Urteil des HessVGH vom 25.03.1997

VGH Kassel: gefahr, stillegung, vorläufige einstellung, widerruf, gefährdung, bayern, zustand, genehmigungsverfahren, angemessener zeitraum, wissenschaft

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 A 3083/89
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 17 Abs 2 AtG, § 17 Abs 3
AtG, § 17 Abs 5 AtG, § 19
Abs 3 S 1 AtG, § 19 Abs 3 S
2 Nr 3 AtG
(Aufhebung einer atomrechtlichen Genehmigung:
endgültige bzw einstweilige Stillegung - zum
Gefahrenbegriff - zur Einschätzung der Gefahr,
insbesondere zur Einschätzungsprärogative)
Tatbestand
Mit dem vorliegenden Klageverfahren begehren die Kläger, die im Umkreis von
maximal 70 Kilometern um das Kernkraftwerk B. wohnhaft sind, den Beklagten zu
verpflichten, die der als Betreiberin der Anlage zum Verfahren beigeladenen RWE
Energie AG erteilte atomrechtliche Genehmigung für das Kernkraftwerk B. Block A
(KWB A) zu widerrufen bzw. zurückzunehmen; des Weiteren streben sie die
behördliche Anordnung der (endgültigen oder vorläufigen) Stillegung des Betriebes
von Block A an. Den auf Block B bezogenen Teil ihrer Klage verfolgen die Kläger
nicht weiter.
Nach einer Planungsphase von 1965 bis 1970 wurde mit Bescheid vom 31. Juli
1970 der Beigeladenen die 1. Teilerrichtungsgenehmigung für den Block A des
KWB erteilt. Die 6. Teilerrichtungsgenehmigung vom 14. Dezember 1973 schloss
die Errichtungsphase ab, und nach Genehmigung einer Probebetriebsphase erhielt
die Beigeladene mit Bescheid vom 2. Juni 1975 als 8. Teilgenehmigung die
Erlaubnis für den Leistungsbetrieb (Dauerbetrieb) erteilt.
Am 16./17. Dezember 1987 kam es im KWB A zu einem Vorkommnis, das in den
Medien als Störfall bezeichnet wurde und bei dem eine kleinere Menge des
radioaktiven Kühlmittels über den Kamin in die Umgebung freigesetzt wurde. (Eine
ausführliche Schilderung des Ereignisablaufs findet sich in Anlage 2 des sog. B.-
Berichtes des Hess. Ministeriums für Umwelt und Reaktorsicherheit von 1989
, der im bereits abgeschlossenen Eilverfahren 8 Q 2809/88 vorgelegt
wurde.)
Vom Beklagten wurden daraufhin verschiedene technische und organisatorische
Maßnahmen veranlaßt. Des Weiteren nahm die Behörde den Störfall zum Anlass,
den TÜV Bayern und eine Gutachter-Arbeitsgemeinschaft mit der Erstellung einer
Sicherheitsanalyse zu beauftragen.
Die Kläger beantragten mit Schreiben vom 22. März 1988 bei dem Beklagten,
dieser möge die der Beigeladenen erteilten Betriebsgenehmigungen widerrufen.
Mit ihrem im Juli 1988 beim Hess. Verwaltungsgerichtshof anhängig gemachten
Eilantrag (Az. 8 Q 2809/88) versuchten sie sodann, mittels eines einstweiligen
Anordnungsverfahrens die vorläufige Stillegung des Kernkraftwerks B. Block A und
B zu erreichen.
Diesen Eilantrag lehnte der 8. Senat des angerufenen Gerichts durch Beschluss
vom 28. Juni 1989 ab.
Den Widerrufsantrag der Kläger lehnte dann auch der Beklagte mit Bescheid vom
18. September 1989 ab, wobei er sich mit den von den Klägern vorgebrachten
Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit der Anlagenbetreiberin und die Sicherheit
der Anlage (neue Erkenntnisse zum Unfallrisiko und zum Verhalten des
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der Anlage (neue Erkenntnisse zum Unfallrisiko und zum Verhalten des
Containments bei Kernschmelzunfällen, mangelhafter Schutz gegen den Absturz
eines Flugzeugs des Typs Phantom, mangelhafte Auslegung des Kernkraftwerks
gegen Erdbeben, unzureichender Schutz gegen Sabotage, Störanfälligkeit durch
die Verkopplung der beiden Blöcke A und B, Fehlen eines Notstandsgebäudes und
eines vorschriftsmäßigen Notstandssystems, Defizite, die eine Sicherheitsmission
der IAEO bei einem Besuch in B. vom 27. Oktober bis 14. November
1986 vorfand, alterungsbedingte Sicherheitseinbußen, fehlende
Sicherheitsüberprüfungen, Verstoß der Betreiberin gegen die durch Auflage des
Genehmigungsbescheides festgeschriebene Entsorgungspflicht) sachlich im
einzelnen auseinandersetzte.
Daraufhin haben die Kläger am 13. Oktober 1989 die vorliegende Klage erhoben.
Im Februar 1991 schloss der TÜV Bayern seine "Schutzzielorientierte
Sicherheitsanalyse zur Neubewertung der Anlagensicherheit des Kernkraftwerks
B., Block A" (SIAN) mit einem fünfbändigen Bericht ab (Anlage zum Schriftsatz des
Beklagten vom 7. September 1993 im Verfahren 14 A 1019/91, Ordner 2, dessen
Akten vom Senat zu diesem Verfahren beigezogen wurden).
Die Gutachter kamen in dieser Sicherheitsanalyse zu folgendem Ergebnis (s. S. 86
f des Bd. 1, Zusammenfassender Bericht):
Die schutzzielorientierte Untersuchung und Bewertung des KWB A hätten ergeben,
dass die sicherheitstechnisch relevanten Bauwerke, Systeme und Komponenten
bei einer realistischen Betrachtungsweise in der Lage seien, die übergeordneten
Schutzziele (= sicheres Abschalten des Reaktors, Halten des Reaktors im
unterkritischen Zustand, Sicherstellung der Nachwärmeabfuhr aus dem Reaktor
und Einhaltung der Planungsrichtwerte der Strahlenschutzverordnung)
einzuhalten.
Bei Zugrundelegung der Annahmen der heute zur Schadensvorsorge
einzuhaltenden Auslegungserfordernisse ergäben sich jedoch eine Reihe von
Abweichungen. Dies habe zu entsprechenden Empfehlungen in Teilbereichen der
Anlage geführt.
Diese (im Anhang des Berichts aufgelisteten) Empfehlungen zielten im
wesentlichen auf eine Herabsetzung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Störfällen
sowie auf eine Verbesserung der Maßnahmen und Einrichtungen zur Beherrschung
von Störfallfolgen; sie dienten daher der Heranführung der Anlagensicherheit an
die bei Neuanlagen vorzusehenden Sicherheitsreserven in der Auslegung und der
Schadensvorsorge.
Als Folge der Auswertung dieser Sicherheitsanalyse durch den Beklagten ergingen
an die Beigeladene am 27. März 1991 zwei (Auflagen-) Bescheide nach § 17 Abs. 1
S. 3 Atomgesetz. Diese sind Gegenstand des von der Beigeladenen anhängig
gemachten Anfechtungsklageverfahrens (14 A 1019/91) und des parallelen
Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO (14 R 2394/93); die betreffenden Akten der -
noch nicht entschiedenen - Verfahren sind vom Senat gleichfalls zu diesem
Verfahren beigezogen worden.
In diesen Auflagenbescheiden stellte die Behörde darauf ab, dass die
Sicherheitsanalyse des Blocks A ergeben habe, die sicherheitstechnisch
relevanten Bauwerke, Systeme und Komponenten seien bei einer realistischen
Betrachtungsweise in der Lage, die übergeordneten Schutzziele einzuhalten.
Deshalb bestehe zunächst kein Anlass, Sofortmaßnahmen nach § 19 Abs. 3
Atomgesetz zu ergreifen oder die Genehmigung zu widerrufen.
Bei Zugrundelegung der Annahmen der heute zur Schadensvorsorge
einzuhaltenden schutzzielorientierten Anforderungen hätten sich jedoch eine Reihe
von Abweichungen ergeben, die den Gutachter zur Empfehlung der Kategorie 2
veranlaßt hätten. Es handele sich dabei um Mängel, infolge derer nach Auffassung
des TÜV Bayern schutzzielorientierte Anforderungen nicht oder nur teilweise erfüllt
würden, aufgrund deren geringer Risikorelevanz aber eine angemessene Frist zur
Beseitigung des Mangels akzeptiert werden könne. Mängel mit risikorelevanz seien
bereits in der Revision 1990 beseitigt worden.
Diese Empfehlungen des Gutachters seien geeignet und erforderlich, um im Wege
der Nachrüstung das in der Sicherheitsanalyse aufgedeckte Defizit zwischen dem
Ist-Zustand der Anlage und den heute üblicherweise erfüllten
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Ist-Zustand der Anlage und den heute üblicherweise erfüllten
Sicherheitsanforderungen auszugleichen. Die angeordneten Maßnahmen dienten
ausschließlich der Erhöhung des Sicherheitsniveaus der Anlage und seien zur
Erreichung des Schutzzweckes des Atomgesetzes erforderlich; sie bewegten sich
damit aber nicht in dem ausschließlich der weiteren Restrisikominimierung
dienenden Rahmen.
Hinsichtlich der zeitlichen Umsetzung der Auflagen ordnete die Behörde an, dass
die Maßnahmen spätestens bis Ende der 1993 beginnenden Revision realisiert sein
müssten. Diese Frist sei als angemessen anzusehen und aufgrund der
sicherheitstechnischen Bedeutung der Anordnungen auch erforderlich. Zur
Begründung verwies die Behörde auf die Aussage des Sachverständigen, der
Betrieb der Anlage sei ohne Umsetzung der Empfehlungen nur bis zu diesem
festgesetzten Zeitpunkt hinzunehmen. Gleichzeitig wurde die sofortige Vollziehung
der Bescheide angeordnet.
Im Februar 1994 beabsichtigte der Beklagte nach Einholung eines Gutachtens der
Gutachtergemeinschaft Öko-Institut e.V. Darmstadt/Lörrach (Öko-Institut), das
sich exemplarisch mit einer Reihe von Auflagen der Bescheide vom 27. März 1991
beschäftigt hatte, die vorläufige Stillegung von KWB A und hörte die Beigeladene
dazu an. Zur Begründung berief sich die Behörde auf das Vorliegen einer Gefahr,
zumindest aber eines Gefahrenverdachts bei einem Weiterbetrieb der Anlage. Im
Einzelnen verwies sie auf die fehlende Redundanztrennung und die defizitären
Brandschutzmaßnahmen im Rangierverteiler, die zu einem Kernschmelzereignis
führen könnten. Letzteres könne auch aufgrund der ungenügenden
Erdbebenauslegung gegen das Bemessungserdbeben eintreten, da die
sekundärseitige Bespeisung der Dampferzeuger und damit eine ausreichende
Nachwärmeabfuhr nicht sichergestellt sei. Bei einem zu unterstellenden
Kühlmittelverluststörfall könne es angesichts fehlender Einrichtungen bzw. nicht
erbrachter Nachweise zu einem Brand oder einer Explosion aufgrund der
Wasserstoffbildung im Reaktorsicherheitsbehälter kommen. Des Weiteren sei der
Schutz der Anlage gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter
ungenügend (Nichteinhaltung der sog. 30-Minuten-Regel). Im übrigen sei eine
ausreichende Deckungsvorsorge nicht nachgewiesen und auch der
Gesamtzustand der Anlage (Summe aller bisher festgestellten Sicherheitsdefizite)
stehe einem Weiterbetrieb der Anlage entgegen. Die vorläufige Stillegung
rechtfertige sich auch aus dem einer materiellen Überprüfung der Wertigkeit
unterzogenen Umstand der Nichterfüllung der Auflagen aus den Bescheiden vom
27. März 1991; eine weitere Duldung sei deshalb nicht verantwortbar.
Mit Antrag vom 3. Februar 1994 wandten sich die Kläger erneut an den Beklagten
und begehrten die vorläufige Einstellung des Betriebes des KWB A mit der
Begründung, laut einer Pressemitteilung gehe die Behörde selbst davon aus, dass
Sicherheitsmängel vorlägen, die die beantragte Stillegung rechtfertigten. Eine
Bescheidung erfolgte seitens des Beklagten darauf nicht.
Dieser war aufgrund einer bundesaufsichtlichen Weisung des Bundesministeriums
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) vom 11. März 1994 an dem
Erlass einer von ihm beabsichtigten einstweiligen Stillegungsverfügung gehindert.
Der Weisung des BMU lag eine gutachterliche Stellungnahme der Gesellschaft für
Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) vom 22. Februar 1994 und vom 10. März
1994 zugrunde. Die GRS kam darin zu dem Ergebnis, dass die von ihr
vorgenommene Überprüfung unter Berücksichtigung inzwischen vorliegender
Erkenntnisse zu keiner wesentlich abweichenden Einschätzung der Risikorelevanz
der in der Sicherheitsanalyse 1991 festgestellten Mängel geführt habe. Eine
Gefahr für die Sicherheit der Anlage sei durch die vom Beklagten benannten
sicherheitstechnischen Sachverhalte nicht gegeben. Dementsprechend sei ein
angemessener Zeitraum zur Ertüchtigung der Anlage weiterhin vertretbar (S. 42
der Stellungnahme). Darauf gestützt erging die Weisung des BMU, die
beabsichtigte einstweilige Stillegungsanordnung nicht zu erlassen, auch keine
andere aufsichtliche Anordnung zum Zweck der einstweiligen Betriebseinstellung
unter Berufung auf einen oder mehrere der im Anordnungsentwurf angeführten
Gründe zu erlassen und dem Gericht mitzuteilen, dass die genannten Gründe
nicht geeignet seien, eine Gefahr oder einen Gefahrenverdacht zu begründen.
Im Mai 1994 wandten sich die Kläger erneut an das erkennende Gericht und
begehrten im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens (14 Q 1326/94) die
vorläufige Einstellung des Betriebes des KWB A.
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Mitte des Jahres 1995 beabsichtigte der Beklagte wiederum aus Gründen der
Brandgefahr und auch aufgrund der Genehmigungslage die vorläufige
Betriebseinstellung des KWB A anzuordnen.
Die beiden vom Beklagten an die Beigeladene zur Anhörung übersandten
Bescheidentwürfe nahm das BMU zum Anlass, diesen zu insgesamt zwei
bundesaufsichtlichen Gesprächen zu laden, wobei in dem Gespräch am 18. Juli
1995 ausführlich die Brandschutzproblematik unter Hinzuziehung von
Sachverständigen erörtert wurde.
Der Beklagte blieb auch nach diesen Gesprächen bei seiner Auffassung und
übersandte mit Schreiben vom 20. Juli 1995 dem BMU drei Anordnungsentwürfe
vom Juli 1995:
Ziel der Anordnung war zum einen wiederum die einstweilige Stillegung des KWB A
aus Gründen des Brandschutzes. Der Beklagte blieb bei seiner Einschätzung, es
sei eine atomrechtliche Gefahr durch einen möglichen Brand im Rangierverteiler
unter der Warte anzunehmen. Er stützte sich dazu auf von ihm eingeholte
Gutachten der Arbeitsgemeinschaft Brandsicherheit (AGB) und der Energie-
Systeme-Nord (ESN).
Eine Aufhebung der Anordnung wurde für den Fall zugesichert, dass die
Beigeladene den Nachweis führen könne, dass bei einem unterstellten Brand ein
Ausfall der Sicherheitssysteme und damit eine Nichteinhaltung der
übergeordneten Schutzziele ausgeschlossen werden könne.
Weiterhin sah der Beklagte eine einstweilige Einstellung des Betriebes und bedingt
die endgültige Stillegung aufgrund der Genehmigungslage als geboten an. Die
Behörde ging davon aus, dass Block A in sicherheitstechnisch wichtigen Bereichen
nicht dem Zustand entspreche, der durch die Errichtungsgenehmigungen
genehmigt worden sei. Die Abweichungen vom genehmigten Zustand seien zum
Teil erheblich. Des Weiteren sei die bestehende Löschanlage im Rangierverteiler
weder atomrechtlich noch baurechtlich genehmigt. Eine Aufhebung der Anordnung
werde zugesichert, wenn
a) für die ungenehmigten wesentlichen Änderungen von KWB A
Genehmigungen beantragt und erteilt worden seien,
b) die Vorkehrungen zur Verhinderung eines Brandes im Rangierverteiler (CO2
-Löschanlage) genehmigt und realisiert worden seien,
c) der Nachweis erbracht werde, dass sich das RS-System in einem von einer
Errichtungsgenehmigung zugelassenen Zustand befinde und dass auch dessen
Betrieb genehmigt worden sei.
Die endgültige Stillegung werde zum 31. Dezember 1995 für den Fall angeordnet,
dass für die bestehenden Genehmigungslücken bzw. die Nichterweisbarkeit des
genehmigten Zustandes nicht bis zum genannten Zeitpunkt Abhilfe geschaffen
werde.
Noch ein dritter Grund gebot nach Auffassung der Behörde eine einstweilige
Stillegung, nämlich der mangelnde Schutz der Anlage gegen Störmaßnahmen und
sonstige Einwirkungen Dritter. Für den Fall, dass ein gestattungsfähiges Konzept
zur vorläufigen Sicherung der Anlage vorgelegt werde und dies auch umgesetzt
worden sei, werde die Aufhebung der Anordnung zugesagt. Zugleich beabsichtigte
die Behörde den Widerruf der Betriebsgenehmigung zum 1. Januar 1996, wenn
nicht bis zum 31. Oktober 1995 ein Genehmigungsantrag gestellt werde, um den
Schutz vor Einwirkungen Dritter entsprechend den Auflagen des Bescheides vom
27. März 1991 zu gewährleisten.
Daraufhin erging am 20. Juli 1995 zunächst die verfahrensleitende
bundesaufsichtliche Weisung des BMU an den Beklagten, die beabsichtigten
Verfügungen an die Beigeladene und andere Verfügungen unter Berufung auf die
hierin genannten Gründe nicht ohne vorherige Zustimmung des BMU zu erlassen.
Mit seiner bundesaufsichtlichen Stellungnahme vom 15. Dezember 1995 lehnte
dann das BMU nach rechtlicher Würdigung der vom Beklagten vorgelegten
Verfügungsentwürfe, eine Zustimmung zu deren Erlass nach § 17 Abs. 1 S. 3 und
Abs. 3 sowie nach § 19 Abs. 3 Atomgesetz wegen deren Rechtswidrigkeit ab.
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Abs. 3 sowie nach § 19 Abs. 3 Atomgesetz wegen deren Rechtswidrigkeit ab.
Weder sei im Hinblick auf den überprüften tatsächlichen Zustand des KWB A eine
Gefahrenlage anzunehmen, noch widerspreche der Betrieb des Kernkraftwerks
oder dessen Genehmigungssituation dem Atomgesetz oder dem
Genehmigungsbescheid.
Das BMU behielt sich eine (weitere) bundesaufsichtliche Weisung vor.
Mit Schreiben vom 22. Januar 1996 gab der Beklagte eine ausführliche
Gegenäußerung zu dieser bundesaufsichtlichen Stellungnahme ab. Insbesondere
brachte die Behörde darin Einwände gegen das der Stellungnahme des BMU
zugrunde liegende Gutachten der GRS vom November 1995 vor. Dieses basiere
auf einer fehlerhaften Sicherheitsphilosophie, es seien von der GRS falsche
Tatsachen zugrundegelegt worden, konkrete gutachterliche
Untersuchungsergebnisse seien pauschal ignoriert worden, und es enthalte auch
rechtlich fehlerhafte Ansätze. Diesem Schreiben waren weitere Gutachten zur
Thematik "Brandschutz im Rangierverteiler" beigefügt sowie ein Rechtsgutachten
zur Genehmigungssituation des KWB A von Prof. Roßnagel.
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 26. Februar 1996 haben die Kläger bei
dem Beklagten unter Bezugnahme auf den Entwurf von dessen
Stillegungsverfügung vom 20. Juli 1995 wegen Genehmigungsmängeln auch die
endgültige Stillegung des KWB A beantragt.
Am 14. August 1996 reagierte das BMU mit dem Erlass einer bundesaufsichtlichen
Weisung. Darin wurde der Beklagte angewiesen, die vorgelegten Bescheidentwürfe
(die die Betriebseinstellung wegen Brandschutzes, die Betriebseinstellung und den
Genehmigungswiderruf wegen mangelnder Sicherung gegen Einwirkungen Dritter,
die Betriebseinstellung wegen formeller Rechtswidrigkeit und eine
Nachweisforderung in Bezug auf den Brandschutz zum Gegenstand hatten) oder
andere aufsichtliche Verfügungen, die auf die in den vorgenannten Bescheiden
angeführten Gründe gestützt werden, nicht zu erlassen. Des Weiteren habe der
Beklagte in Verwaltungsverfahren und Verwaltungsstreitverfahren seinem Handeln
folgendes zugrunde zu legen:
a) Im Hinblick auf die gegenwärtige Brandschutzsituation im Rangierverteiler
des KWB A sei die Einhaltung der übergeordneten Schutzziele im Sinne der
Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke durch die getroffenen
Schadensvorsorgemaßnahmen auch ohne Umsetzung der vorgesehenen
Nachrüstmaßnahmen sichergestellt, und es liege kein Zustand vor, aus dem sich
Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben könnten.
b) Es liege weder im Hinblick auf die noch nicht vollständige Erfüllung der
Auflagen aus dem Bescheid vom 27. März 1991 noch im Hinblick auf die Sicherung
des KWB A gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen einer
zugangsberechtigten Einzelperson ein Zustand vor, aus dem sich eine Gefahr
ergeben könnte.
c) Der Betrieb des KWB A widerspreche weder im Hinblick auf den Brandschutz
in den Rangierverteilerräumen noch im Hinblick auf das
Dampferzeugerabschlämmsystem oder auf Änderungen in der Ausführung der
Anlage atomrechtlichen Vorschriften oder den Bestimmungen des Bescheides
über die Genehmigung.
d) Das Vorbringen des Beklagten zum Fehlen von Genehmigungsunterlagen
auf dem Betriebsgelände ergebe ebenfalls keinen Zustand, der atomrechtlichen
Vorschriften oder den Bestimmungen des Genehmigungsbescheides
widerspreche.
Weiterhin wurde der Beklagte angewiesen, in sämtlichen
Verwaltungsstreitverfahren zum KWB A, in denen die genannten Punkte schriftlich
oder mündlich erörtert würden, entsprechend vorzutragen.
Grundlage der Weisung waren fachliche Stellungnahmen der GRS und des iBMB
der TU Braunschweig (Prof. Hosser). Darin wird Stellung genommen zu den
sicherheitstechnischen Sachverhalten im Zusammenhang mit dem Brandschutz
im Rangierverteiler, die in der Gegenäußerung des Beklagten vom 22. Januar 1996
angesprochen worden waren. Des Weiteren enthalten sie eine Bewertung
möglicher Verläufe von Kabelbränden in den Rangierverteilerräumen des KWB A.
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Im September 1996 berichtete der Beklagte dem BMU zum Stand der
Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren aufgrund der nachträglichen Auflagen in
den Bescheiden vom 27. März 1991 und wies zugleich darauf hin, dass nach einem
eingeholten Gutachten des Öko-Instituts vom 21. Juli 1996 und nach einem am 8.
Mai 1996 durchgeführten Fachgespräch davon auszugehen sei, dass die
Erdbebengefährdung am Standort Biblis bisher nicht entsprechend dem Stand von
Wissenschaft und Technik ermittelt worden sei. Wegen des fehlenden Nachweises
der Erdbebensicherheit sei die Erteilung davon betroffener Genehmigungen auf
unabsehbare Zeit ausgeschlossen.
In einem weiteren Bericht an das BMU zur sicherheitstechnischen und rechtlichen
Bewertung der Gesamtsituation in Bezug auf das KWB A vom 31. Oktober 1996
legte der Beklagte dar, dass seiner Auffassung nach der Widerruf der
Betriebsgenehmigung für das KWB A notwendig sei, weil der sicherheitstechnisch
mehr als bedenkliche Gesamtzustand der Anlage mittlerweile bereits für eine
längere Zeit hingenommen worden sei, als es auch nach Aussagen des BMU
verantwortbar gewesen wäre, und die Anlage in angemessener Zeit nicht
nachrüstbar sei. Die Untersuchungen im Rahmen der Sicherheitsanalyse hätten
erhebliche Sicherheitsdefizite offenbart, die zu einem erheblichen
Nachforderungsbedarf geführt hätten (das Schreiben enthält eine Auflistung der
Sicherheitsmängel, die vom Beklagten als gravierend bewertet werden und die
bislang noch nicht behoben worden sind ). Eine Nachrüstung scheitere
u.a. daran, dass das Notstandssystem sich nicht wie vorgesehen verwirklichen
lasse, weil es die Erdbebenauslegung des Blockes B aufgrund von
Wechselwirkungen zwischen dem beantragten Gebäude und dem Block B bei
Erdbeben gefährde, und weiterhin daran, dass die Erdbebennachweise, die die
Beigeladene zum Nachweis ausreichender Schadensvorsorge beim Großteil der
Änderungsanträge vorgelegt habe, unbrauchbar seien, da sie auf einer
unzureichenden Datenbasis beruhten.
Nach einem Gutachten des Öko-Instituts vom 21. Juli 1996 müsse mittlerweile mit
der Möglichkeit höherer als der bisher zugrundegelegten Erdbebenlasten
gerechnet werden, da die bisherigen Sachverständigenaussagen zur
Erdbebengefährdung des KWB, einschließlich der im Rahmen der
Sicherheitsanalyse erstellten Stellungnahmen, nicht dem Stand von Wissenschaft
und Technik entsprächen. Die früher zugrundegelegten seismischen
Bemessungsgrößen könnten damit nicht zur Ermittlung der erforderlichen
Schadensvorsorge herangezogen werden (S. 22 und insbes. S 25); die Ermittlung
neuer seismischer Kenngrößen erfordere aber einen erheblichen zeitlichen
Aufwand. Demzufolge könne die Beigeladene, die sich in den Verfahren zur
Beseitigung der Sicherheitsdefizite auf die veralteten Gutachten stütze, eine
ausreichende Schadensvorsorge zur Zeit nicht nachweisen.
Eine hinreichende Nachrüstung könne deshalb selbst unter optimistischen
Annahmen nicht vor dem Jahr 2005 erfolgen; das Notstandssystem könne unter
realistischen Annahmen erst um das Jahr 2010 verwirklicht sein. Bei einer
theoretischen Gesamtnutzungsdauer der Anlage von ca. 30 - 35 Jahren erweise
sich eine weitere Nachrüstung daher als obsolet.
Vom Beklagten wurden dem Gericht im Februar 1997 noch zwei weitere vom BMU
in Auftrag gegebene Stellungnahmen der GRS vom 24. Februar 1997 vorgelegt,
denen sich das BMU angeschlossen hat.
In ihrer letzten Stellungnahme zu den genannten sicherheitstechnischen
Darstellungen des Beklagten kam die GRS zu der Einschätzung, dass die vom
Beklagten als gravierend bewerteten Sicherheitsdefizite mit Ausnahme von zwei
speziellen Sachverhalten nach wie vor von geringer Risikorelevanz seien. In keinem
Fall und auch nicht in den beiden speziellen Sachverhalten sei aber eine
Gefahrensituation und ein unmittelbarer Handlungsbedarf beim derzeitigen
Zustand des KWB A gegeben. Durch klar eingrenzbare technische Maßnahmen,
nämlich den Einbau bestimmter Armaturen im VE-System im
Hilfsanlagengebäude sowie die Ertüchtigung von Verankerungen, Abstützungen
und Halterungen bestimmter sicherheitstechnisch wichtiger Komponenten
hinsichtlich der Beanspruchung bei Erdbeben, könne das Sicherheitsniveau der
Anlage im Bereich der Risikominderung deutlich angehoben werden.
Hinsichtlich der seismischen Lastannahmen des Bemessungserdbebens für den
Standort Biblis sei nach Auswertung von Expertenmeinungen nicht in Frage
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Standort Biblis sei nach Auswertung von Expertenmeinungen nicht in Frage
gestellt, dass die heutigen Lastannahmen (die in der SIAN neu festgelegt wurden)
in ausreichender Weise die beim Erdbeben möglichen Beanspruchungen
repräsentierten.
In Bezug auf den Bau des geplanten neuen Notstandssystems ergäben sich nach
neueren Untersuchungen zwar - entgegen der Annahme des Beklagten - keine
nachteiligen Auswirkungen durch Bauwerkswechselwirkungen bei Erdbeben für den
Block B. Es verbleibe für dieses Notstandssystem aber eine längere
Realisierungszeit. Eine Bewertung des derzeitigen Anlagenzustandes mit den
vorhandenen Notstandseinrichtungen zeige, dass die vom Beklagten angeführten
Schwachstellen dieser Notstandseinrichtungen keine wesentliche
sicherheitstechnische Bedeutung hätten, was auch darauf zurückzuführen sei,
dass seit der Planung des neuen Notstandssystems im Jahr 1989 schon
weitgehende Verbesserungen zur Gewährleistung von Sicherheitsfunktionen im
Notstandsfall durchgeführt worden seien. Im Vergleich zum beantragten neuen
Notstandssystem verbleibende Defizite könnten durch eine Ertüchtigung der
vorhandenen Einrichtungen in einer wesentlich kürzeren Zeit realisiert werden als
mit dem beantragten System. Da der dadurch erreichbare Sicherheitsgewinn
höher einzuschätzen sei, empfehle die GRS, die vorhandenen
Notstandseinrichtungen und die Leittechnik baldmöglichst zu verbessern.
Am 3. März 1997 fand ein weiteres bundesaufsichtliches Gespräch statt, in dem
die Problematik der Entsorgungsvorsorge, die von dem Beklagten beabsichtigte
Genehmigungsaufhebung und Fragen zu den
Veränderungsgenehmigungsverfahren erörtert wurden.
Mit Schreiben vom 4. März 1997 legte der Beklagte dem BMU dann den Entwurf
eines Bescheides vor, mit dem er folgendes zu verfügen beabsichtigte:
1. den Widerruf aller Teilgenehmigungen einschließlich aller darauf bezogenen
Veränderungsgenehmigungen betreffend Block A des KWB,
2. die Rücknahme der Genehmigung vom 2. Juni 1975 insoweit, als sie zum
Leistungsbetrieb des Kraftwerks berechtigt,
3. die Anordnung, dass der Leistungsbetrieb von Block A einstweilen - und
nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheides endgültig - einzustellen ist,
4. die Ablehnung aller von der Erdbebenproblematik betroffenen
Genehmigungsanträge der Beigeladenen zur Veränderung des Kraftwerks oder
seines Betriebs,
5. die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides.
Zur Begründung stellte die Behörde auf folgendes ab:
Eine erhebliche Gefährdung im Sinne des § 17 Abs. 5 Atomgesetz sei dann
anzunehmen, wenn ein erheblicher Schaden an Leib, Leben oder Gesundheit der
Beschäftigten oder Dritter oder die Zerstörung von für die Allgemeinheit
bedeutsamen Werten drohe, dessen Eintritt nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Somit stelle das nach dem
Stand von Wissenschaft und Technik praktisch nicht ausgeschlossene Risiko einer
Kernschmelze oder einer Überschreitung der Störfallplanungswerte eine erhebliche
Gefährdung dar. Von einer Überschreitung der Störfallplanungswerte sei immer
dann auszugehen, wenn aufgrund nachgewiesener Sicherheitsdefizite oder
festgestellter, nicht unerheblicher Nachweislücken bei der erforderlichen
Schadensvorsorge die Besorgnis bestehe, dass ein Auslegungsstörfall nicht
beherrscht werde (S. 43).
Vorliegend sei aufgrund zahlreicher Sicherheitsdefizite nicht gewährleistet, dass
das KWB A alle übergeordneten Schutzziele erfülle. Der anlagentechnische
Zustand verstoße gegen grundlegende Auslegungsanforderungen, die im
kerntechnischen Regelwerk als Stand der Technik, zum Teil auch als Stand von
Wissenschaft und Technik, konkretisiert seien. Es sei davon auszugehen, dass
Störfälle, gegen die die Anlage ausgelegt sein müsse, nicht zuverlässig beherrscht
würden. Bei Störfalleintritt könne nicht ausgeschlossen werden, dass die
Störplanungswerte zum Teil weit überschritten würden. Die Sicherheitsdefizite
bestünden zu einem erheblichen Teil darin, dass die erforderliche Sicherheit
hinsichtlich Funktion und Qualität der Komponenten insbesondere auch unter
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hinsichtlich Funktion und Qualität der Komponenten insbesondere auch unter
Störfallbedingungen nicht nachgewiesen sei und die sich daraus ergebenden
Schadensszenarien aufgrund der Vielzahl der Nachweisdefizite unüberschaubar
seien.
Mittlerweile sei die Beseitigung der Sicherheitsmängel durch Nachrüstung auf
unabsehbare Zeit rechtlich und tatsächlich unmöglich geworden (S. 31 ff.). Das
liege (u.a.) an der Verfahrensgestaltung durch die Beigeladene sowie daran, dass
diese die notwendigen Nachweise zur Erdbebensicherheit nicht habe erbringen
können.
Daraufhin erging am 7. März 1997 die bundesaufsichtliche Weisung an den
Beklagten, den vorgelegten Bescheid oder andere Verfügungen, die auf die in dem
Bescheidentwurf angeführten Gründe gestützt würden, nicht zu erlassen und in
Verwaltungs- und Verwaltungsstreitverfahren bestimmte, vom BMU vorgegebene,
rechtliche Bewertungen zugrunde zu legen.
Die rechtlichen Bewertungsvorgaben des BMU bezogen sich u.a. auch auf § 17
Abs. 5 Atomgesetz.
Eine erhebliche Gefährdung im Sinne dieser Vorschrift liege nicht bereits dann vor,
wenn insbesondere wegen des Fehlens von Nachweisen, wie sie in einem
Genehmigungsverfahren für eine Neuanlage gefordert würden, eine Besorgnis der
Behörde bestehe, dass Ereignisabläufe zur Überschreitung von
Störfallplanungswerten führen könnten. Vielmehr sei erforderlich, dass die Behörde
aufgrund ihrer Ermittlungen positiv davon überzeugt sei, dass die Sachlage bei
objektiv zu erwartendem Geschehensablauf unter Berücksichtigung des möglichen
Schadensausmaßes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für
die Schutzgüter des Atomgesetzes führe (Nr. 1 a der Weisung).
Für die behördliche Bewertung einer erheblichen Gefährdung bestehe keine
Beschränkung auf die im kerntechnischen Regelwerk ausgeführten
Nachweismethoden. Nach dem Stand von Wissenschaft und Technik seien auch
andere Methoden, beispielsweise ingenieurtechnische Nachweise unter
Berücksichtigung der praktischen Erfahrung, zulässig (Nr. 1 h).
Im Hinblick auf das KWB A liege kein Zustand vor, aus dem sich eine erhebliche
Gefährdung ergebe (Nr. 1 i).
Eine Aufhebung der Genehmigungen für das KWB A sei auch bei Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen jedenfalls unverhältnismäßig (Nr. 1 j).
Zur Begründung ihrer mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Ansprüche
auf Widerruf/Rücknahme der atomrechtlichen Genehmigung bzw. auf endgültige
oder vorläufige Stillegung des KWB A stellen die Kläger in weiten Teilen auf die vom
Beklagten in seinen Bescheidentwürfen bzw. in seinen Berichten an das BMU
enthaltenen Erwägungen ab.
Zentraler Punkt ihrer Begründung ist zum einen der mangelhafte Brandschutz im
Rangierverteiler. Nach Auffassung der Kläger werden die Anforderungen des
kerntechnischen Regelwerkes in Bezug auf den Brandschutz im Bereich des
Rangierverteilers durchweg nicht erfüllt. Bautechnische Brandschutzvorkehrungen
zur gezielten Redundanztrennung des Reaktorschutzsystems - etwa durch
Brandabschnitte - seien nicht realisiert. Teilweise lägen auf einzelnen Kabeltrassen
Kabel aller Redundanzen und zwar nur jeweils 20 cm voneinander entfernt. Der
grundsätzlich erforderliche passive Brandschutz bestehe mithin nicht. Es könne zu
einem Stromausfall in der Warte kommen, mit der Folge, dass der Reaktor nicht
mehr gesteuert werden könne.
Der Nachweis, dass der vorhandene aktive Brandschutz (Feuerlöschsystem,
Feuerwehr) dieses Defizit kompensiere, sei bislang nicht geführt; nach dem
Regelwerk seien aktive Brandschutzmaßnahmen zusätzlich zu gewährleisten. Die
Folgen eines unmittelbaren Ausfalls eines aktiven Brandbekämpfungssystems
seien nicht geprüft. Die Folgen eines Brandes für das Reaktorschutzsystem -
insbesondere redundanzübergreifende Ausfälle - seien deshalb (auch unter
Berücksichtigung des Vorhandenseins der Systeme RX und RZ) ungeklärt. Die
vorhandene - ungenehmigte - CO2 -Löschanlage könne aufgrund einer Vielzahl
von Defiziten die ihr zugedachte Sicherheitsfunktion nicht übernehmen. Die von
der GRS angenommene Zuverlässigkeit der beiden Systeme RX und RZ beruhe
auf Mutmaßungen; das RZ-System sei nicht genehmigt und damit auch nicht
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auf Mutmaßungen; das RZ-System sei nicht genehmigt und damit auch nicht
überprüft worden; gleiches gelte für das RX-System hinsichtlich seiner Tauglichkeit
für Block A.
Die Brandgefahr sei erheblich. Nach den Feststellungen in dem AGB-Gutachten
lägen im Rangierverteiler hohe Brandlasten vor. Brandereignisse hätten auch eine
hohe Eintrittswahrscheinlichkeit.
Ein weiterer Punkt der Klagebegründung, der bereits in dem abgeschlossenen
Eilverfahren der Kläger aus dem Jahr 1989 (8 Q 2809/88) eine Rolle spielte, ist die
Erdbebensicherheit der Anlage. Bei der Auslegung des KWB A sei - offenbar
aufgrund mangelhafter seismologischer Gutachten - übersehen worden, dass am
Standort Biblis wesentlich höhere Bodenbeschleunigungen auftreten könnten als
solche von 1,5 bzw. 2 m/s2, da Biblis in einer Bruchzone der Erdkruste liege (Rhein-
Riftzone). Ausgehend von dem Baseler Erdbeben des Jahres 1356 als sog.
Bemessungserdbeben, das eine Intensität von 9 oder 10 aufgewiesen habe,
müsste nach KTA-Regel 2201.1 ein Auslegungswert in Bezug auf eine
Bodenbeschleunigung von mindestens 3 bis 7 m/s2 erreicht werden; dies treffe für
das KWB A nicht zu. Da die damit verbundene erhebliche Gefährdung nicht durch
nachträgliche Auflagen beseitigt werden könne, sei das der Behörde eingeräumte
Ermessen auf die Rücknahme der Genehmigung reduziert.
Die in der Sicherheitsanalyse 1991 vom TÜV in Bezug auf die Erdbebenauslegung
festgestellten Mängel bestünden größtenteils heute noch, denn die geforderten
Nachweise seien nur teilweise geführt. Die Sicherheitsdefizite hinsichtlich der
Bemessungserdbebenauslegung seien von der Behörde durch den
Auflagenbescheid vom 27. März 1991 auch nur für drei Jahre hingenommen
worden.
Das BMU hingegen verweise auf eine nachträgliche Überprüfung der
sicherheitstechnisch wichtigen Gebäude mittels dynamischer Rechnungen durch
den TÜV, die zu keinen Einschränkungen hinsichtlich der Standsicherheit der
Bauwerke geführt hätten und wonach unter Berücksichtigung der geringen
Eintrittswahrscheinlichkeit für das Bemessungserdbeben, der gegebenen
Bauausführung und der systemtechnischen Redundanzen die
sicherheitstechnische Bedeutung der Nachweisdefizite bzw. der noch nicht
realisierten Ertüchtigungen für gering gehalten werde. Diese Bewertung sei vom
Öko-Institut bemängelt worden. Auf die von der GRS angestellten probabilistischen
Abschätzungen könne es schon aus Rechtsgründen nicht ankommen, da es sich
bei einem Erdbeben um einen Auslegungsstörfall handele. Es fehle deshalb an
dem erforderlichen nachvollziehbaren Nachweis darüber, dass bei den
vorhandenen baulichen und technischen Gegebenheiten die Einhaltung der
übergeordneten Schutzziele gewährleistet sei.
Auch aufgrund neuerer Erkenntnisse des Beklagten sei davon auszugehen, dass
das KWB A bereits dem in der Sicherheitsanalyse neu festgelegten
Bemessungserdbeben nicht standhalte. Dies sei jedenfalls hinsichtlich des
Maschinenhauses und verschiedener für eine sichere Abschaltung und
ausreichende Nachkühlung des Reaktors notwendiger Systeme auch in Ansehung
von Reserven und Nachrüstungsmaßnahmen auf Dauer nicht der Fall.
Des Weiteren sei auch der Nachweis, dass bei einem Kühlmittelverluststörfall keine
Luft-Wasserstoff-Gemische mit lokal höherer Konzentration als 4 % aufträten,
bisher nicht erbracht. Dieser sicherheitswidrige Zustand könne beseitigt werden,
wenn eine bereits am 19. März 1987 erteilte Genehmigung für die Durchmischung
des Sicherheitsbehälters mit Helium umgesetzt werde; dies oder auch das
Aufzeigen anderer aktiver Maßnahmen zur Wasserstoffdurchmischung durch die
Beigeladene sei bislang nicht erfolgt. Zur Beseitigung der dadurch entstehenden
Gefahrensituation sei die einstweilige Betriebseinstellung nötig. Der Hinweis des
BMU auf die sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit des Ereignisses und den erst
lange Zeit danach entstehenden Handlungsbedarf sei bereits aus Rechtsgründen
unzulässig, da das Regelwerk die Beherrschung des Kühlmittelverluststörfalls
infolge eines großen Leckes eindeutig vorschreibe.
Einen Anspruch auf Stillegung des Blocks A leiten die Kläger aus
Genehmigungsmängeln her. Mit dem realisierten Anlagenzustand sei von dem in
den Teilerrichtungsgenehmigungen genehmigten Zustand in sicherheitstechnisch
erheblicher Weise abgewichen worden. Auch für die nachträglich eingebaute CO2 -
Löschanlage, die wegen ihrer erheblichen sicherheitstechnischen Bedeutung
genehmigungspflichtig gewesen sei, sowie für die Hauptkühlmittelpumpe liege eine
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genehmigungspflichtig gewesen sei, sowie für die Hauptkühlmittelpumpe liege eine
Genehmigung nicht vor. Gleiches gelte für das RZ-System (zusätzliches
Notspeisesystem) und - entgegen der vom BMU vertretenen Auffassung - auch für
das RX-System (Notstandssystem) und das Dampferzeugerabschlämmsystem
(RS-System). Des Weiteren fehlten zahlreiche Genehmigungsunterlagen auf dem
Betriebsgelände. Damit bestehe ein Zustand, der den Vorschriften des
Atomgesetzes widerspreche, und auch ein Gefahrenverdacht.
Der Beklagte habe deshalb (zumindest) die Anordnung der vorläufigen Stillegung
der Anlage als geboten erachtet, um den fortgesetzten ungenehmigten Betrieb
des KWB A zu unterbinden; dieser Auffassung schlössen sie sich an.
Im übrigen weisen die Kläger zur Begründung ihrer Klage auf Punkte hin, die
teilweise gleichfalls schon Gegenstand des von ihnen anhängig gemachten,
abgeschlossenen Eilverfahrens 8 Q 2809/88 waren: Bereits die in der Deutschen
Risikostudie Kernkraftwerke Phase B ermittelte Eintrittswahrscheinlichkeit von 0,12
% für einen schweren Unfall in der Lebensdauer des KWB begründe eine erhebliche
Gefährdung.
Weiterhin sei die Reaktorkuppel von Block A nicht gegen Flugzeugabsturz
ausgelegt. Die im abgeschlossenen Biblis-Eilverfahren vom Gericht zum
Überflugverbot eingeholten Auskünfte seien überholt. Überflugbeschränkungen
bzw. Gebiete mit Flugbeschränkungen seien nach Auffassung des Bund/Länder-
Fachausschusses Luftverkehr (Sitzung vom November 1989) untauglich. Die
Eintrittswahrscheinlichkeit eines solchen Absturzes (10-6 pro Jahr und Anlage, Öko-
Institut, Risikountersuchungen..., Bd. II, 1983, S. 388) sei nicht "praktisch
ausgeschlossen". Die Zuweisung dieses Ereignisses in den Restrisikobereich durch
die Störfall-Leitlinien vom 18. Oktober 1983 stelle eine verfassungswidrige Dezision
dar. Da das KWB A in einer besonders gefährdeten Zone mit dichtem Flugverkehr
liege und nicht gegen einen Flugzeugabsturz ausgelegt sei, liege eine erhebliche
Gefährdung nach § 17 Abs. 5 Atomgesetz vor.
Es seien auch keine ausreichenden Wiederaufarbeitungskapazitäten in Bezug auf
abgebrannte Brennelemente vorhanden, womit deren Zwischenlagerung auf dem
Kraftwerksgelände notwendig werde, aus der eigenständige Gefahren resultierten;
diese Lage sei bislang vom Beklagten nicht ausreichend ermittelt und bewertet
worden. Es könne nicht länger verantwortet werden, dass in Kernkraftwerken
ständig weitere Brennelemente anfielen, die letztlich nicht entsorgt werden
könnten.
Das KWB A sei - neben dem Block B des KWB - das einzige Kernkraftwerk der
Bundesrepublik, das die RSK-Leitlinien nicht erfülle, nach denen ein unabhängiges
Notstandssystem vorhanden sein müsse. Letzteres umfasse ein räumlich
separiertes, gebunkertes Notstandsgebäude mit diversen Anlagen.
Nach dem Störfall im Dezember 1987 sei zwischen der Beigeladenen und dem
Beklagten die Errichtung eines solchen Notstandssystems ausgehandelt worden,
doch dessen Errichtung werde angesichts dessen Umfangs und der Kosten in
angemessener Zeit nicht verwirklicht werden können. Das vorhandene
Notstandssystem sei aber unzureichend und zudem als Notstandssystem für
Block A auch nicht genehmigt, so dass auch deshalb ein Widerruf der
atomrechtlichen Genehmigung nach § 17 Abs. 5 Atomgesetz auszusprechen sei.
Die Kläger beantragen;
1. den Beklagten zu verpflichten, die endgültige oder vorläufige Stillegung des
Kernkraftwerks B. Block A anzuordnen,
2. unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 18. September 1989 den
Beklagten zu verpflichten, die der Beigeladenen erteilte atomrechtliche
Genehmigung für das Kernkraftwerk B. Block A aufzuheben,
hilfsweise,
3. den Beklagten zu verpflichten, den Stillegungs- und den Aufhebungsantrag
der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu
bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
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1. den auf die endgültige Stillegung des Blocks A des Kernkraftwerks B.
bezogenen Antrag abzulehnen; hinsichtlich der vorläufigen Stillegung stellt er
keinen Antrag;
2. den Aufhebungsantrag abzulehnen.
3. Hinsichtlich des Hilfsantrags zu 3. stellt er keinen Antrag.
Die Beigeladene beantragt,
die Klageanträge insgesamt abzuweisen und die Kosten des Verfahrens
hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage den Klägern aufzuerlegen.
Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags trägt die Beigeladene im
Wesentlichen vor, die Kläger hätten in Bezug auf die von ihnen behaupteten
Sicherheitsdefizite das Vorliegen einer nicht behebbaren erheblichen Gefährdung
im Sinne der ihnen allenfalls einen Anspruch vermittelnden Vorschrift des § 17
Abs. 5 Atomgesetz nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
Aber auch bei unterstellter Zulässigkeit der Klage lägen die tatbestandlichen
Voraussetzungen für den geltend gemachten Aufhebungsanspruch bzw. für das
Stillegungsbegehren nicht vor.
Hinsichtlich der einzelnen, von den Klägern vorgebrachten technischen
Sachverhalte, die auch den Bescheidentwürfen des Beklagten und den Weisungen
des BMU zugrunde liegen, gelangt die Beigeladene im Wesentlichen zu den
gleichen Wertungen, wie sie sich in den bundesaufsichtlichen Weisungen bzw.
Stellungnahmen finden. Zur Stützung ihres Vortrags bezieht sie sich weiterhin
auch auf die vom BMU in Bezug genommenen gutachtlichen Stellungnahmen der
GRS, des iBMB der TU Braunschweig (Prof. Hosser) und des TÜV Bayern in seiner
Sicherheitsanalyse von 1991.
Wegen der weiteren Einzelheiten des diesem Verfahren zugrundeliegenden
Sachverhalts und des Vorbringens der Verfahrensbeteiligten wird zunächst auf die
zum vorliegenden Verfahren eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst
Anlagen sowie auf die vom Beklagten vorgelegten Behördenakten (9 Ordner:
Genehmigungsbescheide und Gutachten für Block A und B; 2 Ordner:
Sicherheitsbericht Block B Februar 1971) Bezug genommen.
Ferner wird auf die Gerichtsakten und die Beiakten (2 Ordner: Sicherheitsbericht
Block A vom Mai 1969) des gemeinsam verhandelten Klageverfahrens des
Landkreises B. (14 A 111/91) und des parallelen Eilverfahrens der Kläger (14 Q
1326/94) verwiesen. In den Beiakten (7 Ordner) des letztgenannten Verfahrens
sind alle Anlagen enthalten, die von den Verfahrensbeteiligten zu diesem
Eilverfahren sowie auch gemeinsam für alle verhandelten Verfahren eingereicht
worden sind.
Des Weiteren wird auf die ebenfalls zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemachten Akten des Hess. VGH 14 A 1019/91 samt Beiakten (3 Ordner: Anlagen
zu Schriftsätzen) sowie 14 R 2394/93 (3 Ordner: Anlagen zu Schriftsätzen) Bezug
genommen; diese von der Beigeladenen anhängig gemachten Verfahren richten
sich gegen die beiden Auflagenbescheide des Beklagten vom 27. März 1991.
Entscheidungsgründe
Nachdem die Kläger den auf Block B des KWB bezogenen Teil ihrer Klage in der
mündlichen Verhandlung am 19. März 1997 zurückgenommen haben, ist das
Verfahren insoweit nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Erfolglos bleiben die Kläger mit ihrer Klage, mit der sie begehren, dass der
Beklagte zur Anordnung der endgültigen Stillegung des KWB A und - hilfsweise -
zur Bescheidung ihres entsprechenden bei der Behörde gestellten Antrags
verpflichtet wird (1).
Auch mit ihrem Verpflichtungsantrag auf Aufhebung der der Beigeladenen für
diese Anlage erteilten atomrechtlichen Genehmigung dringen die Kläger nicht
durch; der Beklagte ist aber zur (erneuten) Bescheidung des Antrags des Klägers
auf Aufhebung der Genehmigung verpflichtet (2).
Ohne Erfolg bleibt weiterhin das auf vorläufige Stillegung des KWB A gerichtete
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Ohne Erfolg bleibt weiterhin das auf vorläufige Stillegung des KWB A gerichtete
Verpflichtungsbegehren, während die Kläger aber auch hier mit ihrem hilfsweise
gestellten entsprechenden Bescheidungsantrag durchdringen (3).
(1) Zunächst einmal bleibt dem von den Klägern erst im Laufe des
Klageverfahrens geltend gemachten Begehren auf Verpflichtung des Beklagten zur
Anordnung der endgültigen Einstellung des Betriebes von Block A des KWB der
Erfolg versagt.
Dieser mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 31. Oktober 1996 (Bl. 318
GA) erstmals gestellte Verpflichtungsantrag auf endgültige Einstellung des
Anlagenbetriebs stellt sich als Klageerweiterung dar; bislang war neben der
Aufhebung der Genehmigung lediglich die vorläufige Stillegung der Anlage
beantragt worden.
Diese Erweiterung der Klage ist schon aus Gründen der Sachdienlichkeit zulässig
(§§ 44, 91 Abs. 1 VwGO). Mit der Einbeziehung dieses Begehrens in die Klage kann
ein dem bereits eingeleiteten Verwaltungsverfahren möglicherweise nachfolgendes
weiteres Verwaltungsstreitverfahren vermieden werden. Mit ihrem Antrag vom 26.
Februar 1996 (Bl. 320 GA) haben die Kläger bei dem Beklagten unter Bezugnahme
auf den Entwurf seiner Stillegungsverfügung vom 20. Juli 1995 wegen
Genehmigungsmängeln (angeblich erhebliche Abweichungen des konkreten
Zustandes von Block A von dem durch die Errichtungsgenehmigungen
genehmigten Anlagenzustand in sicherheitstechnisch wichtigen Bereichen und
ohne erforderliche Genehmigung errichtete Systeme der Anlage) auch die
endgültige Stillegung des KWB A beantragt.
Wegen des engen sachlichen Zusammenhangs mit den übrigen mit der
vorliegenden Klage verfolgten Begehren ist, da auch ausreichend Gelegenheit zu
einer Stellungnahme für die übrigen Verfahrensbeteiligten bestand, eine
Einbeziehung dieses Begehrens in das vorliegende Klageverfahren sachdienlich.
Dieses Klagebegehren stellt sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als
nach § 75 VwGO zulässige Untätigkeitsklage dar, in Bezug auf die den Klägern
auch eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO zuzusprechen ist.
Nach ihrem Sachvortrag erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass
für die hier in Rede stehende Anlage im Sinne von § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 des
Atomgesetzes vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch das 7.
Änderungsgesetz vom 19. Juli 1994 (BGBl. I S. 1618, 1622) - AtG -, eine
erforderliche Genehmigung nicht erteilt ist und im unterbliebenen
Genehmigungsverfahren über eine Frage mit Auswirkungen auf ihre im
Genehmigungsverfahren zu berücksichtigenden materiellrechtlichen Positionen
(Leben, Gesundheit und Eigentum) zu entscheiden wäre.
Nach der genannten Vorschrift kann eine endgültige Stillegung der Anlage
angeordnet werden, wenn (u.a.) "eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt" ist.
Eine Berufung auf die genannte Vorschrift ist nach dem Sachvortrag der Kläger
auch nicht von vornherein ausgeschlossen, denn ihr kommt nach - vom
erkennenden Senat geteilter - Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil
vom 7.6.1991, - BVerwG 7 C 43.90 -, BVerwGE 88, 286 und NVwZ 1993, S. 177)
insoweit drittschützender Charakter zu, als diejenigen einen ungenehmigten
Betrieb nicht dulden müssen, deren Schutz gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG durch das
- unterbliebene - Genehmigungsverfahren zu gewährleisten ist. Der Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein aufsichtliches Einschreiten wegen
eines unterlassenen oder unvollständigen Genehmigungsverfahrens ist -
gleichsam spiegelbildlich zum Recht auf Verfahrensbeteiligung - Ausfluß der
materiell-rechtlichen Rechtsposition (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG), um derer willen das
Gesetz dem Dritten die Möglichkeit gibt, sich am Genehmigungsverfahren zu
beteiligen. Der Schutz, den § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG beim Fehlen einer
Genehmigung vermittelt, reicht daher ebenso weit wie der Schutz, den § 7 Abs. 2
Nr. 3 AtG selbst durch das Erfordernis eines Genehmigungsverfahrens vermittelt
(BVerwG, Urt. vom 7.6.1991, a.a.O.).
Da die Kläger in einem Umkreis von maximal 70 Kilometern um das hier in Rede
stehende Kernkraftwerk wohnhaft sind, wären sie nach Auffassung des Senats
wegen der örtlichen Nähe auch im Genehmigungsverfahren als Nachbarn der
Anlage zu betrachten, die sich darauf berufen könnten, es sei nicht die nach dem
Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch
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Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch
die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen worden; damit sind sie auch
für das Stillegungsbegehren klagebefugt.
Die Klage ist aber nicht begründet (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die endgültige
Stillegung des KWB A anordnet oder ihren bei der Behörde gestellten
entsprechenden Antrag bescheidet, weil bereits die tatbestandlichen
Voraussetzungen für die von ihnen angestrebte aufsichtliche Maßnahme nicht
vorliegen.
Als Rechtsgrundlage für dieses Begehren kommt allein § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG
in Betracht. Danach kann die Behörde als aufsichtliche Maßnahme eine endgültige
Einstellung des Anlagenbetriebes anordnen, wenn eine erforderliche Genehmigung
nicht erteilt (1. Fallgestaltung) oder rechtskräftig widerrufen ist (2. Fallgestaltung).
In beiden genannten Fallkonstellationen besteht stets ein Anlagenzustand, der
dem Atomgesetz widerspricht (§ 19 Abs. 3 S. 1 <1. Alt.> AtG), denn dieses
begründet in § 7 Abs. 1 eine Genehmigungspflicht für die Errichtung und den
Betrieb einer Kernanlage. Auf eine Genehmigung kann aber ein Betreiber dann
nicht bzw. nicht mehr verweisen, wenn sie nicht erteilt oder bestandskräftig wieder
beseitigt worden ist.
Eine endgültige Einstellung des Anlagenbetriebes durch die Behörde setzt also die
dargestellte formelle Illegalität des Betriebes voraus und zwar völlig unabhängig
davon, ob (gleichzeitig) eine Gefahrensituation gegeben ist.
Das Vorliegen einer Gefahr führt bereits nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 3 S. 2
Nr. 3 AtG, aber auch nach dem Sinn und Zweck der einschlägigen
Rechtsvorschriften nicht zu einem Anspruch auf eine endgültige Einstellung des
Betriebes der Anlage. Wegen der Gestattungswirkung einer (im Regelfall) erteilten
atomrechtlichen Genehmigung ist die Behörde zunächst gehalten, die
Genehmigung nach § 17 Abs. 5 AtG zu widerrufen.
Das Instrument der aufsichtlichen Anordnung in Form der endgültigen Stillegung
des Betriebes eines Kernkraftwerkes dient von seiner Zweckrichtung her in erster
Linie der Durchsetzung einer vorab ergangenen bestandskräftigen Entscheidung
der Behörde nach § 17 Abs. 2 bis Abs. 5 AtG; es ist nicht dazu bestimmt, an die
Stelle eines Widerrufs bzw. einer Rücknahme einer atomrechtlichen Genehmigung
zu treten (s. Haedrich, Atomgesetz, 1986, § 19 Rdnr. 7; vgl. auch Sellner,
"Nachträgliche Auflagen und Widerruf der Genehmigung bei Kernenergieanlagen",
in Festschrift für Sendler, 1991, S.339 <350>; und Schmitt, "Bestandsschutz für
Kernenergieanlagen" in 8. Deutsches Atomrechts-Symposium, 1989, S.81 <91>).
Dieses Normverständnis bringt auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem
Beschluss vom 5. April 1989 (BVerwG 7 B 47.89, NJW 1989, S. 1170) zum
Ausdruck, indem dort die (endgültige) Stillegung als behördliche Maßnahme im
Gefolge eines vorangegangenen Widerrufs der Genehmigung bezeichnet wird.
Erst nach Eintritt der Bestandskraft einer solchen Aufhebungsentscheidung kommt
also eine endgültige Stillegungsanordnung in Betracht. Da das Gesetz
ausdrücklich die "Rechtskraft" der Beseitigung der Genehmigung verlangt, kann
daher ein Anspruch auf endgültige Stillegung weder unmittelbar aus einem
Aufhebungsanspruch nach § 17 Abs. 2 - 5 AtG hergeleitet werden, noch kann ein
solches Begehren auch bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für eine
Aufhebung zulässigerweise (im Wege der Stufenklage) gemeinsam mit dem
Aufhebungsbegehren verfolgt werden.
Allein maßgeblich für eine endgültige Einstellung des Anlagenbetriebes ist nach
dem Gesagten also die Genehmigungslage. Danach scheitert das endgültige
Stillegungsbegehren und auch das entsprechende Bescheidungsbegehren der
Kläger vorliegend bereits daran, dass die Beigeladene als Betreiberin des KWB A
über eine mit Bescheid vom 2. Juni 1975 abschließend erteilte Genehmigung für
die Errichtung und den Betrieb ihrer kerntechnischen Anlage verfügt, die auch
unstreitig (bislang) nicht bestandskräftig widerrufen worden ist. Die mit dieser
Genehmigung verbundene Gestattungswirkung hebt das formelle Verbot des
Atomgesetzes auf, diese Tätigkeit ohne eine Genehmigung auszuüben.
Bei formell erteilter Genehmigung ist nach Auffassung des Senats im Sinne der
Bestimmung des § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG "eine erforderliche Genehmigung" nur
dann als "nicht erteilt" zu betrachten, wenn der konkrete Anlagenzustand oder
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dann als "nicht erteilt" zu betrachten, wenn der konkrete Anlagenzustand oder
auch der konkrete Anlagenbetrieb von der erteilten atomrechtlichen Genehmigung
offensichtlich so sehr abweicht, dass eine Zurechnung zu dieser nicht mehr
möglich ist, mit anderen Worten also nicht mehr davon gesprochen werden kann,
dass der Betreiber von der Gestattungswirkung seiner Genehmigung überhaupt
noch Gebrauch macht. Als Faustformel für diese beschriebene Abweichung von
dem Genehmigungsumfang kann nach Meinung des Senats darauf abgestellt
werden, ob genehmigter und konkreter Anlagenzustand bzw. -betrieb offensichtlich
in einem "aliud"- Verhältnis zueinander stehen. Nur wenn dies zu bejahen ist, kann
die Aufsichtsbehörde gegen den Betreiber unmittelbar mit einer endgültigen
Stillegungsanordnung vorgehen, weil eine vorab zu beseitigende Genehmigung
mangels Zurechenbarkeit zum konkreten Anlagenzustand /-betrieb dann nicht
vorliegt, wenn eine Genehmigung zwar formell erteilt, diese aber rechtlich
betrachtet gar nicht ausgenutzt wird.
Dass nicht jede Abweichung des Anlagenzustandes bzw. -betriebes von der
erteilten Genehmigung eine formelle Illegalität herbeiführt mit der Folge einer
möglichen endgültigen Stillegung der Anlage, läßt sich wiederum der oben bereits
angesprochenen gesetzlichen Systematik der einschlägigen atomrechtlichen
Vorschriften entnehmen.
Ist aufgrund der Abweichung ein Zustand gegeben, der dem Atomrecht oder den
Bestimmungen des Genehmigungsbescheides widerspricht, so ist die Behörde
nach § 19 Abs. 3 S. 1 <1. Alt.> AtG lediglich zur Anordnung von vorläufigen
aufsichtlichen Maßnahmen berechtigt, um diesen Zustand wieder zu beseitigen.
Beruht dagegen die Abweichung von der erteilten Genehmigung auf einem
Verstoß des Anlagenbetreibers gegen atomrechtliche Vorschriften, gegen hierauf
beruhende Anordnungen oder Verfügungen der Aufsichtsbehörde oder gegen die
Bestimmungen des Genehmigungsbescheides, so ist, wenn nicht in
angemessener Zeit Abhilfe geschaffen werden kann, von der Behörde zunächst
der Widerruf der atomrechtlichen Genehmigung gemäß § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG in
Betracht zu ziehen. Die genannte Vorschrift verlangt - anders als § 19 Abs. 3 S. 1
AtG, der auf den einer atomrechtlichen Vorschrift oder einem Bescheid der
Atombehörde widersprechenden Anlagenzustand abstellt und damit allein an
objektive Umstände anknüpft, ohne dass es auf eine Verantwortlichkeit des
Betreibers ankommt - , ein bestimmtes, gesetzlich nicht hinnehmbares Verhalten
("Verstoß") des Anlagenbetreibers und führt damit ein subjektives Element ein.
Daher muss nach Auffassung des Gerichts dem Widerruf wegen eines Verstosses
im Sinne der genannten Bestimmung stets eine Abmahnung durch die Behörde
mit Fristsetzung vorausgehen (so bereits Schneider in: Schneider/Steinberg,
Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und
staatlicher Aufsicht, 1. Aufl., 1991, S. 178); d.h. also vor dem Widerruf der
Genehmigung muss dem Betreiber noch die Möglichkeit eingeräumt werden, den
Verstoß abzustellen, etwa durch Rückbau der Anlage, die Einholung von
Genehmigungen, das Erbringen von notwendigen Nachweisen o. ä. Führt damit
aber selbst ein Verstoß des Anlagenbetreibers gegen atomrechtliche Vorschriften
oder die Bestimmungen des Genehmigungsbescheides "nur" dazu, dass der
Behörde die Möglichkeit eröffnet wird, einen Widerruf der Genehmigung
auszusprechen, so bedeutet dies nach der gesetzlichen Systematik zugleich, dass
das in § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG angesprochene, nicht hinzunehmende Verhalten des
Anlagenbetreibers aber immer noch ein - wenn auch rechtswidriges - Ausnutzen
der erteilten Genehmigung darstellt. Nur in dem oben beschriebenen, als
Ausnahme zu betrachtenden extremen Fall, dass der Anlagenbetreiber den
Rahmen der Genehmigung praktisch verlassen hat und dies auch offensichtlich
wird, so dass eine Zurechnung zu der erteilten Genehmigung nicht mehr möglich
ist, besteht also wie bereits ausgeführt eine unmittelbare Durchgriffsmöglichkeit
für die Behörde nach § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG.
Eine solche Fallgestaltung ist nach Auffassung des erkennenden Senats vorliegend
allerdings nicht gegeben.
Zwar geht mit den Klägern auch der Beklagte (zuletzt in seinem Entwurf einer
Widerrufsverfügung vom 4. März 1997) davon aus, dass von der Beigeladenen
während der Errichtungsphase des KWB A ungenehmigte Veränderungen
gegenüber den Teilerrichtungsgenehmigungen Nr. 1 bis 6 vorgenommen worden
sind und dass die CO2-Löschanlage im Rangierverteiler, das RS-System und das
Schwungrad der Hauptkühlmittelpumpe ohne erforderliche Genehmigung errichtet
worden sind und betrieben werden.
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Auch wenn man von dem Vorliegen des dieser behördlichen Wertung
zugrundeliegenden Sachverhaltes ausgeht, so kann darin aber nach Auffassung
des Gerichts nicht eine Abweichung des Anlagenzustandes bzw. -betriebes des
KWB A in dem oben beschriebenen Sinne gesehen werden, dass eine Zurechnung
dieses Zustandes / Betriebes zu der erteilten Genehmigung offensichtlich nicht
mehr möglich ist und von der Beigeladenen damit praktisch eine gänzlich andere
Anlage als die genehmigte errichtet worden ist und betrieben wird.
Ihre Bestätigung findet diese gerichtliche Wertung in dem Umstand, dass
behördenintern der Beklagte einerseits und das im Rahmen der Bundesaufsicht
tätig gewordene BMU andererseits zu einer völlig unterschiedlichen Einschätzung
der Genehmigungslage gekommen sind.
Während der Beklagte - wie schon dargestellt - ungenehmigte Veränderungen an
der Anlage und einen ungenehmigten Betrieb von Teilen der Anlage zugrundelegt,
geht das BMU in seinen bundesaufsichtlichen Weisungen davon aus, dass der
Betrieb des KWB A weder im Hinblick auf den Brandschutz in den
Rangierverteilerräumen noch im Hinblick auf das
Dampferzeugerabschlämmsystem oder hinsichtlich Änderungen in der Ausführung
der Anlage, die sich aus den im Betriebsgutachten des TÜV Bayern vom 27. März
1974 zitierten Systemschaltplänen und -beschreibungen ergeben, den
atomrechtlichen Vorschriften oder den Bestimmungen des Bescheides über die
Genehmigung widerspricht; gleiches soll nach Auffassung des BMU auch in Bezug
auf das Schwungrad der Hauptkühlmittelpumpe, das System RX und die
Kerneinbauten gelten. Keine der beiden gegensätzlichen - bislang behördenintern
gebliebenen - Bewertungen aber erscheint dem Senat als willkürlich. Von einem
offensichtlichen Verlassen des Rahmens der erteilten Genehmigung durch die
Beigeladene kann in einer solchen Fallkonstellation dann aber nicht gesprochen
werden.
Auch wenn daher möglicherweise Zweifel daran erhoben werden könnten, ob die
Anlage genehmigungskonform errichtet wurde, der Betrieb aller Systeme den
atomrechtlichen Vorschriften entspricht und auch alle nachträglichen Auflagen
eingehalten worden sind, so berechtigte dies - wie ausgeführt - allein zu einem
Vorgehen der Behörde nach § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG. Zu Recht hat deshalb der
Beklagte in dem letzten Verfügungsentwurf vom 4. März 1997 diesen Sachverhalt
dem Anwendungsbereich der Vorschrift des § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG zugeordnet; ein
Anspruch auf endgültige Stillegung nach § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG bzw. auf
entsprechende Bescheidung läßt sich daraus aber nicht herleiten.
(2) Auch mit ihrem auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung der der
Beigeladenen als Betreiberin des KWB A erteilten atomrechtlichen Genehmigung
nach § 17 AtG gerichteten Begehren können die Kläger nicht durchdringen (2.1
und 2.3), wohl aber ist der Beklagte zu einer (erneuten) Bescheidung des
entsprechenden Antrags der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts verpflichtet (2.2 und 2.4).
Klarstellend haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung auf entsprechende
gerichtliche Empfehlung ihren Antrag nicht mehr allein auf den Widerruf, sondern
nunmehr auf die Aufhebung der Genehmigung gerichtet, denn in der
Klagebegründung haben sie Umstände vorgetragen, die entweder eine
Rücknahme oder aber einen Widerruf der Genehmigung nach § 17 AtG zur Folge
haben können.
Die Aufhebung stellt den Oberbegriff der in § 17 Abs. 2 bis 5 AtG geregelten
Formen der nachträglichen Beseitigung einer bestandskräftigen Genehmigung
durch die Atombehörde dar. Zwischen Rücknahme, obligatorischem und
fakultativem Widerruf einer Genehmigung besteht Gesetzeskonkurrenz (s. dazu
Schneider in: Schneider / Steinberg, a.a.O., S. 195), wobei es dann Aufgabe des
Gerichts ist, zu prüfen, auf welche materielle Rechtsgrundlage das Vorbringen der
Kläger zu ihrem Aufhebungsbegehren jeweils gestützt werden kann.
Zutreffend ist von den Klägern gleichfalls auf entsprechende Empfehlung des
Gerichts in der mündlichen Verhandlung als Gegenstand ihres
Aufhebungsbegehrens die der Beigeladenen für das KWB A erteilte atomrechtliche
(Voll-) Genehmigung bezeichnet worden. Dies entspricht ihrem eigentlichen
Klagebegehren.
Die Kläger hatten zunächst in ihrem Antrag an die Verwaltung und auch später in
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Die Kläger hatten zunächst in ihrem Antrag an die Verwaltung und auch später in
ihrem Klageantrag als Gegenstand des Aufhebungsbegehrens die
Betriebsgenehmigung benannt. Zuletzt hatten sie noch mit Schriftsatz ihres
Bevollmächtigten vom 19. Februar 1997 die 4. und die 5.
Teilerrichtungsgenehmigung in ihr Aufhebungsbegehren mit einbezogen.
Die Kläger sind nach Auffassung des Senats aus Gründen der Bestimmtheit des
Klageantrags aber nicht darauf zu verweisen, die einzelne(n) Teilgenehmigung(en)
zu benennen, auf deren Regelungsgegenstand sie mit ihren Einwendungen
abzielen.
Anders als im Verfahren der Anfechtung einer einzelnen, noch nicht in
Bestandskraft erwachsenen Teilgenehmigung, in dem nach § 7 b AtG Dritte mit
Einwendungen ausgeschlossen sind, die sie gegen eine vorangegangene
unanfechtbar gewordene Teilgenehmigung vorgebracht haben oder hätten
vorbringen können, ist Gegenstand des Verfahrens nach § 17 Abs. 2 bis 5 AtG
allein die nach bestandskräftigem Abschluss des gestuften
Genehmigungsverfahrens dem Anlagenbetreiber erteilte atomrechtliche (Voll-)
Genehmigung (zum Begriff s. BVerwGE 80, 207 <223>).
Im übrigen wäre es auch Drittbetroffenen bereits mangels Überschaubarkeit der
komplexen technischen Funktionszusammenhänge in einem Kernkraftwerk
regelmäßig nicht möglich - und damit auch nicht zumutbar - anzugeben, welche
oder wie viele der einzelnen Teilgenehmigungen in ihrem Regelungsgehalt berührt
werden.
Mit ihrem Begehren sind die Kläger auch nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, denn
es erscheint nach ihrem Vorbringen nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie
sich auf die Aufhebungsregelungen des § 17 AtG stützen können. Nach wohl nicht
umstrittener Auffassung vermittelt jedenfalls Abs. 5 der zitierten Vorschrift
natürlichen Personen Drittschutz, so dass die Kläger durch die Ablehnung dieses
Begehrens in ihrem Recht auf Leben und Gesundheit verletzt sein könnten.
Die damit zulässige Klage ist aber nur insoweit begründet (§ 113 Abs. 5 VwGO), als
die Kläger - hilfsweise - eine (erneute) Bescheidung ihres bei der Behörde
gestellten Aufhebungsantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
begehren; ein Anspruch auf Aufhebung der Genehmigung steht ihnen nicht zu.
(2.1) Zunächst können die Kläger aus der obligatorischen Widerrufsvorschrift des §
17 Abs. 5 AtG einen Rechtsanspruch auf Aufhebung der Genehmigung nicht
herleiten; ihnen steht aber insoweit ein Anspruch auf Bescheidung ihres
entsprechenden Begehrens zu (s. u. 2.2).
Zwar stehen dem Aufhebungsanspruch der Kläger nicht bereits
verfahrensrechtliche Grundsätze entgegen. Der behördlichen Entscheidung über
einen Widerruf oder eine Rücknahme geht als verfahrensrechtlicher Schritt die
Entscheidung darüber voraus, ob eine neue Sachprüfung, die in einen sog.
Zweitbescheid mündet, überhaupt stattzufinden hat.
Nach Auffassung des Senats stellen die auf eine Aufhebung atomrechtlicher
Genehmigungen abzielenden Bestimmungen in § 17 Abs. 2 bis 5 AtG eine
umfassende und spezielle Regelung für den Fall sich nach Genehmigungserteilung
verändernder Verhältnisse dar (so auch v. Mutius / Schoch, Die atomrechtliche
Konzeptgenehmigung, DVBl. 1983, S. 159). Damit kommt zum einen ein Rückgriff
auf die verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG nicht in
Betracht; dies entspricht auch allgemeiner Auffassung.
Vor allem aber ist eine abschließende Regelung auch in Bezug auf den von § 51
VwVfG erfaßten Regelungsbereich (Wiederaufgreifen eines abgeschlossenen
Verwaltungsverfahrens) anzunehmen (so auch v. Mutius / Schoch, a.a.O.).
Entsprechend der (materiell-rechtlichen) Differenzierung in § 17 AtG zwischen
fakultativen und obligatorischen Aufhebungstatbeständen geht der Senat auch
hinsichtlich des (verfahrensrechtlichen) Anspruchs auf eine neue
Sachentscheidung davon aus, dass ein solcher in Bezug auf die Vorschrift des § 17
Abs. 5 AtG nach Maßgabe der auch in § 51 Abs. 1 VwVfG festgeschriebenen
allgemeinen Grundsätze über das Wiederaufgreifen eines Verwaltungsverfahrens,
also etwa bei Vorliegen einer geänderten Sach- oder Rechtslage zugunsten der
Kläger oder bei Vorliegen neuer Beweismittel, anzuerkennen ist.
Die Kläger haben mit ihrem ersten Aufhebungsantrag vom 22. März 1988 und
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Die Kläger haben mit ihrem ersten Aufhebungsantrag vom 22. März 1988 und
nach Bescheidung dieses Antrags dann mit einem (weiteren) Antrag vom 3.
Februar 1994 (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 10. April 1994, Ordner 1 zum
Verfahren 14 Q 1326/94) ihr Begehren auf neue, d. h. nach
Genehmigungserteilung bzw. nach Bescheiderlass eingetretene, für sie günstige
und auch im Hinblick auf ihr Aufhebungsbegehren rechtlich erhebliche Umstände
gestützt, indem sie auf die nach Einholung von Gutachten durch den Beklagten
erst bekannt gewordenen Sicherheitsmängel hingewiesen haben. Damit haben sie
nach allgemeinen Grundsätzen zulässige Gründe für eine Wiederaufnahme des
Verfahrens (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) geltend gemacht.
Der Senat hat deshalb an einem der materiellen Prüfung der Behörde
vorgeschalteten Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens unter dem
Gesichtspunkt einer Überprüfung der Genehmigung nach Maßgabe des § 17 Abs.
5 AtG keine Zweifel.
Einen Rechtsanspruch auf einen Genehmigungswiderruf können die Kläger aus §
17 Abs. 5 AtG aber nicht herleiten, denn mit dieser Regelung ist durch das
Tatbestandsmerkmal der "erheblichen Gefährdung" der Verwaltung ein
Einschätzungsspielraum eingeräumt, der bei der hier vom Senat zu
berücksichtigenden Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung nicht auf die von den Klägern behauptete Annahme einer
"erheblichen Gefährdung" reduziert ist.
Dem Begriff der "erheblichen Gefährdung" im Sinne dieser Vorschrift legt der
Senat unter Weiterführung der Rechtsprechung des 8. Senats des erkennenden
Gerichts in dem diesem Hauptsacheverfahren vorangegangenen Eilverfahren
(Beschluss vom 28. Juni 1989, Az: 8 Q 2809/88; veröffentlicht in: NVwZ 1989,
S.1183; ESVGH 39, S.262) eine Gefahr im herkömmlichen, also im
polizeirechtlichen Sinne zugrunde.
Danach ist eine Gefahr dann anzunehmen, wenn eine Sachlage gegeben ist, die
bei objektiv zu erwartendem, ungehinderten Geschehensablauf mit (hinreichender)
Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden, nämlich zu einer nicht unerheblichen
Beeinträchtigung eines rechtlich geschützten Gutes führt (siehe etwa Breuer,
Anlagensicherheit und Störfälle - Vergleichende Risikobewertung im Atom- und
Immissionsschutzrecht, NVwZ 1990, S. 211, 213; Roller, Der Gefahrenbegriff im
atomrechtlichen Aufsichtsverfahren, DVBl 1993, S. 20, 21, jeweils m.w.N.).
Der erkennende Senat hält ausdrücklich an der bereits in dem zitierten
Eilbeschluss deutlich herausgestellten Begründung fest, dass unter
Zugrundelegung der im Atomrecht weithin anerkannten und durch die sog. Kalkar
- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 49, 89 137f>) bereits
vorgezeichneten Unterscheidung zwischen den Bereichen Gefahrenabwehr,
Schadens- oder Risikovorsorge und Restrisiko (vgl. dazu auch Breuer,
Anlagensicherheit und Störfälle, a.a.O., S. 213) sowohl der Wortlaut als auch die
Systematik des Gesetzes einer synonymen Verwendung der im Atomgesetz
gebrauchten und speziell auch in § 17 Abs. 2, 3 und 5 AtG verwendeten Begriffe
der "erheblichen Gefährdung" einerseits und des Fehlens der "erforderlichen
Vorsorge gegen Schäden" im Sinne der Genehmigungsvoraussetzung des § 7 Abs.
2 Nr. 3 AtG andererseits entgegenstehen. Setzt man die beiden genannten
Begriffe inhaltlich gleich, nimmt man also bei nicht mehr getroffener ausreichender
Schadensvorsorge, deren Erforderlichkeit sich nach dem im
Genehmigungsverfahren zugrunde zu legenden aktuellen kerntechnischen
Regelwerk bemißt, zugleich auch eine "erhebliche Gefährdung" im Sinne von § 17
Abs. 5 AtG an, so ist bei einem unterstellten Wegfall der erforderlichen
Schadensvorsorge im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG sowohl die fakultative
Widerrufsmöglichkeit nach § 17 Abs. 3 Nr. 2 AtG gegeben, als auch (gleichzeitig)
der obligatorische Widerrufstatbestand nach § 17 Abs. 5 AtG erfüllt. Beide
Vorschriften stehen aber erkennbar in einem Stufenverhältnis zueinander (so
bereits der 8. Senat des Hess.VGH in dem zitierten Beschluss vom 28. Juni 1989;
sowie Sellner, a.a.O., S. 341, 347). Will man in dieses Stufenkonzept der
Widerrufsgründe des § 17 AtG keinen unauflösbaren Widerspruch
hineininterpretieren, muss eine Identität zwischen "Gefahr" und "Wegfall der
erforderlichen Schadensvorsorge" ausgeschlossen sein.
Die Herausnahme allein des Sachverhalts der "erheblichen Gefährdung" in der
obligatorischen Widerrufsvorschrift des § 17 Abs. 5 wird auch von Sellner (a.a.O., S.
347) als Beleg dafür angesehen, dass hier vom Gesetzgeber lediglich der Bereich
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347) als Beleg dafür angesehen, dass hier vom Gesetzgeber lediglich der Bereich
der herkömmlichen (polizeirechtlichen) Gefahr angesprochen ist (vgl. auch Bender,
Abschied vom Atomstrom, DÖV 1988, S.813, 817, Schoch, Rechtsfragen der
Entschädigung nach dem Widerruf atomrechtlicher Genehmigungen, DVBl 1990, S.
549, 551 und Ossenbühl, Bestandsschutz und Nachrüstung von Kernkraftwerken 1.
Aufl. 1994, S. 91).
Die gegenteilige Auffassung hätte zur Folge, dass zwischen dem
Sicherheitsstandard, der im Genehmigungsverfahren verlangt werden kann, und
der Eingriffsschwelle für den Pflichtwiderruf keinerlei Unterschied bestünde. Wenn
der Gesetzgeber eine solche Egalisierung gewollt hätte, hätte er dies redaktionell
auch eindeutig zum Ausdruck bringen können und müssen. Das hat er aber
gerade nicht getan (so bereits der 8. Senat des Hess. VGH in dem zitierten
Eilbeschluss, S. 22 des amtl. Umdrucks, s. auch Ossenbühl, a.a.O., S. 91), so dass
eine Differenzierung in dem beschriebenen Sinne geboten ist.
Nicht weiter fest hält der erkennende Senat dagegen an der in dem zitierten
Eilbeschluss vertretenen Auffassung, dass wegen des Zusatzes "erheblich" in
Bezug auf das Tatbestandsmerkmal "Gefährdung" eine Steigerung in Bezug auf
die Gefahrenlage zu fordern ist. Der 8. Senat hatte aus dieser
Gesetzesformulierung abgeleitet, dass eine Gefährdung mit einem solchen Grad
vorliegen müsse, die den Widerruf eindeutig, d.h. mit einer gewissen Evidenz
geboten erscheinen lasse (S.24 des amtl. Umdrucks; so auch Lange, Rechtliche
Aspekte eines Ausstiegs aus der Kernenergie, NJW 1986, S.2459 und Ossenbühl,
a.a.O., S. 92).
Nach Auffassung des erkennenden Senats kann mit dem Tatbestandsmerkmal
der "erheblichen Gefährdung" weder nur der unmittelbar bevorstehende
Schadenseintritt gemeint sein, noch soll damit eine bestimmte Anforderung an
das Ausmaß des zu erwartenden Schadens vorgegeben werden. Zum einen
müssen in einem solchen Extremfall, in dem die Gefahr eines unkontrollierten
Freisetzens von Kernenergie unmittelbar bevorsteht, sofort
Katastrophenmaßnahmen ergriffen werden; der bloße Widerruf der Genehmigung
oder gar nachträgliche Auflagen, die der Gesetzgeber sogar bei einer "erheblichen
Gefährdung" noch für möglich hält, sind allein nicht (mehr) geeignet, derartig
akute Gefahren abzuwenden (s. Schneider / Steinberg, a.a.O., S. 173). Des
Weiteren sind wegen des Ausmasses möglicher Schäden an Leben und
Gesundheit von Menschen, die typischerweise mit der Verwirklichung einer
nuklearspezifischen Gefahr verbunden sind, Gefährdungen der Beschäftigten,
Dritter oder der Allgemeinheit im Zusammenhang mit dem Betrieb eines
Kernkraftwerkes im Hinblick auf den Schutzzweck des Atomgesetzes (§ 1 Nr. 2)
stets als "erheblich" anzusehen (so auch Sellner, a.a.O., S. 347; in diesem Sinne
wohl auch Bender, a.a.O., S. 817). Eine gesteigerte Gefahrenlage bzw. eine
besondere Nähe zum Schadenseintritt muss deshalb für die Annahme einer
Gefahr im Sinne der "erheblichen Gefährdung" nach § 17 Abs. 5 AtG nicht gegeben
sein (s. dazu auch Roller, a.a.O. S. 23).
Dass der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde für die Gefahrermittlung und -
bewertung eine Einschätzungsprärogative zusteht, leitet sich aus dem
Gefahrbegriff her, wie er nach Auffassung des Senats in § 17 Abs. 5 AtG
Anwendung findet.
Unter Zugrundelegung des klassischen Gefahrbegriffs sind für die Bewertung, ob
eine Gefahrenlage gegeben ist, zwei Elemente bestimmend. Die Größe einer
Gefahr bemißt sich gemäß der heute wohl herrschenden sicherheitstechnischen
Definition nach der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und dem
wahrscheinlichen Ausmaß eines möglichen Schadens, kurz nach dem Produkt von
Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß.
Das Gefahrurteil setzt damit eine Prognose über das Ausmaß der zu erwartenden
Schäden und über die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts voraus. Welcher Grad an
Eintrittswahrscheinlichkeit für die Annahme einer Gefahr verlangt wird, hängt
davon ab, wie groß das Schadenspotential ist, wobei Schadensausmaß und Rang
der geschützten Rechtsgüter ausschlaggebend sind (s. Di Fabio,
Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1. Aufl. 1994, S. 67f). Es gilt diesbezüglich
also der (auch) im technischen Sicherheitsrecht allgemein anerkannte Grundsatz
der gegenläufigen Proportionalität, prägnant umschrieben mit der sog. Je-desto-
Formel. Angesichts des außergewöhnlich großen Schadenspotentials
kerntechnischer Anlagen genügt damit eine vergleichsweise geringe
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kerntechnischer Anlagen genügt damit eine vergleichsweise geringe
Eintrittswahrscheinlichkeit, um eine Gefahr zu begründen (so auch Marburger,
Atomrechtliche Schadensvorsorge, 1. Aufl. 1983, S. 88).
In der Praxis wird dabei die Abgrenzung zwischen dem Gefahrenbereich und dem
Bereich der Risiken, gegen die Schadensvorsorge geboten ist, besondere
Schwierigkeiten bereiten, denn die Grenzen sind fließend (s. dazu auch Breuer,
a.a.O., S. 213, der anschaulich von einer gleitenden Skala der Risiken spricht). Für
diese Abgrenzung kommt wegen des genannten, im Atomrecht regelmäßig zu
besorgenden außergewöhnlich großen Schadenspotentials - auch das Vorbringen
der Kläger im vorliegenden Verfahren und die Verfügungsentwürfe des Beklagten
machen dies deutlich - dem Kriterium der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit die
ausschlaggebende Bedeutung zu.
Ist die Eintrittswahrscheinlichkeit dergestalt ungewiß, dass ein Schadenseintritt
zwar theoretisch möglich oder praktisch nicht auszuschließen ist, aber eine
Wahrscheinlichkeitsprognose nicht mit der gefahrdogmatisch erforderlichen
Beurteilungssicherheit abgegeben werden kann, so ist von einem Risiko
auszugehen und nicht von einer Gefahr im Sinne der hier in Rede stehenden
Vorschrift (vgl. Di Fabio, a.a.O., S. 105). Denn der Begriff der Gefahr (im
herkömmlichen Sinne) setzt stets voraus, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit
nachvollziehbar belegbar ist.
Die Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit (wie auch des zu erwartenden
Schadensausmasses) kann im Atomrecht nicht auf der Grundlage allgemeiner
Lebenserfahrung getroffen werden, vielmehr sind anhand sachverständiger
Beurteilung und objektiv-wissenschaftlicher Erkenntnisse mögliche
Schadensursachen und Ereignisabläufe in die Prognoseentscheidung
aufzunehmen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen einzuplanen. An die
Wahrscheinlichkeitsprognose sind also im Atomrecht erhöhte Anforderungen zu
stellen; insbesondere bedarf sie der Objektivierung nach dem Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnis (s. Steinberg in Steinberg / Schneider, a.a.O., S. 18
mit dem Hinweis auf eine im Schrifttum verbreitete Auffassung).
Zwar sind Ermittlungen der Eintrittswahrscheinlichkeit durch probabilistische
Sicherheitsanalysen (PSA) - wie sie in Bezug auf den Block B des KWB durch die
Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke Phase A und Phase B angestellt worden sind
und wie sie etwa auch einzelnen gutachterlichen Stellungnahmen der GRS zu
einigen der von den Klägern vorgetragenen Sicherheitsdefiziten zugrunde liegen -
mit verhältnismäßig großen Schätzunsicherheiten verbunden. Daraus läßt sich
aber nicht der Schluß herleiten, dass sie zur Beurteilung von
Schadenswahrscheinlichkeiten generell ungeeignet sind (so auch Steinberg in
Steinberg/Schneider, a.a.O., S. 42).
Wie groß aber die ermittelte Eintrittswahrscheinlichkeit im Einzelfall sein muss,
damit von einer Gefahr im Sinne des § 17 Abs. 5 AtG ausgegangen werden kann,
ob beispielsweise für einen bestimmten Störfall schon eine geschätzte
Eintrittswahrscheinlichkeit von 10-6 pro Jahr und Anlage genügt oder die Grenze
bereits bei 10-
oder 10-4 pro Jahr liegt, läßt sich weder nach wissenschaftlich-technischen
Erkenntnissen eindeutig bestimmen, noch ist dies durch das Atomrecht normativ-
verbindlich vorgegeben (s. Marburger, a.a.O., S. 88).
Rechtliche Vorgaben geben lediglich einen Rahmen für den beschriebenen
behördlichen Bewertungsvorgang ab. Zum einen ist dies der oben bereits
genannte Grundsatz der gegenläufigen Proportionalität, wonach im Atomrecht
aufgrund des großen Schadenspotentials bereits geringe
Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Annahme einer Gefahrenlage genügen
können. Zum anderen wird die behördliche Gefahrbewertung nach § 17 Abs. 5 AtG
durch die gebotene Abgrenzung des Gefahrenbereichs von dem Bereich der im
Genehmigungsverfahren rechtserheblichen Risiken, gegen die Schadensvorsorge
zu treffen ist, begrenzt. Mit dem (klassischen) Gefahrenbegriff des § 17 Abs. 5 AtG
sind diejenigen Risiken nicht angesprochen, die praktisch, d.h. nach dem Maßstab
praktischer Vernunft ausgeschlossen sind. Denn dieser Maßstab stellt die Grenze
zum Bereich des - auch nach rechtmäßiger Genehmigungserteilung noch
verbleibenden - Restrisikos dar. Für die Erteilung einer atomrechtlichen
Genehmigung müssen Gefahren und Risiken, wenn die erforderliche Vorsorge im
Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG getroffen sein soll, nach gefestigter
höchstrichterlicher Rechtsprechung praktisch ausgeschlossen sein (vgl. Wyhl-Urteil
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höchstrichterlicher Rechtsprechung praktisch ausgeschlossen sein (vgl. Wyhl-Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts, a.a.O., S. 316).
Eine Bewertung innerhalb dieses aufgezeigten rechtlichen Rahmens vorzunehmen,
macht nach Auffassung des erkennenden Senats den eigentlichen Schwerpunkt
der Einschätzungsprärogative der Verwaltung im Bereich der Gefahrermittlung und
-bewertung nach § 17 Abs. 5 AtG aus. Nachdem also durch Sachverständige eine
(kognitive) Bewertung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und des
Ausmaßes eines möglichen Schadens vorgenommen worden ist und die Behörde
sich dieses Ergebnis nach Überprüfung zu eigen macht, setzt erst die - allein von
der Behörde und nicht den Sachverständigen vornehmbare - normative
Gefahrbewertung unter Anwendung des oben beschriebenen Grundsatzes der
gegenläufigen Proportionalität ein.
Letztere Wertung ist vom Gericht dann nur eingeschränkt überprüfbar. Denn die
atomrechtliche Gefahrbewertung nach § 17 Abs. 5 AtG unterscheidet sich von der
unter jedem wissenschaftlichen und auch rechtlichen Aspekt nachvollziehbaren
und damit (auch gerichtlich) voll überprüfbaren Gefahreinschätzung des
klassischen Gefahrenabwehrrechts dadurch, dass mit ihr letztlich ein Grenzwert in
Bezug auf die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens in Abhängigkeit von der
Größe des zu erwartenden Schadensausmasses verantwortlich zu bestimmen ist,
ohne dass insoweit eine verbindliche rechtliche Vorgabe besteht. Damit ist sie der
Risikoermittlung und -bewertung des Genehmigungsverfahrens nach § 7 Abs. 2 Nr.
3 AtG vergleichbar.
Im Genehmigungsverfahren liegt die Verantwortung für die Grenzziehung zwischen
dem Risikobereich, für den eine Schadensvorsorge im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 3
AtG erforderlich ist, und dem Restrisikobereich, der von Verfassungs wegen als
sozialadäquat hinzunehmen ist, allein bei der Exekutive. Dies entspricht der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (s. BVerfG, Beschluss vom 8.
August 1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 <143>) sowie der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit der Wyhl-Entscheidung vom
19. Dezember 1985 (BVerwGE 72, 300 <316>), die auch in der Literatur
überwiegend Zustimmung erfahren hat. Diese Rechtsprechung ist vom
Bundesverwaltungsgericht zuletzt noch einmal in der Krümmel - Entscheidung
vom 21. August 1996 (BVerwG 11 C 9.95, DVBl. 1997, 52) bestätigt worden.
Dieses Letztentscheidungsrecht der Exekutive, das gerichtlich nur eingeschränkt
daraufhin überprüfbar ist, ob seine Ausübung auf einer ausreichenden
Sachverhaltsermittlung und auf willkürfreien Annahmen beruht, muss nach
Auffassung des Senats auch für die Abgrenzung des Bereiches der Gefahr im
Sinne des § 17 Abs. 5 AtG von dem Risikobereich gelten, der für das
Genehmigungsverfahren Bedeutung erlangt. Denn in beiden
Beurteilungsverfahren ist eine Grenze zum jeweils anderen Bereich (im Sinne der
oben dargestellten drei Risikobereiche) weder wissenschaftlich-technisch noch
normativ-verbindlich vorgegeben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in der von ihm entschiedenen Fallkonstellation
der Anfechtung einer Genehmigungsentscheidung die Einräumung des
Beurteilungsspielraums der Exekutive damit begründet, dass diese nicht nur
gegenüber der Legislative (so bereits die oben zitierte Kalkar - Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts), sondern auch gegenüber den Verwaltungsgerichten
über rechtliche Handlungsformen verfüge, die sie für die Verwirklichung des
Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sehr viel besser
ausstatte (vgl. die zit. Wyhl-Entscheidung), und ferner damit, dass eine
prognostische Einschätzung über künftige Entwicklungen und Geschehensabläufe
vorzunehmen sei (s. Urteil vom 19. Januar 1989, BVerwG 7 C 31.87, BVerwGE 81,
185 <190>).
Diese im wesentlichen funktionsrechtlichen Gründe für eine Einschränkung der
richterlichen Kontrolldichte bei der atomrechtlichen Genehmigung lassen eine
abweichende Behandlung von behördlichen Entscheidungen nach § 17 Abs. 5 AtG
(wie im übrigen auch nach § 19 Abs. 3 AtG) nicht gerechtfertigt erscheinen, soweit
der Bereich der Risikoermittlung und -bewertung in Rede steht (so auch Sellner
a.a.O., S. 352). Gleiches gilt in Bezug auf das vom Bundesverwaltungsgericht für
die Annahme eines behördlichen Beurteilungsspielraums herausgestellte
Erfordernis einer prognostischen Einschätzung.
Damit kann also die der Exekutive zugewiesene Kompetenz, zu ermitteln und zu
beurteilen, ob eine atomrechtliche Genehmigung wegen einer erheblichen
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beurteilen, ob eine atomrechtliche Genehmigung wegen einer erheblichen
Gefährdung zu widerrufen ist, von den Gerichten nicht durch eine eigene
Bewertung, die nur wiederum mit sachverständiger Hilfe möglich wäre, ersetzt
werden.
Eine Durchbrechung dieser grundsätzlichen Kompetenzzuweisung kann allein in
dem (extremen) Ausnahmefall erfolgen, dass - vergleichbar einer
Ermessensreduktion auf Null - eine Beurteilungsreduktion auf Null für das Gericht
erkennbar wird. Ein solcher Ausnahmefall ist nach Auffassung des Senats dann
anzunehmen, wenn sich unter Berücksichtigung eindeutiger wissenschaftlicher
Erkenntnisse und allgemein anerkannter technischer Erfahrungen die Annahme
einer Gefahrenlage derart zwingend aufdrängt, dass jede andere Bewertung grob
willkürlich und schlechthin unvertretbar wäre.
Bei seiner Prüfung, ob ein solcher Ausnahmefall gegeben ist, hat das erkennende
Gericht auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung abgestellt.
Da das Verpflichtungsbegehren der Kläger einen Rechtsanspruch auf Widerruf der
Genehmigung nach § 17 Abs. 5 AtG voraussetzt, der sich allein aus einer
Reduktion des behördlichen Beurteilungsspielraums auf Null herleiten kann, ist
nach allgemein anerkannter Auffassung der genannte aktuelle Zeitpunkt
maßgebend.
Auf der Basis der von den Klägern bis zur gerichtlichen Entscheidungsfindung
vorgetragenen Gründe für die Annahme einer Gefahrenlage ist nach Auffassung
des Senats eine Beurteilungsreduktion auf Null in dem oben beschriebenen Sinne
aber nicht anzunehmen.
a) Soweit sich die Kläger auf die Ergebnisse der Deutschen Risikostudie
Kernkraftwerke Phase B berufen, gilt dies schon deshalb, weil sie mit dem bloßen
Verweis auf die Studie, der als Referenzanlage der Block B des KWB diente, keine
konkreten Sicherheitsdefizite des KWB A aufzeigen, sondern lediglich allgemeine
Sicherheitsbedenken gegen die Kerntechnik geltend machen. Aber auch wenn
man die Übertragbarkeit der Ergebnisse dieser Studie auf das KWB A zugunsten
der Kläger unterstellt, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Nach der Studie
beträgt die Eintrittshäufigkeit der durch die Sicherheitssysteme nicht beherrschten
Ereignisabläufe aus anlageninternen auslösenden Ereignissen 2,6 x 10-5 pro Jahr
(s. GRS, Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke Phase B, Eine zusammenfassende
Darstellung, Juni 1989, S. 41 f). Die Kläger errechnen unter Heranziehung dieses
Ergebnisses eine Eintrittswahrscheinlichkeit für einen schweren (Kernschmelz-)
Unfall für das KWB A von 0,12% für dessen Lebensdauer; d.h. einmal in 833
Betriebsjahren ist ihrer Auffassung nach dort mit einem schweren Unfall zu
rechnen.
In Bezug auf die in der Studie ermittelte Eintrittswahrscheinlichkeit für einen von
der Anlage nicht mehr beherrschten Störfall bleibt aber festzuhalten, dass weder
der aufgrund des Vorkommnisses vom Dezember 1987 mit der Sicherheitsanalyse
für das KWB A beauftragte TÜV Bayern in seinem Zusammenfassenden Bericht
vom Februar 1991 noch ein vom Beklagten zu einem späteren Zeitpunkt
beauftragter Gutachter aus den durch die Risikostudie bekannt gewordenen
Erkenntnissen die Schlußfolgerung gezogen hat, dass allein deswegen bereits von
einer Gefahrenlage auszugehen sei.
Damit drängt sich eine gegensätzliche Bewertung auch nicht für das erkennende
Gericht auf.
b) Ähnliche Erwägungen gelten auch für den Vortrag der Kläger zu einer Gefahr
wegen eines möglichen Flugzeugabsturzes. Zum Zeitpunkt der Errichtung des
KWB A bestanden noch keine besonderen Anforderungen an die Auslegung gegen
Flugzeugabsturz. Eine Auslegung, wie sie nach den Sicherheitskriterien für
Kernkraftwerke vom 21. Oktober 1977 (Bundesanzeiger Nr. 206 vom 3. November
1977) und den RSK - Leitlinien für Druckwasserreaktoren (3. Ausgabe vom 14.
Oktober 1981, BAnz 1982 Nr. 69) für später errichtende Kraftwerke gilt, wurde bei
Block A somit nicht vorgenommen (vgl. SIAN, Bd. 3, 2.1.3)
Um festzustellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sicherheitstechnisch relevante
Gebäude der Anlage beim Absturz einer schnellfliegenden Militärmaschine in
Mitleidenschaft gezogen werden können, wurden seitens der GRS entsprechend
dem Vorgehen in der Risikostudie Phase B anlagenspezifische probabilistische
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dem Vorgehen in der Risikostudie Phase B anlagenspezifische probabilistische
Untersuchungen für das KWB A angestellt. Diese ergaben, dass auch unter
Vernachlässigung des zwischenzeitlich ausgesprochenen Überflugverbots der
Anlage die Trefferwahrscheinlichkeit schnellfliegender Militärmaschinen auf das
Reaktorgebäude etwa 8,5 x 10-7 / Jahr beträgt. Nach Auffassung des TÜV Bayern
ergibt sich daraus als Schlußfolgerung, dass im Rahmen der Unsicherheitsbreite
die Trefferhäufigkeiten der Reaktorgebäude der Anlagen Biblis Block A und Block B
gleich sind (6 bis 8 x 10-7 / pro Jahr; s. SIAN, Bd. 3, 2.1.3 und Bd. 4, 3.13.5; zu den
Ergebnissen der Risikostudie Phase B siehe dort S. 56 bis 58). Nach Auffassung
der Gutachter war damit nachgewiesen, dass eine unzulässige Beeinträchtigung
des Reaktorgebäudes im Restrisikobereich liegt und daher nicht weiter beachtet
werden muss (s. SIAN, Bd. 4, 3.13 - 17).
Dieser konkreten auf das KWB A bezogenen Einschätzung entspricht die generelle
Einstufung dieses Ereignisses bereits nach den Störfall - Leitlinien vom 18. Oktober
1983 (Beilage Nr. 59/83 zum Bundesanzeiger Nr. 245 vom 31. Dezember 1983),
wonach der Flugzeugabsturz aufgrund seines geringen Risikos nicht als
Auslegungsstörfall betrachtet und nicht zum Gegenstand der Leitlinien gemacht
wurde.
Eine gegensätzliche Bewertung - Annahme einer Gefahrenlage - drängt sich damit
auch hier für das erkennende Gericht nicht auf.
c) Ebensowenig vermag der Senat hinsichtlich des von den Klägern vorgebrachten
Gesichtspunkts der Entsorgung des KWB A von radioaktiven Abfällen eine
Beurteilungsreduktion auf Null zu erkennen.
Wegen nicht ausreichend vorhandener Wiederaufarbeitungskapazitäten resultieren
nach Meinung der Kläger aus der notwendigen Zwischenlagerung der verbrauchten
Brennelemente auf dem Kraftwerksgelände eigenständige Gefahren; diese Lage
sei bislang vom Ministerium nicht ausreichend ermittelt und bewertet worden. Es
könne nicht länger verantwortet werden, dass in Kernkraftwerken ständig weitere
Brennelemente anfielen, die letztlich nicht entsorgt werden könnten, weil auch
keine Endlagerkapazitäten zur Verfügung stünden.
Von den Klägern werden damit im Hinblick auf die Entsorgungsregelung zum einen
lediglich allgemeine Bedenken gegen die Zulassung der friedlichen Nutzung der
Kernenergie artikuliert, die nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 12. Juli 1993 - 7 B 177/92 -; DVBl
1993, S. 1151), der sich der Senat anschließt, bereits nicht durchgreifen können.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in der zitierten Entscheidung ausgeführt:
"Gemäß § 7 Abs. 2 AtG ist es nicht Voraussetzung für die Erteilung einer
atomrechtlichen Genehmigung, dass der Antragsteller den Nachweis erbringt,
dass die sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle auf Dauer anlagenextern
gewährleistet ist. Das Atomgesetz verpflichtet vielmehr den Betreiber einer
kerntechnischen Anlage, dafür zu sorgen, dass radioaktive Reststoffe schadlos
verwertet oder geordnet beseitigt werden (§ 9 a Abs. 1 AtG), sowie - damit diese
Betreiberpflicht erfüllt werden kann - Bund und Länder, Landessammelstellen zur
Zwischenlagerung bzw. Anlagen zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver
Abfälle einzurichten (§ 9 a Abs. 3 AtG). Es setzt damit voraus, dass radioaktive
Abfälle auf Dauer geordnet und schadlos "entsorgt" werden können."
Steht damit die bestehende Entsorgungssituation noch nicht einmal der
Genehmigungserteilung entgegen, so ist sie schon gar nicht geeignet, generell
eine Gefahrensituation im Sinne des § 17 Abs. 5 AtG zu begründen.
Konkrete Sicherheitsdefizite haben die Kläger mit ihrem Hinweis auf die für alle
Kernkraftwerke gleichermaßen bestehende Entsorgungssituation in Bezug auf die
Zwischenlagerung der Brennelemente im KWB A aber nicht aufgezeigt. Eine
substantiierte Darlegung zur Begründung des Vorliegens einer Gefahrenlage
hinsichtlich der Zwischenlagerung der Brennelemente im KWB A fehlt damit, so
dass auch unter diesem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Widerruf der
Genehmigung nicht angenommen werden kann.
d) Von einer Reduktion des behördlichen Beurteilungsspielraums auf die Annahme
einer Gefahrenlage im oben beschriebenen Sinne kann nach Auffassung des
Senats auch nicht in Bezug auf die von den Klägern aufgegriffenen
Sicherheitsdefizite ausgegangen werden, die der Beklagte zum Gegenstand seiner
- im Entwurfsstadium gebliebenen - einstweiligen Stillegungsanordnungen bzw.
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- im Entwurfsstadium gebliebenen - einstweiligen Stillegungsanordnungen bzw.
Widerrufsverfügungen gemacht hat.
Zu allen technischen Sachverständigengutachten, die der Beklagte in Auftrag
gegeben und dann zur Begründung seiner aufsichtlichen Verfügungen
herangezogen hat, liegen wiederum Gutachten - vor allem der GRS - vor, die zu
einer gegensätzlichen gutachterlichen Einschätzung kommen und vom BMU zur
Grundlage seiner bundesaufsichtlichen Weisungen gemacht worden sind.
Für das Gericht waren aufgrund der gegebenen Gutachtenlage keine
Anhaltspunkte für den Ausnahmefall erkennbar, dass sich der Behörde unter
Berücksichtigung eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse und allgemein
anerkannter technischer Erfahrungen die Annahme einer Gefahrenlage derart
zwingend aufdrängen musste, dass jede andere Bewertung grob willkürlich und
schlechthin unvertretbar wäre.
Für die richterliche Wertung, dass von einer Beurteilungsreduktion auf Null
vorliegend nicht auszugehen ist, kam es nicht darauf an, ob die von den Klägern
vorgebrachten Einwendungen gegen die gutachterlichen Stellungnahmen der GRS
im Einzelnen zutreffen.
In der an das BMU gerichteten Gegenäußerung des Beklagten vom 22. Januar
1996 auf dessen bundesaufsichtliche Stellungnahme vom 15. Dezember 1996 und
in dem Anschreiben an das BMU vom 20. Januar 1997 wird vom Beklagten - wie
von den Klägern auch - bemängelt, dass die Beurteilungen der GRS unvollständig,
zum Teil widersprüchlich und in weiten Teilen nicht nachvollziehbar seien und in
wesentlichen Bereichen nicht auf Tatsachen, sondern auf - zum Teil erweislich
falschen - Annahmen beruhten, sowie auf falschen Bewertungsgrundlagen
des Antwortschreibens>. Dieser Kritik ist die GRS substantiiert entgegengetreten
(Stellungnahme von August 1996, s. insbes. S. 50 ff ).
Diesen Einwendungen brauchte das Gericht im vorliegenden Verfahren nicht näher
nachzugehen, denn jedenfalls sind die vom BMU herangezogenen Gutachten nicht
als grob willkürlich oder schlechthin unvertretbar zu betrachten, in dem Sinne,
dass sie praktisch als "Nicht-Gutachten" anzusehen wären. Dies gilt gleichermaßen
für die vom Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten. Eine gerichtliche Kontrolle
der behördlichen Gefahrbewertung und damit mittelbar auch der dieser Bewertung
zugrundeliegenden Gutachten auf das Vorliegen von Ermittlungs- und
Bewertungsdefiziten wäre erst dann vorzunehmen, wenn eine behördliche
Bewertung in einen abschließenden Bescheid eingeflossen und von einem
Betroffenen zur gerichtlichen Überprüfung gebracht worden wäre.
aa) Zu einer im Vordergrund des Vorbringens der Kläger stehenden Thematik,
nämlich der Einschätzung der Brandgefahr, die vom sog. Rangierverteiler unter der
Warte ausgeht, existiert eine Vielzahl gutachterlicher Äußerungen, auf die hier
aber nicht im Detail einzugehen ist, weil es für die Frage, ob sich der behördliche
Beurteilungsspielraum auf die Annahme einer Gefahrenlage reduziert hat, auf
technische Einzelheiten nicht ankommt. Unter Berücksichtigung der dem Gericht
vorliegenden Stellungnahmen zu der genannten Problematik, insbesondere der -
nachfolgend lediglich kurz umrissenen - wichtigsten dieser Gutachten, ist der
Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Reduktion des behördlichen
Beurteilungsspielraums in dem oben beschriebenen Sinne, wie sie für die
Anerkennung eines Rechtsanspruchs der Kläger nach § 17 Abs. 5 AtG
Voraussetzung ist, nicht gegeben ist.
Bereits aufgrund der im Jahr 1988 in Auftrag gegebenen Sicherheitsanalyse hatte
der TÜV Bayern in seinem Zusammenfassenden Bericht vom Februar 1991 die
Empfehlung ausgesprochen, die CO2-Löschanlage im Rangierverteilerraum 3423
des Schaltanlagengebäudes entsprechend den heutigen Anforderungen kurzfristig
zu ertüchtigen (s. SIAN, Bd. 1, S. 16 des Anhangs ). Dieser
Empfehlung folgend ordnete der Beklagte mit Bescheid vom 27. März 1991 eine
entsprechende nachträgliche Auflage (Nr. 43) an.
Als Grundlage für die vom Beklagten später beabsichtigten atomaufsichtlichen
Verfügungen zog dieser zunächst ein Gutachten der Gutachtergemeinschaft Öko-
Institut e.V. Darmstadt/Lörrach (Öko-Institut) vom Februar 1994 heran, das sich
exemplarisch mit einigen der im Bescheid vom 27. März 1991 angeordneten
Auflagen, u.a. auch mit der auf die CO2-Löschanlage bezogenen,
auseinandersetzte (s. Gutachten III - 11 bis 46; Anlage 3 zum Schriftsatz vom 10.
April 1994, Ordner 1 zum Verfahren 14 Q 1326/94).
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Im April / Juni 1994 und im Mai 1995 bewertete eine vom Beklagten beauftragte
Arbeitsgemeinschaft Brandsicherheit (Prof. Dr. Schneider / Dr. Max) - AGB - die
Brandsituation im Rangierverteiler erneut (s. Gutachten über die Auswirkung von
Kabelbränden im Rangierverteiler des KKW Biblis Block A vom 15. Mai 1995; Anlage
zum Schriftsatz vom 28. Juni 1995, Ordner 2 zum Verfahren 14 Q 1326/94).
Zur Ausübung der Bundesaufsicht über die Tätigkeit der hessischen Atombehörde
beauftragte das BMU die GRS mit der Überprüfung der ihr vom Beklagten
vorgelegten und in dessen Verfügungsentwürfen zugrundegelegten Gutachten.
Diese nahm erstmals im Februar 1994 zu den brandschutztechnischen
Vorbehalten des Beklagten Stellung und nach Vorliegen der Gutachten der AGB
nochmals im November 1995.
Am 18. Juli 1995 wurde in einem siebenstündigen bundesaufsichtlichen Gespräch
die Brandschutzproblematik im KWB A unter Hinzuziehung von Sachverständigen
ausführlich erörtert, ohne dass es aber zu übereinstimmenden Bewertungen der
Lage kam.
Unabhängig von den vom Beklagten und dem BMU als Bundesaufsichtbehörde
jeweils eingeschalteten Gutachtern befaßte sich auch die Reaktor-
Sicherheitskommission (RSK) in einer Stellungnahme vom 10. August 1995
(Anlage 27 zum Schreiben des BMU vom 15. Mai 1996, Ordner 4 zum Verfahren
14 Q 1326/94) mit der Brandschutzthematik. Diese kam zu dem Ergebnis, dass
unter dem Gesichtspunkt redundanzübergreifender Brände bei allen deutschen
Kernkraftwerken kurzfristig keine Maßnahmen erforderlich sind. Doch empfahl sie
in Bezug auf einzelne Anlagen - so auch für das KWB A -, Maßnahmen zur weiteren
Reduzierung der Möglichkeit übergreifender Brände zu prüfen und ggf. mittelfristig
entsprechende Nachrüstungsmaßnahmen vorzunehmen. Ihre Empfehlung für das
KWB A (siehe S. 13 der RSK - Stellungnahme) zielte auf die Ertüchtigung der CO2-
Löschanlage - so wie sie von der Betreiberin beantragt worden war - sowie auf eine
Beschichtung von Kabeln in bestimmten Kreuzungsbereichen mit
Dämmschichtbildnern.
Mit den genannten Stellungnahmen der GRS setzten sich dann wiederum die AGB
und die vom Beklagten gleichfalls beauftragte Energie-Systeme-Nord GmbH (ESN)
im Januar 1996 kritisch auseinander (vgl. die mit der Gegenäußerung des
Beklagten vom 22. Januar 1996 zur bundesaufsichtlichen Stellungnahme vom 15.
Dezember 1995 dem BMU vorgelegten Gutachten), woraufhin auch die GRS im
August 1996 noch eine Gegenstellungnahme abgab. Auf letztere und zusätzlich
auf ein Gutachten von Prof. Hosser (iBMB der TU Braunschweig) stützte das BMU
dann seine bundesaufsichtliche Weisung vom 14. August 1996.
Dem Entwurf seiner aktuellen Widerrufsverfügung vom 4. März 1997 legte der
Beklagte in erster Linie das nunmehr vorliegende abschließende Gutachten der
ESN vom 15. Januar 1997 zu den systemtechnischen Auswirkungen von
Brandszenarien im Bereich des Rangierverteilers des KWB A (Anlage zum
Schriftsatz vom 30. Januar 1997, Ordner 7 zum Verfahren 14 Q 1326/94)
zugrunde.
Der Annahme einer Beurteilungsreduktion auf Null steht hier zum einen bereits
der (auch im Gutachten der ESN vom 15. Januar 1997 angesprochene)
Umstand entgegen, dass die Beigeladene gegen Ende des Jahres 1996 noch
etliche Änderungen im Rangierverteiler vorgenommen hat, die bei der
Betriebsbegehung Brandschutz am 5. / 6. Dezember 1996 wohl erstmals offiziell
zur Kenntnis genommen wurden (vgl. Mitteilungsschreiben des Beklagten an das
BMU vom 20. Januar 1997, Bl. 525 GA). Es handelt sich dabei um Maßnahmen zur
Vermeidung einer Dampferzeugerüberspeisung und die redundanztrennende
Umlegung von Reaktorschutzkabeln in andere Brandbereiche. Damit könnten die
bisherigen Gutachten, - mit Ausnahme des letzten Gutachtens der ESN, in dem
diese Veränderungen an der Anlage schon mit einbezogen sind - hinsichtlich ihrer
Aussagekraft für die aktuelle Bewertung der Gefahrenlage fraglich geworden sein.
Eine abschließende sicherheitstechnische Bewertung ist deshalb erst möglich,
wenn eine - auch von der ESN für erforderlich gehaltene - detaillierte Darstellung
der vorgenommenen Änderungen durch die Beigeladene erfolgt ist bzw. ein vom
Beklagten beauftragter Gutachter diese nachträglichen Veränderungen an der
Anlage in seine Wertung einbezogen hat.
Das genannte aktuellste Gutachten der ESN vom 15. Januar 1997, das diese
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Das genannte aktuellste Gutachten der ESN vom 15. Januar 1997, das diese
Veränderungen bereits berücksichtigen konnte, macht aber auch deutlich, dass
eine Reduzierung des behördlichen Beurteilungsspielraums auf die Annahme einer
Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen, die das Gericht berechtigte, -
gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines vom Gericht eingesetzten
Sachverständigen - eine Verpflichtung der Behörde zum Widerruf der
Genehmigung auszusprechen, nach der zum Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung bestehenden Sachlage nicht angenommen werden kann. Die in
diesem Gutachten getroffenen Wertungen vermögen nach Auffassung des Senats
nicht die Annahme einer Gefahr in dem oben beschriebenen Sinne als derart
zwingend darzutun, dass jede andere Bewertung grob willkürlich oder schlechthin
unvertretbar wäre, zumal in dem Gutachten nicht etwa kurzfristige Maßnahmen
zur Abwendung einer Gefahrenlage für unabdingbar gehalten werden.
Das ESN-Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass eine Abschaltung und
Unterkritikalitätshaltung des Reaktors im Sinne der übergeordneten Schutzziele
bis ca. 5 Stunden nach Störfalleintritt durch das Schnellabschaltsystem
sichergestellt werden kann. Für den langfristigen Zeitbereich bzw. für den Fall, dass
die Anlage durch Handmaßnahmen in den Zustand "kalt, unterkritisch" überführt
werden soll, sei eine Aktivierung der Notstandseinrichtungen, d. h. eine RX-
Systemstützung von Block B aus erforderlich (S. 34 - 36 des Gutachtens;
Bewertung dieses Einsatzes der Notstandseinrichtungen gehörte nicht zum
Gutachtensauftrag der ESN>). Die Sicherung des Kühlmittelverlustes sei
mittelfristig nicht gefährdet. Aufgrund der anzunehmenden Betriebsleckagen sei
ein Kühlmittelverlust in begrenztem Umfang möglich, der durch blockeigene
Systeme nicht ausgeglichen werden könne. Die langfristige Sicherstellung des
Schutzzieles könne nur durch die vorgesehene Heranziehung der
Notstandseinrichtung (RX-System) gewährleistet werden (S. 38).
Die zur Nachwärmeabfuhr benötigten Funktionen "Frischdampfabgabe und
Dampferzeugerbespeisung" seien unter Einbeziehung der veränderten
Kabelbelegung und Redundanzvervielfachung sichergestellt. Eine Unterstützung
durch Block B sei aber unverzichtbar. Im mittel- bis langfristigem Bereich sei der
Einsatz des Noteinspeisesystems RZ notwendig. In diesem Bereich sollten
Optimierungen vorgenommen werden. (S. 41)
Bezüglich des Schutzzieles "Einhaltung der Störfallplanungswerte" ergebe die
Prüfung, dass ein Brand im Rangierverteiler keinen Störfallverlauf erbringe, bei
dem es ursächlich zu einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen komme (S. 41),
da der Anlagenzustand über systemtechnische Einrichtungen unter Einschluß der
Notstandseinrichtungen stabilisiert werden könne. Desgleichen werde auch die
Energieversorgung durch ein Brandereignis nicht unzulässig gestört (S. 43).
Das Gutachten schließt mit einer Reihe von Empfehlungen, die überwiegend die
Vorlage bestimmter Darlegungen durch die Betreiberin, etwa in Bezug auf die an
der Kabelverlegung und an der Redundanzzuordnung vorgenommenen
Veränderungen, zum Gegenstand hat (S. 50 u. 51), und gelangt damit nicht zu
Feststellungen bzw. Wertungen, die die Annahme einer Gefahrenlage als zwingend
in dem oben beschriebenen Sinne erscheinen lassen.
Des Weiteren steht einem Anspruch der Kläger auf Widerruf der Genehmigung
entgegen, dass auch bei einer (unterstellten) Brandgefahr aufgrund des jetzigen
Zustandes des Rangierverteilers eine Abhilfe durch nachträgliche Auflagen in
Betracht kommt.
Der Beklagte selbst hatte zunächst lediglich eine einstweilige
Stillegungsanordnung (Entwurf vom Juli 1995; Anlage zum Schriftsatz des
Beklagten vom 22. Januar 1996, Ordner 3 zum Verfahren 14 Q 1326/94)
beabsichtigt, weil er es nicht für ausgeschlossen hielt, dass von der Betreiberin der
Nachweis der Einhaltung der übergeordneten Schutzziele - möglicherweise auch
unter Einbeziehung der beantragten Ertüchtigung der CO2-Löschanlage bzw.
weiterer passiver Brandschutzmaßnahmen - noch geführt werden könnte (s. Bl. 27
des Anordnungsentwurfs).
Auch die RSK (s. Protokoll der 294. Sitzung der RSK vom 10. August 1995, Anlage
27 zum Schriftsatz vom 15. Mai 1996, Ordner 4 zum Verfahren 14 Q 1326/94), die
GRS und die ESN haben in ihren oben genannten fachlichen Stellungnahmen
Empfehlungen für weitere Ertüchtigungsmaßnahmen in Bezug auf den
Brandschutz ausgesprochen, so dass eine Behebbarkeit der Gefahrensituation
durch den Erlass nachträglicher Auflagen nicht ausgeschlossen erscheint.
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bb) Auch aus der Erdbebenauslegung des KWB A läßt sich ein Anspruch auf
Genehmigungswiderruf nicht herleiten, da von einer Reduktion des behördlichen
Beurteilungsspielraums auf die Annahme einer Gefahrenlage nach Auffassung des
Senats nicht auszugehen ist.
Bei der Errichtung des KWB A wurden die sicherheitstechnisch wichtigen Gebäude
nach dem sog. quasi-statischen Verfahren gemäß der damals gültigen DIN 4149
für eine horizontale Bodenbeschleunigung von 1,5 m / sec2 ausgelegt und deren
ausreichende Bemessung nachgewiesen. Für die übrigen Bauwerke wurde eine
Horizontalbeschleunigung von 0,6 m / sec2 zugrundegelegt. Für die
maschinentechnischen Systeme und Komponenten wie auch die
elektrotechnischen Anlagenteile erfolgten damals im wesentlichen vereinfachte
Erdbebennachweise, z. B. mit statischen Ersatzlastverfahren (s. Stellungnahme
der GRS zu den Untersuchungen des Öko-Instituts e.V. zur Erdbebensicherheit des
Kernkraftwerks Biblis, Block A vom 21.07.1996 und 16.09.1996, Februar 1997, S.
13
1326/94>; vgl. auch Auflage Nr. 52 der 3. Teilerrichtungsgenehmigung vom 11.
Februar 1971).
Im Rahmen der vom TÜV Bayern durchgeführten schutzzielorientierten
Sicherheitsanalyse wurde das Bemessungserdbeben am Standort Biblis auf der
Basis probabilistischer Methoden mit den heute üblichen dynamischen
Rechenverfahren neu festgelegt, um danach die Erdbebensicherheit der Anlage zu
überprüfen und Empfehlungen für die Auslegung von Nachrüstungen aussprechen
zu können. Zugrundegelegt wurden dafür die von Prof. Hosser unter Mitwirkung
von Prof. Ahorner für den Standort neu ermittelten, standortspezifischen
realistischen seismischen Lastannahmen (Intensität: 7,75 +/- 0,5;
Eintrittswahrscheinlichkeit ca. 2 x 10-5 / Jahr; Bodenbeschleunigung 2 m/s2; s.
SIAN, Bd. 3; 2.1.1.; s. auch die oben bereits zitierte GRS-Stellungnahme vom
Februar 1997, S. 14 u. 43).
Die Überprüfung ergab, dass die Standfestigkeit für die sicherheitstechnisch
wichtigen Gebäude und das Primär- und das Sekundärsystem gegeben ist.
In Teilbereichen der Gebäude wie z.B. nicht tragenden Zwischenwänden und bei
Anschlußsystemen an den Primärkreis, für einige Betriebssysteme und Behälter
sowie für Teilbereiche der Elektro- und Leittechnik konnten diese Nachweise noch
nicht in vollem Umfang erbracht werden. Es wurde daher empfohlen, die
festigkeitsmäßige Auslegung zu überprüfen und ggf. zu ertüchtigen (s. SIAN, Bd. 1,
Zusammenfassender Bericht, S. 71).
Aufgrund der geringen Eintrittswahrscheinlichkeit des Sicherheitserdbebens (ca. 2
x 10-5 / Jahr) hielt der TÜV Bayern den Weiterbetrieb der Anlage bis zur
Realisierung der empfohlenen Maßnahmen für zulässig. Nach Auffassung des TÜV
sollte dies spätestens bis Ende 1993 erfolgen. Den vom TÜV abgegebenen
Empfehlungen wurde vom Beklagten mit dem Auflagenbescheid vom 27. März
1991 durch 10 Auflagen - weitgehend in Gestalt sog. Nachweisauflagen - Rechnung
getragen.
In dem oben zur Brandgefahr bereits erwähnten, vom Beklagten in Auftrag
gegebenen Gutachten des Öko-Institutes vom Februar 1994 (s. dort insbes. III -
83) wurde von den Gutachtern die vom TÜV Bayern angenommene
Eintrittswahrscheinlichkeit als zu optimistisch bewertet (III - 81). Ein beispielhaft
entwickeltes Störfallszenario zeige, dass selbst bei einer optimistischen
Einschätzung des Störfallablaufs eine Nichtbeherrschung erfolge, da mit den
verbleibenden Sicherheitssystemen keine gemäß dem Regelwerk ausreichenden
Sicherheitsreserven verblieben und als Folge ein Kernschmelzen unter hohem
Druck unterstellt werden müsse (III - 83). Auf dieses Gutachten stellte der Beklagte
in seinem Anordnungsentwurf für eine einstweilige Stillegung der Anlage vom
Februar 1994 ab.
Die vom BMU in Auftrag gegebene Stellungnahme der GRS vom 22. Februar 1994
(Anlage 8 zum Schriftsatz vom 10. April 1994, Ordner 1 zum Verfahren 14 Q
1326/94) und deren Ergänzung vom 10. März 1994, auf die die Weisung des BMU
vom 11. März 1994, mit der der Erlass der beabsichtigten Anordnung untersagt
wurde, Bezug nahm, kam zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung der
geringen Eintrittswahrscheinlichkeit für das Bemessungserdbeben (2 x 10-5), der
gegebenen Bauausführung, der systemtechnischen Redundanzen und der
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gegebenen Bauausführung, der systemtechnischen Redundanzen und der
Möglichkeit der Dampferzeugerbespeisung durch das Zusatzspeisewassersystem
RZ und das Notstandssystem RX die sicherheitstechnische Bedeutung der
Nachweisdefizite bzw. der noch nicht realisierten Ertüchtigungen gering sei. (s. dort
S. 41). Nach Auffassung der GRS (s. S. 42 a. E.) war ein angemessener Zeitraum
zur Erfüllung der Auflagen zur Ertüchtigung der Anlage weiterhin vertretbar.
Vom Beklagten war das Öko-Institut bereits im Jahr 1992 beauftragt worden,
ergänzende Untersuchungen zur Erdbebensicherheit im Rahmen der
Sicherheitsanalyse für das KWB A durchzuführen. Das vorgelegte aktuelle
Gutachten vom 21. Juli 1996 (Anlage zum Schriftsatz vom 12. Februar 1997,
Ordner 7 zum Verfahren 14 Q 1326/94) macht deutlich, dass nach Auffassung der
Gutachter die Korrektheit der bisher festgelegten oder empfohlenen seismischen
Bemessungsgrößen in den vorangegangenen Bewertungen (also etwa der des
TÜV Bayern in der Sicherheitsanalyse von 1991 als auch der der GRS in ihrer
Stellungnahme vom Februar 1994) nicht sichergestellt sei. Nach dem (heutigen)
Stand von Wissenschaft und Technik sei nicht gewährleistet, dass das aufgrund der
bisherigen Gutachten festgelegte Bemessungserdbeben für den Standort Biblis
ausreichend sei; dessen Neufestlegung werde daher empfohlen (s.
Zusammenfassung S. 104 des Gutachtens).
In einer Beratung am 19. Februar 1997 gelangte die RSK nach Anhörung
internationaler Experten zu der Feststellung, dass in Deutschland alle Regionen
bezüglich ihrer Seismizität weitgehend analysiert seien. Aufgrund der in
Genehmigungsverfahren durchgeführten Bewertungen der seismischen
Standortsituationen bestehe auch keine Veranlassung, Bedenken gegen die
Auslegung der deutschen Kernkraftwerke zu erheben. Eine eventuelle Nachrüstung
älterer Anlagen sei als Beitrag zur Risikominderung im Rahmen des
Gesamtsicherheitskonzeptes einzustufen (s. S. 25 der Weisung des BMU vom 7.
März 1997).
In ihrer letzten Stellungnahme vom 24. Februar 1997 kam die vom BMU
eingeschaltete GRS zu der Einschätzung, dass aufgrund von ihr durchgeführter
früherer und auch neuerer Untersuchungen zu sicherheitstechnisch wichtigen
Baustrukturen, Systemen und Komponenten sich keine Hinweise für den Verlust
von Sicherheitsfunktionen infolge Erdbebeneinwirkungen beim Abfahren der
Anlage auf den Zustand unterkritisch heiß bzw. kalt ergäben; insgesamt stelle der
derzeitige Zustand der relevanten Bauwerke, Systeme und Komponenten keinen
Gefahrenzustand dar. Die Umsetzung von beantragten, aber bisher nicht
genehmigten Ertüchtigungen der Erdbebenauslegung im Sinne einer weiteren
Risikominderung sollte zügig erfolgen. Dabei sollten prioritär Ertüchtigungen im
Bereich von Verankerungen, Abstützungen und Halterungen von
sicherheitstechnisch relevanten Komponenten durchgeführt werden. Dafür stellten
die in der SIAN festgelegten Lastannahmen für das Bemessungserdbeben eine
dem heutigen Kenntnisstand entsprechende Auslegungsvorgabe dar (S. 40 u. 44).
Unter Bezugnahme auf ein vom Beklagten erstelltes Protokoll eines
Fachgesprächs zur Erdbebensicherheit des KWB A am 8. Mai 1996 gelangte die
GRS zu der Feststellung, dass unter den anwesenden Sachverständigen
unterschiedliche Auffassungen über die laut Stand von Wissenschaft und Technik
anzuwendenden Methoden zur Ermittlung seismischer Lastannahmen bestanden
hätten. Aus dem Diskussionsverlauf könne keinesfalls abgeleitet werden, dass ein
unmittelbarer Bedarf für grundsätzliche Änderungen der bisherigen deutschen
Praxis der Erdbebenermittlung und -auslegung bestünde. Insbesondere bestehe
kein Anlaß, die seismischen Lastannahmen für den Standort Biblis in Zweifel zu
ziehen (S. 13).
Selbst wenn man entgegen dieser letztgenannten Einschätzung und in
Übereinstimmung mit dem oben zitierten aktuellen Gutachten des Öko-Instituts
vom Juli 1996 die dort geäußerten Zweifel an allen den bisherigen Bewertungen
zugrundegelegten seismischen Bemessungsgrößen teilt, läßt sich nach
gerichtlicher Einschätzung diesem Gutachten keine Aussage zu einer möglichen
Gefahrensituation entnehmen. Die angestellten Untersuchungen des Öko-
Institutes sind in dieser Hinsicht nicht aussagekräftig, da sie die
Erdbebenauslegung, wie sie bislang von den eingeschalteten Gutachtern gefordert
wurde, nicht im Ergebnis als falsch bezeichnen - das könnte erst aufgrund einer
(wohl sehr aufwendigen) Neufestlegung des Bemessungserdbebens geklärt
werden -, sondern nur die Korrektheit der bislang ermittelten Erdbebenauslegung
gemessen an der einschlägigen KTA-Regel 2201.1 nicht als sichergestellt ansehen;
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gemessen an der einschlägigen KTA-Regel 2201.1 nicht als sichergestellt ansehen;
eigenständige fachliche Bewertungen zu den seismischen Lastannahmen am
Standort Biblis wurden vom Öko-Institut gerade nicht abgegeben.
Die vom Öko-Institut geäußerten Zweifel an der Korrektheit der den bisherigen
Gutachten zugrundeliegenden seismischen Bemessungsgrößen können deshalb,
da sie das aktuelle kerntechnische Regelwerk zum Maßstab haben, allenfalls
Bedeutung für zukünftige Genehmigungsverfahren erlangen. Diese Auffassung
vertritt auch der Beklagte in seinem Schreiben an das BMU vom 31. Oktober 1996
(Anlage zum Schriftsatz vom 1. November 1996, Ordner 5 zum Verfahren 14 Q
1326/94), mit dem er dem BMU mitteilt, dass unter Berücksichtigung der
genannten gutachterlichen Erkenntnisse seiner Auffassung nach die bislang
zugrundegelegten seismischen Bemessungsgrößen nicht (mehr) zur Ermittlung
der erforderlichen Schadensvorsorge herangezogen werden könnten (S. 22 und
insbes. S. 25). Die Ermittlung neuer seismischer Kenngrößen erfordere aber einen
erheblichen zeitlichen Aufwand. Demzufolge könne die Beigeladene, die sich in den
Verfahren zur Beseitigung der Sicherheitsdefizite auf die veralteten Gutachten
stütze, eine ausreichende Schadensvorsorge zur Zeit nicht nachweisen.
Der dem älteren Gutachten des Öko-Instituts vom Februar 1994 zu
entnehmenden Wertung in Bezug auf die Dringlichkeit von Abhilfemaßnahmen
steht die gegensätzliche Beurteilung der dazu erfolgten GRS - Stellungnahme
gegenüber. Insbesondere auch unter Berücksichtigung der von der RSK nach
Anhörung internationaler Experten getroffenen Feststellung, dass in Deutschland
alle Regionen bezüglich ihrer Seismizität weitgehend analysiert seien, dass
aufgrund der in Genehmigungsverfahren durchgeführten Bewertungen der
seismischen Standortsituationen auch keine Veranlassung bestehe, Bedenken
gegen die Auslegung der deutschen Kernkraftwerke zu erheben und dass eine
eventuelle Nachrüstung älterer Anlagen als Beitrag zur Risikominderung im
Rahmen des Gesamtsicherheitskonzeptes einzustufen sei, kann deshalb von einer
im Sinne einer Beurteilungsreduktion zwingend anzunehmenden Gefahrenlage
nicht gesprochen werden.
cc) Letzteres gilt nach Auffassung des Senats ebenfalls für die von den Klägern
angesprochene Frage der Sicherheit der druckführenden Komponenten / Systeme
des KWB A (Erfüllung der Bruchpostulate).
Der von den Klägern zunächst herangezogene Zwischenbericht des TÜV Bayern ist
als überholt zu betrachten. Störfälle infolge eines Kühlmittelverlusts (KMV) sind
vom TÜV Bayern in seinem abschließenden Zusammenfassenden Bericht über die
Ergebnisse der Sicherheitsanalyse für das KWB A vom Februar 1991 (Bd. 1, S. 57 -
67f>) ausführlich behandelt worden. Durchgreifende Sicherheitsbedenken
bestanden danach nicht. Sofortmaßnahmen wurden nicht vorgeschlagen.
Empfohlene Ertüchtigungsmaßnahmen bzw. Nachweisforderungen standen nach
Auffassung des TÜV Bayern einem Weiterbetrieb der Anlage bis zur Realisierung
der Empfehlungen aus sicherheitstechnischer Sicht nicht entgegen.
Das vom Beklagten beauftragte Öko-Institut hat in seinem Gutachten vom 16.
September 1996 ("Abweichungen der sicherheitstechnischen Auslegung des KWB
A von den Anforderungen des kerntechnischen Regelwerks", Anlage zum
Schriftsatz vom 1. November 1996, Ordner 5 zum Verfahren 14 Q 1326/94) die
Basissicherheit druckführender Komponenten bewertet und diese nicht bzw. nur
eingeschränkt als nachgewiesen angesehen. Des Weiteren wird von den
Gutachtern bemängelt, dass der TÜV Bayern bei seiner Sicherheitsanalyse bereits
von der Umsetzung wesentlicher Empfehlungen von Prof. Kußmaul ausgegangen
sei, die redundante Maßnahmen zur Heranführung an die Basissicherheit
beinhalteten. Eine Vielzahl dieser Empfehlungen und auch der später dann vom
TÜV in seiner Sicherheitsanalyse abgegebenen Empfehlungen seien aber nicht
realisiert (IV - 19).
Aus dem Gutachten wird aber deutlich, dass eine Bewertung der Gefahrenlage
damit nicht geleistet werden sollte; so wird etwa zu dem nach Auffassung der
Gutachter unzureichenden Nachweis eines Leck-vor-Bruch-Verhaltens ausgeführt,
dass eine mögliche Anlagengefährdung erst mit dem entsprechenden Nachweis
für die vollständigen Rohrleitungssysteme analysierbar sei.
Der Vorschlag, den das Öko-Institut dem Beklagten unterbreitet, beschränkt sich
daher folgerichtig darauf, das tatsächliche Ausmaß der jeweiligen
Einzelabweichungen im Vergleich zu den Regelwerksanforderungen und dem
Stand von Wissenschaft und Technik herauszustellen sowie die unmittelbar daraus
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Stand von Wissenschaft und Technik herauszustellen sowie die unmittelbar daraus
resultierenden sicherheitstechnischen Auswirkungen zu analysieren. Da es sich
einerseits um eine Vielzahl von Einzelabweichungen handelt und andererseits die
Gesamtheit der Abweichungen Einfluß auf die Leckeintrittshäufigkeit sowie auf die
zu unterstellenden Leckquerschnitte für die Analyse der Störfallfestigkeit und der
Strahl- und Reaktionskräfte hat, wurde die weitergehende und integrale Bewertung
der Abweichungen von den Kriterien der Basissicherheit empfohlen (XII - 2).
Auch die Stellungnahme der GRS vom Februar 1997 (S. 15 - 18) macht deutlich,
dass eine Gefahrenlage nicht deswegen als zwingend angenommen werden muss,
weil die Voraussetzungen zur Anwendung der Bruchpostulate, die erst nach der
Errichtung der Anlage in das kerntechnische Regelwerk aufgenommen wurden,
hinsichtlich des KWB A nicht vollständig gegeben sind. Die GRS verweist auf die
geringe Eintrittswahrscheinlichkeit und darauf, dass im Rahmen der SIAN vom TÜV
Bayern keine Stellen aufgezeigt worden seien, die direkten Handlungsbedarf
erfordert hätten. Daher dienten die Maßnahmen zur Erfüllung der auf Empfehlung
des TÜV ergangenen Auflagen im Bescheid vom 27. März 1991 nach wie vor der
Risikominimierung und der Heranführung des KWB A an den Stand neuerer
Anlagen (S. 16). Insgesamt sei bei dem derzeitigen Anlagenzustand durch KMV -
Folgeschäden kein Gefahrenverdacht gegeben (S. 18).
Aufgrund der dargestellten gutachterlichen Äußerungen kommt eine
Beurteilungsreduktion in dem oben beschriebenen Sinne nicht in Betracht.
dd) Dies gilt auch für den in engem Sachzusammenhang damit stehenden, von
den Klägern aufgezeigten Gesichtspunkt einer Gefahr durch die Freisetzung und
Aufkonzentrierung von Wasserstoff in der Sicherheitsbehälteratmosphäre infolge
eines KMV - Störfalls.
Mit Bescheid vom 19. März 1987 erhielt die Beigeladene die 1985 beantragte
Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von Maßnahmen zur
Durchmischung des Wasserstoffs in der Sicherheitsbehälteratmosphäre (mit
Helium). Die Genehmigung wurde von der Beigeladenen aber nur teilweise
realisiert, weil sie an dieser zunächst beabsichtigten Lösung wegen neuer
Erkenntnisse nicht länger festhalten wollte.
Nach Auffassung des TÜV Bayern im SIAN-Bericht vom Februar 1991 (Bd. 4, 3.1 -
27 f und im Zusammenfassenden Bericht, S. 61 f) hat die Beigeladene mit einem
neu entwickelten Meßprogramm nachgewiesen, dass infolge der freien Konvektion
aus den bruchnahen unteren Räumen in den Kuppelraum die untere Zündgrenze
von 4 Volumenprozent Wasserstoff während des Störfalls nicht erreicht wird.
Voraussetzung hierfür sei die Sicherstellung von erforderlichen
Strömungsquerschnitten im Reaktorgebäude, z. B. das Öffnen von Türen am
Trümmerschutzzylinder. Da die auslösenden Ereignisse für die Entstehung
relevanter Wasserstoffkonzentrationen im Sicherheitsbehälter eine geringe
Eintrittswahrscheinlichkeit besäßen, bestünden gegen den Weiterbetrieb der
Anlage bis zur Realisierung der vorgeschlagenen Entlastungsöffnungen keine
sicherheitstechnischen Bedenken. Ca. 150 Tage nach Eintritt eines KMV-Störfalls
könnten Wasserstoffkonzentrationen von mehr als 4 Volumenprozent auftreten. In
der zur Verfügung stehenden Zeit könnten jedoch Maßnahmen ergriffen werden,
um den Reaktorsicherheitsbehälter zur Reduzierung der Konzentration mit
Außenluft zu spülen. Die dadurch verursachte radiologische Belastung der
Umgebung bleibe unter den zulässigen Grenzwerten.
In Umsetzung der vom TÜV Bayern abgegebenen Empfehlung forderte der
Beklagte im Bescheid vom 27. März 1991 mit der Auflage 28 die Durchführung von
Maßnahmen zur Sicherstellung der zur Ausbildung von freien
Konvektionsströmungen im Reaktorsicherheitsbehälter erforderlichen
Strömungswege.
Die Beigeladene aktualisierte im Juli 1993 ihren in diesem Zusammenhang im Jahr
1991 gestellten Änderungsantrag und begehrte die Genehmigung zur Anhebung
der Sumpftemperatur in Kombination mit geänderten Öffnungsdrücken an den
Klappen.
Das Öko-Institut kam in seinem schon mehrfach zitierten Gutachten vom Februar
1994 zu der Feststellung, dass von einem Mißlingen der Nachweiserbringung in
Bezug auf die vom TÜV Bayern in der SIAN für ausreichend gehaltene Schaffung
ausreichender Strömungsquerschnitte auszugehen sei und daher eine andere
Lösung, wie etwa die bereits genehmigte aktive Durchmischung realisiert werden
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Lösung, wie etwa die bereits genehmigte aktive Durchmischung realisiert werden
müsse (III - 6). Maßnahmen zur Beseitigung der Abweichung der Anlage von Punkt
24 der RSK - Leitlinien seien als Sofortmaßnahmen zu bewerten; dies begründete
das Öko-Institut u.a. damit, dass die probabilistische Abschätzung der
Störfallsequenz einen Wert für die Eintrittshäufigkeit von größer als 10-4 /
Reaktorjahr ergebe (s. III - 10).
Die GRS nahm auch zu diesem Punkt unmittelbar Stellung. Nach ihrer
Einschätzung sind die derzeit teilweise fehlenden Maßnahmen zur Beherrschung
der Wasserstoffentstehung beim KMV sicherheitstechnisch praktisch ohne
Bedeutung. Die beantragten Maßnahmen mit Sumpftemperaturanhebung seien
zur Erfüllung der entsprechenden Anforderungen geeignet (s. Stellungnahme vom
22. Februar 1994, S. 21 und S. 41).
Unter Bezugnahme auf ihre sicherheitstechnische Stellungnahme zur H2 -
Durchmischung vom November 1993, die dem Senat nicht vorgelegen hat, deren
Anforderung dem Gericht aber auch nicht geboten erschien, bestätigte die GRS in
ihrer aktuellen Stellungnahme vom 24. Februar 1997 (S. 18) noch einmal ihre
Einschätzung, dass durch die von der Beigeladenen beantragten Maßnahmen eine
Durchmischung der Sicherheitsbehälteratmosphäre erreicht werde, wodurch auch
langfristig keine reaktionsfähigen Wasserstoffkonzentrationen auftreten könnten.
Darüber hinaus liefen die Vorgänge sehr langsam (Wochenbereich) ab, so dass
ausreichend Zeit für Gegenmaßnahmen bleibe. Deshalb sei bisher nie, auch nicht
vom Beklagten, in Frage gestellt worden, dass die Ertüchtigungsmaßnahmen der
Risikovorsorge dienten.
Dass im Sinne einer Beurteilungsreduktion auf Null nur die gegenteilige
Einschätzung, also die Annahme einer "erheblichen Gefährdung" geboten ist, ist
nach Auffassung des Senats unter Berücksichtigung der dargestellten
gutachterlichen Bewertungen nicht zu erkennen.
Einem Anspruch auf Genehmigungswiderruf nach § 17 Abs. 5 AtG steht im übrigen
- wohl unstreitig - entgegen, dass eine nachträgliche Abhilfe in Betracht kommt,
indem die von der Beigeladenen vorgeschlagene Alternativmaßnahme (Erhöhung
der Sumpftemperatur) umgesetzt wird, denn auch nach Auffassung des Beklagten
erscheint diese Lösung grundsätzlich geeignet und mit geringem Aufwand auch
kurzfristig umsetzbar (s. Anordnungsentwurf vom Februar 1994, S. 37).
ee) Ein Anspruch auf Widerruf der Genehmigung läßt sich desgleichen nicht aus
dem Aspekt einer mangelnden Sicherung des KWB A gegen Störmaßnahmen und
sonstige Einwirkungen Dritter herleiten.
Der TÜV Bayern, aus dessen Sicherheitsanalyse vom Februar 1991 der Beklagte
die sechs Auflagen mit dem Gegenstand "Sicherung des KWB A" in seinem
Bescheid vom 27. März 1991 wörtlich übernommen hat, hat für seine Vorschläge
festgestellt, dass schon aufgrund der vorhandenen Sicherheitseinrichtungen ein
weitgehender präventiver Grundschutz der Anlage gegen ein breites Spektrum
möglicher Einwirkungen Dritter gewährleistet sei und deshalb den empfohlenen
Verbesserungen Mängel von geringer Risikorelevanz zugrunde lägen. In der
Folgezeit hat sich die tatsächliche Situation der Anlagensicherheit noch
nachweislich verbessert (vgl. Auflistung der Verbesserungen in der
bundesaufsichtlichen Stellungnahme vom 15. Dezember 1995, S. 38
zum Schriftsatz vom 22. Januar 1996, Ordner 3 zum Verfahren 14 Q 1326/94>
sowie nach neuestem Stand in der Anlage zur Weisung des BMU vom 14.8.1996,
S. 38 f <(Anlage zum Schriftsatz vom 21. August 1996, Ordner 5 zum Verfahren
14 Q 1326/94).
Der Beklagte folgerte in seinem einstweiligen Stillegungsanordnungsentwurf vom
Juli 1995 (Anlage zum Schriftsatz vom 22. Januar 1996, Ordner 3 zum Verfahren 14
Q 1326/94) das Vorliegen einer Gefahr im wesentlichen daraus, dass die vom TÜV
empfohlenen und im Auflagenbescheid festgeschriebenen Verbesserungen bisher
nur zu einem geringen Teil umgesetzt seien und darüber hinaus nicht
nachgewiesen sei, ob das KWB A hinreichenden Schutz gegen Störmaßnahmen
einer zugangsberechtigten Einzelperson gewährleiste.
Des Weiteren ist der Beklagte noch in seinem Bericht an das BMU vom 16.
September 1996 zum Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren aufgrund der
nachträglichen Auflagen vom 27. März 1991 (dort S. 4,
111/91, Aktentasche Bd. II der GA>) sowie in seinem Schreiben vom 31. Oktober
1996 (a. a. O., S. 31) an den BMU dieser Problematik nachgegangen.
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Den dort getroffenen Wertungen ist das BMU in seiner letzten Weisung vom 7.
März 1997 entgegengetreten.
Nach dem dem Gericht in diesem Zusammenhang bekannt gewordenen
Sachverhalt ist auch hier der Beurteilungsspielraum der Behörde nicht auf die
Annahme eines Gefahrenzustandes beschränkt.
ff) Zum gleichen Ergebnis kommt der Senat auch in Bezug auf den von den
Klägern vorgebrachten Umstand, dass das KWB A nicht über ein unabhängiges (=
externes) Notstandssystem verfügt. Das im KWB vorhandene Notstandssystem RX
dient in erster Linie dazu, eine Zerstörung des Schaltanlagengebäudes durch
Flugzeugabsturz zu beherrschen; es hat aber auch erhebliche Bedeutung für die
Sicherung der Anlage gegen Einwirkungen Dritter, also generell für Einwirkungen
von Außen (EVA).
Mit Hilfe dieses Systems besteht bei Ausfall der Dampferzeugerbespeisung von
Block A die Möglichkeit, über eine Querverbindung von Block B mit dessen
Notspeisepumpen und Speisewasservorräten zwei Dampferzeuger von Block A zu
bespeisen und umgekehrt.
Dieses System ist in einem sehr frühen Stadium der Diskussion um Störfälle
aufgrund EVA entstanden. Es deckt dementsprechend auch nicht lückenlos alle
denkbaren Anlagenzustände ab. So ist z.B. keine Notnachkühlkette zum
Kaltfahren der Anlage vorhanden. Die geringe Redundanz des Systems und
insbesondere die kurze für die Inbetriebnahme zur Verfügung stehende Zeit haben
in der probabilistischen Bewertung im Rahmen der Deutschen Risikostudie eine
geringe Zuverlässigkeit ergeben (SIAN, Bd. 3, 2.8. - 105, ).
Die Risikostudie Phase B mit der Referenzanlage Block B hatte bereits darauf
hingewiesen, dass etwa 70% der Eintrittshäufigkeit der durch die
Sicherheitssysteme nicht beherrschten Ereignisabläufe auf Ausfälle der
Speisewasserversorgung zur Bespeisung der Dampferzeuger entfallen. Dieser
dominierende Anteil werde durch das zusätzlich vorgesehene Notstandssystem
voraussichtlich stark vermindert (Zusammenfassende Darstellung, S. 87
ff). Diese Einschätzung trifft - wie der spätere SIAN - Bericht des TÜV bestätigt -
auch für Block A zu.
Nach der in der Sicherheitsanalyse gewonnenen Auffassung des TÜV Bayern
genügte jedoch das vorhandene Notstandssystem RX in Verbindung mit dem
zusätzlichen Sekundäreinspeisesystem RZ, mit dem die Möglichkeit einer
Bespeisung der Dampferzeuger bei Ausfall des Notspeisewassersystems und des
Notstandssystems RX erweitert wird (s. SIAN, Bd. 3. 2.8 - 106), der
Aufgabenstellung. Mit dem vorgesehenen neuen Notstandssystem werde jedoch
eine erhebliche Verbesserung erzielt (SIAN, Bd. 1, Zusammenfassender Bericht,
S. 47). Die von der Beigeladenen mit Antrag vom 18. Januar 1989 begehrte
Errichtung eines solchen neuen, unabhängigen Systems für Block A (auch für
Block B ist ein entsprechender Antrag gestellt) ist von dem Beklagten bislang nicht
genehmigt worden; eine solche wird vom Beklagten auch nicht in Aussicht gestellt.
In seinem Schreiben an das BMU vom 31. Oktober 1996 nimmt der Beklagte auf
eine Äußerung des ehemaligen Bundesumweltministers Prof. Töpfer vor einem
Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages im Jahr 1989 Bezug, in der
Prof. Töpfer im Zusammenhang mit den Vorkommnissen im KWB A vom
Dezember 1987 die Errichtung eines eigenständigen Notstandssystems zum
frühestmöglichen Zeitpunkt als Voraussetzung für den Weiterbetrieb des KWB
erachtete (S. 32). Diese Einschätzung wurde auch vom Beklagten in dem von
diesem veröffentlichten und von ihm im Eilverfahren 8 Q 2809/88 vorgelegten sog.
"Biblis-Bericht" (S. 21) geteilt. Beide Stellungnahmen stellten darauf ab, dass die
RSK bereits 1981 die Errichtung eines unabhängigen Notstandssystems für
erforderlich gehalten habe und dass diese Empfehlung der RSK die Errichtung von
Notstandssystemen bei allen deutschen Kernkraftwerken mit Ausnahme von Biblis
zur Folge gehabt habe.
Das Öko-Institut stellte in seinem bereits zitierten Gutachten vom 16. September
1996 eine Verknüpfung zu der Sicherheitsanalyse des TÜV Bayern her. Zum einen
habe der TÜV die baldige Realisierung des Notstandssystems unterstellt und
damit auf die Empfehlung, ein solches zu errichten, verzichten können. Zum
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damit auf die Empfehlung, ein solches zu errichten, verzichten können. Zum
anderen sei eine integrale Bewertung des Vorliegens einer Vielzahl von
Abweichungen vom kerntechnischen Regelwerk, die jede für sich nach Auffassung
des TÜV bis Ende 1993 hätten beseitigt werden müssen, nicht erfolgt. Für einen
Teil der Abweichungen stelle die Errichtung eines neuen Notstandssystems sogar
die einzige Möglichkeit zur Beseitigung dar. Daher hätte die Dringlichkeit der
Errichtung eines solchen Systems mindestens entsprechend der Kategorie 2, also
bis spätestens Ende 1993 angesetzt werden müssen.
Im Hinblick auf die von ihm angenommenen zahlreichen Abweichungen der
bestehenden Systeme RX und RZ vom kerntechnischen Regelwerk und auf das
Fehlen eines regelwerkskonformen und auf die zusätzlichen Anforderungsfälle im
KWB A abgestimmten Notstandssystems sprach das Öko-Institut die Empfehlung
aus, den Anlagenzustand von KWB A daraufhin sicherheitstechnisch zu bewerten
(a. a. O., XII-3).
Die GRS legte in ihrer aktuellen Stellungnahme vom 24. Februar 1997 dar, dass
hinsichtlich des bestehenden Notstandssystems des KWB A Unterschiede zu
solchen Systemen in anderen Anlagen vorlägen und dass es Sachverhalte gebe,
die mit den Anforderungen der RSK-Leitlinie nicht in Einklang stünden. Vorrangig
sei das Fehlen einer gegen äußere Einwirkungen nicht gesicherten
Notnachkühlkette zu nennen. Mit dem vorhandenen Notstandssystem sei es aber
möglich, die Anlage für mindestens 10 Stunden nach Eintritt des Notstandsfalles in
einem sicheren Zustand zu halten. Dieser Zeitraum könne für die Einleitung von
Reparatur- oder Ersatzmaßnahmen genutzt werden (S. 44). Die erkannten
Schwachstellen des vorhandenen Notstandssystems seien aufgrund von
Kompensationseffekten durch Anlagengegebenheiten und der zur Verfügung
stehenden Zeit für Reparaturmaßnahmen insgesamt nicht erheblich (S. 56).
Die Bewertung des derzeitigen Anlagenzustandes mit den vorhandenen
Notstandseinrichtungen zeige, dass die vom Beklagten angeführten
Schwachstellen dieser Notstandeinrichtungen keine wesentliche
sicherheitstechnische Bedeutung hätten, was auch darauf zurückzuführen sei,
dass seit der Planung des neuen Notstandssystems, das 1989 beantragt worden
sei, schon weitgehende Verbesserungen zur Gewährleistung von
Sicherheitsfunktionen im Notstandsfall durchgeführt worden seien. Im Vergleich
zum beantragten neuen Notstandssystem verbleibende Defizite könnten durch
eine Ertüchtigung der vorhandenen Einrichtungen in einer wesentlich kürzeren Zeit
realisiert werden als mit dem beantragten System. Wegen des dadurch
erreichbaren höheren Sicherheitsgewinns empfahl die GRS, die vorhandenen
Notstandseinrichtungen und die Leittechnik baldmöglichst zu verbessern (S. 62).
Damit bestehen auch hinsichtlich der Einschätzung der Risiken in Bezug auf das
Fehlen eines unabhängigen Notstandssystems beim KWB A unterschiedliche
gutachterliche Wertungen.
Zum einen gibt es die vom Beklagten im B.-Bericht von 1989 und dann auch in
seinem Schreiben an das BMU vom 31. Oktober 1996 geäußerte Einschätzung der
Notwendigkeit eines solchen Notstandssystems für den Weiterbetrieb der Anlage,
die von dem ehemaligen Bundesumweltminister Prof. Töpfer damals bereits vor
dem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages dargelegt worden war;
darin wird auf die erhebliche Bedeutung dieses Systems u. a. auch für die
Sicherung der Anlage hingewiesen.
Zum anderen hält die GRS in ihrer aktuellen Stellungnahme vom 24. Februar
1997, der sich das BMU mit seiner bundesaufsichtlichen Weisung vom 7. März
1997 angeschlossen hat, eine Ertüchtigung der vorhandenen
Notstandseinrichtungen für angebracht, sie mißt aber den erkannten
Schwachstellen dieser Einrichtungen keine wesentliche sicherheitstechnische
Bedeutung bei.
Vom Öko-Institut wird eine sicherheitstechnische Neubewertung des
Anlagenzustandes hinsichtlich des Fehlens eines eigenständigen
Notstandssystems empfohlen.
Im Hinblick auf diese unterschiedlichen Einschätzungen zu diesem Sachkomplex
erscheint eine abschließende behördliche Risikoermittlung und -bewertung
dringend geboten.
Bei der gegebenen Sachlage vermag das Gericht aber nicht - quasi im Vorgriff auf
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Bei der gegebenen Sachlage vermag das Gericht aber nicht - quasi im Vorgriff auf
eine solche Bewertung - eine Reduzierung des behördlichen
Beurteilungsspielraums auf die Annahme einer Gefahrenlage zu erkennen.
gg) Aber auch wenn man die zunächst in der SIAN und nachfolgend dann im
Auflagenbescheid des Beklagten vom 27. März 1991 angesprochenen
Sicherheitsdefizite in Bezug auf das KWB A in ihrer Gesamtheit ins Auge faßt und
den Umstand bewertet, dass die Auflagen überwiegend wohl einer Erfüllung noch
harren, vermag der erkennende Senat nicht zu der - für den geltend gemachten
Anspruch auf Genehmigungswiderruf nach § 17 Abs. 5 AtG ausschlaggebenden -
Einschätzung zu gelangen, dass sich in dem oben beschriebenen Sinne die
Annahme einer Gefahrenlage derart zwingend aufdrängt, dass jede andere
Bewertung grob willkürlich und schlechthin unvertretbar wäre.
Eine solche Einschätzung läßt sich dem auch mit dieser Fragestellung sich
beschäftigenden aktuellen Gutachten des Öko-Instituts unter gleichzeitiger
Berücksichtigung der dazu abgegebenen konträren Stellungnahme der GRS nicht
entnehmen.
Das Öko-Institut zog in seinem schon mehrfach erwähnten Gutachten vom 16.
September 1996 aus seinen Untersuchungen der Abweichungen der
Auslegungsmerkmale des KWB A im Vergleich zu den Anforderungen des
kerntechnischen Regelwerks die Schlußfolgerung, dass allein aus der offenen bzw.
nur teilweisen Realisierung der vom TÜV Bayern in seinen Empfehlungen
geforderten Maßnahmen bis zu den in der SIAN angegebenen Terminen sich die
Notwendigkeit ergebe, kurzfristig eine sicherheitstechnische Bewertung der
Tatsache herbeizuführen, dass die dem Auflagenbescheid vom 27. März 1991
zugrundeliegenden Defizite in der Auslegung des KWB A zu einem großen Teil noch
nicht beseitigt sind (XII - 1). Wegen der Vielfalt der Bezüge und Wechselwirkungen
zwischen den verschiedenen einzelnen und übergreifenden Abweichungen und des
bisherigen Fehlens einer integralen Bewertung des Ist-Zustandes des KWB A
empfahl das Öko-Institut eine kurzfristige Umsetzung der vorgeschlagenen
Maßnahmen.
Die GRS vertrat in ihrer Stellungnahme vom Februar 1997 die Auffassung, dass die
vom TÜV in der SIAN getroffene Bewertung der Mängel als gering risikorelevant
auch heute noch zutreffe. Dabei seien die zwischenzeitlich angefallenen
Betriebserfahrungen aus der Anlage, die derzeitigen Anlagengegebenheiten und
die durchgeführten probabilistischen Sicherheitsbewertungen berücksichtigt. Auch
aus den erkannten Mängeln bei den Maßnahmen zur Beherrschung des
Ereignisses VE-Leck im Hilfsanlagengebäude resultiere kein Gefahrenzustand für
die Anlage im Betrieb, wenn dieses Ereignis auch wesentlich das Sicherheitsniveau
der Anlage gemessen an probabilistischen Kenngrößen bestimme. Eine zügige
Realisierung beantragter und bisher nicht genehmigter Änderungen sei deshalb
angebracht. Unter Berücksichtigung aktualisierter PSA - Daten (Probabilistische
Sicherheitsanalyse - Daten) für das KWB A zeige sich, dass sich die Anlage
ansonsten gut in das allgemeine Sicherheitsniveau von Kernkraftwerken einfüge
(S. 55).
Anhaltspunkte dafür, dass sich damit unter Berücksichtigung eindeutiger
wissenschaftlicher Erkenntnisse und allgemein anerkannter technischer
Erfahrungen die Annahme einer Gefahrenlage derart zwingend aufdrängt, dass
jede andere Bewertung grob willkürlich und schlechthin unvertretbar wäre, sind für
den Senat nach alledem nicht erkennbar, so dass der beantragte
Verpflichtungsausspruch durch das Gericht nicht erfolgen konnte.
(2.2) Die Kläger haben aber einen Anspruch auf Bescheidung ihres
Aufhebungsbegehrens nach Maßgabe des § 17 Abs. 5 AtG unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts.
Wie oben unter (2.1) bereits dargelegt haben die Kläger mit ihrem ersten
Aufhebungsantrag vom 22. März 1988 und nach Bescheidung dieses Antrags dann
mit einem (weiteren) Antrag vom 3. Februar 1994 ihr Begehren auf neue, d. h.
nach Genehmigungserteilung bzw. nach Bescheiderlass eingetretene, für ihr
Aufhebungsbegehren günstige und rechtlich erhebliche Umstände zur Annahme
einer Gefahrenlage gestützt. Sie haben damit nach allgemeinen Grundsätzen
zulässige Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens unter dem
Gesichtspunkt des § 17 Abs. 5 AtG geltend gemacht, so dass ihnen insoweit ein
Anspruch auf sachliche Bescheidung zusteht.
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Dieser Bescheidungsanspruch der Kläger hinsichtlich ihres Antrags vom 22. März
1988 (Anlage zur Klageschrift vom 10. Oktober 1989 im vorliegenden Verfahren,
Bd. 1 GA) ist auch nicht bereits dadurch erfüllt, dass die Behörde im Jahr 1989 auf
diesen Antrag eine Prüfung vorgenommen und mit Bescheid vom 18. September
1989 eine Sachentscheidung getroffen hat, denn im vorliegenden Klageverfahren
ist nach Meinung des Senats auch für das - hilfsweise geltend gemachte -
Bescheidungsbegehren auf den aktuellen Zeitpunkt abzustellen.
Für die Beurteilung der Begründetheit eines Bescheidungsantrags ist -
entsprechendes gilt für einen Verpflichtungsantrag - nach herrschender Meinung
grundsätzlich der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich und zwar
unabhängig davon, ob der Behörde in der Sache ein Ermessens- oder ein
Beurteilungsspielraum zukommt (s. Kopp, VwGO, § 113, Rdnr. 95 m.w.N.).
Diese Regel gilt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht
uneingeschränkt, aus dem materiellen Recht können sich Abweichungen ergeben
(vgl. etwa Urteil vom 28. Juli 1989 - BVerwG 7 C 39.87 -, BVerwGE 82, 260 <261>
m.w.N. aus seiner Rechtsprechung).
Ein Abweichen von dieser Regel ist aber vorliegend nicht geboten. Ob das
Atomrecht grundsätzlich eine abweichende Behandlung erfordert - zu dieser Frage
hat das Bundesverwaltungsgericht bislang soweit ersichtlich noch keine Stellung
bezogen - braucht vom Senat vorliegend nicht für alle denkbaren Fälle
entschieden zu werden. Denn jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung spricht
alles für eine Berücksichtigung der nach dem Ergehen der Behördenentscheidung
aus dem Jahr 1989 bekannt gewordenen neuen, für die behördliche
Gefahreinschätzung auch rechtserheblichen Erkenntnisse.
Zum einen haben die Kläger nach Ergehen dieses Bescheides förmlich einen
(neuen) Antrag an die Behörde gerichtet und in diesem Antrag vom 3. Februar
1994 (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 10. April 1994, Ordner 1 zum Verfahren 14 Q
1326/94) ausdrücklich auf die nach Einholung von Gutachten durch den Beklagten
neu bekannt gewordene Sicherheitsmängel hingewiesen und damit nach
allgemeinen Grundsätzen zulässige Gründe für eine Wiederaufnahme des
Verfahrens geltend gemacht.
Im übrigen liegt die Besonderheit der vorliegenden Fallkonstellation darin, dass die
von den Klägern für ihr Antragsbegehren herangezogenen neuen Gründe der
Behörde längst bekannt waren, denn die für das Begehren maßgeblichen neuen
Erkenntnisse waren von ihr selbst unter Einschaltung von Gutachtern ermittelt
worden.
In der vorliegenden Fallgestaltung entfällt damit also das gegen eine
Berücksichtigung dieser neuen Umstände durch das Gericht sprechende
Argument, dass die Behörde zunächst Gelegenheit gehabt haben muss, sich mit
dem neuen Vorbringen auseinanderzusetzen.
Damit besteht für eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der wegen der
eingetretenen neuen Umstände als überholt zu betrachtenden Bewertung in dem
Bescheid vom 18. September 1989 kein rechtliches Interesse mehr, so dass der
Senat nicht gehalten ist, darüber zu befinden, ob die damalige behördliche
Bewertung, abstellend auf den Zeitpunkt ihres Erlasses, rechtlich zu beanstanden
war.
Über den Antrag der Kläger auf Widerruf der atomrechtlichen Genehmigung nach §
17 Abs. 5 AtG wird deshalb der Beklagte unter Berücksichtigung der aktuellen
Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine (neue)
Sachentscheidung herbeizuführen haben.
Gemäß den allgemeinen Grundsätzen über das Wiederaufgreifen von
abgeschlossenen Verwaltungsverfahren wird der Beklagte bei seiner Prüfung des
Widerrufsantrags allein auf das Vorbringen der Kläger abzustellen haben; andere
als die von diesen angeführten Gründe darf er der beantragten Entscheidung nicht
zugrunde legen (s. Kopp, VwVfG, § 51, Rdnr. 37).
Soweit also nach Erlass des Bescheides vom 18. September 1989 neue
Erkenntnisse vorliegen, weil das KWB A seit diesem Zeitpunkt einer Vielzahl von
Untersuchungen durch die verschiedensten Gutachter unterzogen worden ist -
allein die Sicherheitsanalyse des TÜV Bayern, die im Jahr 1991 mit einem
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allein die Sicherheitsanalyse des TÜV Bayern, die im Jahr 1991 mit einem
umfassenden Bericht abgeschlossen wurde, brachte eine Fülle neuer Erkenntnisse
zum Sicherheitsstand der Anlage -, sind die von den Klägern in das
Wiederaufnahmeverfahren eingeführten, für die behördliche Gefahrbewertung
rechtserheblichen neuen Umstände von dieser in ihrer Entscheidung zu
berücksichtigen.
Bei ihrer Bescheidung wird die Behörde die oben dargestellte Rechtsauffassung
des Gerichts zum Gefahrbegriff des § 17 Abs. 5 AtG zu beachten haben. Diesem
Gefahrbegriff wird eine für die Gefahrbewertung notwendige behördliche
Schadensprognose nicht gerecht, die allein anhand einer an deterministischen
Kriterien ausgerichteten Betrachtungsweise getroffen wird; nicht die Feststellung,
dass die Anlage unter Anlegung der für das Genehmigungsverfahren
maßgebenden Maßstäbe ein Sicherheitsdefizit aufweist, weil sie von dem heutigen
kerntechnischen Regelwerk abweicht, stellt die eigentliche Risikobewertung dar,
sondern es müssen darüber hinaus (ergänzend) probabilistische Erwägungen zur
Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts angestellt werden, der seine Ursache in
dem festgestellten Auslegungsdefizit haben kann, denn Gefahr ist - wie dargelegt -
nicht identisch mit dem Wegfall der Genehmigungsvoraussetzung "erforderliche
Schadensvorsorge."
Gegenstand der behördlichen Gefahrbewertung muss dabei stets die gesamte
Anlage sein; maßgeblich ist also der jeweilige Gesamtzustand der Anlage, so dass
sich die Risikoanalyse nicht nur auf die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter
Einzelrisiken beschränken darf (sog. integrale Risikobetrachtung, s. Schneider,
a.a.O., S. 139; so auch die Empfehlung des Öko-Instituts im Gutachten vom 16.
September 1996).
Soweit für die Einschätzung der Gefahrenlage bereits Sachverständigengutachten
eingeholt worden sind - dies trifft in besonderem Maße für die Brandgefahr im
Rangierverteiler und deren Auswirkungen zu -, wird der für die Bescheidung der
Anträge der Kläger zuständige Beklagte nicht allein auf die von ihm in Auftrag
gegebenen Gutachten zurückgreifen können, sondern er wird sich auch mit den
von der GRS und teilweise auch von der RSK abgegebenen gegensätzlichen
Einschätzungen, so etwa zur Brandgefahr im Rangierverteiler, befassen müssen. In
Bezug auf letztere wird er die von ihm mehrfach - etwa in seiner Gegenäußerung
vom 22. Januar 1996 auf die bundesaufsichtliche Stellungnahme vom 15.
Dezember 1995 und zuletzt wiederum in seinem Schreiben an das BMU vom 30.
Januar 1997 - geäußerten Zweifel an der gutachterlichen Stellungnahme der GRS
und die daraufhin von der GRS abgegebenen Erwiderungen zu berücksichtigen und
dabei auch die rechtlichen Vorgaben dieser gerichtlichen Entscheidung
einzubeziehen haben.
In Bezug auf den Brandschutz im Rangierverteiler macht insbesondere das letzte
Gutachten der ESN vom 15. Januar 1997 deutlich, dass eine für die Beurteilung der
Gefahrenlage erforderliche umfassende schutzzielorientierte Bewertung der
sicherheitstechnischen Einrichtungen des KWB A nicht ohne eine - von diesem
Gutachten mangels entsprechender Ausweitung des Gutachtensauftrags nicht
geleistete - Bewertung der Unterstützung durch Block B (RX-System) sowie durch
das Notspeisesystem RZ erfolgen kann. Im Hinblick auf die bereits vorliegenden
gegensätzlichen Bewertungen dieser Systeme durch die GRS einerseits und das
Öko-Institut andererseits wird deshalb eine abschließende, integrale und
schutzzielorientierte sicherheitstechnische Bewertung des Ist-Zustandes des KWB
A, deren kurzfristige Umsetzung auch vom Öko-Institut in seinem Gutachten vom
16. September 1996 empfohlen worden ist, eine abschließende Bewertung dieser
Hilfssysteme einzubeziehen haben.
Die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG
fordert in Bezug auf eine gerichtliche Nachprüfbarkeit der noch vorzunehmenden
behördlichen Entscheidung nach Auffassung des Senats als Maßstab sowohl für
die zu treffende behördliche Gefahrermittlung und -bewertung als auch für die dem
vorausgehende gutachterliche Wertung, auf die die Behörde dann Zugriff nehmen
kann, die Vertretbarkeit und insbesondere die Nachvollziehbarkeit des gefundenen
Ergebnisses.
In Anlehnung an den von Marburger (a.a.O., S. 47 f) entwickelten Kriterienkatalog
für die Vertretbarkeit wissenschaftlich - technischer Erkenntnisse bedeutet das
auch nach Auffassung des Senats, dass zumindest
- der Gutachter nach Ausbildung, Tätigkeit und Erfahrung auf dem betreffenden
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- der Gutachter nach Ausbildung, Tätigkeit und Erfahrung auf dem betreffenden
Wissensgebiet sachkompetent sein muss,
- die Bewertung bei anerkannten Grundlagen wissenschaftlicher Erkenntnis ansetzt
und auf einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit allen zum Problem vertretenen
Ansichten beruht,
- das gefundene Ergebnis folgerichtig, in sich widerspruchsfrei und nachprüfbar
sein muss; letzteres setzt voraus, dass wenigstens der zugrundegelegte
Sachverhalt und die angewandte Bewertungsmethode offengelegt werden.
Für die behördliche Bewertung ist unter Zugrundelegung des genannten
Maßstabes der Vertretbarkeit in erster Linie auf Sachverständigengutachten
zurückzugreifen sowie auf wissenschaftliche, also regelmäßig physikalisch-
mathematische Nachweise.
Sollte aber eine solche Nachweisführung ausscheiden, ist nach Auffassung des
Senats mangels anderweitiger Erkenntnismittel auch eine sog.
ingenieurtechnische Beurteilung, auf die die oben genannten Kriterien
entsprechend zutreffen, für die Ermittlung und Bewertung einer Gefahrenlage
heranziehbar.
Sollte der Beklagte bei seiner abschließenden Prognose zu dem Ergebnis
gelangen, dass eine Gefahrenlage im oben beschriebenen Sinne gegeben ist, wird
er weiterhin zu bewerten haben, ob die in den Bescheiden vom 27. März 1991
angeordneten Auflagen aufgrund ihres Regelungsinhalts auch nach dem neuesten
Erkenntnisstand in Bezug auf die Anlage überhaupt noch dazu geeignet sind, eine
angenommene Gefahrenlage dauerhaft zu beseitigen. Denn hinsichtlich aller in
Betracht kommenden Abhilfemöglichkeiten hat der Beklagte auf den aktuellen
Stand von Wissenschaft und Technik abzustellen.
Deshalb braucht der Senat im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu befinden,
wie die aufgrund der Auflagenbescheide vom 27. März 1991 von der Beigeladenen
eingeleiteten Genehmigungsverfahren zum Abschluss gebracht werden können,
ob also etwa durch den betreffenden Bescheid bindende Vorgaben in Bezug auf
das zu beherrschende Bemessungserdbeben gemacht wurden, was ein
"Einfrieren" der in dem Bescheid überwiegend enthaltenen Nachweisforderungen
auf den damaligen Stand von Wissenschaft und Technik zur Folge haben könnte
und ob diese Folge von der Behörde nur durch eine nachträgliche Abänderung /
Anpassung der Auflagen an den jetzigen Stand von Wissenschaft und Technik
verhindert werden könnte.
Dieser Punkt, der zwischen der Behörde und der Beigeladenen streitig ist, hat für
das vorliegende Klageverfahren keine Bedeutung. Denn die Behörde hat für die
vorzunehmende Bescheidung der Anträge der Kläger nicht nur in Bezug auf die
Gefahrermittlung und -bewertung, sondern auch hinsichtlich der Prüfung einer
Abhilfemöglichkeit den aktuellen Wissensstand zugrundezulegen. In Betracht
kommt für eine Abhilfe deshalb die Umsetzung einer bereits verfügten Auflage
bzw. einer Nachweisforderung nur dann, wenn auch nach neuestem
Erkenntnisstand mit dieser Auflage die angenommene Gefahrenlage beseitigt
werden kann. Ist dies nicht der Fall, so kommt der Erlass einer gänzlichen neuen
Auflage / Nachweisforderung oder aber auch die Anpassung einer bereits im
Bescheid vom 27. März 1991 verfügten Auflage an den aktuellen Stand von
Wissenschaft und Technik durch nachträgliche Abänderung derselben in Betracht.
Das bedeutet, dass auch eine erst aufgrund neuester Erkenntnisse möglich
erscheinende Abhilfemöglichkeit zu Gunsten der Beigeladenen ebenso zu
berücksichtigen ist wie zu Lasten derselben das Ausscheiden einer solchen
Möglichkeit nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik.
Für die gleichfalls vorzunehmende Bewertung, ob eine Nachrüstung des KWB A zur
Behebung der Gefahrenlage in einem angemessenen Zeitraum möglich ist, wird
deshalb insbesondere dem vom Beklagten in seinem Schreiben vom 31. Oktober
1996 an das BMU in Bezug genommenen Gutachten des Öko-Institutes zur
Erdbebensicherheit vom 21. Juli 1996 Bedeutung zukommen, weil darin die
Auffassung vertreten wird, die Erdbebengefährdung am Standort Biblis sei bisher
nicht entsprechend den Anforderungen der KTA-Regel 2201.1 ermittelt worden. Die
Korrektheit der festgelegten oder empfohlenen seismischen Bemessungsgrößen
in den bewerteten Gutachten und Berichten sei damit nicht sichergestellt, und
nach dem (heutigen) Stand von Wissenschaft und Technik sei dementsprechend
nicht gewährleistet, dass das aufgrund der bisherigen Gutachten festgelegte
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nicht gewährleistet, dass das aufgrund der bisherigen Gutachten festgelegte
Bemessungserdbeben für den Standort Biblis ausreichend sei; dessen
Neufestlegung werde empfohlen (s. S. 37 ff des Gutachtens).
Die Richtigkeit dieser gutachterlichen Auffassung unterstellt, könnte damit -
jedenfalls momentan - die Beigeladene für alle zur Behebung der
Erdbebengefährdung in Betracht kommenden Auflagen nicht den Nachweis der
nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen
Schadensvorsorge erbringen, weil ein solcher Nachweis unter Bezugnahme auf die
bislang angenommenen seismischen Bemessungsgrößen danach zweifelhaft ist.
Darauf ist die Beigeladene vom Beklagten in den Genehmigungsverfahren im
Zusammenhang mit den Auflagenbescheiden vom 27. März 1991 bereits
schriftlich hingewiesen worden.
Mit diesem behördlichen Hinweis darf es aber nicht sein Bewenden haben. Der
Beklagte wird die Untersuchungen des Öko-Institutes schon deshalb sorgfältig zu
bewerten haben, weil die GRS und ihr folgend das BMU in seiner letzten Weisung
vom 7. März 1997 zu der gegensätzlichen Bewertung kommen, dass nämlich die
im Rahmen der SIAN festgelegten seismischen Lastannahmen für das
Bemessungserdbeben eine dem heutigen Kenntnisstand entsprechende
Auslegungsvorgabe darstellen (vgl. die Zusammenfassung der Stellungnahme der
GRS vom 24. Februar 1997 zu den Untersuchungen des Öko-Institutes e.V. zur
Erdbebensicherheit des Kernkraftwerks Biblis Block A vom 21. 07. 1996 und
16.09.1996, insbes. S. 44).
Sollte die Behörde zu dem Ergebnis kommen, sich der Auffassung des Öko-
Institutes anzuschließen, so wird sie - soweit dies für die Entscheidung über in
Betracht kommende Abhilfemöglichkeiten rechtserheblich ist - die von diesem
Gutachten aufgeworfenen Zweifel klären und die Anforderungen an eine
erforderliche Schadensvorsorge neu festlegen müssen. Denn grundsätzlich reicht
es nicht aus, dass die Behörde lediglich bekundet, welchen Nachweis sie nicht
(mehr) für ausreichend hält, sondern sie muss nach Auffassung des Senats dann
auch vorgeben, welche (Genehmigungs-) Anforderungen sie in Bezug auf eine
ausreichende Erdbebenauslegung stellt.
Zu Recht weist daher auch das BMU in seiner Weisung vom 7. März 1997 (S. 47)
darauf hin, dass bei unterstellter Erforderlichkeit einer Neuermittlung des
Bemessungserdbebens lediglich eine Ungewißheit darüber vorliegt, ob für die
beantragten Veränderungen - gleiches muss für nachträgliche Auflagen gelten, die
ein Genehmigungserfordernis auslösen - die Genehmigungsvoraussetzung der
erforderlichen Vorsorge gegen Schäden gewährleistet ist.
Nur wenn aufgrund einer zu erwartenden sehr langen Bearbeitungsphase für
erforderlich werdende neue Erdbebengutachten der Erlass nachträglicher Auflagen
und deren Umsetzung nicht mehr in angemessener Zeit möglich sein sollte,
scheidet eine Abhilfemöglichkeit im Sinne des § 17 Abs. 5 AtG aus. Für die
Bewertung des Tatbestandsmerkmals "in angemessener Zeit" wird die Behörde
deshalb zu berücksichtigen haben, ob die Hinnahme der zu erwartenden weiteren
zeitlichen Verzögerung im Hinblick auf die Größe der Gefahr, der mit der
nachträglichen Abhilfe begegnet werden soll, vertretbar, d. h. verantwortbar
erscheint.
Ähnliche Erwägungen gelten für das beantragte Notstandssystem. Sollte dessen
Fehlen als Gefahr zu bewerten sein, so wird ein Zeitraum von 8 Jahren bis zur
Realisierung- unterstellt diese Einschätzung ist realistisch - wohl nicht mehr als
angemessen für eine Abhilfe zu betrachten sein.
Für die gesamte abschließende Gefahreinschätzung wird letztlich das
Weisungsverhältnis zwischen dem Beklagten und dem BMU ausschlaggebend
werden; dieses Weisungsverhältnis ist aber nach außen hin, also sowohl gegenüber
dem Gericht in diesem Verfahren als auch gegenüber den Klägern bei der
vorzunehmenden Bescheidung rechtlich unerheblich, denn nach außen tritt
aufgrund der sog. Wahrnehmungskompetenz allein die zuständige hessische
Atombehörde in Erscheinung (vgl. dazu BVerfG, 2. Senat; Urteil vom 22. Mai 1990,
Az: 2 BvG 1/88, DVBl 1990, S. 763 - 770).
(2.3) Soweit die Kläger die Aufhebung der Genehmigung nicht aus Gründen einer
erheblichen Gefährdung im Sinne des § 17 Abs. 5 AtG, sondern unter Berufung auf
die in den fakultativen Aufhebungsregelungen des § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2 und
3 AtG angeführten Gründe begehren, können sie damit ebenfalls nicht
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3 AtG angeführten Gründe begehren, können sie damit ebenfalls nicht
durchdringen; der Beklagte ist aber auch insoweit zu einer Bescheidung des
Antrags der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
verpflichtet (s. u. 2.4).
Zwar können sich die Kläger für ihr Aufhebungsbegehren grundsätzlich auf die
fakultativen Aufhebungsregelungen des § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2 AtG berufen,
da diesen nach Auffassung des Senats insoweit eine drittschützende Wirkung
zukommt, als eine Aufhebung wegen der Nichteinhaltung drittschützender
Genehmigungsvoraussetzungen verlangt wird. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Genehmigungsverfahren
nach § 7 Abs. 2 AtG vermittelt dessen Nr. 3 für den Bereich der erforderlichen
Schadensvorsorge, d.h. also nicht nur für den Bereich der Gefahrenabwehr,
Drittschutz (zuletzt Urteil vom 21.8.1996, Az: 11 C 9.95 ); der
drittschützende Charakter ist gleichfalls für die Genehmigungsvoraussetzung des §
7 Abs. 2 Nr. 5 AtG (Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen
Dritter) anerkannt.
Da sich die Rücknahme- wie auch die Widerrufsmöglichkeit einer Genehmigung
nach § 17 Abs. 2 bzw. nach Abs. 3 Nr. 2 AtG gerade durch den Hinweis auf die
nicht (mehr) gegebenen Genehmigungsvoraussetzungen quasi als "actus
contrarius", also als Rückabwicklungsakt zu der Genehmigungserteilung darstellt,
ist nach Meinung des erkennenden Senats die drittschützende Wirkung quasi
spiegelbildlich zu dem im Genehmigungsverfahren anzuerkennenden Umfang
anzunehmen. Dafür spricht auch, dass mit dem Verweis in den beiden
letztzitierten Regelungen auf die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2
AtG letztlich die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen gesichert werden
soll; in diesen Fällen ist aber überwiegend anerkannt, dass dann zur Ermittlung der
drittschützenden Wirkung nicht auf die verweisende Vorschrift, sondern auf die in
Bezug genommene Vorschrift abzustellen ist (vgl. dazu Jarass, Kommentar zum
BImSchG, 2. Aufl., § 6 Rdnr. 38).
Der gesetzlichen Bestimmung des § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG ist ebenfalls eine
drittschützende Wirkung insoweit beizumessen, als der darin angesprochene
Verstoß des Anlagenbetreibers sich gegen eine Norm des Atomgesetzes bzw.
einer darauf beruhenden Rechtsverordnung, gegen eine behördliche Verfügung
oder gegen eine Genehmigungsbestimmung richtet, die ihrerseits wiederum
(auch) dem Schutz Dritter dienen sollen, oder soweit vom Betreiber eine ebenfalls
den Drittschutz bezweckende nachträgliche Auflage nicht eingehalten wird.
Ein Anspruch auf Verpflichtung der Behörde zur Aufhebung der atomrechtlichen
Genehmigung unter Zugrundelegung der die Rücknahme bzw. den Widerruf in das
behördliche Ermessen stellenden und den Klägern nach oben Gesagtem auch
Drittschutz vermittelnden Vorschriften des § 17 Abs. 2 und Abs. 3 AtG scheitert
aber bereits daran, dass ein (verfahrensrechtlicher) Anspruch der Kläger auf eine
neue Sachentscheidung durch die Behörde insoweit nicht gegeben ist.
Hinsichtlich der fakultativen Aufhebungsvorschriften besteht nach Auffassung des
Senats - wie in Bezug auf die §§ 48, 49 VwVfG anerkanntermaßen auch - lediglich
ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Wiederaufnahme
des Verfahrens in Form einer erneuten Sachentscheidung (sog. Wiederaufgreifen
im weiteren Sinne; vgl. dazu Sachs in Stelkens / Bonk, Kommentar zum VwVfG, §
51, Rdnr. 9 ff).
Gesichtspunkte, die zu einer Reduzierung dieses Ermessens auf Null führen, sind
aber nicht vorgetragen und auch nicht erkennbar.
Insbesondere ist der von den Klägern in den Vordergrund ihrer Argumentation
gerückte Umstand, dass gegenüber der Beigeladenen bereits im März 1991 zwei
Auflagenbescheide ergangen sind, nicht geeignet, das behördliche Ermessen
einzuschränken unter dem Gesichtspunkt, dass mit diesen Bescheiden von der
Behörde bereits die Bestandskraft der erteilten Genehmigung in Frage gestellt
worden wäre. Die Behörde hat im Hinblick darauf, dass sie aufgrund des
Ergebnisses der Sicherheitsanalyse des TÜV Bayern den Erlass nachträglicher
Auflagen für ausreichend aber auch für geboten hielt, zunächst gerade keinen
Anlaß gesehen, die Genehmigung durch einen Widerruf zu beseitigen, sondern sie
hat diese nur ergänzt. Sie hat also nicht die Genehmigung als solche und damit
die ihr zukommende Gestattungswirkung in Frage gestellt, sondern unter
Aufrechterhaltung der Genehmigung ausschließlich eine ausreichende
Schadensvorsorge durch den Erlass nachträglicher Auflagen gewährleisten wollen.
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Schadensvorsorge durch den Erlass nachträglicher Auflagen gewährleisten wollen.
Damit führt dieser Gesichtspunkt nach Meinung des Senats nicht zu einer
Reduzierung des behördlichen Wiederaufgreifensermessens.
(2.4) Damit ist der Beklagte zwar verpflichtet, auch in Bezug auf die fakultativen
Aufhebungsregelungen eine Entscheidung über den Antrag der Kläger
herbeizuführen; letztere haben aber keinen Rechtsanspruch auf eine Sachprüfung
und entsprechende sachliche Bescheidung, sondern die Entscheidung der Behörde
darüber, ob sie überhaupt in eine neue Sachprüfung eintritt, steht in ihrem
pflichtgemäßem Ermessen.
Für diese Entscheidung erlangt die von § 51 Abs. 3 VwVfG für das
Wiederaufnahmeverfahren vorgesehene Frist von drei Monaten ab
Kenntniserlangung von den die Aufhebung der Genehmigung ermöglichenden
Umständen keine Bedeutung. Der VGH Baden-Württemberg hat in einer
Entscheidung vom 28. November 1989 (NVwZ 1990, S.985<988>) erwogen, dass
diese Fristvorschrift zugunsten eines Drittbegünstigten, der durch eine
unanfechtbare Genehmigung eine gesicherte Rechtsposition erlangt hat, eine
ähnliche Schutzfunktion erfüllen könnte wie die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1
VwGO, mit der Folge, dass über einen in diesem Sinne verspäteten
Wiederaufgreifensantrag nicht zu Lasten Dritter sachlich entschieden werden darf.
Da nach Auffassung des Senats das Wiederaufgreifen des Verfahrens mit dem Ziel
der Aufhebung einer atomrechtlichen Genehmigung abschließend in § 17 Abs. 2
bis 5 AtG geregelt ist, und in diesen Vorschriften eine Ausschlussfrist für
Drittbetroffene nicht vorgesehen ist, kann nicht - auch nicht analog - auf die strikte
Präklusionsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG zurückgegriffen werden.
Zulässig ist es dagegen, dass die Behörde in diesem mehrpoligen
Rechtsverhältnis bei ihrer Ermessensentscheidung den Gesichtspunkt einer
möglichen Verwirkung des Wiederaufnahmebegehrens berücksichtigt. Dies setzt
allerdings neben einer längeren Kenntnis der Kläger von den eine Aufhebung der
Genehmigung ermöglichenden veränderten Umständen als weiteres Element
voraus, dass die Behörde berechtigt darauf vertrauen durfte, die Kläger würden
von einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens absehen. Für beide
Aspekte einer möglichen Verwirkung sind aber vorliegend Anhaltspunkte nicht
gegeben.
(3) Die Kläger können auch mit ihrem weiteren Begehren auf Verpflichtung des
Beklagten zur vorläufigen Stillegung der Anlage nicht durchdringen; insoweit ist
gleichfalls lediglich eine Verpflichtung des Beklagten zur Bescheidung des
entsprechenden Antrags der Kläger gegeben.
Rechtliche Grundlage für diesen geltend gemachten Anspruch ist § 19 Abs. 3 AtG.
Dessen Satz 1 ermächtigt die atomrechtliche Aufsichtsbehörde zu Maßnahmen
zur Beseitigung eines im weitesten Sinne atomrechtswidrigen Zustandes (1.
Alternative) oder eines Zustandes, aus dem sich Gefahren für Leben, Gesundheit
oder Sachgüter ergeben können (2. Alternative). Die genannte Vorschrift gibt nach
Auffassung des Senats der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde ein eigenständiges
Instrumentarium zur Gefahrenabwehr und - da bereits nach dem eindeutigen
Wortlaut der Vorschrift auch ein Gefahrenverdacht zum behördlichen Tätigwerden
berechtigt - auch zur Gefahrerforschung an die Hand. Sie ermächtigt die Behörde
aber regelmäßig nur zu vorläufigen Maßnahmen, die die Genehmigung als solche
unberührt lassen (ausführlich dazu Hartung, Sven, Die Atomaufsicht: Zur
staatlichen Aufsicht nach § 19 des Atomgesetzes, -1. Aufl. - 1992, S. 95 - 97).
Dieses Normverständnis kongruiert mit dem allgemeinen polizeirechtlichen
Grundsatz, wonach ein Gefahrenverdacht aufgrund des
Verhältnismäßigkeitsprinzips regelmäßig allein vorläufige Eingriffsmaßnahmen
rechtfertigt (vgl. dazu auch Roller, a.a.O., S. 21 und Di Fabio, Vorläufiger
Verwaltungsakt bei ungewissem Sachverhalt, DÖV 1991, S. 629, 633).
Als schärfste vorläufige Maßnahme stellt sich, wie auch die in Satz 2 der Vorschrift
enthaltene Palette möglicher aufsichtlicher Maßnahmen verdeutlicht, die
einstweilige Einstellung der genehmigten Tätigkeit dar (s. auch Hartung, a.a.O., S.
161, 164).
Auch wenn dem aufsichtlichen Tätigwerden oftmals eine Hilfs- und
Vorbereitungsfunktion in Bezug auf die von der atomrechtlichen
Genehmigungsbehörde zu treffenden Entscheidungen nach § 17 AtG zukommt,
erschöpft sich die Funktion der Regelung des § 19 Abs. 3 AtG aus den dargelegten
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erschöpft sich die Funktion der Regelung des § 19 Abs. 3 AtG aus den dargelegten
Gründen nicht darin. Deshalb bedeutet auch die Vorläufigkeit der nach dieser
Vorschrift regelmäßig in Betracht kommenden Maßnahmen nicht, dass eine solche
von einem Dritten angestrebte behördliche Anordnung von diesem
zulässigerweise nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO
verfolgt werden könnte; das Merkmal der Vorläufigkeit gebietet lediglich, dass die
Behörde mit Anordnung der Maßnahme auch gleichzeitig deren
"Beendigungstatbestand" bestimmt.
Damit bestehen diesbezüglich keine Zulässigkeitsbedenken dagegen, dass die
Kläger die Anordnung der vorläufigen Stillegung der Anlage mit der vorliegenden
Verpflichtungsklage verfolgen.
Dieses Klagebegehren ist nach § 75 VwGO als Untätigkeitsklage zulässig. Der mit
Schreiben des Bevollmächtigten vom 3. Februar 1994 (Anlage 1 zum Schriftsatz
vom 10. April 1994, Ordner 1 zum Verfahren 14 Q 1326/94) an die Behörde
gerichtete Antrag ist, - ohne dass ein zureichender Grund im Sinne von § 75 S. 1
VwGO dafür festgestellt werden kann - in angemessener Frist bislang nicht
beschieden worden.
Für diesen Antrag ist den Klägern auch eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO
zuzusprechen, denn es erscheint nach ihrem Sachvortrag nicht von vornherein
ausgeschlossen, dass ihnen ein Anspruch auf die begehrte Anordnung nach § 19
Abs. 3 AtG zusteht.
Die Klage ist aber allein hinsichtlich des - hilfsweise beantragten -
Bescheidungsbegehrens begründet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); einen Anspruch
auf die begehrte, im Ermessen der Behörde stehende vorläufige Anordnung haben
die Kläger nicht.
Der erkennende Senat hält - in Weiterentwicklung der bereits in dem Beschluss
des 8. Senats des Hess. Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Juni 1989 (Az: 8 Q
2809/88) dargelegten Rechtsauffassung - eine Reduzierung des in § 19 Abs. 3 S. 1
AtG eingeräumten aufsichtsbehördlichen Ermessens auf die schärfste Form
möglicher vorläufiger Maßnahmen, nämlich auf die Anordnung der einstweiligen
Einstellung des Betriebes der Anlage, allein dann für gegeben, wenn eine Gefahr
für Leben oder Gesundheit von Menschen im Sinne der Vorschrift des § 17 Abs. 5
AtG anzunehmen ist. Das Vorliegen einer Gefahr lediglich für Sachgüter oder eines
Gefahrenverdachtes für die in § 19 Abs. 3 S. 1,<2. Alt.> AtG genannten
Schutzgüter vermag nach Auffassung des Gerichts daher nicht, das behördliche
Ermessen auf die schärfste Form der möglichen vorläufigen Anordnungen zu
reduzieren; erst recht gilt dies bei Bestehen eines im weitesten Sinne
atomrechtswidrigen Zustandes nach der 1. Alternative der hier in Rede stehenden
Vorschrift.
Diese rechtliche Wertung findet ihre Parallele in der Vorschrift des § 17 AtG.
Während ein Verstoß des Betreibers eines Kernkraftwerks gegen atomrechtliche
Vorschriften, aufsichtsbehördliche Anordnungen oder die Bestimmungen des
Genehmigungsbescheides gemäß § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG der Behörde in Bezug auf
einen Genehmigungswiderruf einen Ermessensspielraum eröffnet, ist der Widerruf
bei Vorliegen einer nicht behebbaren Gefahr für Leben und Gesundheit von
Menschen - und nicht auch bereits bei einer Gefahr für Sachgüter - nach § 17 Abs.
5 AtG zwingend geboten.
Wie oben unter (2.1) im einzelnen dargelegt worden ist, ist nach Auffassung des
Senats mit der Vorschrift des § 17 Abs. 5 AtG durch das Tatbestandsmerkmal der
"erheblichen Gefährdung" der Verwaltung ein Einschätzungsspielraum eingeräumt,
der nach der maßgeblichen Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung
nicht auf die von den Klägern behauptete Annahme einer "erheblichen
Gefährdung" reduziert ist. Damit scheidet nach dem vorstehend zur
Ermessensreduktion im Rahmen des § 19 Abs. 3 AtG Gesagten ein Anspruch der
Kläger auf Verpflichtung der Behörde zum Erlass einer einstweiligen
Betriebsstillegungsanordnung ebenfalls aus.
Selbst wenn man aber zugunsten der Kläger unterstellt, eine
Ermessensreduzierung auf die begehrte Maßnahme sei bereits auch bei Vorliegen
eines Verdachtes einer Gefahr für Leben und Gesundheit der Kläger anzunehmen,
steht diesen ein Anspruch auf die begehrte Maßnahme nicht zu.
Unter einem Gefahrenverdacht ist eine Situation zu verstehen, bei der von der
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Unter einem Gefahrenverdacht ist eine Situation zu verstehen, bei der von der
Behörde aufgrund von Unsicherheiten über die für eine Gefahrenprognose
notwendigen Tatsachen noch kein abschließendes Urteil über das Vorliegen einer
Gefahr getroffen werden kann (s. Roller, a.a.O., m.w.N); der Verdacht muss aber
begründet, also durch Tatsachen erhärtet sein (vgl. Hartung, a.a.O., S. 153,
m.w.N.).
Aus den bereits oben unter (2.1) zum Gefahrbegriff des § 17 Abs. 5 AtG
genannten Gründen muss auch im Rahmen des aufsichtlichen Tätigwerdens der
Behörde nach § 19 Abs. 3 S. 1, <2. Alt.> AtG der Exekutive ein
Einschätzungsspielraum zustehen. Denn die behördliche Wertung, ob ein
Gefahrenverdacht oder bereits eine Gefahr anzunehmen ist, stellt einen
einheitlichen, nicht trennbaren Vorgang dar und kann damit auch nicht
unterschiedlichen rechtlichen Überprüfungskriterien unterworfen sein.
Ist damit die behördliche Bewertung der Annahme eines Gefahrenverdachtes
gleichfalls gerichtlich nur eingeschränkt kontrollierbar und vom Gericht nicht durch
eine eigene Wertung ersetzbar, setzt dem entsprechend auch die Zuerkennung
eines Anspruchs der Kläger auf die begehrte vorläufige Einstellung des
Anlagenbetriebs voraus, dass die der Exekutive eingeräumte
Einschätzungsprärogative auf Null reduziert ist, weil konkrete Anhaltspunkte die
Annahme, dass eine Gefahr für Leben und Gesundheit für Menschen vorliegen
könnte, derart zwingend vorgeben, dass jede andere Bewertung grob willkürlich
und schlechthin unvertretbar wäre.
Dies vermag der Senat in Bezug auf die vom Beklagten in seinen aufsichtlichen
Verfügungsentwürfen aufgegriffenen Sicherheitsdefizite im Hinblick auf die unter
(2.1) im einzelnen dargestellten konträren Gutachten, die auch behördenintern zu
gegensätzlichen Einschätzungen geführt haben, nicht zu erkennen; dies gilt erst
recht hinsichtlich der von den Klägern vorgebrachten - oben unter 2.1 a) bis c)
abgehandelten - Risiken.
Die Kläger haben aber einen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihren auf
vorläufige Einstellung des Betriebes der Anlage gerichteten Antrag vom 3. Februar
1994 unter Beachtung der zuvor dargestellten Rechtsauffassung des Gerichts
unter Zugrundelegung der aktuellen Sachlage bescheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 162
Abs. 3 VwGO; sie berücksichtigt zum einen die Teilrücknahme der Klage und zum
anderen den Umstand, dass die Kläger jeweils nur zu einem geringen Teil mit ihrer
Klage durchdringen konnten; dieses Teilobsiegen hat der Senat mit einem
(gesamten) Anteil von 1/4 bewertet, der vom Beklagten und der Beigeladenen je
zur Hälfte zu tragen ist. Die Beigeladene war mit ihren außergerichtlichen Kosten
in die Kostenverteilung mit einzubeziehen, da sie die Abweisung der Klage
beantragt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Der Senat läßt gegen dieses Urteil die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
zu.
Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache hier deswegen zu, weil die
Frage des Anwendungsbereichs der 1. Fallgestaltung des endgültigen
Stillegungstatbestandes des § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG höchstrichterlich noch nicht
geklärt ist.
Auch zu dem Begriff der "erheblichen Gefährdung" im Sinne des § 17 Abs. 5 AtG
und dem der Regelung des § 19 Abs. 3 S. 1 <2. Alt.> AtG zugrundeliegenden
Gefahrbegriff ist eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht für deren
einheitliche Auslegung und Anwendung erforderlich, insbesondere auch zu der
damit in engem Zusammenhang stehenden Frage, ob der Exekutive mit den
genannten beiden Vorschriften eine Einschätzungsprärogative eingeräumt ist.
Des Weiteren ist die Frage nach der drittschützenden Wirkung des § 17 Abs. 2 und
3 AtG sowie auch die Anwendbarkeit der Regelungen über das Wiederaufgreifen
eines Verfahrens (§ 51 VwVfG) im Atomrecht höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.