Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 30.08.2001

OVG NRW: erwerbstätigkeit, trennung, differenzmethode, berufliche tätigkeit, einkünfte, rente, surrogat, kinderbetreuung, krankenschwester, auszug

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 1727/98
Datum:
30.08.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 A 1727/98
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 10 K 3826/97
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 30. Dezember
1996 und 24. April 1997 verpflichtet, - unter Berücksichtigung des § 6
VAHRG - die Versorgungsbezüge des Klägers gemäß § 5 Abs. 1
VAHRG nicht aufgrund des Versorgungsausgleichs zu kürzen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor
Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der im Jahre 19.. geborene Kläger stand bis zu seiner Zurruhesetzung mit Ablauf des
31. Dezember 1996 als Beamter im Dienste der Beklagten. Bereits seit Mai 1990 lebten
der Kläger und seine (im Juli 1944 geborene) Ehefrau getrennt. Diese arbeitete seit Juni
1990 wieder in ihrem bis 1970 ausgeübten Beruf als Krankenschwester. Im Jahre 1992
wurde die Ehe geschieden. Gleichzeitig wurden zu Lasten der Pensionsanrechte des
Klägers für seine Ehefrau bei der BfA Rentenanwartschaften begründet (sog.
Versorgungsausgleich). Nach der Scheidung teilte der Kläger der Beklagten auf Anfrage
mit, dass er seiner geschiedenen Ehefrau nicht unterhaltspflichtig sei. Deshalb erhielt er
ab 1. Juli 1992 mit seinen Dienstbezügen lediglich einen Ortszuschlag der Stufe 1.
2
Vor der Zurruhesetzung unterrichtete die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 26.
September 1996 darüber, dass seine Versorgungsbezüge wegen des zugunsten seiner
Ehefrau durchgeführten Versorgungsausgleichs gemäß § 57 BeamtVG um zur Zeit
969,96 DM monatlich zu kürzen seien. Diese Kürzung entfalle nach § 5 Abs. 1 VAHRG,
3
solange die ausgleichsberechtigte Ehefrau aus dem Versorgungsausgleich keine Rente
erhalten könne und gegen den ausgleichsverpflichteten Ehemann einen Anspruch auf
Unterhalt habe.
Daraufhin bat der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 22. November 1996, von einer
Kürzung der Versorgungsbezüge abzusehen, weil seine geschiedene Ehefrau gegen
ihn einen Anspruch auf Unterhalt habe und sie zur Zeit aus dem Versorgungsausgleich
keine Rente erhalten könne. Dem Schreiben war ein von der Ehefrau
mitunterzeichnetes Schreiben vom 21. November 1996 beigefügt, in dem diese angab,
dass sie als geschiedene Ehefrau des Klägers gegen diesen aufgrund eines Vertrages
Anspruch auf Zahlung eines Unterhalts habe. Ferner übersandte der Kläger der
Beklagten im Dezember 1996 einen zwischen ihm und seiner früheren Ehefrau am 4.
Dezember 1996 handschriftlich geschlossenen Vertrag, wonach der Kläger seiner
Ehefrau "ab sofort einen Ehegattenunterhalt (Aufstockungsunterhalt) in Höhe von
monatlich 360,-- DM" zahle.
4
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 30. Dezember 1996 ab,
weil die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Absehen von der Kürzung nicht vorlägen;
der geschiedenen Ehefrau stehe kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch gegen den
Kläger zu. Den von diesem eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch
Widerspruchsbescheid vom 24. April 1997 zurück.
5
Der Kläger hat (rechtzeitig) Klage erhoben und beantragt,
6
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 30. Dezember 1996
und vom 24. April 1997 zu verpflichten, gemäß § 5 Abs. 1 VAHRG seine
Versorgungsbezüge nicht aufgrund des Versorgungsausgleichs zu kürzen.
7
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil, auf dessen
Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, abgewiesen.
8
Die (zugelassene) Berufung hiergegen hat der 12. Senat des erkennenden Gerichts mit
Urteil vom 25. November 1999 zurückgewiesen. Das Gericht hat dabei entscheidend
darauf abgestellt, dass der geschiedenen Ehefrau des Klägers kein
Aufstockungsunterhalt zustehe, weil ihre Berufstätigkeit nicht bereits in der Ehe angelegt
gewesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Urteil auf die zugelassene
Revision des Klägers mit Beschluss vom 20. Juli 2000 - 2 B 12.00 - aufgehoben und die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das erkennende Gericht
zurückverwiesen. Das Gericht habe seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts
verletzt, indem es zugrunde gelegt habe, dass die geschiedene Ehefrau des Klägers
ihre während der Ehe aufgenommene Berufstätigkeit ohne die Trennung der Ehegatten
nicht aufgenommen hätte, ohne dem von dem Kläger hierzu substantiiert angebotenen
Zeugenbeweis nachzugehen.
9
Zur Berufungsbegründung führt der Kläger im Wesentlichen aus: Seine geschiedene
Ehefrau habe in den Jahren 1965 bis 1970 als Krankenschwester gearbeitet. Zwischen
den Eheleuten habe Einigkeit darüber bestanden, dass sie mit Beginn der häuslichen
Unabhängigkeit der am ........ und am ......... geborenen Kinder O. und M. - etwa mit deren
Auszug wegen des Studiums - wieder in das Berufsleben zurückkehren solle. Anfang
März 1990 habe sie sich beim J. - Krankenhaus D. -R. , in dem sie früher tätig gewesen
sei, beworben. Als zum 30. Mai 1990 in der Station, in der sie zuletzt als stellvertretende
10
Stationsschwester gearbeitet habe, eine Stelle frei geworden sei, habe sie die Tätigkeit
dort wieder aufnehmen können. Anläßlich der Scheidung habe er (der Kläger) sich mit
seiner Ehefrau dahin geeinigt, dass er für den Sohn O. monatlich 900,-- DM und für die
Tochter M. monatlich 750,-- DM Unterhalt zahle. 150,-- DM habe seine frühere Ehefrau
M. gewährt. Ferner sei vereinbart worden, dass die Ehefrau im Hinblick darauf, dass er
die höhere Unterhaltslast trage, ihrerseits keinen Unterhaltsanspruch gegen ihn geltend
mache. Die Eheleute seien sich aber einig gewesen, dass der der Ehefrau grundsätzlich
zustehende Aufstockungsunterhalt gezahlt werden solle, wobei anfänglich die Zahlung
an die Ehefrau darin bestanden habe, dass er den vollen Unterhalt für O. beglichen
habe. Nach Wegfall der Unterhaltslast für die Kinder habe der Ehegattenunterhalt
unmittelbar an die geschiedene Ehefrau gezahlt werden sollen. Als O. am 30.
September 1995 sein Studium beendet und keinen weiteren Unterhalt mehr erhalten
habe, habe er, der Kläger, ab 1. Oktober 1995 an seine geschiedene Ehefrau
Aufstockungsunterhalt in Höhe von 360,-- DM monatlich geleistet. Dieser
Aufstockungsunterhalt habe der Ehefrau in Höhe von zunächst 665,01 DM und nach
Wegfall des Unterhalts auch für M. in Höhe von 935,46 DM zugestanden, weil sie 1996
durchschnittliche monatliche Nettoeinkünfte von 2.713,38 DM, er indes solche von
5.015,07 DM gehabt habe. Von diesen beiden Beträgen sei auszugehen. Denn für die
Höhe des Unterhaltsanspruchs sei das Familieneinkommen im Zeitpunkt der Scheidung
(nicht im Zeitpunkt der Trennung) maßgebend. Deshalb sei auch das Einkommen der
Ehefrau zu berücksichtigen. Ihr dadurch erhöhter Unterhaltsanspruch sei nach der sog.
Differenztheorie zu berechnen, wie in der Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht
wiederholt entschieden worden sei. Auf der Grundlage der Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 2001 - XII ZR 343/99 - sei inzwischen die Berechnung
des Aufstockungsunterhalts nicht mehr allein an Hand der während der Ehe erzielten
Einnahmen zu berechnen, sondern auch die Haushaltsführung eines Ehegatten
wertmäßig in Ansatz zu bringen. Es sei regelmäßig die Differenzmethode zur
Berechnung heranzuziehen. Damit komme es für die Frage des Aufstockungsunterhalts
nicht mehr darauf an, ob die Berufstätigkeit, die seine geschiedenen Ehefrau während
der Trennung aufgenommen habe, bereits in der Ehe angelegt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
11
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
12
Die Beklagte beantragt,
13
die Berufung zurückzuweisen.
14
Die Beklagte führt zur Begründung im Wesentlichen Folgendes aus: Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach für die Bemessung des
nachehelichen Unterhalts die ehelichen Lebensverhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung
maßgebend seien, gelte weiterhin, dass Einkünfte eines Ehegatten aus einer zwischen
Trennung und Scheidung aufgenommenen Erwerbstätigkeit sich auf die Höhe des
Unterhalts nur dann auswirkten, wenn die Erwerbstätigkeit auch ohne die Trennung der
Ehegatten aufgenommen worden wäre. Wenn die Ehefrau nach der Trennung bis zur
Scheidung eine berufliche Tätigkeit beginne, zu der es ohne die Trennung nicht
gekommen wäre, so sei allein das Einkommen des Ehemannes das prägende
Familieneinkommen. Im Fall des Klägers sei es so gewesen, dass die geschiedene
Ehefrau die Erwerbstätigkeit allein wegen der Trennung aufgenommen habe und es zu
der Erwerbstätigkeit nicht gekommen wäre, wenn sich die Eheleute nicht getrennt
15
hätten. In seiner Entscheidung vom 13. Juni 2001 - XII ZR 343/99 - sei der
Bundesgerichtshof von dieser Rechtsprechung nicht abgerückt; nur für die Fälle, in
denen die Arbeitsaufnahme erst nach der Scheidung erfolgt oder erweitert worden sei,
habe der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung geändert. Nur in diesen
Fällen sei nunmehr die Anwendung der Differenzmethode für die Unterhaltsberechnung
statt der Anrechnungsmethode vorgesehen. Der Entscheidung habe ein Fall der
nachehezeitlich ausgeweiteten Erwerbstätigkeit zugrunde gelegen. Vorliegend stehe
indes ein Fall einer nach der Trennung aber vor Scheidung aufgenommenen
Erwerbstätigkeit zur Entscheidung. Die Fälle seien nicht vergleichbar. Für diesen Fall
habe der Bundesgerichtshof seine bisher entwickelten Rechtsgrundsätze nicht
geändert. Er habe sie vielmehr in der Entscheidung nochmals erwähnt.
Der Kläger hat mit schriftsätzlicher Erklärung vom 23. August 2001, die Beklagte mit
schriftsätzlicher Erklärung vom 27. August 2001 und der Beteiligte mit schriftsätzlicher
Erklärung vom 26. Mai 1998 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung
verzichtet.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge (8 Hefte) Bezug genommen.
17
Entscheidungsgründe
18
Der Senat entscheidet auf der Grundlage des § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche
Verhandlung, nachdem die Beteiligten sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden
erklärt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
19
Die Berufung des Klägers hat Erfolg.
20
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere den Anforderungen des § 124 a Abs. 3
Sätze 1 und 4 VwGO genügend begründet worden. Sie ist auch begründet.
21
Die zulässige Verpflichtungsklage
22
vgl. zur Klageart auch: OVG NRW, Urteil vom 24. Juni 1998 - 12 A 7406/95 -,
Schütz/Maiwald, BeamtR ES/C III 2 Nr. 35; BW VGH, Beschluss vom 10. Oktober 2000 -
4 S 2659/98 -, Schütz/Maiwald, BeamtR ES/C III 2 Nr. 40,
23
ist begründet.
24
Der Bescheid der Beklagten vom 30. Dezember 1996, mit dem diese den Antrag des
Klägers, seine Versorgungsbezüge auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 VAHRG nicht
wegen des Versorgungsausgleichs gemäß § 57 BeamtVG zu kürzen, und ihr
Widerspruchsbescheid vom 24. April 1997 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25
Der Kläger hat nach § 5 Abs. 1 VAHRG einen Anspruch darauf, dass die Beklagte auf
seinen Antrag (§ 9 Abs. 1 VAHRG) von der nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG aufgrund
des Versorgungsausgleich vorzunehmenden Kürzung seiner Ruhegehaltsbezüge
absieht.
26
Nach § 5 Abs. 1 VAHRG wird die Versorgung des im Versorgungsausgleich
27
Verpflichteten nicht auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt, "solange der
Berechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Rente
erhalten kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat oder
nur deshalb nicht hat, weil der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem
Versorgungsausgleich beruhenden Kürzung seiner Versorgung außerstande ist".
Diese Voraussetzungen liegen für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ab
Zurruhesetzung des Klägers (Januar 1997) vor. Insbesondere hat und hatte die
geschiedene Ehefrau des Klägers, die noch keine Rente bezieht, einen Anspruch auf
Unterhalt i.S.d. § 5 Abs. 1 VAHRG gegen den Kläger. Ihr stand und steht ergänzend zu
ihrem Arbeitseinkommen ein sog. Aufstockungsunterhalt nach 1573 Abs. 2 BGB zu.
28
Aufstockungsunterhalt kann ein unterhaltsberechtigter, im Zeitpunkt der Scheidung
ebenfalls erwerbstätiger Ehegatte beanspruchen, wenn seine eigenen Einkünfte zu dem
ihm zustehenden vollen Unterhalt nicht ausreichen (§ 1573 Abs. 2 BGB). Maß und
Umfang des ihm zustehenden vollen Unterhalts bestimmen sich dabei nach den
ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) im Zeitpunkt der Scheidung.
Diese waren nach früherer Ansicht der zivilgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich
allein durch die Einkommensverhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung geprägt, und zwar
auch in Fällen, in denen nur ein Ehegatte Einkommen erzielte. In der Konsequenz
wurden Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit, die ein Ehegatte erst nach der Scheidung
aufgenommen hatte, bei der Berechnung des Maßes und Umfangs des Unterhalts
regelmäßig - weil die ehelichen Lebensverhältnisse nicht prägend - nicht berücksichtigt,
sondern in vollem Umfang auf den Unterhaltsbetrag angerechnet, der sich allein an
Hand des Einkommens des anderen Ehegatten berechnete (sog.
Anrechnungsmethode). Wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte allerdings seine
Tätigkeit schon während der Ehe aufgenommen hatte, floss sein daraus erzieltes
Einkommen als die ehelichen Lebensverhältnisse prägend (und damit letztlich
unterhaltserhöhend) in die Bedarfsbemessung nach § 1578 BGB ein. Die Berechnung
konnte dann an Hand der sog. Differenzmethode nach einer Quote der Differenz der
beiderseits erzielten (bereinigten) Einkommen bemessen werden. Für den Fall, dass der
unterhaltsberechtigte Ehegatte erst nach der Trennung eine Erwerbstätigkeit aufnahm,
galt es zu differenzieren. Erfolgte die Erwerbsaufnahme allein wegen der Trennung,
wurden Einkünfte hieraus nicht als die ehelichen Lebensverhältnisse prägend bewertet
und bei der Bedarfsbemessung nach § 1578 BGB vernachlässigt. Die sog.
Anrechnungsmethode kam zur Anwendung. Nur wenn die Erwerbstätigkeit als in der
Ehe angelegt galt, d.h. auch ohne die Trennung erfolgt wäre, wurde sie als die
ehelichen Lebensverhältnisse nachhaltig (mit)prägend bewertet und in die
Unterhaltsberechnung unter Anwendung der sog. Differenzmethode einbezogen.
29
Vgl. die Rechtsprechungsübersicht in: BGH, Urteil vom 13. Juni 2001 - XIII ZR 343/99 -,
NJW 2001, 2254 = FamRZ 2001, 986,; BGH, Urteil vom 23. November 1983 - IV b ZR
21/82 -.
30
Daran ist nach der - überzeugenden - Änderung der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs
31
vgl. Urteil vom 13. Juni 2001 XIII ZR 343/99 -, a.a.O.,
32
zum sog. Aufstockungsunterhalt nicht mehr festzuhalten.
33
Der Bundesgerichtshof wendet sich in jener Entscheidung entscheidend von seinen
früheren Überlegungen ab, wonach sich die prägenden ehelichen Lebensverhältnisse,
die nach § 1578 Abs. 1 BGB das Maß und den Umfang des Unterhaltsanspruchs
bestimmen, auch bei sog. Alleinverdienerehen, in denen nur ein Ehepartner berufstätig
ist, nur nach den Einkommensverhältnissen bestimmten und die für die
Lebensverhältnisse ebenfalls prägende Haushaltstätigkeit und Kinderbetreuung
demgegenüber wertmäßig unberücksichtigt blieben. Ohne eine abschließende
Entscheidung zur Frage der Notwendigkeit einer Monetarisierung der Haushaltstätigkeit
zu treffen, gelangt das Gericht auf der Grundlage der dargestellten Kritik der Literatur an
der bisherigen Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass jedenfalls in Fällen, in denen
der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der Scheidung ein Einkommen erzielt oder
erzielen kann, welches gleichsam als Surrogat des wirtschaftlichen Wertes seiner
bisherigen Tätigkeit angesehen werden kann, dieses Einkommen in die
Unterhaltsberechnung nach der sog. Differenzmethode einzubeziehen ist. Es wird
behandelt wie nach der bisherigen Rechtsprechung Einkommen aus einer
Erwerbstätigkeit, die bereits vor der Trennung bzw. vor der Scheidung aufgenommen
und als solche bereits in der Ehe angelegt war.
34
Hierzu heißt es weiter in jener Entscheidung:
35
"Das knüpft an die Überlegung an, dass die während der Ehe erbrachte Familienarbeit
den ehelichen Lebensstandard geprägt und auch wirtschaftlich verbessert hat und als
eine der Erwerbstätigkeit gleichwertige Leistung anzusehen ist, und trägt dem
Grundsatz Rechnung, dass der in dieser Weise von beiden Ehegatten erreichte
Lebensstandard ihnen auch nach der Scheidung zu gleichen Teilen zustehen soll.
36
Nimmt der haushaltsführende Ehegatte nach der Scheidung eine Erwerbstätigkeit auf
oder erweitert er sie über den bisherigen Umfang hinaus, so kann sie als Surrogat für
seine bisherige Familienarbeit angesehen werden. Der Wert seiner
Haushaltsleistungen spiegelt sich dann in dem daraus erzielten oder erzielbaren
Einkommen wider, von Ausnahmen einer ungewöhnlichen, vom Normalverlauf
erheblich abweichenden Karriereentwicklung abgesehen."
37
Kann hiernach sogar eine erst nach der Ehescheidung aufgenommene Erwerbstätigkeit
des unterhaltsberechtigten Ehegatten regelmäßig den Wert von - die ehelichen
Lebensverhältnisse prägenden - Haushaltsleistungen widerspiegeln, ohne dass es auf
die Frage ankommen würde, ob die Erwerbstätigkeit auch ohne die Scheidung
aufgenommen worden wäre, muss dies erst recht auf eine Erwerbstätigkeit zutreffen, die
nach der Trennung aufgenommen worden ist.
38
Hier gelten die Überlegungen zur Bewertung der die ehelichen Lebensverhältnisse
prägenden Haushaltsführung in gleichem Maße wie in Fällen, in denen die
Erwerbstätigkeit erst nach der Scheidung aufgenommen wird. Die unterhaltsrechtlich zu
berücksichtigende Interessenlage, in Fällen, in denen ein unterhaltsberechtigter
Ehegatte erstmals wegen und aufgrund der Trennung eine Erwerbstätigkeit aufnimmt
oder erweitert, entspricht der Interessenlage bei Aufnahme bzw. Erweiterung einer
Erwerbstätigkeit nach der Scheidung. Denn die ehelichen Lebensverhältnisse als
Anknüpfung für Maß und Umfang des Unterhalts gleichen sich in beiden Fällen; sie sind
durch die Erwerbstätigkeit nur eines Ehegatten und die Haushaltsführung bzw.
Kinderbetreuung durch den anderen Ehegatten gekennzeichnet. Diese Vorstellung
einer entsprechenden Interessenlage lag auch der bisherigen Rechtsprechung des
39
Bundesgerichtshofs zur Frage der Berücksichtigung von Einkommen aus einer erst
nach Trennung und aufgrund der Trennung aber vor Scheidung aufgenommenen
Erwerbstätigkeit zugrunde; es kam wie bei einer entsprechenden Arbeitsaufnahme nach
der Ehescheidung allein die sog. Anrechnungsmethode zur Anwendung. Dass der
Bundesgerichtshof von dieser Interessenbewertung abweichen wollte, und die Fälle, in
denen es um eine nichteheprägende Erwerbstätigkeit nach der Trennung geht, einer
anderen Bewertung zuführen wollte als die Fälle, in denen die Erwerbstätigkeit erst
nach der Scheidung aufgenommen worden ist, fehlt jeglicher Anhalt. Eine solche
Bewertung würde auch jeglicher Berechtigung entbehren.
Danach kommt es für die vorliegend entscheidende Frage, ob die geschiedene Ehefrau
des Klägers einen Anspruch auf Unterhalt i.S.d. § 5 Abs. 1 VAHRG gegen den Kläger
hat, nicht mehr entscheidend darauf an, ob sie ihre Erwerbstätigkeit auch ohne die
Trennung und Scheidung vom Kläger aufgenommen hätte. Einer Beweisaufnahme zu
dieser Frage bedarf es nicht (mehr). Die Unterhaltsberechnung kann in jedem Fall nach
der sog. Differenzmethode erfolgen.
40
Der Senat sieht sich durch die Gründe, aus denen das Bundesverwaltungsgericht die in
dieser Sache gefällte Entscheidung des 12. Senats des erkennenden Gerichts vom 25.
November 1999 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückverwiesen hat, nicht gehindert, sich der geänderten
zivilgerichtlichen Auffassung zur Frage des Aufstockungsunterhalts in Fällen
vorliegender Art anzuschließen und damit von der der aufgehobenen Entscheidung
zugrunde gelegten Auffassung abzuweichen.
41
Die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO erfasst nur die entscheidungstragende
Rechtsauffassung des Revisionsgerichts. In diesem Sinne tragend ist bei einer
erfolgreichen Verfahrensrüge, wie in vorliegendem Fall, grundsätzlich nur die Annahme,
dass das Gericht, an das zurückverwiesen wird, die vermisste weitere Aufklärung
vornehmen muss, wenn es weiterhin von der bisherigen Rechtsauffassung ausgeht und
keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eintritt. Eine Bindung an die in
dem aufgehobenen Urteil vertretene seinerzeitige Auffassung selbst besteht
grundsätzlich nicht.
42
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 2000 - 8 B 154/00 -, NVwZ 2000, 1299 = DVBl.
2001, 308.
43
Im Übrigen wäre eine eventuelle Bindung an die in dem Aufhebungsbeschluss zum
Ausdruck gekommene Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dass nämlich
der 12. Senat die weiter aufzuklärenden Frage, ob zwischen den Ehegatten bereits
während der Ehe Einigkeit darüber bestand hat, dass die Ehefrau mit Beginn der
häuslichen Unabhängigkeit oder dem Auszug der beiden 1969 und 1971 geborenen
Kinder in das Berufsleben zurückkehren soll, zutreffend als entscheidungserheblich
erachtet hat, in Ansehung der angeführten Änderung der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zur Frage eines Aufstockungsunterhalts in Fällen vorliegender Art
entfallen. Denn jene Auffassung des Bundesverwaltungserichts beruhte wie die vom 12.
Senat in seiner aufgehobenen Entscheidung vertretene - erkennbar - allein auf der
diesbezüglichen bisherigen zivilgerichtlichen Rechtsprechung, die mit der genannten
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 2001 ihre entscheidende Änderung
erfahren hat.
44
Die Anwendung der danach nunmehr auch in Fällen vorliegender Art zulässigen
Differenzmethode führt ohne Weiteres zur Annahme eines Unterhaltsanspruchs der
geschiedenen Ehefrau des Klägers, der zugleich einen Anspruch des Klägers nach § 5
Abs. 1 VAHRG auf Absehen von der Kürzung seiner Versorgungsbezüge nach § 57
BeamtVG begründet.
45
Das Einkommen der geschiedenen Ehefrau des Klägers aus ihrer Erwerbstätigkeit als
Krankenschwester stellt i.S.d. genannten neueren Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs in jedem Fall ein wertmäßiges Surrogat für die Haushaltsführung
und Kinderbetreuung dar, die die geschiedene Ehefrau des Klägers bis zur Trennung
eheprägend wahrgenommen hat. Anhaltspunkte, die eine andere Bewertung
rechtfertigen würden, wie eine abweichende ungewöhnliche, vom Normalverlauf
erheblich abweichende Karriereentwicklung, sind nicht festzustellen. Die
Erwerbstätigkeit der geschiedenen Ehefrau geht nach Art und Umfang über diejenige
nicht hinaus, die sie vor der Geburt der Kinder aufgegeben hatte.
46
Es lässt sich auch für den gesamten streigegenständlichen Zeitraum ab 1997 zwischen
dem Erwerbseinkommen des Klägers und dem der geschiedenen Ehefrau eine
unterhaltsrechtlich auszugleichende Differenz feststellen. Das regelmäßige
Nettoeinkommen des Klägers belief sich im Januar 1997 nach Abzug eines Betrages
von den Bruttobezügen in Höhe von 969,95 DM wegen des Versorgungsausgleichs auf
3269,35 DM netto und beläuft sich seit Januar 2001 wegen des Versorgungsausgleichs
nach Abzug eines Betrages von den Bruttobezügen in Höhe von 1044,49 DM auf
3402,09 DM.
47
Vgl. zur Berücksichtigung der Einkommensentwicklung nach der Scheidung: Palandt,
BGB, § 1578 Rn. 20 f.
48
Das Einkommen der Ehefrau blieb dahinter zurück. Sie erzielte Ende 1996 monatliche
Einkünfte in Höhe von ca. 2500,00 DM netto und die letzte vorliegende
Vedienstbescheinigung von Dezember 2000 weist einen Nettoverdienst von etwa
2900,00 DM netto aus. Dass der Kläger zur Bereinigung seines Einkommens Beträge in
einer Höhe in Abzug bringen könnte, oder die geschiedene Ehefrau weitergehende
Einkünfte erzielt, mit der Folge, dass sich keine Einkommensdifferenz mehr ergeben
würde, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
49
Nach der sog. Differenzmethode kann die geschiedene Ehefrau des Kläger - wie im
Falle einer sog. Doppelverdienerehe schon bisher üblich - von dem danach
festzustellenden Unterschiedsbetrag einen Teil als Unterhalt beanspruchen.
50
Vgl. hierzu u.a. Düsseldorfer Tabelle, Stand Juli 2001, FamRZ 2001, 806 ff.
51
Weitergehender Feststellungen dazu, auf welche konkrete Höhe der
Unterhaltsanspruch sich während des streitgegenständlichen Zeitraums ab 1997 jeweils
belief, bedarf es nicht.
52
Anknüpfungspunkt des § 5 Abs. 1 VAHRG ist der einen Unterhaltsanspruch
begründende Sachverhalt. Auf die Höhe des Unterhaltsanspruchs selbst kommt es -
anders als etwa im Zusammenhang mit der Frage der Unterhaltsverpflichtung eines
Beamten bei der Einstufung in den Familienzuschlag nach § 40 Abs. 1 Nr. 3 BBesG -,
53
vgl. OVG NRW, Urteil 2. August 2001 - 1 A 5008/99 -,
54
nicht an. Insbesondere muss der Unterhaltsanspruch in seiner Höhe nicht den in Rede
stehenden Kürzungsbetrag erreichen. Ebenso wenig kommt es darauf an, in welcher
Höhe tatsächlich noch Unterhaltsleistungen erfolgen.
55
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. März 1994 - 2 C 4/92 -, ZBR 1994, 248 = DöV 1994, 699 =
NJW-RR 1994, 1219 = Schütz/Maiwald, BeamtR ES/C III 2 Nr. 22.
56
So ist es etwa unerheblich, ob bereits Erfüllung durch eine Abfindungsvereinbarung
eingetreten ist.
57
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juli 1999 - 2 C 25.98 -, BVerwGE 109, 231 = DÖV 1999,
1050 = DokBer. B 1999, 313 = ZBR 2000, 44 = NJW-RR 2000, 145 = IÖD 2000, 45 =
DÖD 2000, 90 = Buchholz 239.2 § 55c SVG Nr. 1 = Schütz/Maiwald, BeamtR ES/C III 2
Nr. 36.
58
Schließlich bleibt noch festzuhalten, dass die Beklagte im Hinblick auf die Gewährung
der ungekürzten Versorgungsbezüge, soweit es um die Zahlung für vergangene
Zeiträume geht, § 6 VAHRG zu berücksichtigen hat. Danach erfolgen Nachzahlungen in
den Fällen des § 5 VAHRG - unbeschadet des Umstands, ob Unterhaltszahlungen
erfolgt sind oder nicht - an den Verpflichteten und an den Berechtigten je zur Hälfte.
59
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juli 1999 - 2 C 25.98 - a.a.O.
60
Hierauf bezieht sich der ergänzende Zusatz im Urteilstenor.
61
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
62
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür (§ 132 Abs. 2
VwGO, § 127 BRRG) nicht vorliegen.
63