Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.11.2004

OVG NRW: sri lanka, politische verfolgung, amnesty international, unhcr, regierung, wahrscheinlichkeit, staatliche verfolgung, gefahr, einreise, inhaftierung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 21 A 580/99.A
19.11.2004
Oberverwaltungsgericht NRW
21. Senat
Urteil
21 A 580/99.A
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 K 4678/96.A
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am 1976 in Valvettithurai geborene Beigeladene ist srilankischer Staatsangehöriger
tamilischer Volkszugehörigkeit. Seinen Angaben zufolge verließ er Sri Lanka am 7. Januar
1996. Über Sofia und Kiew kam er am 4. Februar 1996 mit einem LKW in die
Bundesrepublik Deutschland, wo er am 5. Februar 1996 einen Asylantrag stellte. Bei seiner
Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Bundesamt -
am 7. Februar 1996 machte der Beigeladene im Wesentlichen geltend: Er habe in seinem
Heimatland viele Schwierigkeiten gehabt. Von 1992 bis 1993 habe er für die LTTE Bunker
graben müssen. Am 23. Juni 1993 habe es in seinem Heimatdorf einen Raketenangriff
gegeben, bei dem sein Bruder getötet und er selbst schwer verletzt worden sei. Er sei für
eine Woche im Krankenhaus gewesen. Einige Monate später seien sie nach Kurunager
gezogen. Dort habe ihn die LTTE mehrfach zur Zusammenarbeit aufgefordert. Seine Eltern
hätten nicht gewollt, dass er mit der LTTE zusammen arbeitete, weil sein Bruder dabei
gestorben sei. Sein Onkel sei mit ihm im Juni 1995 nach Colombo gegangen, weil er, der
Beigeladene, mit der LTTE so viele Schwierigkeiten gehabt habe. Ein paar Tage nach
seiner Ankunft in Colombo, am 14. Juni 1995, sei er festgenommen und für ein halbes Jahr
in Colombo inhaftiert worden. Zunächst sei er für zwei Tage auf einer Polizeiwache
festgehalten worden. Anschließend sei er in ein Gefängnis gebracht worden, dessen
Namen er nicht wisse. Er sei das erste Mal in Colombo gewesen und habe sich dort nicht
ausgekannt. Die Polizisten hätten ihn geschlagen, mit Füßen getreten und Zigaretten auf
seiner Haut verbrannt. Er habe zugeben sollen, dass er für die LTTE arbeite. Aufgrund der
großen Narbe, die bei ihm auf der Innenseite des rechten Oberschenkels von einer
Verletzung bei dem Raketenangriff im Jahre 1993 zurückgeblieben sei, hätten die
Polizisten angenommen, dass er für die LTTE gekämpft habe. Er habe auch kleine runde
Narben an der Innenseite des linken Arms, die davon herrührten, dass Polizisten Zigaretten
auf seinem Arm ausgedrückt hätten. Er habe noch weitere Verletzungen von den Schlägen
erlitten. Jedes Mal, wenn die Polizisten Essen gebracht hätten, hätten sie ihn geschlagen.
Davon habe er noch Rückenverletzungen. Auch hätten sie ihn derart mit Stiefeln getreten,
dass seine Zehen am rechten Fuß verletzt worden seien. Außerdem hätten die Polizisten
immer in sein Essen gespuckt. Immer, wenn irgendwo etwas passiert sei, sei er geschlagen
worden. So sei es etwa bei dem Vorfall mit der Raffinerie gewesen. In der Zelle sei er allein
gewesen. Einmal im Monat habe sein Onkel ihn besuchen dürfen. Am 25. Dezember 1995
sei er entlassen worden, nachdem sein Onkel 50.000,-- Rupien Bestechungsgeld gezahlt
habe. Er habe bei seiner Entlassung eine Entlassungsbescheinigung bekommen, die sein
Onkel habe. Er könne nicht nach Sri Lanka zurückkehren; dort werde er Schwierigkeiten
mit der LTTE oder mit der srilankischen Polizei bekommen. Mit Bescheid vom 21. März
1996, dem Kläger zugestellt am 4. April 1996, erkannte das Bundesamt den Beigeladenen
als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
Ausländergesetz (AuslG) vorlägen. Dagegen hat der Kläger am 17. April 1996 Klage
erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 1998 hat der Beigeladene
unter anderem geltend gemacht: Er sei am 14. Juni 1995 nach Colombo gekommen und
dort am 15. Juni 1995 in einer Lodge festgenommen worden. Am 25. Dezember 1995 sei er
gegen Geldzahlung freigelassen worden. Man habe ihn verdächtigt, weil er aufgrund von
Granatangriffen viele Narben und Verletzungen gehabt habe. Während seiner Inhaftierung
sei auch ein Bombenattentat in Colombo passiert und man habe ihn verdächtigt, daran
beteiligt gewesen zu sein. Man habe ihn vor Gericht gestellt; "vom Gericht aus" sei er frei
gelassen worden. Er habe an die Polizei 50.000,-- Rupien zahlen müssen, damit er
überhaupt zum Gericht gebracht worden sei. Die Polizei habe dann die Vorwürfe gegen ihn
zurückgenommen und der Richter habe ihm gesagt, dass er gehen könne. Am 29.
Dezember 1995 sei er von der Polizei erneut verhaftet worden. Er sei freigelassen worden,
nachdem sein Vater der Polizei die Unterlagen über die frühere Festnahme und die
Freilassung vorgezeigt habe. Da er schon immer das Land habe verlassen wollen, habe
sein Vater die Ausreise organisiert. Er habe für den Schlepper 5.000,-- Dollar und für ihn -
wohl den Beigeladenen -, gleichfalls 5.000,-- Dollar bezahlt. Dazu habe sein Vater das
Haus beliehen. Ferner habe sein Onkel, der in Deutschland lebe, finanziell geholfen. Zu
den Umständen "der Haft" erklärte der Beigeladene, er habe einmal täglich etwas zu Essen
bekommen und sei täglich geschlagen worden. Das sei bei jedem Wachwechsel
geschehen. Man habe Zigaretten auf seinem Körper ausgedrückt. In Deutschland habe
man einen Zeh amputieren müssen. Er könne nur kurze Strecken gehen. Ein Herzleiden
habe sich verschlimmert. Er sei hier in ärztlicher Behandlung. Die Verletzung am Fuß sei
dadurch entstanden, dass er barfuß habe laufen müssen und die Polizisten mit den
Schuhen auf den Fuß getreten hätten. Er sei vom 8. bis zum 20. Februar stationär im
Krankenhaus gewesen. Er sei auch deshalb verhaftet worden, weil er wie Prabhakaran aus
Valvettithurai stamme; man habe gesagt, er müsse alles wissen, was dort geschehe. Den
Vorfall bei Gericht und die Verhaftung am 29. Dezember 1995 habe er bei der Anhörung
vor dem Bundesamt nicht angegeben, weil er danach nicht gefragt worden sei und nur auf
Fragen geantwortet habe. Mit Urteil vom 16. Dezember 1998 hat das Verwaltungsgericht
den Bescheid des Bundesamtes vom 21. März 1996 aufgehoben. Auf Antrag des
Beigeladenen hat der Senat mit Beschluss vom 21. Mai 1999, dem Beigeladenen
zugegangen am 31. Mai 1999, hiergegen die Berufung zugelassen. Mit seiner am 2. Juni
1999 begründeten Berufung macht der Beigeladene geltend: Er sei durch die srilankischen
Sicherheitskräfte massiv gefoltert worden und habe aufgrund eines Granatangriffs
erhebliche Verletzungen erlitten. Ihm stehe aufgrund der Folter ein Rechtsanspruch als
Flüchtling gemäß § 51 Abs. 1 AuslG zu. Die Verletzungsfolgen, die er aufweise, seien
Verdachtsmomente für die Teilnahme am bewaffneten Kampf. Bei Rückkehr nach Sri
Lanka müsse er deshalb damit rechnen, erneut inhaftiert, vernommen und misshandelt zu
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werden. Der Beigeladene beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit sich diese auf die
Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bezieht.
Der Kläger und die Beklagte haben sich nicht geäußert.
In der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2004 hat der Senat den Beigeladenen
ergänzend zu seinen Asylgründen befragt. Insoweit wird auf das hierüber angefertigte
Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Die Erkenntnisse und Unterlagen, auf die die
Beteiligten mit Verfügungen vom 9. September 2004 und 8. November 2004 hingewiesen
worden sind (vgl. die dem Urteil beigefügte Erkenntnisliste Sri Lanka ?Stand. 8. November
2004?), sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitgegenstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der
Ausländerbehörde (Beiakten Hefte 1 und 2) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beigeladenen bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat auf die Klage des Klägers den Bescheid des Bundesamtes
vom 21. März 1996 zu Recht aufgehoben.
I. § 51 Abs. 1 AuslG
Gegenstand der Berufung ist allein die vom Beigeladenen begehrte Verpflichtung der
Beklagten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen. Der
Beigeladene hat - in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. AsylVfG) - keinen Anspruch darauf,
dass die Beklagte zu dieser Feststellung verpflichtet wird.
Wegen der für die Beurteilung des Begehrens maßgeblichen Ansatzpunkte und Kriterien
wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502,
1000, 961/86 - (BVerfGE 80, 315) verwiesen. Die dort unter B I für die Asylberechtigung
dargestellten rechtlichen Grundsätze gelten, soweit vorliegend relevant, auch für die
Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
Vgl. zur Deckungsgleichheit von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. = Art. 16 a Abs. 1 GG und §
51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts und
des politischen Charakters der Verfolgung BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9 C
59.91 -, NVwZ 1992, 892, sowie zur Deckungsgleichheit des politischen Charakters bei Art.
16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG und bei Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 Genfer Konvention (GK)
BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, BVerwGE 95, 42 = NVwZ 1994, 497
(498 f.).
Für die Beurteilung, ob der Beigeladene politisch Verfolgter ist, ist nicht darauf abzustellen,
ob er bei Rückkehr in sein Heimatland vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist,
sondern darauf, ob ihm politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht,
denn er ist nicht wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung
ausgereist. Mithin kommen nur Nachfluchttatbestände in Betracht.
Vgl. zu den Maßstäben BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 344, und BVerwG,
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Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367 (369) = NVwZ 1992, 578, m.w.N.;
zur Übereinstimmung der Maßstäbe nach Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG und Art. 1
A Nr. 2 GK in der praktischen Rechtsanwendung vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Oktober
1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500, und vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, a.a.O.
1. Vorverfolgung
Bei der Prüfung und Beurteilung erlittener oder unmittelbar drohender Vorverfolgung ist
entscheidend auf das Vorbringen der Asylbewerber abzustellen. Da sie allein die
bestimmenden Gründe für das Verlassen ihres Herkunftslandes kennen, obliegt es ihnen,
die tatsächliche Grundlage für eine politische Verfolgung selbst in schlüssiger Form
vorzutragen. Dabei haben sie bezüglich der in ihre eigene Sphäre fallenden Umstände,
insbesondere ihrer persönlichen Erlebnisse, unter Angabe genauer Einzelheiten eine in
sich stimmige Sachverhaltsschilderung zu geben; demgegenüber genügt hinsichtlich der
allgemeinen Umstände im Herkunftsland eine Darstellung von Tatsachen, aus denen sich
die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergibt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 1982 - 9 C 74.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr.
42, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr.
212, ferner zur Verfassungsmäßigkeit der Substantiierungslast BVerfG, Beschluss vom 23.
Dezember 1985 - 2 BvR 1063/84 -, NVwZ 1987, 487.
Der Beigeladene hat dem Gericht nach diesen Maßgaben nicht die Überzeugung
vermitteln können, dass er Sri Lanka unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender
politischer Verfolgung verlassen hat.
Dabei kann unerörtert bleiben, ob seine Schilderung der Wahrheit entspricht, soweit sie die
Ereignisse betrifft, die sich in der Zeit vor 1995 zugetragen haben sollen, insbesondere den
Bombenangriff im Jahre 1993 und die Drangsalierungen der LTTE. Diese Geschehnisse
wären weder - wie es erforderlich ist - als kausal für die Ausreise anzusehen noch als
politische Verfolgung zu qualifizieren.
Auch aufgrund des Vorbringens des Beigeladenen zu den - ihn betreffenden -
Geschehnissen, die sich im Jahre 1995 ereignet haben sollen, kann er nicht als politisch
Verfolgter angesehen werden. Die Darstellungen im Verlauf des Verfahrens weichen in
wesentlichen Punkten voneinander ab. Er hat beim Bundesamt, in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem
erkennenden Senat jeweils eine Schilderung abgegeben, die weder mit der einen noch mit
der anderen Darstellung in Übereinstimmung zu bringen ist. Die insoweit festzustellenden
Ungereimtheiten, aber auch der persönliche Eindruck, den der Beigeladene in der
mündlichen Verhandlung gemacht hat, führen dazu, dass nicht angenommen werden kann,
sein Vorbringen zu dem behaupteten Verfolgungsschicksal habe einen realen Hintergrund.
Unterschiedlich sind bereits die Angaben des Beigeladenen zur Zahl seiner angeblichen
Gefangennahmen. So hat er in der Anhörung beim Bundesamt am 7. Februar 1996 von nur
einer Inhaftierung im Zeitraum von Mitte Juni bis zum 25. Dezember 1995 gesprochen, in
der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aber von einer weiteren
Verhaftung am 29. Dezember 1995. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden
Senat hat er schließlich noch eine dritte Verhaftung zumindest als möglich dargestellt, ohne
diese allerdings zeitlich einordnen zu können.
Dabei ist im Weiteren unklar geblieben, ob und bei welcher Gelegenheit der Beigeladene
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vor Gericht hat erscheinen müssen. Darauf hingewiesen, dass er es in der Anhörung vor
dem Bundesamt so dargestellt hat, als sei er mit der Hilfe seines Onkels aus der (ersten
und einzigen) Haft entlassen worden, vor dem Verwaltungsgericht aber so, als habe er
dazu noch vor Gericht erscheinen müssen, hat der Beigeladene in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat zunächst erklärt, er sei bei der zweiten Verhaftung zum Gericht
gebracht worden. Auf Vorhalt der demnach voneinander abweichenden Angaben dazu, wie
er bei der zweiten Festnahme freigekommen ist, hat der Beigeladene zunächst längere Zeit
geschwiegen, dann erklärt, er habe die Frage nicht verstanden, weiter behauptet, ihm falle
es oft schwer bzw. er habe Angst, über diese Dinge zu sprechen, und schließlich um ein
Glas Wasser gebeten. Insgesamt entstand der Eindruck, als sei der Beigeladene
vollständig aus dem Konzept gebracht worden; seine Hilflosigkeit erschien greifbar. Sein
Hinweis darauf, dass es ihm oft schwer falle bzw. dass er Angst habe, über diese Dinge zu
sprechen, stellte ersichtlich eine Ausflucht in bedrängter Situation dar, zumal der
Beigeladene zuvor niemals hatte erkennen lassen, dass es ihm Schwierigkeiten bereitet,
über sein Verfolgungsschicksal zu sprechen. Auf entsprechende Fragen seines
Prozessbevollmächtigten hin hat er es letztlich als möglich bezeichnet, dass er zwischen
der ersten und der zweiten Festnahme bei Gericht habe erscheinen müssen, ohne dass er
aber selbst noch behauptet hätte, dies sicher sagen zu können.
Der Beigeladene hat weiter unterschiedliche Angaben dazu gemacht, wer seine
Freilassung aus der (ersten) Haft bewirkt habe. In der Anhörung beim Bundesamt hat er
insoweit seinen Onkel benannt, der ihn zuvor auch mehrfach besucht haben soll. In der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er den Onkel nicht erwähnt und es statt
dessen so dargestellt, dass sein Vater dafür gesorgt habe, dass er freigelassen worden sei.
Auch die Folterungen, die ihm zugefügt worden sein sollen, hat der Beigeladene nicht
übereinstimmend geschildert. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat
hat er erstmals behauptet, kopfüber aufgehängt worden zu sein. Hätte er eine derartige
erhebliche Misshandlung tatsächlich erleiden müssen, wäre zu erwarten gewesen, dass er
davon bereits zuvor berichtet hätte.
Überdies stimmen seine Angaben zu Zeitpunkt und Anlass der (ersten) Verhaftung nicht
überein. In der Anhörung beim Bundesamt hat der Beigeladene angegeben, er sei "am 14.
Juni, ein paar Tage nach" seiner Ankunft in Colombo verhaftet worden. Demgegenüber hat
er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, am 14. Juni in
Colombo angekommen und schon am 15. Juni verhaftet worden zu sein. Zwar handelt es
sich nur um eine Abweichung von wenigen Tagen. Gleichwohl macht es aber für die
Erinnerung an ein solches einschneidendes Ereignis einen nicht unerheblichen
Unterschied, ob es sich nur einen oder mehrere Tage nach der Ankunft in einer fremden
Großstadt zugetragen hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Geschehnisse, hätten sie
sich tatsächlich zugetragen, bei der Anhörung beim Bundesamt erst rund 7 ½ Monate und
auch bei der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht noch nicht annähernd
so lange wie heute zurückgelegen hätten.
Schwerer noch wiegen die Ungereimtheiten im Vorbringen des Beigeladenen, soweit es
den Zusammenhang seiner Inhaftierung mit dem Anschlag auf die Raffinerie der Petroleum
Corporation angeht. Dieser Anschlag hat sich ausweislich der Auskunft des Auswärtigen
Amtes vom 31. Oktober 1995 tatsächlich am 20. Oktober 1995 ereignet. Damit stand es
zunächst in Einklang, dass der Beigeladene in der Anhörung beim Bundesamt angegeben
hat, aus anderen Gründen festgenommen und in der Haft wegen des Attentats auf die
Petroleum Corporation geschlagen worden zu sein. Er hat dort wörtlich gesagt: "Immer,
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wenn irgendwo etwas passierte, wurde ich geschlagen. Bei dem Vorfall mit der Raffinerie
kamen sie danach und schlugen mich." In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat
er demgegenüber - im Widerspruch dazu und auch zur Auskunftslage - erklärt und auf
Nachfrage ausdrücklich bestätigt, er sei verhaftet worden, weil man ihn verdächtigt habe,
an dem Anschlag auf die Petroleum Corporation beteiligt gewesen zu sein, welcher sich
kurz vor seiner Verhaftung ereignet habe.
Nicht nachvollziehbar ist ferner, warum der Beigeladene sowohl die - insgesamt unklar
gebliebene - Beteiligung eines nicht näher genannten Gerichts bei der Freilassung als
auch die zweite Verhaftung im Dezember 1995 in der Anhörung vor dem Bundesamt nicht
erwähnt hat. Soweit der Beigeladene dies in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht damit zu erklären versucht hat, er sei nicht danach gefragt worden und
habe nur auf Fragen geantwortet, trifft das nach dem Anhörungsprotokoll nicht zu. Der
Beigeladene ist danach abschließend gefragt worden, ob sonstige Hinderungsgründe
bestünden, und weiter, ob das alles sei, was er vorzubringen habe. Auf beide Fragen hat er
geantwortet, die - durchaus bedeutsamen - weiteren Vorfälle aber nicht erwähnt.
Die dargelegten erheblichen Abweichungen in den Darstellungen können allein mit
Erinnerungsschwächen aufgrund des Zeitablaufs nicht erklärt werden. Denn für den
Beigeladenen würden die behaupteten Ereignisse, hätten sie sich tatsächlich zugetragen,
sicherlich zu den einschneidendsten Erfahrungen in seinem Leben zählen. Es ist davon
auszugehen, dass es jemandem, der sich in der vom Beigeladenen behaupteten Situation
befunden hat, jedenfalls im Gedächtnis bleiben würde, ob er nur einmal, zweimal oder gar
dreimal festgenommen worden ist, ob sein Vater oder sein Onkel für seine Freilassung
gesorgt hat und ob er im Zusammenhang mit seiner (welcher?) Freilassung vor Gericht
erscheinen musste.
Schließlich ist es auch nur schwer nachvollziehbar, dass der Beigeladene die
Entlassungsbescheinigung nicht hat vorlegen können, die er bei der Freilassung aus der
(ersten) Haft erhalten haben will, sowie, dass er nicht sagen konnte, wo er festgehalten
worden sein will. Dafür ist es keine hinreichende Erklärung, dass er sich in Colombo nicht
auskannte. Denn schließlich soll ihn sein Onkel mehrfach in der Haft besucht haben; dieser
musste demnach wissen, wo der Beigeladene inhaftiert war. Zudem soll ihm eigens eine
Entlassungsbescheinigung ausgestellt worden sein, aus der der Haftort zu entnehmen
gewesen sein dürfte.
Angesichts dieser Ungereimtheiten und Mängel in der Aussagekonstanz des Beigeladenen
sowie des wenig glaubwürdigen Eindrucks, den er in der mündlichen Verhandlung
vermittelt hat, kann es nicht zur Annahme der Glaubhaftigkeit seiner Angaben führen, dass
der Beigeladene Narben von Verletzungen aufweist und erkennbar gehbehindert ist. Nach
eigenen Angaben ist er im Jahre 1993 bei einem Bombenangriff verletzt worden, was
mindestens einen Teil der Verletzungsfolgen erklärt. Die weiteren Narben mögen teilweise
ihrer Art nach solche sein, wie als Folge von Verletzungen aufgrund von Folterungen
auftreten können. Es ist indessen jedenfalls nicht zwingend, dass sie von Folterungen,
insbesondere nicht von solchen durch die srilankischen Sicherheitskräfte herrühren;
keineswegs ausgeschlossen erscheint es etwa, dass Misshandlungen seitens LTTE-
Angehöriger oder der Schlepper zu den Verletzungen geführt haben.
2. Beachtliche Nachfluchtgründe
Objektive und subjektive Nachfluchtgründe liegen nicht vor.
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Es fehlt an der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer bei der Rückkehr
drohenden Gefahr politischer Verfolgung.
Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsmaßnahme ist anzunehmen, wenn
bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten
Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht
besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 1988 - 9 C 32.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr.
80, vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143 (150, 151) = NVwZ 1988, 538, und
vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 = NVwZ 1992, 582 (584), m.w.N.
Maßgebend ist in dieser Hinsicht letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die
Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen
ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der
Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des
Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den
Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat
auch dann sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50
v.H. für Verfolgungsmaßnahmen gegeben ist.
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit von
Verfolgungsmaßnahmen nicht aus.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - 9 C 60.89 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr.
134, S. 262, insoweit in BVerwGE 87, 52 nicht abgedruckt.
Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben aber die
Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer politischen Verfolgung, wird auch
ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich
nehmen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584, unter Berufung
auf U.S. Supreme Court vom 9. März 1987, zitiert bei Hailbronner, Ausländerrecht,
Kommentar, Stand: Mai 2003, B 1, Art. 16a GG Rdnr. 263, und sinngemäß wiedergegeben
in der UNHCR-Zeitschrift "Flüchtlinge", August 1987, S. 8, 9.
Dabei muss freilich beachtet werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts an die Bejahung einer "beachtlichen" Wahrscheinlichkeit einer
drohenden Verfolgungsmaßnahme höhere Anforderungen zu stellen sind, als sie nach dem
so genannten herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Verneinung einer
"hinreichenden Sicherheit" vor politischer Verfolgung erfüllt sein müssen.
Vgl. einerseits zum Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit u.a. BVerwG, Urteile vom
26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, a.a.O., S. 501, m.w.N., und vom 18. Januar 1994 - 9 C
48.92 -, a.a.O., S. 500, und andererseits zum Maßstab der "hinreichenden Sicherheit" u.a.
BVerwG, Urteile vom 25. September 1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 (171), und vom
26. März 1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175 (178 f.), m.w.N.; Göbel- Zimmermann, in:
Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Stand: Mai 2003, Bd. II, B 1 Art. 16 a GG
Rdnr. 42, m.w.N.
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Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände auch die besondere
Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung
einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe
mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der
Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in
seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich
eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
Nach diesen Grundsätzen droht dem Beigeladenen im Falle der Rückkehr nach Sri Lanka
nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.
Der Senat hat die Situation der Tamilen in Sri Lanka im Zusammenhang mit der Einreise in
ihr Heimatland sowie die sie betreffenden allgemeinen Verhältnisse in Sri Lanka in seinen
rechtskräftigen Urteilen vom 23. November 2001 - 21 A 4018/98.A und 21 A 5185/98.A -
und vom 29. November 2001 - 21 A 3853/99.A - wie folgt bewertet:
"a) Einreise nach Sri Lanka
Die Einreise nach Sri Lanka ist über den internationalen Flughafen nördlich von Colombo
(Bandaranaike-International-Airport) möglich, ohne dass Rückkehrern bei den
regelmäßigen und eingehenden Personenkontrollen, die insbesondere auch wegen der
Besorgnis des Einschleusens von im Ausland für Anschläge ausgebildeten LTTE-Kadern
stattfinden (KK 24.02.1997 S. 2), mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen drohen,
die als politische Verfolgung zu bewerten sind. Allein die Tatsachen des
Auslandsaufenthalts und der Anbringung eines Asylbegehrens im Ausland stellen bei der
Einreise keine Anknüpfungspunkte für Übergriffe der Sicherheitskräfte dar (AA 20.04.2001
S. 4; 24.04.2001; 24.10.2001 S. 27; UNHCR 25.04.1997). Für Rückkehrer, die im Besitz
eines gültigen srilankischen Reisepasses sind, ist die Einreise in aller Regel
unproblematisch (AA 24.10.2001 S. 26).
aa) Identitätskontrollen
Mit einer eingehenderen Überprüfung müssen die Rückkehrer rechnen, die nicht über
einen Reisepass, sondern lediglich über ein von srilankischen Auslandsvertretungen auf
der Grundlage der (Eigen-)Angaben des Betroffenen zum Zwecke der Einreise
ausgestelltes "Identity Certificate Overseas Missions", auch "emergency certificate"
genannt, verfügen (AA 18.04.2000 S. 6 f.; 06.09.2001 S. 4; 24.10.2001 S. 26; amnesty
international - ai - 01.03.1999 S. 3; KK 02.08.2001 S. 3; UNHCR --.07.1998 S. 5).
Angehörige dieses Personenkreises werden regelmäßig sowohl von der srilankischen
Einreisebehörde (Immigration Department) als auch von der Kriminalpolizei (Criminal
Investigation Department - CID) am Flughafen zu Identität, persönlichem Hintergrund und
Reiseziel befragt. Anschließend, und zwar in der Regel nach wenigen Stunden, werden die
Betroffenen vom CID routinemäßig dem örtlich zuständigen Magistrate
(Untersuchungsrichter) in Negombo vorgeführt. Dieser befindet darüber, ob die Rückkehrer
zum Zweck der Personenüberprüfung und/oder zur Abklärung eventueller Strafvorwürfe -
vor allem etwaiger Verstöße gegen die Ein- und Ausreisebestimmungen (Busch
02.11.2000 S. 4) - in Untersuchungshaft genommen werden. In aller Regel ist dies nicht der
Fall, sondern die Betroffenen werden nach ihrer Vorführung gegen Kaution freigelassen
(AA 24.10.2001 S. 26; KK 02.08.2001 S. 3 f.; UNHCR 24.08.2001 S. 3). Bei dieser Kaution
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handelt es sich um eine sog. Surety-bail, d.h. es müssen zwei Personen - in der Praxis sind
es meist Angehörige - bürgen (KK 02.08.2001 S. 3). Die vereinzelte Behauptung, eine
derartige Bürgschaft müsse in jedem Fall von einem Verwandten unterschrieben werden
(Busch 02.11.2001 S. 4), findet in den übrigen dem Senat vorliegenden Auskünften keine
Bestätigung. Sie erscheint vor dem Hintergrund, dass eine Freilassung gegen Kaution die
Regel ist, auch nicht plausibel. Liegen in Fällen der Personenüberprüfung bis zu dem vom
Untersuchungsrichter anberaumten weiteren Gerichtstermin - wie dies ganz überwiegend
der Fall ist - keine Erkenntnisse gegen den Betroffenen vor, wird das Verfahren endgültig
eingestellt (AA 24.10.2001 S. 26; KK 02.08.2001 S. 3; UNHCR 24.08.2001 S. 3).
Diesen allgemeinen Erkenntnissen entspricht es, dass am 15./16. März 2000 bei einer
"Sammelrückführung" von 20 srilankischen Staatsangehörigen (19 Tamilen und einem
Moslem (AA 13.04.2000 S. 1) ) aus Deutschland, von denen nur einer über einen
Reisepass verfügte (AA 18.04.2000 S. 7; 25.05.2000, S. 2), achtzehn der Betroffenen nach
einer Vorführung vor dem Magistrate Court in Negombo noch am Ankunftstag gegen
Kaution auf freien Fuß gesetzt wurden (AA 13.04.2000 S. 1; 25.05.2000 S. 2; KK
10.09.2000 S. 1). Zwei Betroffene wurden auf Antrag der Kriminalpolizei bis zu dem auf den
21. März 2000 anberaumten Gerichtstermin in Untersuchungshaft genommen, weil weitere
Nachforschungen hinsichtlich der Identität und ein Strafregisterabgleich erfolgen mussten
(AA 18.04.2000 S. 7; 25.05.2000 S. 2); sie wurden erst an diesem Tag gegen Kaution
freigelassen (AA 28.04.2000 S. 23; 25.05.2000 S. 2). Ein weiterer Rückgeführter aus der
Gruppe wurde erst am 21. März 2000 für zwei Tage in Untersuchungshaft genommen und
anschließend auf freien Fuß gesetzt (AA 25.05.2000 S. 3; 24.10.2001 S. 27). Die Verfahren
gegen die Abgeschobenen sind zwischenzeitlich eingestellt worden, soweit die
Betroffenen den Gerichtstermin wahrgenommen haben (AA 26.01.2001 S. 7).
An der Feststellung, dass abgelehnte Asylbewerber bei der Rückkehr grundsätzlich keine
gravierenden Probleme haben (CIREA 29.06.2001 S. 6 unter Hinweis auf einen Bericht
des UNHCR-Büros in Colombo) und dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland bei
den Einreisekontrollen in der Regel lediglich mit - jeweils asylunerheblichen - Befragungen
und kurzzeitigen Inhaftierungen rechnen müssen, bestehen auch vor dem Hintergrund des
Anschlages auf den Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden
internationalen Flughafen vom 24. Juli 2001 keine Zweifel. Gezielte Nachforschungen der
Deutschen Botschaft in Colombo haben keine Anhaltspunkte für eine Verschärfung der
Überprüfungspraxis bei der Einreise ergeben (AA 24.10.2001 S. 27); dahin gehende
Vermutungen finden auch in anderen Quellen keinerlei Anhalt.
bb) Längerfristige Inhaftierung zur Identitätsfeststellung
Allerdings ist vereinzelt auch von Fällen berichtet worden, in denen das Festhalten von
Personen im Rahmen der Identitätskontrollen längere Zeit, mitunter mehrere Wochen
dauerte (ai 01.03.1999 S. 3; Wingler 01.04.1999 S. 3). Die Inhaftierung von 192 aus dem
Senegal abgeschobenen Tamilen sowie die Festnahmen zweier weiterer Gruppen von
Rückkehrern, von denen berichtet wurde (KK 20.03.1998; UNHCR --.07.1998 S. 5; ai
01.03.1999 S. 2), betrafen dabei allerdings ersichtlich Sonderfälle, die durch die Tatsache
der Sammelabschiebung in großer Zahl mit erhöhtem Abklärungsbedarf geprägt waren,
sodass es insoweit an einer Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall fehlt und
verallgemeinerungsfähige Schlüsse nicht gezogen werden können. Seit April 1997 sind
ferner auch Fälle der Inhaftierung von Einzelreisenden, darunter von einigen Rückkehrern
aus Deutschland bekannt geworden (UNHCR --.07.1998 S. 5; KK 08.12.1998). Diese
(Einzel-)Fälle lassen jedoch angesichts des Umstandes, dass jährlich mehrere Hundert
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abgelehnte Asylbewerber aus westlichen Ländern über den Flughafen Colombo nach Sri
Lanka abgeschoben werden (AA 19.01.1999 S. 21; 27.05.1999 S. 3; 24.10.2001 S. 5: "400
bis 500 im Jahr"), nicht den Schluss auf eine "Gruppenverfolgung" zu. Denn es mangelt
schon an der beim Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für die Annahme einer
"Gruppenverfolgung" zu fordernden Dichte der Zugriffe bezogen auf die nach erfolglosem
Asylverfahren aus Europa Zurückkehrenden oder einer bestimmten Gruppe unter ihnen.
Abgesehen davon richtet sich auch ein über wenige Tage hinausgehendes Festhalten,
solange es unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, die zur Annahme eines
Überprüfungsbedarfs führten, objektiv dem Zweck der Identitätsabklärung dient, und nicht
mit sonstigen schwer wiegenden Rechtsgutverletzungen verbunden ist, nicht gegen den
Betroffenen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale. Es ist daher nicht als Akt
politischer Verfolgung zu qualifizieren. Dies gilt auch für diejenigen allein mit einem
"emergency certificate" zurückkehrenden und daher einer intensiveren Überprüfung
unterzogenen srilankischen Staatsangehörigen, bei denen die Polizei einer Freilassung
auf Kaution widerspricht - wie dies zunächst bei zwei der am 15./16. März 2000 aus
Deutschland zurückgeführten Tamilen der Fall war (AA 25.05.2000 S. 2) - oder bei denen
eine Freilassung (zunächst) etwa deshalb scheitert, weil sich niemand findet, der für die
Kaution unterschreibt.
cc) Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen die Ausreise-, Einreise- und
Passbestimmungen
In der Vergangenheit ist es in Einzelfällen vorgekommen, dass aus Deutschland
abgeschobene Personen im Zusammenhang mit Ausweisdelikten strafrechtlich verfolgt
wurden; dies war dann der Fall, wenn mit einem "emergency certificate" nach Sri Lanka
zurückkehrende Personen bei der Identitätsüberprüfung am Flughafen durch die
srilankischen Einreisebehörden bzw. die Kriminalpolizei ein Geständnis in Bezug auf die
im Zusammenhang mit der Ausreise erfolgte Fälschung von Ausweispapieren ablegten
oder wenn das in Deutschland sichergestellte gefälschte Reisedokument den
Begleitpapieren zur Abschiebung beigefügt war und so der srilankischen
Einwanderungsbehörde bzw. Kriminalpolizei zur Kenntnis gelangte; strafrechtlich nicht
verfolgt wurden und werden dagegen Bordkartentausch, illegaler Grenzübertritt und andere
illegale Praktiken, die außerhalb des srilankischen Staatsgebietes vielfach mit
"Schleusungen" einhergehen (AA 24.10.2001 S. 28). Da bei Rückkehrern aus Deutschland
die Reisedokumente, mit denen die Ausreise erfolgte, in der Regel nicht mehr vorliegen,
bleiben etwaige bei der Ausreise verwirklichte Passvergehen - schon aus Mangel an
Beweisen - in der Praxis zumeist ohne strafrechtliche Folgen (AA 16.04.1999 S. 3;
24.10.2001 S. 28). Zu Passvergehen bei der Einreise nach Sri Lanka kommt es bei
rückgeführten Asylbewerbern aus Deutschland grundsätzlich schon deshalb nicht, weil
dieser Personenkreis jedenfalls mit Dokumenten der srilankischen Botschaft - dem
"emergency certificate" - ausgestattet ist (UNHCR 24.08.2001 S. 3). Vor diesem
Hintergrund lassen im März sowie Anfang April 2001 in den in Colombo erscheinenden
Tageszeitungen "Virakesari" und "Thinakural" veröffentlichte Berichte, derzeit seien etwa
185 Tamilinnen und Tamilen im Gefängnis von Negombo inhaftiert, die man entweder bei
der Rückkehr aus dem Ausland oder bei der Ausreise wegen angeblich gefälschter Pässe
festgenommen habe (KK 31.07.2001 S. 4; 02.08.2001 S. 5), ebenfalls nicht den Schluss zu,
dass es sich dabei um Rückkehrer aus Deutschland handelt und dass Angehörige dieses
Personenkreises ernsthaft damit rechnen müssen, wegen eines Passdelikts belangt zu
werden. Diese Einschätzung deckt sich mit früheren Berichten, nach denen zwar seit der
Neufassung der srilankischen Einreise-, Ausreise- und Passbestimmungen bereits bis
Februar 1999 über hundert Tamilinnen und Tamilen wegen der Benutzung gefälschter
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Personalpapiere bei der Aus- oder Einreise verhaftet und anschließend verurteilt worden
sein sollen (KK 12.03.1999 S. 3); diese Fälle betrafen aber - wie sich aus konkreten
Zahlenangaben in weiterem Auskunftsmaterial schließen ließ (Schreiben des Forum for
Human Dignity vom 28. April 1999, Anlage zu KK 22.06.1999) - ganz überwiegend
Festnahmen bei der Ausreise.
Unbeschadet dessen sind strafrechtliche Verurteilungen wegen Verstößen gegen die
Einreise-, Ausreise- und Passbestimmungen nicht als politische Verfolgung zu
qualifizieren. Denn die Ahndung dieser Delikte stellt keine Rechtsgutverletzung in
Anknüpfung an asylrelevante Merkmale dar. Die - nicht neu geschaffenen, sondern seit
1998 lediglich in der Strafandrohung verschärften - Straftatbestände (insbesondere Ein-
oder Ausreisen ohne gültigen Reisepass, Nachmachen oder Fälschen von
Reisedokumenten, Besitz oder Benutzung gefälschter oder nachgemachter
Reisedokumente, Besitz oder Beantragung mehrerer Reisedokumente oder unbefugter
Besitz eines Reisedokumentes einer anderen Person) sind zur Kontrolle der Außengrenze
des Staatsgebiets in der Staatenpraxis geläufig und ergeben so keinen Hinweis für eine
politische Verfolgung. Auch gelten sie für alle srilankischen Staatsangehörigen und nicht
nur für tamilische Volkszugehörige (Südasien Büro 14.09.1998 mit Auszügen aus dem
"Immigrants and Emigrants Act"). Soweit unter Bezugnahme auf Auskünfte und
Stellungnahmen eines tamilischen Parlamentsabgeordneten ausgeführt ist, das novellierte
Gesetz treffe insbesondere tamilische Flüchtlinge (KK 12.03.1999 S. 3 und in Südasien
2/99, S. 11, abgedruckt in: Wingler 01.04.1999 S. 9), wird lediglich eine tatsächliche Folge
aufgezeigt, die als solche ohne Aussagegehalt für die Frage der politischen Verfolgung ist.
Selbst wenn in die Bewertung eingestellt wird, dass zu der Strafverschärfung die
Einflussnahme von Staaten beigetragen hat, die einen starken Zustrom vorwiegend
tamilischer Staatsangehöriger Sri Lankas festzustellen hatten, spricht dies nicht dafür, dass
die ihrer Natur nach auf die Aufrechterhaltung eines geordneten internationalen
Reiseverkehrs zielenden Vorschriften objektiv auf Tamilen wegen ihrer Volkszugehörigkeit
gerichtet sind; insofern ist insbesondere ihre Zielrichtung der Bekämpfung der
Schleppertätigkeit von Gewicht. Anlass dafür, eine Gerichtetheit der in der Bestrafung
liegenden Beeinträchtigungen auf die tamilische Volkszugehörigkeit in Betracht zu ziehen,
könnte allenfalls dann bestehen, wenn Verstöße durch Tamilen verfolgt würden, diejenigen
durch Staatsangehörige anderer Volkszugehörigkeit aber ungeahndet blieben, oder wenn
die Möglichkeit, die Verstöße durch ordnungsgemäße Papiere und deren gesetzmäßigen
Gebrauch zu vermeiden, zwar Personen anderer Volkszugehörigkeit eingeräumt, den
Tamilen aber vom srilankischen Staat verwehrt würde. Dafür lässt sich dem in das
Verfahren eingeführten Auskunftsmaterial, das den gegenwärtig möglichen Kenntnisstand
umfassend widerspiegelt, nichts Tragfähiges entnehmen. Im Gegenteil liegen Erkenntnisse
vor, nach denen Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen ebenfalls in relevanter Zahl
von Maßnahmen auf der Grundlage des "Immigrants and Emigrants Act" betroffen sind (KK
08.03.2000, insb. Listen C, D und E; 31.07.2001 S. 1 f.). Die nicht weiter untermauerte
Aussage, dass das "verschärfte Strafmaß in der Regel und Praxis nur auf rückkehrende
(abgeschobene) Tamilen und nicht auf Singhalesen derzeit angewandt" werde (Wingler
01.04.1999), ist daher unzutreffend. Sie wäre im Übrigen aber auch unergiebig, weil die
Verstöße, um deren Ahndung es geht, sich zwangsläufig in der Bevölkerungsgruppe
häufen, die in besonderem Maße ins Ausland drängt (und zurückkehrt). Dem entspricht
auch die schon angesprochene Erklärung eines Abgeordneten, das Gesetz treffe
"insbesondere" Tamilen, und die dazu gegebene Begründung, diese müssten "sich oft
gefälschter Papiere bedienen". Auch die in dieser Begründung enthaltene Aussage zur
Notwendigkeit des Gebrauchs falscher Papiere trägt nicht die Schlussfolgerung auf eine
drohende politische Verfolgung. Denn dafür, dass die in Sri Lanka bestehende
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Ausreisefreiheit nicht auch für Tamilen gilt, spricht nichts (AA 16.04.1999 S. 2). Die
Möglichkeit, sich schnell und problemlos einen Reisepass ausstellen zu lassen, ist Tamilen
in gleicher Weise eröffnet wie srilankischen Staatsangehörigen anderer Volkszugehörigkeit
(AA 06.09.2001 S. 3; 24.10.2001 S. 28). Allerdings mag für sie die Inanspruchnahme dieser
Möglichkeit durch die Bedingungen des dazu erforderlichen Aufenthalts in Colombo
faktisch erschwert sein; da die Situation in Colombo aber - wie unter I.2. b) bb) im
Einzelnen noch dargetan wird - den Aufenthalt insbesondere auch nicht aus Gründen
unzumutbar macht, die auf gegen Tamilen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale
gerichteten Umständen beruhen, kann keine Rede davon sein, Tamilen könnten nicht ohne
Verstoß gegen die Ein- und Ausreisebestimmungen das Land verlassen oder dorthin
zurückkehren. Einer gegenteiligen Einschätzung stünde im Übrigen auch entgegen, dass
nach der Erfahrung, die der Senat in den letzten Jahren in Hunderten von Asylverfahren
srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit gewonnen hat, die
behauptete Ausreise ohne eigenen Pass in aller Regel mit dem bloßen Verweis darauf
erklärt wurde, die Gestaltung der Ausreise habe der Schlepper übernommen, ohne dass in
diesem Zusammenhang auf Probleme bei der Beschaffung des Passes hingewiesen
worden wäre. Ferner stünde einem solchen Schluss die hohe Zahl der in den vom Senat
bearbeiteten Verfahren betroffenen Tamilen entgegen, die nach ihren eigenen Angaben mit
einem gültigen Pass ausgereist sind und bei denen es erst im Zuge und zur Förderung der
Weiterreise sowie der Einreise ins westliche Ausland zu Manipulationen am Pass oder zur
Abgabe des Passes gekommen ist (vgl. dazu auch AA 16.04.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 28).
dd) Gefahr widerrechtlicher Inhaftierung sowie von körperlicher Misshandlung und Folter
Dem Auskunftsmaterial lässt sich weiterhin nicht entnehmen, dass die durch die genannten
Strafvorschriften eröffneten Möglichkeiten eines Zugriffs ohne jeglichen Anhalt und damit
missbräuchlich zu Lasten zurückkehrender Tamilen eingesetzt werden.
Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass Rückkehrern bei Maßnahmen im Rahmen
der Identitätsfeststellung oder in Anwendung der Strafvorschriften des "Immigrants and
Emigrants Act" mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigungen, namentlich Misshandlung und Folter, drohen. Allerdings
enthalten Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten die
allgemeine Einschätzung, dass Folter und körperliche Misshandlungen in Sri Lanka "nach
wie vor weit verbreitet" sind (ai --.06.1999, Länderkurzbericht S. 1, vgl. auch ai 16.01.2001
S. 4; Wingler --.05.2000 S. 1). Nach der Einschätzung von amnesty international müssen
Tamilen, denen die Sicherheitskräfte Beziehungen zur LTTE unterstellen, "aller
Wahrscheinlichkeit nach bei der Ankunft in Colombo mit der Verhaftung und längeren
Inhaftierung" rechnen, wobei die Gefahr von Folter bei längerer Inhaftierung zunehme (ai
01.03.1999 S. 2; vgl. auch KK 04.01.1996 S. 56: Fälle von Folter bei kurzfristiger
Inhaftierung sind nicht bekannt geworden). Auch die in London ansässige "Medical
Foundation for the Care of Victims of Torture" schätzt die Lage abgelehnter Asylbewerber,
die nach Sri Lanka zurückkehren, dahin ein, dass diese mit einer Inhaftierungsdauer von
mehr als zwei Tagen rechnen müssen, falls sie bei ihrer Einreise oder danach von den
srilankischen Sicherheitskräften verdächtigt werden, die LTTE zu unterstützen; in der Haft
bestehe dann für sie das Risiko von körperlicher Misshandlung und Folter (Medical
Foundation --.06.2000, S. 44, 53). Das Auswärtige Amt geht ebenfalls davon aus, dass die
Sicherheitskräfte bei Verhören im Vergleich zu früher zwar deutlich zurückhaltender
agieren, dass aber schwere Gewaltanwendung, wie etwa das Schlagen von Personen als
Methode der Folter, Elektroschocks, Verbrennungen sowie das Überstülpen von mit
Chilipulver oder Benzin gefüllten Plastiktüten über den Kopf "weiter vorkommt" (AA
24.10.2001 S. 21). Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die srilankische Polizei in
Colombo oder an anderen Orten in den südlichen Landesteilen "systematisch", also nach
einem bestimmten "System" oder gar generell Folterungen an verhafteten oder sonst
aufgegriffenen und inhaftierten Tamilen vorgenommen hätte oder weiterhin vornimmt (so
Mertsch, Südasien 4/00 vom 05.07.2000, S. 4), sind diesen Erkenntnisquellen aber nicht zu
entnehmen. Vielmehr lassen sich die Aussagen zur Folterpraxis gemessen am Maßstab
einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei konfliktbezogen inhaftierten Tamilen allenfalls
für Personen erhärten, die von den Sicherheitskräften konkret verdächtigt werden, in
schwer wiegende Gewaltakte der LTTE verwickelt (AA 26.07.2001 S. 2 f.) oder in sonstiger
hervorgehobener Weise in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein. Denn vor allem bei
Inhaftierungen wegen eines konkreten und individualisierten LTTE-Verdachts bzw. bei
Überstellung an Sondereinheiten der srilankischen Polizei zur Terrorismusbekämpfung
kann Folter nicht ausgeschlossen werden (AA 12.07.1995 S. 2, 26.01.2001 S. 3; ai, torture
in custody, --.06.1999 S. 8 f., 01.03.1999 S. 4, 16.01.2001 S. 4; KK 31.07.2001 S. 5; Wingler
--.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --.07.1998 S. 2). Dieser Bewertung entspricht es, dass die
Anwendung von Folter nach Einschätzung einer Menschenrechtsorganisation während
einer sich an eine Festnahme am Flughafen anschließenden Inhaftierung ungewöhnlich ist
(KK 22.06.1999, Anlage Forum for Human Dignity 12.01.1999). Auch das UNHCR-Büro in
Colombo berichtet, dass abgelehnte Asylbewerber bei der Rückkehr keine gravierenden
Probleme haben (CIREA 29.06.2001 S. 6). Die bekannt gewordenen Umstände der
Sammelabschiebung von 20 srilankischen Staatsangehörigen am 15./16. März 2000 aus
Deutschland wecken an der Feststellung, dass tamilische Rückkehrer im Zusammenhang
mit der Einreise grundsätzlich körperliche Misshandlungen von asylerheblicher Intensität
nicht zu befürchten haben, ebenfalls keine durchgreifenden Zweifel. Soweit dazu behauptet
wird, zwei vom 16. bis 21. März 2000 in Untersuchungshaft genommene Rückkehrer, seien
"nachweislich gefoltert worden" (Wingler --.05.2000 S. 4; abweichend bereits Wingler
12.10.2000 S. 5: "sollen misshandelt worden sein"), steht diese Aussage im Widerspruch
zu aktuelleren Erkenntnissen. So weist etwa amnesty international darauf hin, die
Behandlung der Abgeschobenen habe nicht die Intensität von Folter erreicht (ai
18.07.2000). Das Auswärtige Amt berichtet, entgegen einer Meldung der der LTTE nahe
stehenden Nachrichtenagentur "Tamilnet" sei die Deutsche Botschaft nicht auf Folterungen
hingewiesen worden; lediglich ein einziger Betroffener, der bis zum 21. März 2000 inhaftiert
worden sei, habe auf Nachfrage eines Botschaftsangehörigen erklärt, einen Schlag erlitten
zu haben, der "einer Ohrfeige vergleichbar" gewesen sei und keine gesundheitlichen
Folgen oder länger andauernde Schmerzen verursacht habe (AA 25.05.2000 S. 2 f.;
26.01.2001 S. 6 ff.). Auch die Behauptung eines der Zurückgeführten, "ungefähr zehn" der
Abgeschobenen seien Misshandlungen ausgesetzt gewesen, die "weit über eine Ohrfeige
hinausgegangen seien" (KK 10.09.2000 S. 2), hat sich nach den weiteren Recherchen zu
der Sammelrückführung nicht erhärten lassen. Die Aussage steht sowohl zu den bereits
angeführten Angaben des einen Inhaftierten als auch zu den Erklärungen anderer
Rückgeführter im Widerspruch (AA 26.01.2001 S. 7 f.). So soll ein Betroffener am Tag nach
der Rückführung gegenüber Angehörigen der Deutschen Botschaft zwar von dem bereits
erwähnten Schlag berichtet (AA 28.04.2000 S. 24; 25.05.2000 S. 2), im Übrigen aber erklärt
haben, er selbst und die Anderen seien korrekt behandelt worden (AA 25.05.2000 S. 2).
Auch der zweite bis zum 21. März 2000 Inhaftierte und andere zu dem genannten Termin
Abgeschobene sollen auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt haben, von der Polizei korrekt
behandelt worden zu sein (AA 25.05.2000 S. 2 f.). Ein weiterer an diesem Tag
Zurückgekehrter soll gegenüber einem Angehörigen einer niederländischen
Hilfsorganisation ebenfalls erklärt haben, er sei nach seiner Ankunft am Flughafen nicht
geschlagen worden (KK 10.09.2000 S. 4). Angesichts dieser Erklärungen unmittelbar
Betroffener gegenüber Angehörigen der Deutschen Botschaft kann auch der pauschalen
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Erklärung von amnesty international, "die jüngeren Männer der Gruppe soll[t]en allerdings
während ihrer Befragung durch den CID am Flughafen geschlagen worden sein" (ai
18.07.2000), kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden. Dass es sich bei
dem in Rede stehenden Übergriff auf einen der am 15./16. März 2000 Zurückgeführten um
einen nicht verallgemeinerungsfähigen Ausnahmefall gehandelt hat, wird schließlich
dadurch bestätigt, dass weitere Fälle dieser Art - trotz Beobachtung der Rückkehrsituation
durch mehrere westliche Missionen - nicht bekannt geworden sind (AA 26.01.2001 S. 8).
Unter welchen Voraussetzungen eine aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende
Person tamilischer Volkszugehörigkeit - begründet oder unbegründet - bei den dortigen
Sicherheitskräften konkret in den Verdacht einer - nicht nur unbedeutenden - LTTE-
Unterstützung gerät und deshalb damit rechnen muss, nicht nur kurzfristig für ein bis zwei
Tage zur Identifizierung, sondern längerfristig mit der Gefahr schwerer körperlicher
Misshandlung und Folterung inhaftiert zu werden, lässt sich angesichts des vorliegenden
Erkenntnismaterials nur eingeschränkt generalisierend und fallübergreifend beantworten.
Dafür, dass Rückkehrer im Hinblick auf die bei den staatlichen Behörden bekannten
Aktivitäten der LTTE bzw. ihrer Auslandsorganisationen sowie wegen der Besorgnis der
Infiltration (KK 18.03.1998; Wingler 31.05.1998 S. 47) gleichsam automatisch mit der
Unterstützung der LTTE im Aufnahmeland bzw. der Begehung von Terrorismusdelikten in
Zusammenhang gebracht werden und dies zu einem Verfahren nach den Sondergesetzen
zur Terrorismusbekämpfung führt, spricht nichts. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die
LTTE, was den srilankischen Behörden seit längerem (AA 08.01.1999 S. 5; 06.05.1999 S.
2 f.) und nicht erst seit Erscheinen entsprechender Berichte in der deutschen Tagespresse
im Sommer 1999 bekannt ist, ihre im Ausland geführten Organisationen zur politischen
Agitation und zum Sammeln bzw. Eintreiben von Geld bei den dort lebenden Tamilen
einsetzt und so zum großen Teil ihre militärischen und terroristischen Aktivitäten finanziert
(vgl. auch Innenministerium NRW, Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-
Westfalen über das Jahr 2000, S. 244 (246) ). Auch ist anzunehmen, dass die srilankischen
Strafverfolgungsbehörden wegen der Auslandsaktivitäten der LTTE gegenüber tamilischen
Rückkehrern den Verdacht hegen können, die LTTE durch freiwillige oder erzwungene
finanzielle Zuwendungen im Ausland unterstützt zu haben. Ein solcher pauschaler
Verdacht löst aber in der srilankischen Praxis nicht mit der erforderlichen beachtlichen
Wahrscheinlichkeit ein Strafverfolgungsinteresse mit der Folge längerer Inhaftierung im
konkreten Einzelfall aus, sodass der Frage nach dem Charakter der
Strafverfolgungsmaßnahmen als Akte politischer Verfolgung nicht weiter nachzugehen ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft in Colombo bewertet nach den Erkenntnissen des
Auswärtigen Amtes die bloße finanzielle Unterstützung der LTTE durch Exilsrilanker im
Ausland nicht als Verwicklung in terroristische Aktivitäten der LTTE in Sri Lanka, sondern
als einfache exilpolitische Betätigung, die in Sri Lanka nicht strafbar ist (AA 19.01.1999 S.
11; 24.10.2001 S. 20 f.). Diese Aussage findet ihre nachvollziehbare Erklärung und
Bestätigung in der gutachtlichen Stellungnahme des Südasien-Instituts der Universität
Heidelberg vom 22. Juli 1998 zur Einschlägigkeit der Straftatbestände des Prevention of
Terrorism Act (PTA) nur bei Terrorismusaktivitäten im Inland; daher besteht kein greifbarer
Anhaltspunkt, die Aussagekraft und Verwertbarkeit der Aussagen des Auswärtigen Amtes
zur in Rede stehenden Strafverfolgungspraxis in Zweifel zu ziehen. Diese bieten vielmehr
vor dem Hintergrund der Rechtslage in Verbindung mit dem sonstigen umfassenden und
ersichtlich erschöpfenden Auskunftsmaterial eine tragfähige Beurteilungsgrundlage dahin,
dass ein Strafverfolgungsinteresse lediglich bei Personen besteht, die in verantwortlicher
Position in nicht unerheblichem Ausmaß an Aktivitäten im Rahmen der LTTE-
Auslandsorganisationen beteiligt sind; hier wird regelmäßig vermutet, dass es neben den
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Unterstützungshandlungen im Ausland auch zur Beteiligung an terroristischen Aktivitäten
der LTTE im Inland gekommen ist (AA 08.01.1999 S. 6; 19.01.1999 S. 11; 24.10.2001 S.
20). Dementsprechend muss auch bei sonstigen Auslandsaktivitäten für die LTTE und ihre
Frontorganisationen nach der Bedeutung der Unterstützungshandlung unterschieden
werden. So wirkt etwa die Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen und das
Anprangern von Menschenrechtsverletzungen auf Flugblättern regelmäßig ebenso wenig
gefahrerhöhend wie die Teilnahme an Sport- und Kulturveranstaltungen der der LTTE nahe
stehenden Organisationen (AA 20.04.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 21; KK 20.05.1998 S. 3).
Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung u.a. darin, dass es nach Aussagen aus vom
Auswärtigen Amt als seriös eingeschätzten, näher bezeichneten srilankischen
Anwaltskreisen nur sehr wenige Fälle gibt, in denen es zur Anklage wegen im Ausland
entfalteter Tätigkeiten im Zusammenhang mit der LTTE gekommen ist (AA 08.01.1999 S. 6;
19.01.1999 S. 11 nebst Anlage - Anwaltsliste -; 24.10.2001 S. 21). Zudem sprechen
Schwierigkeiten des Nachweises der Tat (vgl. hierzu insbesondere auch den Bericht eines
Betroffenen vom 11.01.1999, Anhang zu KK 12.03.1999) sowie die Überlastung der
Strafjustiz (AA 06.05.1999 S. 4 f.) gegen regelmäßig oder auch nur bei einer Vielzahl von
Rückkehrern eingeleitete Verfahren und damit erst recht gegen eine relevante Gefahr von
Verfolgungsmaßnahmen. Die gegenteilige Einschätzung (KK 08.12.1998, 12.03.1999,
22.06.1999 und 28.07.1999) ist ohne tragfähige Grundlage, zumal inzwischen
übereinstimmend berichtet wird, dass die Sondervorschriften zur Terrorismusbekämpfung
bei Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nur sehr selten angewandt werden (AA
24.10.2001 S. 26) und die Überprüfungen bei der Einreise regelmäßig nach wenigen
Stunden mit der Freilassung - gegebenenfalls gegen Kaution - und letztlich mit der
Verfahrenseinstellung enden (AA 24.10.2001 S. 26; KK 02.08.2001 S. 3; UNHCR
24.08.2001 S. 3).
Sonstige, nicht an Auslandsaktivitäten anknüpfende allgemeine Risikofaktoren dafür, dass
ein Tamile bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen konkreten Verdacht geraten
könnte, in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein, wie etwa Alter, Herkunft, das
Vorhandensein körperlicher Narben und Ähnliches, begründen grundsätzlich ebenfalls
keine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines asylrelevanten Zugriffs im Zusammenhang mit
der Einreise. Insoweit wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu Sicherheitskontrollen
im Großraum Colombo verwiesen. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die
Sicherheitskräfte am Flughafen - über die Verfolgung von Passdelikten und relevanten
Auslandsaktivitäten hinaus - andere Kriterien anlegen als bei Sicherheitskontrollen im
Großraum Colombo.
b) Allgemeine Verhältnisse in Sri Lanka
Auch im Übrigen tragen die Verhältnisse in Sri Lanka nicht die Schlussfolgerung auf eine
der Bevölkerungsgruppe der Tamilen oder einer vorliegend möglicherweise relevanten
Untergruppe der Tamilen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens des srilankischen
Staates drohende (Gruppen-)Verfolgung, und zwar weder für das gesamte Land noch für
einzelne Landesteile.
aa) Keine landesweite unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung
Eine allein ethnisch begründete und diesem Charakter entsprechend landesweite
staatliche (Gruppen-) Verfolgung von Tamilen findet nicht statt (AA 07.07.1995 S. 1;
24.10.2001 S. 11; ai 28.09.1995 S. 3); auch landesweite allein ethnisch bedingte
Repressalien gegen Tamilen von Seiten der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit sind
selbst nach der LTTE zugeschriebenen Attentaten und Anschlägen sowie verlustreichen
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Kämpfen im Norden ausgeblieben (AA 30.08.1996 S. 4; 24.10.2001 S. 17). Die
Beeinträchtigungen, denen sich Tamilen ausgesetzt sehen, stehen im Zusammenhang mit
den Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen srilankischen Kräften und der LTTE.
Entsprechend den unterschiedlichen Ausprägungen dieses bewaffneten, Überfälle und
Terroranschläge auch außerhalb der Kampfgebiete einschließenden Konflikts stellen sich
die Auswirkungen auf die Lage der Tamilen in den verschiedenen Gebieten Sri Lankas
unterschiedlich dar. Im Einzelnen betrachtet ergibt sich dabei für keinen Bereich eine
beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung durch den srilankischen Staat.
bb) Großraum Colombo und sonstige Bereiche des Südens und des Westens Sri Lankas
Im Großraum Colombo und - in geminderter Weise - in den sonstigen Bereichen des
Südens und Westens Sri Lankas drohen Tamilen zwar Beeinträchtigungen. Diese
erreichen aber weithin nicht die Eingriffsintensität, die für eine asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigung erforderlich ist, oder es mangelt ihnen an der notwendigen
Gerichtetheit oder sie sind dem srilankischen Staat nicht zuzurechnen; soweit diese einer
Asylberechtigung entgegenstehenden Gesichtspunkte nicht eingreifen, fehlt es an der
Verfolgungsdichte.
(1) Identitätsfeststellung und Verhaftung
Angehörige der tamilischen Volksgruppe müssen damit rechnen, einer
Identitätsüberprüfung unterzogen und zu diesem Zweck verhaftet zu werden. Im Großraum
Colombo finden routinemäßig und anlassbedingt umfangreiche Kontrollen und groß
angelegte Razzien statt, die zu Inhaftierungen und Verhören von Personen führen, die sich
nicht ausweisen oder keine zufrieden stellende Erklärung über den Zweck ihres
Aufenthalts geben können (AA 16.01.1996 S. 7; 11.03.2001 S. 10; 24.10.2001 S. 12; KK
22.02.1997 S. 4; Wingler 08.10.1997 S. 31). Von diesen Maßnahmen - die vor allem im
Zusammenhang mit den wiederholten Bombenattentaten zu sehen sind, zu denen es seit
dem Ende der seinerzeitigen Friedensgespräche zwischen der Regierung und der LTTE
und dem Wiederausbruch der offenen Kriegshandlungen im Norden Sri Lankas seit April
1995 immer wieder kommt - sind in erster Linie jüngere Tamilen beiderlei Geschlechts im
Alter zwischen etwa 15 bis 40 Jahren, aber auch Tamilen anderer Altersgruppen betroffen
(AA 24.10.2001 S. 12; ai --.06.1999, Länderkurzbericht, S. 3; KK 04.01.1996 S. 54;
Südasien 1/00; Wingler --.05.2000 S. 1). Schätzungen über die Anzahl der von
anlassbezogenen Massenverhaftungen Betroffenen belaufen sich - bezogen auf kurze
Zeiträume - schon bei einzelnen Vorkommnissen auf mehrere Hundert oder gar tausende
Personen (AA 05.06.2000 S. 16; KK 04.01.1996 S. 55; 13.05.1996 S. 3; 20.03.1998 S. 2 ff.;
Wingler 31.05.1998 S. 27, 33). So haben auch in jüngerer Zeit verschiedene der LTTE
zugerechnete Anschläge (u.a. Bombenattentat auf Staatspräsidentin Kumaratunga und
Bombenanschlag bei einer Wahlveranstaltung einer Oppositionspartei am 18. Dezember
1999 mit zusammen über 30 Toten; Bombenanschlag in der Nähe des Amtssitzes der
Premierministerin am 5. Januar 2000 mit 11 Toten; Bombenanschlag in der Nähe des
Parlaments im März 2000) zu verstärkten Personenüberprüfungen und Razzien geführt, in
deren Verlauf mehrere Tausend Tamilinnen und Tamilen festgenommen wurden (AA
18.04.2000 S. 2: etwa 3.000 Personen in den vergangenen Monaten; AA 24.10.2001 S. 12;
KK 29.02.2000 S. 3 f.: schätzungsweise bis zu 10.000 Personen allein im Januar bis Mitte
Februar 2000; ferner ai 23.02.2000 (ASA 37-99.134) S. 4). Aktuell hat sich die Lage in
Colombo ab der zweiten Jahreshälfte 2000 eher entspannt. Die Anzahl der
Überprüfungsmaßnahmen ist im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 2000 zurückgegangen.
Der Bombenanschlag vor dem Rathaus von Colombo im Oktober 2000 hat keine
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Massenverhaftungswelle oder Razzien gegen Tamilen ausgelöst (AA 26.01.2001 S. 7;
Wingler --.04.2001 S. 3 f.). Auch nach dem Anschlag auf den Luftwaffenstützpunkt
Katunayake und den angrenzenden internationalen Flughafen am 24. Juli 2001 ist es zu
einer weit geringeren Anzahl kurzfristiger Festnahmen gekommen als bei vergleichbar
schweren Anschlägen auf Einrichtungen bzw. Personen in Colombo in der Vergangenheit
(AA 24.10.2001 S. 6, 12 und 24).
Den vorbezeichneten Maßnahmen fehlt es an der erforderlichen Eingriffsintensität von
Akten der politischen Verfolgung, und zwar auch dann noch, wenn sie - wie in der weit
überwiegenden Zahl - in kurzzeitige Inhaftierungen münden und es dabei zu keinen
anderweitigen asylerheblichen Rechtsgutverletzungen kommt. Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung sind herkömmlicher und üblicher Bestandteil der präventiven und
repressiven Tätigkeit staatlicher Sicherheitskräfte im Rahmen der Kriminalitäts- und
Terrorismusbekämpfung. Sofern eine sofortige Identifizierung nicht möglich ist, sind auch
kurzfristige Festnahmen zu diesem Zweck in der Staatenpraxis geläufig, sodass in solchem
Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit der die politische
Verfolgung ausmachende Charakter einer Ausgrenzung des Betroffenen aus der
staatlichen Friedensordnung fehlt. Ab welcher Dauer kurzfristige Inhaftierungen zum
Zwecke der Identitätsfeststellung eine asylrechtsrelevante Intensität erreichen, hängt
maßgeblich von den im betrachteten Staat herrschenden Verhältnissen ab, insbesondere
von der Verwaltungsstruktur, den vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten und der
jeweiligen Sicherheitslage. In einem Land wie Sri Lanka, in dem in Teilen Bürgerkrieg
herrscht und die Sicherheitskräfte im Übrigen landesweit, insbesondere im hier
betrachteten Landesteil mit einer Vielzahl gemeingefährlicher Terroranschläge konfrontiert
sind, ist Inhaftierungen mit einer überschaubaren Dauer von jedenfalls nicht mehr als zwei
Tagen ohne zusätzliche Rechtsgutverletzungen eine die Ausgrenzung aus der staatlichen
Friedensordnung bewirkende Intensität und Schwere abzusprechen. Dem Aspekt der
Mehrfachverhaftungen derselben Personen (KK 20.03.1996 S. 5; Wingler 08.10.1997 S. 32;
ai 16.01.2001 S. 6; European Union, The Council - EU - 25.06.2001 S. 32) kommt, da
nichts dafür ersichtlich ist, dass sie gezielt erfolgen, keine den jeweiligen Eingriff prägende
Bedeutung zu. Insofern ist auch nicht ersichtlich, dass die Dauer der Inhaftierungen in einer
nennenswerten Zahl von Fällen über das für die Identitätsfeststellungen (jeweils)
Erforderliche hinausgeht oder in ihrer Summe ein solches Ausmaß erreicht, dass
gleichwohl ein "Umschlagen" in asylerhebliche Verfolgung festzustellen ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, BVerwGE 111, 334 (337) = NVwZ
2000, 1426 (1427).
(2) Inhaftierung länger als zwei Tage
Auch die Fälle, in denen die Inhaftierung länger als zwei Tage andauert, tragen nicht den
Schluss, dass die Bevölkerungsgruppe der Tamilen insgesamt oder eine vorliegend
relevante Untergruppe davon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung
ausgesetzt ist. In den Auskünften wird die Größenordnung dieser Fälle seit Jahren im
Wesentlichen auf bis zu etwa 10 v.H. geschätzt (bis zu 10 v.H. länger als 1 oder 2 Tage, 1
v.H. länger als 1 Woche AA 03.03.1994 S. 2, 30.05.1997 S. 2, 27.07.2000 an VG Neustadt
S. 3; 11.03.2001 S. 10 und 24.10.2001 S. 12; 10 v.H. KK 04.01.1996 S. 56, 62 f., 75;
13.05.1996 S. 3 und 14.10.1996 S. 3; 10 bis 20 v.H. Wingler --.05.1995 S. 23; weniger als
20 v.H. ai --.06.1999, torture in custody, S. 9), zum Teil aber auch niedriger (5 v.H.
Schweizerische Flüchtlingshilfe --.04.1994 S. 10, 4 v.H. Wingler 08.10.1997 S. 32 bzw.
über 100 von 5.000 Wingler 31.05.1998 S. 27, 28). Dem steht die Mitteilung von amnesty
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international, der überwiegende Teil von 1.500 am 6./7. Januar 2000 in Colombo
Verhafteten sei nach einer Meldung der "NZZ vom 10.02.2000" am 28. Januar 2000 wieder
auf freien Fuß gesetzt worden (ai 16.01.2001 S. 1), nicht entgegen. Hierbei handelt es sich
um eine Fehlmeldung von amnesty international. Die Aussage bezieht sich als
Referenzquelle ersichtlich auf den Bericht der benannten NZZ vom 10. Januar 2000, dem
zu entnehmen ist, dass die srilankische Polizei von den 1.500 Verhafteten mindestens 329
Personen noch am Tag der Festnahme und mehr als 1.200 Personen am nächsten Tag,
dem 8. Januar 2000, auf freien Fuß gesetzt hat. Bei den Maßnahmen Ende Dezember
1999/Anfang des Jahres 2000 sollen über 98 v.H. der mit auf die Wache genommenen
Personen innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt worden
sein (AA 18.04.2000 S. 2).
Von den etwa 10 v.H. der insgesamt über zwei Tage hinaus Festgehaltenen bleiben etwa
die Hälfte länger als drei Tage in Haft (KK 04.01.1996 S. 75), über eine Woche hinaus etwa
jeder Zehnte (AA 10.03.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 12). Auch wenn bei groß angelegten
Sicherheitsüberprüfungen mitunter Tausende festgenommen und hiervon jeweils Hunderte
länger als zwei Tage fest gehalten werden, kann nach der absoluten, gemäß den
Auskünften durchgängig jedenfalls nicht über 2.000 hinausgehenden Gesamtzahl der
Inhaftierten die Haftdauer in einer beträchtlichen Zahl von Fällen die Zeit von zwei Tagen
jedenfalls nicht wesentlich überschreiten.
Die Anzahl der wegen Verdachts auf LTTE-Verbindungen nach den Sondergesetzen zur
Terrorismusbekämpfung für längere Zeit in Haft Befindlichen wird für Ende 1995 mit
landesweit zwischen 400 bis 500 Personen und im Großraum Colombo mit 225 Personen
angegeben (AA 16.01.1996 S. 8; KK 04.01.1996 S. 66). Nach dem Bericht einer
Menschenrechtsorganisation sollen landesweit ständig zwischen 1.000 und 1.500
tamilische Volkszugehörige inhaftiert sein, ohne dass diese Aussage auf längerfristige
Inhaftierungen beschränkt ist (KK 14.10.1996 S. 3, 24.02.1997 S. 3). In neuerer Zeit wird
die Zahl allein für den Süden bzw. den Bereich Colombo mit weit über oder etwa 1.000
(Wingler 08.10.1997 S. 41, 30.01.1998 S. 12, 30.09.1998 S. 6) bzw. über 2.000 (Wingler
12.12.1997 S. 1) angegeben und landesweit auf bis zu 2.000 (AA 21.08.1997 S. 2;
24.10.2001 S. 24; Wingler --.05.2000 S. 3; Busch 02.11.2000 S. 6, US State Department --
.02.2001 S. 8; ai 08.03.2001 S. 2 unter Hinweis auf US State Department --.02.2001)
geschätzt.
Für die Frage, ob dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung
droht, haben diese Zahlenangaben allein keinen Aussagewert. Es greift zu kurz, von einer
zwei Tage überschreitenden Dauer einer Inhaftierung, der keine im Einzelfall bestehenden
konkreten Anhaltspunkte für den Verdacht der Beteiligung an oder des Wissens um
terroristische Aktivitäten zu Grunde liegen, auf den Charakter als politische Verfolgung zu
schließen. Ob eine an asylerhebliche Merkmale anknüpfende, zielgerichtete Verfolgung
vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist vielmehr anhand
des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu
bestimmen. Dafür, dass dies bei den hier in Rede stehenden Inhaftierungen in
maßgeblichem Umfang der Fall ist, fehlt es an ausreichendem Anhalt. In allen
angesprochenen Stellungnahmen wird ein Zusammenhang der Verhaftungsaktionen im
Großraum Colombo mit den terroristischen Aktivitäten der LTTE im Süden und Westen
hergestellt. Die Verhaftungsaktionen sind in jedenfalls prägender Weise objektiv darauf
gerichtet, die Infiltration von LTTE-Terroristen aus dem Norden und Osten des Landes
abzuwehren. Insofern wird auf die für die Sicherheitskräfte entscheidenden Kriterien für die
Freilassung wie etwa den Besitz von Papieren zum Identitätsnachweis, einen langjährigen
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Wohnsitz am Ort der Kontrolle, eine gesicherte familiäre und wirtschaftliche Existenz, eine
feste Arbeitsstelle oder einen sonstigen plausiblen Grund für den Aufenthalt verwiesen (AA
16.01.1996 S. 8 f.; 24.10.2001 S. 12; ai 23.02.2000 (ASA 37-99.134> S. 4; EU 02.04.1997
S. 10; KK 02.09.1997 S. 1); auch führt im Normalfall eine Unbedenklichkeitsbescheinigung,
die die Polizei bei den Sicherheitsbehörden einholt, zu einer schnellen Haftentlassung (KK
04.01.1996 S. 68). Selbst Inhaftierungen von mehr als einer Woche, die srilankische
Menschenrechtsorganisationen "bei einer substantiellen Anzahl von Personen" feststellen,
werden außer auf den Aspekt der Erwartung von Bestechungsgeld auf die Überprüfungen
und deren schleppende Durchführung bei Einschaltung verschiedener Sicherheitsstellen
zurückgeführt (Südasien 6/97 S. 8). Schließlich weist auch der Umstand, dass der weit
überwiegende Anteil der zunächst Festgenommenen alsbald wieder freigelassen wird, auf
eine über die Tatsache der Zugehörigkeit zur Gruppe der Tamilen - auch eines bestimmten
Alters und Geschlechts - hinausgehende Prüfung anhand zusätzlicher Kriterien und damit
darauf hin, dass der Grund einer Fahndung nach LTTE-Angehörigen für die Verhaftungen
nicht lediglich vorgeschoben ist. Die erörterten Maßnahmen betreffen zwar gerade und
nahezu ausschließlich Tamilen, sie bezwecken aber nicht die Schlechterstellung dieser
Volksgruppe als solche, sondern dienen der Abklärung von LTTE-Verbindungen und der
Verhinderung weiterer Straftaten. Dass der staatliche Zugriff zwangsläufig Tamilen trifft, ist
rein faktischer Natur ohne Aussagegehalt für die objektive Gerichtetheit im Sinne der
politischen Verfolgung.
Bei der Beurteilung, welche Umstände als hinreichend anzusehen sind, um über die Dauer
von zwei Tagen hinausgehende Inhaftierungen von tamilischen Volkszugehörigen wegen
fehlender Gerichtetheit der Maßnahmen auf asylerhebliche Merkmale aus dem Bereich der
politischen Verfolgung auszuklammern, ist darüber hinaus die Intensität der
abzuwendenden Gefahr maßgeblich einzustellen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die
Terroranschläge, die von der LTTE verübt oder ihr zugerechnet werden, darauf angelegt
sind, unter Inkaufnahme einer Vielzahl unbeteiligter Opfer und erheblicher Sachschäden
die Sicherheitslage nachhaltig zu erschüttern, für anderweitige Erfolge der Sicherheitskräfte
im Kampf gegen die LTTE Rache zu nehmen und Sicherheitskräfte außerhalb des
eigentlichen Kampfgebietes zu binden. Dies gilt beispielsweise für die Anschläge auf
Treibstofflager im Oktober 1995, auf die Zentralbank im Januar 1996, auf einen Vorortzug
im Juli 1996, auf das Handelszentrum im Oktober 1997 und auf den Zahntempel in Kandy
im Januar 1998 (AA 24.10.2001 S. 6) sowie für folgenschwere Explosionen in der Nähe
des Hauptquartiers der Luftwaffe im Februar 1998 und eines Bahnhofs im März 1998
(Wingler 31.05.1998 S. 39), ferner für die bereits oben angesprochenen Bombenanschläge
in den Jahren 1999 bis 2001, insbesondere den Anschlag auf den Luftwaffenstützpunkt
Katunayake und den angrenzenden internationalen Flughafen am 24. Juli 2001 sowie
zuletzt den Anschlag auf den srilankischen Premierminister am 29. Oktober 2001 (SZ vom
30.10.2001). Der Druck auf die staatlichen Stellen, dem zu begegnen, ist nicht zuletzt
deshalb ganz erheblich, weil bei einer Destabilisierung zu besorgen ist, dass es über die
unmittelbare Rechtsgutbeeinträchtigung hinaus erneut zu ausgreifenden Unruhen und
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen kommt. Die Ausführung der Anschläge
durch Selbstmordkommandos oder entsprechende Einzeltäter, zumindest durch Täter, die
ihr Leben zu riskieren bereit sind, zwingt dazu, dem möglichen Umfeld des Täterkreises,
der - wie die Ziele der Anschläge, die Durchführung und das verwendete Material zeigen -
der Vorbereitung und Unterstützung bedarf, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die
Spannweite möglicher Ziele der Terroranschläge lässt vorbeugende Maßnahmen dabei
generell als schwierig erscheinen. Dieses hohe und schwer einzudämmende
Gefahrenpotential sowie die nicht zuletzt durch den Bürgerkrieg in Teilen des Landes und
die Fluktuation der Bevölkerung bedingten Schwierigkeiten schon bei der Abklärung der
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Identität Festgenommener sind geeignet, auch Inhaftierungen von mehr als zwei Tagen
wegen mangelnder Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale den Charakter einer
politischen Verfolgung zu nehmen, wenn und solange die Identität des Betroffenen nicht
geklärt ist und/oder Zweifel an den Gründen für den Aufenthalt im Großraum Colombo
vorliegen. Anderes kann dann gelten, wenn die staatlichen Aufklärungsmaßnahmen zur
Terrorismusbekämpfung, die ohne konkrete Verdachtsmomente zunächst lediglich an
asylerhebliche Merkmale wie etwa die Volkszugehörigkeit anknüpfen, über das
angemessene Maß hinausgehen. Insbesondere bei einer übermäßig langen
Freiheitsentziehung kann dies anzunehmen sein. In diesem Fall spricht eine Vermutung
dafür, dass sie nicht nur der Terrorismusabwehr dienen, sondern den Einzelnen zumindest
auch wegen seiner asylrechtlichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung
darstellen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, a.a.O. S. 341.
Anhaltspunkte dafür, dass es dazu - über Einzelfälle hinaus - kommt, lassen sich aus dem
bereits gewürdigten Zahlenmaterial nicht gewinnen. Ergänzend wird auf die nachfolgenden
Ausführungen zu (4) verwiesen.
(3) Bestechungsgeld
Die Inhaftierungen erlangen den Charakter der politischen Verfolgung auch nicht dadurch,
dass - wie es verbreitet geschieht - Festnahme und Verzögerung der Freilassung erfolgen,
um Lösegeld zu erpressen (KK 04.01.1996 S. 56, 14.10.1996 S. 4, 12.03.1999 S. 5;
Wingler 01.11.1995 S. 10 - danach geschieht dies "fast schon routinemäßig" -, Wingler
08.10.1997 S. 33) oder das Angebot von Bestechungsgeld abzuwarten (Südasien 6/97 S.
8); soweit es sich dabei nicht von vornherein um Übergriffe ohne asylerheblichen Charakter
handelt -
vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1997 - 9 B 882.97 -, S. 3 -,
fehlt es, da nur Gelegenheiten ausgenutzt werden, an der erforderlichen Gerichtetheit des
kriminellen Tuns.
(4) Misshandlungen während der Inhaftierung und widerrechtliche Langzeitinhaftierung
Dass es bei den Inhaftierungen über den Freiheitsentzug - unter den in Sri Lanka dabei
gegebenen Verhältnissen (AA 24.10.2001 S. 25; KK 28.03.2000 S. 5 f.; 31.07.2001 S. 7;
02.08.2001 S. 6) - hinaus allgemein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Maßnahmen
kommt, die den Schluss auf eine gezielte Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale begründen, lässt sich dem vorliegenden Auskunftsmaterial, das
alles an Informationen aufgegriffen hat, was zur Verfügung stand oder beschafft werden
konnte, nicht entnehmen. Fälle von Folter bei kurzfristig, insbesondere zur
Identitätsabklärung Verhafteten werden nur vereinzelt berichtet (ai --.06.1999, torture in
custody, S. 9; 01.03.1999 S. 4). Die Gefahr von Folter nimmt jedoch bei längeren
Inhaftierungen zu (ai 01.03.1999 S. 2); vor allem bei Inhaftierungen wegen eines konkreten
und individualisierten LTTE-Verdachts muss mit Folter gerechnet werden (AA 12.07.1995
S. 2: "besonders gelagerte Einzelfälle"; 24.10.2001 S. 21: "schwer wiegende Verstöße
kommen aber weiter vor"; 27.07.2000 an VG Arnsberg S. 2 f.; ai --.06.1999, torture in
custody, S. 8 f.; 01.03.1999 S. 4; KK 20.03.1996 S. 9; 22.06.1999, Anlage Forum for Human
Dignity 12.01.1999; Wingler 11.10.1995 S. 2; 08.10.1997 S. 33; 30.09.1998 S. 3, 4;
27.05.1999 S. 3 f.: "immer noch" bzw. "weiterhin" sowie --.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --
90
.07.1998 S. 2: Fälle von Folter geben Anlass zu großer Besorgnis). Insoweit sind
Misshandlung und Folter vor allem bei Verhören durch die Spezialeinheiten zur
Terrorismusbekämpfung (u.a. 4. und 6. Stock des CID Headquarters, die Special Police
Branch [früher: Security Coordinating Division] und das Terror Investigation Department) zu
besorgen. Diesen Einheiten werden regelmäßig führende LTTE-Kader oder sonstige
LTTE- Aktivisten überstellt, gegen die konkrete Verdachtsmomente hinsichtlich der
Beteiligung an Terroranschlägen bestehen (AA 27.07.2000 an VG Neustadt S. 4;
15.03.2001 S. 3; 24.10.2001 S. 11 und 24; KK 31.07.2001 S. 5). Im Übrigen kommen
Berichte über Fälle von Folter und Tod in Haft zumeist aus den nördlichen und östlichen
Gebieten, in denen Auseinandersetzungen mit der LTTE stattfinden (Wingler 12.10.2000 S.
1; --.04.2001 S. 1 ff.; KK 28.03.2000).
Insgesamt ist in den letzten Jahren gegenüber der früheren Praxis der Sicherheitskräfte
eine Verringerung der Gefahr von Verhören unter Folter festzustellen (AA 24.10.2001 S.
21). Das ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Regierung
Kontrollmechanismen gegenüber den weit gehenden Befugnissen der Sicherheitskräfte
geschaffen hat (UNHCR 25.04.1997 S. 3). Das Problem der Folter wird - anders als früher
(dazu AA 23.06.1992 S. 8 f.; 12.01.1993 S. 1) - nach der Umsetzung der Konvention gegen
Folter in nationales Recht seit 1994 angegangen. Sie kann mit erheblicher Gefängnis- und
Geldstrafe geahndet werden; zudem unterliegen die Verantwortlichen disziplinarischen
Maßnahmen und können zu Entschädigungsleistungen verurteilt werden (AA 24.10.2001
S. 22; ai --.06.1999, torture in custody, S. 4 ff.). Zur Verringerung der Gefahr von Folter und
einer ungerechtfertigten Verlängerung der Haftdauer sahen die in der Vergangenheit in
unterschiedlichem Umfang und ab dem 4. August 1998 - mit Verhängung des
Ausnahmezustandes für das gesamte Land - zunächst wieder landesweit geltenden
Bestimmungen des Notstandsrechts, "Emergency Regulations - ER -" (AA 24.10.2001 S.
7), vor, dass - jeweils binnen 24 Stunden - von der Armee Festgenommene der
nächstgelegenen Polizeistation zu überstellen waren - was im Allgemeinen beachtet wurde
(US State Department --.02.2001 S. 7) - und dass Festnahmen durch die Polizei dem
"Superintendent of Police" des Bezirks gemeldet werden mussten (AA 06.04.1998 S. 10;
28.04.2000 S. 21). Spätestens nach 48 Stunden mussten die Festgenommenen dem
Richter vorgeführt werden (KK 22.02.1997 S. 7), es sei denn, ein höherrangiger Beamter
oder Offizier erließ eine "Detention Order", die ein Festhalten ohne richterlichen Haftbefehl
von bis zu 60 bzw. - nach Versetzung des Landes in Kriegsbereitschaft am 3. Mai 2000 - 90
Tagen ermöglichte (KK 05.02.1997 S. 5; AA 28.04.2000 S. 21; 01.08.2000). Nachdem die
Geltungsdauer des Notstandsrechts im Juli 2001 bedingt durch die Veränderung der
Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht verlängert worden war, sodass es am 4. Juli 2001
außer Kraft trat (AA 24.10.2001 S. 8; Flück Südasien 3/01 S. 64), ist keine wesentliche
Änderung eingetreten. Es wurden gestützt auf Art. 27 des PTA Verordnungen erlassen und
ein den ER ähnliches Regime etabliert (AA 24.10.2001 S. 8). Verhaftungen sind danach
weiterhin durch die Polizei möglich; die Betroffenen müssen innerhalb von 72 Stunden dem
Haftrichter vorgeführt werden. Personen, die von der Armee verhaftet werden, müssen
unverzüglich der Polizei vorgeführt werden (AA 24.10.2001 S. 8). Die Möglichkeit eines
längeren Festhaltens mittels einer "Detention Order" einer hohen Polizeidienststelle
besteht danach nicht mehr (AA 24.10.2001 S. 24). Nach dem PTA konnte und kann die
Polizei weiterhin einschlägig Verdächtige bis zu 72 Stunden festhalten. Danach müssen
sie grundsätzlich dem zuständigen Ermittlungs- bzw. Untersuchungsrichter vorgeführt
werden, es sei denn, das Verteidigungsministerium erlässt eine "Detention Order" für
maximal 3 Monate, die in weiteren 3-Monats-Abständen auf bis zu 18 Monaten
verlängerbar ist. Darüber hinaus ist ein Festhalten nur mit richterlicher Genehmigung
zulässig (AA Lagebericht 06.04.1998 S. 11; 28.04.2000 S. 22; 01.08.2000 S. 3; 24.10.2001
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S. 24 f.). Ferner waren und sind unter anderem Mitglieder des IKRK befugt, alle gemäß den
vorgenannten Regelungen festgehaltenen Verdächtigen bzw. Verurteilten zu besuchen
(EU 11.11.1997 S. 16; AA 28.04.2000 S. 22; 24.10.2001 S. 11). Auch sonst waren und sind
Besuche bei den Inhaftierten möglich (AA 06.05.1999 S. 5; Wingler 30.01.1998 S. 12).
Darüber hinaus hat die Regierung weitere Kontrollmechanismen geschaffen. Am 1. Juli
1997 hat die National Human Rights Commission (NHRC) ihre Arbeit aufgenommen. Diese
unter der Leitung eines pensionierten Richters des obersten Gerichtshofs Sri Lankas tätige
Nachfolgeeinrichtung der früheren Human Rights Task Force hat die Aufgabe, darüber zu
wachen, dass die in den Sondervorschriften zur Terrorismusbekämpfung vorgesehenen
Regelungen eingehalten werden (AA 21.08.1997 S. 3). Ferner ist im Sommer 1998 eine
aus Parlamentariern und Ministern gebildete, allgemein erreichbare Kommission zur
Entgegennahme und Prüfung von Beschwerden wegen Belästigungen und
Misshandlungen bei Verhören eingerichtet worden (Anti Harrassment Committee - AHC -,
AA 31.08.1998 S. 2; 26.07.2001 S. 2; 24.10.2001 S. 10; Wingler 30.09.1998 S. 3, 5).
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die gesetzlichen Sicherheitsvorkehrungen in der
Praxis nicht durchweg eingehalten werden und dass auch die sonstigen von der
srilankischen Regierung etablierten Kontrollmechanismen häufig nicht effektiv greifen (KK
22.02.1997 S. 16; AA 17.03.1997 S. 6; 24.10.2001 S. 25; UNHCR --.07.1998 S. 3 f. m.w.N.;
ai --.06.1999, torture in custody, S. 8, 12, 16). Es kommt zu Überschreitungen der
vorgegebenen Fristen, die aber auch bei Verhaftungen im Rahmen normaler Strafverfahren
festzustellen sind (EU 11.11.1997 S. 17; US State Department --.02.2001 S.7). Auch sonst
sind Verstöße insbesondere auf den unteren Ebenen der Sicherheitskräfte festzustellen
(AA 19.01.1999 S. 12 und 15). Eine generelle Verschlechterung ist insoweit jedoch auch
nach dem Verbot der LTTE in den im Ausnahmezustand befindlichen Gebieten (Wingler
31.05.1998 S. 39; AA 24.10.2001 S. 13), welches nunmehr unter den Regelungen des PTA
aufgrund einer Rechtsverordnung vom 4. Juli 2001 neu erlassen worden ist (AA 24.10.2001
S. 4 und 13; Flück Südasien 3/01 S. 64), nicht eingetreten, sodass die grundsätzliche
Wirksamkeit nicht in Frage gestellt ist. Verstöße sind weithin mit Strafe belegt und ihnen
wird nachgegangen (AA 16.01.1996 S. 11; 11.07.1997 S. 2; ai --.06.1999, torture in
custody, S. 4 f.); dass derartige Verfahren schleppend verlaufen - was zum Teil auf das
srilankische Strafverfahrenssystem (EU 11.11.1997 S. 10), zum Teil auf die sachlich
bedingten Probleme in der Klärung der Verantwortlichkeit und der Beweisführung (AA
19.01.1999 S. 15) zurückzuführen ist -, schließt eine schon durch die Strafandrohung und
das Aufgreifen von Vorkommnissen hervorgerufene Effizienz nicht aus. Daneben besteht
die Möglichkeit, sich mit Beschwerden an den Obersten Gerichtshof zu wenden, wovon
zunehmend Gebrauch gemacht wird (ai --.06.1999, torture in custody, S. 26 f.). Auch gibt es
Anwälte, die sich in Fällen der Menschenrechtsverletzungen engagieren (AA 19.01.1999 S.
26). Wenngleich Prozesse gegen Sicherheitskräfte oder die Heranziehung der
Verantwortlichen zur Zahlung von Entschädigungsleistungen - anders als
Entschädigungsleistungen des srilankischen Staates (ai --.06.1999, torture in custody, S.
27) - zunächst noch nicht bekannt geworden sind (Wingler 08.10.1997 S. 35; 27.05.1999 S.
4) bzw. nur wenige Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen sich vor Gericht
verantworten mussten und in den seltensten Fällen verurteilt wurden und darüberhinaus
allgemein beklagt wird, dass Menschenrechtsverletzungen weitgehend ungeahndet
bleiben (UNHCR --.07.1998 S. 3; ai -- .06.1999 S. 4), so zeigen die geschaffenen
Möglichkeiten jedenfalls insofern Wirkung, als die Sicherheitskräfte - wie Auskünfte
übereinstimmend belegen - im Vergleich zu früher zurückhaltender agieren.
(5) Gefahrenprognose, Risikofaktoren für asylerhebliche Misshandlungen
94
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96
97
Nach dem Vorstehenden ist für zurückkehrende Tamilinnen und Tamilen festzuhalten, dass
die Gefahr, im Großraum Colombo im Zusammenhang mit den Kontrollen und eventuell
daran anschließenden Festnahmen Opfer politischer Verfolgung zu werden, gering ist. Zur
beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichtet sich diese Möglichkeit - je nach den Umständen
des Einzelfalls - allenfalls für Personen, die konkret verdächtigt werden, mit geschehenen
oder geplanten Anschlägen der LTTE in Verbindung zu stehen oder in sonstiger
hervorgehobener Weise in Tätigkeiten der LTTE oder einer ihrer Frontorganisationen
verstrickt zu sein.
Als Risikofaktoren dafür, bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen derartigen
Verdacht zu geraten und hieran anknüpfend von schwerer körperlicher Misshandlung und
Folter während der Inhaftierung bedroht zu sein, gelten nach den vorliegenden
Erkenntnissen für Tamilinnen und Tamilen im Allgemeinen folgende Umstände: fehlende
oder nicht ordnungsgemäße Ausweispapiere, Lebensalter unter 35 bis 40 Jahren, geringe
singhalesische Sprachkenntnisse, Geburtsort auf der Jaffna-Halbinsel, Ankunft in Colombo
erst kurz zurückliegend, Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, in Polizeiberichten oder
sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltener Verdacht einer LTTE-
Mitgliedschaft, Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten der Sicherheitskräfte und
das Vorhandensein körperlicher Wunden (Medical Foundation --.06.2000 S. 41 unter
Berufung auf einen Länderbericht des britischen Innenministeriums; ai 16.01.2001 S. 7;
ähnlich KK 18.02.2000 an VG Bremen S. 2; zu einzelnen Risikofaktoren vgl. AA
25.01.2000 S. 1 f.; ai 30.08.1999 S. 1; Wingler 30.09.1998 S. 2, 13).
Allgemeine Aussagen zum Gewicht dieser Kriterien und dem Grad der aus ihrem Vorliegen
resultierenden Wahrscheinlichkeit eines intensiveren Zugriffs der Sicherheitskräfte lassen
sich nur eingeschränkt treffen. Angesichts der bei einigen der Kriterien möglichen
"Bandbreite" ihrer Erscheinungsformen sowie der Mannigfaltigkeit der möglichen
Kombinationen bei den einzelnen Asylbewerbern ist eine generalisierende und
fallübergreifende Schlussfolgerung auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung weder für die Gruppe der nach Sri Lanka aus dem Ausland zurückkehrenden
Tamilinnen und Tamilen noch für eine nach allgemeinen Merkmalen eingrenzbare
Untergruppe hiervon möglich. Vielmehr kann der Schluss auf eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung nur Ergebnis einer Würdigung aller vorliegenden
Risikofaktoren in jedem konkreten Einzelfall in Bezug auf den jeweiligen Asylbewerber und
seine konkrete Situation sein. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
Die allgemeinen Merkmale Alter, fehlende Papiere, Herkunft von der Jaffna-Halbinsel,
geringe singhalesische Sprachkenntnisse und erst kurz zurückliegende Ankunft in
Colombo reichen als solche weder für sich gesehen noch in ihrer Gesamtheit aus, um
einen relevanten LTTE-Verdacht bei den srilankischen Sicherheitskräften zu wecken.
Diese Kriterien greifen im Wesentlichen für den ersten Zugriff ein, wie sich etwa aus einer
Zusammenstellung von Aktionen der Sicherheitskräfte im Zeitraum von Oktober 1997 bis
Januar 1998 ergibt (KK 20.03.1998 S. 2 ff.); asylrelevante Eingriffshandlungen knüpfen an
diese Kriterien aber nicht mit einer für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendigen
Dichte an. Dies macht schon ein Vergleich der Zahl der für längere Zeit nach den
Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung Inhaftierten und der geringen Zahl bekannt
gewordener Fälle von Misshandlung und Folter während Lang- und Kurzzeithaft einerseits
mit der Zahl der im Großraum Colombo lebenden Tamilen andererseits deutlich. Wie oben
bereits ausgeführt, sind landesweit etwa 2.000 Personen nach den Sondergesetzen zur
Terrorismusbekämpfung inhaftiert. Von Folter und Misshandlungen während einer Kurzzeit-
oder Langzeithaft wird - wie sich ebenfalls aus den oben unter I.2.b) bb) (4) angeführten
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Erkenntnissen ergibt - lediglich in einer letztlich nicht über Einzelfälle hinausgehenden
Zahl berichtet; für weiter gehende Behauptungen fehlt es an jeglichen Belegen. Dem ist
gegenüberzustellen, dass etwa 400.000 Tamilen im Großraum Colombo leben, von denen
ca. 150.000 aus dem Norden und Osten des Landes stammen (EU 11.11.1997 S. 13). Im
Ergebnis nichts anderes gilt bezogen auf den Anteil der jungen Tamilen im
Rekrutierungsalter der LTTE. Zwar ist die Altersgruppe der 15- bis 30-jährigen (so AA
24.10.2001 S. 12) bzw. der 15- bis 40-jährigen (so KK 04.01.1996 S. 54) von den
Sicherheitskontrollen besonders betroffen; auch werden insoweit nicht mehr in erster Linie
nur junge Männer (allgemein hierzu: Wingler 27.05.1999), sondern inzwischen
gleichermaßen junge Frauen aufgegriffen, offenbar weil an den jüngsten
Bombenanschlägen in Colombo auch junge Frauen als "Suicid-Bombers" beteiligt waren
(AA 24.10.2001 S. 12; KK [Keller] Südasien 1/00; EU 25.06.2001 S.32). Der Anteil der in
Colombo lebenden jungen Tamilen ist aber so hoch, dass sich die aktuelle Gefahr eigener
Verfolgungsbetroffenheit für jeden Angehörigen dieser Gruppe nicht feststellen lässt.
Vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96,
200 (203) und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, NVwZ-RR 1996, 57.
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes auf der Grundlage der Volkszählung von 1981
beträgt der Anteil der 14- bis 40-jährigen etwa 60 v.H. (AA 10.01.1996 S. 3). Verlässliche
Zahlen aus neuerer Zeit stehen nicht zur Verfügung, doch dürfte sich an der sehr jungen
Altersstruktur der srilankischen Bevölkerung und der Bewohner von Colombo nichts
Wesentliches geändert haben. Dies bedeutet, dass schätzungsweise 240.000 bzw. - soweit
zusätzlich auf die Herkunft aus dem Norden oder Osten des Landes abgestellt wird -
80.000 Personen in Colombo dieser risikobehafteten Gruppe angehören.
Dass für die von Wingler gebildete "Untergruppe der jüngeren aus dem Nord/Osten
stammenden tamilischen Neuankömmlinge ohne ausreichenden 'valid reason' für einen
Aufenthalt im 'Süden'" (Wingler 12.12.1997 S. 1, 15 ff., 31.05.1998 S. 45 ff., 30.09.1998 S.
2, 13, 27.05.1999 S. 2, 9) eine grundlegend andere Situation besteht, lässt sich nicht mit
der erforderlichen Verlässlichkeit feststellen. Soweit Wingler (12.12.1997 S. 1 f.) angibt,
"etwa 50 % der verhafteten Population der jüngeren Tamilen aus dem Nord/Osten ohne
ausreichenden 'valid reason' für einen Aufenthalt im 'Süden' [befänden] sich im Rahmen
der neueren Verhaftungswellen länger als einen Monat in widerrechtlicher Haft" -
andernorts spricht er sogar von 100 v.H. (30.09.1998 S. 13) -, ist die Aussage zum einen
mangels konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte vor dem Hintergrund des sonstigen
Auskunftsmaterials nicht nachvollziehbar. Zum anderen fehlt es an der erforderlichen
Differenzierung der Maßnahmen nach dem Charakter als politische Verfolgung, wie sie im
Vorstehenden dargetan ist. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass Rückkehrer nach längerem
Auslandsaufenthalt in einer mit derjenigen der angesprochenen "Untergruppe"
vergleichbaren Gefährdungssituation sind. Vielmehr stehen sie nach Einschätzung des
Auswärtigen Amtes (18.04.2000 S. 5) weit weniger im Verdacht als etwa Tamilen, die erst
kürzlich aus den östlichen oder nördlichen Landesteilen nach Colombo gekommen sind.
So sind in der schon wiederholt angesprochenen Zusammenstellung (KK 08.12.1998) für
den Zeitraum von etwa einem Jahr lediglich drei Fälle längerfristiger Verhaftung von
Personen belegt, die rund zwei Wochen bis fünf Monate zuvor aus dem Ausland nach Sri
Lanka zurückgekehrt und in Colombo verblieben waren. Darüber hinaus ist im Hinblick auf
die Kriterien, die die Sicherheitskräfte bei den Sicherheitskontrollen anlegen -
Identitätsnachweis und 'valid reason' - für das Ausweiserfordernis von wesentlicher
Bedeutung, dass eine Vereinbarung zwischen der srilankischen Regierung und dem
UNHCR getroffen wurde, wonach den Einreisenden ihre Einreisepapiere zum Zwecke des
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Nachweises belassen werden sollen (Wingler 11.10.1995 S. 3); allerdings wurde dies in
der Vergangenheit vielfach nicht eingehalten, vielmehr wurden gerade die "emergency
certificates" nach Verhören auf dem Flughafen des Öfteren einbehalten und durch
Ausweispapiere zur Meldung bei der örtlich zuständigen Behörde in Colombo ersetzt
(Wingler 31.05.1998 S. 30; ai 23.02.2000 (ASA 37-99.134> S. 3; AA 05.06.2000 S. 5).
Mittlerweile werden jedoch die von den srilankischen Auslandsvertretungen ausgestellten
Rückreisedokumente den Rückkehrern regelmäßig nicht mehr am Flughafen
abgenommen, sondern ihnen belassen (AA 06.09.2001 S. 4 f.; 24.10.2001 S. 26). Der
eigentliche Nachweis erfolgt durch die Identitätskarte (UNHCR 12.02.1998; KK 22.09.1997
S. 4), die jeder srilankische Staatsbürger ab 16 Jahren mit sich führen muss (AA
28.04.2000 S. 22; 06.09.2001 S. 2). Die zur Erlangung des Dokuments erforderliche
Geburtsurkunde können Rückkehrer im Regelfall - auch schon von Europa aus - erhalten
(Wingler 11.10.1995 S. 3 f., 31.05.1998 S. 40; EU 02.04.1997 S. 6; AA 27.07.2000 an VG
Karlsruhe S. 1 f.). Zur Erledigung der Formalitäten, insbesondere der Meldepflicht, steht ein
Beratungsbüro (Front Office) zur Verfügung (AA 28.04.2000 S. 26; 05.06.2000 S. 5;
06.09.2001 S. 1 f.; 24.10.2001 S. 29). In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen,
dass für Rückkehrer die (Wieder-)Erlangung der nationalen Identitätskarte (NIC) jedenfalls
seit der zweiten Jahreshälfte 2000 bei ordnungsgemäßer Mitwirkung des Betroffenen
normalerweise innerhalb von 3 Wochen möglich ist (AA 06.09.2001 S. 2 ff.; vgl. auch
UNHCR 07.08.2001). Zudem wird bei der Beantragung der Identitätskarte auf einem
speziellen mit den Personalien des Antragstellers versehenen Abschnitt des NIC-
Antragsformulars eines der eingereichten Passfotos angebracht und gilt als provisorisches
Identitätspapier (AA 26.07.2001 S. 1; 06.09.2001 S. 3). Dem umfangreichen
Auskunftsmaterial, das den Fragenkreis der Rückkehr detailliert behandelt, ist nicht zu
entnehmen, dass die Rückkehr von einem Auslandsaufenthalt nach lange zurückliegender
Aufgabe des srilankischen Wohnsitzes und dem Verlust der Verbindung zum früheren
Heimatort und der damit verbundenen Notwendigkeit, in Sri Lanka wieder Fuß zu fassen,
von vornherein nicht als plausibler Grund für den Aufenthalt in Colombo als dem Ort, der im
Rahmen der Rückkehr als Erster erreicht wird, angesehen wird. Nach einer einzelnen
Auskunft des Auswärtigen Amtes bedarf es bei Rückkehrern aus dem westlichen Ausland
keiner (weiteren) "valid reason" für die Wohnsitznahme in Colombo (AA 05.06.2000 S. 1).
Hinsichtlich des Risikofaktors eines aktenkundigen oder den Sicherheitsbehörden auf
sonstige Weise zugetragenen LTTE-Verdachts muss nach der tatsächlichen oder
vermeintlichen Position des Betroffenen innerhalb der LTTE und dem Grad der
Unterstützung unterschieden werden. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen zur
Bedeutung von Auslandsaktivitäten im Zusammenhang mit den Einreisekontrollen am
Flughafen von Colombo verwiesen. Vergleichbares gilt für eine zurückliegende LTTE-
Mitgliedschaft oder -Unterstützung in Sri Lanka. Wer die LTTE, insbesondere im Bereich
der von ihr beherrschten Gebiete wie etwa der von 1990 bis 1995 unter ihrer Kontrolle
stehenden Jaffna-Halbinsel gezwungenermaßen oder im Rahmen seiner Berufstätigkeit
bzw. geschäftlichen Beziehungen oder im karitativen Bereich (z.B. Essenausgabe,
Transport von Medikamenten) unterstützt hat, muss heute nicht mehr damit rechnen, dass
deswegen Verfolgungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden. Selbst ehemals aktiv am
bewaffneten Kampf beteiligten LTTE-Kadern, die sich unter Bekenntnis zu ihrer
Vergangenheit ins Privatleben zurückgezogen haben, und von denen daher keine
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mehr zu erwarten ist, droht in aller Regel keine
Strafverfolgung mehr (AA 11.02.2000 S. 4 ff.; 05.06.2000 S. 10 ff.; 24.10.2001 S. 14; vgl.
auch KK 26.07.1999 an VG Bremen S. 1 f.).
Das Bestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem LTTE-Mitglied oder -
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Unterstützer führt im Allgemeinen ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
asylrelevanten Maßnahmen. Sippenhaft findet in Sri Lanka in der Regel nicht statt, ein
entsprechender Tatbestand ist dem srilankischen Strafrecht fremd (AA 04.02.2000 S. 1;
01.12.2000; 24.10.2001 S. 16). Gefährdet sind allenfalls Rückkehrer, deren Angehörige
eine höherrangige aktive Stellung in der LTTE bekleiden, wenn dies den
Sicherheitsbehörden bekannt wird. Je konkreter der Verdacht, je enger die
verwandtschaftliche Beziehung, je höher die Stellung des Verwandten in der LTTE ist und
je spektakulärer seine Taten sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen
Familienangehörigen, selbst in Verdacht zu geraten (AA 09.11.1996 S. 3; ai 23.02.2000
(ASA 37-99.134> S. 2; siehe auch KK 03.02.2000, wo für 2 der 3 genannten Belegfälle
ausdrücklich ein Bezug zu Bombenanschlägen hergestellt wird). Eine weniger wichtige
Aktivität für die LTTE, z.B. die Veröffentlichung eines Gedichts in einer Publikation der
LTTE, führt demgegenüber nicht zu einer erhöhten Gefährdung von Familienangehörigen
des Verfassers (KK 17.11.1998 S. 2). Ebenso ist für einen Rückkehrer regelmäßig
unschädlich, wenn er nur mit einem einfachen Kämpfer der LTTE verwandt ist. Dies folgt
daraus, dass es zahlreiche Familien gibt, die - häufig zwangsweise - einen LTTE-Kämpfer
stellen (AA 05.09.1997 S. 1 f.; 05.06.2000 S. 10), die Zahl der berichteten Verhaftungen von
Familienangehörigen demgegenüber aber vergleichsweise gering ist. Amnesty
international geht davon aus, dass "derzeit nicht von einer Alltäglichkeit bzw.
Regelmäßigkeit" solcher Verhaftungen ausgegangen werden kann, und kann - wie auch
sonstige Quellen - über wenige Einzelfälle hinaus keine konkreten Zahlen zur Inhaftnahme
von Familienangehörigen bekannter oder mutmaßlicher LTTE- Anhänger benennen (ai
23.02.2000 (ASA 37-99.135) S. 4). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass
verwandtschaftliche Beziehungen oftmals nur schwer erkennbar sind, da LTTE-Kämpfer
während ihrer fünfjährigen "Dienstzeit" Aliasnamen tragen und ihre Identität nicht an
Außenstehende bekannt geben (AA 09.11.1996 S. 3.).
Auch Körperverletzungen und Narben reichen für sich gesehen in aller Regel nicht aus, um
bei den srilankischen Sicherheitskräften einen aktuellen, konkreten LTTE-Verdacht zu
wecken. Zwar können typische Kampfverletzungen wie Schusswunden (so AA 25.01.2000
S. 1 f.) oder Narben, die sich jemand als LTTE-Kämpfer zugezogen haben kann (so ai
30.08.1999 S. 1; Wingler 01.04.1999 S. 5), eine erhöhte Festnahmegefahr auslösen
(ähnlich KK 12.03.1999 S. 1 f., der allerdings nicht nach der Art der Narben differenziert).
Damit ist aber nichts über die beachtliche Wahrscheinlichkeit asylerheblicher Weiterungen
gesagt. Denn in Sri Lanka leben zahlreiche Personen, die im Zusammenhang mit
Kriegsereignissen und Anschlägen, aber auch durch Arbeits-, Straßenverkehrs- und
Haushaltsunfälle Verletzungen erlitten haben (AA 25.01.2000 S. 1 f.), sodass ein etwaiger
Anfangs-Verdacht auf Grund von Narben - vorbehaltlich der Besonderheiten des
Einzelfalls, namentlich des Vorliegens weiterer erheblicher Verdachtsmomente -
regelmäßig nichts für eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit hergibt; selbst eine
Schusswunde kann jemand nicht nur als aktiver Kämpfer, sondern auch als unbeteiligter
Zivilist erlitten haben.
Lassen sich somit - zusammenfassend - hinsichtlich der genannten Risikofaktoren
verallgemeinerungsfähige Aussagen für die Bejahung einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für Tamilen oder eine relevante Untergruppe
nicht gewinnen, kann auch die Frage, ob der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
bei den srilankischen Sicherheitskräften in den konkreten Verdacht einer Verstrickung in
Aktivitäten der LTTE gerät, nicht bereits unter Rückgriff auf die hier betrachtete allgemeine
Lage in Sri Lanka abschließend beurteilt werden; das ihm im Falle seiner Rückkehr konkret
drohende Verfolgungsrisiko muss vielmehr nach Maßgabe der in seiner Person konkret
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verwirklichten Risikomerkmale unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation
bewertet werden. Insofern wird auf die Darlegungen im Anschluss an die Bewertung der
allgemeinen in Sri Lanka gegebenen Situation unter I. 2. c) der Entscheidungsgründe
verwiesen.
(6) Sonstige Beeinträchtigungen
Die Situation, mit der aus dem Ausland nach Colombo gelangende Tamilen konfrontiert
sind, trägt auch nicht aus anderen als den bereits erörterten Umständen den Schluss auf
die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung dieser Volkszugehörigen oder
einer nach asylerheblichen Merkmalen eingegrenzten Gruppe unter ihnen. Der Aufenthalt
ist zwar schwierig, doch drohen die Beeinträchtigungen, so weit sie überhaupt die für eine
Verfolgung erforderliche Intensität erreichen, nicht in einem solchen Grade, dass auf die für
die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige Dichte geschlossen werden kann, bzw.
lassen sie sich weithin und in entscheidendem Umfang nicht auf ein staatliches Handeln
mit der eine politische Verfolgung ausmachenden Gerichtetheit auf asylerhebliche
Merkmale zurückführen.
(a) Niederlassungsmöglichkeit im Großraum Colombo
Ob es als Akt der politischen Verfolgung zu werten ist, wenn ein Staat einem durch die
Volkszugehörigkeit abgegrenzten Teil seiner Staatsangehörigen entgegen einem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf freie Wahl des Aufenthaltsortes den Aufenthalt in
bestimmten Landesteilen verwehrt und so die Betroffenen zwingt, in Landesteile
auszuweichen, in denen ihnen Nachteile insbesondere in Folge von kriegerischen
Auseinandersetzungen drohen (vgl. dazu KK 02.09.1997, Anhang Südasienbüro vom 2.
Juli 1997), mag dahinstehen. Ein solcher Zwang ist für den Großraum Colombo jedenfalls
nicht in dem Sinne gegeben, dass er jeden aus dem Ausland zurückkehrenden Tamilen mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit trifft. Amtliche Regelungen in dieser Hinsicht - mit der
anzunehmenden Folge einer verbreiteten Durchsetzung - bestehen nicht (AA 02.10.1997;
30.01.1998; 24.10.2001 S. 31; UNHCR 12.02.1998; KK 13.09.1997 S. 4; 18.02.2000 an VG
Hannover S. 2 f.; 11.06.2001 S.5; 02.08.2001 S. 2; Wingler 08.10.1997 S. 40). Zwar ist zu
beobachten, dass Rückkehrer, die sich bei der zuständigen Polizeistation melden, um sich
dort registrieren zu lassen, ein so genanntes "stay permit" regelmäßig jeweils nur für
wenige Wochen erhalten und bei der Erteilung und Verlängerung - zumal mangels klarer
Vergabevorschriften - Korruption und Willkür eine Rolle spielen (KK 18.02.2000 an VG
Hannover). Auf der anderen Seite fehlt es aber an nachvollziehbaren Referenzfällen über
zwangsweise Rückführungen von aus dem Norden oder Osten zugewanderten,
geschweige denn von aus Europa zurückkehrenden Tamilen in ihre Heimatgebiete.
Vielmehr wird berichtet, dass gerade die aus dem Ausland abgeschobenen oder
zurückgekehrten Asylbewerber es vorziehen und es ihnen vielfach auch gelingt, im
Großraum Colombo ihren Wohnsitz zu nehmen (AA 28.04.2000 S. 28; 24.10.2001 S. 31).
Dies schlägt sich insbesondere auch darin nieder, dass der Anteil der tamilischen
Wohnbevölkerung Colombos weit überproportional wächst und kaum noch oder gar nicht
mehr hinter dem singhalesischen Bevölkerungsanteil zurücksteht (AA 05.06.2000 S. 2 f.;
21.06.2001 S. 8). Es fehlt damit schon an einer tatsächlichen Grundlage für den Schluss,
jedem Rückkehrer aus der Volksgruppe der Tamilen oder einer eingrenzbaren Untergruppe
drohten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen, die sich als faktischer Zwang
erweisen, Colombo zu verlassen, und denen er nur durch Weiterreise in Gebiete
ausweichen könnte, in denen er mit andersartigen Gefahren von erheblichem Gewicht
konfrontiert wäre. Soweit zurückkehrenden Tamilen durch Meldeauflagen, das Erfordernis
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von Ausweispapieren und eines sachlichen Grundes für den Aufenthalt sowie durch - unter
Umständen bei Nichterfüllen dieser Anforderungen - drohende Festnahme bei den
zahlreichen Kontrollen und die im Umgang mit den Sicherheitskräften bestehenden
sprachlichen Schwierigkeiten (KK 22.09.1997 S. 4; 08.12.1998 S. 3; 02.08.2001 S. 2;
Südasien 6/97 S. 8; EU 11.11.1997 S. 13) der Aufenthalt in Colombo erschwert und - wie in
den Auskünften zum Teil gefolgert wird - faktisch verwehrt wird (Wingler 08.10.1997 S. 40;
KK 22.09.1997 S. 4; 22.06.1999 S. 8; Südasien 1-2/98 S. 14), ist auf die vorstehenden
Ausführungen zur Möglichkeit, eventuell fehlende Papiere zu erlangen, und zu
mangelnden Anhaltspunkten dafür, dass gerade bei Rückkehrern die Anerkennung eines
sachlichen Grundes für den Aufenthalt verneint wird, zu verweisen. Ein genereller Grund,
die Meldeauflagen als unzumutbar nicht zu befolgen oder nicht erfüllen zu können, ist
daher auch nicht ersichtlich. Da der in Auskünften angesprochene Druck, Colombo zu
verlassen, letztlich aus den drohenden Festnahmen gefolgert wird (KK 08.12.1998 S. 4 ff.),
kann insofern auf das oben zur mangelnden Intensität und Dichte derartiger Übergriffe
Gesagte verwiesen werden.
(b) Existenzbedingungen
Die weiteren Beeinträchtigungen hinsichtlich der Existenzbedingungen, auf die aus dem
Ausland zurückkehrende Tamilen im Großraum Colombo treffen, sind ihrer Schwere nach
noch nicht asylerheblich, sind nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu besorgen oder
sind nicht als staatliche Verfolgung mit asylrelevanter Gerichtetheit zu werten. Arbeit zu
finden ist - nicht nur für Tamilen - zunächst schon wegen der angespannten
Arbeitsmarktsituation (die Arbeitslosenquote betrug laut Fischer-Weltalmanach 2002,
Spalte 758, im Jahresdurchschnitt 2000 7,5 v.H.), also in Folge der allgemeinen
Wirtschaftslage nicht einfach. Soweit auf zusätzliche Probleme für Tamilen verwiesen wird,
weil potentielle Arbeitgeber bei der Einstellung von Tamilen Schwierigkeiten mit den
Sicherheitskräften befürchten (KK [Keller] Südasien 1/00 S. 49; 22.06.1999 S. 9), kann
ungeachtet der Frage nach der erforderlichen Schwere der Beeinträchtigung nicht von
einer politischen Verfolgung gesprochen werden. Inwieweit Sprachprobleme (KK
08.12.1998 S. 3) trotz des hohen tamilischen Bevölkerungsanteils in Colombo (AA
27.05.1999 S. 2; 21.06.2001 S. 4) Bedeutung haben und inwieweit sie durch Vorteile wie
etwa während des Auslandsaufenthalts gesammelte Ersparnisse oder erworbene Fach-
und Sprachkenntnisse aufgewogen werden (AA 06.05.1998 S. 2), mag dahinstehen; hier
fehlt jeder Ansatz für eine staatliche Eingriffshandlung. Die Möglichkeit, sich eine
Unterkunft zu verschaffen, ist zunächst durch die allgemeine Knappheit an Wohnraum in
Colombo und die demgemäß hohen Preise, ferner durch die Sicherheitslage mit der Folge
von Kontrollen und unter Umständen auch Schließung von Unterkünften geprägt (KK
08.12.1998), sodass dieselben Erwägungen wie zur Arbeitssituation eingreifen und
zusätzlich auf die jedenfalls einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohender
Obdachlosigkeit wegen fehlender Papiere und Aufenthaltsberechtigung
entgegenstehenden obigen Erwägungen zum Aufenthalt, insbesondere unter dem Aspekt
des Meldeerfordernisses Bezug genommen werden kann. Für eine weit verbreitete
Obdachlosigkeit ist dem umfassenden Auskunftsmaterial nichts Greifbares zu entnehmen;
zumindest die Erlangung einer einfachen Unterkunft in einem der zahlreichen Billighotels
(lodges) ist grundsätzlich möglich (AA 27.05.1999 S. 2; 21.06.2001 S. 4; KK 20.07.2000 S.
2; 11.06.2001 S.3; 02.08.2001 S. 1; UNHCR 24.08.2001 S. 4). Dass Rückkehrern mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit sonstige schwere Rechtsgutbeeinträchtigungen im
Hinblick auf ein Leben in Colombo drohen, ist nicht festzustellen. Daher mag auch
dahinstehen, inwieweit ein staatliches Handeln oder Unterlassen mit asylerheblicher
Gerichtetheit zu Grunde liegt. Fälle der Verelendung oder eines bloßen Dahinvegetierens
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am Rande des Existenzminimums sind nicht bekannt (AA 06.05.1998 S. 2, 21.06.2001 S. 5;
KK 08.12.1998 S. 8). Selbst wenn ein für Rückkehrer eingreifendes System der sozialen
Grundsicherung nicht besteht (AA 27.05.1999 S. 1; 24.10.2001 S. 30; KK 08.12.1998 S. 1
ff.), ist dies kein tragfähiges Indiz für eine in dem erforderlichen Grad konkretisierte Gefahr
der Rechtsgutverletzung. Insofern sind die in Sri Lanka gewachsenen Verhältnisse zu
beachten, nach denen die Familien und die Dorfgemeinschaften traditionell für
Hilfsbedürftige einstehen (AA 06.05.1998 S. 1; 24.10.2001 S. 31), und sich demgemäß ein
fest gefügtes System der Sicherung nicht entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund kommt der
Feststellung der tatsächlichen Lebensmöglichkeiten entscheidendes Gewicht gegenüber
dem Fehlen einer organisierten und geregelten, regelmäßigen Unterstützung - nur diese
wird von Keller-Kirchhoff (KK 08.12.1998) auch für die Hilfe der Volksgruppe sowie
karitativer Organisationen und Einrichtungen verneint - zu. Für Feststellungen, dass es in
einer relevanten Dichte zu Fällen von Verelendung tatsächlich gekommen ist oder kommen
wird, gibt das umfassende Auskunftsmaterial nichts her.
(7) Mittelbare staatliche Verfolgung
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ist auch nicht im Hinblick auf
Übergriffe der übrigen Zivilbevölkerung gegen Tamilen gegeben; insofern fehlt es
jedenfalls heute an der erforderlichen Verfolgungsdichte, ferner - für die in den letzten
Jahren bekannt gewordenen Vorfälle - an der Verantwortlichkeit des srilankischen Staates.
Zu Pogromen wie zuletzt im Jahre 1983, als Hunderte von in Colombo ansässigen Tamilen
zu Tode kamen und eine weitaus größere Zahl ihr Hab und Gut verlor, ist es seitdem trotz
fortbestehender ethnischer Spannungen nicht mehr gekommen. Ereignisse wie die
Zerstörung zahlreicher Geschäftshäuser 1995 in Galle (AA 12.10.1995 S. 3; Wingler
03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 34 ff.), ein Überfall auf indien-tamilische Siedler im
Bezirk Galle, bei dem ein Mädchen ermordet wurde (Wingler 03.10.1995 S. 2; KK
24.10.1995 S. 37), die Ermordung von zwei Tamilen im Oktober 1995 in Colombo (KK
26.10.1995 S. 7) sowie am 25. Oktober 2000 ein Vorfall im Bezirk Bandarawela, bei dem
Singhalesen etwa 30 tamilische Insassen eines "Rehabilitationslagers" getötet und weitere
ca. 15 zum Teil schwer verletzt haben (Busch 02.11.2000 S. 2; AA 26.01.2001 S. 5;
24.10.2001 S. 15 f.; Wingler --.04.2001 S. 3), sind - verglichen mit der Bevölkerungszahl im
Süden des Landes - verschwindend gering und haben bei weitem nicht das Ausmaß der
früheren Pogrome erreicht. Zudem ergreift der srilankische Staat zahlreiche Maßnahmen,
um derartige Übergriffe zu verhindern bzw. gegebenenfalls zu beenden und aufzuklären.
So wurden die Ausschreitungen im Bereich Galle polizeilich untersucht und es wurden
Singhalesen verhaftet (KK 24.10.1995 S. 35 f.). Die Regierung kündigte entschlossenes
Handeln im Wiederholungsfall an (AA 12.10.1995 S. 3) und verstärkte die
Sicherheitsvorkehrungen (KK 24.10.1995 S. 37). Nach der Eroberung von Jaffna warnte
Staatspräsidentin Kumaratunga vor Übergriffen auf Tamilen (KK 04.01.1996 S. 62). Auch
am Abend des Anschlags auf einen Pendlerzug in einem Vorort von Colombo am 25. Juli
1996 mit ca. 70 Toten rief sie zur Ruhe und Zurückhaltung auf (AA 30.08.1996 S. 4),
sodass die gefürchteten Ausschreitungen ausblieben (Wingler --.09.1996 S. 41). Dass
Ausgangssperren, verstärkte Präsenz der Sicherheitskräfte sowie zur Besonnenheit
mahnende Ansprachen der Staatspräsidentin ihre Wirkung nicht verfehlen, zeigt der
Umstand, dass es weder nach dem gezielten Bombenanschlag auf das buddhistische
Heiligtum in Kandy ("Zahntempel") am 25. Januar 1998 noch nach dem Attentat auf die
Staatspräsidentin selbst am 18. Dezember 1999 zu befürchteten Ausschreitungen kam (AA
28.04.2000 S. 14). Schließlich kündigte die Präsidentin auch unmittelbar nach dem oben
angesprochenen Vorfall in Bandarawela an, alle Schritte zu unternehmen, um die Situation
unter Kontrolle zu bringen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (Busch
113
114
115
02.11.2000, Anlage "President appeals for restraint"). Die Familien erhielten in der
Folgezeit eine Entschädigung und es wurde eine Sonderkommission zur Untersuchung
des Vorfalls eingesetzt. Zwischenzeitlich wurden 60 Polizisten vom Dienst suspendiert; es
wurde eine polizeiliche Sonderermittlungsgruppe zusammengestellt, die gemeinsam mit
der Generalstaatsanwaltschaft ermittelt und der Sonderkommission zuarbeitet. Mehrere
hundert Zeugen wurden vernommen und es erfolgten auch Verhaftungen (AA 26.01.2001
S. 6; 24.10.2001 S. 16). Bei dieser Sachlage fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass es in
absehbarer Zukunft zu pogromartigen Ausschreitungen seitens der singhalesischen
Bevölkerungsmehrheit kommt, die dem srilankischen Staat zuzurechnen sind und für einen
jeden Tamilen die konkrete Gefahr eigenen Betroffenseins mit sich bringen.
cc) Bürgerkriegsgebiete im Norden
In Teilen des Nordens Sri Lankas ist die Lage seit Jahren durch Bürgerkrieg
gekennzeichnet. Seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensverhandlungen und dem Bruch
der "Vereinbarung zur Einstellung der Feindseligkeiten" (KK 20.02.1995 S. 3; Wingler
31.03.1995 S. 2) kam es zunächst mit Schwergewicht auf der Jaffna-Halbinsel (KK
04.01.1996 S. 8, 22) und sodann in der "Vanni-Region" - hierzu zählen die Distrikte
Mullaitivu, Kilinochchi sowie Teile von Vavuniya und Mannar - (Wingler 30.01.1998 S. 14;
31.05.1998 S. 16 ff.; 30.09.1998 S. 19; 01.04.1999 S. 8; AA 28.04.2000 S. 14 f.) zu
Militäroffensiven von staatlicher Seite, mit denen es zunächst gelang, die LTTE
zurückzudrängen (AA 19.01.1999 S. 5, 18). Nach erheblichen Geländegewinnen der LTTE
sowohl auf der Halbinsel Jaffna als auch in der Vanni-Region im November 1999 und April
2000, bei denen unter anderem der strategisch wichtige "Elephant Pass" eingenommen
wurde (AA 11.07.2000 S. 1; 26.01.2001 S. 1), erstreckt sich das von der LTTE beherrschte
Gebiet auf die Region nördlich Vavuniyas bis nördlich vom "Elephant Pass" (AA
24.10.2001 S. 18). Der weitere Vormarsch der LTTE auf die Stadt Jaffna konnte von den
Regierungstruppen gestoppt werden (AA 11.07.2000 S. 1; 26.01.2001 S. 1). Eine
Gegenoffensive der Regierungstruppen auf der Jaffna-Halbinsel im April 2001 blieb
erfolglos (AA 24.10.2001 S. 6). Den Auskünften über die Auseinandersetzungen ist zu
entnehmen, dass die im Kampfgebiet lebende Zivilbevölkerung erheblich in Mitleidenschaft
gezogen wird (ai 23.02.2000 (ASA 37-99.135> S. 2; AA 11.07.2000 S. 1; ai --.--.2001 S.
519). Darüber hinaus kommt es in Folge des Kampfgeschehens zur Zerstörung und
Beschädigung sozialer, kultureller und religiöser Einrichtungen (KK 04.01.1996 S. 4 ff.;
Wingler 30.09.1998 S. 20; ai 23.02.2000 (ASA 37-99.135> S. 2). Militäroffensiven lösen
ferner Fluchtbewegungen mit in die Hunderttausende gehenden Flüchtlingen aus (AA
19.01.1999 S. 18; 26.01.2001 S. 1; 24.10.2001 S. 19; KK 04.01.1996 S. 6; Wingler
01.11.1995 S. 6; 30.01.1998 S. 14; 31.05.1998 S. 19; --.04.2001 S. 4; ai --.--.2001 S. 519;
UNHCR 24.08.2001 S. 1); daneben führt auch Zwang von Seiten der LTTE zu
Fluchtbewegungen (AA 16.01.1996 S. 2; 24.10.2001 S. 18).
Für die erforderliche Bewertung der heutigen Situation und die gebotene Prognose können
neben den die Vanni-Region betreffenden jüngeren Auskünften auch die Erkenntnisse zum
staatlichen Vorgehen auf der Jaffna-Halbinsel mitberücksichtigt werden. Es mangelt an
Anhaltspunkten dafür, dass sich das Bürgerkriegsgeschehen bei räumlicher Verlagerung
qualitativ geändert hat oder regionale Unterschiede die Beurteilung beeinflussen können.
Insgesamt stellen sich die zwischenzeitlichen Erfolge der LTTE und die Entwicklungen in
jüngster Zeit als eine weitere Phase in dem langjährigen Auf und Ab des
Kampfgeschehens dar, in dem bislang keiner der Kriegsgegner den anderen
kriegsentscheidend niedergerungen hat; den vorliegenden Informationen - weitere
Erkenntnisquellen sind nicht verfügbar - lassen sich dabei keine Ansatzpunkte dafür
116
117
118
entnehmen, dass mit den jüngeren Entwicklungen nunmehr eine neue, den bisherigen
Rahmen des Kriegsgeschehens überschreitende Entwicklung eingeleitet worden wäre.
Danach ist zwar davon auszugehen, dass der Krieg von der srilankischen Armee in einer
Weise geführt wird, die die gebotene Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in hohem Maße
vermissen lässt. Die Geschehnisse während der bisherigen Kriegshandlungen bieten aber
keine Basis für die Annahme, dass das Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte die
Merkmale einer auch im Rahmen des Handelns des Staates als Partei im Bürgerkrieg
möglichen politischen Verfolgung (BVerfGE 80, S. 340) aufweist (wie hier OVG Lüneburg,
Urteile vom 10. Juni 1996 - 12 L 1726/96 -, S. 8 ff. und vom 19. September 1996 - 12 L
2005/96 -, S. 15 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 20. März 1998 - A 16 S 60/97 -, S. 87 ff. und
Beschluss vom 8. Februar 2001 - A 6 S 1888/00 -, S. 13, 16; VGH Kassel, Urteile vom 10.
November 1998 - 10 UE 3035/95 -, S. 26 ff., vom 3. Mai 2000 - 5 UE 4657/96.A -, S. 38 ff.,
und vom 29. August 2000 - 10 UE 3556/69.A -, S. 52 ff.; OVG Berlin, Beschluss vom 23.
August 2000 - 3 B 47.95 -, S. 26 ff.; ähnlich OVG Weimar, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 3
KO 869/96 -, S. 48 ff.; in der Bewertung abweichend früher OVG Koblenz, Urteil vom 12.
Juni 1996 - 11 A 11369/96 -, S. 8 f., im jüngeren Urteil vom 8. Juli 1998 - 11 A 10473/98 -,
S. 5 als "sehr zweifelhaft" bezeichnet). Es kann nicht festgestellt werden, dass die Aktionen
der Sicherheitskräfte nach ihrer objektiven Gerichtetheit über eine militärische Prägung mit
dem Ziel der Rückeroberung von der LTTE beherrschter bzw. der Sicherung rückeroberter
Gebiete (KK 24.10.1995 S. 9 f.; 04.01.1996 S. 22; 20.03.1996 S. 6) sowie der Abwehr,
Schwächung oder Vernichtung der LTTE (AA 16.01.1996 S. 5; 19.01.1999 S. 19; Wingler
31.05.1998 S. 17) hinausgingen oder -gehen.
(1) Keine gezielte physische Vernichtung der Zivilbevölkerung
Angesichts der Siedlungsstruktur, der Guerilla-Taktik der LTTE, die ein ausgedehntes Netz
mit einer unbekannten Anzahl militärischer Stützpunkte in den von ihr kontrollierten
Gebieten besitzt (KK 04.01.1996 S. 2, 9), über mobile Lager verfügt (AA 16.01.1996 S. 2)
und die Bevölkerung vor der Zusammenarbeit mit den Militärkräften warnt (Wingler --
.11.1996 S. 8), sowie ferner unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die srilankischen
Truppen auf Grund ihres technischen Standards jedenfalls in der Vergangenheit zumeist zu
"punktgenauen" Angriffen nicht in der Lage waren (Wingler 01.11.1995 S. 4, 8; KK
04.01.1996 S. 41; AA 16.01.1996 S. 6) und niedrig fliegende Flugzeuge oder
Hubschrauber von Boden-Luft-Raketen der LTTE bedroht sind (KK 24.10.1995 S. 11;
Wingler 29.04.1996 S. 22), ist die Beeinträchtigung der tamilischen Zivilbevölkerung durch
die Kampfhandlungen allein kein tragfähiger Hinweis auf eine über die Bekämpfung der
LTTE hinausgehende Gerichtetheit der Kampfhandlungen gegen die Tamilen. Eine zu
gegenteiligen Schlussfolgerungen führende andersartige Vorgehensweise der Armee bei
ethnisch anders zusammengesetzter Zivilbevölkerung ist nicht festzustellen, da in den
Kampfgebieten nach der Vertreibung anderer Bevölkerungsgruppen durch die LTTE (AA
14.02.1995 S. 3; 12.10.1995 S. 3; 05.06.2000 S. 4, 28.04.2000 S. 15: "ethnische
Säuberung") ausschließlich Tamilen leben. Der Umstand, dass die Sicherheitskräfte bei
ihren Kampfmaßnahmen keine (Wingler 20.07.1995 S. 4) oder nur punktuell (AA
16.01.1996 S. 2) Rücksicht auf eventuell mitbetroffene Zivilisten nehmen, mag diese zwar
als menschenrechtswidrig prägen, stellt allein jedoch keinen Grund dar, sie als objektiv
gezielt an asylerhebliche Merkmale anknüpfende staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu
qualifizieren (vgl. BVerfGE 80, 341), zumal die Sicherheitskräfte angewiesen wurden und
bemüht sind, bei Kampfhandlungen die Verluste unter der Zivilbevölkerung so gering wie
möglich zu halten (AA 28.04.2000 S. 8; 01.12.2000 S. 2; 26.01.2001 S. 2). So wurde etwa
die Zivilbevölkerung vor Luftangriffen auf LTTE-Ziele gewarnt (AA 19.01.1999 S. 19; US
119
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121
State Department --.02.2001, S. 10). Für die Opfer einer irrtümlichen Bombardierung durch
die Luftwaffe im September 1999, bei der in einem Dorf bei Puthukkudiyiruppu 22 Zivilisten
den Tod fanden, ordnete die Regierung die Zahlung einer Entschädigung an (US State
Department --.02.2001 S. 4, 10). Angesichts des Umfangs der Offensiven, des eingesetzten
Kriegsgeräts, der im Kampfgebiet herrschenden Bevölkerungsdichte, die sich in den
Zahlen der Flüchtlinge niederschlägt, sowie der Dauer und Härte der
Auseinandersetzungen tragen die Zahl der Vorkommnisse mit erheblicher Einbeziehung
der Zivilbevölkerung und die Zahl der Opfer nicht den Schluss, dass die Aktionen objektiv
auch auf die physische Vernichtung oder schwer wiegende Beeinträchtigung der
Zivilbevölkerung gerichtet sind.
Für die Jaffna-Halbinsel berichtet Wingler als Folge der ersten Offensive im Jahre 1995 von
234 toten und 1.414 verwundeten Zivilisten sowie 183.000 Flüchtlingen (Wingler
03.10.1995 S. 24), Keller-Kirchhoff nennt 205 tote und 953 schwer verletzte Zivilisten und
ca. 188.000 Flüchtlinge (KK 04.01.1996 S. 13). Die Offensive "Reviresa", die im Dezember
1995 zur Einnahme der Stadt Jaffna führte (KK 04.01.1996 S. 31), forderte im Oktober 1995
neben zahlreichen Toten und Verwundeten unter den Soldaten und LTTE-Kämpfern 104
Tote und 194 Verletzte unter der Zivilbevölkerung (KK 04.01.1996 S. 12) und führte zu
200.000 bis 550.000 Flüchtlingen (KK 04.01.1996 S. 15). Die Zahl der getöteten oder
verletzten Zivilisten wird für die Zeit von April 1995 bis Ende 1995/Frühjahr 1996 mit 800
angegeben (AA 01.03.1996 S. 1; Wingler 29.04.1996 S. 22: 800 Tote), für die Zeit bis
Frühjahr 1997 mit 900 (AA 17.03.1997 S. 10). Als Folge der Kämpfe im Jahr 2000 wird von
mindestens 150 - von beiden Kampfparteien - getöteten Zivilisten berichtet (ai --.--.2001 S.
519), wobei allein der Vormarsch der LTTE auf Jaffna im April und Mai mehr als 100 zivile
Opfer gefordert haben soll, hierunter auch Opfer von Bombardierungen und
Artilleriebeschuss seitens der srilankischen Streitkräfte (US State Department --.02.2001 S.
10). Insofern ist von Bedeutung, dass nach der Rückeroberung Jaffnas durch die
Regierungstruppen etwa 500.000 Einwohner zurückgekehrt sind (AA 28.04.2000 S. 15;
24.10.2001 S. 19), die nunmehr von den neuerlichen Kampfhandlungen betroffen werden.
Für die Vanni-Region ist von einer betroffenen und auf der Flucht befindlichen Bevölkerung
von 300.000 bis 400.000 (AA 28.04.2000 S. 15), ca. 490.000 (US State Department --
.02.2001 S. 10) oder weit mehr als 500.000 Personen (Wingler 31.05.1998 S. 19)
auszugehen. Für die ersten acht Monate des Jahres 1997 wird von 37 bei
Bombardierungen (von beiden Kampfparteien) getöteten Zivilisten berichtet (Anlage 1 zu
UNHCR --.07.1998 S. 10). Wingler stellt fest, dass bei den Militäraktionen bis Sommer
1997 weniger zivile Opfer zu beklagen waren als bei der Eroberung Jaffnas 1995 (Wingler,
10.07.1997 S. 43). Als Folge der Kämpfe Ende 1999 wird von einer massiven Betroffenheit
der Zivilbevölkerung berichtet und als Beispiel ein Granatangriff auf die Kirche von Madhu
bei Mannar genannt, bei dem 44 Zivilisten getötet und 50 Menschen verletzt worden sind
(ai 23.02.2000 (ASA 37-99.135 S. 2). Für das Jahr 2000 wird im Zusammenhang mit dem
Bürgerkrieg von insgesamt mehr als 100 bzw. mindestens 150 zivilen Opfern gegenüber
2.000 Toten in den Reihen der Kriegsparteien berichtet (US State Department --.02.2001 S.
9 f.; ai --.--.2001 S. 519).
Das IKRK gelangt zu dem Schluss, die zivilen Opfer in den Auseinandersetzungen seien
geringer, als es unter vergleichbaren Bedingungen in anderen Ländern der Fall sei (AA
24.10.2001 S. 11). Hinzu kommt, dass die die Zivilisten schwer beeinträchtigenden
Aktionen ganz überwiegend (zu Ausnahmen KK 04.01.1996 S. 8 f.) in zeitlichem und
räumlichem Zusammenhang konkreter Offensiven der srilankischen Regierungstruppen
standen. Eine flächendeckende Bombardierung, die ihrer Art nach auf das objektive Ziel
122
123
einer Beeinträchtigung des zivilen Lebens um seiner selbst willen schließen ließe, kann
nicht festgestellt werden. Die von Wingler als "Flächenbombardierungen"
zusammengefassten und gewerteten Angriffe auf im Einzelnen benannte Ansiedlungen
(Wingler --.05.1995 S. 18), die sich überwiegend gegen von der LTTE kontrollierte Orte
richteten (KK 04.01.1996 S. 1, 4; AA 16.01.1996 S. 1), lassen einen militärischen Bezug der
Angriffe insofern erkennen, als sie den Kampfoperationen zu Lande vorausgingen (Wingler
29.04.1996 S. 22) und die benannten Orte später von den Regierungstruppen
eingenommen wurden (AA 16.01.1996 S. 1). Auch die Stellungnahme des UNHCR
(UNHCR --.07.1998, S. 2, Anlage 1, Rdnr. 151) stellt in Bezug auf die angeführten
Menschenrechtsverletzungen der Sicherheitskräfte den unmittelbaren Bezug zum
Bürgerkriegsgeschehen besonders heraus. Einzelnen folgenschweren Angriffen auf zivile
Ziele können ebenfalls keine tragfähigen Anhaltspunkte für eine über militärische Ziele
hinausgehende Gerichtetheit der Aktionen entnommen werden; insofern wird
beispielsweise auf den Bombenangriff auf das Gelände der Kirche von Navali verwiesen,
bei dem wohl 130 Menschen den Tod fanden; die näheren Umstände sind ungeklärt,
insbesondere steht die Möglichkeit im Raum, dass für die zahlreichen Opfer die Explosion
eines nahe gelegenen Munitionslagers der LTTE verantwortlich war (KK 04.01.1996 S. 4;
AA 16.01.1996 S. 3). Auch hinsichtlich des oben angesprochenen Granatangriffs auf die
Kirche von Madhu wird der Zusammenhang mit Kämpfen zwischen Regierungstruppen und
LTTE-Angehörigen hervorgehoben (ai 23.02.2000 (ASA 37-99.135) S. 2); von welcher
Seite der Angriff ausging, wird nicht berichtet.
(2) "Gegenterror"
Dass die Kriegsführung über die mit ihr verbundene vorherrschende Missachtung des
Rechts auf Leben und schwer wiegende Menschenrechtsverletzungen wie Tötung,
Verschwindenlassen und Misshandlungen (UNHCR --.07.1998 S. 2 und zugehörige
Anlage 1 S. 9 ff.; ai --.06.1999, torture in custody, S. 21 ff.) und die somit zweifellos
gegebene Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung hinaus darauf gerichtet ist,
die im LTTE- Gebiet lebenden und an den Auseinandersetzungen nicht unmittelbar
beteiligten Personen unterhalb der Schwelle der physischen Vernichtung oder
Beeinträchtigung unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen und so auszugrenzen, kann
ebenfalls nicht festgestellt werden. Dem steht zum einen das von der srilankischen
Regierung verfolgte, die militärischen Kampfhandlungen ergänzende (längerfristige)
politische Konzept zur Lösung des Konflikts durch Dezentralisierung bzw. Regionalisierung
der Macht und teilweise Autonomie für tamilische Siedlungsgebiete sowie das in den
vergangenen Jahren in Jaffna von der Regierung mit Erfolg durchgeführte
Wiederaufbauprogramm entgegen (KK 04.01.1996 S. 22 ff.; AA 16.01.1996 S. 5;
28.04.2000 S. 15, 16; 05.06.2000 S. 6; 24.10.2001 S. 19). Ferner spricht dagegen, dass von
der Regierung etwa im Fall Navali die Untersuchung durch eine Kommission angeordnet
wurde und die berichteten schwer wiegenden Angriffe auf zivile Ziele eher Einzelfälle
geblieben sind. Die letzte Aussage ist trotz der wiederholt verfügten, zwischenzeitlich
jedoch wieder aufgehobenen (AA 24.10.2001 S. 12) Pressezensur für die Berichterstattung
über Vorfälle im Zusammenhang mit Aktionen der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte (AA
30.08.1996 S. 2; 28.04.2000 S. 9; 01.08.2000 S. 2; KK 04.01.1996 S. 10; Wingler
31.05.1998 S. 18; 30.09.1998 S. 19) möglich; es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass
es während ihrer Geltung zu schwer wiegenderen Angriffen der staatlichen Streitkräfte auf
zivile Ziele gekommen ist, da diese nach dem Ende der Pressezensurmaßnahmen bekannt
geworden wären und der Propagandaapparat bzw. "Auslandsinformationsdienst" der LTTE
unabhängig von den Zensurmaßnahmen in der Lage ist, Mitteilungen zu verbreiten
(Wingler 03.10.1995 S. 45 f.); derartige Meldungen fehlen auch für die gegenwärtige
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Situation.
(3) Keine Vertreibung in ausweglose Lage
Für die Feststellung, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte objektiv auf eine Vertreibung
der Tamilen und deren Abdrängen in eine ausweglose Lage, also auf eine Verelendung
und damit verbundene Ausgrenzung der Zivilbevölkerung im Norden gerichtet sind, ist
ebenfalls kein Raum. Die Versorgungslage einschließlich der medizinischen ist in den
Kriegsgebieten zwar schlecht, insbesondere für die in die Hunderttausende gehenden
Flüchtlinge in der Vanni-Region; es gelten Einfuhrverbote für Waren, die der LTTE für die
Kriegsführung vorteilhaft sein könnten, wobei die Armee die Verbote zum Teil auch auf
nicht kriegswichtiges Material erstreckt (AA 24.10.2001 S. 30; Wingler 31.05.1998 S. 16 f.).
Andererseits und trotz der in der zweiten Hälfte des Jahres 1998 vorübergehend erfolgten
Kürzung der Lebensmittellieferungen an die Zivilbevölkerung (AA 28.04.2000 S. 27) stellt
die Regierung aber immer wieder Lebensmittel und sonstige Hilfsgüter zur Verfügung,
insbesondere unter Einschaltung des Roten Kreuzes und anderer Organisationen (AA
24.10.2001 S. 30). Die Lage ist danach vergleichbar mit der, die auf der Jaffna-Halbinsel
festzustellen war (vgl. dazu KK 04.01.1996 S. 48, 51; Wingler 13.07.1996 S. 30). Die weit
gehende Blockierung des Wirtschaftslebens durch die Beschränkung von Gütern und
Transportwegen (KK 04.01.1996 S. 42 ff.) ist nachvollziehbar Bemühungen zuzuordnen,
möglichen Nutzen für den Bürgerkriegsgegner, welcher im Übrigen regelmäßig auch Teile
von Lebensmittellieferungen für seine Kämpfer abzweigt (AA 07.11.1995 S. 2; 24.10.2001
S. 30), weitestgehend auszuschalten. Dies zeigt sich auch daran, dass die Regierung in
Gebieten, in denen sie die Gebietsgewalt zurückerlangt hat, die Wiederherstellung der
privaten Wirtschafts- und Geschäftsstruktur als vorrangig ansieht, was etwa in Jaffna seit
Jahren zur freiwilligen Rückkehr zehntausender Tamilen geführt hat (AA 24.10.2001 S. 19).
(4) Exzesse der Sicherheitskräfte
Soweit es in den umkämpften Bürgerkriegsgebieten in unmittelbarem Bezug zu Zivilisten
zu schweren Übergriffen durch srilankische Soldaten gekommen ist, seien es die
wiederholt berichteten Vergewaltigungen oder etwa die Entführung und Ermordung zweier
junger tamilischer Frauen sowie im Zusammenhang mit einem dieser Fälle der Ermordung
dreier weiterer Tamilen, handelt es sich offensichtlich um Exzesstaten ohne Aussagegehalt
für einen Hintergrund politischer Verfolgung; es ist bekannt geworden, dass in derartigen
Fällen Sonderkommissionen zur Untersuchung eingesetzt, Armeeangehörige verhaftet
(Südasien 7-8/96 S. 17; KK 24.02.1997 S. 6; AA 24.10.2001 S. 25) und in einem
aufsehenerregenden Prozess mehrere Armeeangehörige als Täter zum Tode und weitere
zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind (South-Asia-Bureau, Inform --
.07.1998 S. 10; AA 28.04.2000 S. 20; ai 25.01.2001 S. 3). Es zeigt sich, dass die Übergriffe
staatlicherseits nicht einfach hingenommen, erst recht nicht als Mittel einer
Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung akzeptiert werden.
(5) "Quasi-staatliche" Verfolgung durch die LTTE
In den vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten, in denen der srilankische Staat seine
Gebietsgewalt an die LTTE verloren hat, hat diese - unter Übernahme des Vorgefundenen -
eigene quasi-staatliche Strukturen aufgebaut (AA 05.06.2000 S. 7 f.; 24.10.2001 S. 18;
Südasien 5/00 S. 16) und eine innere Ordnung von gewisser Stabilität errichtet, wenngleich
diese nur durch Hilfeleistung des srilankischen Staates - etwa durch Finanzierung der
Einrichtungen der Daseinsvorsorge und Nahrungsmittellieferungen - aufrecht zu erhalten
ist (AA 05.06.2000 S. 7 f.). Aufgrund dieser in den betreffenden Gebieten errungenen
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Ordnungsgewalt dürfte die LTTE trotz der andauernden bewaffneten
Auseinandersetzungen um ihren Einflussbereich mit den srilankischen Streitkräften und der
deshalb fehlenden Gebietsherrschaft "nach außen" die Fähigkeit zu einer "quasi-
staatlichen" politischen Verfolgung der dort ansässigen Bevölkerung erlangt haben.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 20.00 - und - 9 C 21.00 -, jeweils a.a.O.
Gleichwohl kann im hier gegebenen Zusammenhang offen bleiben, ob das in den
Erkenntnisquellen als brutal und menschenrechtswidrig beschriebene Vorgehen der LTTE-
Angehörigen gegenüber der in ihrem Einflussbereich ansässigen Zivilbevölkerung - so
werden Entführungen zur Lösegelderpressung, Festnahmen und Hinrichtungen politisch
Andersdenkender, Tötung von "Kriegsgefangenen" und Zivilisten, Folterungen und
Zwangsrekrutierungen beschrieben (AA 24.10.2001 S. 18; Südasien 3/01 S. 65) - die
Merkmale einer "quasi-staatlichen" politischen Verfolgung aufweist. Die der LTTE aufgrund
ihrer Gebietsgewalt gegebene Verfolgungsmächtigkeit ist auf geringe Teilflächen des
Staatsgebiets von Sri Lanka beschränkt; Rückkehrer aus dem Ausland werden sowohl am
Ort ihrer Ankunft als auch in den übrigen, vom srilankischen Staat beherrschten
Landesteilen durch die srilankischen Sicherheitskräfte geschützt; dort droht ihnen nicht mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch die LTTE.
Vgl. zum anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit BVerwG, Urteil
vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 -, NVwZ 1997, 194 (196 f.).
Bei der insoweit - gegebenenfalls - vorliegenden Konstellation der Verfolgung durch einen
anderen ("Quasi-") Staat ist es auch ohne Bedeutung, ob am Ort der Schutzgewährung die
Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative gegeben sind.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. August 1996, a.a.O., S. 197.
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Annahme einer politischen
Verfolgung von Tamilen durch die LTTE in deren Einflussgebiet auch für die Frage einer
politischen Verfolgung von Tamilen durch den srilankischen Staat in den übrigen
Landesteilen für das Klagebegehren ohne jede Bedeutung wäre; insbesondere wäre
wegen des fehlenden sachlichen Zusammenhangs zwischen eventuellen
Verfolgungsakten der LTTE und dem Handeln der srilankischen staatlichen
Sicherheitskräfte -
vgl. zu diesem Kriterium BVerwG, Urteile vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 -, a.a.O., S. 196
f., und vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97 ff. = NVwZ 1997, 1134 -
weiterhin für die Frage staatlicher politischer Verfolgung der Prognosemaßstab der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.
dd) Gebiete im Norden mit staatlicher Gebietsgewalt
Für die Gebiete, in denen es zur Beendigung des offenen Bürgerkriegs gekommen ist und
der srilankische Staat die Gebietsgewalt zurückgewonnen und auch im Rahmen der
jüngeren Auseinandersetzungen behauptet hat, ist eine mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung für Rückkehrer nicht festzustellen.
(1) Allgemeine Sicherheitslage
Das allgemeine Vorgehen der Regierung bietet keinen Ansatz zur Feststellung einer
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ausgrenzenden Behandlung der gesamten tamilischen Zivilbevölkerung. Eine große Zahl
von 1995 aus dem westlichen Teil der Jaffna-Halbinsel geflüchteten Tamilen ist nach der
Einnahme weiter Gebiete der Jaffna-Halbinsel durch die Armee (Südasien-Büro
15.04.1996 S. 1) in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (Wingler 13.07.1996 S. 27; AA
24.10.2001 S. 19). Die Zahl der tamilischen Bevölkerung wird derzeit mit etwa 500.000
angegeben (AA 24.10.2001 S. 19). Ein singhalesischer Journalist berichtete nach einer
Informationsreise von Zerstörungen unterschiedlichen Ausmaßes, Mangel an
Nahrungsmitteln und Medikamenten, andererseits von offener Anerkennung für das
Verhalten der Armee, die um ein positives Bild in der tamilischen Zivilbevölkerung bemüht
sei und von der sich diese nicht bedroht fühle (KK 06.06.1996 S. 6 ff.). Auch nach dem
Bericht einer Menschenrechtsorganisation (UTHR 27.12.1996 S. 2, 4 f.) wurde die Rolle
der Armee und besonders einiger Kommandeure, etwa in Vadamaratchi und in dem die
Stadt Jaffna einschließenden Gebiet positiv gesehen; allerdings hat auch ein Abgeordneter
im Parlament eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Armee und Bevölkerung
beklagt (KK 24.02.1997 S. 6). Von Seiten der Regierung wurden alsbald große
Anstrengungen unternommen, außer den Soldaten auch die Zivilbevölkerung zu versorgen
(Wingler --.09.1996 S. 26). Die Versorgung mit Lebensmitteln wurde relativ stabil; viele
Schulen, die Universität und Krankenhäuser haben ihren Betrieb wieder aufgenommen (AA
30.08.1996 S. 9; 27.05.1999 S. 6; 28.04.2000 S. 15; 05.06.2000 S. 7; 26.01.2001 S. 2;
Wingler 27.11.1996 S. 23). Zum Aufbau einer zivilen Verwaltung auf der Jaffna-Halbinsel
entsandte die Regierung tamilische Beamte (KK 06.06.1996 S. 3 f.); im Januar 1998 fanden
kommunale Wahlen statt (Wingler 31.05.1998 S. 10, 20) und die Situation in Jaffna
verbessert sich trotz weit greifender Kontrollen durch das Militär zusehends (UNHCR --
.07.1998 S. 4 und zugehörige Anlage 1 S. 6 f.). Die Menschenrechtslage wird gegenüber
derjenigen vor Juni 1997 als erheblich verbessert beurteilt (AA 19.01.1999 S. 16; Wingler
30.09.1998 S. 10; --.04.2001 S. 3 f.). Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verhalten der
Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung in den von ihnen beherrschten Gebieten
im Norden in Folge des Wiederaufflammens der kriegerischen Auseinandersetzungen ab
Ende 1999 geändert hat, sind nicht ersichtlich.
(2) Festnahmen und Fälle von "Verschwindenlassen"
Soweit die Sicherheitskräfte bei ihrem Kampf gegen die LTTE wie im Großraum Colombo
und den übrigen südlichen Gebieten zum Mittel kurzzeitiger Massenverhaftungen von
Tamilen zum Zweck der Identitätskontrolle greifen (UNHCR 24.08.2001 S. 1 f.), gilt das
oben Ausgeführte. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ergibt sich
hieraus - von Fällen eines konkreten LTTE-Verdachts der Sicherheitsbehörden gegen den
Betroffenen abgesehen - nicht. Bedenken im Hinblick auf eine politische Verfolgung folgten
aus früheren Berichten über Festnahmen und Verschwindenlassen insbesondere junger
tamilischer Männer (vgl. insoweit die Zusammenstellungen UTHR 27.12.1996 S. 2 ff. und ai
--.11.1997 nebst Anhängen A und C). Für den jetzigen Zeitraum sowie die weitere
Entwicklung - auch in künftig wieder in die Gewalt der staatlichen Kräfte gelangenden
Bereichen - und für den Personenkreis der Rückkehrer nach längerem Auslandsaufenthalt
ergeben diese Vorgänge jedoch nichts Tragfähiges im Sinne der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung.
(a) Vorfälle im Jahr 1996
Im April und Mai 1996 sollen über 500 tamilische Jungen und Mädchen, die sich unter den
Flüchtlingen befanden, in Internierungslager auf der Jaffna-Halbinsel und an unbekannte
Orte - auch im Süden des Landes - verbracht worden sein, wobei spätere Freilassungen
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nur in geringer Zahl bekannt wurden; Anfang Juli 1996 kam es nach Bombenanschlägen
zu einer weiteren großen Verhaftungswelle (Wingler 13.07.1996 S. 12, 36). Für den Herbst
1996 wird von mehr als 300 Verschwundenen berichtet, die in Militärhaft genommen
worden waren (Wingler 10.02.1997 S. 32). Nach Zusammenstellungen eines
Parlamentsabgeordneten aus dem November 1996 und dem Januar 1997 wurden in jener
Zeit in Jaffna ca. 130 Personen verhaftet und gelten als verschwunden (KK 24.02.1997 S.
5). Insgesamt gelten für das gesamte Jahr 1996 über 700 Personen als verschwunden (AA
18.04.2000 S. 19) bzw. für sechs Monate des Jahres etwa 540 Personen (ai --.11.1997 S.
1). Es wird befürchtet, dass sie gezielt umgebracht worden oder unter Folter zu Tode
gekommen sind (AA 28.04.2000 S. 19). Hierauf deutet auch die Aussage eines
angeklagten Armeeangehörigen zu Massengräbern in der Region um Chemmani hin
(South-Asia Bureau, Inform --.07.1998 S. 10 f.; Wingler 30.09.1998 S. 9 f.), wenngleich die
hieran anschließenden Nachforschungen ab Frühjahr 1999 bislang erst zum Auffinden von
15 Leichen führten (AA 28.04.2000 S. 20). Im Weiteren können Zahlen dieser
Größenordnung - gegebenenfalls sogar mit einem Zuschlag für unbekannt gebliebene
Fälle - zu Grunde gelegt werden. Es kann hier dahinstehen, ob und in welchem Umfang
Verhaftungsaktionen ihrer objektiven Gerichtetheit nach der Erfassung von LTTE-
Anhängern und -Unterstützern dienen - insofern zeigen Einzelvorkommnisse eine
zumindest grobe Überprüfung unter Freilassung von Unverdächtigen (ai --.11.1997 S. 9) -
doch ist zu beachten, dass die Anlässe einzelner Übergriffe, nämlich Aktionen der LTTE
oder deren anderweitige militärische Erfolge (ai --.11.1997 S. 7; AA 28.04.2000 S. 19), auch
für ein undifferenziertes Vorgehen sprechen. Schließlich kann offen bleiben, ob aus den
Zahlen und den Umständen der Zugriffe auf eine hinreichende Verfolgungsdichte
geschlossen werden kann. Die Geschehnisse des Jahres 1996 sind nämlich für die heutige
Situation und für Tamilen, die nach jahrelangem Auslandsaufenthalt zurückkehren, ohne
tragenden Aussagegehalt.
(b) Entwicklung nach 1996
Zahl und Umfang vergleichbarer Übergriffe sind nach dem Jahre 1996 erheblich
zurückgegangen. Die Aussage des UNHCR (--.07.1998 S. 3), seit der Wiederaufnahme der
bewaffneten Auseinandersetzungen 1995 habe die Anzahl der Fälle von
Verschwindenlassen permanent zugenommen und die Anzahl der berichteten Fälle habe
sich 1997 wiederum erhöht - soweit damit nicht die über mehrere Jahre fortgeschriebene
Gesamtzahl gemeint ist -, kann jedenfalls für die Jaffna-Halbinsel - Jaffna ist neben
Batticaloa und Mannar in diesem Zusammenhang erwähnt - nicht zu Grunde gelegt
werden. Eine Präzisierung im Hinblick auf die Größenordnung oder auf tragfähige
Grundlagen für die Aussage findet sich nicht. Sie kann insbesondere auch dem Material,
auf dem die Stellungnahme des UNHCR beruht (Anlagen 1 bis 3 zu UNHCR --.07.1998),
nicht entnommen werden. Soweit in den herangezogenen Unterlagen Sri Lanka als das
Land mit den meisten Verschwundenen im Jahre 1997 bezeichnet wird (Anlage 2 Ziffer
348), ist das für die Entwicklung im Lauf der Jahre und in Bezug auf den hier zu
betrachtenden Landesteil ebenso ohne Gehalt wie die ersichtlich zeitlich weit greifende
Aussage, die Verletzungen von Menschenrechten seien über Jahre hinweg so zahlreich,
häufig und ernstlich, dass man nicht von isolierten Einzelfällen des Fehlverhaltens
ausgehen könne (Anlage 1 Ziffer 151). Demgegenüber enthält das sonstige
Auskunftsmaterial verschiedener Stellen mit unterschiedlichen Quellen genaue Angaben
und ergibt ein in den Grundzügen übereinstimmendes Bild, sodass den pauschalen und
ohne Bestätigung gebliebenen Aussagen des UNHCR kein Gewicht gegeben werden
kann: Für die erste Jahreshälfte 1997 wird von 35 bzw. 41 Verschwundenen berichtet. In
der Folgezeit ist zunächst kein Fall dieser Art auf der Jaffna-Halbinsel mehr bekannt
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geworden (ai --.11.1997 S. 2; Wingler 30.01.1998 S. 19; AA 24.10.2001 S. 23; US State
Department --.02.2001 S. 5). Im Dezember 2000 ereignete sich dann ein weiterer Vorfall mit
8 Verschwundenen - und letztlich Getöteten - bei Mirusevil auf der Halbinsel Jaffna (US
State Department --.02.2001 S. 3, 5; AA 24.10.2001 S. 22; ai --.--.2001 S. 519), der
unmittelbar nach Bekanntwerden zur Festnahme der verantwortlichen Soldaten wegen
Folter und Mordes führte (US State Department --.02.2001 S. 3, 5; AA 24.10.2001 S. 22);
das Verfahren gegen die 19 in Untersuchungshaft befindlichen Armeeangehörigen dauert
an (AA 24.10.2001 S. 22). In den übrigen Gebieten des Nordens können sich in der
Folgezeit nur einzelne Fälle von Verschwindenlassen ereignet haben, da die Zahl
möglicher Verschwundener für 1999 und 2000 landesweit mit jeweils 12 bis 15 (ai --.--
.2001 S. 519: "mindestens 20" im Jahr 2000, davon 11 im Gebiet Vavuniya) angegeben
wird (AA 24.10.2001 S. 23), von denen 1999 allein 6 dem Raum Batticaloa zugeordnet
werden (AA 28.04.2000 S. 20). Für die Monate Januar bis September 2001 nennt das
Auswärtige Amt unter Bezugnahme auf amnesty international landesweit etwa 10 Fälle (AA
24.10.2001 S. 23); anderenorts wird berichtet, Fälle von Verschwindenlassen ereigneten
sich vor allem in den Regionen Vavuniya und Mannar, wobei auf eine von der HRC in
Vavuniya genannte Zahl von 15 nach Verhaftung vermissten Personen Bezug genommen
und eine Vielzahl von Fällen durch die LTTE Entführter aufgeführt wird (Südasien 3/01 S.
65).
Abgesehen von der sich aus diesen bekannt gewordenen Zahlen ergebenden
durchgreifenden Verbesserung der Situation gibt es weitere Umstände, die es plausibel
erscheinen lassen, dass sich die Zahl der Verschwundenen wie dargestellt auf einen Stand
reduziert hat, bei dem es ersichtlich an der für eine Gruppen- oder Untergruppenverfolgung
erforderlichen Dichte fehlt; von einer Situation, in der die Übergriffe unterschiedslos auf die
Mitglieder einer (Unter-) Gruppe gerichtet sind und nach Intensität und Häufigkeit so eng
gestreut fallen, dass daraus bei objektiver Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine
Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht -
vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O., S. 203
und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, a.a.O. -,
kann nicht gesprochen werden. Die srilankische Regierung ist bemüht, den Übergriffen der
Armee durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen und die Grundsätze der oben zum
Großraum Colombo schon angesprochenen Notstandsgesetzgebung zur Anwendung zu
bringen (AA 28.04.2000 S. 20) - so werden etwa Mitteilungen über eine Verhaftung erstellt
(Wingler 31.05.1998 S. 44) - sowie das Bewusstsein für die Menschenrechte in der Armee
zu verbreiten (ai --.11.1997 S. 14). Sowohl bei der Rekruten- als auch bei der
Offiziersausbildung wurden Menschenrechtsfragen in den Ausbildungskatalog
aufgenommen (AA 21.08.1997 S. 2; 28.04.2000 S. 8); bei den in Jaffna stationierten
Truppenteilen wurden ferner besondere "Menschenrechtseinheiten" - human right cells -
eingerichtet (AA 24.10.2001 S. 10; 28.04.2000 S. 20; US State Department --.02.2001 S.
10); nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes beruht die zu beobachtende Reduzierung
der Fälle von Vermissten auf den von der Regierung bzw. der Präsidentin getroffenen
Maßnahmen (AA 24.10.2001 S. 23). Insbesondere aber ist Wirkung davon zu erwarten,
dass es - wie etwa im Anschluss an den erwähnten Vorfall in Mirusuvil - zu Verfahren
kommt, in denen die Verantwortlichkeit von Armeeangehörigen für schwer wiegende
Vorkommnisse geklärt werden soll und über die in der Presse berichtet wird (ai --.11.1997
S. 2: "Signal für die Sicherheitskräfte"; AA 24.10.2001 S. 22 f.; 28.04.2000 S. 20) - in einem
Strafverfahren gegen Armeeangehörige, die im Norden eingesetzt waren, ist es inzwischen
zu einer Verurteilung gekommen (South-Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10, AA
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28.04.2000 S. 20). Armee- und Polizeiführung haben die Verschwundenenfälle kritisiert
und angekündigt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (US State Department -
-.02.2001 S. 5). Ferner ist von Bedeutung, dass dem Verschwinden von Personen durch
staatlich eingerichtete Kommissionen nachgegangen wird. So ist beim
Verteidigungsministerium ein Board of Investigation eingerichtet worden, dem Hunderte
von Beschwerden vorliegen und von dem bereits in 160 Fällen die Spuren ermittelt worden
sind; außerdem ist die HRC, die inzwischen über Zweigniederlassungen in Jaffna und
Vavuniya verfügt (AA 24.10.2001 S. 9; Wingler 30.01.1998 S. 19), eingeschaltet, die bereits
Ende 1997 über 270 Fällen nachging (ai --.11.1997 S. 2, 12, 13); auf Anordnung von
Präsidentin Kumaratunga wurden sieben im August 2000 bekannt gewordene Fälle von
Verschwinden einer internen Untersuchung unterzogen (ai --.--.2001 S. 519). Schließlich
wird dem Vorgehen der Armee insbesondere im Hinblick auf das Verschwinden von
Zivilisten auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit gewidmet. So hatte eine in Colombo
erscheinende Wochenzeitung eine regelmäßige Rubrik mit Namen von als verschwunden
geltenden Personen eingerichtet (KK 22.02.1997 S. 5); ferner warfen Richter des Obersten
Gerichtshofs den Verfolgungsbehörden öffentlich Rechtsverletzungen und Folter vor (KK
24.02.1997 S. 4; ai 23.02.2000 (ASA 37-99.135) S. 5). Auch der Aussage eines wegen der
Tötung von Zivilisten zum Tode verurteilten Armeeangehörigen zur Existenz von
Massengräbern von der Armee Getöteter wird durch staatliche Stellen, die hierbei
internationale Menschenrechtsorganisationen beteiligen, unter großer Anteilnahme der
Öffentlichkeit nachgegangen (AA 28.04.2000 S. 20). In jüngerer Zeit hat die srilankische
Regierung - auch auf die Kritik nationaler und internationaler
Menschenrechtsorganisationen hin - eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um von
Polizei- und Armeeangehörigen begangene Menschenrechtsverstöße konsequenter zu
ahnden und die Verfahren zu beschleunigen, wie die Anordnung von Gegenüberstellungen
und die Durchführung von Prozessen vor einem Gremium von Berufsrichtern; letztere
Maßnahme dient auch dazu, einer möglichen Einflussnahme auf Schöffenrichter
vorzubeugen (AA 24.10.2001 S. 23).
(c) Gefährdungsminderung für Rückkehrer aus dem Ausland
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Gefährdungssituation von Rückkehrern nach einem
mehrjährigen Auslandsaufenthalt gegenüber derjenigen der in den hier betroffenen
Gebieten ununterbrochen lebenden jungen männlichen Tamilen gemindert ist. Denn als
Vergleichsfälle sind die Vorkommnisse auszuschließen, die nach der Beendigung des
offenen Bürgerkrieges zur Sicherung der wiedererlangten Gebietshoheit dort darauf
gerichtet waren, LTTE-Verdächtige in der Bevölkerung, insbesondere unter den
Flüchtlingen festzunehmen - was auf die Mehrzahl der im Jahr 1996 in Jaffna festgestellten
Verschwundenenfälle zutreffen soll (AA 28.04.2000 S. 19 f.) - und - unterhalb der Schwelle,
die zu politischer Verfolgung führen könnte - Informationen über LTTE-Aktivitäten zu
gewinnen. Insofern ist der Umstand, sich in der letzten Zeit der LTTE-Herrschaft in dem
Bereich aufgehalten zu haben, ein wesentliches Merkmal für den Kreis der Betroffenen, das
die Rückkehrer aus dem Ausland nicht teilen.
Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 1998 - 9 B 136.98 -.
(3) Andere Übergriffe der Sicherheitskräfte
Im Hinblick auf die weiteren unmittelbaren Übergriffe von Angehörigen der
Sicherheitskräfte gegen tamilische Zivilisten, insbesondere auf die Fälle der
Vergewaltigungen oder der willkürlichen Tötungen - für die Zeit von Januar bis September
1997 ist von über 30 Fällen berichtet worden, zu denen Untersuchungen durchgeführt
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worden sind (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 7) - ist auf die vorstehenden Ausführungen
zum Rückgang des Verschwindenlassens zu verweisen, zumal der Verdacht auf
extralegale Tötungen durch die Sicherheitskräfte in den Jahren 2000 und 2001 in erster
Linie im Zusammenhang mit den Verschwundenen-Schicksalen steht (AA 24.10.2001 S.
22). Auch insofern greifen die Maßnahmen zur stärkeren Disziplinierung der Soldaten,
sodass jedenfalls nunmehr von Exzesstaten auszugehen ist, die nicht als politische
Verfolgung zu werten sind; im Übrigen mangelt es auch hier an der erforderlichen Dichte
der Übergriffe.
(4) Übergriffe nichtstaatlicher tamilischer Organisationen
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung ergibt sich auch
nicht aus Übergriffen von Angehörigen militanter tamilischer Organisationen, die mit der
LTTE in offenem Konflikt stehen und mit denen die srilankische Armee auf regionaler
Ebene zusammenarbeitet (AA 28.04.2000 S. 14), wie den im Norden operierenden
"People's Liberation Organisation of Tamil Eelam" - PLOTE - und "Tamil Eelam Liberation
Organisation" - TELO -. Diese Organisationen geben zum einen Informationen über LTTE-
Mitglieder an Sicherheitsbehörden weiter, arbeiten bei der Identifikation von LTTE-
Angehörigen mit den Sicherheitskräften zusammen und liefern von ihnen aufgegriffene
LTTE-Mitglieder an die Sicherheitskräfte aus (AA 24.10.2001 S. 17). Zum anderen führen
die Organisationen auch selbstständig Razzien, Festnahmen und Verhaftungen durch, in
deren Rahmen es in der Vergangenheit wiederholt zu Menschenrechtsverletzungen
gekommen ist, darunter auch unrechtmäßige Festnahmen, Inhaftierungen in illegalen
Haftplätzen, Misshandlungen sowie Fälle des Verschwindenlassens (AA 24.10.2001 S. 17
f.; ai 01.03.1999 S. 4; 16.01.2001 S. 5; US State Department --.02.2001 S. 2, 6 ff.).
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung von Tamilen in den
Aktionsräumen der genannten Organisationen im Norden ergibt sich aus diesen Vorfällen
nicht. Dabei kann offen bleiben, ob das Handeln der Mitglieder dieser Organisationen
gegenüber der Zivilbevölkerung in jeder Hinsicht staatlicher Billigung oder jedenfalls
Duldung unterliegt und diesem daher zuzurechnen ist, oder ob der Staat in den Grenzen
der ihm gegebenen Möglichkeiten Maßnahmen ergreift, um Übergriffen entgegenzuwirken,
was einer Qualifizierung als mittelbare staatliche Verfolgung bereits vom Ansatz her
entgegenstünde. Von einer Duldung illegaler Inhaftierungen geht amnesty international
unter Hinweis auf die Beobachtung von Armeefahrzeugen und Soldaten in illegalen
Haftzentren der PLOTE aus (ai 23.02.2000 (ASA 37-99.135) S. 3). Wingler meint, die
Aktivitäten entzögen sich "fast jeglicher Kontrolle" und die Regierung habe "keine klaren
Schritte" unternommen, dem entgegenzuwirken (Wingler --.05.2000 S. 2; --.04.2001 S. 3).
Das Auswärtige Amt spricht von einem "entschiedenen Eingreifen" der Sicherheitskräfte
gegen rechtswidrige Aktivitäten der PLOTE und TELO in Vavuniya in der zweiten Hälfte
des Jahres 1999 (AA 04.02.2000 S. 2; 01.12.2000 S. 4) bzw. in jüngerer Zeit (AA
24.10.2001 S. 18); insofern berichtet das US State Department von einer Entwaffnung der
PLOTE und TELO durch die Regierung im Anschluss an eine bewaffnete
Auseinandersetzung in Colombo im Mai 1999 (US State Department --.02.2001, S. 2, 6),
die allerdings als nicht effektiv eingeschätzt wird (US State Department --.02.2001 S. 4).
Die Angaben in den vorliegenden Erkenntnissen ergeben jedenfalls nicht, dass diejenigen
Übergriffe von Seiten der genannten Organisationen, die nicht bereits bei objektiver
Bewertung auf die Bekämpfung der LTTE im Bürgerkrieg gerichtet sind und sich hierin
erschöpfen, von einer derartigen Häufigkeit sind, dass für jeden der (mehreren
hunderttausend) Tamilen im betroffenen Gebiet die ernsthafte Gefahr bestünde, ohne
Anknüpfung an irgendwelche über Volkszugehörigkeit, Alter und Geschlecht
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hinausgehenden individuellen Merkmale Übergriffen asylerheblicher Intensität ausgesetzt
zu sein. So beziffert etwa amnesty international die Zahl der in illegalen Haftzentren der
PLOTE in "unbestätigter Haft" gehaltenen Personen auf 40 (ai 01.03.1999 S. 4) und stellen
sich die Fälle von Verschwundenen, für die u.a. die PLOTE verantwortlich gemacht wird
(Nachweise etwa in Anlage 1 zu KK 26.02.1999), ebenfalls als Einzelfälle dar, denen
zudem staatlicherseits nachgegangen wird (vgl. Anlage 1 zu KK 26.02.1999). Soweit davon
berichtet wird, nach einer Meldung der Zeitung "The Island" vom 24. März 2000 werde die
PLOTE in einem Untersuchungsbericht für die Tötung von 620 Menschen in verschiedenen
Teilen des Landes verantwortlich gemacht, wobei sie Unterstützung von
Armeeangehörigen erhalten habe (ai 16.01.2001 S. 5), bezieht sich die Zahlenangabe
ersichtlich auf einen Zeitraum von mehreren Jahren und hat keinen Bezug zu aktuellen
Entwicklungen. So hat das Auswärtige Amt in jüngerer Zeit noch einmal bekräftigt, dass die
Regierung seit 1999 verschärft gegen Eigenmächtigkeiten der PLOTE vorgehe, dass sich
die Verhältnisse seit der zweiten Hälfte des Jahres 1999, insbesondere nach der
Ermordung eines örtlichen PLOTE-Führers im September 1999, verbessert hätten (AA
01.12.2000 S. 4) und dass der Einfluss der PLOTE gerade seit den letzten Wahlen
zurückgegangen sei, nachdem sie nicht mehr im srilankischen Parlament vertreten sei (AA
24.10.2001 S. 18). Für eine gegenteilige Entwicklung sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.
ee) Östliche Landesteile
Die Verhältnisse in den östlichen Landesteilen beinhalten über die auch in den anderen
Landesteilen verbreiteten Aktionen der Sicherheitskräfte zur Identifizierung und Verhaftung
von LTTE-Angehörigen, die in gleicher Weise wie dort zu bewerten sind, hinaus zwar
Gefährdungen von Leib und Leben dort lebender Tamilen durch staatliche oder staatlich
geduldete bewaffnete Kräfte. Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung unerlässliche
Dichte von derartigen Übergriffen, also eine Situation, in der die Übergriffe unterschiedslos
auf die Mitglieder einer Gruppe gerichtet sind und nach Intensität und Häufigkeit so eng
gestreut fallen, dass daraus bei objektiver Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine
Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht, die für ihn den
Aufenthalt dort unzumutbar erscheinen lässt, ist aber für die Tamilen insgesamt oder eine
Untergruppe nicht festzustellen.
(1) Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen
Eine Situation offenen Bürgerkriegs unter mehr als regional begrenztem Verlust der
Gebietshoheit des Staates ist in den östlichen Landesteilen nicht entstanden. Die
Militäroperationen im Norden Sri Lankas ab April 1995 führten zu einer Reduzierung der
Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte im Osten, was dort eine Destabilisierung zur
Folge hatte (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro 15.04.1996 S. 2; Wingler 11.12.1995 S.
45; 31.01.1996 S. 39; Südasien 7-8/96 S. 11, UNHCR --.07.1998 S. 4). Der Abzug der
Truppen ermöglichte es LTTE-Kadern einzudringen, sodass sich der Einflussbereich der
LTTE im Osten des Landes ausweitete (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro 15.04.1996 S.
2). Nach ihrer Niederlage auf der Jaffna-Halbinsel hat sie ihre Präsenz im Osten weiter
verstärkt und kontrolliert dort viele Gebiete (KK 06.06.1996 S. 13; Wingler --.09.1996 S. 36;
AA 24.10.2001 S. 18: Gebiete um Batticaloa und Amparai); die srilankische Regierung hielt
und hält jedoch zumindest die Gebietsgewalt über den Landstreifen an der Küste und die
dortigen (größeren) Ortschaften (EU 02.04.1997 S. 4; Wingler 31.05.1998 S. 19; AA
24.10.2001 S. 18; KK 04.01.1996 S. 32). Zu militärischen Aktionen, die zum Teil auch zivile
Opfer, ganz überwiegend aber Opfer unter den staatlichen Sicherheitskräften und der LTTE
fordern, kommt es nur vereinzelt (Südasienbüro 15.04.1996 S. 1 f.; Wingler 10.02.1997 S.
163
164
18, AA 24.10.2001 S. 18); Großoffensiven fanden mit Ausnahme einer gegen
Urwaldeinrichtungen der LTTE gerichteten Operation (Wingler 31.01.1996 S. 41 f.) nicht
statt (KK 04.01.1996 S. 18). Wenngleich auch von "wahllosen Bombardierungen" ziviler
Ziele berichtet wird (UNHCR --.07.1998, Anlage 1, Nr. 46), erlangen diese Vorfälle wegen
der geringen Zahl der berichteten Opfer (für die Zeit von Januar bis August 1997 wird eine
Zahl von 37 Toten und 30 Verwundeten genannt, UNHCR --.07.1998, Anlage 1 Nr. 47), die
zudem zum Teil der LTTE angelastet werden (UNHCR --.07.1998, ebda.), kein das
militärische Auftreten der staatlichen Sicherheitskräfte im hier betrachteten Gebiet
prägendes Gewicht. Während der Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen im
Norden Sri Lankas Ende 1999 wurden die Sicherheitskräfte im Osten zeitweilig in erhöhte
Alarmbereitschaft versetzt, um auch hier befürchteten Aktionen der LTTE militärisch
entgegentreten zu können (AA 18.04.2000 S. 1). Größere militärische
Auseinandersetzungen sind jedoch nicht bekannt geworden. Von einer nachhaltigen
Beeinträchtigung der tamilischen Bevölkerung durch Maßnahmen des Staates, die einer
kriegerischen Auseinandersetzung zuzuordnen und unter den dafür vom
Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Voraussetzungen auf den Charakter als politische
Verfolgung zu prüfen wären, ist hiernach nicht auszugehen.
(2) Vergeltungsaktionen nach LTTE-Aktionen/"Verschwindenlassen"
Vergeltungsaktionen, die über die Bekämpfung der LTTE oder der Aufklärung ihres
Umfeldes hinausgehen, sind seit 1995 immer wieder vorgekommen und haben zum Tod
zahlreicher Zivilisten geführt. So wurde für Mai 1995 von einem Dutzend außergesetzlicher
Hinrichtungen, für August 1995 von der Tötung zweier Zivilisten und für November 1995 in
einem Fall von der Tötung mehrerer, in einem weiteren Fall von der Tötung von drei oder
sieben Zivilisten berichtet; Anfang 1996 kam es zu einem besonders gravierenden Vorfall
mit der Tötung von 24 Zivilisten, darunter 13 Kindern und auch Frauen (KK 20.03.1996 S.
4; Wingler 29.04.1996 S. 38 ff. ; AA 30.08.1996 S. 9 f.). Gegen Ende 1996 wurde eine
Aktion durchgeführt, bei der tamilische Bewohner ganzer Ortschaften ins offene Feld
getrieben und kontrolliert wurden, eine unbekannte Zahl nach der Festnahme durch die
Armee verschwunden ist und mehrere Personen getötet wurden (Wingler 10.02.1997 S. 30,
40, 43). Für 1996 und 1997 sind ferner Brandstiftungen und Vertreibungen der Bewohner
belegt, wobei auch Personen zu Schaden kamen (Wingler 13.07.1996 S. 41 f., 08.10.1997
S. 23 f.). Für die ersten acht Monate des Jahres 1997 wurde von 35 Getöteten berichtet und
davon, dass die Fälle unter Notstandsrecht untersucht wurden, aber auch davon, dass
Tötungen von den Sicherheitskräften bewaffneten Auseinandersetzungen zugeschrieben
werden, um so eine Untersuchung zu umgehen (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 9). Im
September 1997 wurden bei einem Übergriff 6 Tamilen getötet; weitere wurden verletzt
oder verschwanden (Wingler 08.10.1997 S. 23). Im Februar 1998 wurden acht junge
Tamilen verhaftet und brutal getötet (Wingler 31.05.1998 S. 43). Fälle des Verschwindens
von tamilischen Zivilisten sind auch darüber hinaus - etwa nach Festnahmen durch die
Sicherheitskräfte bei Kontrollen - festzustellen (UNHCR --.07.1998 S. 3), wobei die Zahl
den Umständen gemäß, also insbesondere wegen der mangelnden präzisen Erfassung
und Zusammenfassung sowie mangels fortdauernder Beobachtung der Fälle, nur wenig
zuverlässig angegeben werden kann. Als Anzahl der verschwundenen Personen wird für
den Nordosten für den Zeitraum eines Jahres ab dem Herbst 1994 etwa 30 angegeben (KK
04.01.1996 S. 70 f., 75). Im Frühjahr 1996 wurden bezogen auf den Osten einige Fälle von
Verschwundenen bekannt (EU 02.04.1997 S. 12 unter Hinweis auf die von amnesty
international genannte Zahl sieben), für 1998 wird bezogen auf Trincomalee kein Fall mehr
benannt (AA 24.10.2001 S. 23). Für den Bezirk Batticaloa wird berichtet, im ersten Halbjahr
1997 seien 16 Personen verschwunden (ai --.11.1997 S. 2), im Jahre 1999 6 Personen (AA
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166
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28.04.2000 S. 20). Für die ersten 9 Monate des Jahres 2000 wird für das Gebiet um
Vavuniya und den Osten Sri Lankas zusammen die Zahl von 9 Personen genannt, die aus
dem Gewahrsam der Sicherheitskräfte verschwunden sind (US State Department --
.02.2001 S. 1), für die Zeit von Januar bis September 2001 ist von landesweit etwa 10
Verschwundenenfällen die Rede (AA 24.10.2001 S. 23). Der UNHCR teilt mit, im Osten
seien Fälle von Verschwindenlassen sowie schwer wiegende Misshandlungen im
Polizeigewahrsam weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem (UNHCR --.07.1998 S. 4);
konkretere Angaben lassen sich seiner Stellungnahme und dem in Bezug genommenen
Material allerdings nicht entnehmen. Eine Liste mit den Namen von 2.000
Verschwundenen, über die berichtet wird (Wingler 08.10.1997 S. 26), ist ebenfalls kaum
nachvollziehbar, wenn sie - was in dem Bericht nicht deutlich wird - allein auf die Zeit nach
dem Regierungswechsel, den Friedensgesprächen und dem erneuten Einsetzen der
LTTE- Übergriffe bezogen wird, wohl aber bei Einbeziehung der Verhältnisse ab
1990/1991, die ein nachhaltig anderes Bild ergaben und nach der Rechtsprechung des
Senats (vgl. Urteil vom 8. Juli 1992 - 21 A 914/91.A -) den Schluss auf die beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung junger tamilischer Männer trugen. Da der
Verfasser der Liste seit langer Zeit in Batticaloa ansässig ist und sich mit der Situation der
Bevölkerung befasst, ist anzunehmen, dass es sich um eine fortgeschriebene Liste handelt;
angesichts der sich nicht zuletzt in den Auskünften niederschlagenden Beobachtung der
Entwicklung durch Menschenrechtsorganisationen (EU 02.04.1997 S. 5) kann trotz des
oben aufgezeigten Vorbehalts von einer anderweitig nicht bekannt gewordenen Zahl in der
genannten Größenordnung nicht ausgegangen werden. Auch der Angabe von Wingler
(Wingler --.05.2000 S. 2), "die meisten Fälle von Verschwinden und Tod in Haft werden
derzeitig aus dem Osten berichtet", ist keine Aussage zu einer hohen Zahl derartiger
Vorkommnisse zu entnehmen; sie findet vielmehr ihre Erklärung in dem allgemein in Sri
Lanka konstatierten Rückgang derartiger Übergriffe, der sich etwa in der Zahl von
landesweit jeweils etwa 12 bis 20 Verschwundenenfällen in den Jahren 1999 und 2000
und etwa 10 Fällen in den ersten neun Monaten des Jahres 2001 widerspiegelt (AA
24.10.2001 S. 23; ai --.--.2001 S. 519), wobei sich allerdings allein im Jahr 1999
mindestens sechs Fälle im Raum Batticaloa ereigneten (AA 28.04.2000 S. 20).
In Verbindung mit Aktivitäten der LTTE stehen auch das berichtete Heranziehen von
Zivilisten zum Räumen von Minen und als lebende Schutzschilde im Raum Batticaloa (KK
24.10.1995 S. 5; Wingler 03.11.1995 S. 2, 31.01.1996 S. 41) sowie die Racheakte von
Singhalesen (Wingler 31.01.1996 S. 43) oder Moslems (AA 17.03.1997 S. 5; 28.04.2000 S.
13). Ohne feststellbaren Bezug zu vorangegangenen Aktivitäten der LTTE sind
Plünderungen (Wingler 08.10.1997 S. 24) und Übergriffe gegen Frauen; von Fällen der
Vergewaltigung wird immer wieder berichtet, wobei insbesondere auch auf eine
Dunkelziffer hingewiesen wird (KK 22.02.1997 S. 7; Wingler 10.07.1997 S. 52, 08.10.1997
S. 26; EU 02.04.1997 S. 12; AA 24.10.2001 S. 25).
(a) Kein staatliches Verfolgungsprogramm
Die für die Prüfung, ob jeder in dem hier betrachteten östlichen Landesteil sich aufhaltende
Tamile in der Gefahr aktueller Betroffenheit steht, aussagekräftige Frage, ob hinter den
vorgenannten Beeinträchtigungen ein bestimmtes, der Art nach eine politische Verfolgung
beinhaltendes Programm steht, ist jedoch zu verneinen. Dabei braucht nicht auf die
Einzelgesichtspunkte eingegangen zu werden, die für eine Qualifizierung von Vorfällen als
Akte politischer Verfolgung maßgeblich sind. Der Annahme eines Verfolgungsprogramms
stehen zunächst die Verschiedenartigkeit und Spannweite der vorstehend aufgeführten
Akte, die Vielfalt der Anlässe und Ursachen sowie die Unterschiedlichkeit der Handelnden
168
169
entgegen. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, die Regierung lasse die
Situation gewollt unkontrolliert und dulde bewusst die Beeinträchtigungen der Tamilen,
etwa um diese als Bevölkerungsgruppe ungeachtet einer etwaigen Verbindung zur LTTE
auszugrenzen. Denn die Übergriffe bleiben nicht mehr ohne jede staatliche Reaktion. So ist
der Vorfall von Anfang 1996, bei dem 24 Personen getötet wurden, zum Gegenstand einer
offiziellen Untersuchung gemacht worden (Südasien-Büro 15.04.1996 S. 4, AA 30.08.1996
S. 9 f.) und führte der Übergriff mit 6 Toten im September 1997 alsbald zur Versetzung der
Verantwortlichen (Wingler 08.10.1997 S. 23). Auch nach Vergewaltigungen kam es zu
Festnahmen (AA 24.10.2001 S. 25; KK 22.02.1997 S. 6 f.). Als Folge eines Vorfalls in
Thamapalakamam in der Nähe von Trincomalee im Februar 1998, bei dem Polizei und
Heimwehren acht Tamilen, darunter drei Kinder getötet haben sollen, wird von der
Inhaftierung von 31 Polizisten und 10 Mitgliedern der Heimwehren berichtet, von denen 4
Personen wegen Mordes und 17 Personen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung
angeklagt worden sind (US State Department --.02.2001 S. 3). Die eingeleiteten
Maßnahmen führen zwar nicht zu zügiger Klärung der Verantwortlichkeit und
abschließenden Maßnahmen (AA 24.10.2001 S. 25; Wingler 08.10.1997 S. 25), sie stehen
aber der in dem angeführten Senatsurteil vom 8. Juli 1992 - 21 A 914/91.A - noch
maßgeblich mit herangezogenen Schlussfolgerung entgegen, die Tamilen seien
Übergriffen völlig hilflos ausgesetzt und fänden nirgendwo Gehör. In diesem
Zusammenhang ist auch zu sehen, dass in den Medien von den Übergriffen berichtet wird,
Politiker Vorfälle aufgreifen und öffentliche Proteste stattfinden (AA 24.10.2001 S. 25;
Wingler 08.10.1997 S. 23). Die in dem Bericht des UNHCR vom Juli 1998 wiedergegebene
Aussage einer Arbeitsgruppe der UN-Menschenrechtskommission über eine
"systematische Praxis des Verschwindenlassens" ergibt nichts anderes. Diese Aussage
wird in keiner Hinsicht konkretisiert und untermauert. Welches System insbesondere mit
welchen Kriterien in Bezug auf die Betroffenen zu Grunde liegen soll, wird ebenso wenig
verdeutlicht wie die tatsächlichen Geschehnisse, an die der Schluss auf ein Vorgehen in
bestimmter Weise anknüpfen soll. Den Berichten, auf denen die Stellungnahme beruht
(Anlagen 1 bis 3 zu UNHCR --.07.1998), lässt sich Dahingehendes ebenfalls nicht
entnehmen; insbesondere trägt der sich mit Fragen des Verschwindenlassens befassende
Bericht die Aussage nicht. Damit stimmt überein, dass sich in dem oben ausgewerteten und
eine Vielzahl von Informationen bietenden Auskunftsmaterial kein Anhaltspunkt für eine
solche generelle oder systematische Praxis der Sicherheitskräfte findet und dass der
Bericht selbst die Bewertung enthält, man könne "nicht von einer geplanten Politik von
Menschenrechtsverletzungen sprechen" (UNHCR --.07.1998 S. 1 f., Anlage 1 Rdnr. 151).
(b) Dichte der Übergriffe
Die aufgezeigten Beeinträchtigungen - für die im Einzelnen eine Untersuchung des
Charakters der politischen Verfolgung unterbleibt - reichen in ihrer Gesamtheit nicht aus,
um auf eine aktuelle Gefahr für jeden Einzelnen zu schließen. Die Vergeltungsschläge sind
im Vergleich zu den Übergriffen der LTTE eher selten geblieben. Denn die Situation ist seit
Jahren dadurch geprägt, dass die LTTE eine Vielzahl von Übergriffen auf strategisch
wichtige Ziele, auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei sowie - um Ausschreitungen
von Singhalesen gegen Tamilen zu provozieren (KK 04.01.1996 S. 34; AA 17.03.1997 S.
4) - auf singhalesische Dörfer verübt (KK 04.01.1996 S. 17, 34; Wingler 31.01.1996 S. 40 f.,
10.07.1997 S. 39, 53, 08.10.1997 S. 21, 23,). Es kam zu Übergriffen der LTTE mit in
Einzelfällen sehr hoher Zahl an Opfern vor allem unter der singhalesischen Bevölkerung -
so im Mai 1995 mit 42 (AA 07.11.1995 S. 1) und im Oktober 1995 mit 73 Getöteten (KK
24.10.1995 S. 15). Die Zahl der getöteten Sicherheitskräfte ist insbesondere auf den
Außenposten hoch (Wingler 08.10.1997 S. 23). Für Anfang 1996 etwa wurde sie auf über
170
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172
173
500 geschätzt (Wingler 29.04.1996 S. 34), allein im Januar 1997 betrug sie über 200
(Wingler 10.02.1997 S. 18). Angriffe auf Armeelager und Polizeistellen, die teilweise
mehrere oder gar bis zu 30 Menschenleben fordern, werden als sehr zahlreich, manchmal
als fast täglich geschehend dargestellt (Wingler 29.04.1996 S. 34, 13.07.1996 S. 9,
10.07.1997 S. 39; AA 12.07.1995 S. 1). Hinzu kommen Terroranschläge, etwa auf
Verkehrsmittel und Politiker (Wingler --.09.1996 S. 18, 37, 08.10.1997 S. 27; AA 05.06.2000
S. 13). Eine Situation, bei der praktisch nach jedem Akt der LTTE mit einer zugespitzten
Gefährdung zu rechnen ist, ist daher nicht festzustellen. Das Verschwindenlassen von
Personen bei Gelegenheit der Vergeltungsaktionen und in sonstigen Zusammenhängen
sowie die Vergewaltigungen sind zwar - was in die Beurteilung der Zumutbarkeit des
Aufenthalts einfließen muss - Akte von ganz erheblicher Schwere; die Häufigkeit kann aber
selbst bei Berücksichtigung einer Dunkelziffer nicht als so hoch angesehen werden, dass
für jeden aus dem jeweils in Betracht zu ziehenden Personenkreis mit dem jederzeitigen
Eintritt zu rechnen ist, zumal die schon angesprochene mögliche Publizität und staatliche
Reaktion eine eindämmende Wirkung entfalten können. Auch für die sonstigen Übergriffe
wie die durch andere Bevölkerungsgruppen und Organisationen sowie das Heranziehen
zum Minensuchen usw. und in einer Gesamtschau ergibt sich nach dem umfangreichen
Material, das ersichtlich alles aufgegriffen hat, was in Erfahrung zu bringen war, sodass
auch kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht, keine in dem erforderlichen Sinne
zugespitzte Gefahrenlage für den Einzelnen.
(3) "Quasi-staatliche" Verfolgung durch LTTE
Ob Angehörige der LTTE in den von ihr beherrschten südöstlichen Gebieten um Batticaloa
und Amparai (AA 24.10.2001 S. 18) politische Verfolgung betreiben, kann ebenso
dahingestellt bleiben, wie dies hinsichtlich der LTTE-beherrschten Gebiete im Norden der
Fall ist. Insofern kann auf das oben Ausgeführte Bezug genommen werden.
ff) Absehbare weitere Entwicklung
Die Beurteilung der Situation der Tamilen in Sri Lanka durch den Senat beruht auf
Erkenntnissen über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Diese Beurteilung kann auch bei
der gebotenen Prognose zu Grunde gelegt werden, da beachtliche Anhaltspunkte für eine
Entwicklung hin zum Schlechteren fehlen. Die Ereignisse aus jüngster Zeit, namentlich das
Geschehen im Jahre 2001 bis zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung, geben nichts
Greifbares dafür her, dass sich die Situation in absehbarer Zeit zu Lasten der tamilischen
Bevölkerung in asylrelevanter Weise verschärfen könnte. Der Stand der militärischen
Auseinandersetzungen zwischen den Regierungstruppen und der LTTE im Norden Sri
Lankas lässt keine grundlegend neue und abweichend zu den obigen Ausführungen zu
bewertende Entwicklung erwarten. Die militärische Lage war bereits nach den
kriegerischen Auseinandersetzungen im Vorjahr (AA 11.03.2001 S. 5, AA 24.10.2001 S. 5)
und ist auch aktuell gekennzeichnet durch ein "Patt" im Kampf um die Kontrolle der
Halbinsel Jaffna (Fischer Weltalmanach 2002, Spalte 759). Hieran haben auch die nach
Aufkündigung eines von der LTTE am 24. Dezember 2000 einseitig ausgerufenen
Waffenstillstandes am 24. April 2001 (NZZ vom 24.04.2001, AA 24.10.2001 S. 5) für
wenige Tage ausgebrochenen schweren Kämpfe (FR vom 26.04.2001, NZZ vom
27.04.2001, SZ vom 27.04.2001) nichts geändert. Vielmehr ist erneut die Aussichtslosigkeit
einer militärischen Lösung des Konflikts deutlich geworden (NZZ vom 30.04.2001).
Während die Regierungstruppen bei einem abermaligen Versuch scheiterten, ihre
Einkesselung auf der Jaffna-Halbinsel durch die Gewinnung einer Landverbindung über
den "Elephant Pass" zu sprengen, gelang es der LTTE nicht, die Regierungstruppen von
der Jaffna-Halbinsel zu vertreiben (FR vom 30.04.2001, NZZ vom 30.04.2001, Fischer
Weltalmanach 2002, Spalte 759). Auch die durch die Auflösung des Parlaments für 60
Tage (FR vom 12.07.2001, NZZ vom 14.07.2001), durch Demonstrationen oppositioneller
Gruppen mit teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern
und Sicherheitskräften (FR vom 17.07.2001, FAZ vom 20.07.2001, SZ vom 17.07.2001 und
vom 23.07.2001) sowie durch eine Regierungskrise bestimmte labile innenpolitische
Entwicklung (Flück, Politische Entwicklungen in Sri Lanka, Südasien 3/01 S. 60 ff.) gibt
keinen Anlass für die Annahme einer Verschärfung der Sicherheitslage. Zwar ist die
Friedensinitiative Norwegens, in deren Rahmen noch im Frühjahr 2001 beide Seiten
Gesprächsbereitschaft signalisiert hatten (FAZ vom 12.03.2001 und vom 15.03.2001) und
die Regierung im Zusammenhang mit der Milderung des Wirtschaftsembargos gegen den
Norden Sri Lankas (NZZ vom 07./08.04.2001) konkrete Friedensgespräche angekündigt
hatte (NZZ vom 04.04.2001), im Sommer 2001 aufgrund der innenpolitischen Situation ins
Stocken geraten (Flück, Politische Entwicklungen in Sri Lanka, Südasien 3/01 S. 62) und
ruht derzeit faktisch (AA 24.10.2001 S. 6). Auch hat der Anschlag der LTTE auf den
Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden Bandaranaike-International-
Airport am 24. Juli 2001 (FAZ vom 25.07.2001, FR vom 25.07.2001, NZZ vom 25.07.2001
und 03.08.2001, SZ vom 25.07.2001, AA 24.10.2001 S. 5) das Land erschüttert. Zu
berücksichtigen ist aber im Hinblick auf die künftige Entwicklung vor allem, dass dieser
Anschlag trotz seiner massiven Auswirkungen auch auf die srilankische Wirtschaft und
insbesondere den Tourismussektor im Gegensatz zu früheren Vorfällen nicht zu einer
Eskalation der Verhältnisse und/oder zu einer massiven Verschärfung der Sicherheitslage
oder der Verfahrenspraxis in Bezug auf Rückkehrer geführt hat (AA 24.10.2001 S. 12, 27).
Vielmehr hat dieser Anschlag offensichtlich mehr als der Bürgerkrieg und die Attentate der
letzten 18 Jahre auch einen tiefen Schock ausgelöst (taz vom 27.08.2001) und die
Gewissheit verstärkt, dass die Lösung des Konfliktes nur in Friedensgesprächen liegen
kann. Die Regierung hat bereits im August 2001 wieder Kontakt zur LTTE aufgenommen,
um die Möglichkeit für eine Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zu sondieren (NZZ
vom 16.08.2001). Bei den Gesprächen im Norden Sri Lankas soll auch die LTTE
Bereitschaft zu Verhandlungen signalisiert haben (NZZ vom 16.08.2001). Vertreter der
srilankischen Unternehmerverbände haben sich für die Aufnahme von Friedensgesprächen
stark gemacht (taz vom 27.08.2001). Die Regierungskrise konnte Anfang September 2001
durch ein Duldungsbündnis des regierenden Parteienbündnisses "People's Alliance" (PA)
mit der oppositionellen "Janatha Vimukthi Peramuna" (JVP) zunächst abgewendet werden
(NZZ vom 04.09.2001, AA 24.10.2001). Nach Auflösung des Parlaments am 10. Oktober
2001 (NZZ 11.10.2001) sind Neuwahlen für den 5. Dezember 2001 angesetzt (FR vom
12.10.2001, NZZ vom 12.10.2001). Im Vorfeld der Parlamentswahlen ist es wie auch schon
regelmäßig bei früheren Parlamentswahlen in den letzten Wochen zu Anschlägen
gekommen, unter anderem zu einem fehlgeschlagenen Selbstmordattentat auf den
srilankischen Premierminister in Colombo am 29. Oktober 2001 (SZ vom 30.10.2001) und
zu einem Selbstmordanschlag auf einen Öltanker vor der Küste Sri Lankas am 30. Oktober
2001 (SZ vom 31.10./01.11.2001). Die aktuelle Situation und die in absehbarer Zeit zu
erwartende Entwicklung fügen sich nach alledem ohne Weiteres in das schon in der
Vergangenheit wiederholt zu verzeichnende Auf und Ab der staatlichen Maßnahmen
entsprechend der jeweiligen Einschätzung der Sicherheitslage ein und geben zu einer
Neubewertung der Situation im Hinblick auf ihre Asylrelevanz keinen Anlass. Zweifel an
dieser Einschätzung ergeben sich auch nicht aus den bereits in anderem Zusammenhang
gewürdigten Erkenntnissen, namentlich etwa der Stellungnahme von amnesty international
vom 16. Januar 2001, dem Jahresbericht 2001 von amnesty international für Sri Lanka,
dem Menschenrechtsbericht des US State Department von Februar 2001 für das Jahr 2000
oder dem vom Rat der Europäischen Union unter dem 25.06.2001 im Rahmen der CIREA-
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175
176
Arbeitsgruppe veröffentlichten Hintergrundpapiers des UNHCR von Juni 2001 zu
Flüchtlingen und Asylsuchenden aus Sri Lanka. Die in diesen Unterlagen angesprochenen
Vorfälle und Ereignisse liegen, soweit sie in nachvollziehbarer Weise konkretisiert sind, in
qualitativer und quantitativer Hinsicht im Rahmen dessen, was der Senat seiner
Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht zu Grunde legt."
gg) Entwicklung seit den Urteilen vom 23. und 29. November 2001 sowie aktuelle
Bewertung An dieser Bewertung der Nachfluchtgründe hat der Senat im Anschluss an die
rechtskräftigen Urteile vom 23. November 2001 - 21 A 4018/98.A und 21 A 5185/98.A - und
29. November 2001 - 21 A 3853/99.A - in der Gesamtbeurteilung und in der Beurteilung
aller Einzelumstände auch unter Berücksichtigung der Entwicklung bis zum Herbst des
Jahres 2003 festgehalten. Insoweit wird verwiesen auf die Urteile vom 15. November 2002
- 21 A 4834/99.A und 21 A 1329/00.A - sowie vom 5. Dezember 2003 - 21 A 636/01.A, 21 A
1542/02.A, 21 A 54/01.A sowie 21 A 259/01.A -. Die seitdem in Sri Lanka festzustellende
Entwicklung gibt keinen Anlass, von dieser rechtlichen Beurteilung der sich für tamilische
Volkszugehörige im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland ergebenden Situation
abzugehen. Im Einzelnen gilt Folgendes:
(1) Entwicklung in Sri Lanka seit Herbst 2001
Ausgangspunkt der aktuellen Entwicklung in Sri Lanka war die Parlamentswahl im
Dezember 2001. Nach dem Übertritt von 13 Abgeordneten zur Oppositionspartei "United
National Party" (UNP) und dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit ihres
Wahlbündnisses "People's Alliance" (PA) sah sich Präsidentin Kumaratunga veranlasst,
am 10. Oktober 2001 das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 747; FR vom 12.10.2001, NZZ vom 11.10.2001 und
12.10.2001). Im Vorfeld der Parlamentswahlen kam es - wie schon regelmäßig bei früheren
Parlamentswahlen - zu Anschlägen, unter anderem zu einem fehlgeschlagenen
Selbstmordattentat auf den damaligen Premierminister Ratnasiri Wickremanayake am 29.
Oktober 2001 in Colombo (AA 06.09.2002 S. 6; SZ vom 30.10.2001) und zu einem
Selbstmordanschlag auf den Öltanker "Silk Pride" vor der Küste Sri Lankas am 30. Oktober
2001 (SZ vom 31.10./01.11.2001); insgesamt kamen in dem von Gewalttaten geprägten
"blutigen Wahlkampf" (Flück, Menschenrechtslage in Sri Lanka, Südasien 4/01 S. 67; NZZ
vom 05.12.2001 und 07.12.2001) - in anderen Berichten ist sogar vom "blutigsten
Wahlkampf in der Geschichte des Inselstaates" (FR vom 05.12.2001) bzw. vom
"gewalttätigsten in Sri Lankas Geschichte" (SZ vom 05.12.2001) die Rede - über 40
Menschen ums Leben (ai Jahresbericht 2002 S. 514 (47 Tote); AA 06.09.2002 S. 23 und
Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747 (43 Tote)). Auch der Wahlgang selbst wurde
überschattet von Schießereien, Bombenanschlägen und mindestens zehn Todesopfern
(AA 06.09.2002 S. 23; NZZ vom 06.12.2001 und 07.12.2001). Bei der Abstimmung am 5.
Dezember 2001 rutschte die bisher regierende PA, die weiterhin eine strikt militärische
Lösung des Konflikts mit der LTTE forderte, auf einen Stimmenanteil von 37,2 v.H. ab. Die
mit der PA verbündete marxistische Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) kam auf 9,1 v.H.
Demgegenüber konnte die oppositionelle UNP, die den Wahlkampf mit dem zentralen
Versprechen geführt hatte, umgehend Friedensgespräche aufzunehmen, 45,6 v.H. der
Stimmen gewinnen; sie stellte 109 der 225 Abgeordneten und besaß zusammen mit der
verbündeten "Tamil United Liberation Front" (15 Mandate) und dem "Sri Lanka Muslim
Congress" (5 Mandate) die Parlamentsmehrheit (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747 f.;
FAZ vom 08.12.2001, FR vom 08.12.2001, NZZ vom 07.12.2001 und 08./09.12.2001, SZ
vom 08./09.12.2001). Mit Amtsantritt der neuen "United National Front" (UNF)-Regierung
unter dem UNP-Vorsitzenden Ranil Wickremasinghe am 12. Dezember 2001 (Fischer
177
Weltalmanach 2003 Spalte 747 f.; NZZ vom 10.12.2001) wurden die Bemühungen um eine
friedliche Lösung des Konflikts wieder aufgenommen (AA 06.09.2001 S.5 f.). Schon am 19.
Dezember 2001 kündigte die LTTE einen einseitigen Waffenstillstand für einen Monat als
Geste des guten Willens an (NZZ vom 20.12.2001). Diese Erklärung erfolgte zu einem
Zeitpunkt, in dem die LTTE weltweit zunehmend unter Druck und dabei vor allem auch in
finanzielle Bedrängnis geraten war und weiter geriet (NZZ vom 05.07.2002). Bereits vor
dem 11. September 2001 hatten die USA, Großbritannien, Indien und Kanada die Tätigkeit
der LTTE in ihren Ländern unterbunden und ihr damit einen wesentlichen Teil ihrer
traditionellen finanziellen Basis entzogen (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ
vom 05.07.2002 und 16.09.2002; vgl. zur Finanzbeschaffung der LTTE in Deutschland
Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzberichte 2000 S. 219, und 2001 S. 242
f.; Innenministerium NRW, Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein- Westfalen
über das Jahr 2001 S. 247). Im Zusammenhang mit den Anschlägen auf das World Trade
Center in New York und das Pentagon in Washington am 11. September 2001 hatten
Forderungen, die LTTE bzw. LTTE-Frontorganisationen auch in anderen Ländern zu
verbieten sowie ihre "fundraising"-Aktivitäten zu beschneiden, neue Nahrung erhalten (KK
17.04.2002 S. 5; FAZ vom 23.09.2002). Am 21. Dezember 2001 schlossen sich die
Regierungstruppen dem Waffenstillstand an; eine Vereinbarung über eine vorläufige
einmonatige Waffenruhe trat am 24. Dezember 2001 in Kraft (AA 06.09.2002 S. 5 f; Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR vom 27.12.2001). Noch im Dezember 2001 bat die
neue Regierung Norwegen offiziell um Hilfe bei der Wiederaufnahme von
Friedensgesprächen (NZZ vom 27.12.2001).
Am 15. Januar 2002 lockerte die Regierung weitgehend das Embargo gegen die von der
LTTE gehaltenen Gebiete (AA 06.09.2002 S. 6; Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748;
KK 17.04.2002; FR vom 03.01.2002, FAZ vom 16.01.2002, SZ vom 17.01.2002) und
bestärkte damit die Hoffnungen auf Frieden in Sri Lanka (FAZ vom 16.01.2002, SZ vom
17.01.2002). Am 21. Januar 2002 wurde die Waffenruhe beidseitig um einen Monat
verlängert (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 22.01.2002, FAZ vom
23.01.2002). In einer symbolischen "Geste guten Willens" entließ die LTTE am 22. Januar
2002 zehn seit Jahren gefangene Regierungssoldaten und übergab sie an eine
Friedensorganisation aus dem Süden des Landes, in der sich Eltern verschollener
Soldaten zusammengeschlossen haben (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR vom
23.01.2002). Die Hauptbemühungen der auch von Präsidentin Kumaratunga unterstützten
norwegischen Friedensinitiative galten in der Folgezeit dem Abschluss eines formalisierten
längerfristigen Waffenstillstandsabkommens zwischen Regierung und LTTE als Basis für
weitere Verhandlungen (AA 06.09.2002 S. 6). Rasch stellten sich Fortschritte und Zeichen
wachsender Normalisierung ein (FAZ vom 08.02.2002, FR vom 23.01.2002). Mitte Februar
2002 wurde vereinbart, die jahrelang umkämpfte Verbindungsstraße von der Halbinsel
Jaffna in den Süden Sri Lankas wieder zu eröffnen (FR vom 16.02.2002); von Seiten der
Regierung wurde die Aufhebung des Verbots der LTTE in Aussicht gestellt, die diese zur
Vorbedingung für die Aufnahme von Friedensgesprächen gemacht hatte (NZZ vom
24.01.2002, FR vom 20.02.2002 und 08.06.2002, FAZ vom 22.02.2002). Am 22. Februar
2002 erreichten die norwegischen Vermittler unter dem stellvertretenden Außenminister
Vidar Helgesen ungeachtet schwerer Seekämpfe zwischen Regierungstruppen und
Rebellen vor der Küste Sri Lankas (FAZ vom 22.02.2002) ein unbefristetes
Waffenstillstandsabkommen zwischen Regierung und LTTE (Fischer Weltalmanach 2003
Spalte 748; FAZ vom 22.02.2002, NZZ vom 22.02.2002, 23./24.02.2002 und 25.02.2002,
FR vom 23.02.2002), das allerdings auf Kritik bei Präsidentin Kumaratunga stieß (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR vom 23.02.2002, NZZ vom 25.02.2002). Dieses
Abkommen trat in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 2002 in Gestalt des
"Memorandum of Understanding between the Government of the Democratic Socialist
Republic of Sri Lanka and the Liberation Tigers of Tamil Eelam" in Kraft (KK 17.04.2002 S.
6; AA 06.09.2002 S. 5 f.; NZZ vom 25.02.2002). Neben einem beidseitigen unbefristeten
Waffenstillstand sieht es eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen auf beiden Seiten,
Erleichterungen für die Bevölkerung in den Gebieten unter der Kontrolle der LTTE und
Fristen von 30 bis 90 Tagen für die Umsetzung aller Vorschriften vor. Eine international
besetzte "Sri Lanka Monitoring Mission" (SLMM) unter Führung Norwegens überwacht die
Durchführung des Abkommens. Als Zeitpunkt für Vorgespräche über eine mögliche
friedliche Konfliktbeilegung wurde Anfang Mai 2002 in Aussicht genommen (AA
06.09.2002 S. 6). Der Waffenstillstand wurde in der Folgezeit eingehalten und es gab
zunächst auch keine Selbstmordanschläge mehr (NZZ vom 05.07.2002). Am 14. März 2002
besuchte zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder ein srilankischer Regierungschef die LTTE-
Hochburg Jaffna (NZZ vom 15.03.2002 und 05.07.2002). Bei Kommunalwahlen
unterstützte die Bevölkerung den Kurs der UNF-Regierung und die geplanten
Verhandlungen mit der LTTE (NZZ vom 22.03.2002 und 23.05.2002, FR vom 22.05.2002).
Anfang April 2002 erhielt die LTTE die Erlaubnis, Büros auch in den bislang von
Regierungstruppen kontrollierten Gebieten zu eröffnen, um dort ihrer politischen Arbeit
nachgehen zu können (KK 17.04.2002 S. 6). Am 9. April 2002 wurde die
Hauptzufahrtsstraße nach Jaffna nach ihrer Entminung wieder für den Verkehr freigegeben,
sodass nach 12 Jahren Unterbrechung erstmals die Landverbindung zwischen der
Hauptstadt Colombo und Jaffna wieder durchgängig befahrbar ist (KK 17.04.2002 S. 6;
Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 10.04.2002). Erste Inlandsflüchtlinge
begannen mit der Rückkehr in ihre Heimatgebiete (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748;
FR vom 30.07.2002); LTTE-Führer Prabhakaran, der sich am 10. April 2002 nach zwölf
Jahren Versteck anlässlich einer Pressekonferenz in Kilinochchi wieder in der
Öffentlichkeit hatte sehen lassen (NZZ vom 11.04.2002 und 05.07.2002, SZ vom
12.04.2002), und der Vorsitzende der muslimischen Partei SLMC unterzeichneten ein
Abkommen über die Rückkehr von 100.000 Muslimen in den Norden Sri Lankas (FAZ vom
15.04.2002). Die zunächst für Anfang Mai, später für Juni und dann für Juli 2002
angekündigte Aufnahme der Friedensverhandlungen (NZZ vom 28.03.2002, 10.04.2002,
19.04.2002, 23.05.2002 und 05.07.2002, SZ vom 28./29.03.2002) verzögerte sich auch
wegen der von der LTTE gestellten Bedingung einer vorherigen Aufhebung des Verbots
ihrer Organisation weiter (FR 31.05.2002). Am 7. Juni 2002 kündigte die Regierung an, das
Verbot zehn Tage vor Beginn der Verhandlungen aufzuheben (FAZ vom 08.06.2002, FR
vom 08.06.2002). Mitte August 2002 verständigten sich Regierung und LTTE in Oslo
darauf, dass die Friedensverhandlungen nach Aufhebung des Verbots der LTTE zwischen
dem 12. und 17. September 2002 in Bangkok beginnen sollten (Fischer Weltalmanach
2003 Spalte 748; NZZ vom 15.08.2002, 16.08.2002, 17./18.08.2002 und 14./15.09.2002,
SZ vom 14./15.09.2002). Am 5. September 2002 verkündete der srilankische
Verteidigungsminister offiziell das Ende des Verbots der LTTE (Flück, Militärische und
politische Situation im Konflikt in Sri Lanka, Südasien 3/02 S. 72; Keller, Die Suche nach
der Konfliktlösung hat begonnen, Südasien 3/02 S. 75 (76) ). Ungeachtet schwerer
innenpolitischer Spannungen zwischen Präsidentin Kumaratunga und Premierminister
Wickremasinghe (Flück, Militärische und politische Situation im Konflikt in Sri Lanka,
Südasien 3/02 S. 72) wurden die Friedensverhandlungen sodann am 16. September 2002
auf dem Flottenstützpunkt Sattahip südöstlich von Bangkok aufgenommen (FAZ vom
16.09.2002 und 17.09.2002, NZZ vom 16.09.2002) und allgemein als "einmalige Chance
für Sri Lanka" (NZZ vom 16.09.2002) bewertet. In dieser ersten Runde der
Friedensverhandlungen rückte die LTTE überraschend von ihrer von der Regierung stets
als unverhandelbar (NZZ vom 16.09.2002) bezeichneten Forderung nach einem eigenen
Staat ab (FAZ vom 19.09.2002, NZZ vom 19.09.2002, SZ vom 19.09.2002). Die
178
Konfliktparteien einigten sich darüber hinaus auf verschiedene vertrauensbildende
Maßnahmen (NZZ vom 19.09.2002). Diese positiven Resultate der ersten Verhandlungen
ließen die Hoffnung auf Frieden weiter wachsen (NZZ vom 19.09.2002, FAZ vom
23.09.2002). Weitere Gespräche wurden für Oktober und Dezember 2002 sowie für Januar
2003 vereinbart (SZ vom 19.09.2002). Im Oktober 2002 wurde der Friedensprozess durch
verschiedene Gewalttätigkeiten überschattet. Am 9. Oktober 2002 kamen acht
Demonstranten durch Polizeischüsse in Ampara im Osten von Sri Lanka ums Leben, dem
ersten ernsten Zwischenfall seit Beginn der Waffenruhe im Februar 2002 (FAZ vom
11.10.2002). In der Folge dieser Ereignisse kam es am 11. Oktober 2002 zu
Straßenschlachten zwischen Singhalesen und Tamilen im Nordosten Sri Lankas, bei
denen drei Menschen getötet wurden (FAZ vom 12.10.2002). Außerdem wurde von
Ausschreitungen bis hin zu offener Gewalt gegen die muslimische Minderheit im Osten des
Landes berichtet (NZZ vom 16.10.2002, FR vom 26.10.2002), die befürchtet, unter
tamilischer Verwaltung diskriminiert zu werden (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748).
Von diesen Ereignissen und auch von der Verurteilung Prabhakarans zu 200 Jahren Haft
durch das Oberste Gericht Sri Lankas am 31. Oktober 2002 (NZZ vom 01.11.2002)
unbeeinflusst fand die zweite Runde der Friedensgespräche vom 31. Oktober bis 3.
November 2002 in Bangkok statt; sie endete erneut mit positiven Resultaten, u.a. der
Gründung paritätisch besetzter Ausschüsse, die auf dem Weg zum Frieden wirtschaftliche,
politische und Sicherheitsprobleme lösen sollen (Flück, Friedensprozess bleibt auf
Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68; Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 793; NZZ vom
04.11.2002).
Zur Förderung des Friedensprozesses stellte eine kurzfristig vom Vermittler Norwegen
einberufene Geberkonferenz (NZZ vom 23.11.2002) Ende November 2002 in Oslo eine
erste Soforthilfe von rund 70 Mio. US-Dollar für den Wiederaufbau Sri Lankas bereit (Flück,
Friedensprozess bleibt auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68 (69); Fischer Weltalmanach
2004 Spalte 794). In der dritten, von beiden Seiten als "historisch" (Fischer Weltalmanach
2004 Spalte 794) bezeichneten Verhandlungsrunde, die vom 2. bis 5. Dezember 2002
ebenfalls in Oslo stattfand, einigten sich die Chefunterhändler auf das Modell einer
föderalen Struktur nach dem Vorbild der Schweiz (AA 19.06.2003 S. 7; Flück,
Friedensprozess bleibt auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68 (69f.); NZZ vom 02.12.2002
und 06.12.2002, FR vom 06.12.2002, SZ vom 06.12.2002). Ende 2002 war die Lage auf der
Halbinsel Jaffna trotz aller Unsicherheit durch Aufbruchstimmung (taz vom 07.01.2003),
Geschäftigkeit (SZ vom 15.01.2003) und zahlreiche Verbesserungen im täglichen Leben
(Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord Krishna - Ein Besuch in Jaffna zwischen
Krieg und Frieden, Südasien 4/02 S. 62 (66) ) gekennzeichnet. Die Beratungen auf den
weiteren Konferenzen vom 6. bis 9. Januar 2003 in Nakhon Pathom/Thailand, am 7./8.
Februar 2003 in Berlin und vom 18. bis 21. März 2003 in Hakone/Japan gerieten allerdings
stärker unter den Druck innen- und außenpolitischer Zwänge. Als Voraussetzung für die
Freigabe von ausgedehnten militärischen Sicherheitszonen auf der Halbinsel Jaffna für
rückkehrende Flüchtlinge verlangte die Armee bei den Verhandlungen in Nakhon Pathom
den Beginn der sofortigen Entwaffnung der LTTE. Präsidentin Kumaratunga forderte
darüber hinaus die sofortige Auflösung der LTTE-Eliteeinheit "Black Tigers", die für einen
Großteil der Selbstmordattentate in der Vergangenheit verantwortlich ist. Die LTTE lehnte
beide Forderungen kategorisch ab, solange keine politische Lösung in Kraft sei, und stellte
ihre Mitarbeit im Ausschuss zur militärischen Deeskalation ein; vereinbart wurde jedoch ein
Aktionsplan ("Action Plan for an Accelerated Resettlement Programme for the Jaffna
District") für eine erste Wiederansiedlung von Vertriebenen in Gebieten außerhalb der
Hochsicherheitszonen, von dem rund 94.000 Familien bzw. etwa 250.000 bis 320.000
Personen betroffen wären (AA 19.06.2003 S. 7; Flück, Der Kampf um den Frieden geht
weiter, Südasien 1/03 S. 54 (56); Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; FR vom
07.01.2003, NZZ vom 07.01.2003, FAZ vom 10.01.2003, NZZ vom 10.01.2003). Insgesamt
wurde die Verhandlungsrunde trotz einer gewissen Ernüchterung ("Das Ende der
Sensationen", FR vom 07.01.2003) dahin bewertet, dass die Gespräche "auf gutem Weg"
sind (NZZ vom 10.01.2003). Indien blieb in der Beurteilung des Friedensprozesses
weiterhin misstrauisch und zurückhaltend (NZZ vom 22.01.2003). Wenige Stunden vor der
fünften Zusammenkunft in Berlin entdeckten norwegische Beobachter am 6. Februar 2003
an Bord eines von der srilankischen Marine aufgebrachten Fischkutters vor der Küste der
Halbinsel Jaffna schwere Waffen. Sie konnten nicht verhindern, dass sich drei Rebellen der
Tamil Tigers mit ihrer Ladung in die Luft sprengten (NZZ vom 10.02.2003 und
22./23.02.2003). Obwohl die norwegischen Vermittler eine klare Verletzung des
Waffenstillstandes durch die LTTE feststellten, kamen die Verhandlungspartner in Berlin
überein, den Zwischenfall nicht hochzuspielen und "einmütig zu demonstrieren, dass der
Friedensprozess irreversibel sei" (NZZ vom 22./23.02.2003). Sie verständigten sich in
humanitären Fragen; die LTTE erklärte sich bereit, künftig keine Kindersoldaten mehr zu
rekrutieren (Vorwürfe, dies weiterhin zu praktizieren, waren zuletzt im Januar 2003 laut
geworden, FR vom 21.01.2003) und Kindersoldaten, die unter Waffen stehen, zu ihren
Familien zurückzuschicken (Flück, Der Kampf um den Frieden geht weiter, Südasien 1/03
S. 54 (56); Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 10.02.2003). Im Laufe des
ersten Jahres nach Beginn des Waffenstillstandes kehrten rund 200.000 Flüchtlinge in die
Bürgerkriegsgebiete zurück (FR vom 03.02.2003). Der bis dahin erfreuliche Verlauf der
Friedensgespräche wurde im März 2003 durch eigenmächtige Schritte der LTTE im Norden
und Osten des Landes getrübt; sie eröffnete unter anderem in von der Regierung
kontrollierten Gebieten im Osten eigene "Gerichte" und "Polizeistationen" (AA 19.06.2003
S. 7). Nach wie vor gab es auch Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens, wobei die
norwegisch geführte "Sri Lanka Monitoring Mission" 90 v.H. der Vorfälle der LTTE
zuordnete (AA 19.06.2003 S.7). Das sechste Treffen in Hakone, das weitgehend der
Föderalisierung des Staates gewidmet war, blieb ergebnislos (Fischer Weltalmanach 2004
Spalte 794; NZZ vom 22./23.03.2003). Als Hauptursache galt ein Zwischenfall, bei dem die
srilankische Marine am 10. März 2003 200 Meilen östlich von Trincomalee ein
Versorgungsschiff der LTTE wegen Verdachts auf Waffenschmuggel versenkt hatte; dabei
waren die elf Besatzungsmitglieder - alle Angehörige der "Sea- Tigers" - ums Leben
gekommen (AA 19.06.2003 S. 7; FR vom 11.03.2003 und 08.04.2003, NZZ vom
18.03.2003). Außerdem hatten Präsidentin Kumaratunga und ihre Partei Vorbehalte gegen
eine Änderung der Staatsstruktur geäußert, die das Parlament im Rahmen einer
Verfassungsänderung beschließen muss (Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794). Am 18.
April 2003 kamen bei gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Muslimen und Tamilen im
Nordosten Sri Lankas drei Menschen ums Leben; 15 Menschen wurden bei Zwischenfällen
in Mutur verletzt (FAZ vom 19.04.2003). Mitte April wurde die LTTE von einem
internationalen Sri Lanka-Treffen mit den wichtigsten Geberländern in Washington
ausgeschlossen. Die USA begründeten dies damit, keine offiziellen Kontakte mit einer
Terrororganisation unterhalten zu wollen (NZZ vom 23.04.2003). Daraufhin erklärte der
LTTE- Unterhändler Balasingham am 21. April 2003 in einem Schreiben an den
srilankischen Premierminister die Aussetzung der Friedensgespräche (AA 19.06.2003 S.
7). Er begründete den Boykott der siebten, für Ende April 2003 geplanten Gesprächsrunde
in Thailand damit, dass die LTTE der "wichtigste Friedenspartner und authentische
Vertreter des tamilischen Volks" sei (Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; FAZ vom
23.04.2003, FR vom 23.04.2003, NZZ vom 23.04.2003). Mit zunehmender Dauer des
Boykotts nahm die allgemeine Nervosität zu; mehrere norwegische Diplomaten bis hin zum
Außenminister flogen nach Kilinochchi, um den LTTE-Führer Prabhakaran umzustimmen
(NZZ vom 19.05.2003). Im Juni 2003 forderte die LTTE die vollständige Übertragung der
Interimsverwaltung im Norden des Landes. Premierminister Wickremasinghe lehnte dies
mit Verweis auf die Verfassung ab. Sein Angebot, sie für den Wiederaufbau und die
Wiederansiedlung von Flüchtlingen zuständig zu machen, wies die LTTE Anfang Juni
2003 zurück, sodass Termin und Bedingungen für eine Wiederaufnahme der
Friedensverhandlungen zunächst offen blieben (Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794;
NZZ vom 07./08.06.2003). Die große Geberkonferenz am 9./10. Juni 2003 in Tokio mit
Vertretern von rund 50 Staaten, multilateralen Finanzorganisationen, der srilankischen
Regierung, aber ohne die LTTE, versprach Sri Lanka Hilfsgelder für die nächsten vier
Jahre in Höhe von mehr als 4,5 Milliarden US-Dollar, gekoppelt an die erfolgreiche
Fortsetzung des Friedensprozesses (Clemens, Im Überblick..., Südasien 2/03 S. 57 (58);
Korf, Schafft Entwicklung Frieden in Sri Lanka?, Südasien 2/03 S. 59; Fischer
Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 10.06.2003 und 11.06 2003, SZ vom
16.06.2003). Am 14. Juni 2003 wurde einer der Führer der Revolutionären Befreiungsfront
Eelam vor seinem Haus in Jaffna getötet; zeitgleich lieferte sich die srilankische Marine vor
der Nordküste ein Feuergefecht mit Booten der LTTE, in dessen Verlauf ein Schiff der
Rebellen explodierte und sank (NZZ vom 16.06.2003, SZ vom 16.06.2003). Am 19. Juni
2003 schlug Premierminister Wickremasinghe vor, dass die LTTE im Nordosten des
Landes eine Übergangsregierung bildet; die LTTE lehnte auch dieses Angebot auf
Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen ab (FR vom 21.06.2003, NZZ vom
21./22.06.2003). Am 1. Juli 2003 verurteilte ein Gericht in Colombo zwei Polizisten und drei
Bewohner eines Dorfes östlich von Colombo zum Tode; im Oktober 2000 hatten rund 800
Dorfbewohner das dortige Rehabilitierungs- Camp gestürmt und 28 festgehaltene
mutmaßliche LTTE-Angehörige erschlagen (NZZ vom 03.07.2003). Anfang August 2003
berieten LTTE-Führungskräfte in Paris über die Fortsetzung der seit April unterbrochenen
Friedensgespräche (FR vom 23.08.2003). Angesichts wachsender Spannungen zwischen
Tamilen und Angehörigen der muslimischen Minderheit verhängte die srilankische
Regierung am 22. August 2003 eine Ausgangssperre über die Städte Kalmunai und
Samanthurai im Osten der Insel (FAZ vom 23.08.2003, FR vom 23.08.2003). Erstmals seit
dem Abbruch der Friedensverhandlungen trafen sich am 9. September 2003 anlässlich
einer Tagung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheit in Bern
wieder Vertreter beider Seiten, um mit Schweizer Experten über die Möglichkeiten
dezentraler, föderaler Strukturen zu diskutieren (FR vom 10.09.2003, NZZ vom
12.09.2003). Die US-Botschaft in Colombo rief die LTTE am 17. September 2003 auf, ihre
Forderungen an die Regierung realistisch zu gestalten und an den Verhandlungstisch
zurückzukehren (FR vom 18.09.2003). Mehr als fünf Jahre nach dem Anschlag auf einen
buddhistischen Tempel wurden am 15. Oktober 2003 drei Angehörige der LTTE vom
Obersten Gericht in Colombo zum Tode und zu insgesamt 1.850 Jahren Haft verurteilt (NZZ
vom 16.10.2003). Am 30. Oktober 2003 reagierte die LTTE auf die Regierungsvorschläge
vom 17. Juli 2003 zur Interimsverwaltung in den tamilischen Gebieten; sie forderte in einem
in einer feierlichen Zeremonie dem norwegischen Botschafter überreichten Papier die
Einräumung weitgehender Autonomie für den Norden und Osten des Landes (Interim Self-
governing Authority - ISGA) und bekundete ihre Bereitschaft, an den Verhandlungstisch
zurückzukehren (NZZ vom 03.11.2003, FAZ vom 22.11.2003, Schweizerische
Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 2, UNHCR 4/04 S. 21). Die Regierung signalisierte in ihrer
Reaktion zwar "fundamentale Differenzen" zu ihrer eigenen Haltung, nahm das Dokument
aber als Verhandlungsgrundlage für die Wiederaufnahme der Friedensgespräche an (NZZ
vom 03.11.2003 und 05.11.2003). Präsidentin Kumaratunga reagierte am 4. November
2003 auf die von ihr als "Bedrohung der nationalen Sicherheit" (NZZ vom 06.11.2003) und
"Ausverkauf der Heimat" (SZ vom 08./09.11.2003) eingestuften Konzessionen mit der
Entlassung der Minister für Inneres, Verteidigung und Information, deren Ressorts sie selbst
übernahm, sowie mit der Suspendierung des Parlaments für zwei Wochen (Fischer
Weltalmanach 2005 S. 408; FR vom 05.11.2003, NZZ vom 05.11.2003 und 20.11.2003).
Der zu dieser Zeit in Washington weilende Premierminister Wickremasinghe verurteilte die
Schritte der Präsidentin auf Schärfste (NZZ vom 05.11.2003). Die Staatskrise (FAZ vom
05.11.2003) und der offene Machtkampf (SZ vom 06.11.2003) verschärften sich weiter, als
Kumaratunga am 5. November 2003 den Ausnahmezustand über Sri Lanka verhängte
(FAZ vom 06.11.2003, FR vom 06.11.2003, NZZ vom 06.11.2003 und SZ vom 06.11.2003).
Obwohl sich die Regierung um eine umgehende Wiedereinsetzung des Parlaments
bemühte (NZZ vom 07.11.2003) und Kumaratunga den Ausnahmezustand nach der
Rückkehr des begeistert begrüßten Premierministers am 7. November 2003 wieder aufhob
(FAZ vom 08.11.2003), schwelte die von gegenseitigen Anschuldigungen bestimmte Krise
weiter (NZZ vom 08./09.11.2003 und 10.11.2003). Am 10. November 2003 verschob die
Regierung weitere Friedensgespräche mit der LTTE auf unbestimmte Zeit (FAZ vom
11.11.2003, FR vom 11.11.2003 und NZZ vom 11.11.2003). Die vor einem
Scherbenhaufen stehenden norwegischen Vermittler (NZZ vom 12.11.2003) brachen ihre
Mission am 14. November 2003 vorläufig ab (FAZ vom 15.11.2003, NZZ vom 15.11.2003).
Erst in der zweiten Novemberhälfte entspannte sich die Situation zunächst, nachdem
Kumaratunga Zeichen der Kompromissbereitschaft gesetzt hatte (FAZ vom 17.11.2003),
das Parlament am 19. November 2003 erstmals wieder zusammengetreten war (NZZ vom
20.11.2003), die LTTE von ihrer strikten Weigerung abgerückt war, mit der Präsidentin zu
verhandeln (FAZ vom 21.11.2003), und die Regierung Kumaratunga die Zusammenarbeit
anboten hatte, um die Friedensgespräche mit der LTTE fortzusetzen (SZ vom 21.11.2003).
Die Präsidentin erklärte hierzu am 21. November 2003, bis spätestens 15. Dezember 2003
müsse eine gemeinsame Linie gefunden werden (FAZ vom 23.11.2003). Im Januar 2004
entbrannte der Machtkampf, den die Präsidentin schließlich gewinnen sollte, neu. In einer
Fernsehansprache beanspruchte Kumaratunga überraschend für sich das Recht, über das
Jahr 2005 hinaus zu regieren (FAZ vom 15.01.2004). Außerdem ging sie ein Wahlbündnis
mit der dem Friedensprozess ablehnend gegenüberstehenden singhalesisch-
marxistischen JVP ein, was als Versuch interpretiert wurde, den Prozess ganz zum
Stillstand zu bringen (FR vom 24.01.2004). Der von PA und JVP gegründeten United
People's Freedom Alliance (UPFA) schlossen sich Anfang Februar 2004 weitere kleinere
Parteien an (Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 3). Am 7. Februar 2004 löste
die Präsidentin in einem Überraschungscoup (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408 das
Parlament auf und ordnete für den 2. April 2004 vorgezogene Neuwahlen zur
Nationalversammlung an (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408; UNHCR 4/04 S. 23; FR vom
09.02.2004; taz vom --.02.2004). Die LTTE kritisierte die Entscheidung als "schweren
Rückschlag" für den Friedensprozess, kündigte aber an, den Waffenstillstand vorerst weiter
einzuhalten (FR vom 10.02.2004). Am 11. Februar 2004 entließ die Präsidentin 39
Mitglieder der Regierung Wickremasinghes (FR vom 11.02.2004; NZZ vom 18.02.2004),
was ebenfalls auf heftige Kritik von Seiten der LTTE und der Regierung stieß (AA
30.03.2004 S. 8; NZZ vom 18.02.2004). Den Wahlen gingen Gewalttätigkeiten namentlich
im Norden und Osten voraus, wo es zu mehreren Mordfällen an Angehörigen von mit der
LTTE rivalisierender Gruppierungen kam (UNHCR 4/04 S. 23; NZZ vom 31.03.2004).
Insgesamt verliefen die Wahlen aber vergleichsweise friedlich
(KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 (111); NZZ vom 01.04.2004 und
05.04.2004). Die UPFA, das von Kumaratunga geführte Wahlbündnis, ging mit 45,6 v.H.
der Stimmen bzw. 105 Sitzen als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor (UNHCR 4/04 S. 9;
KAS/Auslandsinformationen -- .05.2004 S. 101 ?104?; NZZ vom 07. April 2004: 47 v.H.),
verfehlte aber die absolute Mehrheit. Die UNP Wickremasinghes fiel auf knapp 38 v.H. der
Stimmen zurück und errang - zusammen mit dem Ceylon Worker's Congress - 82 Sitze; das
Parteienbündnis Illankai Tamil Arasu Kachchi oder Tamil National Alliance (TNA), das die
politischen Forderungen der LTTE unterstützt, wurde mit 6,8 v.H. der Stimmen bzw. 22
Mandaten drittstärkste Kraft (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408;
KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?104?; UNHCR 4/04 S. 10; NZZ vom
05.04.2004). Im Parlament ist nunmehr außerdem die Jathika Hela Urumaya (JHU), eine
neue Partei des buddhistischen Klerus, vertreten, die 5,9 v.H. der Stimmen (9 Sitze) errang
(KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?104?; UNHCR 4/04 S. 10, 24; NZZ vom
07.04.2002: 8 Sitze). Am 6. April 2004 vereidigte die Präsidentin den als moderat geltenden
Mahinda Rajapakse als neuen Premierminister (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408; NZZ
vom 07.04.2004 und 08.04.2004). In seinem 31-köpfigen Minderheitskabinett, das
Rajapakse am 10. April 2004 vorstellte, übernahm die Präsidentin selbst die
Schlüsselressorts Verteidigung und Verfassungsangelegenheiten sowie das
Bildungsministerium (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408). Die JVP erhielt vier
Ministerposten (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 (112); NZZ vom
03.05.2004). Während Rajapakse bei seinem ersten Auftritt von der Notwendigkeit sprach,
den Friedensprozess in Gang zu halten (NZZ vom 07.04.2004), drohte die LTTE nach dem
Wahlsieg der Parteienallianz Kumarantungas zunächst mit einer Wiederaufnahme des
bewaffneten Kampfes (NZZ vom 06.04.2004). In der ersten Parlamentssitzung erlitt das
Regierungsbündnis eine Abstimmungsniederlage. Mit den Stimmen der JHU konnte sich
der Kandidat der Opposition bei der Wahl des Speakers durchsetzen (NZZ vom
03.05.2004), worauf die Mönche im Parlament von Angehörigen der JVP beschimpft,
bedroht und mit Büchern beworfen wurden; einige erhielten später Morddrohungen.
Befürchtungen wurden laut, dies sei ein Vorgeschmack auf den Stil der sich
ankündigenden politischen Auseinandersetzung (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004
S. 101 (114)). Auf Seiten der LTTE verschärfte die Revolte des Oberkommandeurs der
LTTE- Bodenstreitkräfte, Vinayagamoorthi Muralitharan alias "Colonel (Oberst) Karuna",
der sich Anfang März 2004 von Prabhakaran lossagte, die Situation (UNHCR 4/04 S. 13;
FAZ vom 12.03.2004; FR vom 09.03.2004 und 05.04.2004; NZZ vom 08.03.2004 und
09.03.2004). Er soll über 5000 bis 7500 Kämpfer und damit rund ein Drittel der LTTE-
Streitmacht verfügt haben (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?108?; NZZ vom
16.03.2004 und 13.04.2004; FR vom 14.04.2004). Am 9. April 2004 griff die LTTE die
abtrünnige Truppe an. Es kam zu Kämpfen am Fluss Verugal, der die Tamilengebiete
Batticaloa und Trincomalee voneinander trennt; dabei wurden mindestens 22 Menschen
getötet (UNHCR 4/04 S. 13; NZZ vom 10./11.04.2004 und 16.04.2004; FR vom 13.04.2004
und 16.04.2004). Bei ihrer Offensive nahmen die LTTE-Truppen nach eigenen Angaben
über 300 der Kämpfer Karunas fest, drangen etwa 10 km weit in dessen Gebiet vor und
besetzten eine Reihe von Dörfern. Oberst Karuna gab seinen Widerstand nach wenigen
Tagen auf und tauchte unter (FR vom 14.04.2004, NZZ vom 14.04.2004 und SZ vom
14.04.2004). Die Regierung und auch die SLMM erklärten, die Kämpfe stellten eine
Verletzung des Waffenstillstands dar (NZZ vom 13.4.2004). Die LTTE ihrerseits warf in der
Folge der Regierung vor, die Waffenruhe dadurch zu verletzen, dass sie dem
verschwunden bleibenden Karuna Schutz gewähre und ihn unterstütze (FR vom
08.07.2004; NZZ vom 08.07.2004). Sowohl die Regierung als auch die LTTE gaben Ende
April 2004 zu erkennen, dass sie eine rasche Wiederaufnahme der Friedensgespräche
wünschten (NZZ vom 03.05.2004; FR vom 04.05.2004). Trotz entsprechender
Bemühungen der norwegischen Vermittler bis hin zum Außenminister Petersen (Fischer
Weltalmanach 2005 S. 408; NZZ vom 03.05.2004; FR vom 04.05.2004) kam es dazu
jedoch nicht. In den Sommermonaten verschlechterten sich die Voraussetzungen für eine
Fortführung der Verhandlungen zusehends. Zwischen den Anhängern Prabhakarans und
Oberst Karunas entbrannte ein blutiger Machtkampf. In den Monaten Mai und Juni wurden
mehrere Attentate auf LTTE-Kader verübt, für die die LTTE den untergetauchten Karuna
und mittelbar die srilankischen Sicherheitskräfte verantwortlich machte (FR vom
08.07.2004; NZZ vom 08.07.2004 und 08.10.2004). Am 7. Juli 2004 ereignete sich in
179
Colombo erstmals seit der Vereinbarung der Waffenruhe im Februar 2002 ein
Selbstmordanschlag, der der LTTE zugeschrieben wurde. Eine Frau, die versucht hatte,
zum EPDP-Politiker Douglas Devananda vorzudringen, aber von der Polizei zur Wache
mitgenommen wurde, zündete dort einen an ihrem Körper angebrachten Sprengsatz. Außer
ihr kamen vier Polizisten ums Leben (NZZ vom 08.07.2004; FR vom 08.07.2004 und
04.08.2004). Weitere Anschläge folgten. So wurden am 25. Juli 2004 acht Männer - nach
Angaben der LTTE Vertraute Oberst Karunas - in einem Vorort Colombos im Schlaf getötet
(FR vom 04.08.2004); Ende Juli wurden ein Geheimdienstagent (FR vom 04.08.2004) und
am 16. August 2004 ein Politiker der EPDP auf offener Straße erschossen (NZZ vom
17.08.2004). Allein in vier Wochen im Juli/August 2004 verloren 25 Menschen ihr Leben
(NZZ vom 26.08.2004). Im September 2004 ermordete ein LTTE- Kommando nach eigenen
Angaben Karunas älteren Bruder bei Batticaloa (taz vom 01.10.2004). Der norwegische
Vizeaußenminister Helgesen reiste Ende Juli "frustriert" nach fünftägigen ergebnislos
gebliebenen Gesprächen wieder ab. Er warf beiden Seiten Gleichgültigkeit und
mangelndes Gefühl für den Ernst der Lage vor; dies könne in einen Krieg auf kleiner
Flamme münden (FR vom 04.08.2004). Die LTTE setzte im August 2004 alle Gespräche
mit der Armee im Osten des Landes aus und verwies zur Begründung darauf, das Militär
unterstütze den abtrünnigen Oberst Karuna (NZZ vom 26.8.2004). Auch weitere
Bemühungen der norwegischen Friedensmission um eine Wiederaufnahme der Gespräche
blieben vorerst ohne Erfolg (NZZ vom 24.09.2004 und 08.10.2004; taz vom 01.10.2004).
(2) Rechtliche Bewertung Die vorstehend dargestellte Entwicklung in Sri Lanka hat seit
Frühjahr 2002 eine umfassende Verbesserung der Situation der Tamilen in ihrem
Heimatland in sämtlichen betrachteten Bereichen nach sich gezogen. Dies rechtfertigt
weiterhin die Bewertung, dass weder die tamilischen Volkzugehörigen insgesamt noch
eine relevante Untergruppe in Sri Lanka mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer
Verfolgung bedroht sind. Andererseits stellt sich die Lage nach Einschätzung des Senats
nach wie vor nicht so dar, dass mit der gebotenen Prognosesicherheit in Sri Lanka
insgesamt oder in irgendeinem Teilbereich für alle Rückkehrer von einer hinreichenden
Sicherheit vor politischer Verfolgung auszugehen ist (a.A. (hinreichende
Verfolgungssicherheit für Tamilen) OVG Sachsen, Urteil vom 3. Juli 2003 - A 1 B 115/00 -).
Die politische Situation in Sri Lanka stellt sich nach wie vor als labil dar. Ob die
Friedensgespräche, um deren Wiederaufnahme die norwegische Friedensmission bemüht
bleibt, fortgeführt und schließlich erfolgreich zu einem Abschluss gebracht werden können,
wird allgemein weiterhin mit Skepsis beurteilt. Gefährdungen sind für den Friedensprozess
von zwei Seiten erwachsen: Auf der einen Seite ist das Regierungsbündnis, das von der
den Forderungen der LTTE ohnehin distanziert gegenüberstehenden Präsidentin
Kumaratunga geführt wird, von deutlichen Interessengegensätzen geprägt. Als
problematisch stellt sich insbesondere die starke Stellung der JVP dar, die sozialistische
Standpunkte vertritt und Zugeständnisse an die LTTE ablehnt (KAS/Auslandsinformationen
--.05.2004 S. 101 (114 f.); NZZ vom 18.02.2004 03.05.2004, 06./07.03.2004, 05.04.2004
und 07.04.2004). Zudem bildet die UPFA eine Minderheitsregierung, die zur Durchsetzung
ihrer Vorhaben auf die Unterstützung weiterer Parteien angewiesen ist. Das Parlament als
solches ist gleichfalls "entlang religiöser, ethnischer und doktrinärer Linien" polarisiert
(KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 (114 f.); vgl. auch FR vom 05.04.04). Die
Partei der buddhistischen Mönche, die über immerhin 9 Sitze im Parlament verfügt, ist in
ihrer chauvinistisch-antitamilischen Haltung noch unnachgiebiger als die JVP (NZZ vom
08.04.2004). Ohnehin wird auch das Anwachsen des singhalesisch-buddhistischen
Nationalismus in Sri Lanka, der sich in Übergriffen auf Christen und christliche Stätten
manifestiert hat, als besorgniserregend bewertet (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S.
101 ?115?; Schweizerische Flüchtlingshilfe --.02/04 S. 6; UNHCR 4/04 S. 49; FAZ vom
24.01.2004). Der LTTE und den hiervon abgespaltenen Anhängern des Oberst Karuna auf
der anderen Seite werden gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen; ihre
anhaltenden Mordanschläge und Gefechte machen die Lage zusätzlich unsicher und
werden als Verletzung des Geistes des Waffenstillstandsabkommens betrachtet (NZZ vom
24.09.2004 und 8.10.2004; taz vom 01.10.2004). Vor diesem Hintergrund war die
Berichterstattung in der deutschen Tagespresse über die innenpolitische Lage war über
den gesamten Zeitraum seit dem Beginn des Machtkampfes zwischen Präsidentin
Kumaratunga und Wickremasinghe hinweg von Besorgnis hinsichtlich des Fortgangs des
Friedensprozesses bestimmt (FR vom 24.01.2004: "Der Machtkampf in Sri Lanka schmälert
die Aussichten auf dauerhaften Frieden"; NZZ vom 6./7.03.2004: "Ungewisse Zukunft des
srilankischen Friedensprozesses"; FR vom 05.04.2004: "Ungewisse Aussichten"; NZZ vom
05.04.2004: "Beunruhigende Signale aus Sri Lanka"; FR vom 08.07.2004: "Anschlag in
Colombo weckt Kriegsangst"; NZZ vom 08.07.2004: "Der sri-lankische Friedensprozess
ernsthaft gefährdet"; FR vom 04.08.2004: "Tamilenstreit gefährdet Waffenstillstand"; NZZ
vom 24.09.2004: "Wachsende Frustration in Sri Lanka - Die Friedensverhandlungen
weiterhin in der Sackgasse" und taz vom 01.10.2004: "Sri Lankas Friedensprozess steckt
fest"). Ungeachtet dessen ist festzustellen, dass der Waffenstillstand zwischen LTTE und
srilankischer Regierung, der nunmehr seit über 2 ½ Jahren in Kraft ist, weiterhin im
Wesentlichen eingehalten wird, und sich die positiven Entwicklungen, die sich gerade für
die Volksgruppe der Tamilen im Zuge der Annäherung der beiden Seiten und der
Waffenruhe in den letzten Jahren ergeben haben, verfestigt haben: Eine besondere
Gefährdung bei der Einreise nach Sri Lanka besteht für Tamilen nicht. Bei der Einreise
nach Sri Lanka finden nach wie vor Überprüfungen durch die Einreisebehörden statt (AA
30.03.2004 S. 26; KK 10.09.2003 S. 5). Insofern werden jedoch nur die
Einreisebestimmungen des Landes angewandt; die Überprüfungen betreffen nicht allein
Tamilen (KK 27.01.2003 S. 7; 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S. 6). Bei einer Einreise mit
Passersatzpapieren erfolgen auch Befragungen durch die Kriminalpolizei (CID) zur
Identität, zum persönlichen Hintergrund und zum Reiseziel (AA 19.06.2003 S. 23;
30.03.2004 S. 26). Die in der Vergangenheit übliche Vorführung vor den Magistrate Court
findet nicht mehr statt (AA 19.06.2003 S. 23; 30.03.2004 S. 26). Verhaftungen bei der
Einreise aufgrund einer LTTE-Mitgliedschaft oder einer früheren Tätigkeit für die LTTE sind
nicht mehr bekannt geworden (KK 27.01.2003 S. 7), nachdem aufgrund der Aufhebung des
Verbots der LTTE deren Mitglieder, Unterstützer oder Sympathisanten grundsätzlich mit
keiner strafrechtlichen Verfolgung mehr rechnen müssen (AA 19.06.2003 S. 5, 14;
02.10.2003 S. 2; 30.03.2004 S. 11; KK 27.01.2003 S. 6; 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S. 5).
Etwas anderes gilt nur, wenn die Betroffenen mit schweren Straftatbeständen wie
Terroranschlägen in Verbindung gebracht werden (AA 30.03.2004 S. 11; KK 10.09.2003 S.
5; 12.10.2003 S. 5) oder vor dem Waffenstillstandsabkommen unter dem "Prevention of
Terrorism Act" (PTA) angeklagt und gesucht wurden. Insofern haben die Entwicklungen
nicht zu einer Amnestie geführt; es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es
derzeit bei kleineren Vergehen nicht zu einer Inhaftierung und Verurteilung kommt (KK
12.10.2003 S. 4). Asylrelevanz kommt diesen Einreisekontrollen schon mangels
Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale der Betroffenen nicht zu. Auch die Lage in
Colombo sowie den sonstigen Bereichen des Südens und Westens Sri Lankas ist trotz der
Rückschläge im Zusammenhang mit den innertamilischen Auseinandersetzungen nach
wie vor durch eine weitgehende Entspannung gekennzeichnet. Angehörige der LTTE
können nach der Aufhebung des LTTE- Verbots offen politisch agieren und genießen
weitgehende Bewegungsfreiheit, sofern sie auf Uniform und Bewaffnung verzichten (KK
27.01.2003 S. 5). Der PTA ist zwar nicht förmlich aufgehoben, wird aber, nachdem sich die
Regierung im Waffenstillstandsabkommen verpflichtet hat, Verhaftungen nach dem PTA
nicht mehr vorzunehmen (Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 9; UNHCR 4/04
S. 39; ai --.05.2003 S. 2), seit Anfang 2002 nicht mehr angewandt (AA 21.05.2003 S. 2;
19.06.2003 S. 9; 02.10.2003 S. 2; 30.03.2004 S. 9). Ermittlungen wegen in der
Vergangenheit begangener schwerer Terroranschläge werden allerdings fortgeführt; hier
muss trotz der neuen Lage mit einer Verurteilung gerechnet werden (KK 12.10.2003 S. 5).
Bei der Verfolgung von Straftaten im Rahmen der allgemeinen strafgesetzlichen
Vorschriften, wie z.B. illegaler Waffenbesitz oder Mord, ist es unerheblich, ob diese
Straftaten von LTTE-Mitgliedern oder anderen Personen begangen wurden oder diese
Straftaten der Unterstützung der LTTE oder anderer Organisationen oder Personen dienen
bzw. dienten (AA 02.10.2003 S. 2). Die Entspannung der Sicherheitslage findet im
Auftreten der Sicherheitskräfte ihren Niederschlag. Seit dem Abschluss des
Waffenstillstandsabkommens finden Ermittlungsmaßnahmen der Behörden zur Aufklärung
bzw. Verhinderung von LTTE- Anschlägen, von denen neben aktiven LTTE-Mitgliedern
auch ihre Helfer bzw. Verdächtige - oft aus der tamilischen Bevölkerung - betroffen waren,
nicht mehr statt (AA 19.06.2003 S. 12; 30.03.2004 S. 9). Angehörige der tamilischen
Volksgruppe unterliegen keiner verstärkten polizeilichen Beobachtung; eine Meldepflicht
für Tamilen bei einem Aufenthalt in den südlichen Gebieten besteht nicht mehr (AA
19.06.2003 S. 12; KK 27.01.2003 S. 6 f.; 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S. 5 f.). Auf einigen
Straßen des Landes und in Colombo, insbesondere an sicherheitsrelevanten Orten, finden
zwar nach wie vor routinemäßig Identitätsüberprüfungen statt (AA 30.03.2004 S. 9).
Massive regelmäßige Kontrollen durch Sicherheitskräfte und die Sperrung ganzer
Straßenzüge, verbunden mit der kurzfristigen Festnahme einer Vielzahl von Tamilen, über
die früher berichtet wurde, gehören aber der Vergangenheit an (AA 19.06.2003 S. 21;
Schweizerische Flüchtlingshilfe --.03.2003 S. 8). Festnahmen bei Kontrollen, deren Zahl
seit Inkrafttreten der Waffenruhe erheblich zurückgegangen ist, sind nicht mehr bekannt
geworden (AA 19.06.2003 S. 5, 12; 30.03.2004 S. 9, 21; KK 27.01.2003 S. 5). Die Haftfälle,
die auf dem PTA beruhen, wurden zwischenzeitlich überprüft; zahlreiche Gefangene
wurden freigelassen. Die Zahl der konfliktbezogenen Gefangenen, die 2001 noch bei ca.
2000 lag, war bis zum Frühjahr 2002 auf etwa 1000 (AA 19.06.2003 S. 9, 11; ai --.05.2003
S. 2) und bis Anfang 2004 auf unter 100 gesunken (AA 30.03.2004 S. 9). Amnesty
international zufolge waren im Dezember 2003 nur noch 65 Personen auf der Grundlage
des PTA inhaftiert (ai --.07.2004 S. 401 ?403>). Eine beachtliche Gefahr für Tamilen, allein
aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit von irgendwie gearteten Maßnahmen der srilankischen
Sicherheitskräfte - sei es von asylerheblichem, sei es von geringerem Gewicht - betroffen
zu werden, besteht in dem hier betrachteten Bereich nach alledem gegenwärtig nicht mehr.
In den ehemaligen Bürgerkriegsgebieten sowie den Regionen im Norden und Osten Sri
Lankas ist die Normalisierung weiter fortgeschritten. Der Reiseverkehr von
regierungskontrolliertem in von der LTTE kontrolliertes Gebiet ist annähernd normalisiert
(UNHCR 4/04 S. 43; KAS/Auslandsinformationen 5/04 S. 105). Die
Genehmigungserfordernisse für Reisen aus und in die "uncleared areas" wurden seitens
der Regierung Anfang 2002 aufgehoben (AA 19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S. 15; KK
18.11.2002 S. 9 f.). Allerdings sind nunmehr Bewilligungen der LTTE erforderlich, um in
das von der LTTE kontrollierte Vanni zu gelangen, was lange Wartezeiten mit sich bringt
(Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 14). Die Wirtschaftsblockade der Regierung
über die von der LTTE kontrollierten Landesteile ist weitgehend aufgehoben (AA
19.06.2003 S. 6; Keller Südasien 4/02 S. 62 (66); KK 18.11.2002 S. 10; 10.09.2003, S. 1;
12.10.2003 S. 7). Jaffna ist seit Jahren Ziel zehntausender freiwilliger tamilischer
Rückkehrer, wenn auch ihre Wiederansiedlung wegen infrastruktureller Probleme, der
Verminung weiter Gebiete und ungeklärter Eigentumsverhältnisse auf Schwierigkeiten
stößt (ai --.07.2004, S. 401 ?402?; Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 15 f.;
Flück, Zur politischen und militärischen Entwicklung, Südasien 3/03 S. 67 (69)). Nach
Angaben des UNHCR ist nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommens über ein Drittel
der schätzungsweise 800.000 Binnenvertriebenen an ihren Wohnort zurückgekehrt
(UNHCR 4/04 S. 51; s. auch AA 19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S. 15; Schweizerische
Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 15; ai --.05.2003 S. 1; taz vom --.02.2004: 170.000
Rückkehrer allein in die Stadt Jaffna). Die Regierung hat unter dem Namen 'Triple-R' ein
Hilfsprogramm eingerichtet, mit dem zurückgekehrten Flüchtlingen bei der
Wiederansiedlung eine einmalige Unterstützungszahlung gewährt werden soll (AA
30.03.2004 S. 14). Allerdings halten die staatlichen Streitkräfte auf der Halbinsel Jaffna
größere Gebiete um ihre Militärstützpunkte, sogenannte "Hochsicherheitszonen", weiterhin
unter ihrer Kontrolle und verwehren auch Flüchtlingen die Rückkehr dorthin (UNHCR 4/04
S. 43; KK 27.01.2003 S. 2; 10.09.2003 S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe 10/03 S. 3;
16.02.2004 S. 4). Die übrigen Gebiete sind allgemein und frei zugänglich (UNHCR 4/04 S.
43; AA vom 30.03.2004 S. 15). Zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen
Sicherheitskräften und LTTE- Angehörigen ist es seit Vereinbarung der Waffenruhe nur
noch ganz vereinzelt gekommen. Aufsehen erregten Vorfälle, bei denen die srilankische
Marine in den Gewässern um Sri Lanka wegen des Verdachts des Waffenschmuggels
Schiffe der LTTE aufbrachte oder versenkte (AA 19.06.2003 S. 7). Weiterungen hatten
diese Ereignisse, bei denen Angehörige der LTTE ums Leben kamen, nicht zur Folge.
Berichte über den staatlichen Sicherheitskräften zugeschriebene Tötungen oder Fälle des
"Verschwindenlassens" gibt es für die Zeit nach Aufnahme der Friedensverhandlungen
nicht (AA 19.06.2003 S. 20 f.). Seitens der LTTE wird den Sicherheitskräften allerdings seit
der Abspaltung Oberst Karunas vorgeworfen, bei der Revolte die Hand im Spiel gehabt zu
haben und durch die Unterstützung Karunas mittelbar für Opfer unter LTTE-Angehörigen
verantwortlich zu sein (NZZ vom 08.07.2004 und 24.09.2004, taz vom 01.10.2004; FR vom
08.07.2004). Die in den Regionen des Nordens und Ostens aktiven tamilischen Anti-LTTE-
Organisationen (PLOTE, TELO, EPDP, EPRLF), denen in der Vergangenheit ebenfalls
Menschenrechtsverletzungen zugeschrieben wurden, sind entsprechend den
Vereinbarungen im Waffenstillstandsabkommen bis zum 24. März 2002 vollständig
entwaffnet worden; ihre Trainingslager wurden aufgelöst (AA 19.06.2003 S. 15 f.). Der
Aktionsspielraum der LTTE hat sich in Folge der Waffenstillstandsvereinbarungen
erheblich erweitert. Ihr wurde erlaubt, auch in den von Regierungstruppen beherrschten
Nordostgebieten Büros zu eröffnen, um dort ihrer politischen Arbeit nachzugehen (Keller,
Die Suche nach der Konfliktlösung hat begonnen, Südasien 3/02 S. 75 (76); Jetzt hängt der
Guerillachef neben Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 (67)). In den von ihr beherrschten
Gebieten hat die LTTE ihre den öffentlichen und privaten Sektor dominierende Stellung
gefestigt, eigene Verwaltungsstrukturen, ein eigenes Zoll- und Steuerwesen und ein
eigenes Justizsystem einschließlich eigener Gesetze, Gerichte - mit ehemaligen Kämpfern
ohne juristische Ausbildung als Richtern - und Gefängnisse auf- bzw. ausgebaut (AA
19.06.2003 S. 16; Schweizerische Flüchtlingshilfe 10/03 S. 3 und 16.02.2004 S. 8, 14; Korf,
Wer hat Angst vor dem Schurkenstaat?, Südasien 4/03 S. 59 (62); Keller, Jetzt hängt der
Guerillachef neben Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 (67); KK 10.09.2003 S. 1 f.;
12.10.2003 S. 7). Der LTTE wird der ganz überwiegende Teil der
Menschenrechtsverletzungen zugeschrieben, von denen nach Abschluss des
Waffenstillstandsabkommen berichtet wurde (UNHCR 4/04 S. 32, 34; Schweizerische
Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 9; NZZ vom 25.03.2004 und 22.06.2004). Es gibt Berichte
über Hinrichtungen, Folterungen, Entführungen und Festnahmen politisch
Andersdenkender, Erpressung sowie Waffenschmuggel durch die LTTE (AA 19.06.2003 S.
16; 30.03.2004 S. 14; ai -- .07.2004 S. 401 ?402?; --.05-2003 S. 3; UNHCR 4/04 S. 9, 12;
Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 12; 10/03 S. 3, 4 f.; Clemens, Im Überblick
...., Südasien 2/03 S. 57 (58); Korf, Wer hat Angst vor dem Schurkenstaat?, Südasien 4/03
S. 59 (63); Flück, Der Kampf um den Frieden geht weiter, Südasien 1/03 S. 54 (55); taz vom
--.02.2004). Tamilische Oppositionsparteien unterliegen seit Aufnahme der
Friedensverhandlungen ebenso wie Menschenrechtsorganisationen und Medien einer
massiven Bedrohung seitens der LTTE, die einen Alleinvertretungsanspruch für die
Tamilen erhebt (AA 19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S. 14; Clemens, Im Überblick ....,
Südasien 2/03 S. 57 (58)). Insbesondere seit der Abspaltung Oberst Karunas wird die LTTE
für zahlreiche Morde und Entführungen von Anhängern rivalisierender tamilischer
Gruppierungen verantwortlich gemacht (ai --.07.2004 S. 401 ?402 f.?; NZZ vom 08.10.2004;
taz vom 01.10.2004). Rechte wie das auf freie Meinungsäußerung, auf ein faires
Gerichtsverfahren oder Religionsfreiheit sind in dem von der LTTE beherrschten Gebiet
nicht gewährleistet (UNHCR 4/04 S. 12, 31, 41). Ihren Nachwuchsbedarf für die
Kampftruppen deckt die LTTE - entgegen abweichender Zusagen unter anderem während
der Friedensgespräche in Berlin im Februar 2003 - weiterhin in erheblichem Umfang durch
Zwangsrekrutierungen von Kindern (AA 30.03.2004 S. 14; UNHCR 4/04 S. 54;
Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 13; NZZ vom 8.10.2004). Nach UNICEF-
Meldungen hat sie im Jahre 2003 zwar 200 Kindersoldaten entlassen, gleichzeitig aber 700
Minderjährige neu rekrutiert (Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 13; FAZ vom
25.01.2004; NZZ vom 25.03.2004). Im August 2003 vereinbarten Regierung und LTTE
einen Aktionsplan zur Demobilisierung von Kindersoldaten und zu ihrer Rehabilitierung,
wozu Rehabilitierungslager eingerichtet werden sollten. Bereits unmittelbar nach der
Eröffnung des ersten Lagers soll die LTTE wieder Minderjährige rekrutiert haben (ai - -
.07.2004 S. 401 ?403?). In den östlichen Landesteilen stehen die wesentlichen Zentren
nach wie vor unter der Kontrolle der Sicherheitskräfte, während die LTTE in den weiten
ländlichen, nicht von den Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten operiert. Gemäß den
Regelungen der Waffenstillstandsvereinbarung dulden die Sicherheitskräfte eine LTTE-
Präsenz, die sich immer stärker verfestigt, auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten
(AA19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S. 14). Auch in von der Regierung kontrollierten Gebieten
im Osten errichtete die LTTE eigene "Gerichte" und "Polizeistationen" (AA 19.06.2003 S.
7). Vereinzelt kam es zu Verhaftungen von LTTE-Kadern durch die Sicherheitskräfte. Diese
Fälle wurden allerdings meist vom zuständigen Waffenstillstands-Überwachungs-Komitee
gelöst (KK 27.01.2003 S. 5). In den östlichen Regionen kam es zu Spannungen zwischen
den dort ansässigen Bevölkerungsgruppen, die in Einzelfällen zu bewaffneten
Ausschreitungen eskalierten. Am 9. Oktober 2002 wurden während einer Demonstration im
Osten von Sri Lanka acht der Demonstranten durch Polizeischüsse getötet (ai --.05.2003 S.
4); hierbei handelte es sich um den ersten ernsten Zwischenfall seit Beginn der Waffenruhe
im Februar 2002 (FAZ vom 11.10.2002; Flück, Friedensprozess bleibt auf Erfolgskurs,
Südasien 4/02 S. 68). In Folge dieser Ereignisse kam es am 11. Oktober 2002 zu
Straßenschlachten zwischen Singhalesen und Tamilen im Nordosten Sri Lankas; auch
hierbei starben drei Menschen (AA 19.06.2003 S. 6; FAZ vom 12.10.2002). Außerdem
wurde von Ausschreitungen bis hin zu offener Gewalt zwischen Tamilen und Muslimen im
Osten des Landes berichtet (AA 19.06.2003 S. 13; 30.03.2004 S. 11; ai --.05.2003 S. 4;
Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 (66); KK
10.09.2003 S. 3; 12.10.2003 S. 9). Den Sicherheitskräften gelang es jeweils alsbald, die
Ruhe wieder herzustellen. Nahrung finden die weiterhin schwelenden Konflikte in der
Befürchtung der Moslems, sie könnten im Falle einer Einigung zwischen der Regierung
und der LTTE von der tamilischen Bevölkerungsmehrheit unterdrückt werden (Keller, Jetzt
hängt der Guerillachef neben Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 (66)). Zu weitgreifenden
Unruhen ist es auch in den östlichen Gebieten Sri Lankas nicht gekommen. Insgesamt wird
die derzeitige Situation und namentlich die Menschenrechtslage in Sri Lanka als
gegenüber der Vergangenheit deutlich verbessert beurteilt (UNHCR 4/04 S. 31; AA
19.06.2003 S. 10; ai --.05.2003 S. 1; Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord
Krishna, Südasien 4/02 S. 62 (65); KK 18.11.2002 S. 9), wenngleich die Einschätzung
geäußert wird, das Land befinde sich noch in einer Phase der Unsicherheit, eine
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endgültige Lösung des Konflikts liege noch in weiter Ferne (Schweizerische
Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 17; Korf, Schafft Entwicklung Frieden in Sri Lanka?,
Südasien 2/03 S. 59; Flück, Der Kampf um den Frieden geht weiter, Südasien 1/03 S. 54).
Ungeachtet dessen stellt sich die Menschenrechtssituation nach wie vor als problematisch
dar. Das Auswärtige Amt berichtet auch in seinem jüngsten Lagebericht, dass es - "wenn
auch in geringerem Umfang als noch Mitte der 90er Jahre" - "nach wie vor zu schweren
Menschenrechtsverletzungen" wie Folter und überlanger Untersuchungshaft komme (AA
30.03.2004 S. 5, 17; 19.06.2003 S. 5, 8, 11; s. auch UNHCR 4/04 S. 8, 31; Schweizerische
Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 10: 10/03, S. 3). Auch amnesty international weist auf weiter
"zahlreiche Berichte über Folterungen und Vergewaltigungen im Gewahrsam der Polizei"
(ai --.05.2003 S. 2; s. auch ai --.07.2004 S. 402 ?404?) hin. Einzelfälle von noch in den
Jahren 2003 und 2004 bekannt gewordener überlanger Haft und Folter durch die
Sicherheitskräfte haben die Schweizerische Flüchtlingshilfe (16.02.2004 S. 10 f.) und der
UNHCR (4/04 S. 38) benannt. Hervorgehoben wird, dass die Straflosigkeit von
Menschenrechtsverletzungen weiterhin ein schwer wiegendes Problem darstelle (AA
30.03.2004 S. 17, 20, 22; ai --.07.2004 S. 402 ?404?; --.05.2003 S. 1; UNHCR 4/04 S. 34;
Schweizerische Flüchtlingshilfe 10/03, S. 3; 16.02.2004 S. 11). Es gibt inzwischen
allerdings eine Reihe von Entscheidungen srilankischer Gerichte, welche die Freilassung
Verhafteter oder die Zahlung von Entschädigungsleistungen für
Menschenrechtsverletzungen, insbesondere Folter, anordnen (AA 19.06.2003 S. 9;
30.03.2004 S. 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe 02.04.2004 S. 11); auch fanden und
finden Strafverfahren gegen Angehörige der Sicherheitskräfte statt, in denen zum Teil
Freiheitsstrafen verhängt worden sind (ai --.05.2003 S. 2 f; --.07.2004 S. 402 (404 f.) ).
(3) Gesamtwürdigung und absehbare weitere Entwicklung Sowohl die zuletzt genannten
Vorbehalte hinsichtlich der Menschenrechtssituation als auch die weiterhin nicht als
hinreichend stabil einzuschätzende politische Lage verbieten es nach Überzeugung des
Senats (noch), die Situation in Sri Lanka schon als so günstig zu beurteilen, dass selbst
einem vorverfolgt ausgereisten Tamilen eine Rückkehr in sein Heimatland wegen dort
herrschender Sicherheit vor (erneuter) politischer Verfolgung zugemutet werden kann. Der
Senat sieht sich in seiner vorsichtigen Einschätzung nicht zuletzt durch die
innenpolitischen Ereignisse in Sri Lanka seit November 2003 bestätigt. Auch die daraus für
den weiteren Fortgang des Friedensprozesses resultierenden Unsicherheiten in der
Prognose der zukünftigen Entwicklung bieten andererseits derzeit keinen Ansatzpunkt für
die Annahme, die gegenüber dem Stand von Herbst 2001 signifikant verbesserte Situation
für Tamilen könne sich wieder derart verschlechtern, dass zu befürchten wäre,
Angehörigen dieser Volksgruppe oder irgendeiner Untergruppe könnte in absehbarer Zeit
politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Es kann unentschieden
bleiben, ob der LTTE - wofür Vieles spricht - in den von ihr beherrschten Gebieten eine auf
einer organisierten, effektiven und stabilisierten territorialen Herrschaftsmacht beruhende
und damit eine staatsähnliche Gebietsgewalt zukommt, von der politische Verfolgung
ausgehen kann.
Vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 20.00 -, BVerwGE 114, 16, und - 9 C
21.00 -, BVerwGE 114, 27.
Eine solche Gebietsgewalt wäre auf die von der LTTE beherrschten Gebiete im Norden
und Osten beschränkt. Ein srilankischer Staatsangehöriger wäre in den übrigen
Landesteilen, in die er ausweichen kann (AA 30.03.2004 S. 15) und in denen die LTTE
keinerlei Staatsgewalt innehat, durch die srilankischen Sicherheitskräfte geschützt und
jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung durch die
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LTTE bedroht.
c) Individuelle Anknüpfungspunkte für eine politische Verfolgung Besondere in der Person
des Beigeladenen liegende und in seinem Einzelfall zu würdigende Anknüpfungspunkte
für eine bis zum Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gesteigerte Gefahr politischer
Verfolgung sind nicht gegeben. Der Beigeladene weist zwar verschiedene Merkmale auf,
die die Wahrscheinlichkeit eines ersten Zugriffs zur Identitätsabklärung durch die
Sicherheitskräfte erhöhen können; sie tragen aber nicht den Schluss, dass ihm dabei mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche längerfristige Inhaftierung und/oder
körperliche Misshandlungen drohen. Mit Blick auf die Risikofaktoren fehlender
Ausweispapiere, möglicherweise unzureichender Sprachkenntnisse, Alter und Herkunft
teilt der Beigeladene das Schicksal einer Vielzahl nach Sri Lanka zurückkehrender
tamilischer Asylbewerber, deren Lebensalter unter 35 bis 40 Jahren liegt, deren Geburts-
oder Herkunftsort auf der Jaffna-Halbinsel oder im übrigen Norden Sri Lankas liegt, die die
singhalesische und englische Sprache nicht beherrschen und die bei ihrer Rückkehr nicht
über gültige Ausweispapiere verfügen, ohne dass es bei diesem Personenkreis, wie bereits
zur allgemeinen Sicherheitslage im Großraum Colombo ausführlich dargelegt, mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu asylrelevanten Übergriffen kommt. Zwar kommt bei dem
Beigeladenen als potentiell risikoerhöhender Umstand hinzu, dass er erkennbar
gehbehindert ist und Narben aufweist. Das allein führt jedoch nicht dazu, dass für ihn ein
beachtliches Risiko von Misshandlungen oder längerfristigen Inhaftierungen durch
srilankische Sicherheitskräfte anzunehmen wäre. Denn einerseits dürfte eine Vielzahl
srilankischer Bürger aufgrund des Bürgerkriegsgeschehens bleibende Verletzungsfolgen
aufweisen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich der Beigeladene seit nunmehr fast
neun Jahren nicht mehr in Sri Lanka aufgehalten hat und sein Aufenthalt in Deutschland
ohne Weiteres nachweisbar ist. Auch im Übrigen fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass sich
die Sicherheitsbehörden wegen einer Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, eines in
Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltenen Verdachts
einer LTTE-Mitgliedschaft oder einer Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten der
Sicherheitskräfte für ihn interessieren könnten. Selbst wenn er - was nach dem oben
Dargelegten allerdings nicht glaubhaft ist - in Sri Lanka einmal verhaftet worden sein sollte,
erschiene es höchst unwahrscheinlich, dass ihm diese Inhaftierung, die nach seiner
Darstellung wegen eines zu Unrecht gehegten Verdachts der LTTE-Zugehörigkeit erfolgt
wäre und die mit seiner Freilassung geendet hätte, bei der Rückkehr nach Ablauf von
mittlerweile fast neun Jahren überhaupt noch - insbesondere unter Berücksichtigung der
bereits dargelegten aktuellen Entwicklung - entgegengehalten würde.
II. Nebenentscheidungen Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gründe,
die Revision zuzulassen, § 132 Abs. 2 VwGO, liegen nicht vor.