hannover und vom 3. Dezember
1998 an das VG Gelsenkirchen.
139
Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat ebenfalls keine konkreten Erkenntnisse zur
Tätigkeit der Auslandsspionage der DRK in Deutschland. Es geht jedoch davon aus,
dass die kongolesische Botschaft, die im Regelfall im Rahmen der
Passersatzbeschaffung durch die deutschen Ausländerbehörden Gelegenheit zur
Überprüfung der ihr übermittelten persönlichen Daten kongolesischer Staatsangehöriger
erhält, Interesse daran hat und über Mittel verfügt zu ermitteln, ob es sich bei diesen
Personen um Angehörige prominenterer Anhänger einer der Rebellenbewegungen
handelt, und entsprechende Informationen an die Einwanderungsbehörden in der DRK
weiterleitet.
140
UNHCR, Stellungnahme vom 8. März 2001 an das VG München, Asylmagazin 4/2001
S. 27 f.
141
In seiner Vernehmung am 25. Juli 2000 durch den VGH Mannheim,
142
vgl. das genannte Protokoll der mündlichen Verhandlung,
143
hat der Zeuge Okito ausgesagt, in Deutschland würden Informationen über politische
Veranstaltungen, selbst wenn sie rein pazifistischer Natur seien, registriert, als subversiv
eingestuft und an die kongolesische Auslandsvertretung durch Informanten
weitergeleitet. Da, wie oben dargelegt, die Aussage des Zeugen zu anderen zentralen
Punkten als widerlegt anzusehen ist, geht der Senat - insbesondere unter
Berücksichtigung der folgenden Ausführungen - davon aus, dass auch dieser Teil der
Aussage nicht den Fakten entspricht. Gegen eine effektive, flächendeckende
Auslandsüberwachung spricht nämlich, dass nach Erkenntnissen des Auswärtigen
Amts die Mittel, über die die Auslandsvertretungen in Europa zur Erfüllung ihrer
Aufgaben verfügen könnten, wegen der äußerst angespannten wirtschaftlichen Lage in
der DRK nicht ausreichend sind, um derartige Aufgaben im gesamten Gastland
wahrnehmen zu können.
144
Anders kann es sich bei breitenwirksam vorgenommenen, herausgehobenen Aktionen
gegen die Regierung in Kinshasa verhalten. Dabei liegt es bereits in der Natur der
Sache, dass solche Aktivitäten den Behörden in der DRK eher bekannt werden können
als untergeordnete, nicht "interessante" und damit auch nicht "mitteilungswürdige"
Aktionen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass über erstere neben dem
Auslandsgeheimdienst auch von in Deutschland sich aufhaltenden Privatleuten
berichtet werden kann. Deshalb geht der Senat davon aus, dass allenfalls Aktionen von
Personen, die in Deutschland in einer Art und Weise exilpolitisch tätig geworden sind,
die sie von der Masse der übrigen Asylbewerber deutlich unterscheidet, mit anderen
Worten, von denen die Behörden in der DRK befürchten müssen, dass sie der
Regierung gefährlich werden oder diese jedenfalls in erheblichen Misskredit bringen
könnten, den Regierungsstellen der DRK bekannt werden.
145
Im Ergebnis ebenso OVG Saarland, Urteil vom 14. Januar 2002 - 3 R 1/01 -;
einschränkend OVG Lüneburg, Urteil vom 14. Januar 2000 - 1 L 3973/98.
146
f) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz
nach § 51 Abs. 1 AuslG. Im Hinblick auf das Fehlen des inneren Zusammenhangs (s.o.
unter c) zwischen der von ihm behaupteten Verfolgung unter Mobutu vor der Ausreise
und der befürchteten Verfolgung nach einer Rückkehr in das Heimatland ist die Gefahr
einer Verfolgung wegen einer exilpolitischen Betätigung sowohl gegen Mobutu, die
Grundlage der anerkennenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts war, als auch
gegen die Regierungen von L.D. Kabila und J. Kabila am Maßstab der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit zu messen. Auf Grund der Veränderung der politischen Verhältnisse
besteht für ihn gegenwärtig nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, wegen
exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr in die DRK von den kongolesichen Behörden
als ernst zu nehmender Gegener angesehen und deshalb verfolgt zu werden. Die von
ihm geltend gemachten exilpolitischen Tätigkeiten, also die Teilnahme an
Parteiveranstaltungen der UDPS und an Demonstrationen, sind nicht geeignet, das
Augenmerk der kongolesischen Regierungsstellen auf ihn zu lenken. Eine erheblich
wahrscheinliche Verfolgungsgefahr des Klägers bei Rückkehr in die DRK wegen seiner
Zugehörigkeit zu seiner "Familie" ist nicht dargelegt. Einer entsprechenden
Aufforderung des Gerichts, die pauschal geltend gemachte Verfolgung der "Familie" seit
der Machtübernahme durch L.D. Kabila bzw. J. Kabila wegen des Verdachts der
Kollaboration mit dem Mobutu-Regime seitens des Onkels und Adoptivvaters des
Klägers und wegen der Unterstützung der Rebellion in der Provinz Equator (gemeint ist
offensichtlich Equateur) durch die "Familie" näher zu erläutern, ist der Kläger nicht
nachgekommen. Abgesehen davon spricht nichts dafür, dass der Kläger, der sich
nunmehr seit über 10 Jahren in Deutschland aufhält, mit irgendwelchen Aktionen seiner
Angehörigen in Verbindung gebracht werden könnte.
147
2. Der Senat unterstellt zu Gunsten des Klägers, dass sich seine Klage entsprechend
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
148
Urteile vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 -, NVwZ 1997, 1132, und vom 31. August 1998 - 9
C 16.98 -, n.v., sowie Beschluss vom 5. Juni 1998 - 9 B 469.98 -, NVwZ 1999, 642,
149
hilfsweise auch auf § 53 AuslG bezieht. Ein Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, das
Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG festzustellen, wäre aber
ebenfalls unbegründet.
150
a) Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 bis 3 AuslG liegen ersichtlich nicht vor.
151
Auch § 53 Abs. 4 AuslG iVm Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten - EMRK - findet vorliegend keine Anwendung. Diese Vorschrift
greift nur ein, wenn die Gefahr besteht,
152
vgl. zur Anwendung des Prognosemaßstabs der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit"
auch auf Vorverfolgte: BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 -, NVwZ 1996,
Beilage Nr. 12, S. 89,
153
dass im Zielland seitens des Staates oder einer staatsähnlichen Organisation, hier also
durch Regierungsbehörden der DRK, auf eine Person geplant zugegriffen wird, um sie
einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu unterziehen.
154
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, NVwZ 1996, S. 476; Urteil
vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 -, NVwZ 1997, S. 1127 und Urteil vom 9. September
1997 - 9 C 48.96 -, InfAuslR 1998, S. 125.
155
Davon ist nach den vorstehend wiedergegebenen Erkenntnissen zur Behandlung
zurückkehrender Asylbewerber am Flughafen Kinshasa und unter Berücksichtigung der
"normalen" exilpolitischen Aktivitäten des Klägers nicht auszugehen.
156
b) Die Voraussetzungen für eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung des § 53
Abs. 6 Satz 1 AuslG liegen ebenfalls nicht vor.
157
Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen
anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift hebt allein auf das
Bestehen einer konkreten, individuellen Gefahr für die genannten Rechtsgüter ab ohne
Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist. Allerdings genügt
für die Annahme einer "konkreten Gefahr" im Sinne dieser Vorschrift nicht die bloße
Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist
der Begriff der "Gefahr" im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Ansatz kein anderer
als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab angelegte der "beachtlichen
Wahrscheinlichkeit", wobei allerdings das Element der "Konkretheit" der Gefahr für
"diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen individuell
bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert, die außerdem landesweit
gegeben sein muss.
158
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. März 1997 - 9 B 627.96 -,; Urteil vom 29. März 1996 - 9
C 116.95 -, NVwZ 1996, Beilage Nr. 8, S. 57; Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -,
NVwZ 1996, 476.
159
Für einen Asylbewerber, der bereits in Deutschland an einer Krankheit leidet, kann ein
Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in direkter Anwendung
vorliegen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die drohende Verschlimmerung
der Erkrankung im Zielstaat zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben
führt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die
drohende Verschlimmerung einer bei dem Betroffenen bereits vorhandenen Krankheit
wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der
160
Abschiebung ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen
kann. Die Gründe für die unzureichende medizinische Behandlung im Zielstaat sind
insoweit grundsätzlich ohne Belang. Sie können ihre Ursache auch in einer schlechten
sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Situation im Heimatland haben,
BVerwG, Beschluss vom 26. November 1998 - 9 B 1075.98 -, (n.v.); Urteil vom 27. April
1998 - 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973 m. w. N.,
161
die dazu führt, dass dem Betroffenen die finanziellen Mittel für eine Behandlung nicht
zur Verfügung stehen.
162
Ebenso OVG Hamburg, Beschluss vom 13. Oktober 2000 - 3 Bs 369/99 -, NVwZ 2001,
Beilage Nr. 3, 31 = InfAuslR 2001, 132; OVG Koblenz, Urteil vom 3. April 1998 - 10 A
10902/97 -, NVwZ 1998, Beilage Nr. 8, 85, 86; VG Augsburg, Urteil vom 25. Februar
1999 - Au 7 K 98.30453/Au 7 K 98.31120 -, NVwZ 2000, Beilage Nr. 1, 7,9; VG
Osnabrück, Urteil vom 15. November 1999 - 5 A 458/99 -, Asylmagazin 2000, 38 (Ls).
163
Krankheitsbedingte Gefahren, die sich allein als Folge der Abschiebung und nicht
wegen der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ergeben können, sind hingegen
vom Anwendungsbereich des § 53 AuslG - und damit auch von dem des § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG - ausgenommen, weil es sich insoweit nicht um zielstaatsbezogene
Abschiebungshindernisse handelt.
164
BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 8.99 -, NVwZ 2000, S. 206 (m. w. N.).
165
Nach § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG werden allerdings Gefahren, denen die Bevölkerung
oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, in dem Staat allgemein
ausgesetzt ist, bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt. Nach dieser
Bestimmung kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären
Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland
anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von
sonstigen Ausländergruppen allgemein oder in einzelne Zielländer für längstens 6
Monate ausgesetzt wird (Satz 1); für längere Aussetzungen bedarf es des
Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern (Satz 2). Beruft sich der
einzelne Ausländer auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG,
kann er Abschiebungsschutz regelmäßig also nur im Rahmen eines generellen
Abschiebungsstopps nach § 54 AuslG erhalten.
166
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Verwaltungsgerichte im
Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz
2 AuslG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 54 AuslG nicht besteht,
ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in
verfassungskonformer Handhabung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zusprechen, wenn
die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht
verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem
sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Nur dann gebieten es
die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer
trotz Fehlens einer Ermessensentscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG
Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.
167
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, NVwZ 2001, 1420 (m.w.N.);
Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, NVwZ 1999, 668; Urteil vom 8.
Dezember 1998 - 9 C 4.98 -, NVwZ 1999, 666.
168
Ob eine aus einer allgemeinen Gefahr erwachsene extreme Gefahrenlage vorliegt, ist
stets mit Blick auf sämtliche einem Ausländer drohenden Gefahren zu beurteilen. Dabei
geht es allerdings nicht um eine "mathematische" oder "statistische" Summierung von
Einzelgefahren; vielmehr ist jeweils eine einzelfallbezogene umfassende Bewertung der
aus der allgemeinen Gefahr für den Ausländer folgenden Gesamtgefährdungslage
vorzunehmen, um auf dieser Grundlage über das Vorliegen einer extremen
Gefahrenlage entscheiden zu können.
169
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. März 1999 - 9 B 866.98 -, Buchholz 402.240 § 53
AuslG Nr. 17; Urteil vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, NVwZ 1997, 685.
170
Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen
Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die
begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen
allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der erforderlichen Wahrscheinlichkeit
des Eintritts der drohenden Gefahren ist gegenüber dem im Asylrecht entwickelten
Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer
extremen Gefahrenlage allerdings ein strengerer Maßstab anzulegen; die allgemeine
Gefahr muss sich für den jeweiligen Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit
verwirklichen. Nur dann rechtfertigt sich die Annahme eines aus den Grundrechten
folgenden zwingenden Abschiebungshindernisses, das die gesetzliche Sperrwirkung
des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG beseitigen kann.
171
Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, aaO, und vom 12. Juli 2001 -
1 C 5.01 -, NVwZ 2002, 101.
172
Geboten ist die verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG immer
dann, wenn der einzelne extrem gefährdete Asylbewerber ansonsten gänzlich schutzlos
bliebe, d.h. wenn seine Abschiebung in den Zielstaat ohne Eingreifen des Bundesamts
oder der Verwaltungsgerichte tatsächlich vollzogen würde. Die verfassungskonforme
Anwendung ist mit Rücksicht auf das gesetzliche Schutzkonzept aber auch dann
zulässig, wenn der Abschiebung zwar anderweitige - nicht unter § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6
Satz 1 oder § 54 AuslG fallende - Hindernisse entgegenstehen, diese aber dem
Ausländer nach der Rechtswirkung keinen gleichwertigen Schutz bieten. Ein
anderweitiger Schutz ist deshalb nur dann gleichwertig, wenn er dem entspricht, den der
Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach § 54 AuslG hätte oder den er bei
Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erreichen könnte. Die Zuerkennung von
Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG setzt somit neben dem Vorliegen einer extremen Gefahrenlage das
Nichtbestehen eines anderweitigen gleichwertigen Abschiebungsschutzes voraus.
173
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, aaO.
174
Eine Erkrankung oder sonstige Gründe, die einer Abschiebung in unmittelbarer
Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entgegenstehen könnten, hat der Kläger nicht
geltend gemacht.
175
Dem Kläger kann auch nicht in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz
1 AuslG - und damit über den nach Satz 2 der Vorschrift begrenzten
Anwendungsbereich hinaus - Schutz vor Abschiebung gewährt werden.
176
Der Kläger würde nicht unmittelbar nach seiner Rückkehr in die DRK auf Grund der dort
herrschenden allgemeinen Lebensbedingungen (§ 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG) in eine
extreme Gefährdungslage geraten, die ihn mit der erforderlichen hohen
Wahrscheinlichkeit dem sicheren Tode oder schwersten Verletzungen ausliefern würde.
Da wie dargelegt eine Abschiebung nur auf dem Luftwege über den Flughafen von
Kinshasa erfolgen kann, beschränkt der Senat die Prüfung der Lebensbedingungen auf
den Großraum dieser Stadt, in der die Situation ohnehin besser ist als in den übrigen
Landesteilen, wie im Folgenden ausgeführt wird.
177
Es lässt sich nicht feststellen, dass ein abgeschobener Asylbewerber im Großraum
Kinshasa mangels jeglicher Lebensgrundlage in eine extreme Gefahrenlage geriete und
dem baldigen
178
vgl. zur notwendigen Unmittelbarkeit der Rechtsgutbeeinträchtigung BVerwG,
Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, NVwZ 1999, 668,
179
sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Diese Einschätzung gilt für den Normalfall eines
im Wesentlichen gesunden Menschen, der sich nach seiner Abschiebung auf Grund
seines längeren Aufenthalts in Deutschland in einem guten Ernährungszustand
befindet.
180
Es ist nach den vorliegenden Erkenntnissen zwar nicht zweifelhaft, dass - auf das
gesamte Staatsgebiet bezogen - die wirtschaftliche Lage verheerend und die
Grundversorgung der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet ist. Die seit August 1998
andauernden Kämpfe haben nach und nach die gesamte Infrastruktur des
zentralafrikanischen Landes zerstört. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 90 %. Auch
innerhalb der Großfamilie, in der traditionell gegenseitig Hilfe geleistet wird, gelingt es
nicht immer, Härten durch wechselseitige Unterstützung aufzufangen. So stellt das
Flüchtlingshilfswerk UNHCR in seiner Stellungnahme vom 8. März 2001 an das VG
München fest, dass sich seit Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen im
August 1998 die wirtschaftliche Situation in Kinshasa und in der DRK im Allgemeinen
kontinuierlich und ernstlich verschlechtert habe. Die vorhandenen
Nahrungsmittellieferungen deckten nurmehr ca. 60 % des Bedarfs. Schätzungen zufolge
litten etwa 2 Millionen Kongolesen in lebensbedrohlicher Weise unter dieser
Lebensmittelknappheit. Nach einer Studie der Nichtregierungsorganisation International
Rescue Committee vom Mai 2000 seien allein im Osten der DRK seit Beginn der
kriegerischen Auseinandersetzungen im August 1998 mindestens 1,7 Millionen
Menschen (ca. 600.000 davon Kinder unter 5 Jahren) entweder unmittelbar auf Grund
der Kriegsereignisse oder in zwei Drittel der Fälle auf Grund ihrer Folgen gestorben. Die
Versorgungslage ist, so stellt der UNHCR in einer neueren Stellungnahme,
181
vom 22. April 2002 gegenüber dem VG Gelsenkirchen,
182
fest, in allen Landesteilen und insbesondere im Nordosten des Landes prekär. Auch die
drei britischen Hilfsorganisationen "Oxfam", "Save the Children" und " Christian Aid"
schildern laut einem Bericht der Frankfurter Rundschau in ihrer Ausgabe vom 10.
August 2001 die soziale Lage in der DRK in einem sehr düsteren Licht.
183
Für die Region Kinshasa kann aber festgestellt werden, dass sich die Versorgungslage
zwischenzeitlich deutlich gebessert hat, wie sich aus Folgendem ergibt: Während das
Auswärtige Amt im Lagebericht vom 5. Mai 2001 (S. 22) noch ausführte, dass sich die
schon zu Beginn des Jahres 2000 angespannte Versorgungslage in Kinshasa weiter
verschlechtert habe, heißt es im Lagebericht vom 23. November 2001 (S. 21,22), dass
nach einer im September 2001 veröffentlichten Untersuchung der landwirtschaftlichen
Fakultät der Universität Kinshasa die Versorgung mit Lebensmitteln für die Bevölkerung
in Kinshasa zwar schwierig sei, jedoch dank verschiedener Überlebensstrategien - so
trügen z.B. vor allem Frauen und Kinder mit Kleinsthandel zum Familienunterhalt bei - in
der Bevölkerung keine akute Unterversorgung wie etwa in anderen Hungergebieten
Afrikas herrsche. Die gleiche Einschätzung sei Ende September 2001 vom Büro der
Welternährungsorganisation FAO in Kinshasa zu erhalten gewesen. Dem widerspricht
nicht der genannte Bericht der britischen Hilfsorganisationen. Denn er bezieht sich vor
allem auf das Rebellengebiet und gilt nicht gleichermaßen für die Hauptstadt Kinshasa.
Insoweit wird nämlich ausgeführt, dass dank der Reformen des Präsidenten Joseph
Kabila sich die Wirtschaft in den vergangenen Monaten etwas erholt habe, wovon
allerdings nur die Hauptstadt profitiere, während das übrige Land verarmt und zerrüttet
sei. In ihrer Auskunft vom 24. Oktober 2001 an das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge stellt die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in
Kinshasa fest, dass es trotz einer Arbeitslosenquote von etwa 90 % dem überwiegenden
Teil der Bevölkerung Kinshasas weiterhin gelinge, den Lebensunterhalt zu finanzieren.
Die sich aus der Not entwickelnden Mechanismen des Überlebens seien vielgestaltig
und auf die von Fall zu Fall ganz unterschiedlichen Verhältnissen zugeschnitten. So
nehme die privat betriebene urbane Agrarwirtschaft (Gemüseanbau und
Kleintierhaltung) eine zentrale Stellung ein. Es werde auf allen möglichen Freiflächen
angebaut, selbst wenn diese nicht im Eigentum des Betreffenden stünden. Ein wichtiges
Betätigungsfeld sei auch der Kleinhandel. Nach Schätzungen namhafter kongolesischer
Menschenrechtsorganisationen sei der Prozentsatz der Bevölkerung, der an den Folgen
einer akuten Unterernährung sterbe, in der Hauptstadt Kinshasa als eher niedrig
anzusetzen. Betroffen seien insbesondere nur Kinder bis zum Alter von 5 Jahren . Diese
Einschätzung findet ihre Entsprechung in dem Ende September 2001 veröffentlichten,
von der Botschaft angeführten Bericht der Organisation der Vereinten Nationen für
Ackerbau und Ernährung (FAO). Danach waren in den Armutsvierteln Kimbanseke und
Selembao Kinshasas im Februar 2001 12 % der Kinder unter 5 Jahren latent
unterernährt. Unter akuter Unterernährung litten 2,6 % dieser Bevölkerungsgruppe. Im
übrigen sind national und international tätige Hilfsorganisationen mit der Unterstützung
und Förderung zahlreicher Geberländer ebenso wie kirchliche und sonstige karitativ
tätige Verbände und Einrichtungen bemüht, durch Projekte im Wirtschafts-, Sozial- und
Gesundheitsbereich schwerwiegenden Versorgungsmissständen zu begegnen und der
Not leidenden Bevölkerung in der DRK zu helfen. So ist in einer viel beachteten, aber
bisher einmalig gebliebenen Aktion der Europäischen Union mit Unterstützung der
Beobachtermission der Vereinten Nationen (MONUC) Anfang August 2001 ein
Frachtschiff bis in die Provinz Equateur gelangt und hat von dort 800 Tonnen Mais in die
Hauptstadt Kinshasa transportiert. Eine generelle Eröffnung der Flussschifffahrt auf dem
Kongo zur Lebensmittelversorgung wird aktuell allerdings noch durch die
Rebellenbewegung RCD-Goma blockiert.
184
Somit lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die allgemein beschriebene
katastrophale Versorungslage in erster Linie die Rebellengebiete und insbesondere die
östlichen Landesteile, nicht aber in gleicher Weise den Großraum Kinshasa betrifft.
185
Nach alledem ist es für den Senat nachvollziehbar - und dies ist Grundlage seiner
Überzeugungsbildung - dass das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 28. März
2002, insoweit noch über die Einschätzung im Lagebericht vom 23. November 2001
hinausgehend, feststellt, es bestehe auf Grund der Versorgungslage mit
Nahrungsmitteln in Kinshasa und Umgebung weder für männliche noch für weibliche
Personen die konkrete Gefahr, aus Mangel an Nahrungsmitteln nicht überleben zu
können. Deshalb ist, und dies gilt auch für allein stehende Frauen oder sogar für Mütter
mit minderjährigen Kindern - auch Kleinkindern -, von einer noch ausreichenden
Versorgungslage auszugehen , die die Annahme eines mit hoher Wahrscheinlichkeit
alsbald nach der Rückkehr nach Kinshasa drohenden Hungertodes verbietet. Insoweit
ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der Stellungnahme der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland in Kinshasa vom 24. Oktober 2001 an das Bundesamt
kirchliche Einrichtungen oder karitativ tätige Hilfsorganisationen sowie verschiedene
private Einrichtungen im Notfall Hilfestellung leisten; auch verhindere eine in christlicher
Verbundenheit gelebte Nachbarschaftshilfe, dass Not leidende Menschen in der Straße
ihr Heil suchen müssten.
186
Lediglich für unbegleitet rückgeführte Minderjährige macht das Auswärtige Amt in der
erwähnten Auskunft vom 28. März 2002 insofern eine Ausnahme, als die allgemein
schlechte Versorgungslage nach Lage des Einzelfalles Versorgungsprobleme
begründen könne, so dass eine Rückführung "nur nach sorgfältiger Einzelfallprüfung im
Hinblick auf die Unterbringungsmöglichkeiten" erfolgen solle. Insoweit lässt der Senat
mangels Entscheidungserheblichkeit jedoch offen, ob eine extreme Gefährdungslage für
unbegleitet rückgeführte Minderjährige oder jedenfalls Kinder bis zu etwa 16 Jahren
angenommen werden muss. Auch kann dahinstehen, ob eine extreme Gefährdungslage
möglicherweise für betagtere sowie ernsthaft kranke Rückkehrer besteht, sofern
letzteren nicht ohnehin Abschiebungsschutz in unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs.
6 Satz 1 AuslG einzuräumen ist.
187
Auch die in Kinshasa bestehende medizinische Versorgungslage rechtfertigt nicht die
Annahme des Bestehens einer extremen Gefährdungslage. Die daraus erwachsenden
Gefahren drohen grundsätzlich der gesamten Bevölkerung bzw. bestimmten Gruppen
innerhalb der Bevölkerung und unterfallen damit ebenfalls dem Anwendungsbereich
des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG.
188
Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 -9 C 4.98 -, aaO.
189
Allerdings befindet sich das Gesundheitswesen in der DRK allgemein in einem sehr
schlechten Zustand. Die staatlichen Krankenhäuser sind heruntergewirtschaftet oder
aber geplündert. Die staatlichen Krankenhäuser sind auf Grund ihrer geringen Anzahl,
ihrer schlechten Ausstattung und in Folge der unzureichenden hygienischen
Verhältnisse nicht in der Lage, im erforderlichen Umfang - insbesondere bei
komplizierten Eingriffen - die Kranken im ausreichenden Maß zu versorgen. Die
ärztliche Versorgung ist in Kinshasa jedoch grundsätzlich gewährleistet. In seinem
Bericht vom 5. Oktober 2001 über die medizinische Infrastruktur und Behandlung in
Kinshasa berichtet das Schweizerische Bundesamt für Flüchtlinge, dass es in Kinshasa
1.500 medizinische Einrichtungen gibt. Zwar sind davon viele rein profitorientiert. Auch
ist der Großteil der medizinischen Einrichtungen in Kinshasa schlecht ausgerüstet und
erhält - mit Ausnahme der konfessionellen medizinischen Einrichtungen - keine Hilfe
vom Ausland. Andererseits sind aber im Bereich der medizinischen Versorgung häufig
190
Organisationen der großen Kirchen, so der Heilsarmee, der katholischen Kirche, der
Kirche von Christus im Kongo und der kimbanguistischen Kirche tätig. Diesen gehören
in Kinshasa mehr als 70 % der Gesundheitszentren sowie einige Spitäler.
Zusammengefasst stellt der Bericht fest, die medizinische Infrastruktur in Kinshasa
weise große Unterschiede auf, von rein profitorientierten Einrichtungen mit ungenügend
ausgebildetem Personal bis hin zu gut geführten Spitälern mit Spezialisten. Die meisten
Krankheiten können in Kinshasa behandelt werden. Das gilt zum Beispiel für Diabetes
mellitus 2 mit Bluthochdruck, Asthma und Bronchialerkrankungen, Epilepsie,
Geschlechtskrankheiten, Pneumopathie, Typhus und auch Röteln.
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 22,23; Schweizerisches Bundesamt für
Flüchtlinge, Bericht vom 5. Oktober 2001 über die medizinische Infrastruktur und
Behandlung in Kinshasa (im Folgenden: Schweizerisches Bundesamt), S. 8 ff.
191
Nach den Erkenntnissen ist auch die Versorgung mit Medikamenten gesichert. In letzter
Zeit sind in Kinshasa über 100 Apotheken neu eröffnet worden. Im Allgemeinen sind die
Apotheken zwar relativ einfach ausgestattet. Auch wenn Mangel an gewissen
Basisprodukten wie zum Beispiel HIV- und Blutgruppentests besteht, so sind
Medikamente gegen Malaria-, Tuberkulose-, Rheuma-, Husten- und
Durchfallerkrankungen und auch Anämiepräparate sowie Antibiotika aber einfach zu
erhalten.
192
Schweizerisches Bundesamt, S. 6,7.
193
Allerdings besteht weder ein Krankenversicherungssystem noch eine freie staatliche
Gesundheitsfürsorge. Bei abhängig Beschäftigten zahlen in der Regel die Arbeitgeber
die Behandlungskosten. Angesichts der Arbeitslosenquote von über 90 % dürfte dies
auf einen Rückkehrer jedoch nur ausnahmsweise zutreffen. In den anderen Fällen
müssen die Behandlungskosten von der Großfamilie aufgebracht werden. Nur für
zahlungskräftige Patienten - was ebenfalls als Ausnahmefall einzustufen ist - stehen
hinreichend ausgestattete private Krankenhäuser und fachkundige Ärzte zur Verfügung.
194
Lagebericht vom 23. November 2001, S. 22.
195
Angesichts dieser Situation wird die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung
indes im Wesentlichen von so genannten Nicht-Regierungsorganisationen, u.a. den
Kirchen, getragen. Wenngleich die Patienten bzw. ihre Angehörigen auch hier für die
Behandlung aufkommen müssen, sind die Kosten jedoch deutlich niedriger als etwa in
Deutschland, weil von den Kirchen im Wesentlichen essentielle Medikamente
eingesetzt werden,
196
Auskunft des Missionsärztlichen Instituts Würzburg vom 6. November 2000 an das VG
München.
197
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Kranke, die über keine
ausreichenden finanziellen Mittel verfügen, nach übereinstimmender Auskunft
verschiedener durch die Deutsche Botschaft befragter Ärzte in Kinshasa bereits aus
ethischen Gründen nicht ohne medizinische Erstversorgung entlassen werden.
198
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Auskunft vom 24. Oktober 2001 an das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
199
Zusammenfassend ist der Senat der Überzeugung, dass trotz der schlechten
wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen in der DRK infolge der mangelhaften
Versorgungslage sowohl hinsichtlich der Ernährung als auch der medizinischen
Verhältnisse - auch unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht unter Hinweis
auf Zeitungsberichte angeführten teilweise äußerst beengten Wohnungsverhältnisse -
eine extreme Gefahrenlage nicht besteht.
200
Schließlich kann dem Kläger auch nicht wegen einer ihm nach Rückkehr in die DRK
möglicherweise drohenden Erkrankung an Malaria Abschiebungsschutz in
verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zugebilligt werden.
201
Das Risiko an Malaria, insbesondere der gefährlichen Form der Malaria tropica, zu
erkranken, ist in der DRK sehr hoch,
202
Prof. Dr. Dietrich vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg,
Stellungnahme vom 02. April 2002 gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Prof. Dr. Dietrich),
203
wobei Kinshasa, auf das der Senat - wie oben dargelegt - bei der zu treffenden
Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen abstellt, in einem
Gebiet mit hohem Malaria-Risiko liegt,
204
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Kins- hasa, Auskunft vom 09. Februar 2001
an das OVG Lüneburg.
205
So ist Malaria eine der häufigsten und tödlichsten Krankheiten in der DRK, an der z.B.
im Jahre 2000 etwa 200.000 Menschen starben,
206
Schweizerisches Bundesamt, S. 11,
207
wobei der Krankheitsverlauf bei kleinen Kindern häufiger zu schwereren Verläufen führt
als bei Heranwachsenden und Erwachsenen.
208
Prof. Dr. Dietrich; vgl. auch Schweizerisches Bundesamt, wonach von den genannten
Todesfällen des Jahres 2000 40.000 Kinder, also ein Fünftel, betroffen waren und im
ersten Drittel des Jahres 47 % der Todesfälle in der Pädiatrie von Kinshasa auf Malaria
zurückzuführen waren.
209
Somit ist eine größere Zahl von Menschen von der Malaria-Erkrankung betroffen mit der
Folge, dass insoweit die "Sperre" des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG eingreift und
Abschiebungsschutz nur gewährt werden kann, wenn jedem Rückkehrer mit hoher
Wahrscheinlichkeit droht, alsbald nach seiner Ankunft in der DRK an dieser Krankheit
zu sterben. Das ist jedoch nicht der Fall.
210
Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer nach einem längeren Aufenthalt im
nicht von Malaria bedrohten Ausland die durch ihr Aufwachsen in der DRK erworbene
Semi-Immunität, die einen gewissen Schutz gegen einen schweren, gegebenenfalls
zum Tode führenden Verlauf der Malaria bewirkt, verloren haben bzw. hier geborene
und aufgewachsene Kinder diesen Schutz erst gar nicht haben erwerben können.
Während beim Erwachsenen, der einen soliden Semi-Schutz aufbauen konnte, auf
211
Grund eines anzunehmenden "inmunologischen Gedächtnisses" schwere Malaria-
Attacken wahrscheinlich viel weniger als beim Kind zu befürchten sind, ist der
Schweregrad der Malaria-Erkrankung bei nicht geschützten Kongolesen aller
Altersgruppen mit dem von einheimischen Kindern vergleichbar, d.h. bei fehlender oder
nicht früh einsetzender Behandlung besteht die nicht unbeträchtliche Gefahr eines
tödlichen Ausgangs.
Gutachten Dr. med. Junghanss, Universitätsklinikum Heidelberg, vom 9. Februar und
15. Oktober 2001 an den VGH Mannheim (im Folgenden: Dr. Junghanss); Prof. Dr.
Dietrich; Missionsärztliches Institut Würzburg, Gutachten vom 04. und 26. Januar 2001
an das OVG Lüneburg.
212
Kinder sind auf Grund erhöhter Vulnerabilität in Folge spezifischer
Immunkonstellationen im besonderen Maße gefährdet, zumal eine Impfung gegen
Malaria nicht möglich und eine Malaria-Chemoprophylaxe schon wegen der
Nebenwirkungsproblematik auf Dauer nicht durchführbar ist. Schließlich genügt ein
einzelner infektiöser Stich, um eine tödlich verlaufende Malaria auszulösen.
213
Dr. Junghanss.
214
Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, dass ein längerer Aufenthalt außerhalb der
DRK und insbesondere die Geburt und das Aufwachsen in Deutschland das Risiko, bei
einer Rückkehr an Malaria zu erkranken, erheblich verstärkt.
215
Vgl. dazu, dass die Verstärkung einer Gefahrenlage nichts an der Sperrwirkung des §
53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ändert, weil es sich insoweit nur um typische Auswirkungen der
oben angenommenen allgemeinen Gefahrenlage handelt: BVerwG, Urteil vom 12. Juli
2001 - 1 C 5.01 -, NVwZ 2002, 101.
216
Auch bei einer Erkrankung gibt es aber jedenfalls in Kinshasa hinreichende
Möglichkeiten ärztlicher Hilfe und in ausreichender Menge Medikamente gegen die
Malaria.
217
Prof. Dr. Dietrich; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Kinshasa, Auskünfte vom
20. April 2001 an das OVG Lüneburg und vom 18. Mai 2001 an den VGH Mannheim.
218
Bei rechtzeitigem Erkennen der Krankheit und Behandlung mit den entsprechenden
Medikamenten tendiert die Sterblichkeitsrate gegen Null.
219
Prof. Dr. Dietrich.
220
Prof. Dr. Dietrich und Dr. Junghanss stimmen darin überein, dass ausschlaggebend für
eine wirksame Bekämpfung die alsbaldige Verabreichung entsprechender
Medikamente ist. Entgegen der Ansicht von Dr. Junghanss geht allerdings Prof. Dr.
Dietrich davon aus, das auch bei Erkrankten, die nicht semi-immun sind, in der Regel
eine frühe Diagnose und Behandlung erfolgt. In einem Land wie der DRK würden alle
Krankheitszeichen als Malaria betrachtet und als solche behandelt, auch wenn es sich
um ganz andere Erkrankungen handele. In der Realität sei es so, dass bei
Kopfschmerzen, Frieren und anderen Erscheinungen eine Malaria - Behandlung in der
Regel unverzüglich eingeleitet werde. Die Ansicht von Prof. Dr. Dietrich überzeugt,
wenn man berücksichtigt, dass es sich bei der Malaria - Erkrankung, wie dargelegt, um
221
eine der am häufigsten vorkommenden und damit "gut bekannten" Erkrankungen in der
DRK handelt. Letztlich liegt es aber auch im Verantwortungsbereich der Rückkehrer bei
einer notwendigen Behandlung darauf hinzuweisen, dass ein Semi - Schutz nicht mehr
vorhanden bzw. noch nicht erworben ist.
Der Senat geht auch davon aus, dass die Kosten für die notwendigen Medikamente zur
Behandlung einer Malaria - Erkrankung,
222
vgl. die Übersicht der verfügbaren Medikamente unter Angabe der Preise im Bericht des
Schweizerischen Bundesamtes, Seite 16; ferner Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland, Kinshasa, Auskunft vom 18. Mai 2001 an den VGH Mannheim,
223
aufgebracht werden können oder bei einer absoluten Mittellosigkeit - insbesondere von
allein stehenden Müttern (vgl. in diesem Zusammenhang ai, Auskunft vom 12. Februar
2001 an das VG München) - von anderen Stellen aus ethischen Gründen zur Verfügung
gestellt werden (s. o.). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch nach der
Einschätzung von Dr. Junghanss selbst in den Fällen, in denen eine Malaria nicht sofort
erkannt wird, der schwere Verlauf der Malaria innerhalb kürzester Zeit zwar eintreten
kann, aber nicht muss, wobei von diesen schweren Erkrankungsfällen ca. jeder vierte
tödlich verläuft.
224
Damit ist keine extreme Gefährdungslage gegeben, bei der für jeden Rückkehrer
angenommen werden muss, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar nach der
Rückkehr in die DRK an Malaria sterben wird.
225
3. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen nicht.
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 50 und 51 Abs.
4 AuslG die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter
anerkannt wird und keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Diese Voraussetzungen sind
erfüllt. Gemäß § 38 Abs. 1 AsylVfG beträgt die Ausreisefrist einen Monat. Im Falle der
Klageerhebung endet die Ausreisefrist einen Monat nach dem unanfechtbaren
Abschluss des Asylverfahrens. Gemäß § 50 Abs. 2 AuslG in Verbindung mit § 34 Abs. 1
Satz 1 AsylVfG soll in der Androhung der Staat bezeichnet werden, in den der
Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden,
dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf
oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Diesen gesetzlichen Regelungen
entspricht der angefochtene Bescheid des Bundesamtes. Die angedrohte Abschiebung
nach Zaire (jetzt Demokratische Republik Kongo) ist rechtmäßig.
226
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige
Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§
708 Nr. 10 und 711 ZPO.
227
Für eine Zulassung der Revision fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen.
228