Urteil des HessVGH vom 08.07.1991

VGH Kassel: politische verfolgung, amnesty international, syrien, anerkennung, bundesamt, polizei, verhaftung, ausreise, onkel, mitgliedschaft

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 UE 246/85
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
Art 16 Abs 2 S 2 GG
(Asylrecht: Syrien - Kurdische Demokratische Partei -
politische Verfolgung)
Tatbestand
Der im Jahre 1959 in M geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger.
Er reiste am 26. November 1980 mit einem syrischen Reisepaß in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Der Reisepaß war am 2. November 1980
ausgestellt worden und mit einem Sichtvermerk der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland in D versehen. Als Zweck des Aufenthaltes war "Studienzweck"
angegeben.
Nachdem sich der Kläger zunächst bei seinem Onkel in B aufgehalten hatte,
beantragte er am 13. März 1981 bei der Ausländerbehörde in N eine
Aufenthaltserlaubnis. Als Aufenthaltsgrund war wiederum "Studienzwecke"
angegeben.
Mit Schreiben vom 30. Oktober 1981 stellte der Kläger einen Antrag auf
Immatrikulation zum Sommersemester 1982 an der Universität K in der
Fachrichtung Elektrotechnik.
Durch Anwaltsschriftsatz vom 17. Dezember 1981 hat der Kläger durch seinen
damaligen Bevollmächtigten bei dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge in Z einen Asylantrag gestellt, zu dessen Begründung er
angab, schon mehrere Jahre Sympathisant der "Kurdischen Demokratischen
Partei" Syriens zu sein. Bereits 1977 habe er für diese Partei durch Verteilung von
Flugblättern und sonstiger Propaganda geworben. Die Schulverwaltung habe von
dieser politischen Tätigkeit Kenntnis erlangt und ihn zu Beginn des Jahres 1978 bei
der politischen Polizei angezeigt. Aufgrund dieser Anzeige sei er verhaftet und für
zwei Monate festgehalten worden. Nach seiner Freilassung habe er unter ständiger
Bewachung gestanden. Da er jedoch wieder Kontakt zu seinen politischen
Freunden aufgenommen habe, sei er erneut verhaftet worden. Diese Inhaftierung
habe zwar nur eine Woche gedauert, dieses Mal sei er aber schwer gefoltert
worden.
Am Ende des Jahres 1978 habe er einen Beitrittsantrag an die Kurdische
Demokratische Partei (KDP) gestellt. Dieser sei zunächst aufgrund des Mißtrauens
der Partei gegenüber neuen Mitgliedern abgelehnt worden. Aufgrund seines
zweiten Antrages sei er sodann in die Partei aufgenommen worden. Folge dieses
Parteieintrittes sei ein Verweis von der Schule gewesen. Da er sich auf Weisung der
Partei eine Zeitlang nicht mehr politisch betätigt habe, habe er seine Ausbildung
fortsetzen können. Ende 1979 habe er sich für die Abiturprüfung angemeldet, die
er im Januar 1980 mit Erfolg abgelegt habe. Ein Studium sei ihm aufgrund seiner
politischen Tätigkeit nicht erlaubt worden.
Daraufhin habe er sich entschlossen, ausschließlich für die KDP zu arbeiten. Infolge
dessen sei er ein drittes Mal inhaftiert und während der Haft schwer gefoltert
worden. Unter anderem habe man ihm einen Zahn ausgeschlagen. Nach seiner
erneuten Freilassung habe er, nachdem auch sein Vater ihn gedrängt habe, das
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erneuten Freilassung habe er, nachdem auch sein Vater ihn gedrängt habe, das
Land verlassen. Sein Vater habe ihm illegal einen Paß besorgt und die Ausreise
geregelt.
Der Kläger übersandte dem Bundesamt weiterhin ein handschriftliches Schreiben,
in dem er mitteilte, daß er im Jahre 1977 die Mitgliedschaft in der KDP beantragt,
im Jahre 1978 aber erst einen Bescheid bekommen habe. Seither sei er in dieser
Partei. Seine Aufgabe sei es gewesen, Flugblätter heimlich an kurdische Schüler zu
verteilen oder diese an die Wände zu kleben. Er sei mehrmals festgenommen
worden. Mit einem gefälschten Reisepaß, der ihn 3.500 syrische Lira gekostet
habe, sei er nach Deutschland gekommen.
Bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 28. Oktober 1982 führte der Kläger
aus, letzter Anlaß zum Verlassen Syriens sei die Verhaftung am 13. November
1980 gewesen. Er sei ca. eine Woche lang im Zentralgefängnis von A inhaftiert
gewesen. Er habe mit vier Kollegen Flugblätter in der Universität von A verteilt und
sei dabei erwischt worden. Diese Flugblätter der KDP, in kurdischer Sprache
verfaßt, seien gegen das Regime von A gerichtet gewesen. Gefordert worden sei
Freiheit und Gleichberechtigung für die kurdische Bevölkerung, die Einführung der
kurdischen Sprache in den Schulen und die Erteilung von syrischen Pässen an ca.
100.000 Kurden.
Die Festnahme sei unmittelbar vor der Mensa auf der Straße erfolgt. Sie seien
zum Verhör in das Gebäude der politischen Polizei von A gebracht worden. Nach
dem Verhör sei er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden, wobei er einen
Backenzahn verloren habe. Danach sei er ca. acht Tage, isoliert von seinen
Kollegen, inhaftiert gewesen. Nach Stellung einer Kaution durch seinen Vater sei er
auf freien Fuß gesetzt worden.
Im Jahre 1978 sei er bereits zweimal verhaftet worden, und zwar einmal in der Zeit
vom 20. Januar 1978 bis 18. März 1978. An das genaue Datum der zweiten
Verhaftung könne er sich aber nicht mehr erinnern. Er sei eine Woche inhaftiert
gewesen. Die erste Verhaftung sei erfolgt, weil er in der Schule Flugblätter verteilt
habe, die zweite, weil er Kontakte zu Schülern gepflegt habe, die ebenfalls
Mitglieder der Kurdischen Demokratischen Partei gewesen seien.
Am 13. April 1977 habe er einen ersten Antrag auf Mitgliedschaft in der KDP
gestellt. Dieser sei am 25. September 1978 abgelehnt worden. Am gleichen Tag
habe er einen neuen Antrag gestellt. Am 3. November 1978 seien zwei Mitglieder
der Partei zu ihm gekommen. Er habe einen dritten Antrag stellen müssen und sei
dann am gleichen Tag als Mitglied in die Partei aufgenommen worden. Hinsichtlich
der letzten Verhaftung erklärte der Kläger zunächst, er sei am 13. November 1980
verhaftet worden. Im Laufe der Anhörung äußerte er sodann, er sei am 15.
November 1980 verhaftet worden. Auf entsprechenden Vorhalt meinte der Kläger,
es müsse wohl der 13. November 1980 gewesen sein. Er sei damals höchstens
acht Tage inhaftiert worden. Nachdem der Kläger zunächst bekundet hatte, am
24. November 1980 aus der Haft entlassen worden zu sein, behauptete er nach
dem Vorhalt, daß dies mit den genannten Daten nicht in Einklang zu bringen sei,
er habe am 24. November 1980 endgültig nichts mehr mit der Polizei zu tun
gehabt. Zwischen dem 21. November und dem 24. November 1980 habe er sich
noch bei der Polizei vorstellen müssen. Sein Vater habe zum Zeitpunkt seiner
Entlassung bereits einen Paß für ihn besorgt und alle Ausreiseformalitäten erledigt
gehabt. Nach der Haftentlassung habe er nur eine Nacht in seinem Dorf
übernachtet und sei dann ausgereist.
Die Paßverfälschung, Änderung der Gültigkeitsdauer vom 2. Januar 1981 auf 2.
Januar 1982, habe er nicht vorgenommen. Es sei möglich, daß dies Freunde
anläßlich einer Party im Lager S getan hätten.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den
Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 17. Oktober 1983 ab. -- Zur Begründung
seiner Entscheidung führte es aus, der Kläger habe widersprüchliche Angaben
gemacht und Behauptungen aufgestellt, die offensichtlich nicht der Wirklichkeit
entsprächen. Auch sein Verhalten nach der Einreise in die Bundesrepublik lasse
nur den Schluß zu, daß er hier keinen Schutz vor Verfolgung in Syrien gesucht
habe. So habe er widersprüchliche Angaben über den Zeitpunkt der angeblichen
Haftentlassung gemacht. Auch sei der syrische Reiseausweis entgegen seiner
Behauptung nicht aufgrund der angeblichen Inhaftierung von dem Vater besorgt
worden. Dies ergäbe sich aus dem Umstand, daß der Ausweis bereits am 2.
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worden. Dies ergäbe sich aus dem Umstand, daß der Ausweis bereits am 2.
November 1980 ausgestellt worden sei, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger
noch gar nicht in Haft gewesen sei. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik
habe der Kläger vor Stellung seines Asylantrages im Dezember 1981 stets nur
vorgebracht, zum Zwecke des Studiums in die Bundesrepublik gekommen zu sein.
So habe er in seiner am 18. Dezember 1980 gegenüber dem Polizeipräsidenten in
B abgegebenen Aufenthaltsanzeige erklärt, nur so lange in der Bundesrepublik
bleiben zu wollen, bis sein Studium beendet sei. Eine solche Erklärung hätte jedoch
eine Person, die im Heimatstaat politischer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei,
nicht abgegeben. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger wirklich in Syrien
der "Kurdisch Demokratischen Partei" angehört habe. Es sei mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, daß ihm wegen Mitgliedschaft und Betätigung
in der KDP politische Verfolgung drohe. Auch finde eine gezielte staatliche
Verfolgung von Kurden in Syrien nicht statt.
Der Bundesamtsbescheid wurde dem Kläger am 3. November 1983 zusammen
mit der Ausreiseaufforderung vom 1. November 1983 zugestellt. Am 21.
November 1983 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Wiesbaden.
Zur Begründung seiner Klage machte der Kläger geltend, die ihm vorgehaltenen
Widersprüche und Ungereimtheiten beruhten darauf, daß er nicht ausführlich
genug angehört worden sei und aufgrund unzureichender Vorhalte die unklaren
Punkte nicht in der notwendigen Weise habe klarstellen können. Die Angaben
hinsichtlich seiner letzten Inhaftierung bzw. Freilassung seien vom Bundesamt
überbewertet worden. Die Erwartung an einen Asylbewerber, präzise Angaben über
bestimmte Ereignisse zu machen, die mehrere Jahre zurücklägen, überfordere
diesen und berücksichtige nicht die mentalitätsbedingten Unterschiede hinsichtlich
des Erinnerungsvermögens bei solchen Personen, die aus einem ganz anderen
Kulturkreis stammten. Hinsichtlich des syrischen Reiseausweises sei zu bemerken,
daß dieser durch den Vater des Klägers im zeitlichen Zusammenhang mit der
letzten Inhaftierung des Klägers zum Zwecke der Ausreise aus Syrien beschafft
worden sei. Der Vater des Klägers habe den Reisepaß einem syrischen Landsmann
abgekauft, der einen ähnlich klingenden Namen habe. Dieser habe sich den
Reisepaß am 2. November 1980 zu anderen Zwecken ausstellen lassen. Der
exakte Name des Klägers laute N E B. Der Vater des Klägers habe den Paß am 20.
November 1980 erworben.
Bei der Einreise in die Bundesrepublik habe der Kläger nicht gewußt, daß es die
Möglichkeit einer Asylbeantragung gebe. Er habe sich in B einem Onkel anvertraut,
der in eigener Regie sämtliche Dinge für ihn erledigt habe. In diesem
Zusammenhang sei auch die aufgetretene Unstimmigkeit hinsichtlich der
Abänderung des Gültigkeitsdatums seines Reisepasses zu sehen. Der Kläger habe
keine genaue Kenntnis darüber, wie es im einzelnen zu den Veränderungen des
Datums gekommen sei. Er habe lediglich vermutet, daß die Verfälschung während
seines Aufenthaltes im Lager S während einer Feier vorgenommen worden sei.
Eine der wichtigsten politischen Arbeiten des Klägers für die Partei sei die
Verfassung eines kurdischen Manifestes gewesen, an welchem er vom 25.
September 1980 bis 5. November 1980 gearbeitet habe. Dieses Manifest enthalte
eine Zusammenfassung wichtiger politischer Gedanken des Klägers zur kurdischen
Frage. Er habe es der Partei zur Verfügung gestellt, die wesentliche Teile daraus im
Zuge der politischen Arbeit verbreitet habe.
Der Kläger habe auch Schwierigkeiten im schulischen Bereich gehabt, nachdem er
sich 1975 geweigert habe, einen Antrag auf Beitritt in die Baath-Partei zu
unterschreiben. Er habe daher auch erst etwa zwei Jahre später seine Zulassung
zum Abitur erhalten. Ein Geschäft für den Vertrieb von Milch und Milchprodukten,
das der Vater des Klägers diesem eingerichtet habe, sei nach seiner Ausreise
durch syrische Behörden geschlossen worden.
Der Kläger beantragte,
1. den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 17. Oktober 1983 aufzuheben und das Bundesamt zur
verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen,
2. den Bescheid des Landrats des M-T-Kreises vom 1. November 1983
aufzuheben.
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Die Beklagte zu 1. und der Beklagte zu 2. beantragten,
die Klage abzuweisen.
Der Bundesbeauftragte beteiligte sich am erstinstanzlichen Verfahren nicht.
Bei seiner informatorischen Anhörung durch das Verwaltungsgericht machte der
Kläger noch folgende Angaben: Er habe von Anfang an in der Bundesrepublik
Deutschland nicht studieren wollen. Sein Onkel habe ihm gleich den Paß
abgenommen, da dieser für ihn seine Angelegenheiten erledigen wollte. Er könne
sich Daten nicht genau merken. Insbesondere habe er sich die Daten deshalb
nicht so genau gemerkt, weil er ja eigentlich Syrien nicht habe verlassen wollen. In
den Flugblättern, die er verteilt habe, hätten sie sich gegen die Arabisierung im
kurdischen Gebiet gewandt. Diese Arabisierung habe ungefähr 1962 eingesetzt.
Seinen Asylantrag habe er erst so spät gestellt, da er nicht gewußt habe, daß man
in der Bundesrepublik Asyl beantragen könne. Er habe alles seinem Onkel
überlassen. Ungefähr ein Jahr und zwei bis drei Monate nach seiner Einreise in die
Bundesrepublik habe ihn seine Mutter besucht und ihm gesagt, daß die Polizei
nach ihm suche und sein Geschäft beschlagnahmt habe. Bei einem weiteren
Besuch im Jahre 1984 habe ihm seine Mutter erzählt, daß er zu einer Haftstrafe
verurteilt worden sei.
Die Mutter des Klägers hat anläßlich ihres Besuches am 9. November 1984 eine
eidesstattliche Versicherung abgegeben. Darin bestätigte sie die letzte Verhaftung
ihres Sohnes und den Paßerwerb durch ihren Mann. Desweiteren erklärte die
Mutter des Klägers, die Polizei habe eine Hausdurchsuchung durchgeführt, wobei
das "Kurdische Manuskript" ihres Sohnes gefunden worden sei. Bei dem letzten
Besuch der Polizei im Februar 1984 habe der Polizeibeamte ihrem Ehemann
mitgeteilt, daß ihr Sohn zwischenzeitlich in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von
sechs Jahren verurteilt worden sei. Sie bestätigte auch die Beschlagnahme des
Geschäftes des Klägers und wies darauf hin, daß Briefe ihres Sohnes mit großer
Verspätung und geöffnet und zensiert zu ihnen gelangen würden.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 13. Dezember 1984 ab und
ließ die Berufung gegen seine Entscheidung zu. -- Zur Begründung wurde im
wesentlichen ausgeführt, das Gericht sei aufgrund des unpolitischen Eindrucks,
den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemacht habe, zu der
Überzeugung gelangt, daß es sich bei ihm um ein unbedeutendes Mitglied der KDP
handele, dessen Aktivitäten ein so geringes Ausmaß hätten, daß er bei seiner
Rückkehr mit Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staates nicht
rechnen müsse. Eine mögliche Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung sei
asylrechtlich ohne Belang, da nicht ersichtlich sei, daß im Zusammenhang mit
einer Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung eine politische Überzeugung
strafschärfend berücksichtigt würde. Auch wegen seiner geringen politischen
Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland sowie wegen seiner
Asylantragstellung habe der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien nichts zu
befürchten.
Gegen das ihm am 22. Januar 1985 zugestellte erstinstanzliche Urteil legte die
jetzige Bevollmächtigte des Klägers am 4. Februar 1985 (Schriftsatz vom 1.
Februar 1985) Berufung ein.
Zur Begründung des Rechtsmittels trägt der Kläger vor, das Verwaltungsgericht
habe zu Unrecht eine politische Vorverfolgung in Syrien verneint. Er habe während
der gesamten Dauer des Asylverfahrens den Kerngehalt seiner politischen
Verfolgung, nämlich Inhaftierung wegen seiner Tätigkeit für die KDP, dargetan. Die
Auffassung des Gerichts, daß ein unbedeutendes Mitglied der KDP, dessen
Aktivitäten nur ein geringes Ausmaß hätten, bei einer Rückkehr mit
Verfolgungsmaßnahmen nicht rechnen müsse, finde in den herangezogenen
Erkenntnisquellen keine Stütze. Ausweislich des Jahresberichtes von amnesty
international aus dem Jahre 1984 würden auch gewaltlose Kritiker der Regierung
festgenommen und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft gehalten, davon
einige länger als 12 Jahre. Auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes aus dem
Jahre 1980 bestätigten, daß syrische Kurden einer Überwachung durch die
Behörden ihres Landes unterlägen und Sympathisanten oder Mitglieder der KDP
mit Repressalien zu rechnen hätten. Wenn das Gericht dem Kläger nicht glauben
wollte, wäre eine Beweisaufnahme anhand der angebotenen Zeugenbeweise
unumgänglich gewesen. Nicht zu folgen sei den Ausführungen des
erstinstanzlichen Gerichts auch insoweit, als es eine sechsjährige Haftstrafe wegen
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erstinstanzlichen Gerichts auch insoweit, als es eine sechsjährige Haftstrafe wegen
der Verfassung des kurdischen Manifestes als nicht glaubhaft angesehen habe.
Auch die Wertung der Kammer, daß der Kläger wegen seiner geringen politischen
und unsubstantiierten Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland sowie wegen
seiner Asylantragstellung bei einer Rückkehr nach Syrien nichts zu befürchten
habe, sei nicht aufrecht zu erhalten. Der Kläger sei Mitglied der Vereinigung
kurdischer Studenten in Europa (KSSE), dies habe er durch eine dem Gericht
vorgelegte Bescheinigung bestätigen lassen. Seine zwar nicht exponierten, aber
vielfältigen Betätigungen für die KSSE seien der syrischen Regierung
wahrscheinlich bekannt geworden, da Mitglieder und Sympathisanten dieser
Organisation den syrischen Behörden über Verbindungsleute in der
Bundesrepublik gemeldet würden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13.
Dezember 1984
1. den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlingen vom 17. Oktober 1983 aufzuheben und das Bundesamt zu
verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und
festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des
Ausländergesetzes vorliegen,
2. den Bescheid des Landrats des M-T-Kreises vom 1. November 1983
aufzuheben.
Die Beklagten zu 1. und 2. beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich am Berufungsverfahren
nicht beteiligt.
Der Kläger hat bei seiner Beteiligtenvernehmung im Berufungsverfahren
ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen noch folgendes erklärt: Nach seinen
drei Verhaftungen sei er jeweils wieder freigekommen, weil nichts Konkretes gegen
ihn vorgelegen habe. Er habe nichts ausgesagt. Am Tag seiner Freilassung nach
der dritten Verhaftung, dem 21. November 1980, habe sein Vater ihn in ihr Dorf
geschickt. Dort habe er eine Nacht verbracht. Da er sich dann jeden Tag bei der
Polizei habe vorstellen müssen, sei er bis zu seiner Ausreise wieder nach A
zurückgekehrt. Das von ihm verfaßte und von der Polizei beschlagnahmte Manifest
über die Geschichte der Kurden habe bewirken sollen, daß die Studenten, die ihre
Kultur vergessen hätten, damit wieder vertraut gemacht würden. Er habe sich mit
seinem Manifest auch gegen A gewandt, da dieser versuche, die Kurden zu
arabisieren. Die Hauptpunkte seines Manifestes seien in der Partei im Rahmen
einer Sitzung verteilt worden. Sie seien auch auf Flugblättern außerhalb der Partei
verteilt worden. Er habe bei den Studenten, die ihre Geschichte vergessen hätten
und auch in die Baath-Partei eingetreten seien, nationale Gefühle erwecken wollen.
Hinsichtlich des Passes stellte der Kläger klar, daß er nicht wisse, wann sein Vater
den Paß besorgt habe. Sein Vater habe ihm darüber nichts Näheres berichtet. Der
Paß sei mit Geld bezahlt worden, das aus seinem Geschäft stamme. Daher habe
er in dem Asylantragsschreiben an das Bundesamt geschrieben, daß ihn der Paß
3.500 syrische Lira gekostet habe. Zu dem "Onkel" in B, der kein leiblicher
Verwandter gewesen sei, sei er gegangen, weil sein Vater ihm dies angeraten
habe. Er habe sein Schicksal in die Hände dieses "Onkels" gelegt. In der
Aufenthaltsanzeige habe sein "Onkel" als Aufenthaltszweck "Studienzweck"
angegeben, weil im Paß Student gestanden habe. Daß auch das Visum zu diesem
Zwecke erteilt worden sei, sei ihm nicht bekannt gewesen. Hinsichtlich seiner
Verurteilung zu sechs Jahren Haft erklärte der Kläger, er glaube, daß das Manifest
der Grund für seine Verurteilung gewesen sei, denn das Manifest sei das einzige
Beweismittel, das gegen ihn vorgelegen habe. Bei seinen drei Verhaftungen hätten
die Behörden nichts konkretes gegen ihn in der Hand gehabt, nachdem sie aber
das Manifest gefunden hätten, hätten sie ihn darauf festnageln und ihn in
Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilen können. Ein schriftliches Urteil habe er
nie bekommen, auch seine Eltern und sein syrischer Anwalt nicht. Bei dem
Verfahren sei ein Anwalt dabei gewesen, ein Bekannter seines Vaters.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung erklärt.
Ihnen ist eine Liste der Erkenntnisquellen übersandt worden, die dem Senat für
Syrien vorliegen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Klägers, über die der
Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entscheiden kann (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig.
Die Berufungsschrift genügt den Anforderungen des § 124 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Zwar enthält sie keinen ausdrücklichen Antrag. Die Tatsache, daß ein Rechtsmittel
eingelegt worden ist, läßt aber aus sich heraus das Ziel der Berufung des Klägers -
- die Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Aufhebung des Bescheides der
Ausländerbehörde vom 1. November 1983 -- erkennen. Dies ist ausreichend, da
an einen hinreichend bestimmten Antrag im Sinne des § 124 Abs. 3 Satz 1 VwGO
keine strengen Anforderungen zu stellen sind (vgl. Kopp, VwGO, 8. Aufl., § 124
Rdnr. 5 m.w.N.; BVerwGE 58, 299, 300; Hess. VGH, Urteil vom 18. September
1989 -- 12 UE 2865/86).
Die Berufung ist auch begründet, soweit die Anerkennung des Klägers als
Asylberechtigter sowie die Feststellung, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
des Ausländergesetzes vorliegen, in Frage stehen.
Der Senat hat nicht nur über den im erstinstanzlichen Verfahren in Streit
stehenden Anspruch des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter zu
befinden, sondern hat nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des
Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) zum 1. Januar 1991 nunmehr
auch darüber zu entscheiden, ob im Falle des Klägers die Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG n.F. vorliegen, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat
abgeschoben werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner
Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
Dies folgt daraus, daß nach der ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung in § 7 Abs.
1 Satz 2 AsylVfG in der Fassung des Art. 3 des Neuregelungsgesetzes vom 9. Juli
1990 mit jedem Asylantrag sowohl die Feststellung, daß die Voraussetzungen des
§ 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, als auch, wenn der Ausländer dies nicht ausdrücklich
ablehnt, die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt wird. Dementsprechend
hat auch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in seiner
Entscheidung grundsätzlich Feststellungen dazu zu treffen, ob die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und, -- wenn dies von dem
Ausländer nicht ausgeschlossen worden war --, ob der Antragsteller als
Asylberechtigter anerkannt wird (§ 12 Abs. 6 Satz 3 und 4 AsylVfG n.F.).
Da eine Überleitungsvorschrift, die die Abwicklung noch nicht abgeschlossener
Verfahren nach altem Recht vorschreibt, fehlt, sind die genannten
asylverfahrensrechtlichen Bestimmungen auch im vorliegenden Verfahren zu
berücksichtigen mit der Folge, daß der Kläger sich nicht auf die Verpflichtung des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, ihn als
Asylberechtigten anzuerkennen, beschränken darf, sondern sein Klagebegehren in
zulässiger Weise nur noch in der vom Gesetz vorausgesetzten erweiterten Form
weiterverfolgen kann. Der Kläger hat daher vorliegend ausdrücklich den Antrag
gestellt, festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des
Ausländergesetzes vorliegen.
Das um diesen Punkt erweiterte Rechtsmittel des Klägers ist, soweit die
Asylverpflichtungsklage und die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG n.F. in Frage
steht, auch erfolgreich. Hingegen muß die Berufung erfolglos bleiben, soweit der
Kläger die Aufhebung der ausländerbehördlichen Verfügung vom 1. November
1983 begehrt.
Die Beklagte ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
Entscheidung des Berufungsgerichtes verpflichtet, dem Asylbegehren des Klägers
im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG in vollem Umfange zu entsprechen.
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Der Kläger hat zunächst Anspruch darauf, als politisch Verfolgter gemäß Art. 16
Abs. 2 Satz 2 GG anerkannt zu werden.
Asylrechtlichen Schutz genießt jeder, der im Falle seiner Rückkehr in den
Herkunftsstaat dort aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr
für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt
wäre oder in diesem Land politische Repressalien zu erwarten hätte (BVerfG,
Beschluß vom 2. Juli 1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, BVerfGE 54, 341 (357)). Eine
Verfolgung ist politisch im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn sie dem
einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse
Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein
prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der
übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Diese
spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung
nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des
Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989 -- 2 BvR 502/86 u.a.
--, BVerfGE 80, 315, 335).
Werden durch die staatliche Maßnahme nicht Leib, Leben oder die physische
Freiheit des Betreffenden gefährdet, sondern andere Rechtsgüter beeinträchtigt,
so sind diese Eingriffe nur dann asylrelevant, wenn sie nach Intensität und Schwere
die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des
Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen
haben (BVerfG, Beschluß vom 2. Juli 1980, a.a.O.).
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG setzt eine gegenwärtige Verfolgungsbetroffenheit voraus
(BVerfG, Beschluß vom 2. Juli 1980, a.a.O., Seiten 359, 360). Dem Asylbewerber
muß deshalb politische Verfolgung bei verständiger Würdigung aller Umstände
seines Falles mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit drohen, so
daß es ihm nicht zumutbar ist, in sein Heimatland zurückzukehren. Hierbei ist auf
die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung
abzustellen, wobei es einer über einen absehbaren Zeitraum ausgerichteten
Prognose der sich für den Asylbewerber im Heimatstaat ergebenden
Verfolgungssituation bedarf (BVerwG, Urteil vom 24. April 1979 -- BVerwG 1 C
49.77 --, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 13; Urteil vom 31. März 1981 -- BVerwG
9 C 286.80 --, EZAR 200 Nr. 3).
Ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt für diejenigen
Asylantragsteller, die schon in ihrer Heimat politisch verfolgt wurden, die
insbesondere bereits Opfer politisch motivierter Repressalien waren oder jedenfalls
gute Gründe hatten, solche Repressalien als konkret bevorstehend zu befürchten.
Diese Personen sind schon dann als Asylberechtigte anzuerkennen, wenn an ihrer
Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in den Heimatstaat
ernsthafte Zweifel verbleiben (BVerwG, Urteil vom 25. September 1984 -- BVerwG
9 C 17.84 --, BVerwGE 70, 169).
Ein strenger Maßstab ist demgegenüber sowohl in materieller Hinsicht als auch
was die Darlegungslast und die Beweisanforderungen anbelangt, dann anzulegen,
wenn sich der Asylbewerber auf Verfolgungsgründe beruft, die er nach Verlassen
des Heimatstaates aus eigenem Entschluß geschaffen hat (sogenannte
selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände). Diese subjektiven Nachfluchtgründe
sind wegen des Fehlens des von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich
vorausgesetzten kausalen Zusammenhanges zwischen Verfolgung und Flucht
überdies nur in eng begrenzten Ausnahmefällen überhaupt asylrechtlich relevant
(BVerfG, Beschluß vom 26. November 1986 -- 2 BvR 1058/85 --, BVerfGE 74, 51).
Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unerheblichkeit subjektiver
Nachfluchtgründe ist dabei dann anzuerkennen, wenn sich der Ausländer bei
Vornahme seines Verfolgung auslösenden Nachfluchtverhaltens in einer
ausweglosen Lage befunden hat bzw. -- bei exilpolitischer Betätigung -- sich diese
politische Betätigung als Ausdruck und Fortführung einer schon während des
Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen
Überzeugung darstellt (BVerwG, Urteil vom 30. August 1988 -- BVerwG 9 C 80.87 -
-, BVerwGE 80, 131; BVerfG, Beschluß vom 26. November 1986, a.a.O., Seite 66).
Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen
Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus die in seine eigene Sphäre fallenden
tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern sowie
eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien
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eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien
nachvollziehbar aufzulösen, so daß sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den
Asylanspruch lückenlos zu tragen und insbesondere auch eine politische
Zielrichtung der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen. Bei der Darstellung der
allgemeinen Umstände im Heimatland genügt es dagegen, daß die vorgetragenen
Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben
(BVerwG, Urteil vom 23. November 1982 -- BVerwG 9 C 74.81 --, EZAR 630 Nr. 1).
Ungeachtet dessen muß sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von
der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen
Verfolgungsschicksals verschaffen, hat dabei allerdings den sachtypischen
Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Heimatland bei der Auswahl der
Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrages und der Beweise angemessen
zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 -- BVerwG 9 C 109.84 --,
BVerwGE 71, 180 ff.).
Legt man diese Rechtsgrundsätze zugrunde, so ist der Senat aufgrund des
Ergebnisses der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren und aufgrund der
weiteren Angaben des Klägers im Verlaufe des gesamten Asylverfahrens sowie der
in das Verfahren eingeführten schriftlichen Unterlagen über die Situation in Syrien
zu der Auffassung gelangt, daß er die Voraussetzungen für seine Anerkennung als
Asylberechtigter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG erfüllt.
Der Kläger gehört zu dem Kreis der "vorverfolgten" Asylbewerber, die unter
erleichterten Voraussetzungen als Asylberechtigte anzuerkennen sind. Er hat
individuelle politische Verfolgung vor seiner Ausreise erlitten. Der Senat ist davon
überzeugt, daß der Kläger in den Jahren 1978 und 1980 dreimal wegen seiner
Tätigkeit und Mitgliedschaft in der "Kurdischen Demokratischen Partei" (KDP)
festgenommen und inhaftiert wurde. Für die Zeit bis zur Ausreise des Klägers ist
nach Überzeugung des Senats von folgendem Sachverhalt auszugehen: Der
Kläger, ein syrischer Kurde, dessen richtiger Name N B lautet, war seit 1977
Sympathisant der KDP. Er warb für die Ziele dieser Partei u.a. durch Verteilung von
Flugblättern. Nachdem dies der Verwaltung seiner Schule bekannt geworden war,
wurde Anzeige erstattet, auf die die Verhaftung des Klägers für zwei Monate folgte,
und zwar in der Zeit vom 20. Januar 1978 bis 18. März 1978. Nach seiner
Freilassung, die erfolgte, weil ihm nichts Konkretes nachzuweisen war, wurde er
ständig überwacht. Da er dennoch den Kontakt zu seinen politischen Freunden
nicht abbrach, wurde er noch im Laufe des Jahres 1978 erneut verhaftet. In der
einwöchigen Haft wurde er gefoltert.
Bereits am 13. April 1977 hatte der Kläger einen Antrag auf Mitgliedschaft in der
KDP gestellt, der zunächst am 25. September 1978 abgelehnt wurde. Noch am
selben Tag hat der Kläger erneut einen Aufnahmeantrag gestellt. Am 3. November
1978 wurde er in die Partei aufgenommen. Aufgrund seiner politischen Einstellung
war ihm zunächst die Ablegung der Abiturprüfung verweigert worden. Nachdem
sich der Kläger auf Anweisung seiner Partei mit seiner politischen Betätigung
vorübergehend zurückgehalten hatte, konnte er im Januar 1980 sein Abitur
ablegen. Die Aufnahme eines Studiums wurde ihm allerdings nicht gestattet. Der
Kläger widmete sich daraufhin der Parteiarbeit und betrieb nebenher ein ihm von
seinem Vater eingerichtetes Milchgeschäft. In dieser Zeit verfaßte er auch ein
"Kurdisches Manifest", das sich mit der Geschichte, der Kultur sowie der politischen
Situation der Kurden insbesondere in Syrien beschäftigte. Dieses Manifest wurde
auszugsweise in der Partei und auf Flugblättern unter kurdischen Studenten
verteilt. Ein Exemplar wurde nach der Ausreise des Klägers bei einer Durchsuchung
des Hauses seiner Eltern gefunden.
Am 13. November 1980 wurde der Kläger erneut verhaftet, nachdem er in der
Universität in A zusammen mit vier Kollegen Flugblätter der KDP in kurdischer
Sprache verteilt hatte. Er wurde für ca. eine Woche in das Zentralgefängnis von A
verbracht und dort nach dem Verhör mit Gewehrkolben geschlagen. Nach der
Haftentlassung am 21. November 1980 flüchtete der Kläger mit einem Paß, den
sein Vater einem anderen Mann mit ähnlich klingendem Namen abgekauft hatte,
über Ost-B zu einem in West-B wohnenden Nenn-Onkel.
Dieser Sachverhalt ergibt sich aus dem in den entscheidenden Punkten
übereinstimmenden, sehr detailfreudigen und in sich schlüssigen Vorbringen des
Klägers gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge, dem Verwaltungsgericht und dem vorliegend zur Entscheidung
berufenen Senat. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger in relevanten Punkten
bewußt die Unwahrheit gesagt haben könnte, sind nicht erkennbar.
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Zu Unrecht wird dem Kläger vom Bundesamt und vom Verwaltungsgericht
vorgehalten, er habe asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen nicht glaubhaft
machen können, da sein Vorbringen widersprüchlich und gesteigert sei.
Den wesentlichen Kern seines die politische Verfolgung begründenden
Vorbringens, die dreimalige Verhaftung aufgrund seiner Tätigkeit für die KDP, hat
der Kläger von Anfang an vorgetragen und während des gesamten Asylverfahrens
aufrechterhalten. Die Tatsache, daß bei der Schilderung der dritten Verhaftung
hinsichtlich der Daten Unsicherheiten aufgetreten sind, macht das Vorbringen
nicht insgesamt unglaubhaft. Dem Kläger ist vielmehr zu glauben, daß er sich die
genauen Daten deshalb nicht im einzelnen eingeprägt hat, weil sie ihm nicht
wichtig erschienen, da er zunächst nicht vorgehabt habe, Syrien zu verlassen.
Darüber hinaus differieren die Daten nicht so entscheidend, daß daraus der Schluß
gezogen werden müßte, die Verhaftung und die Folterung hätten nicht
stattgefunden. So hat der Kläger im Rahmen der Vorprüfung angegeben, am 13.
November 1980 für ca. eine Woche im Zentralgefängnis in A inhaftiert gewesen zu
sein. Die Haftentlassung sei am 24. November 1980 erfolgt. Am 25. November
1980 sei er ausgereist. Die Haftzeit habe höchstens acht Tage gedauert. Er habe
nur eine Nacht in seinem Dorf übernachtet und sei dann ausgereist. Darauf
hingewiesen, daß der Zeitablauf so nicht stimmen könne, hat der Kläger
vorgetragen, er habe sich nach seiner Entlassung noch jeden Tag bei der Polizei
melden müssen, er habe dann am 24. November 1980 endgültig nichts mehr mit
der Polizei zu tun gehabt. In der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren hat der
Kläger sodann klargestellt, daß sein Vater ihn nach seiner Haftentlassung zuerst in
sein Heimatdorf geschickt habe. Dort habe er eine Nacht verbracht, sei dann aber
in das Haus seiner Eltern in A zurückgekehrt, um seiner Meldepflicht
nachzukommen. Die vom Kläger vorgebrachten Erklärungen zur Begründung
seiner Behauptung, er sei am 24. November 1980 entlassen worden, erscheinen
dem Senat nachvollziehbar und glaubhaft.
Auch die Angaben des Klägers zu seinem syrischen Reisepaß sind entgegen der
Ansicht des Bundesamtes nicht widersprüchlich. Der Kläger hat durchgehend
vorgetragen, sein Vater habe ihm den Reisepaß besorgt, indem er einen Paß von
einem anderen Mann mit ähnlich klingendem Namen gekauft habe. Näheres über
Beschaffung und Inhalt des Passes wisse er nicht. Dieser Vortrag wird im
wesentlichen bestätigt durch die eidesstattliche Versicherung der Mutter des
Klägers, Frau B H, vom 12. Dezember 1984, die diese anläßlich eines Besuches in
der Bundesrepublik Deutschland abgegeben hat.
Auch seine Behauptung in dem Schreiben an das Bundesamt zur Begründung
seines Asylantrages, der Paß habe ihn 3.500 syrische Lira gekostet, was darauf
hindeuten könnte, er selbst habe den Paß besorgt, hat er in der Beweisaufnahme
im Berufungsverfahren dahingehend erläutert, daß sein Vater den Paß mit Geld
aus dem Milchgeschäft bezahlt habe.
Der Versuch des Klägers, bei der Anhörung im Vorprüfungsverfahren vor dem
Bundesamt die Verfälschung im Paß damit zu erklären, vielleicht hätten dies
Mitbewohner in S während eines Festes getan, was angesichts der zu einem
früheren Zeitpunkt vorgenommenen Änderung nicht sein konnte, kann auch nicht
dahingehend ausgelegt werden, daß der Kläger unwahre Behauptungen aufstellen
wollte. Er hat lediglich eine Vermutung geäußert, mehr war ihm nicht möglich, da
er keine nähere Kenntnis von der Beschaffung, dem Inhalt und eventuellen
Verfälschungen im Paß hatte.
Gegen die vom Kläger behauptete Verfolgungsfurcht als Anlaß für das Verlassen
Syriens spricht auch nicht, daß er erst am 17. Dezember 1981, also mehr als ein
Jahr nach Einreise in die Bundesrepublik, einen Asylantrag gestellt hat. Er hat
vorgetragen, ihm sei zunächst nicht bekannt gewesen, daß er in der
Bundesrepublik einen Asylantrag stellen könnte. Er sei der Aufforderung seines
Vaters gefolgt und habe sich in B an den "Onkel" gewandt, der für ihn das
notwendige erledigt habe. Er habe sein Schicksal in die Hände dieses "Onkels"
gelegt. Da im Paß als Berufsangabe "Student" gestanden habe, habe der Onkel
"Studienzweck" als Aufenthaltsgrund angegeben. Er, der Kläger, habe kein Wort
Deutsch gekonnt und sich auch mit den Gepflogenheiten in Deutschland nicht
ausgekannt.
Der Senat hat keinen Anlaß, diesen Angaben des Klägers nicht zu glauben. Sie
fügen sich in das Bild, das der Kläger von sich selbst zum Zeitpunkt seiner
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fügen sich in das Bild, das der Kläger von sich selbst zum Zeitpunkt seiner
Ausreise vermittelt: Ein junger Mann, der unsicher ist hinsichtlich seiner Lage und
seinem Verhalten. In einem Land, das ihm fremd ist, begibt er sich auf den Rat des
Vaters in die Obhut eines Nenn-Onkels und läßt diesen zunächst für sich die
Angelegenheiten ohne eigene Einflußnahme regeln.
Die Inhaftierungen erscheinen auch angesichts der Auskünfte des Auswärtigen
Amtes und von amnesty international, den damaligen Zeitraum betreffend, als
glaubhaft. So waren nationale Aktivitäten der Kurden verboten. Mitglieder von
Vereinigungen wurden verfolgt, ebenso inaktive Mitglieder und Sympathisanten
(Auswärtiges Amt an VG Ansbach vom 28. April 1980; Auswärtiges Amt an Bay.
VGH vom 13. Mai 1980; Auswärtiges Amt an VG Neustadt/-Weinstraße vom 16. Juli
1980; Auswärtiges Amt an Bay. VGH vom 30. Juli 1980; amnesty international an
Bay. VGH vom 25. Oktober 1980).
Die Inhaftierungen des Klägers sind als "politische" Verfolgung zu qualifizieren, da
sie dem Kläger in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt
Rechtsverletzungen zufügten. Die spezifische Zielrichtung der Maßnahmen ist
dabei nach ihrer "erkennbaren Gerichtetheit", nicht nach den den Verfolgenden
dabei leitenden subjektiven Gründen oder Motiven zu beurteilen (BVerfG, 10. Juli
1989 -- 2 BvR 502/86 u.a. --, BVerfGE 79, 315 = EZAR 201 Nr. 20). Die
Inhaftierungen trafen den Kläger offensichtlich wegen seiner Tätigkeit und
Mitgliedschaft in der KDP, die in Syrien nach wie vor illegal ist (siehe Auskunft des
Auswärtigen Amtes an VG Ansbach vom 7. Juli 1989). Damit greift der Staat durch
Sanktionen unmittelbar in die politische Überzeugung des einzelnen ein und
versucht, ein freies Entstehen und Betätigen dieser Meinung, insbesondere auch
ihre Verbreitung, zu verhindern.
Angesichts der bereits festgestellten Vorverfolgung kann vorliegend dahingestellt
bleiben, ob in der angeblichen Verurteilung des Klägers in Abwesenheit zu einer
Haftstrafe von sechs Jahren ebenfalls eine politische Verfolgung zu sehen ist. Zwar
hat der Kläger vorgetragen, zu dieser Strafe verurteilt worden zu sein, weil er das
"Kurdische Manifest" verfaßt habe und dieses bei seinen Eltern gefunden worden
sei. Die Angaben zu dieser Verurteilung sind allerdings wenig schlüssig. So sollen
weder seine Eltern noch sein Anwalt ein schriftliches Urteil erhalten haben. Über
die Verurteilung seien die Eltern lediglich durch die Polizei mündlich unterrichtet
worden. Selbst wenn aber eine Haftstrafe verhängt worden sein sollte, ist nicht
ausgeschlossen, daß der Kläger deshalb verurteilt wurde, weil er sich dem
Wehrdienst entzogen hat. Nach seinem eigenen Vorbringen hat er nach Verlassen
Syriens seinen Einberufungsbefehl erhalten. Wehrdienstentziehung wird in Syrien
streng bestraft (Auswärtiges Amt an VG Schleswig vom 11. November 1980;
Auswärtiges Amt an Bay. VGH vom 29. November 1983; Auswärtiges Amt an VG
Stuttgart vom 4. Oktober 1984). Angesichts der bereits festgestellten
Vorverfolgung brauchte dieser unklaren angeblichen Haftstrafe jedoch nicht weiter
nachgegangen zu werden, insbesondere auch nicht der Frage, ob die Verurteilung
wegen Wehrdienstentziehung einen "politmalus" enthält (siehe dazu Hess. VGH,
Urteil vom 2. Oktober 1989 -- 13 UE 3090/86 --; Hess. VGH, Urteil vom 30. Januar
1989 -- 13 UE 2051/84 --).
Diese Vorverfolgung des Klägers im Heimatland ist im Hinblick auf den Maßstab für
die Prognose künftiger Verfolgungsgefahr beachtlich, da sie ursächlich für seine
Ausreise aus Syrien war (zu diesem Erfordernis des kausalen Zusammenhangs
zwischen Verfolgung und Ausreise: BVerfG, 26. November 1986 -- 2 BvR 1058/85 --
, BVerfGE 74, 51 = EZAR 200 Nr. 18; BVerwG, 26. März 1985 -- BVerwG 9 C 107.84
--, BVerwGE 72, 175 = EZAR 200 Nr. 13). Nach seinen Bekundungen hat der
Kläger vor allem wegen seiner Inhaftierung im November 1980 und der darin zum
Ausdruck kommenden unmittelbaren Gefahr weiterer politischer Verfolgung wegen
der Mitgliedschaft und Betätigung in der KDP und der damit verbundenen
Beschäftigung mit der Kultur und der politischen Lage der syrischen Kurden Syrien
am 25. November 1980 verlassen.
In Anbetracht der bestehenden Vorverfolgung des Klägers ist ihm ein Anspruch auf
Anerkennung als Asylberechtigter zuzuerkennen, denn es kann nicht mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, daß er im Falle der
Rückkehr Opfer staatlicher Verfolgungsmaßnahmen aus politischen Gründen
werden bzw. erneut in die konkrete Gefahr geraten könnte, derartigen
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden.
Dem Verwaltungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es ausführt, der Kläger
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Dem Verwaltungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es ausführt, der Kläger
müsse mit Verfolgungsmaßnahmen bei seiner Rückkehr deshalb nicht rechnen,
weil es sich bei ihm nach dem unpolitischen Eindruck, den er in der mündlichen
Verhandlung gemacht habe, um ein unbedeutendes Mitglied der KDP handele,
dessen Aktivitäten ein geringes Ausmaß gehabt hätten.
Zwar hat sich nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes die Lage der in der
KDP organisierten Kurden, einer nach wie vor verbotenen Partei, in Syrien etwa ab
1982 dahingehend geändert, daß die Organisation an sich toleriert werde
(Auswärtiges Amt an VG Ansbach vom 20. Juni 1985). Demgegenüber waren zum
Zeitpunkt der Inhaftierungen des Klägers nationale Aktivitäten der Kurden
verboten. Mitglieder von Vereinigungen wurden verfolgt und verhaftet, ebenso
inaktive Mitglieder und Sympathisanten (Auswärtiges Amt an VG Ansbach vom 28.
April 1980, Auswärtiges Amt an VG Neustadt/Weinstraße vom 16. Juli 1980). Syrien
befindet sich rechtlich seit Entstehung des Staates Israel im Kriegszustand
(Auswärtiges Amt an VG Berlin vom 8. Februar 1983). Aufgrund dieser Tatsache ist
Art und Umfang der Verfolgung von politischen Oppositionellen völlig vom
jeweiligen Ermessen der Sicherheitsdienste abhängig. Die bloße Mitgliedschaft in
einer kurdischen Organisation konnte durchaus zu einer Inhaftierung und längeren
Überprüfung ausreichen. Der Verdacht besonderer Aktivitäten führte regelmäßig
zu lang andauernder Haft, vielfach auch ohne Verfahren vor dem
Staatssicherheitsgericht (Auswärtiges Amt an Bay. VGH vom 13. Mai 1980;
Auswärtiges Amt an VG Neustadt/Weinstraße vom 16. Juli 1980). Zwar fand
offenbar keine Verfolgung lediglich wegen der kurdischen Volkszugehörigkeit an
sich statt, die Repressalien gegen Mitglieder der Kurdischen Demokratischen
Partei reichten aber von der Überwachung über Schwierigkeiten bei der
Arbeitsfindung und der Verweigerung von Personalpapieren bis zu willkürlichen
Verhaftungen (Auswärtiges Amt an Bay. VGH vom 30. Juli 1980).
Die im Jahre 1982 einsetzende Duldung der Existenz der KDP hing offenbar
zusammen mit dem Auftreten politischer Spannungen zwischen Syrien und dem
Irak (Schließung der gemeinsamen Grenze im April 1982). In dieser Zeit begann
eine aktive syrische Unterstützung kurdischer Exilorganisationen. Entsprechend
wuchs die Toleranz gegenüber den eigenen kurdischen Organisationen,
insbesondere, wenn deren Mitglieder gegen das von Syrien bekämpfte S-H-
Regime im Irak auftraten (Auswärtiges Amt an VG Ansbach vom 15. Mai 1984;
Auswärtiges Amt an VG Ansbach vom 20. Juni 1985).
Diese partielle Duldung schließt jedoch nicht aus, daß Mitglieder oder frühere
Mitglieder der KDP -- je nach Ausmaß ihrer jetzigen oder früheren Betätigung --
den syrischen Behörden als politische Aktivisten verdächtig sind und bei ihrer
Rückkehr staatliche Maßnahmen zu gegenwärtigen haben (Auswärtiges Amt an VG
Köln vom 25. März 1988; Auswärtiges Amt an VG Ansbach vom 7. Juli 1989). Nach
der Auskunftslage (Auswärtiges Amt an Bay. VGH vom 26. Juni 1986; die sich
weitgehend mit früheren Einschätzungen des Auswärtigen Amtes deckt) ist
deshalb eine begründete Verfolgungsgefahr auch dann anzunehmen, wenn es sich
um ausgesprochen regimefeindliche Aktivitäten handelt, durch die sich das
syrische System in seinem Bestand bedroht fühlt. Diese Einschätzung deckt sich
mit der von amnesty international (Stellungnahme vom 13. Oktober 1987 an das
VG Köln). Diese geht dahin, daß politische Aktivitäten, die sich gegen den
syrischen Staat und die derzeitige Regierung A richten, politische
Verfolgungsmaßnahmen auslösen.
Der Kläger war aktives Mitglied der KDP. Er hat für die Partei Flugblätter verteilt und
hergestellt, in dem Teile seines "Kurdischen Manifestes" auf Flugblättern publik
gemacht worden sind. Dieses Manifest beschäftigte sich nicht nur kritiklos mit der
Kultur und Geschichte der Kurden, sondern wendete sich durch Anprangerung der
nationalen Unterdrückung und dem Aufruf an die zivilisierte Welt, den Kurden bei
ihrem Freiheitskampf behilflich zu sein, eindeutig gegen das Regime A. Dieses
Manifest ist den syrischen Behörden auch bekannt geworden. Es ist bei der
Durchsuchung des Hauses der Eltern des Klägers gefunden und beschlagnahmt
worden. Der Senat hat keinen Anlaß, an dieser Aussage des Klägers zu zweifeln.
Sie wird auch durch die eidesstattliche Versicherung seiner Mutter bestätigt. Ob
der Kläger allerdings wegen der Formulierung des Kurdischen Manifestes bereits zu
einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden ist und deshalb bei seiner
Rückkehr mit Verhaftung rechnen muß, ist, wie bereits oben Seite 25 f.
festgestellt, zweifelhaft, braucht hier jedoch nicht entschieden zu werden, da
jedenfalls nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann,
daß der Kläger wegen seiner politischen Aktivitäten in der KDP, insbesondere
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daß der Kläger wegen seiner politischen Aktivitäten in der KDP, insbesondere
aufgrund seiner im "Kurdischen Manifest" zum Ausdruck kommenden
Gegnerschaft zum herrschenden syrischen Regime, politische Verfolgung zu
befürchten hat.
Dies gilt trotz der langen Zeitspanne zwischen den Aktivitäten des Klägers für die
KDP in Syrien (1977 bis 1980) und einer möglichen Rückkehr zum jetzigen
Zeitpunkt. Er dürfte den syrischen Behörden als politischer Aktivist bekannt und
nach wie vor verdächtig sein (vgl. dazu Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG
Köln vom 25. März 1988). Bei seiner Rückkehr hätte der Kläger damit zu rechnen,
von syrischen Stellen beobachtet und verhört zu werden. Nach der soeben
genannten Auskunft des Auswärtigen Amtes dürfte sich das syrische Interesse vor
allem auf Einzelheiten seiner politischen Tätigkeit im Ausland und Angaben über
andere Syrer und seine Kontakte zu ihnen konzentrieren. Sollte er nicht von sich
aus zur Zusammenarbeit mit syrischen Stellen bereit sein, was vermutlich für ihn
einen Bruch mit seinen Überzeugungen und einen Bruch mit seinen Landsleuten
bedeuten würde oder sollte den syrischen Stellen seine Kooperationsbereitschaft
nicht ausreichend erscheinen, so ist mit einer Inhaftierung zu rechnen, die sich auf
unbestimmte Dauer erstrecken kann.
Angesichts der bereits festgestellten Verfolgungsgefahr kann dahingestellt
bleiben, ob dem Kläger auch wegen seiner exilpolitischen Betätigung --
Mitgliedschaft in der Vereinigung kurdischer Studenten in Europa -- KSSE -- sowie
Teilnahme an Veranstaltungen anderer kurdischer Organisationen -- Verfolgung
droht.
Ebensowenig braucht die Frage entschieden zu werden, ob der Kläger allein wegen
seiner Asylantragstellung politische Verfolgung zu befürchten hat.
Aus den vorstehenden Darlegungen folgt zugleich, daß der Kläger auch einen
Anspruch darauf hat, daß für seinen Fall das Vorliegen der Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG festgestellt wird.
Nach alledem ist der Kläger unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides
des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17. Oktober
1983 als Asylberechtigter anzuerkennen und festzustellen, daß die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen.
Hingegen muß die Berufung erfolglos bleiben, soweit der Kläger die Aufhebung der
ausländerbehördlichen Verfügung des Beklagten zu 2. vom 1. November 1983
begehrt. Wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof inzwischen mehrfach
entschieden hat, ist eine Anfechtungsklage gegen aufenthaltsbeendende
Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 AsylVfG a.F., wenn mit der Klagebegründung
ausschließlich die Ablehnung des Asylantrages gerügt wird, zwar nicht schon
mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, aber doch unbegründet,
wenn sich der ausländerbehördliche Bescheid -- ungeachtet der Entscheidung über
die Asylverpflichtungsklage -- als rechtmäßig erweist. Mit Eintritt der Rechtskraft
einer der Asylverpflichtungsklage stattgebenden Entscheidung werden
aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 AsylVfG a.F. gegenstandslos,
nicht aber rechtswidrig (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 28. Oktober 1988 -- 12 TE
1883/86 -- m.w.N., EZAR 221 Nr. 28). Die ausländerbehördliche Verfügung erweist
sich vorliegend als rechtmäßig. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung
sind unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Ablehnung des
Asylantrages ergangen und der Kläger hat außer seiner Rechtsauffassung, er sei
asylberechtigt, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung
in substantiierter Form weder geltend gemacht noch sind derartige Mängel sonst
ersichtlich.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.