Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.07.2008

OVG NRW: erlass, anfechtungsklage, geldleistung, kostenbeitrag, klagebegehren, zukunft, rechtsverletzung, verwaltungsverfahren, rechtswidrigkeit, empfehlung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 E 897/08
Datum:
11.07.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 E 897/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 26 K 242/07
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des gerichtskostenfreien
Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde, über die der Senat nach § 33 Abs. 8 Halbsatz 2 RVG durch den
Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht
hat den Gegenstandswert für das erstinstanzliche Verfahren zutreffend festgesetzt.
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Die erfolgte Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im
erstinstanzlichen Verfahren findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 2 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 1,
33 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2, Abs. 9 RVG i. V. m. den hier einschlägigen Regelungen des §
52 Abs. 1 und 3 GKG und des entsprechend anzuwendenden § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Nach § 52 Abs. 1 und 3 GKG ist der Gegenstandswert nach der sich aus dem Antrag
des Klägers im Klageverfahren ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu
bestimmen, wobei die Höhe einer Geldleistung maßgeblich ist, wenn der Antrag eine
bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft. Hierbei ist
in Streitverfahren, deren Gegenstand die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag nach
dem SGB VIII ist, die Regelung des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG entsprechend anzuwenden
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- vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2001 - 5 C 23/97 -, FEVS 53, 110; OVG NRW,
Beschluss vom 31. Oktober 2006 - 12 E 1257/06 -; Bayerischer VGH, Beschluss vom
14. April 2008 - 12 C
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07.3473 -, Juris -,
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weil es auch in solchen, dem Fürsorgerecht zuzuordnenden Streitigkeiten der
Interessenlage entspricht, den sozialen Schutz des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG eingreifen
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zu lassen. Nach dieser Regelung ist bei Ansprüchen auf Erfüllung einer gesetzlichen
Unterhaltspflicht (nur) der für die ersten zwölf Monate nach Einreichung der Klage oder
des Antrags geforderte Betrag maßgeblich, höchstens jedoch der Gesamtbetrag der
geforderten Leistung. Die analoge Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG kann
allerdings entgegen dem (sinngemäßen) Beschwerdevorbringen nicht dazu führen, den
Zwölfmonatszeitraum bei Bescheiden, die auch eine Heranziehung für Zeiten vor ihrem
Erlass regeln, erst mit ihrem Erlass beginnen zu lassen oder die insoweit maßgebliche
Zäsur - dem Wortlaut des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG folgend - mit der Einreichung der
Klage anzusetzen und die in dem Bescheid für Zeiten vor seinem Erlass festgesetzten
Kostenbeiträge oder "die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge" dem so ermittelten
Streitwert in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GKG
hinzuzurechnen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Oktober 2006 - 12 E 1257/06 -, m. w. N.;
Hamburgisches OVG, Beschluss vom 29. August 2001 - 4 So 22/01 -, Juris, m. w. N.
(Anfechtung eines sozialhilferechtlichen Kostenbeitragsbescheides); Hessischer VGH,
Beschluss vom 23. Dezember 1992 - 9 TE 762/92 -, ZfSH/SGB 1994, 138 (Verpflichtung
zur Gewährung laufender Sozialhilfeleistungen); a. A. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli
2001 - 5 C 23/97 -, a. a. O., welches § 17 Abs. 4 GKG - die Vorgängervorschrift des § 42
Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GKG - für Zeiträume vor Einreichung der Klage analog
anwendet, ohne sich mit der bereits seinerzeit streitigen Frage einer entsprechenden
Anwendung dieser Norm (vgl. insoweit die Nachweise im soeben zitierten Beschluss
des Hessischen VGH) auseinanderzusetzen, und ihm - ebenfalls ohne Begründung -
folgend Bayerischer VGH, Beschluss vom 14. April 2008 - 12 C 07.3473 -, a. a. O.; für
die analoge Anwendung des § 17 Abs. 4 GKG (nur) bei Heranziehungszeiträumen, die
vor dem Erlass des Bescheides liegen, OVG NRW, Beschluss vom 7. Juni 2001 - 16 E
181/01 -, Juris.
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Denn insoweit besteht im verwaltungsgerichtlichen Heranziehungsstreit keine dem
Unterhaltsprozess vergleichbare Situation. § 42 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GKG ist - wie
auch § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG - auf die Gegenstandswertbestimmung bei Streitigkeiten
über gesetzliche Unterhaltspflichten zugeschnitten. Das bedeutet, dass in dem Bereich
der unmittelbaren Anwendung beider Vorschriften die auf das gerichtliche Verfahren
bezogene Hauptsacheentscheidung den Leistungstitel und damit der Beginn des
Gerichtsverfahrens die zeitliche Zäsur für die Unterscheidung der regelmäßig
eingeklagten (zukünftig) wiederkehrenden Leistungen einerseits und gegebenenfalls
von etwaigen zusätzlich geltend gemachten, den Streitgegenstand erweiternden
rückständigen (Unterhalts-) Beträgen andererseits bildet. Dem entspricht die Situation
bei der Anfechtung eines jugendhilferechtlichen Heranziehungsbescheides - d. h. im
Rahmen der lediglich entsprechenden Anwendung des § 42 GKG - gerade nicht.
Gegenstand der Anfechtungsklage ist hier nicht etwa die dem Kläger auferlegte
materielle Zahlungsverpflichtung als solche, sondern der diese Verpflichtung regelnde
Heranziehungsbescheid. Dieser Bescheid ist hinsichtlich der gesamten mit ihm
auferlegten Zahlungsverpflichtung und unabhängig davon, ob mit ihm auch
Zahlungsverpflichtungen für Zeiträume vor seinem Erlass begründet werden, der
"eigentliche" Zahlungstitel gegen den Kläger, nicht etwa - wie im zivilrechtlichen
Unterhaltsstreit - die zusprechende Gerichtsentscheidung; die verwaltungsgerichtliche
Anfechtungsklage dient der Prüfung, ob dieser Titel Bestand hat oder aufzuheben ist.
Streitgegenstand ist, wenn die Anfechtungsklage uneingeschränkt erhoben wird, dabei
der behauptete Anspruch des Klägers auf Aufhebung des gesamten Verwaltungsaktes
wegen der behaupteten Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und der daraus
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folgenden Rechtsverletzung des Klägers.
Vgl. etwa Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 121 Rn. 50.
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Bereits die vorstehenden Überlegungen rechtfertigen es, bei der hier im
Heranziehungsstreit nur möglichen analogen Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG
generell die ersten zwölf Monate des in dem Bescheid zugrundegelegten
Heranziehungszeitraumes maßgeblich sein zu lassen, womit zugleich für eine
entsprechende Anwendung des § 42 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GKG kein Raum mehr ist.
Bekräftigt wird dieses Ergebnis durch weitere Überlegungen, die an den Umstand
anknüpfen, dass im verwaltungsgerichtlichen Heranziehungsstreit - anders als im
zivilrechtlichen Unterhaltsstreit - mit Blick auf das vorausgehende Verwaltungsverfahren
regelmäßig Heranziehungszeiträume in Rede stehen werden, die zu einem nicht
unerheblichen Teil vor "Einreichung der Klage" liegen, und dass darüber hinaus
Streitgegenstand nicht selten auch die Heranziehung für Zeiträume vor Bescheiderlass
sein wird. Bei einer erheblichen Dauer des Verwaltungsverfahrens und/oder bei einer
Heranziehung auch zu längeren Zeiträumen vor Bescheiderlass, also bei Vorliegen
solcher Umstände, die der Betroffene regelmäßig nicht beeinflussen kann, würde eine
analoge Anwendung der Hinzurechungsregelung des § 42 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1
GKG dazu führen, den mit der entsprechenden Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG
beabsichtigten sozialen Schutz durch eine nicht unerhebliche Erhöhung des
Gegenstandswertes zu konterkarieren. Außerdem könnte - hielte man die Einreichung
der Klage für die maßgebliche Zäsur - in der Fallgestaltung, in der der
Heranziehungszeitraum vollständig vor dem Zeitpunkt der Einreichung der Klage liegt
und mehr als zwölf Monate umfasst, bei konsequenter (analoger) Anwendung des § 42
GKG dessen Abs. 1 Satz mangels eines für die Zeit nach der Einreichung der Klage
geforderten Betrages nicht eingreifen und wäre deshalb die gewollte Begrenzung des
Gegenstandswertes auf einen Jahresbetrag nicht zu erreichen.
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Die hier vertretene Rechtsauffassung wird im Übrigen auch durch die Empfehlung in
Ziffer 21.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom
7./8. Juli 2004 bestätigt. Denn dort wird ohne Differenzierung nach
Heranziehungszeiträumen und ohne Anwendung der Hinzurechnungsregelung des §
42 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 GKG vorgeschlagen, den Gegenstandswert für die
Heranziehung zur Kostentragung im Kinder- und Jugendhilferecht höchstens mit dem
Jahresbetrag anzusetzen.
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In Anwendung der vorstehend dargelegten Grundsätze hat das Verwaltungsgericht den
Gegenstandswert hier zutreffend mit 2.616,00 Euro festgesetzt. Als monatlichen
Kostenbeitrag hat es seiner Berechnung zu recht einen Betrag i. H. v. 218,00 Euro und
nicht, wie es die Beschwerde für richtig hält, i. H. v. 305,00 Euro zugrundegelegt, weil
der Beklagte dem Widerspruch des Klägers (u. a.) in Bezug auf die Höhe des
monatlichen Kostenbeitrags teilweise stattgegeben und diesen auf 218,00 Euro
vermindert hatte. Der Jahresbetrag (12 x 218,00 Euro = 2.616,00 Euro) war hier deshalb
anzusetzen, weil das Klagebegehren auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide
gerichtet war und deshalb die Erhebung von Kostenbeiträgen für einen Zeitraum zum
Gegenstand hatte, der nach der Regelung im Widerspruchsbescheid am 8. Februar
2006 begonnen hatte und in die Zukunft offen und deshalb größer als ein Jahr war.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 33 Abs. 9 RVG.
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Dieser Beschluss ist gemäß §§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG, 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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