Urteil des HessVGH vom 09.04.2008

VGH Kassel: russische föderation, amnesty international, ausreise, anerkennung, flüchtlingseigenschaft, registrierung, republik, wahrscheinlichkeit, gefahr, zugehörigkeit

1
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UE 457/06.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 77 AsylVfG 1992, § 60
Abs 1 S 5 AufenthG 2004, §
60 Abs 11 AufenthG 2004,
§ 60 Abs 2 AufenthG 2004,
§ 60 Abs 3 AufenthG 2004
(Russland; Gruppenverfolgung armenischer Tschetschenen;
Fluchtalternative; Qualifikationsrichtlinie)
Leitsatz
1. Armenische Volkszugehörige, die in Tschetschenien geboren worden sind und dort
bis zu ihrer Ausreise im November 2002 gelebt haben, gehören der sozialen Gruppe
der aus Tschetschenien stammenden Kaukasier an (§ 60 Abs. 1 AufenthG), die im
Zeitpunkt der Ausreise allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe von den
russischen Sicherheitskräften mit flüchtlingsrelevanten Maßnahmen überzogen worden
sind.
2. Ethnische Armenier, die in Tschetschenien geboren worden sind und dort bis zu ihrer
Ausreise gelebt haben, bei denen jedoch ein Bezug zu den tschetschenischen Rebellen
weder nachgewiesen noch vermutet werden kann, können aufgrund der festgestellten
Vorverfolgung nicht auf eine Rückkehr nach Tschetschenien verwiesen werden (Art. 4
Abs. 4 QRL).
3. Ethnischen Armeniern, die in Tschetschenien geboren worden sind und dort bis zu
ihrer Ausreise gelebt haben, steht, soweit bei ihnen kein Bezug zu den
tschetschenischen Rebellen festgestellt worden ist oder unterstellt werden kann, in den
Gebieten der armenischen Diaspora in der Russischen Föderation, dort insbesondere in
Stawropol, Krasnodar oder Rostow am Don eine interne Schutzmöglichkeit gemäß Art.
8 QRL zur Verfügung.
Tenor
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt. Das
Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 2. Juni 2004 - 2 E 782/03.A - ist
wirkungslos, soweit es die Zuerkennung von Asyl gemäß Art. 16 a GG betrifft.
Im Übrigen wird auf die Berufung der Beklagten sowie des Beteiligten das Urteil
des Verwaltungsgerichts Kassel vom 2. Juni 2004 - 2 E 782/03.A - abgeändert. Die
Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten
werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten
abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger zuvor Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die nach ihren Angaben 19.. und 19.. in D., Tschetschenien, geborenen Kläger
1
2
3
Die nach ihren Angaben 19.. und 19.. in D., Tschetschenien, geborenen Kläger
beantragten am 31. Oktober 2002 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Die
Kläger sind die Eltern des xG., dessen Asylverfahren unter dem Aktenzeichen 3 UE
459/06.A sowie des xG., dessen Asylverfahren gemeinsam mit dem der xG. unter
dem Aktenzeichen 3 UE 460/06.A geführt wird.
Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge am 18. November 2002 trug der Kläger im Wesentlichen
vor, er sei russischer Staatsangehöriger armenischer Volkszugehöriger christlichen
Glaubens und spreche neben der russischen Sprache keine weiteren Sprachen. Er
sei in Tschetschenien geboren und habe dort bis zum September 2001 gelebt,
zuletzt hätten sie sich in den tschetschenischen Bergen versteckt aufgehalten.
Papiere hätten sie keine, sie seien illegal über Georgien ausgereist. Die Ehe mit
der Klägerin habe er 1974 in D. geschlossen. Sie hätten zwei Söhne, die hier in
Deutschland lebten und Asylbewerber seien. In der Russischen Föderation lebten
keine Verwandten mehr. Er habe in Tschetschenien den Mittelschulabschluss
erworben und nach der Lehre als Elektrotechniker ab 1995 bis vor drei Jahren eine
Autowerkstatt betrieben. Von 1968 bis 1970 sei er in der Deutschen
Demokratischen Republik stationiert gewesen. Am 16. Oktober 2002 seien sie mit
der Georgia Airlines von Tiflis aus nach Frankfurt am Main geflogen. Die bei der
Einreise benutzten Pässe seien ihnen von dem Schlepper nach der Einreise
abgenommen worden. Einer politischen Organisation oder Partei habe er in der
Russischen Förderation nicht angehört, er sei auch keinen politischen Aktivitäten
nachgegangen. Tschetschenien habe er aus folgenden Gründen verlassen:
1995/1997, als der Krieg in Tschetschenien ausgebrochen sei, sei auch ihr Dorf D.
von dem Kriegsgeschehen erfasst worden. Tschetschenen hätten ihn zwingen
wollen, mit ihnen zu kämpfen, ebenso hätten sie gewollt, dass er ihre Religion
annehme. Nach Ausbruch des 2. Tschetschenienkrieges hätten sie daher ihr
Heimatdorf verlassen müssen und sich in einem anderen Dorf niedergelassen. Der
Krieg habe Anfang Februar 2000 dann jedoch auch dieses Dorf erreicht. Es habe
mit Bombardierungen begonnen, und dann seien erneut die Rebellen gekommen,
um von ihm zu verlangen, sich ihnen anzuschließen. 1998 habe sein ältester Sohn
eine Tschetschenin geheiratet. Im Jahr 2000 sei dieser Sohn gemeinsam mit der
Schwiegertochter zu den Schwiegereltern gegangen, sie seien von dort jedoch
nicht zurückgekehrt. Auch sein jüngerer Sohn sei damals verschwunden. Er habe
sich große Sorgen gemacht und sich auf den Weg begeben, seine Söhne und die
Schwiegertochter zu suchen. Unterwegs sei er von russischen Soldaten
angehalten und an einen unbekannten Ort mitgenommen worden, wo er bis zum
Mai 2000 habe bleiben müssen. Sie seien mitgenommen worden, weil sie ohne
Ausweispapiere gewesen seien und die Soldaten sie für tschetschenische Rebellen
gehalten hätten. Im Mai 2000 seien sie in ein Gefängnis gebracht worden, wo
Befragungen begonnen hätten. Man habe ihnen vorgeworfen, zu den
tschetschenischen Rebellen zu gehören und habe auf sie eingeschlagen. Im
August 2001 habe es dann eine weitere Vernehmung gegeben und am 1.
September 2001 seien sie schließlich wieder auf freien Fuß gesetzt worden.
Während der ganzen Zeit habe er sich immer wieder Gedanken um seine Kinder
gemacht und sich gefragt, ob sie noch am Leben seien. Ihm sei während der
ganzen Zeit der Vorwurf gemacht worden, seine Kinder kämpften auf
tschetschenischer Seite und seien deshalb geflohen.
Auf Nachfrage des Bundesamtes, ob die russischen Sicherheitskräfte nicht anhand
seines Namens und seines religiösen Bekenntnisses hätten feststellen können,
dass er selbst kein Tschetschene sei, erklärte der Kläger, die einzige Möglichkeit
sei gewesen, ihnen seine Genitalien zu zeigen, was jedoch nichts bewirkt habe. Im
Übrigen sei auch seine Frau inhaftiert gewesen, sie seien aber in verschiedenen
Zellen untergebracht gewesen. Zu der Freilassung im September 2001 sei es
durch einen älteren Mann gekommen, der in dem Gefängnis das Sagen gehabt
und festgestellt habe, dass sie die Wahrheit gesagt hätten. Nachdem sie
fotografiert worden seien, sei ihnen eine Bescheinigung ausgestellt und sie seien
freigelassen worden. Auch diese Bescheinigung sei ihnen von dem Schlepper
abgenommen worden. Nach ihrer Freilassung seien sie in ihr Heimatdorf
zurückgekehrt und hätten dort von einer Nachbarin erfahren, dass ihre Söhne am
17. August 2000 einen Georgier beauftragt hätten, sie außer Landes zu bringen.
Ihr Haus sei zerstört gewesen. Sie hätten daraufhin ebenfalls Kontakt zu diesem
Mann aufgenommen und ihn angefleht, auch ihnen zu helfen. Zunächst hätten sie
bis Februar 2002 in den Ruinen ihres Hauses gelebt, danach seien sie von dem
Georgier zu einem Hirten in die Berge gebracht worden. Dort seien sie bis zum
14./15. August 2002 geblieben, er, der Kläger, habe in dieser Zeit dem Hirten bei
der Arbeit geholfen. Der Fluchthelfer sei dann mit einem Traktor und einem Wagen
4
5
6
7
der Arbeit geholfen. Der Fluchthelfer sei dann mit einem Traktor und einem Wagen
mit Stroh gekommen, in dem sie sich hätten verstecken müssen, dann sei ihnen
gesagt worden, dass sie sich nun in Georgien befänden. Der Schlepper habe sie
mit zu sich nach Hause nach Tiflis genommen, wo sie schließlich am 16. Oktober
2002, ausgestattet mit Pässen, losgeflogen seien. Da der Schlepper ihnen gesagt
habe, dass er ihre beiden Söhne nach Deutschland gebracht habe, sei für sie auch
nur diese Fluchtvariante in Betracht gekommen.
Die Klägerin gab im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 18. November 2002 an, außer russisch
keine weiteren Sprachen zu beherrschen. Sie sei von der Vaterseite her Jüdin und
von der Mutterseite her Armenierin. Sie sei in Tschetschenien geboren worden und
habe dort bis zu ihrer Ausreise gelebt. Ihren Ehemann habe sie im Jahr 1974 in D.
geheiratet, sie habe den Mittelschulabschluss und nach einer Lehre bis zum Jahr
1995 als Elektrotechnikerin im Betrieb ihres Mannes als Buchhalterin gearbeitet.
Danach sei sie Hausfrau gewesen. Einen Pass oder Ähnliches besitze sie nicht.
Von Mai 2000 bis September 2001 habe sie sich gemeinsam mit ihrem Ehemann
in russischem Gewahrsam befunden. Wie es genau zur Freilassung gekommen sei,
könne sie nicht sagen, es sei wohl festgestellt worden, dass sie nicht diejenigen
Menschen seien, für die sie gehalten worden seien. Befragt nach ihren
persönlichen Erlebnissen während der Gefangenschaft trug sie vor, in dem
Gefangenenlager seien verschiedene Nationalitäten untergebracht gewesen,
darunter auch Tschetscheninnen. Diese hätten sie gezwungen, all das zu machen,
was sie nicht hätten machen wollen. Sie hätten sie auch zum Putzen gezwungen.
Als sie aus dem Gefängnis freigelassen worden seien, seien sie per Autostop nach
Hause zurückgekehrt, wo sie hätten feststellen müssen, dass ihr Haus zerstört
gewesen sei. Eine Nachbarin habe ihnen gesagt, dass ihre Kinder am 17. August
2001 zu Hause gewesen seien und sich dann an einen Georgier namens ...
gewandt hätten, um wegzugehen. Den Schlepper hätten sie dann ebenfalls
kontaktiert und gebeten, sie außer Landes zu bringen. Sie seien dann am 14.
August 2002 in Georgien angekommen.
Mit Bescheid vom 24. März 2003 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag der Kläger ab und stellte fest, dass weder
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach §
53 AuslG vorliegen. Des Weiteren wurden die Kläger aufgefordert, die
Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe bzw. im
Falle einer Klageerhebung innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem
Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der Nichteinhaltung der
Ausreisefrist wurde ihnen ihre Abschiebung in die Russische Föderation oder in
einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme
verpflichtet ist, angedroht.
Gegen den am 28. März 2003 zugestellten Bescheid haben die Kläger am 8. April
2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht Kassel - 7 E 782/03.A - erhoben. Im
Rahmen des Klageverfahrens trugen sie über ihren Bevollmächtigten ergänzend
vor, sie seien Christen armenischer Volkszugehörigkeit aus Tschetschenien. Sie
würden von zwei Seiten bedrängt und verfolgt. Von der russischen Seite würden
sie als Kaukasier und Dunkelhäutige angesehen und folglich als Terroristen
behandelt. Ständig würden sie kontrolliert und jedermann misstraue ihnen. Von
den Tschetschenen erhielten sie keine Unterstützung, weil sie nicht moslemischen
Glaubens seien. Sie gehörten einer absoluten Minderheit an, höchstens 2 Prozent
der Bevölkerung in Tschetschenien seien armenische Christen. Zu Hause seien sie
im Besitz sowjetischer Pässe gewesen, russische Pässe hätten sie nie gehabt. Ihr
Sohn ..., der vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof Kassel unter dem
Aktenzeichen 3 UE 459/06.A ein eigenes Asylverfahren betreibe, habe überhaupt
keinen Pass gehabt, weil er noch zu klein gewesen sei.
In der mündlichen Verhandlung am 2. Juni 2004 vor dem Verwaltungsgericht trug
der Kläger zu 1. ergänzend vor, sie hätten bis 1995 in D. und ab 1995 in K.
gewohnt. Sie hätten sich in dieser Zeit von Getreide, Kartoffeln und Mehl ernährt,
außerdem habe ihnen das Rote Kreuz geholfen. Ab 1995 habe er nicht mehr
gearbeitet, er habe nur noch zu Hause Autos repariert. Damit habe er etwas Geld
verdient, es sei aber sehr wenig gewesen. Er sei verdächtigt worden, zu den
Kämpfern zu gehören, auch habe man nicht verstanden, was ein Armenier in
Tschetschenien zu tun habe. Er sei festgenommen worden, weil es nicht weit von
ihrem Haus einen Mord gegeben habe. Er sei aus seinem Haus herausgegangen
und habe nach seinen Kindern gesucht, etwa 15 oder 20 m von seinem Haus
entfernt sei er dann gemeinsam mit seiner Ehefrau festgenommen worden. Sie
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
entfernt sei er dann gemeinsam mit seiner Ehefrau festgenommen worden. Sie
seien gestoßen und geschlagen worden, er habe viele blaue Flecken gehabt, man
habe sie auch mit Stiefeln getreten. Sie hätten gedacht, dass er etwas wisse, er
habe ihnen aber nichts sagen können. Er sei gemeinsam mit 15 bis 20 anderen
Männern über die ganze Zeit an demselben Ort untergebracht gewesen und oft
verhört worden. Männer und Frauen seien in getrennten Häusern untergebracht
gewesen. Letztendlich habe man ihm dann doch, da er nicht beschnitten sei,
geglaubt, dass er Armenier sei, er habe auch kein tschetschenisch verstanden.
Auf der Flucht hätten sie sich etwa 8 Monate in Georgien aufgehalten, ob es sich
dabei allerdings tatsächlich um Georgien gehandelt habe, wisse er nicht, sie
hätten auf einer Wiese gelebt. In Tiflis selbst hätten sie sich etwa 2 Tage lang
aufgehalten.
Die Kläger haben beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes vom 24. März 2003 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen,
dass die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG,
hilfsweise: Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG in ihrer Person vorliegen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 2. Juni 2004 hat das Verwaltungsgericht Kassel den Bescheid des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 24. März 2003
aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Kläger als Asylberechtigte
anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG
in ihrer Person vorliegen. Auf Antrag des Bundesbeauftragten für
Asylangelegenheiten vom 23. Juli 2004 (Bl. 116 GA) sowie der Beklagten vom 3.
August 2004 (Bl. 130 GA) hat der 3. Senat des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs mit Beschluss vom 20. Februar 2006 - 3 UZ 2270/04.A -
die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 2. Juni 2004 - 2
E 782/03.A - zugelassen.
Zur Berufungsbegründung trägt das Bundesamt im Wesentlichen unter Verweis
auf diverse obergerichtliche Entscheidungen vor, es sei grundsätzlich
klärungsbedürftig, ob in Tschetschenien lebende tschetschenische
Volkszugehörige ebenso wie Personen, die dort gelebt hätten, auch wenn sie keine
ethnischen Tschetschenen seien, einer Gruppenverfolgung unterlägen und auch
armenische bzw. armenisch-jüdische Volkszugehörige, die aus dem Kaukasus
stammten und in Tschetschenien gelebt hätten, hinsichtlich einer innerstaatlichen
Fluchtalternative denselben Gefährdungen ausgesetzt seien wie ethnische
Tschetschenen (Bl. 152 GA, 130 GA). Auch das Inkrafttreten der
Qualifikationsrichtlinie führe zu keinem anderen Ergebnis in der Sache, da den
Klägern zuzumuten sei, ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der
Russischen Föderation zu nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher seien und wo
ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet sei (Bl. 303 ff.
GA).
Am 14. März 2008 hat im Berufungsverfahren vor der Berichterstatterin ein
Erörterungstermin stattgefunden, in dessen Verlauf die Kläger durch ihren
Bevollmächtigten die Klage, soweit sie sich auf die Zuerkennung von Asyl gemäß
Art. 16 a GG bezieht, zurückgenommen haben. Der Bevollmächtigte der Beklagten
hat der Klagerücknahme zugestimmt.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage, soweit sie noch rechtshängig ist, unter Aufhebung des Urteils des
Verwaltungsgerichts Kassel vom 2. Juni 2004 - 2 E 782/03.A - in vollem Umfang
abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, für sie als aus Tschetschenien
stammende armenische Christen gebe es in der Russischen Föderation keine
inländische Fluchtalternative. Kaukasische Binnenvertriebene seien in der
Russischen Föderation häufig fremdenfeindlichen Übergriffen und vermehrten
20
21
22
23
24
25
26
Russischen Föderation häufig fremdenfeindlichen Übergriffen und vermehrten
Polizeikontrollen ausgesetzt, insbesondere könnten sie sich dort nicht registrieren
lassen und daher keinen legalen Aufenthalt begründen. Ohne Anmeldung seien sie
jedoch nicht in der Lage, ein menschenwürdiges Leben zu führen, da sie nur mit
Anmeldung legal arbeiten, Kinder zur Schule anmelden oder den
Gesundheitsdienst in Anspruch nehmen könnten.
Der Beteiligte beantragt sinngemäß,
die Klage, soweit sie noch rechtshängig ist, unter Abänderung des
angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 2. Juni 2004 - 2 E
782/03.A - abzuweisen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die angefochtene Entscheidung
könne keinen Bestand haben, da mit der überwiegenden einschlägigen
obergerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen sei, dass russischen
Staatsangehörigen aus Tschetschenien in weiten Teilen der Russischen Föderation
eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Der vorliegende Fall biete
keine Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regelvermutung, zumal die
Kläger keine ethnischen Tschetschenen seien und nicht erkennbar sei, dass sie im
Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation in eine erhebliche existentielle
Gefährdungslage geraten könnten (Bl. 156, 116 GA). Im Übrigen könne weder aus
den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie noch anderweitig abgeleitet werden,
dass die in der bisherigen nationalen Rechtsprechung herausgearbeiteten
Grundsätze und deren Auswirkungen bei den verschiedenen Ausprägungen einer
gruppengerichteten, aber nur örtlich begrenzt sich zeigenden, gegenüber einer als
regional zu qualifizierenden Gefährdung nun keinen Fortbestand mehr hätten bzw.
das Bundesverwaltungsgericht den Typus der örtlich begrenzten
Gruppenverfolgung für "überholt" einstufe. Dafür ergebe sich auch nichts aus
dessen Beschluss vom 4. Januar 2007 - 1 B 47.06 -, der zeitlich nach Ablauf der
Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie ergangen sei. Im Gegenteil dürfe die
(erst) zu diesem Zeitpunkt erfolgte ausdrückliche Betonung des oben genannten
Grundsatzes durch das Bundesverwaltungsgericht verdeutlichen, dass dieses -
dabei in Kenntnis und unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Ablaufs der
Umsetzungsfrist der QRL 2004/83/EG - keine Zweifel an der weiteren Bedeutung
des Verfolgungstyps der örtlich begrenzten Gruppenverfolgung und der weiteren
Geltung der bisherigen Grundsätze zur Abgrenzung einer örtlich begrenzten von
einer regional begrenzten Gruppenverfolgung hege, sowie nach wie vor dem
jeweiligen Verfolgungstypus die entscheidende Bedeutung beimesse, wer bei
heutiger Rückkehr zur gefährdeten Gruppe zu zählen sein könne (Bl. 297 GA).
Der Senat hat durch Beschluss vom 26. Januar 2007 (Bl. 165 GA) Beweis erhoben
zur Sicherheitslage russischer Staatsangehöriger armenischer Volkszugehörigkeit,
die in Tschetschenien geboren worden sind und dort bis zu ihrer Ausreise gelebt
haben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte Bezug genommen. Ebenso wird wegen der weiteren Einzelheiten des
Sach- und Streitstandes auf die in der Gerichtsakte befindlichen Schriftstücke, den
Verwaltungsvorgang der Beklagten (1 Aktenheft) sowie auf die den Beteiligten
mitgeteilten Erkenntnisse zur Situation in der Russischen Föderation
(Erkenntnisquellenliste Russische Föderation - Tschetschenien -, Stand: Januar
2008) Bezug genommen. Die Unterlagen sind insgesamt zum Gegenstand des
Verfahrens gemacht worden.
II.
Soweit die Kläger ihre Klage auf Anerkennung als Asylberechtigte
zurückgenommen haben, wird das Verfahren eingestellt (§ 92 Abs. 3 VwGO). Das
Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 2. Juni 2004 - 2 E 782/03.A - ist insoweit
wirkungslos (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
Im Übrigen entscheidet der Senat über die Berufungen der Beklagten sowie des
Beteiligten durch Beschluss gemäß § 130 a VwGO, da er sie einstimmig für
begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die
Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Vorgehensweise zu
äußern.
Die Berufungen der Beklagten sowie des Beteiligten, mit dem die Abänderung des
Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 2. Juni 2004 - 2 782/03.A - begehrt
wird, ist aufgrund der Zulassung durch den Senat und auch sonst zulässig und
auch begründet.
27
28
29
30
31
32
33
34
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, hinsichtlich der
Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, der gemäß Art. 15 Abs. 3 des
Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des
Aufenthalts der Integration von Unionsbürgern und Ausländern
(Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 seit dem 1. Januar 2005 durch § 60 Abs.
1 AufenthG abgelöst wurde, festzustellen; denn die Ablehnung der Feststellung
von Flüchtlingsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG in der Fassung des Gesetzes
zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union
vom 19. August 2007 (BGBl. I Nr. 42 S. 1970 ff.) stellt sich im maßgeblichen
Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) als rechtmäßig dar.
Allerdings scheitert die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nicht bereits an einer
entsprechenden Anwendung des § 27 AsylVfG bzw. dem Grundsatz der
Subsidiarität internationalen Flüchtlingsschutzes.
Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 2. Juni 2004 haben sich die Kläger
vor ihrer Ausreise 8 Monate in Georgien aufgehalten, was im Asylverfahren zur
Anwendung der Vermutungsregel des § 27 Abs. 3 AsylVfG geführt hätte. Danach
wird vermutet, dass, soweit sich ein Ausländer in einem sonstigen Drittstaat, in
dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in das Bundesgebiet
länger als drei Monate aufgehalten hat, er dort vor politischer Verfolgung sicher
war.
Der Ausschluss der Anerkennung als Asylberechtigter nach § 27 AsylVfG ist von
seinem Wortlaut her nicht auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach §
60 Abs. 1 AufenthG anwendbar (vgl. Gemeinschaftskommentar zum
Asylverfahrensgesetz - GK-AsylVfG - Band II, § 27 Rdnr. 16 unter Hinweis auf
BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - BVerwGE 1 C 29.03, BVerwG, Urteil vom
12.07.2005 - 1 C 22.04 - jeweils juris-online). Auch aus dem Grundsatz der
Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes folgt im Falle der Kläger
nichts anderes, denn allenfalls wenn der Flüchtling bereits ausreichende Sicherheit
vor Verfolgung in einem anderen Staat gefunden hat und die Rückkehr bzw. die
Rückführung in diesen Staat möglich ist, könnte dies der Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG gegebenenfalls
entgegengehalten werden (vgl. GK-AsylVfG, a. a. O., § 27 Rdnr. 16 mit
Rechtsprechungsnachweisen). Im Fall der Kläger ist jedoch nicht erkennbar, dass,
selbst wenn sie sich tatsächlich vor ihrer Ausreise 8 Monate in den Bergen
Georgiens - und damit nicht im Bergland Tschetscheniens - aufgehalten haben
sollten, dies zur Folge hat, dass sie dorthin wieder zurückgeführt werden könnten
und dort sicher vor Verfolgung wären. Nach ihrem eigenen Vortrag haben sie sich
dort illegal bei einem Hirten aufgehalten, von einer Unterschutzstellung unter den
georgischen Staat kann dabei keine Rede sein.
Ist damit der Flüchtlingsstatus des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht grundsätzlich wegen
der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts ausgeschlossen, ist die Berufung der
Beklagten sowie des Beteiligten, mit der sie die Abänderung des Urteils des
Verwaltungsgerichts Kassel vom 2. Juni 2004 - 2 E 782/03.A - begehren, gleichwohl
begründet.
Gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens
über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559)
nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit
wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht
ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die
Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen
Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen
oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt wurden. Eine
Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann
auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen
Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft.
Eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 kann ausgehen von
a. dem Staat, b. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche
Teile des Staatsgebietes beherrschen oder c. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die
35
36
37
38
39
Teile des Staatsgebietes beherrschen oder c. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die
unter Buchstabe a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler
Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz
vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land ein
staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine
innerstaatliche Fluchtalternative. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach
Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG
des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den
Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als
Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt
des zu gewährenden Schutzes vom 29. April 2004 (ABl. EU L 304 S.12, ber. ABL.
2005 L 204 S. 24 - Qualifikationsrichtlinie/QRL -) ergänzend anzuwenden.
Der Senat hat sich in seinem rechtskräftigen Grundsatzurteil vom 21. Februar
2008 - 3 UE 191/07.A - mit den Veränderungen, die sich aus der Umsetzung bzw.
dem Inkrafttreten der QRL ergeben, sowie der Sicherheitslage tschetschenischer
Flüchtlinge aus Tschetschenien befasst und ausgeführt:
"Nach der nunmehr in § 60 Abs. 1 AufenthG in Bezug genommenen und im
Übrigen aufgrund des Ablaufs ihrer Umsetzungsfrist zum 10. Oktober 2006
ohnehin in weiten Teilen unmittelbar geltenden Qualifikationsrichtlinie (vgl. zur
unmittelbaren Geltung von Richtlinien EuGH, Urteil vom 19. 01. 1982 - Rs. 8 /81 -,
EuGHE 1982, 53 Rz 21 ff. und vom 20. 09. 1988 - Rs 190/87 -, EuGHE 1988, 4689
Rz 22 ff.; Herdegen, Europarecht, 8. Aufl., 2006, § 9 Rdn 44 ff.) haben sich die
vorwiegend richterrechtlich entwickelten Prüfungsmaßstäbe hinsichtlich der
Zuerkennung von Flüchtlingsschutz unmittelbar am Wortlaut der QRL und des
AufenthG zu messen, wobei dies teils zu gravierenden Änderungen, teils jedoch
zur Beibehaltung auch bisher geltender Prüfmaßstäbe führt. Dabei ist bei der
Auslegung der von dem deutschen Gesetzgeber so formulierten "ergänzenden"
Anwendung der Vorschriften der QRL - § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG - zu beachten,
dass gem. Art. 1 QRL die Richtlinie verbindliche Mindestnormen für die
Mitgliedstaaten festschreibt, die durch den nationalen Gesetzgeber nicht
unterschritten werden dürfen. Wesentliches Ziel der Richtlinie ist nämlich die
Schaffung einer gemeinsamen Asylpolitik einschließlich eines "Gemeinsamen
Europäischen Asylsystems". Die Richtlinie soll auf "kurze Sicht zur Annäherung der
Bestimmungen über die Zuerkennung und Merkmale der Flüchtlingseigenschaft
führen" (vgl. Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung, Erläuterungen zur
Richtlinie 2004/83/EG, 2005, Vorwort zur Neugestaltung des Handbuchs, III).
Bei der Frage, welcher Maßstab an die zu prüfende Verfolgungswahrscheinlichkeit
unter Geltung der QRL anzulegen ist, ist zunächst auf Art. 4 Abs. 3 QRL zu
verweisen, nach dem stets eine individuelle Prüfung zu erfolgen hat, mithin eine
rein generalisierende Sichtweise nicht mehr mit dem Wortlaut der Richtlinie zu
vereinbaren wäre (vgl. Hruschka/Löhr, Der Prognosenmaßstab für die Prüfung der
Flüchtlingseigenschaft nach der Qualifikationsrichtlinie, ZAR 2007, S. 180 ff.).
Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob
einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu
gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nach dem, ob dieser
seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender
politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik
Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfGE 80, 315 = NVwZ 1990, 151 = NJW 1990,
974), nimmt zwar die QRL eine entsprechende Unterscheidung ebenfalls auf,
allerdings mit Verschiebungen des Prüfungsumfangs hinsichtlich der vorverfolgt
ausgereisten Personen sowie hinsichtlich des anzustellenden Prüfungsumfangs im
Zeitpunkt der Ausreise.
Nach den bisher richterrechtlich entwickelten Maßgaben durfte ein - landesweit -
vorverfolgt ausgereister Flüchtling grundsätzlich nur dann in sein Heimatland
zurückgeschickt werden, wenn er dort hinreichend sicher vor - erneuter politischer
- Verfolgung war (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab), wobei
hinreichende Sicherheit in diesem Zusammenhang bedeutete, dass aufgrund der
bereits einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit
eines Ausschlusses erneuter Verfolgung zu stellen waren. Es musste mehr als
überwiegend wahrscheinlich sein, dass keine erneute Verfolgung droht (BVerwGE
70, 169 <171>). Demgegenüber konnte ein unverfolgt Ausgereister bei zu
berücksichtigenden objektiven Nachfluchtgründen auf sein Heimatland verwiesen
werden, wenn ihm dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung
drohte, was anzunehmen war, wenn er in absehbarer Zeit dort nicht mit
40
41
42
drohte, was anzunehmen war, wenn er in absehbarer Zeit dort nicht mit
Verfolgungsmaßnahmen ernsthaft zu rechnen hatte (vgl. BVerwGE 68, 106
<109>).
Auch die QRL nimmt bei der anzustellenden Verfolgungsprognose eine
Differenzierung vor, indem sie in Art. 4 Abs. 4, auf den § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG
ausdrücklich Bezug nimmt, ausführt, dass die Tatsache, dass ein Antragsteller
bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw.
von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein
ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung
begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu
erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von
solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
Zwar ist zutreffend, dass Art. 4 Abs. 4 QRL damit lediglich eine Prognoseregelung
für den Fall trifft, dass eine Person verfolgt wurde oder eine Verfolgung unmittelbar
bevorstand, nicht jedoch eine Vermutungsregel für unverfolgt ausgereiste
Flüchtlinge enthält (vgl. Hruschka/Löhr, a.a.O., S.181). Nach der Systematik des
Art. 4 Abs. 4 QRL stellt für den erstgenannten Personenkreis die stattgefundene
bzw. unmittelbar drohende Vorverfolgung den ernsthaften Hinweis auf eine auch
im Fall der Rückkehr zu erwartende Verfolgung dar, während bei nicht vorverfolgten
Flüchtlingen der in Art. 4 Abs. 4 QRL so bezeichnete "ernsthafte Hinweis" auf zu
erwartende Gefährdungen entfällt, es im Übrigen aber bei der Prüfung bleibt, ob
der Flüchtling heute bei Rückkehr in sein Heimatland erwartbar
Verfolgungsmaßnahmen oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erleiden wird
oder hiervon unmittelbar bedroht ist. Insoweit kann auch auf die
Begriffsbestimmung des Art. 2 c) QRL zurückgegriffen werden, wonach "Flüchtling"
im Sinne der QRL einen Drittstaatsangehörigen bezeichnet, der aus der
begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch
nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen
Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des
Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin
zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und
auf den Art. 12 keine Anwendung findet. Der letztgenannte Maßstab entspricht
dabei dem in der Rechtsprechung entwickelten Maßstab der "beachtlichen
Wahrscheinlichkeit" in Anlehnung an die britische Rechtsprechung des "real risk",
wobei auch ein Verfolgungsrisiko von unter 50% als beachtlich wahrscheinliches
Risiko angesehen werden kann. Der von der Rechtsprechung entwickelte Maßstab
der "hinreichenden Sicherheit" bei vorverfolgt ausgereisten Flüchtlingen wird
demgegenüber nunmehr durch die in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltene Rückausnahme
abgelöst, wonach eine erfolgte oder unmittelbar drohende Vorverfolgung den
ernsthaften Hinweis nach sich zieht, dass die Furcht des Antragsteller vor
Verfolgung begründet ist bzw. dass er Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu
erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der
Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht
sein wird (a.A. Bay. VGH, Urteil vom 31. 08. 2007, 11 B 02.31774, Rdn 29, in juris
online, der davon ausgeht, dass es auch unter Geltung der QRL bei beiden bisher
richterrechtlich entwickelten Prognosemaßstäben bleibt). Bei der Auslegung des
Art. 4 Abs. 4 QRL können zwar die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der
"hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung" mit herangezogen werden, da auch der
Richtliniengeber davon ausgeht, dass der bereits einmal verfolgte Flüchtling einen
erhöhten Schutzstandard genießt, stellt doch die Vorverfolgung einen ernsthaften
Hinweis auf eine auch bei Rückkehr zu befürchtende Verfolgung dar, es sei denn es
greift die Rückausnahme des Art. 4 Abs. 4 a.E. QRL. Allerdings sollte sich die
Rechtsanwendung nunmehr den neuen - europaweit gültigen - Begrifflichkeiten
zuwenden, die als Rechtsnormen die richterrechtlich entwickelten Begriffe ablösen
und sich auch einer europaweiten Vergleichbarkeit werden stellen müssen.
Unter zeitlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten hat der relevante
Prüfungsumfang der Verfolgungssituation des Flüchtlings durch die Regelungen
der QRL maßgebliche Änderungen, insbesondere hinsichtlich der richterrechtlich
entwickelten Kriterien einer örtlich oder regional begrenzten Verfolgung (vgl.
BVerwGE 105, 204; BVerwG Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 231; BVerwGE 105,
204; BVerwG, Beschluss vom 04.01.2007, 1 B 47.06) erfahren, da es auf diese
Differenzierungen nach Inkrafttreten der QRL nicht mehr ankommt. Insoweit folgt
der Senat der gegenteiligen Auffassung des Beteiligten (SS vom 22.02.2007, Bl.
43
44
45
46
der Senat der gegenteiligen Auffassung des Beteiligten (SS vom 22.02.2007, Bl.
301 GA) sowie der Beklagten (SS vom 05.03.2007, Bl. 307 GA) nicht, worauf weiter
unten noch eingegangen wird.
Die Differenzierung zwischen örtlich und regional begrenzter Gruppenverfolgung,
die zur Konsequenz hatte, dass Flüchtlinge, die "lediglich" einer örtlich begrenzten
Gruppenverfolgung ausgesetzt waren, mit Verlassen des Verfolgungsgebiets,
spätestens aber mit Rückkehr aus dem Ausland, mangels Orts- bzw. Gebietsbezug
voraussetzungsgemäß nicht mehr von Verfolgung betroffen seien und ihnen daher
eine Rückkehr in andere Gebiete des Heimatstaates ohne weitere asyl- bzw.
flüchtlingsrechtliche Prüfung einer inländischen Fluchtalternative zuzumuten war
(BVerwG, Beschluss vom 04.01.2007, 1 B 47.06, Rdnr. 5), ist mit den Vorgaben der
QRL nicht - mehr - zu vereinbaren.
Maßgeblich ist dabei, welche zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben insbesondere
Art. 8 QRL für die Prüfung der Voraussetzungen einer inländischen
Fluchtalternative bzw. eines internen Schutzes vorgibt und welche Veränderungen
sich hieraus zu den bisherigen Maßstäben ergeben.
Aufgrund der Tatsache, dass auch Art. 8 QRL - eine nach ihrem Wortlaut nicht
grundsätzlich umsetzungspflichtige Norm - durch § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in
Bezug genommen worden ist und das Institut der inländischen
Fluchtalternative/des internen Schutzes zudem ausdrücklich in § 60 Abs. 1 Satz 4
a. E. AufenthG gesetzliche Erwähnung erfährt, sind nunmehr das Vorliegen einer
inländischen Fluchtalternative/internen Schutzes und die in diesem
Zusammenhang anzustellenden rechtlichen Erwägungen ausschließlich an den
Maßstäben und dem Wortlaut der Art. 8 QRL und Art. 4 Abs. 4 QRL zu messen. Art.
8 QRL bestimmt, dass bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz die
Mitgliedsstaaten feststellen können, dass ein Antragsteller keinen internationalen
Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht
vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu
erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden
kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält (Abs. 1). Bei der Prüfung der Frage,
ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt,
berücksichtigen die Mitgliedsstaaten die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und
die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung
über den Antrag (Abs. 2). Schließlich kann Abs. 2 auch dann angewandt werden,
wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen
(Abs. 3).
Art. 8 QRL trägt unterschiedslos der Tatsache Rechnung, dass sich
Verfolgungssituationen innerhalb eines Staates für einzelne Personen oder
Personengruppen unterschiedlich darstellen können, mit anderen Worten, der
Staat bestimmte Personen und/oder Gruppen von Personen in einem Teil seines
Staatsgebietes verfolgt, während er sie anderenorts mehr oder weniger
unbehelligt lässt. Der von dem Bundesverfassungsgericht so bezeichneten
"Zwiegesichtigkeit des Staates" (BVerfGE 80, 315 ff.) trägt Art. 8 QRL Rechnung,
indem dem Flüchtling ohne Differenzierung nach regional oder örtlich begrenzter
Verfolgung eine Rückkehr in einen anderen Landesteil seines Heimatstaates nur
dann, und zwar im Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Antrag, zugemutet
wird, wenn dort für ihn keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine
tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von ihm
vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält,
wobei sich nach Art. 8 Abs. 2 QRL eine rein generalisierende Prüfung verbietet.
Vielmehr ist bei Auslegung des Tatbestandsmerkmals "vernünftigerweise erwartet
werden kann" (Art. 8 Abs. 1 QRL) unter Anlegung objektiver Maßstäbe zu prüfen,
wie sich ein durchschnittlich vernünftiger Mensch in der Situation des Flüchtlings
verhalten würde und bei der Frage, ob dieses vernünftige Verhalten von dem
konkreten Flüchtling auch tatsächlich erwartet werden kann, seine persönlichen
Besonderheiten zu berücksichtigen sind. War nach bisheriger Rechtsprechung bei
der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere zur Ermittlung der
anzuwendenden Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe unter zeitlichen Gesichtspunkten
grundsätzlich eine doppelte Prüfung vorzunehmen, nämlich ob die
Flüchtlingseigenschaft sowohl im Zeitpunkt der Ausreise als auch im Zeitpunkt der
gedachten Rückkehr landesweit anzunehmen war bzw. ist, stehen dem nunmehr
der Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 QRL sowie seine systematische Stellung zu Art. 4
Abs. 4 QRL entgegen. Art. 4 Abs. 4 QRL stellt ausschließlich darauf ab, dass der
Antragsteller - im Zeitpunkt der Ausreise - bereits verfolgt wurde oder einen
sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder
47
48
49
50
51
sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder
einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ohne hierbei das Institut des
internen Schutzes - mit der Konsequenz der Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft (Art. 13 QRL) - mit in den Blick zu nehmen. Ob eine
angenommene Vorverfolgung bei regional oder örtlich begrenzten
Verfolgungsmaßnahmen auch zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führt,
ist gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL nach Prüfung der Voraussetzungen des internen
Schutzes zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu entscheiden. Mit
anderen Worten, es reicht für die Anwendbarkeit des Art. 4 Abs. 4 QRL die
Tatsache, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Ausreise, und sei es nur in
einem Teil seines Heimatstaates, verfolgt war oder unmittelbar von Verfolgung
bedroht war, während für die Beantwortung der Frage, ob dies auch zur
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führt, im Zeitpunkt der Entscheidung über
den Antrag, im gerichtlichen Verfahren also in der Regel im Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG), gemäß den von Art. 8 QRL
angelegten Vorgaben zu prüfen ist, ob eine interne Schutzmöglichkeit für den
Verfolgten besteht oder nicht.
Da Art. 8 Abs. 2 QRL, wie bereits ausgeführt, hinsichtlich der Prüfung der
Voraussetzungen des internen Schutzes auf den Zeitpunkt der Entscheidung über
den Antrag abstellt, ohne hierbei bei der Frage der Vorverfolgung (Art. 4 Abs. 4
QRL) Differenzierungen nach örtlich oder regional begrenzten
Verfolgungssituationen vorzunehmen, verbietet bereits dieser systematische
Zusammenhang eine Beibehaltung der richterrechtlich entwickelten
Differenzierungen, die zur Konsequenz hatten, dass bei lediglich örtlich begrenzter
Gruppenverfolgung die Prüfung internen Schutzes gerade im Fall der Rückkehr aus
dem Ausland entfiel, da der Flüchtling voraussetzungsgemäß nicht - mehr - zu der
verfolgten Gruppe gehörte.
Darüber hinaus stehen kompetenzrechtliche Gründe der Beibehaltung der
genannten Differenzierungen zwischen örtlich und regional begrenzter
Gruppenverfolgung entgegen, da ihre Beibehaltung entgegen den Vorgaben der
QRL (Art. 4 Abs. 4, Art. 8 QRL) zu einer Schlechterstellung der "nur" einer örtlich
begrenzten Gruppenverfolgung ausgesetzten Flüchtlinge führen würde - in ihrem
Fall würde das Vorliegen der Vorraussetzungen des Art. 8 QRL im Zeitpunkt der
Rückkehr gerade nicht geprüft - und dies dem Ziel der QRL, verbindliche
Mindestnormen für den Flüchtlingsschutz festlegen zu wollen (Art. 1 QRL),
entgegenstünde.
Eine weitere Änderung nach Inkrafttreten der QRL stellt der Prüfungsumfang der
existentiellen Gefährdungen am Ort des internen Schutzes dar. Unter Geltung der
QRL entfällt nämlich bei der Prüfung des internen Schutzes hinsichtlich der dort zu
beachtenden existentiellen Gefährdungen die bisher von der Rechtsprechung
geforderte vergleichende Betrachtung - eine inländische Fluchtalternative konnte
bisher bei Vorliegen existentieller Gefährdungen dort nur dann angenommen
werden, wenn diese so am Herkunftsort nicht bestünden (BVerfGE 80, 315 ff.) -, da
eine derartige vergleichende Betrachtung Art. 8 QRL fremd ist. Dementsprechend
gehen auch sowohl die amtliche Begründung zu dem Gesetz zur Umsetzung
aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 3. Januar
2006 als auch die Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des
Innern vom 13. Oktober 2006 davon aus, dass der Flüchtling am Zufluchtsort eine
ausreichende Lebensgrundlage vorfinden muss, d.h., es muss zumindest das
Existenzminimum gewährleistet sein, und dies auch dann gilt, wenn im
Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind."
Zu dieser Einschätzung hinsichtlich der anzuwendenden Prognosemaßstäbe, des
maßgeblichen Zeitpunktes der Entscheidung sowie des für das Vorliegen eines
internen Schutzes anzulegenden Prüfprogramms gelangt der Senat auch unter
Berücksichtigung der von dem Bundesbeauftragten in Bezug genommenen
Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung vom 4.
Januar 2007 - 1 B 47.03 - sowie unter Auseinandersetzung mit den von der
Beklagten eingeführten Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte mit
ihren Schriftsätzen vom 3. August 2004 (Bl. 130 GA), 8. März 2006 (Bl. 152 GA)
und 26. November 2007 (Bl. 303 GA) sowie unter Auseinandersetzung mit des
Ausführungen des Beteiligten, insbesondere in seinem Schriftsatz vom 19.
November 2007 (Bl. 296 GA).
Dabei weist der Beteiligte in seinem Schriftsatz vom 19. November 2007 (Bl. 296
GA) darauf hin, es sei nicht erkennbar, dass sich durch das Inkrafttreten der QRL
52
53
54
GA) darauf hin, es sei nicht erkennbar, dass sich durch das Inkrafttreten der QRL
an den richterrechtlich entwickelten Grundsätzen, insbesondere hinsichtlich der
Differenzierung von örtlich und regional begrenzter Gruppenverfolgung und den
daraus gezogenen Schlussfolgerungen, etwas geändert habe. Bei der Verfolgung
der Kläger habe es sich allenfalls um eine örtlich begrenzte Gruppenverfolgung
gehandelt, wobei der Beschluss des BVerwG vom 4. Januar 2007 - 1 B 47.06 -, der
zeitlich lange nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie
ergangen sei, zeige, dass auch das BVerwG den Typus der örtlich begrenzten
Gruppenverfolgung nicht für überholt halte. Vielmehr sei in dem Beschluss
zutreffend darauf hingewiesen worden, dass möglicherweise zwar bis zur Ausreise
die dort lebenden Tschetschenen als zur verfolgten Gruppe gehörig zu zählen
gewesen seien. Wer aus dem Ausland zurückkehre, könne aber von vornherein
nicht (mehr) zur verfolgten Gruppe gezählt werden, da nach den tatsächlichen
Verhältnissen eine Rückkehr nicht ausschließlich nach Tschetschenien in Betracht
komme, und es daher auf die weiteren Voraussetzungen für eine etwaige
inländische Fluchtalternative außerhalb Tschetscheniens nicht ankomme. Der
Senat folgt dieser Auffassung hinsichtlich der durch die QRL eingetretenen
Änderungen aus den oben ausgeführten Gründen nicht.
Hinsichtlich der von der Beklagten angeführten anderen obergerichtlichen
Entscheidungen, die sich mit den Differenzierungen zwischen örtlich und regional
begrenzter Gruppenverfolgung, den danach anzuwendenden Prüfungsmaßstäben
sowie allgemein mit der Situation tschetschenischer Binnenvertriebener in der
Russischen Föderation befassen, sieht der Senat von einer differenzierten
Ausführung zu den dort gemachten Feststellungen ab, da sich, wie bereits
dargestellt, durch Umsetzung bzw. unmittelbare Anwendung der QRL die
Prüfungskriterien für das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative/des
internen Schutzes und der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz maßgeblich
verändert haben und die von der Beklagten aufgeführten Entscheidungen anderer
Obergerichte daher für den Senat nicht mehr von entscheidender Bedeutung sind.
Gleiches hat für die tatsächlichen Verhältnisse in der Russischen Föderation und
dort insbesondere in Tschetschenien zu gelten, die nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme in diesem Verfahren sowie in dem Verfahren 3 UE 191/07.A - die
im Rahmen der Beweisaufnahme eingeholten Stellungnahmen sind auch zum
Gegenstand dieses Verfahrens gemacht worden - entscheidungserhebliche
Veränderung erfahren haben.Unter Zugrundelegung der oben genannten
Prüfungsmaßstäbe sind die Kläger vorverfolgt im Sinne des Art. 4 Abs. 4 QRL aus
ihrer Heimatregion Tschetschenien ausgereist, da dort ihr Leben und ihre Freiheit
im Zeitpunkt ihrer Ausreise im Oktober 2000 allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur
Gruppe der aus Tschetschenien stammenden Kaukasier unmittelbar bedroht war
(§ 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, Art. 4 Abs. 4 QRL).
Die Bedrohung der Kläger ging dabei unmittelbar aus von staatlichen Stellen (§ 60
Abs. 1 Satz 4 a AufenthG), nämlich den dort stationierten russischen Einheiten
und Sicherheitskräften, die in der Bekämpfung der tschetschenischen Rebellen
bzw. Separatisten weit über das hinaus gegangen sind, was unter dem
Gesichtspunkt einer legitimen Terrorismusbekämpfung bzw. der legitimen
Bekämpfung von Separatismusbestrebungen eines Staates hingenommen werden
kann, wobei die tschetschenische Zivilbevölkerung gezielten Drangsalierungen,
willkürlichen Verhaftungen, Verschleppungen, Verfolgungen bis hin zu Mord,
Folterungen und Vergewaltigungen ausgesetzt war (vgl. auch AA, Ad hoc-Bericht
über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
(Tschetschenien) vom 15.11.2000). Hierbei hält der Senat auch nach erneuter
Überprüfung an seiner Einschätzung der Situation in Tschetschenien im Zeitpunkt
der Ausreise der Kläger fest. Hierzu hatte der Senat in dem durch Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Januar 2007 - 4 B 47.06 - aufgehobenen Urteil
vom 2. Februar 2006 - 3 UE 3021/03.A - ausgeführt:
"Aus Anlass des Einfalls tschetschenischer Rebellengruppen in Dagestan und der
Ausrufung eines islamischen Staates dort sowie Bombenattentaten auf ein
Einkaufszentrum und ein Wohnhaus in Moskau, die von Seiten der russischen
Regierung tschetschenischen Rebellen zugeschrieben wurden, aber auch im
Hinblick auf den Präsidentschaftswahlkampf in der Russischen Föderation setzte
die Führung der Russischen Föderation ab September 1999 Bodentruppen,
Artillerie und Luftwaffe in Tschetschenien ein mit dem erklärten Ziel, die
tschetschenischen Rebellengruppen zu vernichten, die das Ziel der
Unabhängigkeit Tschetscheniens und die Errichtung eines islamischen Staates
anstrebten. Im Verlauf der Kämpfe brachte die russische Armee Anfang des Jahres
2000 Grozny, das dabei fast völlig zerstört worden ist, und im Frühjahr des Jahres
55
2000 Grozny, das dabei fast völlig zerstört worden ist, und im Frühjahr des Jahres
2000 große Teile Tschetscheniens unter ihre Kontrolle. Die Rebellengruppen zogen
sich in die südlichen Bergregionen zurück; sie sind seitdem zum Partisanenkrieg
und zu terroristischen Anschlägen übergegangen (vgl. Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 24.04.2001; Bundesamt, Der Tschetschenienkonflikt, Januar
2001; UNHCR, Stellungnahme über Asylsuchende aus der Russischen Föderation
im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, Januar 2002). Die russische
Armee ihrerseits ging unter dem Vorwand der Terroristenbekämpfung mit
äußerster Brutalität auch gegen die Zivilbevölkerung in Tschetschenien vor, die
zum damaligen Zeitpunkt nach Schätzungen bereits im Wesentlichen aus
tschetschenischen Volkszugehörigen bestand (vgl. UNHCR, Stellungnahme über
Asylsuchende aus der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Lage in
Tschetschenien, Januar 2002).
Schon zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im September 1999 ist es zu
großen Fluchtbewegungen gekommen. Aufgrund des Einmarschs der russischen
Armeeeinheiten und der Bombardierung der Städte flohen große Teile der
Bevölkerung aus ihren Wohnorten in Tschetschenien. Die russische Armee
hinderte die Flüchtlinge zum Teil bereits am Verlassen des Kampfgebietes,
teilweise am Übertritt in die Nachbarrepubliken wie Inguschetien (Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 15. Februar 2000). Dabei wurden auch Flüchtlingstrecks von der
russischen Luftwaffe angegriffen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass von den
zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges in Tschetschenien lebenden 450.000
Einwohnern 350.000 gewaltsam aus ihren Wohnorten vertrieben worden sind,
davon 160.000 an andere Orte in Tschetschenien und die übrigen in andere Teile
der Russischen Föderation und das Ausland (UNHCR, Stellungnahme über
Asylsuchende aus der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Lage in
Tschetschenien, Januar 2002; Bundesamt, Russische Föderation, Checkliste
Tschetschenien, August 2003). Die russischen Armeeeinheiten haben, wie schon
im ersten Tschetschenienkrieg, an vielen Orten in Tschetschenien sogenannte
Filtrationslager eingerichtet. In diese Lager wurden wahllos tschetschenische
Einwohner gebracht, wo nach den Erklärungen der russischen Stellen Terroristen
aufgespürt werden sollten. In den Lagern wurden die tschetschenischen
Volkszugehörigen systematisch misshandelt, vergewaltigt, gefoltert und getötet
(C., Stellungnahme vom 08.10.2001; Stellungnahme des Europäischen
Parlaments zur Lage in Tschetschenien vom 08.03.2001). Internationale und
russische Menschenorganisationen (z.B. Human Right Watch-Bericht vom 18.
Februar 2000, C. Bericht vom 22. Dezember 1999 sowie Nachforschungen der
Russischen Menschenorganisation "Memorial") gingen aufgrund von
Augenzeugenberichten zunächst von dem Betreiben mindestens eines solchen
russischen "Filtrationslagers" an der Grenze zwischen Inguschetien und
Tschetschenien aus. Dort soll es abgeschirmt von der Öffentlichkeit zu Folterungen
(z.B. Elektroschocks, Schläge u.a. auf den Kopf und den Rücken mit
Metallhammer) durch russische Spezialkräfte gekommen sein. Durch
Augenzeugenberichte und aufgrund von Filmaufnahmen musste dann jedoch
davon ausgegangen werden, dass es in und um Grozny weitere Filtrationslager
gab, in denen auch systematisch gefoltert wurde, u.a. in dem Gefängnis
Tschernokosowo, nördlich von Grozny. Der Menschenrechtskommissar des
Europarates, Gil-Robles, konnte bei seinem Besuch in Tschetschenien zwar auch
Haftanstalten besuchen, ihm wurden jedoch ausschließlich frisch gestrichene
Zellen gezeigt und Gespräche mit Gefangenen nur in Anwesenheit von russischen
Bewachern erlaubt. Die Foltervorwürfe konnten dadurch nicht widerlegt werden
(vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 22. Mai 2000). Auf der Suche nach
Terroristen überfielen russische Militäreinheiten ganze Dörfer, nahmen deren
Bewohner willkürlich fest und misshandelten sie (C. vom 20.02.2002 an VG
Braunschweig). Gespräche mit Flüchtlingen in den Lagern Inguschetiens haben die
Greultaten der russischen Armee bestätigt. Die zahlreichen
Menschenrechtsverletzungen waren gravierend. Es kam zu willkürlichen
Racheakten an der Zivilbevölkerung. Bei einer Explosion auf einem belebten Markt
in Grozny am 21. Oktober 1999 kamen nach Augenzeugenberichten 140
Menschen ums Leben, 400 wurden zum Teil schwer verletzt. Widersprüchliche
Angaben gibt es über die Täter und deren Motive. Recherchen von internationalen
Menschenrechtsorganisationen (Human Rights Watch, Bericht vom 20.01.2000)
und Äußerungen von Angehörigen russischer Spezialkräfte legen die Vermutungen
sehr nahe, dass es sich bei dieser Tat um eine "Sonderkommandoaktion"
russischer Spezialkräfte handelte, die auf dem Marktplatz Waffen und Sprengstoff
tschetschenischer Rebellen vermuteten. Frauen berichteten gegenüber
Vertreterinnen von internationalen Hilfsorganisationen von Vergewaltigungen
seitens russischer Soldaten bei der Eroberung von Ortschaften in Tschetschenien,
56
57
seitens russischer Soldaten bei der Eroberung von Ortschaften in Tschetschenien,
so z.B. bei der Einnahme der Ortschaft Alkhan-Yurt, südwestlich von Grozny im
Dezember 1999 durch russische Verbände. Dabei soll es auch Exekutionen (41
Opfer), Plünderungen und Brandstiftungen unter der Zivilbevölkerung gegeben
haben (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 22. Mai 2000). Kriegsverbrechen
und Massaker blieben ungesühnt, da die russische Führung kein Interesse an einer
Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung zeigte (Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Russische Föderation, der
Tschetschenienkonflikt, Stand Januar 2001). Im Zusammenhang mit dem
Militäreinsatz der russischen Armee in Tschetschenien berichteten internationale
(z.B. Human Rights Watch) und russische (z.B. Memorial)
Menschenrechtsorganisationen über massive Rechtsverletzungen (willkürliche
Tötungen von Zivilisten, Folter, zahlreiche Vergewaltigungen, Geiselnahme und
Plünderungen) durch die russischen Streitkräfte, aber auch durch die
tschetschenischen Partisanen. Bestand der Verdacht, dass sich in einem Dorf
Rebellen versteckt halten, fanden Säuberungsaktionen durch russische Soldaten
statt. Die Männer wurden auf körperliche Spuren von Kampfhandlungen
untersucht, der Ort geplündert und oftmals kam es zu Gewaltanwendungen
gegenüber der Bevölkerung (vgl. Bundesamt, Russische Föderation, der
Tschetschenienkonflikt, Januar 2001).
Angesichts dieses trotz der weitgehenden Behinderung unabhängiger
Berichterstattung durch die Behörden in vielen Einzelheiten dokumentierten
Vorgehens gegen die Zivilbevölkerung in Tschetschenien und der dabei
erfolgenden massenhaften und massiven Verletzung asylrechtlich geschützter
Rechtsgüter ist davon auszugehen, dass tschetschenische Volkszugehörige in
Tschetschenien unabhängig davon, ob bei ihnen der konkrete Verdacht der
Unterstützung von separatistischen Gruppierungen bestand, unmittelbar und
jederzeit damit rechnen mussten, selbst Opfer der Übergriffe der russischen
Armeeeinheiten zu werden, weshalb davon auszugehen ist, dass sie im Zeitpunkt
der Ausreise der Kläger einer gegen sie als tschetschenische Volkszugehörige
gerichteten - örtlich begrenzten - Gruppenverfolgung unterlagen (ebenso OVG
Bremen, Urteil vom 23. März 2005 Az.: 2 A 116/03.A; VG Kassel, Urteil vom
15.04.2003 Az.: 2 E 802/02.A unter Hinweis auf weitere erstinstanzliche
Rechtsprechungen; die Frage der Vorverfolgung offen lassend Bay. VGH, Urteil
vom 31.01.2005 Az.: 11 B 02.31597; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
12.07.2005 Az.: 11 A 2307/03.A; OVG des Saarlands, Urteil vom 23.06.2005 Az.: 2
R 17.03; anderer Auffassung insoweit auch das Vorliegen einer regionalen
Gruppenverfolgung verneinend: Thüringer OVG, Urteil vom 16.12.2004 - 3 KO
1003/04 -).
Der Senat hält hierbei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts Bremen (Urteil vom 23. März 2005 - 2 A 116/03.A -) auch
das für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Kriterium der
Verfolgungsdichte für gegeben. Er legt zugrunde, dass aufgrund der in den
bezeichneten Berichten seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges
geschilderten unzähligen und durchgehenden und ihrer Intensität nach
asylerheblichen Vorkommnisse gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung
eine derartige Verfolgungsdichte besteht, dass jeder Tschetschene und jede
Tschetschenin im Alter der Kläger ein den genannten Vergleichsfällen
entsprechendes Verfolgungsschicksal für sich befürchten musste (vgl. BVerwG,
Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 185.94 - NVwZ 95, 175) und es den Tschetschenen
bei objektiver Betrachtung der in Tschetschenien aus den genannten
Vorkommnissen herzuleitenden Gefährdungslage nicht zumutbar war, dort zu
verbleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.1991 - 9 C 154.80 - NVwZ 92, 578;
BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85, 518.89, BVerfGE 83, 219; OVG
Bremen, Urteil vom 23.03.2005 - 2 A 116/03.A - in juris-online). Dabei hat das OVG
Bremen in der bereits zitierten Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass
die Zahl der von den asylerheblichen Eingriffen der genannten Art in
Tschetschenien Betroffenen nicht exakt beziffert werden kann. Nach der
geschätzten Bevölkerungsentwicklung in Tschetschenien und unter Abzug der von
den Eingriffen nicht betroffenen jüngeren Kinder dürfte sie sich auf unter 400.000
Personen belaufen. Bei der Volkszählung 1998 wurden in der noch ungeteilten
Republik 734.000 Tschetschenen gezählt (UNHCR, Januar 2002). Anfang 2002
lebten wegen des nur durch eine dreijährige Pause unterbrochenen jahrelangen
Krieges in Tschetschenien schon aus der Zeit vor dem neuerlichen
Tschetschenienkrieg ca. 600.000 der insgesamt 1.000.000 Tschetschenen nicht in
Tschetschenien, sondern in anderen russischen Regionen bzw. GUS-Staaten (vgl.
Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht vom 07.05.2002). Die Volkszählung im Oktober
58
59
Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht vom 07.05.2002). Die Volkszählung im Oktober
2002 ergab nach offiziellen Angaben zwar eine Zahl von über 1.000.000 in
Tschetschenien, der aber nicht gefolgt werden kann, nachdem unabhängige
Beobachter und Nichtregierungsorganisationen diesem Ergebnis sehr kritisch
gegenüberstehen und teilweise von einer Mehrfachregistrierung von Personen
ausgehen, deren Gründe in finanziellen Anreizen der Registrierung und in der
Furcht vor Säuberungsaktionen bei zu geringer Zahl in Tschetschenien liegen
könnten. Vorherige Schätzungen waren von einer durch Flüchtlinge, Auswanderung
und Kriegsopfer erheblich gesunkenen Einwohnerzahl für Tschetschenien
ausgegangen und hatten zwischen 450.000 bis 800.000 Tschetschenen in
Tschetschenien geschwankt (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 27.11.2002,
16.02.2004, 13.12.2004, 30.08.2005; OVG Bremen, Urteil vom 23. März 2005,
a.a.O.). Im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger musste die in Tschetschenien
verbliebene Zivilbevölkerung davon ausgehen, jederzeit in die oben beschriebenen
Verfolgungsmaßnahmen der russischen Sicherheitskräfte verwickelt zu werden,
sodass die für die Annahme einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung
geforderte Verfolgungsdichte zu bejahen ist."
Diese Feststellungen haben auch für die Kläger zu gelten, die im Zeitpunkt ihrer
Ausreise aus Tschetschenien im Februar bzw. Oktober 2002 als ethnische
Armenier, die in Tschetschenien geboren worden sind und dort bis zu ihrer Flucht
gelebt haben und keiner anderen Situation ausgesetzt waren als die aus
Tschetschenien geflohenen ethnischen Tschetschenen. Dabei gehören die Kläger
gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG der sozialen Gruppe der aus Tschetschenien
stammenden Kaukasier an, die allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe
von den russischen Sicherheitskräften mit den oben beschriebenen
flüchtlingsrelevanten Maßnahmen überzogen wurden.
Das Verfolgungsmerkmal der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gehört zu
den ursprünglich in der Genfer Konvention niedergelegten Verfolgungsmerkmalen
(vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand Februar 2006, § 60 Rdnr.
46). Gemäß Art. 10 Abs. 1 d) QRL gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine
bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene
Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein
haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam
für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen
werden sollte, auf sie zu verzichten und die Gruppe in dem betreffenden Land eine
deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft
als andersartig betrachtet wird. Die Definition der Richtlinie entspricht dabei einem
in der anglo-amerikanischen Rechtsprechung entwickelten Ansatz, der das
Merkmal der sozialen Gruppe durch identitätsprägende gemeinsame Merkmale
kennzeichnet, die so grundlegend sind, dass niemand gezwungen werden darf, sie
aufzugeben, sofern es sich nicht ohnedies um unveränderliche Merkmale handelt
(vgl. Hailbronner, a. a. O., § 60 Rdnr. 48 m. w. N.). Erforderlich ist dabei eine
deutlich abgegrenzte Identität, die als solche von der sie umgebenden
Gesellschaft wahrgenommen wird und wegen der Andersartigkeit zu einer
Schutzlosigkeit bzw. zu Verfolgungsmaßnahmen führt. Die Richtlinie stellt insoweit
maßgeblich auf die Wahrnehmung als "andersartig" durch die Gesellschaft ab.
Maßgeblich ist, ob eine Gruppe in diesem Sinne wegen der gemeinsamen
Merkmale oder Überzeugungen als eine abgegrenzte Gruppe mit gemeinsamer
Identität wahrgenommen wird, wobei die Mitglieder der Gruppe auch objektiv, d.h.
ohne Rücksicht auf die Einschätzung durch die Gesellschaft, durch die
Gemeinsamkeit von Merkmalen oder Überzeugungen oder sonstigen Merkmalen
in ihrer Identität geprägt sein muss (vgl. Hailbronner, a. a. O. § 60 Rdnr. 49). Unter
Anlegung dieser Maßstäbe sind die in Tschetschenien geborenen kaukasischen
Volkszugehörigen, mithin Tschetschenen, Armenier, Tscherkessen und andere
kaukasische Volksgruppen, die in Tschetschenien während des
Tschetschenienkrieges dort noch gelebt haben, als soziale Gruppe im Sinne des
Art. 10 Abs. 1 d) QRL einzustufen, da sie von Seiten der russischen
Sicherheitskräfte ohne weitere Differenzierung hinsichtlich ihrer konkreten Ethnie
und ohne dass sie die Möglichkeit gehabt hätten, sich aufgrund ihrer armenischen
Volkszugehörigkeit den Übergriffen durch die russischen Sicherheitskräfte und
Soldaten zu entziehen, als Gruppe angesehen und eingestuft wurden und mit den
oben beschriebenen flüchtlingsrelevanten Maßnahmen ebenso wie die ethnischen
Tschetschenen überzogen worden sind. Nach Auswertung des ihm vorliegenden
Erkenntnismaterials geht der Senat nämlich davon aus, dass die Kläger als
armenische Volkszugehörige aus Tschetschenien im Zeitpunkt ihrer Ausreise von
den russischen Sicherheitskräften keiner anderen, insbesondere keiner milderen
Behandlung unterworfen worden sind als die dort lebenden tschetschenischen
60
61
62
63
Behandlung unterworfen worden sind als die dort lebenden tschetschenischen
Volkszugehörigen. Dies folgt bereits daraus, dass die von den russischen
Sicherheitskräften verübten, flüchtlingsrelevanten Übergriffe teils in der
Bombardierung von Siedlungen, teils in der wahllosen Verhaftung von dort
ansässigen Personen etc. bestanden, Maßnahmen, bei denen gerade auch auf
Grund ihres flächendeckenden Charakters eine Differenzierung nach
unterschiedlichen Ethnien nicht denkbar ist. Dabei ist auch davon auszugehen,
dass die russischen Sicherheitsbehörden denjenigen Kaukasiern, egal welcher
konkreten Ethnie sie angehörten, die auch noch während des 2.
Tschetschenienkrieges dort verblieben sind, unterstellt haben dürften, im
Zweifelsfalle mit den Rebellen unter einer Decke zu stecken. So haben auch die
Kläger in ihrem Verfahren auf Zuerkennung von Flüchtlingsschutz mehrmals
vorgetragen, sie seien von russischen Sicherheitskräften allein wegen ihres
kaukasischen Aussehens verdächtigt worden, mit den tschetschenischen Rebellen
unter einer Decke zu stecken bzw. zu diesen zu gehören.
Die Gruppe der Kaukasier hat auch in der Russischen Föderation eine deutlich
abgegrenzte Identität, was insbesondere darin zum Ausdruck kommt, dass sie von
anderen Bewohnern der Russischen Föderation als "Schwarze" bzw.
"Dunkelhäutige" bezeichnet und degradiert (vgl. AA, Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 13.01.2008) bzw.
als "Schwarzärsche" diffamiert werden (Prof Dr. Luchterhandt, 09.05.2007 an Hess.
VGH).
Der Senat geht daher nach Auswertung des vorliegenden Erkenntnismaterials
davon aus, dass ethnische Armenier aus Tschetschenien im Ausreisezeitpunkt der
Kläger ebensolchen Verfolgungsmaßnahmen der russischen Sicherheitskräfte und
insbesondere des Militärs ausgesetzt waren wie ethnische Tschetschenen, da bei
den flächendeckenden screenings, Sicherheitskontrollen oder gar militärischen
Maßnahmen bis hin zur Bombardierung ganzer Ortschaften eine Differenzierung
zwischen unterschiedlichen Gruppen der in Tschetschenien lebenden Kaukasier
weder gewollt noch durchführbar war.
Dem Umstand, dass die Kläger im Zeitpunkt ihrer Ausreise insbesondere wegen
ihrer christlichen Religionszugehörigkeit, gegebenenfalls aber auch wegen ihrer
besonderen Stellung zu den ethnischen Russen (vgl. Prof. Dr. Luchterhandt an
Hess. VGH, Bl. 212 GA), auch von ethnischen Tschetschenen drangsaliert und
bedrängt worden sind, kommt dabei keine besondere Bedeutung zu. Dies bereits
deshalb nicht, weil die verfolgungsrelevanten Maßnahmen in der für die
Anerkennung einer Verfolgung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 QRL relevanten
Verfolgungsdichte bereits allein durch die Maßnahmen der russischen Einheiten
(militärische Einheiten und sonstige Sicherheitskräfte) verwirklicht worden sind, die
Gefährdungen durch ethnische Tschetschenen, soweit sie überhaupt als
flüchtlingsrelevant angesehen werden sollten, also lediglich noch hinzukämen,
ohne dass dies flüchtlingsrechtlich von eigenständiger und entscheidender
Bedeutung wäre.
Der Senat glaubt den Klägern jedoch nicht, dass sie zusätzlich zu den
beschriebenen gruppenrelevanten Verfolgungsmaßnahmen auch individuell in das
Fadenkreuz der russischen Sicherheitskräfte geraten sind. Die Kläger haben
insoweit vorgetragen, von Mai 2000 bis September 2001, mithin 16 Monate, im
Gewahrsam der russischen Sicherheitskräfte gewesen zu sein. Gemessen daran,
dass die Kläger nach ihrem Vortrag über einen sehr langen Zeitraum inhaftiert
waren, ist das, was sie aus dieser Zeit berichten können, maximal schemenhaft
und gänzlich detailarm. So hat der Kläger außer dem Anfang und dem Ende der
angeblichen Haftzeit, der Behauptung, dort immer wieder befragt worden zu sein,
und dem maßgeblichen Vorwurf, zu den Rebellen zu gehören, keinerlei lebensnahe
Schilderung einer derartig langen Haftdauer erbracht. Auch die Klägerin hat im
Rahmen ihrer Anhörung lediglich den Anfangs- und Endzeitpunkt der angeblichen
Haft benannt und zu dem Grund ihrer Freilassung vorgetragen, die genauen
Umstände nicht zu kennen, sie gehe jedoch davon aus, dass festgestellt worden
sei, dass sie nicht diejenigen seien, für die sie gehalten worden seien. Befragt nach
ihren persönlichen Erlebnissen während der Haft trug sie lediglich vor, es seien
dort verschiedene Nationalitäten inhaftiert gewesen, von den Tschetscheninnen
sei sie zu niederen Arbeiten wie Putzen gezwungen worden. Bei einem derartig
einschneidenden Erlebnis wie einer 16-monatigen Haft ist jedoch davon
auszugehen, dass derjenige, der eine derartige Situation tatsächlich hat erleben
müssen, hierüber mehr berichten kann als von den Klägern geschehen.
64
65
66
67
68
Dabei entfällt nach den oben gemachten Ausführungen im Zeitpunkt der Ausreise
der Kläger die - zusätzliche - Prüfung des Vorliegens einer internen
Schutzmöglichkeit, da für Art. 4 Abs. 4 QRL allein ausschlaggebend die unmittelbar
drohende bzw. eingetretene Verfolgung - und sei es nur in einem Teil des
Heimatlandes - ist.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des
Gerichts fest steht, dass die Kläger im Zeitpunkt der maßgeblichen Entscheidung
ihrer Rückkehr (§ 77 AsylVfG, Art. 8 Abs. 3 QRL) zwar Schwierigkeiten bei einer
Rückkehr nach Tschetschenien selbst haben dürften und in ihrem Fall daher gem.
Art. 4 Abs. 4 QRL keine stichhaltigen Gründe dagegen sprechen, dass sie nicht
erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sein
werden (vgl. allgemein zur Sicherheitslage in Tschetschenien heute sowie zu den
Rückkehrmöglichkeiten ethnischer Tschetschenen aus Tschetschenien in ihr
Heimatland, soweit sie ohne Bezug zu den Rebellen sind, Urteil des Senats vom
21.02.2008, 3 UE 191/07.A), ihnen aber nach den Maßstäben des Art. 8 QRL die
Möglichkeit internen Schutzes zur Verfügung steht.
Nach Informationen des Auswärtigen Amtes gibt es heute kaum mehr Armenier in
Tschetschenien. Während Tschetschenien bis Ende der 80-er/Anfang der 90-er
Jahre des letzten Jahrhunderts noch eine Vielvölkerrepublik gewesen sei, hätten
bereits zu Beginn der 90-er Jahre die armenisch-stämmigen Bewohner mit der
Ausreise aus Tschetschenien begonnen, wobei viele in die angrenzenden südlichen
Regionen der Russischen Föderation (Gebiete Strawropol und Krasnodar) gezogen
seien. Bei Ausbruch des 1. Tschetschenenkrieges 1994 hätten die meisten
Armenier Tschetschenien bereits verlassen. Nach Untersuchungen der
Migrationsforschung lebten etwa 1,5 Mio. Migranten aus den Kaukasusstaaten in
der Russischen Föderation (Auswärtiges Amt, 2. April 2007, Bl. 182 ff. GA).
Demgegenüber weist amnesty international in seiner Auskunft vom 25. Juli 2007
(Bl. 197 ff. GA) darauf hin, dass der Konflikt in Tschetschenien auch weiterhin mit
schweren Menschenrechtsverletzungen einschließlich Kriegsverbrechen
einhergehe. Dazu zählten das "Verschwindenlassen" von Personen, extralegale
Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen, willkürliche Festnahmen sowie
Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt in zum Teil inoffiziellen Einrichtungen.
Für die schweren Menschenrechtsverletzungen seien sowohl tschetschenische als
auch föderale Einheiten verantwortlich. Insbesondere sei aber die Bedeutung der
Milizen des tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrow seit der sogenannten
Tschetschenisierung des Krieges, der heute offiziell als "antiterroristische
Operation" ausgegeben werde und gelte, gewachsen. Die Übergriffe richteten sich
dabei mehrheitlich gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung, sie stellten
darauf ab, das Leben, die Würde und die Sicherheit der Zivilbevölkerung
anzutasten. Dabei wiesen die Kenntnisse von amnesty international auf ein
Verfolgungsmuster hin, demzufolge Übergriffshandlungen oft willkürlich und
wahllos geschähen. Grundsätzlich könne jeder tschetschenische Zivilist zu
irgendeinem Zeitpunkt von Übergriffshandlungen durch die tschetschenischen
oder russischen Sicherheitskräfte betroffen werden. Auch armenische
Volkszugehörige seien aller Wahrscheinlichkeit nach davon nicht ausgenommen,
zumal sie Kaukasier seien (amnesty international, 25.07.2007, Bl. 197 ff. GA). Eine
Rückkehr nach Tschetschenien berge jedoch, und sei sie nur zum Zweck der
Passbeantragung vorübergehend, große Risiken für die eigene Sicherheit und
Unversehrtheit. Ob die Sicherheitsrisiken für armenische Volkszugehörige mit
denen für tschetschenische Volkszugehörige gleichzusetzen seien, könne von
amnesty international nicht festgestellt werden, es könne jedoch keineswegs
ausgeschlossen werden (amnesty international, 25.7.2007, Bl. 197 ff. GA).
Der Gutachter Prof. Dr. Luchterhandt vertritt eine differenziertere Position, indem
er zunächst die Lage armenischer Volkszugehöriger in Tschetschenien selbst als
auch deren Situation als Binnenflüchtlinge in anderen Gebieten der Russischen
Föderation darstellt (Bl. 211 ff. GA). Bei der hier zunächst zu behandelnden Frage,
ob armenische Volkszugehörige nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 4 QRL nach
Tschetschenien zurückgeschickt werden können, führt er aus, infolge der
Instabilität der politischen Verhältnisse in Tschetschenien seit dem Ende der 80-er
Jahre und dann der beiden Tschetschenienkriege sei die ohnehin recht kleine
Volksgruppe der Armenier so gut wie vollständig aus der Republik abgewandert
oder geflohen. Die für 1991 angegebenen ca. 15.000 Armenier, von denen ca.
14.000 in der Hauptstadt Grozny gelebt hätten, hätten schon bis 1998 unter dem
Druck des nationalistischen Kurses Präsident Dudaews, dann wegen des
69
70
Druck des nationalistischen Kurses Präsident Dudaews, dann wegen des
Kriegsinfernos und wegen der folgenden Islamisierung des öffentlichen Lebens
(Einführung der Scharia) unter Präsident Maschadows die Republik verlassen. Die
Aussagekraft dieses Exodus wachse, wenn man den Blick auf das Schicksal der
Russen bzw. der slawischen Bevölkerung der Republik Tschetschenien werfe, von
denen bis 1998 etwa 150.000 bis 180.000 geflohen bzw. weggezogen seien. 2002
seien von den ursprünglich 240.000 bis 257.000 russischen bzw. slawischen
Bewohnern Tschetscheniens nur noch 10.000 bis 20.000 (meist alleinstehende
Rentner) übrig geblieben. Noch mehr als "Slawen" seien deswegen Armenier, die
heute in oder durch Tschetschenien reisten, für die kontrollierenden
Sicherheitsorgane eine auffallende, weil eher ungewöhnliche Erscheinung. Das
gelte umso mehr, als die abgewanderten Armenier nicht, nicht einmal zu einem
kleinen Prozentsatz, zurückkehrten, sondern aus naheliegenden Gründen in ihren
neuen Aufenthalts- bzw. Wohnorten - in der Regel im Vorkaukasusgebiet der
Grenzmarken Stawropol und Krasnodar sowie des Gebiets Rostow am Don
geblieben seien. Umgekehrt müsse man berücksichtigen, dass die Republik
Tschetschenien sich inzwischen in eine so gut wie rein nationale, das heißt
ethnisch "gesäuberte" Teilrepublik Russlands verwandelt habe, dass der
tschetschenische Nationalismus unter dem Präsidenten Kadyrow sich immer
kräftiger bemerkbar mache und das prekäre Verhältnis zu den Russen (Slawen)
noch mehr belaste, als dies ohnehin schon der Fall sei. Das schon immer starke,
vollkommen mit ihrer orientalisch-christlichen Kultur verschmolzene
Nationalbewusstsein habe die Armenier schon zu Sowjetzeiten in Distanz zu den
Tschetschenen gebracht. Erst recht gelte dies heute, zu einer Zeit, in welcher
Kadyrow demonstrativ den Islam als integrales Element der tschetschenischen
Identität und Nationalkultur betone. Ebenfalls ungünstig für die Armenier im
heutigen Tschetschenien sei die Tatsache, dass sie sich zu Sowjetzeiten als eine
gegenüber der Moskauer bzw. "russischen" Zentralregierung besonders loyale
Volksgruppe ausgezeichnet und regional oder lokal eine nicht unwichtige Rolle bei
der Gewährleistung des zentralistischen Herrschersystems in Partei und Staat
gespielt hätten. Schließlich dürfe bei der Klärung der Frage nicht der Umstand
außer acht gelassen werden, dass die Kontrollen auf den Straßen und Plätzen der
Republik heute kaum noch von den Russen, sondern - im Zuge der Politik der
"Tschetschenisierung" - von tschetschenischen Sicherheitskräften durchgeführt
würden. Damit steige aber die Wahrscheinlichkeit, dass gegenüber Armeniern
vorhandene virulente nationale und politische Vorurteile auf das Verhalten bei
Kontrollen durchschlügen und sich im Ergebnis für die betroffenen Armenier
diskriminierend auswirkten. Zusammenfassend sei daher zu sagen, dass ein hoher
Grad an Wahrscheinlichkeit bestehe, dass Staatsangehörige Russlands
armenischer Volkszugehörigkeit bei Kontrollen in Tschetschenien im Vergleich zu
Bürgern tschetschenischer Volkszugehörigkeit diskriminiert würden. Dabei spiele
es keine Rolle, ob bzw. dass die kontrollierten Personen aus Tschetschenen selbst
stammten, da sie dies aus den oben genannten Gründen nicht gegenüber einem
virulenten tschetschenischen Nationalismus schütze (vgl. insgesamt Prof. Dr. F. an
Hess. VGH vom 09.08.2007 an Hess. VGH, Bl. 212, 213 GA).
Nach Auswertung dieser Auskünfte sowie dem aus der Erkenntnisquellenliste
ersichtlichen Material zur Situation in der Russischen Föderation - Tschetschenien -
kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Kläger als armenische
Volkszugehörige aus Tschetschenien bei Rückkehr in ihre Heimatregion
Tschetschenien anders als tschetschenische Volkszugehörige (siehe Urteil des
Senats vom 21.02.2008, 3 UE 191/07.A) dort auf Grund ihrer ethnischen
Zugehörigkeit weiterhin mit vermehrten Überprüfungen und ggf. Drangsalierungen
der mittlerweile tschetschenischen Sicherheitskräfte zu rechnen haben.
Übereinstimmend gehen die Gutachter dabei davon aus, dass in Tschetschenien
selbst ein Exodus hinsichtlich anderer als tschetschenischer Ethnien stattgefunden
hat mit der Folge, dass nur noch ein sehr geringer Prozentsatz armenischer
Volkszugehöriger in Tschetschenien lebt. Zwar gehören armenische
Volkszugehörige ebenfalls zu den Kaukasusvölkern, sie unterscheiden sich jedoch
elementar von den Tschetschenen, insbesondere in ihrer Glaubensausrichtung.
Armenier werden zudem von Seiten der Tschetschenen eher als russlandtreue
Personen angesehen, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kläger
bei einer Rückkehr nach Tschetschenien dort vermehrt in Kontrollen geraten und
im Zuge dieser Kontrollen diskriminierenden flüchtlingsrelevanten Maßnahmen
ausgesetzt sein werden (vgl. insbesondere Prof. Dr. Luchterhandt an Hess. VGH,
Bl. 212, 213 GA). Bei einer derartigen Konstellation kann die Rückausnahme des
Art. 4 Abs. 4 (am Ende) QRL nicht als erfüllt angesehen werden, da keine
ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die von den Klägern
71
72
73
ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die von den Klägern
bereits einmal erlebte Verfolgungssituation tatsächlich - unter Nachweis
stichhaltiger Gründe - zum Positiven verändert hat und sie nunmehr in eine unter
flüchtlingsrelevanten Gesichtspunkten zu beurteilende neue Situation
zurückkehren. Dies kann jedoch im Fall der armenischen Volkszugehörigen gerade
nicht gesagt werden, da sich ihre Situation im Zuge der Tschetschenisierung des
Tschetschenienkonflikts in Tschetschenien selbst nicht verbessert, sondern
allenfalls verändert und verschoben hat. Den Klägern steht jedoch nach den
Maßstäben des Art. 8 QRL interner Schutz zur Verfügung und am Ort des internen
Schutzes sprechen zudem stichhaltige Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 QRL
dagegen, dass sie dort erneut Gefährdungen ausgesetzt sein werden. Die Kläger
können nämlich auf Orte der armenischen Diaspora in der Russischen Föderation
verwiesen werden wie Stawropol, Krasnodar sowie Rostow am Don, da sie sich dort
ansiedeln und unter zumutbaren Bedingungen sicher leben können.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei Prüfung des Antrags auf
internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen
Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht
vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu
erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden
kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Dabei berücksichtigen die
Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die
Voraussetzungen nach Art. 8 Abs. 1 QRL erfüllt, die dortigen allgemeinen
Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt
der Entscheidung über den Antrag (Art. 8 Abs. 2 QRL).
Hinsichtlich der Möglichkeiten der Kläger, sich als armenische Volkszugehörige an
einen Ort des internen Schutzes innerhalb der Russischen Föderation zu begeben,
stellt sich die Auskunftslage nach Durchführung der Beweisaufnahme und
Auswertung der Beweisfragen (Bl. 165 R GA) nicht einheitlich dar.
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes seien im Jahr 2002 allein in Moskau offiziell
124.435 ethnische Armenier registriert gewesen, Zehntausende lebten ohne
Anmeldung in der Stadt. Armenier lebten landesweit in einem weit größeren
Mikrokosmos als Tschetschenen. Allerdings litten auch sie, wie andere
nichtrussische Ethnien, unter der allgemeinen Xenophobie in der Russischen
Föderation, unter willkürlichen Übergriffen der Miliz und Benachteiligungen durch
Behörden. Ob die Armenier hierbei aus Tschetschenien stammten oder nicht,
spiele in diesem Kontext keine Rolle. Da Armenien der engste Verbündete der
Russischen Föderation im Südkaukasus sei, sei die Lage der Armenier aber
insgesamt besser als die der übrigen Kaukasusvölker. Generell gelte jedoch, dass
eine Niederlassung in den Wirtschaftszentren Moskau und St. Petersburg schwierig
sei, während die Ansiedlung in einigen ländlichen Regionen durch den russischen
Staat durch entsprechende Programme gefördert werde, um dem dortigen
Bevölkerungsrückgang entgegenzuwirken. Für alle russischen Staatsangehörigen
gelte unabhängig von ihrer Ethnie, dass die Ausstellung ihrer Inlandspässe am
registrierten Wohnsitz zu erfolgen habe und der Inlandspass bei der Registrierung
erforderlich sei (Auswärtiges Amt, 2.4.2007, Bl. 182 ff. GA). Demgegenüber weist
amnesty international darauf hin, dass von schwerwiegenden
Diskriminierungsmaßnahmen in der Russischen Föderation in hohem Maße
tschetschenische Volkszugehörige betroffen seien, diese Maßnahmen
beschränkten sich jedoch keineswegs nur auf Tschetschenen, sondern richteten
sich auch gegen andere ethnische Minderheiten, darunter aus dem gesamten
Nordkaukasus, wie auch aus dem Südkaukasus. Kaukasier seien überall in
Russland allein wegen ihres Äußeren als sogenannte "Schwarze" der
Diskriminierung ausgesetzt, dabei sei es nicht ausschlaggebend, ob es sich um
Angehörige des muslimischen oder christlichen Glaubens handele, vielmehr sei die
ethnische Zugehörigkeit entscheidend. Die Praxis russischer Polizeibehörden lasse
sich vielfach als "racial profiling" charakterisieren, von dem nicht allein
Tschetschenen betroffen seien, sondern auch andere Kaukasier. Die Polizei nehme
verstärkt Menschen - oftmals allein aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes -
gezielt ins Visier. Die Personalpapiere der betroffenen Personen würden
unverhältnismäßig häufig auf eine ordnungsgemäße Anmeldung hin überprüft,
wobei es nicht selten zu tätlichen Übergriffen oder anderen
Einschüchterungsversuchen durch die Polizei komme. Die betroffenen Personen
würden genötigt, Bestechungsgelder zu zahlen, um weiteren Schikanen zu
entgehen. Allein das "nicht-slawische Aussehen" könne Anknüpfungspunkt für eine
Polizeikontrolle sein. Die Wahrscheinlichkeit, kontrolliert zu werden, sei für eine
Person mit kaukasischem Aussehen um ein Vielfaches höher als für eine Person
Person mit kaukasischem Aussehen um ein Vielfaches höher als für eine Person
mit "russischen Zügen". Polizeibehörden nähmen diesen Rassismus billigend hin
und wendeten ihn in ihrem Verhalten gegenüber Tschetschenen und Kaukasiern
selbst an. Russische Staatsangehörige, die aus dem Ausland in die Russische
Föderation zurückkehrten und nicht im Besitz eines gültigen Inlandspasses seien,
müssten einen solchen zunächst beantragen, wobei dies für Personen, die zuletzt
in der tschetschenischen Republik dauerhaft registriert gewesen seien, bedeute,
dass sie sich zur Beantragung eines Inlandspasses persönlich an die für sie
zuständige Meldebehörde in Tschetschenien wenden müssten (amnesty
international, 25.07.2007, Bl. 197 ff. GA). Der UNHCR wiederholt in der
Beantwortung der Beweisfragen seine bereits in dem Verfahren 3 UE 191/07.A
(siehe Urteil vom 21.02.2008) gemachten Ausführungen zur allgemeinen
Sicherheitslage tschetschenischer Binnenvertriebener in Tschetschenien und in
der übrigen Russischen Föderation und weist im Übrigen darauf hin, dass auch
ethnische Armenier ein kaukasisches Aussehen haben und daher gleichfalls
Polizeikontrollen und xenophoben Angriffen ausgesetzt sein könnten (UNHCR,
8.10.2007, Bl. 239 ff., 252 GA). Nach Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. F.
werden armenische Volkszugehörige russischer Staatsangehörigkeit, die in
Tschetschenien geboren worden seien und bis zu ihrer Ausreise dort gelebt hätten,
hinsichtlich einer Niederlassung in anderen Gebieten der Russischen Föderation
trotz ihres kaukasischen Ursprungs heute anders behandelt als tschetschenische
Volkszugehörige, wobei es ihnen eher möglich sei, sich dort niederzulassen (vgl.
Prof. Dr. Luchterhandt an Hess. VGH, Bl. 213 GA). Zwar seien in den slawisch
geprägten, also den weitaus größten Teilen Russlands, massive Vorurteile und
insgesamt eine starke Ablehnung von "Personen kaukasischer (!) Nationalität", im
Ansatz also ganz undifferenziert, fest verwurzelt und virulent, auch hätten sich
unter dem Putin-Regime in den letzten Jahren Krawalle, Pogrome, Morde,
vorwiegend mit Opfern auf "kaukasischer" Seite, eingeschlossen auch Armenier,
gehäuft, von dem vorherrschenden Negativbild der Russen von "Kaukasiern" hebe
sich das Bild der Tschetschenen jedoch noch einmal ganz besonders unvorteilhaft
ab (Prof. Dr. Luchterhandt an Hess. VGH, Bl. 213 GA). Umgekehrt könne man
sagen, dass die Armenier als ethnische, in Russland über keine eigene territoriale
Verwaltungseinheit verfügende Minderheit gegenüber Migranten aus vielen
anderen Minderheiten bzw. Volksgruppen des Kaukasus deutlich günstiger
dastünden. Dies habe verschiedene Ursachen, wobei nicht unerheblich sei, dass
die Armenier auf Seiten der Russen insgesamt ein besseres Image als die
muslimischen Volksgruppen des Kaukasus, aber auch als die Georgier hätten. Eine
nicht zu unterschätzende Rolle dürfte dabei der Umstand spielen, dass die
Republik Armenien eine besonders enge Beziehung zu Moskau pflege und
Russlands zuverlässigster Verbündeter in der GUS sei (Prof. Dr. Luchterhandt an
Hess. VGH, Bl. 213 GA). Daher könnten sich armenische Binnenflüchtlinge aus
mehreren Gründen leichter in anderen Gebieten der Russischen Föderation
niederlassen, was mit reichem Zahlenmaterial aller Migrationsforschungen
insbesondere zum Nordkaukasus bestätigt werde. Hauptgrund sei, dass Russland
sich lange als Schutzmacht der Armenier gegenüber dem osmanischen Reich und
seinen muslimischen Verbündeten im Kaukasus verstanden habe, dass im 19.
Jahrhundert in den unter Katharina II. im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts
eroberten Steppengebieten des Vorkaukasus Armenier als Kolonisten angesiedelt
worden seien, diese Kolonien bzw. Siedlungsgebiete bis heute bestünden und sich
ausgeweitet hätten, dass die Armenier selbst, kraft ihres Schicksals, über
allergrößte Erfahrungen mit dem Leben und Überleben unter den Bedingungen
von Diaspora und Fremdherrschaft verfügten und dass die Volksgruppe der
Armenier im Unterschied zu (fast) allen anderen Volksgruppen des Kaukasus
sozial am stärksten ausdifferenziert sei. Dies erkläre, dass Armenier einerseits -
nach den Russen - unter den Migranten mit Abstand das stärkste Kontingent
stellten, andererseits aber, und das gelte gerade für den Nordkaukasus,
besonders erfolgreich darin seien, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Der
Erfolg der Migranten armenischer Volkszugehörigkeit, sich eine Existenz zu
schaffen, zeige, dass die administrativen und bürokratischen Hürden, welche die
Behörden kraft der Einstellung, nichtslawische Ethnien an vorderster Stelle für
Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Unordnung etc. verantwortlich zu machen, aufbauten,
nicht unüberwindlich seien, am ehesten, und auch das zeigten die
Untersuchungen eindeutig, dort, wo die armenische Diaspora schon lange
bestehe, sie fest verwurzelt sei und daher lokal über fühlbaren wirtschaftlichen und
auch politischen Einfluss verfüge (Prof. Dr. Luchterhandt an Hess. VGH, Bl. 214
GA). Voraussetzung für eine Registrierung sei die Vorlage eines Dokuments, das
die Person ausweise (vgl. Prof. Dr. Luchterhandt an Hess. VGH vom 09.05.2007 in
3 UE 455/06.A, dort S. 17 des Gutachtens). Die gesetzliche Regelung, um welches
Dokument es sich dabei handeln solle, sei unklar, so dass es von der jeweiligen
74
75
Dokument es sich dabei handeln solle, sei unklar, so dass es von der jeweiligen
Behörde abhänge, wie sie bei Vorlage eines abgelaufenen Passes entscheide.
Unter diesen Umständen spielten örtliche Verwaltungsgewohnheiten und
"landesübliche Praktiken" eine wesentliche Rolle: Es sei vielfach belegt, dass in
solchen Fällen die Registrierung durch die Behörde eine "Frage des Preises" sei.
Die Käuflichkeit von Verwaltungsleistungen im Allgemeinen, von
Registrierungsbescheinigungen im Besonderen sei im Nordkaukasus nicht die
Ausnahme, sondern im Gegenteil die Regel. Die damit verbundenen Kosten
scheuten viele Bürger (Migranten) mit der Folge, dass ein nicht unerheblicher
Prozentsatz von Personen, die real ihren Wohnsitz wechselten (oder zumindest
ihren Aufenthaltsort) das Registrierungsverfahren vermieden. Für die Stadt Sotschi
werde der Anteil der Armenier, die dort förmlich gemeldet seien, mit ca. 20 %
angegeben. Nach Erkenntnissen der Migrationsforschung liege ihr Anteil jedoch bei
ca. 1/3 der Einwohner. Diese Zahlen seien höchst aussagekräftig, da es, soweit in
einer so prominenten und so eng mit der Moskauer Zentralregierung verbundenen
Stadt wie Sotschi ein so hoher Prozentsatz einer nichtrussischen Volksgruppe
ohne Einhaltung der polizeilichen Meldebestimmungen mehr oder weniger
ungestört leben könne, sich der Schluss aufdränge, dass dies wohl erst recht in
weniger prominenten Zonen des Nordkaukasus, zumal in ländlichen Kreisen und
Gemeinden, möglich sei. Es sei daher möglich, dass die Vorlage eines gültigen
Inlandspasses von den Registrierbehörden verlangt werde, doch könne diese
Forderung mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die im Registrierverfahren
insgesamt und überhaupt übliche Zahlung von Schmiergeld unterlaufen bzw.
überwunden werden (vgl. Prof. Dr. Luchterhandet an Hess. VGH vom 09.05.2007 in
3 UE 455/06.A, S. 18, 19 des Gutachtens).
Zwar haben demnach nach Auswertung der dem Senat vorliegenden Auskünfte
armenische Volkszugehörige in der Russischen Föderation, dort insbesondere in
den großen Städten wie Moskau und St. Petersburg, mit Diskriminierungen und
insbesondere Behinderungen bei der Registrierung zu rechnen, da sie als
Kaukasier dort nicht erwünscht sind und versucht wird, ihre Ansiedlung zu
verhindern, sie zudem vermehrt Ziel von Überprüfungsmaßnahmen und
Durchsuchungen sind und ihnen eine Existenzgründung dort leidlich schwer
gemacht wird. Es ist jedoch davon auszugehen, dass armenische Volkszugehörige
in den Gebieten Krasnodar, Stawropol und Rostow am Don auf eine starke und fest
verwurzelte Diaspora zurückgreifen können, die für sie die Möglichkeiten, eine
Existenz an einem anderen als dem Herkunftsort zu gründen und sich gegen
administrative und bürokratische Hürden zur Wehr zu setzen, wesentlich erhöht.
Der Senat geht daher davon aus, dass sich die Kläger bei Ansiedlung in Orten der
armenischen Diaspora dort auch gegen restriktive Registrierungsbestimmungen
der örtlichen Behörden unter Zuhilfenahme dort bereits angesiedelter
armenischer Volkszugehöriger erfolgreich zur Wehr setzen können und sie zudem
in ein Netz sozialer und wirtschaftlicher Strukturen in der armenischen Diaspora
geraten, die ihnen ein Existenzminimum gewährleisten, sodass von ihnen gemäß
Art. 8 Abs. 1 QRL auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich
heute in diesem Landesteil aufhalten. Da der Senat den Klägern das von ihnen
vorgetragene individuelle Verfolgungsschicksal, insbesondere ihre Inhaftierung von
Mai 2000 bis September 2001, nicht glaubt, ergibt sich hieraus im Gegensatz zu
den Verfahren ihrer Söhne, die unter den Aktenzeichen 3 UE 459/06.A und 3 UE
460/06.A geführt werden, nichts anderes. Selbst wenn man jedoch die Inhaftierung
der Kläger als wahr unterstellen sollte, ergäbe sich daraus gleichwohl nichts
anderes, da sie bei ihrer Anhörung angegeben haben, sie seien durch einen
älteren Mann, der in dem Lager das Sagen gehabt habe, freigelassen worden, er
habe ihnen geglaubt, sie seien fotografiert worden, hätten eine Bescheinigung
ausgestellt bekommen und seien auf freien Fuß gesetzt worden. Unter
Berücksichtigung dieses Vortrags kann selbst bei Wahrunterstellung der Haftzeit
nicht davon ausgegangen werden, dass auch heute noch nach den Klägern
gesucht wird.
Die Annahme internen Schutzes gilt auch unter Berücksichtigung der individuellen
Fähigkeiten der Kläger. Die heute 57 und 52 Jahre alten Kläger sind arbeitsfähig
und beherrschen sowohl die russische als auch die armenische Sprache. Sie
haben beide den Mittelschulabschluss und sind ausgebildete Elektrotechniker,
wobei der Kläger als Selbständiger eine Autowerkstatt betrieben hat und die
Klägerin dort als Buchhalterin gearbeitet hat. Anhaltspunkte dafür, dass sie auf
Grund besonderer persönlicher Gegebenheiten nicht in der Lage wären bzw. es für
sie unzumutbar wäre, in Gebieten der armenischen Diaspora einen Neuanfang zu
wagen, sind für den Senat nicht ersichtlich und von den Klägern auch nicht
substantiiert dargetan. Die Kläger haben in diesem Zusammenhang zwar auf
76
77
78
substantiiert dargetan. Die Kläger haben in diesem Zusammenhang zwar auf
beeinträchtigende Krankheiten verwiesen, jedoch ohne näher zu belegen, um
welche Erkrankungen es sich dabei handeln soll und in welchem Umfang diese die
Kläger darin hindern sollten, in ihr Heimatland zurückzukehren. Dem Kläger dürfte
es danach möglich sein, in seinem Beruf erneut Fuß zu fassen und sich mit Hilfe
anderer armenischer Volkszugehöriger gegen bürokratische Hemmnisse etwa bei
einer anstehenden Registrierung erfolgreich zur Wehr zu setzen. Gleiches gilt für
die Klägerin.
Dabei entspricht es der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein
verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche
Existenzminimum in aller Regel schon dann verschafft, wenn sie dort, sei es durch
eigene, notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende
Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, sei es durch Zuwendungen von dritter
Seite, jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem
Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (vgl. BVerwG, Urteil vom
01.02.07, 1 C 24.06; Beschluss vom 21.05.03, 1 B 298.02), wobei allerdings unter
Geltung der QRL die vergleichende Betrachtung, ob die existentiellen
Gefährdungen so auch am Herkunftsort bestanden hätten, entfällt (s. o.). Nicht
zumutbar sind hingegen die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle
Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder der Teilnahme an
Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, der nur durch derartiges
kriminelles Handeln erlangt werden kann, ist keine innerstaatliche Fluchtalternative
im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.07, 1 C
24.06; Beschluss vom 21.05.03, 1 B 298.02).
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass Voraussetzung für eine Registrierung der
Kläger am Ort des internen Schutzes grundsätzlich die Vorlage des Inlandspasses
ist (AA an Hess. VGH vom 02.04.2007, Bl. 182 GA). Dieser Grundsatz wird jedoch
offensichtlich je nach Wille bzw. Wohlwollen der Behörde auch zu Gunsten der
Antragsteller durchbrochen, wie sich aus der Auskunft von Prof. Dr. Luchterhandt
vom 16. April 2007 in dem Verfahren 3 UE 455/06.A, S. 17 ff. ergibt. Danach wird
nach der gesetzlichen Bestimmung ein Dokument gefordert, das die Person
ausweist, wozu sowohl ein Pass als auch die Geburtsurkunde für Personen unter 16
Jahren zählen kann. Da die gesetzliche Regelung nach Darstellung des Gutachters
für die russischen Behörden nicht eindeutig ist, hängt es von der jeweiligen
Behörde ab, wie sie bei Vorlage eines abgelaufenen Passes entscheidet. Insoweit
führt der Gutachter weiter aus, es spielten örtliche Verwaltungsgewohnheiten und
"landesübliche Praktiken" eine wesentliche Rolle: Gerade im Migrationswesen im
Nordkaukasus sei bezeugt, dass in solchen (und anderen, noch ungünstigeren (!))
Fällen die Registrierung durch die Behörde eine "Frage des Preises" sei. Die
Käuflichkeit von Verwaltungsleistungen im Allgemeinen, von
Registrierungsbescheinigungen im Besonderen sei im Nordkaukasus nicht die
Ausnahme, sondern im Gegenteil die Regel. Die damit verbundenen Kosten
scheuten freilich viele Bürger (Migranten) mit der Folge, dass ein nicht
unerheblicher Prozentsatz von Personen, die real ihren Wohnsitz wechselten, das
Registrierungsverfahren mieden. So lebe ein beträchtlicher Prozentsatz an
Binnenmigranten ohne Registrierung in anderen Regionen mehr oder weniger
ungestört, zumal in ländlichen Kreisen und Gemeinden. Es sei möglich, dass die
Vorlage eines gültigen Inlandspasses von den Registrierbehörden verlangt werde,
doch könne diese Forderung mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die im
Registrierverfahren insgesamt und überhaupt übliche Zahlung von Schmiergeld
unterlaufen bzw. überwunden werden (vgl. insgesamt Prof. Dr. Luchterhandt an
Hess. VGH vom 16.04.2007, 3 UE 455/06.A Bl. 18 und 19 des Gutachtens).
Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen sowie unter Berücksichtigung der
weiteren Tatsache, dass die Kläger im Falle einer Verbringung in die Russische
Föderation nur mit gültigen Heimreisepapieren ihres Heimatlandes
zurückgeschickt werden können, deren Ausstellung voraussetzt, dass ihre Identität
geprüft worden ist, und die sie als vorläufige Ausweispapiere bei ihrer Registrierung
vorlegen könnten, geht der Senat davon aus, dass sie nicht gezwungen sein
werden zur Ausstellung ihrer Inlandspässe bzw. Verlängerung der Inlandspässe
nach Tschetschenien zurückzukehren, sondern sich ggf. unter Rückgriff auf
Hilfestellungen anderer armenischer Volkszugehöriger auch mit Hilfe anderer, ihre
Identität nachweisende Dokumente registrieren lassen können. So geht auch der
VGH München in seinem Urteil vom 31. August 2007 (11 B 02.31724 in juris-
online) davon aus, dass russische Staatsangehörige in aller Regel nicht ohne
Vorlage eines russischen oder sowjetischen Reisepasses wieder in die Russische
Föderation einreisen können, sodass für die Kläger durch die russische
79
80
81
82
83
84
85
86
87
Föderation einreisen können, sodass für die Kläger durch die russische
Auslandsvertretung ein Rückreisedokument ausgestellt werden müsse. Zu dessen
Ausstellung komme es jedoch nur, wenn zuvor die Identität der betroffenen Person
durch die Innenbehörden der Russischen Föderation überprüft wurde. Gleiches
gelte für die Zeit nach dem Inkrafttreten des europäisch-russischen
Rückabnahmeabkommens, da eine Rückübernahme nach Art. 2 Abs. 2 dieses
Abkommens voraussetze, dass die Russische Föderation dem
Übernahmeersuchen eines Mitgliedsstaats der Europäischen Gemeinschaft
zugestimmt und sie der rückzuübernehmenden Person ein Reisedokument
ausgestellt habe. Die russischen Stellen wüssten mithin sowohl vor als auch nach
Inkrafttreten dieses Vertrages rechtzeitig vor einer Abschiebung über die Identität
des Betroffenen Bescheid (vgl. VGH München, Urteil vom 31.08.07, a. a. O., Rdnr.
102).
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger bei Rückkehr in die armenische Diaspora dort
besonderen Überprüfungsmaßnahmen ausgesetzt sein werden, liegen nach
Auswertung der oben dargestellten Auskünfte sowie des Vortrags der Kläger nicht
vor.
Im Übrigen kann die die Abschiebung durchführende Ausländerbehörde darauf
achten, dass die Geltungsdauer des Rückreisedokuments nicht unmittelbar nach
Ankunft der Kläger endet oder den Klägern sonstige, ihre Identität nachweisende
Dokumente aushändigen.
Den Klägern drohen auch, soweit sie sich an den Ort des internen Schutzes
begeben, keine sonstigen Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, Art.
15 QRL.
Aufgrund der oben gemachten Ausführungen besteht für die Kläger nicht die
konkrete Gefahr, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung
oder Bestrafung unterworfen zu werden (§ 60 Abs. 2 AufenthG, Art. 15 b QRL).
Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 und 4 AufenthG, Art. 15 a
QRL bestehen keine Anhaltspunkte, insoweit haben die Kläger auch keinen
entsprechenden Sachvortrag geliefert.
Nach den oben gemachten Ausführungen zur Sicherheitslage in der Russischen
Föderation, dort den Orten der armenischen Diaspora wie etwa in den Gebieten
Stawropol und Krasnodar sowie Rostow am Don, kann auch nicht davon
ausgegangen werden, dass die Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG aus
Gründen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
vom 3. November 1950 unzulässig ist.
Gleiches hat für das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 AufenthG, Art. 15 c QRL
zu gelten. Danach soll von einer Abschiebung eines Ausländers in einen anderen
Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer ein erhebliche konkrete
Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG). Von
der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat ist abzusehen, wenn er
dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für
Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen
bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, Art. 15 c QRL).
Zwar setzt § 60 Abs. 7 AufenthG die Vorgaben des Art. 15 c) QRL aus mehreren
Gründen nicht vollständig und zutreffend um, da er zum einen den Wortlaut des
Art. 15 c) QRL durch Weglassen des Tatbestandselements "infolge willkürlicher
Gewalt" nicht vollständig wiedergibt und zum anderen die Ausschlussklausel des §
60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auf Grund der Vorgaben der QRL nicht auf
Sachverhaltskonstellationen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG /Art. 15 c) QRL
übertragen werden darf. Gemäß Art. 18 QRL handelt es sich nämlich auch bei der
Zuerkennung von subsidiärem Schutz um eine gebundene Entscheidung, die bei
Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 c) QRL weder dem
Entscheidungsvorbehalt des § 60 a AufenthG, noch den gesteigerten
Anforderungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG bei verfassungskonformer Auslegung (sehenden Auges in den sicheren
Tod...) unterworfen werden darf.
Selbst unter Berücksichtigung dieser Vorgaben steht den Klägern bei Rückkehr in
die armenische Diaspora weder subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG, noch nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, Art. 15 c), 18 QRL zu, da für
zuziehende Binnenmigranten dort weder eine erhebliche konkrete Gefahr für die in
88
zuziehende Binnenmigranten dort weder eine erhebliche konkrete Gefahr für die in
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG genannten Schutzgüter besteht, noch eine ernsthafte
individuelle Bedrohung der in Art. 15 c) QRL Schutzgüter infolge willkürlicher Gewalt
im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 60
Abs. 7 Satz 2 AufenthG, Art. 15 c) QRL). Hinsichtlich des zurückgenommenen Teils
der Klage haben die Kläger die Kosten des Verfahrens gemäß § 155 Abs. 2 VwGO
zu tragen, im Übrigen folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO,
§ 167 VwGO.
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da nach Inkrafttreten
des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der
Europäischen Union vom 19. August 2007 sowie der dort in Bezug genommenen
Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 - Qualifikationsrichtlinie - (ABl. EU L 304
S. 12, ber. ABl. 2005 L 204 S.24) die Frage der anzuwendenden
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe bei Prüfung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60
Abs. 1 AufenthG, die Frage der Beibehaltung der richterrechtlich entwickelten
Differenzierungen zwischen örtlich begrenzter und regionaler Gruppenverfolgung,
die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Prüfung internen Schutzes im
Sinne des Art. 8 QRL sowie der dort anzuwendenden Prüfungsmaßstäbe und die in
§ 60 Abs. 7 AufenthG zu beachtenden Vorgaben der QRL von grundsätzlicher
Bedeutung sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.