Urteil des OVG Niedersachsen vom 13.02.2013

OVG Lüneburg: besondere härte, echte rückwirkung, genfer flüchtlingskonvention, geldstrafe, vertrauensschutz, familie, veröffentlichung, verkündung, eingliederung, besitz

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Einbürgerung
Die Übergangsvorschrift des § 40c StAG verstößt nicht gegen das
verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
OVG Lüneburg 13. Senat, Urteil vom 13.02.2013, 13 LC 33/11
§ 12a RuStAG, § 40c RuStAG
Tatbestand
Der 1957 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und begehrt
seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Er lebt seit 1975 in Deutschland. Er wurde mit Bescheid des damaligen
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29. Oktober
1984 als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 15. Mai 2008 widerrief
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anerkennung des Klägers als
Asylberechtigter und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG nicht vorliegen. Die dagegen gerichtete Klage wies das
Verwaltungsgericht Oldenburg mit Urteil vom 1. Juni 2011 - 3 A 1410/10 - ab.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil ist noch
bei dem erkennenden Gericht anhängig (9 LA 5/13). Dem Kläger ist zuletzt eine
Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt worden.
Der Kläger ist nach dem Auszug aus dem Bundeszentralregister bisher wie folgt
strafrechtlich in Erscheinung getreten:
- Am 8. September 1987 verurteilte ihn das AG Bremen wegen
vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, davon in einem
Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu einer
Geldstrafe von 60 Tagessätzen.
- Am 21. Oktober 1987 verurteilte ihn das AG Bremen unter Einbeziehung
der Verurteilung vom 8. September 1987 wegen vorsätzlichen Fahrens
ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im
Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen.
- Am 25. Juli 1989 verurteilte ihn das AG Bremen wegen vorsätzlichen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafe wurde nach
Ablauf der Bewährungszeit am 26. September 1993 erlassen.
- Am 13. Juni 1997 verurteilte ihn das AG Bremen wegen Missbrauchs von
Titeln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.
- Am 12. März 1998 verurteilte ihn das AG Syke wegen Betrugs zu einer
Geldstrafe von 15 Tagessätzen.
- Am 2. September 1999 verurteilte ihn das AG Bremen wegen
vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 50
Tagessätzen.
- Am 28. Oktober 2003 verurteilte ihn das AG Bremen wegen Missbrauchs
von Berufsbezeichnungen in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung, Betrug
und versuchtem Betrug zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen.
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- Am 30. Oktober 2007 verurteilte ihn das AG Delmenhorst wegen
vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer
Geldstrafe von 75 Tagessätzen.
Am 9. Juli 2007 stellte der Kläger beim damals noch örtlich zuständigen
Stadtamt Bremen einen Antrag auf Einbürgerung. Der Vorgang wurde nach dem
Umzug des Klägers am 7. Februar 2008 zuständigkeitshalber der Beklagten
übersandt.
Mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 - dem Kläger zugestellt am 17. Dezember
2009 - lehnte die Beklagte seinen Einbürgerungsantrag ab. Zur Begründung
verwies sie auf § 12a Abs. 1 StAG in der seit dem 28. August 2007 gültigen
Fassung, die hier gemäß § 40c StAG anzuwenden sei. Der Kläger habe die dort
gezogene Grenze von 90 Tages-sätzen weit überschritten. Allein in den letzten
zehn Jahren sei er zu Geldstrafen von insgesamt 305 Tagessätzen verurteilt
worden. Da diese Überschreitung nicht mehr geringfügig sei, könne sie auch
nicht nach § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG im Rahmen der Ermessensausübung
außer Acht gelassen werden.
Der Kläger hat am 15. Januar 2010 Klage erhoben.
Zur Begründung hat er ausgeführt, die Beklagte hätte nicht die neue Fassung
des § 12a StAG anwenden dürfen. Sie hätte vielmehr weiterhin diejenige
Gesetzesfassung zugrunde legen müssen, die im Zeitpunkt der Stellung des
Einbürgerungsantrags gegolten habe. § 40c StAG sei insofern
verfassungswidrig, als er nicht vorsehe, dass alle vor Inkrafttreten des Gesetzes
zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen
Union am 28. August 2007 gestellten Anträge nach der bis dahin gültigen
Rechtslage zu beurteilen seien, sondern nur diejenigen Anträge, die bis zum 30.
März 2007 gestellt worden seien. § 40c StAG messe der neuen Fassung des §
12a StAG Rechtswirkungen für einen vor ihrer Verkündung liegenden Zeitraum
bei. Dies sei verfassungsrechtlich unzulässig. Er - der Kläger - genieße insofern
Vertrauensschutz. Nach der Rechtslage, die im Zeitpunkt der Stellung seines
Einbürgerungsantrags gegolten habe, sei er einzubürgern gewesen. Jedenfalls
komme eine Einbürgerung nach den §§ 8, 9 StAG in Betracht. Seine Ehefrau sei
seit dem 29. Oktober 2009 Deutsche; seine Kinder seien ebenfalls deutsche
Staatsangehörige. Die eheliche Lebensgemeinschaft bestehe - wie von den
Verwaltungsvorschriften zu § 9 StAG verlangt - schon seit mehr als zwei Jahren,
nämlich seit dem 17. Februar 2000. Dass der Ehegatte auch schon seit mehr als
zwei Jahren Deutscher sein müsse, verlange die Verwaltungsvorschrift nicht.
Die Beklagte hätte den Einbürgerungsantrag von Amts wegen auch unter
diesem Gesichtspunkt prüfen müssen. Er habe in Deutschland studiert und
sichere trotz seiner Schwerbehinderung seinen Lebensunterhalt. Aus
beruflichen Gründen sei er dringend auf die Einbürgerung angewiesen. Denn er
müsse im Rahmen seiner Arbeit häufiger in die Vereinigten Arabischen Emirate
reisen, die ihm aber in seinen Reiseausweis für Flüchtlinge kein Visum erteilten,
da sie nicht Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention seien.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2009 aufzuheben und
die Beklagte zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverband
einzubürgern.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Regelung des § 40c StAG sei
verfassungsgemäß. Jedenfalls könne sich der Kläger nicht auf
Vertrauensschutz berufen, da er seinen Einbürgerungsantrag erst nach dem
Gesetzesbeschluss des Bundestages gestellt habe. Ein Anspruch auf
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Einbürgerung nach den §§ 8, 9 StAG stehe dem Kläger schon deswegen nicht
zu, weil seine Ehefrau erst seit dem 29. Oktober 2009 Deutsche sei, die
Verwaltungsvorschriften zu § 9 StAG aber verlangten, dass die eheliche
Lebensgemeinschaft mindestens zwei Jahre lang mit einem Deutschen
bestanden haben müsse. Im Übrigen sei wegen der Vorstrafen des Klägers die
Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG nicht erfüllt. Eine besondere Härte im
Sinne des § 8 Abs. 2 StAG, die ein Absehen nach Ermessen möglich mache,
liege nicht vor. Der Kläger und sein Arbeitgeber hätten bei Abschluss des
Arbeitsvertrags gewusst, dass der Kläger "nur" über einen Reiseausweis für
Flüchtlinge verfüge und hätten sich bei der Arbeitsgestaltung darauf einstellen
müssen.
Mit Urteil vom 13. Dezember 2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage
abgewiesen.
Ein Einbürgerungsanspruch des Klägers nach § 10 StAG scheitere an § 12a
Abs. 1 StAG in der seit dem 28. August 2007 gültigen Fassung, da der Kläger zu
einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten auf Bewährung und zu Geldstrafen von
insgesamt 440 Tagessätzen verurteilt worden sei. Vor diesem Hintergrund sei
der nach § 12a Abs. 1 StAG zulässige Rahmen nicht lediglich geringfügig
überschritten. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die
Beklagte § 12a StAG in der seit dem 28. August 2007 gültigen Fassung
angewandt habe, da der Einbürgerungsantrag nach dem Gesetzesbeschluss
des Bundestages vom 14. Juni 2007 gestellt worden sei. Gegen die damit
verbundene sogenannte „unechte Rückwirkung“ bestünden keine
verfassungsrechtlichen Bedenken. Einen besonderen Vertrauenstatbestand
könne der Kläger nicht geltend machen. Seine arbeitsrechtlichen
Verpflichtungen, denen er angeblich nur im Falle der Einbürgerung
nachkommen könne, habe er erst nach Inkrafttreten der verschärften
Gesetzesbestimmung abgeschlossen. Eine „echte Rückwirkung“ liege nicht vor,
da der Einbürgerungsvorgang bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 28.
August 2007 zwar schon in Gang gesetzt, aber noch nicht durch Erlass eines
entsprechenden Bescheides abgeschlossen worden sei. Eine
Ermessenseinbürgerung nach den §§ 8, 9 StAG komme wegen der mehrfachen
rechtswidrigen Straftaten ebenfalls nicht in Betracht (§ 9 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1
Nr. 2 StAG). Ein Absehen von dieser Voraussetzung nach § 8 Abs. 2 StAG sei
nicht möglich, da keine besondere Härte vorliege. Die möglichen beruflichen
Nachteile habe sich der Kläger aufgrund der vielen vorsätzlichen Straftaten
selbst zuzuschreiben.
Dagegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung des Klägers.
Die Fassung des § 40c StAG entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers.
Danach habe der maßgebliche Zeitpunkt derjenige der Veröffentlichung des
Gesetzentwurfs des Bundestages vom 23. April 2007 im Bundesgesetzblatt,
also der 30. April 2007 sein sollen. Vom Innenausschuss sei er um einen Monat
nach vorn auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs des
Bundesrats verlegt worden. Das Vertrauen des Einbürgerungsbewerbers in den
bestehenden Rechtszustand werde folglich ab einem Zeitpunkt für nicht mehr
schutzwürdig erklärt, ab dem nicht einmal das nach Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG
zuständige Gesetzgebungsorgan, sondern nur ein nach Art. 76 Abs. 1 GG zur
Vorlage berechtigtes tätig geworden sei. Zudem verstoße die Vorschrift gegen
das Rückwirkungsverbot. Der angefochtene Bescheid lasse auch keine
Ermessensausübung hinsichtlich einer Einbürgerung nach § 9 i.V.m. § 8 Abs. 2
StAG erkennen. Nach § 8 Abs. 2 StAG könne aus Gründen des öffentlichen
Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte von der Voraussetzung
fehlender Straffälligkeit abgesehen werden. Er halte sich seit 1974 in
Deutschland auf und sei als Asylberechtigter anerkannt. Art. 34 GK enthalte ein
Wohlwollensgebot zugunsten der Flüchtlinge, auf dessen Beachtung diese
einen Anspruch hätten. Seine Ehefrau und Kinder seien deutsche
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Staatsangehörige. Eine einheitliche Staatsangehörigkeit der gesamten Familie
sei im Hinblick auf Art. 6 GG wünschenswert. Er sei außerdem schwerbehindert.
Sein Arbeitgeber habe ihm wegen der Probleme mit der Einreise in die
Vereinigten Arabischen Emirate mit der Kündigung gedroht. Da er aufgrund
seines Alters und seiner Behinderung keine neue Beschäftigung mehr finden
und auf Sozialleistungen angewiesen sein werde, stelle die Verweigerung der
Einbürgerung eine besondere Härte dar. Der Schutz von Ehe und Familie
begründe auch ein öffentliches Interesse. Die Tilgungsregelung des § 47 BZRG
sei in seinem Fall verfassungskonform zu korrigieren.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihn
in den deutschen Staatsverband einzubürgern.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die vom Kläger vorgebrachten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 40c
StAG seien unbegründet. Er könne sich insbesondere nicht auf
Vertrauensschutz berufen, da er seinen Einbürgerungsantrag nach dem
Gesetzesbeschluss des Bundestages gestellt habe. Zum Zeitpunkt des
Ablehnungsbescheides vom 11. Dezember 2011 habe die Möglichkeit einer
Einbürgerung des Klägers nach § 9 StAG nicht bestanden, da er noch nicht
mindestens zwei Jahre mit einer Deutschen verheiratet gewesen sei. Seine
Ehefrau sei erst am 29. Oktober 2009 eingebürgert worden. Die diversen
Straftaten stünden einer Einbürgerung des Klägers auch weiterhin entgegen.
Eine besondere Härte liege nicht vor. Über seine Klage gegen den Widerruf
seiner Asylanerkennung sei noch nicht rechtskräftig entschieden, so dass der
Kläger weiterhin im Besitz eines Reiseausweises für Flüchtlinge sei. Seit dem 1.
August 2012 sei der Kläger laut Arbeitsvertrag vom 3. Juli 2012 bei seinem
Prozessbevollmächtigten als „Rechtsanwalt“ beschäftigt, obgleich er keine
Zulassung als Rechtanwalt besitze. Das Arbeitsverhältnis sei auf unbestimmte
Zeit geschlossen, die Bruttoarbeitsvergütung betrage monatlich 5.000 Euro.
Dazu gewähre die Arbeitsagentur für die Dauer von acht Jahren einen
Eingliederungszuschuss. Dieser betrage für die ersten beiden Jahre 70%, im
dritten Jahr 60%, im vierten Jahr 50%, im fünften Jahr 40% und in den
verbleibenden drei Jahre jeweils 30%.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Sie waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Klage auf Einbürgerung in den
deutschen Staatsverband abgewiesen. Der Kläger hat keinen
Einbürgerungsanspruch.
Ein derartiger Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus § 10 StAG. Der Kläger
erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG i.V.m. § 12a
StAG in der seit dem 28. August 2007 gültigen Fassung.
Eine Einbürgerung nach § 10 StAG setzt gemäß Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 dieser
Vorschrift voraus, dass der Einbürgerungsbewerber nicht wegen einer
rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden ist. Dabei bleiben nach § 12a
Abs. 1 Satz 1 StAG in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung
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Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen sowie zu Freiheitsstrafe bis
zu drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der
Bewährungszeit erlassen worden ist, außer Betracht. Bei mehreren
Verurteilungen zu Geld- oder Freiheitsstrafen sind diese zusammenzuzählen, es
sei denn, es wurde eine niedrigere Gesamtstrafe gebildet; treffen Geld- und
Freiheitsstrafe zusammen, entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe
(vgl. § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG). Übersteigt die Strafe oder die Summe der
Strafen geringfügig diesen Rahmen, so wird im Einzelfall entschieden, ob diese
außer Betracht bleiben kann (vgl. § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG).
Berücksichtigt man, dass die Verurteilung vom 8. September 1987 in die mit
Urteil vom 21. Oktober 1987 gebildete Gesamtgeldstrafe einbezogen wurde, so
wurde der Kläger zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung von 2 Monaten, die
inzwischen erlassen worden ist, sowie zu Geldstrafen von insgesamt 440
Tagessätzen verurteilt. Nach der Zusammenrechnungsregel des § 12a Abs. 1
Satz 2 Halbsatz 2 StAG ergibt dies eine fiktive Freiheitsstrafe von 500 Tagen auf
Bewährung. Dies überschreitet den nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG
zulässigen Rahmen von 3 Monaten um mehr als das fünffache. Da eine solche
Überschreitung nicht mehr "geringfügig" ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.
März 2012 - 5 C 5.11 -, NVwZ 2012, 1250), kann sie auch nicht gem. § 12a Abs.
1 Satz 3 StAG nach Ermessen außer Acht gelassen werden.
§ 12a StAG ist von der Beklagten auch zu Recht in seiner seit dem 28. August
2007 geltenden Fassung angewendet worden. Der Kläger hat seinen
Einbürgerungsantrag am 9. Juli 2007 gestellt. Die Übergangsvorschrift des §
40c StAG sieht vor, dass nur bis zum 30. März 2007 gestellte
Einbürgerungsanträge weiter nach der alten - für den Kläger günstigeren -
Gesetzesfassung zu bescheiden sind. Durchgreifende verfassungsrechtliche
Bedenken gegen diese Vorschrift bestehen im Hinblick auf das vorliegende
Verfahren nicht.
Derartige Bedenken ergeben sich zunächst nicht aus der Abänderung dieser
Vorschrift im Gesetzgebungsverfahren. Während der Gesetzesentwurf der
Bundesregierung (BR-Drs. 224/07 v. 30. März 2007 und BT-Drs. 16/5065 v. 23.
April 2007) als Stichtag den Tag der Veröffentlichung dieses Entwurfs als BT-
Drs. (also den 23. April 2007) vorgesehen hatte, wurde dieses Datum auf
Vorschlag des Innenausschusses (vgl. BT-Drs. 16/5621 [Beschlussempfehlung]
und 16/5654 [Bericht]) auf den 30. März 2007 abgeändert. Da dieses Datum in
den Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 14. Juni 2007 übernommen
worden ist, dem der Bundesrat am 6. Juli 2007 zugestimmt hat, ist diese
Fassung Gesetz geworden. Die Annahme des Klägers, aufgrund der
Abweichung des Gesetzes von dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werde
der Wille des Gesetzgebers verfälscht, verkennt die Rolle der
Verfassungsorgane im Gesetzgebungsverfahren. Nach Art. 77 Abs. 1 Satz 1
GG werden Bundesgesetze vom Bundestag beschlossen. Ein solches Gesetz
kommt zustande, wenn der Bundesrat in der nach Art. 78 GG vorgeschriebenen
Art beteiligt war. Dies ist hier der Fall. Eine Bindung an den Inhalt der
Gesetzentwürfe der Bundesregierung besteht nicht.
Eine unzulässige Rückwirkung kann in der Übergangsregelung des § 40c StAG
nicht gesehen werden. Allerdings müssen vom Gesetzgeber rückwirkend in
Kraft gesetzte belastende Normen rechtsstaatlichen Anforderungen genügen.
Neben dem Rechtsstaatsgebot begrenzen - soweit einschlägig - auch die
Grundrechte die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen,
die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom
21. Juli 2010 - 1 BvL 11/06 u.a. - juris, Rdnr. 75 m.w.N.), auch wenn das
Grundgesetz - mit Ausnahme des für Strafgesetze geltenden Art. 103 Abs. 2 GG
- insofern keine ausdrückliche Regelung getroffen hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entfaltet eine
Rechtsnorm eine - grundsätzlich unzulässige - "echte" Rückwirkung, wenn ihre
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Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung
für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von
Rechtsfolgen"), wenn also der Beginn ihrer zeitlichen Anwendung auf einen
Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm durch ihre
Verkündung rechtlich existent, das heißt gültig geworden ist (vgl. BVerfG,
Entscheidungen vom 14. November 1961 - 2 BvL 15/59 - BVerfGE 13, 206, 212
und vom 5. Juli 1972 - 2 BvL 6/66 u.a. - BVerfGE 33, 265, 293; Urteil vom 23.
November 1999 - 1 BvF 1/94 - BVerfGE 101, 239, 263; Beschlüsse vom 7. Juli
2010 - 2 BvL 1/03 u.a. - juris, Rdnr. 67 und vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 11/06 u.a. -
juris, Rdnr. 71 jeweils m.w.N.). Auch in diesem Fall tritt das Rückwirkungsverbot,
das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, aber zurück, wenn sich kein
Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. u.a.
BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 3140/06 - NVwZ-RR 2007,
433 = juris, Rdnr. 29 m.w.N.). Davon ist unter anderem dann auszugehen, wenn
der Betroffene schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen war, nicht
mit dem Fortbestand der Regelung rechnen durfte (vgl. u.a. BVerfG, Beschlüsse
vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44/92, 1 BvL 48/92 - BVerfGE 95, 64, 86 f. = juris,
Rdnr. 110 m.w.N. und vom 21. Juli 2010 a.a.O. Rdnr. 75 m.w.N.), wenn sich also
kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts für
vergangene Zeiträume bilden konnte (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 25. Mai
1993 - 1 BvR 1509/91, 1 BvR 1648/91 - BVerfGE 88, 384, 404 und vom 15.
Oktober 1996 a.a.O.; Urteil vom 23. November 1999 a.a.O.; Beschluss vom 27.
Februar 2007 a.a.O.), etwa weil die Rechtslage unklar war (vgl. u.a.
Entscheidung vom 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261, 272 und
Beschluss vom 21. Juli 2010 a.a.O. Rdnr. 75). Ferner kommt Vertrauensschutz
nicht in Betracht, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Gebot
der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung von Normen
erfordern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 a.a.O. unter Hinweis
auf die Entscheidung vom 19. Dezember 1961 a.a.O.; den Beschluss vom 25.
Mai 1993 a.a.O. und das Urteil vom 23. November 1999 a.a.O.). Dasselbe gilt,
wenn durch die Rückwirkung nur ein ganz unerheblicher Schaden verursacht
würde (vgl. BVerfG, Entscheidungen vom 19. Dezember 1961 a.a.O.; vom 23.
März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. - BVerfGE 30, 367, 387 ff. und Beschluss vom 25.
Mai 1993 a.a.O.).
Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung
eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt
ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine "unechte"
Rückwirkung vor (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. März 1983 - 2 BvR 475/78 -
BVerfGE 63, 343, 356; Beschlüsse vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 - BVerfGE
72, 200, 242 f. = juris, Rdnr. 130, vom 3. Dezember 1997 - 2 BvR 882/97 -
BVerfGE 97, 67, 78 f. = juris, Rdnr. 49 und vom 5. Februar 2002 - 2 BvR 305/93
u.a. - BVerfGE 105, 17, 37 f.). Dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Gesetz für
die Zukunft Rechtsfolgen an ein Ereignis knüpft, das in der Vergangenheit liegt.
Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, denn die
Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der
bisherigen Rechtslage würde den demokratisch gewählten Gesetzgeber in
wichtigen Bereichen in seiner Gestaltungsbefugnis lähmen und den Konflikt
zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer
Änderung zum Beispiel im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in
nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der
Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. März 1983 a.a.O., 357;
Beschluss vom 5. Februar 2002 a.a.O., 40; Urteil vom 27. September 2005 - 2
BvR 1387/02 - BVerfGE 114, 258, 301). Der Gesetzgeber muss aber, soweit er
für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, die
Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das
Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage abwägen (vgl. u.a.
BVerfG, Urteil vom 27. September 2005 a.a.O., 300 m.w.N.). Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009 - 1
BvR 706/08 u.a. - BVerfGE 123, 186, 257 m.w.N.). Eine unechte Rückwirkung ist
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grundsätzlich mit den Grundsatz rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes und dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip vereinbar. Sie wird dann unzulässig wenn sie zur
Förderung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn
die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des
Gesetzgebers überwiegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1
BvL 6/07 - juris, Rdnr. 60 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen ist in der Übergangsregelung des § 40c StAG keine
unzulässige Rückwirkung erkennbar. Es handelt sich um eine "tatbestandliche
Rückanknüpfung" oder "unechte Rückwirkung". Nach § 40c StAG ist auf bis
zum 30. März 2007 gestellte Einbürgerungsanträge die vor dem 28. August
2007 geltende Fassung der §§ 8 bis 14 und 40c StAG anzuwenden, soweit sie
günstigere Bestimmungen enthalten. Erfasst werden nur zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens der Neufassung noch nicht beschiedene Anträge, die vor dem
genannten Stichtag gestellt worden sind. Im Umkehrschluss gilt die neue,
ungünstigere Gesetzesfassung für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens noch
offenen Einbürgerungsanträge, die nach dem Stichtag 30. März 2007 gestellt
worden sind. Damit wird nicht in bereits abgeschlossene Sachverhalte
eingegriffen, sondern es werden von der Neuregelung nur solche Anträge
erfasst, durch die das Einbürgerungsverfahren in Gang gesetzt worden ist, die
aber noch nicht abschließend beschieden worden sind.
Ein schutzwürdiges Vertrauen der betroffenen Einbürgerungsbewerber am
Fortbestand der ursprünglichen Regelungen während der gesamten Dauer des
Einbürgerungsverfahrens besteht nicht. Mit der Einbringung eines
Gesetzesentwurfs im Bundestag durch ein initiativberechtigtes Organ werden
geplante Gesetzesänderungen öffentlich. Ab diesem Zeitpunkt sind mögliche
zukünftige Gesetzesänderungen in konkreten Umrissen allgemein
vorhersehbar. Deshalb kann der Bürger regelmäßig nicht mehr darauf vertrauen,
das gegenwärtig geltende Recht werde auch in Zukunft unverändert
fortbestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, juris,
Rdnr. 73 zum Steuerrecht). Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde
Entsprechendes nicht für den Fall gelten sollte, dass der Gesetzentwurf - wie
hier - zunächst als Bundesratsdrucksache veröffentlicht und damit öffentlich wird
(vgl. dazu Bericht des Innenausschusses v. 13. Juni 2007, BT-Drs. 16, 5654, S.
26). Ab diesem Zeitpunkt war es den betroffenen einbürgerungswilligen
Ausländern möglich, sich auf die geplante Gesetzesänderung einzustellen und
erforderlichenfalls von der Stellung eines nach neuer Rechtslage erfolglosen
Einbürgerungsantrags abzusehen und insbesondere nicht auf eine Entlassung
aus ihrer alten Staatsbürgerschaft hinzuwirken. Das Interesse, im Hinblick auf
die erkennbar geplante Änderung noch nach Veröffentlichung der
Bundesratsdrucksache 224/07 eine Einbürgerung nach der günstigeren alten
Rechtslage zu erreichen, ist demgegenüber nicht schutzwürdig. Es bestand
vielmehr ein berechtigtes Interesse des Gesetzgebers, einer vermehrten
Antragstellung im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens in der Hoffnung auf
das vorläufige Fortgelten der günstigeren Altregelung entgegenzuwirken.
Unabhängig von der generellen Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 40c
StAG ist im vorliegenden Fall ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an einer
Behandlung seines Einbürgerungsantrags nach alter Rechtslage nicht einmal
ansatzweise ersichtlich. Er hat seinen Einbürgerungsantrag am 9. Juli 2007 und
damit nach der endgültigen Beschlussfassung des Bundestages am 14. Juni
2007 und der Zustimmung des Bundesrates am 6. Juli 2007 gestellt. Zu diesem
späten Zeitpunkt konnte der Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt
mehr auf das Fortbestehen der alten Rechtslage vertrauen (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, juris, Rdnr. 74 ff.). Wie bereits
das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, hat der Kläger auch keinerlei
gewichtige und unumkehrbare Dispositionen im Vertrauen auf die Beibehaltung
der alten Rechtslage getroffen. Insbesondere seinen damaligen Arbeitsvertrag,
der nach seinen Angaben mit der Verpflichtung zu häufigen Auslandsreisen
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verbunden gewesen sei und den Besitz eines Nationalpasses vorausgesetzt
habe, hat der Kläger erst am 29. April 2009 und damit lange nach Inkrafttreten
der Neuregelung des § 12a StAG am 28. August 2007 abgeschlossen.
Der Kläger kann einen Einbürgerungsanspruch im Hinblick auf seine
eingebürgerte Ehefrau auch nicht aus den §§ 8, 9 StAG herleiten.
Nach dem oben Ausgeführten liegen aufgrund der Straffälligkeit des Klägers
auch unter Berücksichtigung des § 12a Abs. 1 StAG bereits die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG nicht vor (vgl. dazu: BVerwG, Urteil
vom 20 März 2012 - 5 C 5.11 -, juris, Rdnr. 37 m.w.N.).
Die Beklagte konnte von dem Erfordernis fehlender Straffälligkeit auch nicht
nach § 8 Abs. 2 StAG absehen. Nach dieser Bestimmung kann von den
Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG aus Gründen des öffentlichen
Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden.
Für das Bestehen eines öffentlichen Interesses sind weder nach dem Vortrag
des Klägers noch im Hinblick auf die sonstigen Umstände des Falles
Gesichtspunkte erkennbar. Es liegt kein sich vom Durchschnittsfall eines
Einbürgerungsbegehrens spezifisch staatliches Interesse (vgl. dazu ausführlich
OVG des Saarlands, Urt. v. 28. Juni 2012 - 1 A 35/12 -, juris) an der
Einbürgerung des Klägers vor, das es ausnahmsweise rechtfertigen könnte, den
Ausländer trotz zu berücksichtigender Straffälligkeit einzubürgern.
Die Voraussetzungen einer besonderen Härte erfüllt der Kläger ebenfalls nicht.
Allerdings ist § 8 Abs. 2 StAG auch dann noch anwendbar, wenn die Grenze der
Bagatellstraftaten mehr als geringfügig im Sinne des § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG
überschritten worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2012 - 5 C 5.11 -,
juris, Rdnr. 38 m.w.N.). Das Vorliegen einer besonderen Härte ist in dieser
Konstellation allerdings als Ausnahmefall anzusehen, der das Bestehen von für
den Einbürgerungsbewerber besonders beschwerenden Umständen
voraussetzt, die im Einzelfall ein Absehen von darüber hinausgehenden
strafrechtlichen Verurteilungen rechtfertigen (vgl. Nr. 8.2 der VAH des BMI v. 17.
April 2009). Eine solche Härte muss durch atypische Umstände des Einzelfalls
bedingt sein, gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen
werden und durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend
abgemildert werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2012 - 5 C 5.11 -,
juris, Rdnr. 39 m.w.N.). Derartige Umstände bestehen im vorliegenden Fall nicht.
Das gilt zunächst für die vom Kläger angeführte beruflich bedingte
Notwendigkeit, häufiger in die Vereinigten Arabischen Emirate zu reisen und
dafür im Besitz eines deutschen Reisepasses zu sein. Der Kläger übt diese
Tätigkeit zwischenzeitlich nicht mehr aus, sondern ist nach dem Arbeitsvertrag
vom 3. Juli 2012 bei seinem Prozessbevollmächtigten als “Rechtsanwalt“
angestellt. Das Erfordernis eines deutschen Nationalpasses besteht für dieses
Beschäftigungsverhältnis offensichtlich nicht. Auch die Behinderung des Klägers
führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, auf
welche Weise dieser Umstand oder dessen Folgen durch die Einbürgerung des
Klägers geändert oder abgemildert werden könnten.
Die Vorschrift des Art. 34 GK hilft dem Kläger in diesem Zusammenhang
ebenfalls nicht weiter. Art. 34 GK lautet: „Die vertragschließenden Staaten
werden soweit wie möglich die Eingliederung und Einbürgerung der Flüchtlinge
erleichtern. Sie werden insbesondere bestrebt sein, Einbürgerungsverfahren zu
beschleunigen und die Kosten dieses Verfahrens soweit wie möglich
herabzusetzen." Der Kläger kann sich jedoch nicht auf seine
Flüchtlingseigenschaft berufen. Seine Anerkennung als Asylberechtigter vom
29. Oktober 1984 ist mit Bescheid vom 15. Mai 2008 widerrufen worden.
Zugleich ist festgestellt worden, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG und damit der Flüchtlingsstatus nach der GK nicht mehr gegeben
sind. Der darüber geführte Rechtsstreit ist noch nicht rechtskräftig
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abgeschlossen. Nach § 73 Abs. 2c AsylVfG entfällt für Einbürgerungsverfahren
aber die Verbindlichkeit der Entscheidung über den Asylantrag bis zur
Bestandskraft des Widerrufs.
Unabhängig davon wäre Art. 34 GK im vorliegenden Fall auch in der Sache
nicht geeignet, eine besondere Härte zu begründen. Die Bestimmung enthält ein
Wohlwollensgebot des Gesetzgebers zugunsten der Flüchtlinge, das Behörden
und Gerichte bindet und auf dessen Beachtung die Flüchtlinge einen Anspruch
haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 1. Juli 1975 - I C 44.70 -, BVerwGE 49, 44, zit. nach
juris, Rdnr. 15). Bei asylberechtigten Einbürgerungsbewerbern muss die
Behörde die allgemein maßgeblichen Einbürgerungsgesichtspunkte sämtlich in
ihren Ermessenserwägungen berücksichtigen. Jedoch ist nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 8 RuStAG durch das
gruppentypische Schicksal dieser Personen aus der Wertordnung des
Grundgesetzes heraus ein besonderes Interesse an der Einbürgerung
präjudiziert. Das führt dazu, dass die Behörde den Einbürgerungsantrag des
Asylberechtigten, dessen volle Eingliederung in die hiesigen Lebensverhältnisse
erfolgt ist oder doch gewährleistet erscheint, im Rahmen sachgerechter
Ermessensausübung nur ablehnen darf, wenn andere staatliche Interessen
entgegenstehen und überwiegen. Solche Interessen können auch aus
Bedenken hervorgehen, die gegen die Person des Einbürgerungsbewerbers zu
erheben sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1975 - I C 44.70 -, a.a.O., zit. nach
juris, Rdnr. 18). So liegt der Fall hier.
Der Gesetzgeber hat in § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG derartige Bedenken, die gegen die
Person des Einbürgerungsbewerbers bestehen, einer gesetzlichen Regelung
zugeführt. Die wiederholte Straffälligkeit des Klägers, die ein bewusstes
Hinwegsetzen über die deutsche Rechtsordnung wiederspiegelt, begründet
durchgreifende Zweifel an dessen vollständiger Eingliederung in die hiesigen
Lebensverhältnisse. Sie steht der Annahme einer besonderen Härte im Sinne
des § 8 Abs. 2 StAG allein aufgrund der Flüchtlingseigenschaft des Klägers
entgegen. Eine generelle Suspendierung anerkannter Flüchtlinge von dem
bereits durch § 12a Abs. 1 StAG abgemilderten Erfordernis der Straflosigkeit
besteht nicht. Es ist dem Kläger vor diesem Hintergrund ohne weiteres
zuzumuten, die bei weiterer Straffreiheit am 30. Oktober 2017 eintretende
Tilgungsreife der Eintragungen im Bundeszentralregister abzuwarten.
Insbesondere die Anwendung der Regelung des § 47 Abs. 3 BZRG, nach der
bei mehreren Eintragungen die Tilgung einer Eintragung erst zulässig ist, wenn
für alle Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen, ist nicht zu
beanstanden. Ob eine besondere Härte dann angenommen werden könnte,
wenn die die Tilgung sperrende Straftat eine Bagatellstraftat wäre und dem
Kläger ein weiteres Verbleiben im Status des Ausländers nicht zuzumuten wäre
(vgl. VGH BW, Urt. v. 6. Mai 2009 - 13 S 2428/08 -, juris, Rdnr. 48), kann offen
bleiben, da es sich bei dem erneuten Fahren ohne Fahrerlaubnis, die der
Verurteilung vom 30. Oktober 2007 zugrunde liegt, nicht um eine Bagatellstraftat
handelt. Zudem ist auch die zehnjährige Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 2
Buchst. a) BZRG hinsichtlich der Verurteilung vom 28. Oktober 2003 noch nicht
abgelaufen. Der Kläger hat durch die wiederholte Begehung vorsätzlicher
Straftaten nachdrücklich unter Beweis gestellt, dass er selbst von der
Warnfunktion strafrechtlicher Verurteilungen nur unzureichend erreicht wird. Dies
gilt umso mehr, als er wegen des gleichen Delikts (Fahren ohne Fahrerlaubnis)
bislang insgesamt fünfmal verurteilt worden ist und diese Vergehen
offensichtlich weiter bagatellisiert. Die Annahme einer besonderen Härte legt
dieses Verhalten nicht nahe.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der im Hinblick auf die Familieneinheit
wünschenswerte einheitliche staatsangehörigkeitsrechtliche Behandlung einer
Familie (vgl. dazu Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5.
Aufl. 2010, § 8 StAG, Rdnr. 98 ff.). Dem Gebot einer erleichterten Einbürgerung
zu einem deutschen Ehegatten ist bereits durch die Schaffung der Soll-Vorschrift
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des § 9 StAG hinreichend Rechnung getragen worden. Art. 6 Abs. 1 GG gewährt
keinen darüber hinausgehenden Anspruch auf Einbürgerung. Insbesondere ist
die Einbürgerungsbehörde nicht verpflichtet, allein wegen der Ehe des
Ausländers mit einem Deutschen bei Fehlen der Voraussetzungen des § 9
StAG die Einbürgerung nach § 8 StAG vorzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom
17. Mai 1983 - 1 C 163.80 -, BVerwGE 67, 177, zit. nach juris, Rdnr. 34 zu §§ 8,
9 RuStAG). Ein Absehen von den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8
Abs. 1 StAG gebietet der Schutz von Ehe und Familie ebenfalls nicht. Eine
besondere Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG ist nicht erkennbar, zumal dem
Vortrag des Klägers nicht entnommen werden kann, dass derzeit der Bestand
der Ehe oder die Beziehung des Klägers zu seinen Kindern durch die
verschiedenen Staatsangehörigkeiten gefährdet sind. Der Umstand, dass der
Kläger aufgrund seines Flüchtlingsausweises nicht in allen Staaten gemeinsam
mit seiner Familie Urlaub machen kann, reicht dazu nicht aus.
Liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 8,9 StAG nicht vor,
so bedarf es keiner Ermessenserwägungen seitens der Einbürgerungsbehörde.
Diese sind zudem von der Beklagten in der Berufungserwiderung vom 8.
Februar 2012 (hilfsweise) nachgeholt worden (§ 114 Satz 2 VwGO).