Urteil des HessVGH vom 01.07.1991

VGH Kassel: politische verfolgung, ausreise, wahrscheinlichkeit, alte leute, körperliche unversehrtheit, anerkennung, persönliche freiheit, staatliche verfolgung, sachverständiger

1
2
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 UE 3165/88
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 1 AsylVfG, § 1a
AsylVfG, § 2 Abs 1 AsylVfG,
§ 4 Abs 1 AsylVfG, § 7 Abs
1 S 2 AsylVfG
(Asylbegehren einer türkischen Familie jezidischer
Religionszugehörigkeit - Überprüfung der Voraussetzungen
des AuslG § 51 Abs 1)
Tatbestand
Die jeweils am ... -- laut Paß und Nüfen in ..., Provinz - geborenen Kläger zu 1) und
2) sind Eheleute. Die am in G geborene Klägerin zu 3) sowie die am ... bzw. ... -
laut Paß und Nüfen jeweils in ... - geborenen Kläger zu 4) und 5) sind die
gemeinsamen Kinder der Kläger zu 1) und 2). Alle Kläger sind türkische
Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und jezidischen Glaubens.
Der Kläger zu 1) reiste am 4. Oktober 1978, die Klägerin zu 2) am 22. Juli 1979 --
jeweils mit dem Flugzeug aus Istanbul kommend - über den Flughafen F in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Sie waren im Besitz von am 22. September 1978
bzw. 10. Juli 1979 in ... ausgestellten und für zwei Jahre gültigen türkischen
Nationalpässen; nach den darin enthaltenen Nüfuseintragungen und laut ihren
Nüfen vom 26. Juni 1978 bzw. vom 21. Februar 1979 war der Kläger zu 1) in dem
Dorf, die Klägerin zu 2) in dem Dorf, jeweils Bezirk, Provinz, registriert. An der für
die Religionszugehörigkeit vorgesehenen Stelle im Nüfus des Klägers zu 1) war
"Yezidi" eingetragen; bei der Klägerin zu 2) befand sich an der betreffenden Stelle
ein Kreuz. Am 9. Oktober 1978 bzw. 4. September 1979 beantragten die Kläger zu
1) und 2) zur Niederschrift der Ausländerbehörde ihre Anerkennung als
Asylberechtigte, wobei jeweils ein von ihnen mitgebrachter aramäischer Christ, den
sie schon von der Türkei her kannten, als Dolmetscher fungierte. Laut den
aufgenommenen Niederschriften gaben die Kläger zu 1) und 2) als Religion jeweils
"orthodox christlich" bzw. "christl. Orthodox" an. Der Kläger zu 1) machte zur
Begründung seines Asylantrags geltend: Er sei beim Viehhüten von sieben
bewaffneten Mohammedanern überfallen, geschlagen und gefesselt worden, und
die gesamte Herde von insgesamt 250 Stück Vieh, die seinem Onkel gehört habe,
sei gestohlen worden. Zu dem Überfall sei es nur deshalb gekommen, weil die
Täter gewußt hätten, daß sie Christen seien und diese in der Türkei kein Recht
erhielten. Wegen der von seinem Onkel daraufhin bei der Polizei erstatteten
Anzeige hätten die Viehräuber ihn, den Kläger zu 1), bedroht und gesucht und
seine Eltern und die Klägerin zu 2) geschlagen. Die Klägerin zu 2) machte geltend:
Sie sei wegen ihres Glaubens in der Türkei verfolgt worden und habe ständig in
Angst vor den Moslems gelebt. Aus Angst davor, von Mohammedanern
geschlagen zu werden, habe sie sich nicht aus dem Haus getraut. Bei der
Vorprüfungsanhörung am 24. März 1980 in N stellte der Kläger zu 1) richtig, daß er
und die Klägerin zu 2) jezidischer Religionszugehörigkeit seien, und führte
ergänzend aus: Er habe vom 3. März 1976 bis zum 3. November 1977 Militärdienst
geleistet, der ohne Zwischenfälle abgelaufen sei. Danach habe er als Kanalarbeiter
ca. drei Monate lang in ... gearbeitet; der Lohn sei ihm vorenthalten worden, weil er
Jezide sei. Er sei außerdem als Hilfsarbeiter in ... beschäftigt gewesen. Ungefähr
zwei bis drei Monate vor seiner Ausreise habe der Überfall beim Viehhüten
stattgefunden; die fünf Täter seien ihm bekannte Moslems gewesen, die ihm für
den Fall, daß er seinen Onkel informiere, mit dem Tode gedroht hätten. Er habe
sich deshalb zunächst einen Paß besorgt, sei nach Istanbul gegangen und habe
von dort aus den Onkel benachrichtigt, der daraufhin mit Hilfe des Aga das
3
4
5
6
von dort aus den Onkel benachrichtigt, der daraufhin mit Hilfe des Aga das
gestohlene Vieh wiederbekommen habe. Mit Bescheid vom 31. Juli 1980 lehnte
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Asylanträge der
Kläger zu 1) und 2) im wesentlichen mit der Begründung ab, es fehle an
Anhaltspunkten dafür, daß Angehörige der jezidischen Minderheit durch Dritte mit
Billigung staatlicher Stellen in der gesamten Türkei benachteiligt würden, und die
Übergriffe, denen die Kläger zu 1) und 2) ihren Angaben zufolge ausgesetzt
gewesen seien, beruhten auf der allgemeinen innenpolitischen Situation. Ihre
gegen diesen Bundesamtsbescheid und die daraufhin ergangenen
Ausreiseaufforderungen vom 17. Oktober 1980 erhobene Klage (VG Wiesbaden
IX/1 E 9072/80), zu deren Begründung die früheren Bevollmächtigten auf die
Verfolgung der christlichen Glaubensgemeinschaften in der Türkei hingewiesen
hatten, nahmen die Kläger zu 1) und 2) am 21. September 1981 zurück, nachdem
ihre Pässe am 19. September 1980 vom türkischen Generalkonsulat in F bis zum
21. September 1981 verlängert worden waren und sie am 4. September 1981
zusammen mit der zwischenzeitlich geborenen Klägerin zu 3) die Bundesrepublik
Deutschland verlassen hatten.
Sämtliche Kläger flogen - ausweislich des Ausreisestempels im Paß - am 21. Juni
1985 von der Türkei nach Belgien oder Luxemburg; am 26. oder 28. Juni 1985
reisten sie über die Niederlande ins Bundesgebiet ein. Sie waren im Besitz des
ursprünglich auf den Kläger zu 1) ausgestellten, am 30. April 1985 bis zum 29.
April 1990 verlängerten und zwischenzeitlich auf die gesamte Familie erweiterten
türkischen Nationalpasses. Der Kläger zu 1) ist laut seinem am 4. Juli 1983
erneuerten Nüfus in ... registriert und - jeweils nach ihren Nüfen -- die Klägerin zu
3) in und die Kläger zu 4) und 5) in .... An der für die Religionszugehörigkeit
vorgesehenen Stelle in den Nüfen sämtlicher Kläger befindet sich jeweils ein Kreuz.
Die Eltern des Klägers zu 1), die Eltern der Klägerin zu 2), die beiden Brüder und
vier der fünf Schwestern des Klägers zu 1) sowie der einzige Bruder der Klägerin zu
2) leben allesamt in Deutschland; die fünfte Schwester des Klägers zu 1) ist in
Belgien verheiratet.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 1. Juli 1985 beantragten die Kläger ihre
Anerkennung als Asylberechtigte mit folgender Begründung: Sie seien als
kurdische Volks- und jezidische Religionszugehörige von Mohammedanern
erheblich verfolgt und beeinträchtigt worden. Der Kläger zu 1) sei im April 1982 aus
seiner Wohnung in ... heraus mit vier Verwandten verhaftet worden mit dem
Vorwurf des Separatismus und der Aufhetzung von Jeziden und Kurden gegen den
Staat. Er sei während der Untersuchungshaft gefoltert worden; insbesondere habe
er Schläge auf die Fußsohlen erhalten, und anschließend seien seine Füße in
Salzwasser gesteckt worden und er habe über Glasscherben laufen müssen.
Aufgrund dieser Torturen habe er ein vorgefertigtes Geständnis unterschreiben
müssen, ohne es vorher lesen zu können. Nach vier Wochen sei ihm die Flucht aus
dem Toilettenfenster des Untersuchungsgefängnisses gelungen. In der Folgezeit
habe er im Untergrund gelebt, und zwar überwiegend bei Jeziden und kurdischen
Freiheitskämpfern. Von den mit ihm zusammen verhafteten Verwandten fehle
bisher jede Spur. Nach seiner Flucht sei die Klägerin zu 2) mehrfach verhaftet
worden. Man habe sie auch zu Hause aufgesucht und von ihr wissen wollen, wo der
Kläger zu 1) sei. Da sie angegeben habe, dies nicht zu wissen, sei sie geschlagen
und ihr der Fuß gebrochen worden, so daß sie sechs Monate lang nicht habe
gehen können. Auch der 75jährige Vater des Klägers zu 1) sei im Zuge der Suche
nach dem Kläger zu 1) verhaftet, eine Woche festgehalten und gefoltert worden.
Darüberhinaus sei die Klägerin zu 2) mehrfach Nachstellungen und Schikanen
mohammedanischer Männer ausgesetzt gewesen. Im Jahre 1984 sei sie
zusammen mit einem Verwandten namens ... im Weinberg überfallen und
beschossen worden, wobei der Verwandte ein Auge verloren habe. Davon
abgesehen habe sie während des Ramadan und beim Verlassen des Dorfes immer
grüne Kleidung tragen müssen, um nicht als Jezidin erkannt zu werden. Ihre
Ausreisepapiere hätten die Kläger durch Bestechung über den Aga erhalten, dem
dafür 250.000 TL gezahlt worden seien.
Am 3. Juli 1985 gab der Kläger zu 1) anläßlich einer persönlichen Vorsprache der
Kläger bei der Ausländerbehörde des Oberbürgermeisters der Stadt G an: Sie
seien am 24. Juni 1985 von ... nach Istanbul gereist, hätten dort in einem Hotel
gewohnt und einem ihnen namentlich nicht bekannten Vermittler zwei Millionen TL
für die Ausreise bezahlt. Am 28. Juni 1985 seien sie nach Luxemburg geflogen,
hätten dort bei einer Kontrolle am Flughafen ihre Flugtickets abgeben müssen und
seien dann als Mitfahrer in einem PKW zur holländischen Grenze gebracht worden,
7
8
9
seien dann als Mitfahrer in einem PKW zur holländischen Grenze gebracht worden,
die sie ebenso wie anschließend die deutsche illegal überschritten hätten.
Bei ihrer in deutscher Sprache durchgeführten persönlichen Anhörung bei der
Ausländerbehörde des Landrats des Main-Taunus-Kreises am 5. Juli 1985 in S
gaben die Kläger zu 1) und 2) an, sie seien am 25. Juni 1985 aus der Türkei
ausgereist, nach Belgien geflogen und am 26. Juni 1985 mit dem Zug über die
Niederlande ins Bundesgebiet eingereist. Im übrigen bezogen sich die Kläger zu 1)
und 2) in vollem Umfang auf die Ausführungen ihrer Bevollmächtigten mit dem
Bemerken, weitere Angaben hätten sie nicht zu machen.
Anläßlich der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 20. Februar 1986 in Schwalbach führte
der Kläger zu 1) aus: Sein Heimatdorf sei ein rein jezidisches Dorf; dort lebten ca.
30 bis 40 Familien; es gebe seit 1981 auch eine Schule. Sie besäßen ein Haus in;
ein weiteres habe sein Vater in ... in einem Christenviertel gekauft gehabt,
während die Kläger zu 1) und 2) zum erstenmal in Deutschland gewesen seien.
Das Haus in ... sei bei seiner damaligen Rückkehr noch nicht eingerichtet gewesen,
deshalb hätten sie sich wieder im Dorf niedergelassen; nach ihrer erneuten
Ausreise sei es von Moslems in Besitz genommen worden. Zur Rückkehr in die
Türkei sei er durch seinen Vater veranlaßt worden, der ihm telefonisch mitgeteilt
habe, daß dort alles in Ordnung sei. Diese Mitteilung sei jedoch auf Betreiben
türkischer Behörden erfolgt, nachdem der Aga - er kontrolliere die Gegend um ... -
ihn, den Kläger zu 1), dahingehend denunziert habe, daß er in Europa mit Kurden
zusammenarbeite, und nachdem der Aga und dessen Leute seinen Vater immer
wieder geschlagen und unter Druck gesetzt hätten. Etwa 20 Tage nach ihrer
Rückkehr seien aufgrund einer erneuten Denunziation des Aga, daß er, der Kläger
zu 1), Kurden unterstützt habe, Gendarme nach ... gekommen, hätten ihn nach
seinen politischen Aktivitäten gefragt und ihn schließlich nach Mardin
mitgenommen. Auf der Durchfahrt seien in ... noch seine dort wohnenden Neffen
sowie seine Cousins festgenommen worden. Während seiner Haft seien ihm die
Augen verbunden worden, er sei geschlagen worden und habe über Glasscherben
laufen müssen; außerdem habe man die Geschlechtsteile mehrerer männlicher
Gefangener mit Schnüren verbunden und dann mit Stöcken auf diese Schnüre
geschlagen, um ihnen Schmerzen zuzufügen. Verhört worden sei er während
dieser Zeit nicht; er wisse nicht mehr, ob er etwas habe unterschreiben müssen.
Nach etwa einem Monat sei es ihm mit der Hilfe eines Wärters, dem sein Vater bei
einem Besuch im Gefängnis Geld gegeben habe, gelungen, durch die
Abwasserkanalisation zu fliehen. Der Cousin befinde sich noch immer in Haft, die
drei weiteren seinerzeit mitverhafteten Verwandten seien nach etwa eineinhalb
Jahren freigelassen worden. Er selbst habe sich nach seiner Flucht bis zur Ausreise
in den Bergen sowie bei einem Onkel in dem Dorf (Türkisch:) versteckt gehalten,
weil er eine erneute Verhaftung befürchtet habe. Ab und zu sei er über Nacht zu
Hause gewesen. Der Mittelsmann, der seinen Paß besorgt habe, heiße .... Seinen
neuen Nüfus habe er im Jahre 1983 über den Muhtar beantragen und ausstellen
lassen. Die Ausreise habe zwei Millionen TL gekostet; diesen Betrag habe er aus
den Erlösen aufgebracht, die von der Klägerin zu 2) und seinem Vater aus einem
landwirtschaftlichen Anwesen erwirtschaftet worden seien, das er von seinem
während seines ersten Deutschlandaufenthalts verdienten Arbeitslohn gekauft
habe. Sie würden in der Türkei sowohl wegen ihrer jezidischen Religions- als auch
wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit von den Behörden und von den
Moslems unterdrückt. Wenn jezidische Frauen auf den Markt gehen wollten,
müßten sie etwas Blaues tragen, um nicht aufzufallen. Soweit seine jetzigen
Angaben hinsichtlich des Ortes und des Zeitpunkts seiner Festnahme und der
Umstände seiner Flucht aus dem Gefängnis der anwaltlichen Antragsbegründung
vom 1. Juli 1985 widersprächen, könne dies nur auf Mißverständnissen bzw. auf
den unzureichenden Deutschkenntnissen desjenigen beruhen, der im Anwaltsbüro
gedolmetscht habe. Er, der Kläger zu 1), könne sich auch nicht erklären, wieso in
der Niederschrift zu seinem ersten Asylbegehren vom 9. Oktober 1978 seine
Religion fehlerhaft festgehalten worden sei; dies könne entweder auf einem
Mißverständnis des Begriffs "orthodox" oder auf einer Eigenmächtigkeit des
damaligen Sprachmittlers beruhen.
Die Klägerin zu 2) gab anläßlich ihrer am selben Tage durchgeführten
Vorprüfungsanhörung an: Während ihres ersten Deutschlandaufenthalts sei der
Vater des Klägers zu 1) von Moslems unter Druck gesetzt und veranlaßt worden,
dem Kläger zu 1) telefonisch mitzuteilen, daß in der Türkei alles in Ordnung sei und
daß er zurückkehren könne. Sie seien dann auch zurückgekehrt und hätten sich
wieder in ..., einem rein jezidischen Dorf, niedergelassen. Nach 20 Tagen sei der
10
wieder in ..., einem rein jezidischen Dorf, niedergelassen. Nach 20 Tagen sei der
Kläger zu 1) aufgrund einer Denunziation des Aga zu Hause festgenommen und
nach ... gebracht worden. Einen Monat später sei es dem Kläger zu 1) mit Hilfe
eines Gefängniswärters, an den der Vater des Klägers zu 1) Geld gezahlt habe,
gelungen zu fliehen. Der Kläger zu 1) habe sich dann zu einem Onkel in das etwa
eineinhalb Autostunden von ... entfernte Dorf begeben, er sei bis zur Ausreise nur
gelegentlich und dann für ganz kurze Zeit in der Nacht nach Hause gekommen,
weil er Angst vor einer erneuten Festnahme gehabt habe. Nach der Flucht des
Klägers zu 1) seien täglich Soldaten gekommen, hätten nach dem Kläger zu 1)
gefragt und sie und den Vater des Klägers zu 1) beleidigt und geschlagen. Die
Soldaten hätten die Suche nach dem Kläger zu 1) damit begründet, daß sie - was
zutreffe - in Vereinen organisierten kurdischen Aktivisten Essen und Unterkunft
gegeben hätten. Etwa zwei Jahre vor ihrer letzten Ausreise seien sie in ein Haus in
... umgezogen, das dem Vater des Klägers zu 1) gehöre; er habe sie während
dieser Zeit auch finanziell unterstützt. Auch dorthin seien aber Soldaten
gekommen, die den Kläger zu 1) gesucht hätten. Diese hätten sie, die Klägerin zu
2), einmal - es sei etwa eineinhalb Jahre vor der Ausreise gewesen - derart
geschlagen, daß sie die Haustreppe hinabgestürzt sei und sich ein Bein gebrochen
habe. Sie sei in das Krankenhaus in gebracht, jedoch nicht behandelt worden. Der
Knochen sei nicht richtig zusammengewachsen, und sie leide an einer
Bewegungseinschränkung. Etwa sechs Monate später - der Kläger zu 5) sei noch
nicht geboren gewesen - habe sie sich zu Besuch bei dem Vater des Klägers zu 1)
in ... aufgehalten und sei mit dem Neffen ... in die Weinberge gegangen. Plötzlich
seien vier ihnen unbekannte und mit Gewehren bewaffnete Moslems gekommen
und hätten sie entführen wollen. Sie habe sich gewehrt und um Hilfe geschrien,
und ... habe ihr beigestanden. Daraufhin hätten die Moslems geschossen und H.
am rechten Auge so getroffen, daß er auf diesem Auge erblindet sei. Sie hätten
Anzeige erstattet, aber diese habe nichts erbracht. Da sie wegen ihrer kurdischen
Volkszugehörigkeit von den Behörden und wegen ihrer jezidischen
Religionszugehörigkeit von den Moslems unterdrückt worden seien, habe der
Kläger zu 1) gegen Zahlung von 100.000 TL einen Mittelsmann - er habe
vermutlich geheißen - beauftragt, ihnen einen Paß zu besorgen. Sie und die Kläger
zu 3) bis 5) hätten sich dann am Busbahnhof in Diyarbakir mit dem Kläger zu 1)
getroffen; sie seien gemeinsam nach Istanbul gefahren und nach drei
Übernachtungen von dort abgeflogen. Bei der Ausreise, für die sie den Paß des
Klägers zu 1) benutzt hätten, habe man ihnen am Flughafen in Istanbul keine
Schwierigkeiten bereitet. Die Ausreise habe insgesamt zwei Millionen TL gekostet.
Die eine Hälfte hätten sie aus den Ersparnissen der letzten Jahre -- es habe sich
um den Erlös aus der Landwirtschaft gehandelt - aufgebracht, die andere Hälfte
aus dem Verkauf von 80 ihrer 100 Schafe und Ziegen, von fünf ihrer zehn Kühe,
von Matratzen und Wolldecken. Das Haus und ihren Landbesitz von 50 Dönum
hätten sie nicht verkaufen dürfen und können.
Mit Bescheid vom 27. August 1986 - zugestellt am 10. November 1986 - lehnte
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag der
Kläger ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen einer
Asylgewährung seien in der Person der Kläger nicht erfüllt. Jeziden seien in der
Türkei keiner unmittelbaren staatlichen Verfolgung ausgesetzt. Die
Nichteintragung der jezidischen Religionszugehörigkeit in amtliche Dokumente
verfolge offenbar keine anderen als ordnungsrechtliche Zwecke. Es treffe auch
nicht zu, daß der türkische Staat den Jeziden in ihren ostanatolischen
Siedlungsgebieten keinen ausreichenden Schutz gegen Übergriffe muslimischer
Kurden gewähre. Er sei vielmehr stets und nicht ohne Erfolg bestrebt gewesen, aus
religiösem Fanatismus entstehende Gewalttaten zu unterbinden, und jedenfalls
seit dem Militärputsch im Jahre 1980 sei auch in entlegenen Gebieten eine
Befriedung eingetreten. Vor diesem Hintergrund und bei verständiger Würdigung
des Gesamtsachverhalts und -vortrags lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß
die Kläger bereits Opfer politischer Verfolgung geworden seien. Insbesondere
könne dem Kläger zu 1) - schon wegen seiner ungehinderten legalen Ausreise
über den Flughafen Istanbul - nicht geglaubt werden, daß er nach seiner Rückkehr
in die Türkei verhaftet worden und ihm die Flucht aus dem Gefängnis geglückt sei
und daß er sodann bis zur Ausreise jahrelang in der Illegalität gelebt habe. Seine
Angaben hierzu im Laufe des Asylverfahrens seien derart unterschiedlich und
gesteigert, daß sein diesbezügliches Vorbringen als "Verfolgungslegende" zu
würdigen sei. Seiner Einlassung, die einander widersprechenden Angaben im
Asylantrag und bei der Vorprüfungsanhörung beruhten auf Mißverständnissen und
einer unrichtigen Darstellung seitens seiner Bevollmächtigten, könne nicht gefolgt
werden. Wie wenig genau es der Kläger zu 1) mit der Wahrheit nehme, sei überdies
daran zu erkennen, daß er und die Klägerin zu 2) im Rahmen ihres Erstverfahrens
11
12
13
14
15
16
17
18
daran zu erkennen, daß er und die Klägerin zu 2) im Rahmen ihres Erstverfahrens
vorgetragen hätten, christlicher Religionszugehörigkeit zu sein. Auch das
Vorbringen der Klägerin zu 2), ihr habe Entführung gedroht, überzeuge nicht.
Entführungen nichtmuslimischer Frauen durch muslimische Männer erschienen
zwar - vor allem außerhalb der Großstädte -- nicht als ausgeschlossen, obgleich
bisher kein solcher Fall habe nachgewiesen werden können. Es lägen jedoch keine
Anhaltspunkte dafür vor, daß derartige Entführungen Ausdruck religiöser
Verfolgung seien - und nicht nur die Umgehung der Zahlung des Brautpreises
bezweckten - und daß entführte Frauen gegen ihren Willen längere Zeit
festgehalten werden könnten, sofern um staatliche Hilfe nachgesucht werde.
Abgesehen davon fänden die Jeziden in größeren Städten wesentlich bessere
Ausgangsbedingungen als in den ländlichen Gebieten Ostanatoliens vor. Dort
werde der Einsatz von Sicherheitskräften nicht durch eine mangelnde Infrastruktur
behindert, und dort könnten Jeziden auch leben und Arbeit finden, sofern sie sich
nicht als solche zu erkennen gäben und auffielen. Die hierbei auftretenden
Anfangsschwierigkeiten und der möglicherweise zur Auflösung des archaischen
Gruppenzusammenhalts führende Assimilationsdruck seien jedenfalls dem
türkischen Staat nicht zurechenbar. Es sei ferner nicht festzustellen, daß Jeziden in
türkischen Großstädten auf Dauer gesehen in höherem Maße wirtschaftlicher Not
ausgesetzt seien als andere türkische Staatsbürger in vergleichbarer sozialer
Stellung. Die kurdische Volkszugehörigkeit der Kläger stelle für sich allein ebenfalls
keinen Anerkennungstatbestand dar; sie löse keine asylrelevanten
Verfolgungsmaßnahmen in der Türkei aus.
Mit am 12. November 1986 eingegangenem Schriftsatz erhoben die Kläger
hiergegen Klage.
Zur Begründung beriefen sie sich darauf, in ihrem Heimatland gegen ihr Volkstum
und gegen ihren Glauben gerichtete unmittelbare und mittelbare staatliche
Verfolgung erlitten zu haben, und verwiesen im übrigen auf ihre Angaben bei der
Vorprüfungsanhörung.
Bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht am 26. Januar 1988 erklärte der Kläger zu 1): In seinem
Heimatdorf hätten früher 60 bis 70 Familien gelebt, jetzt gebe es dort nur noch 10
Familien, die vorwiegend aus älteren Menschen bestünden. Bei ihnen im Dorf habe
der Aga großen Einfluß, und zwar auch auf die drei Kilometer entfernte
Polizeistation. Er zeige die Dörfler einfach an, wenn er mit ihrem Verhalten nicht
einverstanden sei. Er, der Kläger zu 1), habe vor seiner ersten Ausreise
Schwierigkeiten mit dem Aga gehabt. Im Jahre 1981 sei er zurückgekehrt, weil sein
Vater krank gewesen sei und ihm mitgeteilt habe, der Aga habe versprochen, ihn,
den Kläger zu 1), im Rückkehrfalle in Ruhe zu lassen. Der Aga habe sich aber nicht
an sein Versprechen gehalten. Einen Grund für seine, des Klägers zu 1),
Verhaftung im Jahre 1982 könne er allerdings nicht angeben. In einer
westtürkischen Stadt seien sie deshalb nicht geblieben, weil der Aga von ihrem
dortigen Aufenthalt hätte erfahren können und weil letztlich die gleichen
Schwierigkeiten bestünden wie in der Heimatregion. Man falle dort als Jezide etwa
dadurch auf, daß bei der Beantragung eines Passes in der die
Religionszugehörigkeit betreffenden Spalte ein Kreuz eingetragen werde. Für den
Fall einer erneuten Rückkehr befürchte er zum einen Verhaftung und zum anderen
neuerliche Schwierigkeiten mit dem Aga. Die ebenfalls informatorisch angehörte
Klägerin zu 2) bestätigte die Angaben des Klägers zu 1) und erklärte ergänzend:
Sie hätten vor zwei Wochen brieflich erfahren, daß Soldaten in ihr Heimatdorf
gekommen seien und dem Vater des Klägers zu 1) vorgeworfen hätten, er gebe
Aufständischen Lebensmittel. Die Soldaten hätten den Vater des Klägers zu 1)
geschlagen und einen älteren Mann, der ihm habe beistehen wollen, so
zurückgestoßen, daß er sich ein Bein gebrochen habe.
Die Kläger beantragten sinngemäß,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 27. August 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie vertrat die Auffassung, im Asylanerkennungsverfahren vor dem Bundesamt sei
zutreffend festgestellt worden, daß ein Anspruch auf Asylgewährung nicht besteht.
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten äußerte sich nicht.
Das Verwaltungsgericht wies mit Urteil vom 26. Januar 1988 die Klage unter
Zulassung der Berufung ab und führte zur Begründung aus: Die Kläger hätten
keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte. Politisch Verfolgter sei ein
Nicht-Deutscher, der befürchten müsse, im Rückkehrfalle wegen in seiner Person
liegenden Eigenschaften oder wegen seiner politischen Überzeugung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche oder dem Staat zurechenbare
Verfolgungsmaßnahmen zu erleiden. Jeziden seien in ihren angestammten
Siedlungsgebieten zwar verschiedentlich Übergriffen von Seiten ihrer
moslemischen Landsleute ausgesetzt. Der türkische Staat sei jedoch bemüht,
derartige Übergriffe zu unterbinden. Die von den Klägern vorgetragenen Übergriffe
könnten ihnen nicht zum Asyl verhelfen; insoweit folge das Gericht dem
Bundesamtsbescheid. Selbst wenn von einer mittelbaren Gruppenverfolgung der
Jeziden im Südosten der Türkei ausgegangen würde, stünde den Klägern kein Asyl
in Deutschland zu, weil - wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem
Urteil vom 25. März 1987 - 11 B 84 C 150 - zutreffend ausgeführt habe - für
Jeziden in der Westtürkei, und zwar nicht nur in den größeren Städten, eine
inländische Fluchtalternative seit jeher bestanden habe und weiterhin bestehe.
Dort würden Jeziden an einer ihrer ethnischen, kulturellen und religiösen Eigenart
entsprechenden Existenzweise nicht gehindert.
Gegen dieses ihnen am 15. Juli 1988 zugestellte Urteil haben die Kläger mit am 27.
Juli 1988 eingegangenem Schriftsatz "in Sachen ..." Berufung eingelegt.
Zur Begründung machen die Kläger mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1988 "in
Sachen .., .. u. a." geltend: Das Verwaltungsgericht sei auf ihren bisherigen
Vortrag, sie seien von türkischen Staatsorganen nach ihrer Rückkehr in der Weise
verfolgt worden, daß sie beschuldigt worden seien, kurdische Separatisten
unterstützt zu haben, und daß der Kläger zu 1) aus diesem Grunde verhaftet und
die Klägerin zu 2) schwer mißhandelt worden sei, überhaupt nicht eingegangen.
Auch derjenige, der irrtümlich in eine politische Verfolgung einbezogen worden sei,
müsse aber ohne Rücksicht darauf als politisch verfolgt gelten, ob er die bei ihm
vermutete Gesinnung tatsächlich innehabe. Ihnen, den Klägern, drohe wegen der
erlittenen Vorverfolgung im Falle ihrer jetzigen Rückkehr mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit Strafverfolgung nach Art. 140 ff. TStGB, die regelmäßig politisch
motiviert sei. Abgesehen davon hätten sie wegen ihres jezidischen Glaubens unter
Verfolgung zu leiden gehabt. Aus aktuellen Erkenntnisquellen ergebe sich, daß
Jeziden in ihren traditionellen Siedlungsgebieten einer vom türkischen Staat
geduldeten Gruppenverfolgung durch Moslems ausgesetzt seien und daß für sie
auch in den Großstädten der Westtürkei keine inländische Fluchtalternative
existiere. Die Klägerin zu 2) liefe darüberhinaus im Rückkehrfalle in der Türkei
allgemein und auch in den größeren westtürkischen Städten Gefahr, von Moslems
entführt und geheiratet und dadurch zur Aufgabe ihrer religiösen Identität
gezwungen zu werden. Die Kläger zu 3) bis 5), deren jeweils alleinige Rückkehr zu
unterstellen sei, würden in einem staatlichen Waisenhaus untergebracht und dort
ebenfalls zur Aufgabe ihres religiösen Bekenntnisses gezwungen werden, was eine
asylrelevante Verfolgung begründe.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
in Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichen Antrag
zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug.
Darüberhinaus weist sie vorsorglich darauf hin, daß sie für den Fall, daß den
Klägern zu 1) oder 2) ein originärer Asylanspruch zuerkannt werde, nicht bereits
durch dasselbe Urteil verpflichtet werden könnte, den übrigen Klägern die
Rechtsstellung von Asylberechtigten zu gewähren.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten stellt zu der Berufung keinen
Antrag.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
29
30
31
32
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Der Senat hat aufgrund des Beschlusses vom 25. Februar 1991 Beweis erhoben
über die Asylgründe der Kläger durch Vernehmung der Kläger zu 1) und 2) als
Beteiligte durch den Berichterstatter als beauftragten Richter. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 26. März 1991
verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die von diesen eingereichten Schriftsätze, die einschlägigen
Vorgänge des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Az.
Tür-U-4861 u. 163-11386-85 - (2 Hefter) und die über die Kläger zu 1) und 2)
geführten Ausländerbehördenakten des Landrats des Lahn-Dill-Kreises - X/3.11 D -
(4 Hefter) Bezug genommen, ferner auf die den Erstantrag der Kläger zu 1) und 2)
betreffende Gerichtsakte (VG Wiesbaden IX/1 E 9072/80). Diese sind ebenso
Gegenstand der Beratung gewesen wie die nachfolgend aufgeführten Dokumente:
1. 1941
Wensinck/Kramers (Hrsg.), Handwörterbuch des Islam,
Leiden (Auszug S. 806-810)
2. 1967
Müller, Kulturhistorische Studien zur Genese
pseudo-islamischer Sektengebilde in Vorderasien,
Wiesbaden (Auszug S. 132-205)
3.
10.08.1978 Auswärtiges Amt an Bundesamt
4.
23.08.1979 Deutsches Orient-Institut an VG Ansbach
5.
18.04.1980 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
6.
03.06.1980 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
7.
16.06.1980 Tuku, epd-Dokumentation Nr. 27-28/80, S. 44 f.
8.
1980 Pfeiffer an VG Minden
9.
22.02.1982 Berner/Wießner an VG Stade
10.
01.09.1982 Sachverständiger Dr. Berner vor VG Stade
11.
17.10.1982 Roth an Bundesamt
12.
24.10.1982 Taylan an VG Hamburg
13.
24.11.1982 Oberstadtdirektor der Stadt Celle an
Bundesbeauftragten
14.
13.01.1983 sachverständiger Zeuge Prince Mua vor VG Stade
15.
22.08.1983 Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf
16.
14.01.1983 Johansen an Hess. VGH
17.
05.12.1983 Wießner an VG Braunschweig
18.
14.02.1984 Sachverständiger Prof. Dr. Dr. Wießner vor VG
Braunschweig
19.
13.05.1984 ARD, 1. Fernsehprogramm, Westdeutscher Rundfunk Köln -
Bericht -
20.
07.05.1985 Binswanger an VGH Baden-Württemberg
21.
15.11.1985 Manzke und Wießner an VG Stade
22.
18.04.1986 Auswärtiges Amt an VG Bremen
23.
14.05.1986 sachverständiger Zeuge Hasso vor VG Berlin
24.
11.06.1986 Sachverständiger Prof. Dr. Dr. Wießner vor VG Bremen
25.
03.11.1986 Auswärtiges Amt an VG Trier
26.
15.03.1987 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
27.
29.06.1987 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
28.
Sept. 1987 Garrer/Reese, Reisebericht über die Lage der Jezidi in
Türkisch-Kurdistan
29.
01.01.1988 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
30.
10.02.1988 von Sternberg-Spohr an VG Berlin - a - sowie
Gutachten zur Situation der Jezidi-Kurden in der
Türkei (ZDWF-Schriftenreihe Nr. 29) - b -
31.
08.04.1988 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
33
32.
06.05.1988 Taylan an VG Düsseldorf
33.
20.06.1988 Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf
34.
29.07.1988 Grenzschutzdirektion Koblenz an VG Koblenz
35.
16.08.1988 Wießner an VG Düsseldorf
36.
29.09.1988 Taylan an VG Hannover
37.
11.10.1988 Sachverständige Deniz und Prof. Dr. Dr. Wießner vor VG
Braunschweig
38.
28.10.1988 Auswärtiges Amt an VG Koblenz
39.
31.10.1988 Auswärtiges Amt an VG Hannover
40.
08.11.1988 Taylan an VG Schleswig-Holstein
41.
10.11.1988 Sachverständiger Deniz vor Bundesamt
42.
10.11.1988 Auswärtiges Amt an VG Köln
43.
22.11.1988 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
44.
01.12.1988 Auswärtiges Amt an VG Schleswig-Holstein - 15 A 14/84
-
45.
01.12.1988 Auswärtiges Amt an VG Schleswig-Holstein - 15 A
127/86 -
46.
08.12.1988 Aktas - Vortrag -
47.
18.12.1988 Wießner an VG Köln - 20 K 10967/87 -
48.
18.12.1988 Wießner an VG Köln - 20 K 10109/88 -
49.
18.12.1988 Wießner an VG Schleswig-Holstein
50.
22.12.1988 Staatssekretär des Auswärtigen Amts an Innenminister
des Landes Nordrhein-Westfalen
51.
13.01.1989 Auswärtiges Amt an OVG Nordrhein-Westfalen
52.
11.04.1989 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
53.
19.04.1989 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
54.
16.05.1989 Hissou an VG Saarland
55.
14.06.1989 Sachverständiger Prof. Dr. Dr. Wießner vor VG Bremen
56.
01.07.1989 terre des hommes AG Weiden "Religionsverfolgte aus der
Türkei - politisch Verfolgte oder Scheinasylanten?"
57.
18.08.1989 Auswärtiges Amt an OVG Berlin
58.
18.08.1989 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
59.
23.08.1989 Auswärtiges Amt an OVG Rheinland-Pfalz
60.
23.10.1989 Dokumentation einer Veranstaltung in Bielefeld zur
Situation der Jeziden
61.
31.10.1989 Wießner an VG Saarland
62.
08.03.1990 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
63.
20.03.1990 Auswärtiges Amt an OVG Münster
64.
03.07.1990 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
65.
01.08.1990 Auswärtiges Amt an OVG Saarland
1. 18.02.1981 Auswärtiges Amt an VG Berlin
2. 28.04.1981 amnesty international (a.i.) vor dem
Europarat
3. 12.06.1981 Zeugin Schuchard vor VG Hamburg
4. 12.06.1981 Sachverständiger Roth vor VG Hamburg
5. 12.06.1981 Sachverständige Prof. Dr. Kappert vor VG
Hamburg
6. 22.06.1981 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
7. 22.06.1981 Auswärtiges Amt an VG Mainz
8. 23.06.1981 a. i. an VG Hamburg
9. 03.08.1981 a. i. an VG Stuttgart
10. 09.08.1981 a. i. an VG Mainz
11. 07.10.1981 a. i. an Bundesminister der Justiz
12. 20.11.1981 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
13. 10.11.1982 Sachverständiger Dr. Nebez vor VG Berlin
14. 10.11.1982 Sachverständiger Kaya vor VG Berlin
15. 11.11.1982 Sachverständiger Taylan vor VG Berlin
16. 15.11.1982 Sachverständiger von Sternberg-Spohr vor VG
Berlin
17. 15.11.1982 Sachverständiger Roth vor VG Berlin
18. 16.11.1982 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
19. 03.01.1983 Auswärtiges Amt an VG Hannover
20. 18.02.1983 Max-Planck-Institut Heidelberg an VG
Karlsruhe
21. 04.03.1983 Max-Planck-Institut Heidelberg an OVG
Nordrhein-Westfalen
22. 18.05.1983 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
23. 12.06.1983 Oehring an VGH Baden-Württemberg
24. 16.06.1983 Hauser an VGH Baden-Württemberg
25. 26.08.1983 Thränhardt an OVG Berlin
26. 06.02.1984 Sidiq an VG Hamburg
27. Mai 1984
Bericht der Delegation Fischer u. a.
28. 29.05.1984 Kappert an VGH Baden-Württemberg
29. 04.06.1984 Thränhardt an Hess. VGH
30. 08.06.1984 Hauser an Hess. VGH (mit Anlage vom
12.02.1983)
31. 10.06.1984 Taylan an Hess. VGH
32. 13.06.1984 Götz an Hess. VGH
33. 13.06.1984 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
34. 11.07.1984 Oehring an Hess. VGH
35. 21.07.1984 a. i. an Hess. VGH (mit Anlagen)
36. 01.10.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an Hess. VGH
- 10 OE 88/83 -
37. 16.10.1984 Roth an Hess. VGH
38. Okt. 1984 Oguzhan, Die Rechtsstellung der Kurden in
der Türkei
39. 19.11.1984 Auswärtiges Amt an Bundesminister der
Justiz
40. 19.11.1984 Auswärtiges am an OVG Hamburg
41. 10.12.1984 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
42. 30.12.1984 Taylan an VG Ansbach
43. Dez. 1984 Barbe an VG Mainz
44. 15.04.1985 Kappert an Hess. VGH
45. Sept. 1985 Das türkische Sprachenverbotsgesetz (m. Anm.
Rumpf), InfAuslR 1985, 251
46. 20.06.1986 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
47. 18.11.1986 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
48. 15.03.1987 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
49. 29.06.1987 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
50. 20.01.1988 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
51. 02.11.1988 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
52. 14.11.1988 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
53. 17.11.1988 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
54. 02.03.1989 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
55. 13.04.1989 Auswärtiges Amt an VG Hamburg
34
55. 13.04.1989 Auswärtiges Amt an VG Hamburg
56. 13.04.1989 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
57. 21.04.1989 a. i. an VG Kassel
58. 28.04.1989 a. i. an VG Schleswig-Holstein
59. 05.05.1989 Auswärtiges Amt an VG Bremen
60. 05.06.1989 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
61. 09.06.1989 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
62. 27.06.1989 Taylan an VG Wiesbaden
63. 15.08.1989 Kaya an VG Hamburg
64. 15.11.1989 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
65. 12.02.1990 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
66. 12.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Braunschweig
67. 20.04.1990 FR "Barrikaden brennen auf der
Seidenstraße"
68. 03.07.1990 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
69. 31.07.1990 Rumpf an Hess. VGH
70. 01.08.1990 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
71. 17.08.1990 Franz an VG Hamburg
72. 09.10.1990 Kaya an VG Hamburg
73. 25.10.1990 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
74. 29.10.1990 Auswärtiges Amt an Bay. Staatsministerium
des Innern
75. 31.10.1990 Rumpf an VG Hamburg
76. 16.01.1991 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -
77. 30.11.1990 medico international - Gutachten -
78. 17.01.1991 a. i. an VG Hamburg
79. 28.01.1991 FAZ "Ankara hebt Verbot des Kurdischen auf"
80. 28.01.1991 FR "Die Kurden in der Türkei bekommen ihre
Sprache zurück"
81. 04.02.1991 FAZ "Özal gibt sich überraschend
demokratisch"
82. 08.02.1991 FAZ "Hohe Geldstrafen für die
Veröffentlichung kurdischer Texte"
83. 09.02.1991 FAZ "Alltägliches von Ankara sanktioniert"
1. 24.06.1980 Auswärtiges Amt an VG Minden
2. 27.08.1981 Auswärtiges Amt an VG Mainz
3. 27.10.1982 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
4. 13.12.1982 Seybold an VG Berlin
5. 21.02.1983 Taylan an VG Koblenz
6. 10.06.1983 Taylan an VGH Baden-Württemberg
7. 12.12.1983 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
8. 08.05.1984 Sachverständiger Kaya vor VG Hamburg
9. 24.08.1984 Sachverständiger Taylan vor VG Hamburg
10. 08.07.1986 Roth an Hess. VGH
11. 11.02.1987 Taylan an VG Ansbach
12. 16.03.1987 Taylan an VG Bremen
13. 07.12.1987 Taylan an VG Gelsenkirchen
14. 24.03.1988 Auswärtiges Amt an VG Hannover
15. 27.06.1989 Taylan an VG Wiesbaden
16. 31.08.1989 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
17. 01.08.1990 Auswärtiges Amt an VG Hamburg
35
1.
1955 Das Türkische Strafgesetzbuch vom 01.03.1926,
übersetzt und eingeführt von Sensoy u. Tolun
2. 29.05.1978 Oguzhan, Der Bestimmtheitsgrundsatz und die Art.
141 Abs. 1, 2 und 142 Abs. 1 des Türkischen
Strafgesetzbuches, Diss. Bonn
3. 08.07.1980 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
4. 13.08.1980 Auswärtiges Amt an VG Köln
5. 16.01.1981 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
6. 23.12.1981 Max-Planck-Institut Heidelberg -Gutachtliche
Stellungnahme zum türkischen Recht-
7. 25.12.1981 Töb-Der-Urteil des Militärgerichts Nr. 3 der
Ausnahmezustandskommandantur Ankara
8. 01.09.1982 Auswärtiges Amt an OVG Berlin
9. 15.11.1982 Auswärtiges Amt an OVG Münster
10. 20.05.1983 Max-Planck-Institut Heidelberg an VG Ansbach (m.
Erg. v. 22.08.1983)
11. 28.06.1983 Meldung aus Cumhuriyet betr.
PKK-Viransehir-Verfahren (zit. nach türkei
infodienst Nr. 59 v. 05.07.1983)
12. Aug. 1983 Chotjewitz u. Damkowski,
Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, Bericht
einer Untersuchungskommission (Anlage zur Drs.
11/1089 der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt
Hamburg vom 12.09.1983)
13. 12.10.1983 amnesty international (a. i.) an VG Köln
14. 07.11.1983 Sachverständiger Roth vor OVG Hamburg
15. 11.04.1984 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
16. 12.06.1984 Götz an VGH Baden-Württemberg
17. 29.08.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an VGH
Baden-Württemberg mit Ergänzung vom 20.09.1984 und
Berichtigung vom 21.02.1985
18. 15.09.1984 Oehring an VGH Baden-Württemberg
19. 19.09.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an Hess. VGH
20. 22.01.1985 Cumhuriyet "Das Südostverfahren mit beantragten 30
Todesstrafen hat begonnen"
21. 31.07.1985 FAZ "Ankara plant Amnestie für politische
Häftlinge"
22. 09.09.1985 Antwort der Bundesregierung (Drs. 10/3798) auf die
kleine Anfrage der Fraktion der SPD (Drs. 10/3684
vom 26.07.1985)
23. 26.10.1985 FAZ "Eine neue Front gegen die Türkei"
24. 28.01.1986 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
25. 28.07.1986 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
26. 29.01.1987 Auswärtiges Amt an VG Berlin
27. 01.06.1987 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
28. 30.03.1988 Max-Planck-Institut Heidelberg an OVG Lüneburg
29. 02.03.1989 Auswärtiges Amt an Landesanwaltschaft Bayern
30. 03.01.1990 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
31. 08.05.1990 Rumpf an VG Wiesbaden
32. 26.06.1990 a. i. "Menschenrechtsverletzungen in Türkei dauern
an"
33. 23.07.1990 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
36
37
38
39
40
1. 25.05.1984 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
2.
1985 Raidl, Schulwesen und Erwachsenenbildung, in: Grothusen
(Hrsg.), Südosteuropa-Handbuch, Band IV - Türkei --,
Göttingen, S. 528 ff.
3. 09.12.1986 Auswärtiges Amt an OVG Nordrhein-Westfalen
4. Dez. 1986 Bundesverwaltungsamt (Hrsg.), Merkblätter für
Auslandstätige und Auswanderer, Nr. 38 - Türkei --, S.
19
5. 01.06.1987 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
6. 30.06.1987 Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei
an VGH Baden-Württemberg
7. 06.07.1987 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
8. 15.01.1988 Oehring an VGH Baden-Württemberg
9. April 1988 Erichsen, Die Religionspolitik im türkischen
Erziehungswesen von der Atatürk-Ära bis heute, in:
Zeitschrift für Kulturaustausch 1988, S. 234 ff.
10. 25.05.1988 Oehring an VG Düsseldorf
11. 02.09.1988 Binswanger an VGH Baden-Württemberg
12. 02.11.1988 Taylan an Hess. VGH
13. Dez. 1988 Gesellschaft für bedrohte Völker - Gutachten -
14. 17.01.1989 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
15. 27.01.1989 Binswanger an Hess. VGH
16. 02.04.1989 Oehring an Hess. VGH
Entscheidungsgründe
In Anbetracht des Einverständnisses der Beteiligten kann der Senat ohne
mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 125 Abs. 1 i.V.m. 101 Abs. 2 VwGO).
A.
Die Berufung der Kläger ist frist- und formgerecht eingelegt (§§ 124, 125 VwGO)
und auch sonst zulässig; sie ist nämlich vom Verwaltungsgericht zugelassen
worden (§ 32 Abs. 1 AsylVfG). Insbesondere bezieht sich die am 19. Juli 1988
eingelegte Berufung bei sachgerechter Auslegung trotz des den Kläger zu 1) --
offenbar aufgrund eines Schreibfehlers - nicht ausdrücklich aufführenden Eingangs
der Berufungsschrift auch auf ihn. Dies ergibt sich bereits daraus, daß
uneingeschränkt Berufung eingelegt wurde, und wird bestätigt durch die Fassung
des Eingangs Eingangs der Berufungsbegründungsschrift vom 19. Oktober 1988 in
der überdies mehrfach ausdrücklich das Verfolgungsschicksal gerade des Klägers
zu 1) angesprochen ist.
B.
Die Berufung der Kläger ist auch begründet, denn sie können nach der
maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung die
Verpflichtung der Beklagten zu ihrer Anerkennung als Asylberechtigte (I.) und auch
als ausländische Flüchtlinge (II.) beanspruchen, weil sie politisch Verfolgte sind (Art.
16 Abs. 2 Satz 2 GG und § 51 Abs. 1 u. 3 AuslG i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1, 12
Abs. 6 Satz 3 AsylVfG).
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt,
wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.
a. --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den
Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16
41
Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16
Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität,
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische
Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. --,
BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 874.82 --,
BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 - 9 C 185.83 --, BVerwGE 69,
320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen
Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den
subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR
502/86 u. a. --, BVerfGE 80, 315 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation vgl. BVerwG,
19.05.1987 - 9 C 184.86 --, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19). Werden nicht
Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie
etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so
sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und
Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die
Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein
hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. --, a.a.O., u.
01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. --, a.a.O.; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 --,
BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist
gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände
seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei
die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der
letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren
Zeitraum ausgerichtet sein muß (BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 --, EZAR 202 Nr.
6 = NVwZ 1986, 760 m.w.N.). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch
verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die
Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. --, a.a.O.; BVerwG,
25.09.1984 - 9 C 17.84 --, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Der
Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht
gehalten, umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern,
die seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen (BVerwG,
08.05.1984 - 9 C 141.83 --, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 - 9 C
27.85 --, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79, u. 23.02.1988 - 9 C 32.87 --, EZAR
630 Nr. 25) und insbesondere auch den politischen Charakter der
Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG, 22.03.1983 - 9 C 68.81 --,
Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 - 9 C 473.82 --, EZAR 630 Nr.
8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im
Herkunftsland genügt es dagegen, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht
entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982
- 9 C 74.81 --, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer
asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das
Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem
Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei
allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im
Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des
Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG,
12.11.1985 -- 9 C 27.85 --, a.a.O.).
Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der eigenen
Angaben der Kläger zu 1) und 2), der Beweisaufnahme, der beigezogenen Akten
und der in das Verfahren eingeführten Dokumente zu der Überzeugung gelangt,
daß die Kläger -- wobei sich der Asylantrag vom 1. Juli 1985 hinsichtlich der Kläger
zu 1) und 2) als beachtlicher Folgeantrag darstellt (1.) - zwar nicht kraft
innerstaatlich geltender völkerrechtlicher Vereinbarung als Asylberechtigte
anzuerkennen sind (2.) und daß sie auch vor ihrer (letzten) Ausreise nicht als
Mitglied der Gruppe der Jeziden politisch verfolgt waren (3.), der Kläger zu 1)
jedoch - anders als die Kläger zu 2) bis 5) - von individuellen
Verfolgungsmaßnahmen betroffen war (4.), daß allerdings bei einer Rückkehr alle
Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Gruppenverfolgung als Jeziden (5.)
und darüber hinaus die Klägerin zu 3) - anders als die Kläger zu 1), 2), 4) und 5) -
auch mit sie als einzelne treffenden Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben
(6.) und - schließlich - daß die Kläger nicht bereits in einem anderen Staat vor
politischer Verfolgung sicher waren (7.). Steht danach allen Klägern jeweils ein
originärer Anspruch auf Asylanerkennung zu, so können die von der Beklagten im
Berufungsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen zum Familienasyl nach § 7a Abs.
3 AsylVfG auf sich beruhen, da die Beklagte zur Gewährung des Familienasyls
aufgrund der Asylanerkennung allein des Klägers zu 1) vor deren Rechtskraft nicht
bereit wäre.
42
43
1. Soweit die Kläger zu 1) und 2) unter dem 1. Juli 1985 erneut ihre Anerkennung
als Asylberechtigte beantragt haben, handelt es sich um einen Folgeantrag i. S. d.
§ 14 Abs. 1 AsylVfG, weil die Ablehnung ihrer früheren Asylanträge durch die am
21. September 1981 erfolgte Rücknahme der hierauf bezüglichen Klage
unanfechtbar geworden war. Ausländerbehörde und Beklagte sind indessen zu
Recht davon ausgegangen, daß der erneute Asylantrag beachtlich ist, denn die
Kläger zu 1) und 2) haben schlüssig dargetan, daß sich die der früheren Ablehnung
zugrundeliegende Sachlage nachträglich zu ihren Gunsten geändert hat (vgl. § 51
Abs. 1 Nr. 1 VwVfG; BVerfG (Kammer), 22.09.1988 - 2 BvR 991/87 --, InfAuslR
1989, 28; BVerwG, 23.06.1987 - 9 C 251.86 --, BVerwGE 77, 323 = EZAR 224 Nr.
16), und ihnen kann auch nicht entgegengehalten werden, sie hätten die
Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG versäumt. Die Kläger zu 1) und 2) haben
nämlich Umstände substantiiert und glaubhaft vorgetragen - der Kläger zu 1) etwa
eine ca. einen Monat währende und nur durch Flucht beendete Inhaftierung nebst
Folterung aufgrund einer Denunziation wegen Unterstützung kurdischer Aktivisten
und die Klägerin zu 2) einen auf sie zielenden Entführungsversuch --, wobei diese
Ereignisse jeweils nach der Rückkehr der Kläger zu 1) und 2) in die Türkei im
September 1981 erfolgt seien. Abgesehen davon ist eine maßgebliche Änderung
der Sachlage auch dadurch eingetreten, daß sich - wie an anderer Stelle (unter B I.
5. b) noch auszuführen sein wird -- die Bevölkerungssituation im Heimatdorf der
Kläger durch zwischenzeitliche Abwanderung aller Jeziden jetzt gänzlich anders
darstellt als noch bei Abschluß des ersten Asylverfahrens mit der Folge, daß die
früher noch vorhandene Selbstverteidigungskraft des Dorfes nunmehr entfallen ist.
Es mag sein, daß die Kläger zu 1) und 2) die Antragsfrist, die mit dem Tage der
Kenntniserlangung von dem Grund für das Wiederaufgreifen beginnt (vgl. § 51 Abs.
3 Satz 2 VwVfG), nicht eingehalten haben. Indessen wäre ihnen insoweit jedenfalls
Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu gewähren gewesen, weil sie vor ihrer
Wiedereinreise an der Stellung eines Asylfolgeantrags ohne Verschulden gehindert
waren und dies innerhalb von zwei Wochen nach ihrer frühestens am 26. Juni 1985
erfolgten Wiedereinreise nachgeholt haben (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2
VwVfG; Kopp, VwVfG, 4. Aufl. 1986, § 51, Rdnr. 33). Dem stünde selbst der Ablauf
eines Jahres seit dem Ende der versäumten Antragsfrist -- insbesondere
hinsichtlich der Inhaftierung des Klägers zu 1) - nicht entgegen (vgl. § 31 Abs. 3
VwVfG), weil die Kläger zu 1) und 2) vor der erst am 30. April 1985 - ihren Angaben
zufolge nach Einschaltung von Mittelsmännern und gegen Zahlung von höheren
Geldbeträgen - erreichten Verlängerung und die Familie einschließenden
Erweiterung des abgelaufenen türkischen Nationalpasses des Klägers zu 1) infolge
höherer Gewalt gehindert waren, auszureisen und erneut Asyl zu beantragen. In
Anbetracht der hiernach gegebenen Beachtlichkeit des in Bezug auf die Kläger zu
1) und 2) als Folgeantrag zu qualifizierenden erneuten Asylbegehrens bedarf
dieses einer umfassenden gerichtlichen Überprüfung, und zwar ungeachtet
dessen, ob eine dahingehende Verpflichtung des erkennenden Senats, zumal im
früheren Verfahren wegen dessen Beendigung durch Klagerücknahme kein
rechtskräftiges Urteil ergangen ist, außerdem daraus herzuleiten wäre, daß das
Bundesamt eine volle sachliche Prüfung vorgenommen hat, ohne vorab erkennbar
die Frage der Beachtlichkeit zu prüfen (bejahend BVerfG, 23.06.1988 - 2 BvR
260/88 --, EZAR 212 Nr. 7 = NVwZ 1989, 141; BVerwG, 15.12.1987 - 9 C 285.86 --,
BVerwGE 78, 332 = EZAR 205 Nr. 6, u. 30.08.1988 -- 9 C 47.87 --, EZAR 212 Nr. 6
= NVwZ 1989, 161; ablehnend noch Hess. VGH, 17.04.1986 - 10 TH 443/86 --,
EZAR 226 Nr. 8 = ESVGH 36, 256, u. 23.12.1987 -- 12 TH 1787/87 --).
2. Die Kläger, an deren kurdischer Volkszugehörigkeit der Senat keine Zweifel hat,
können ihre Anerkennung als Asylberechtigte nicht (schon) aufgrund des
Abkommens über die Ausdehnung gewisser Maßnahmen zugunsten russischer
und armenischer Flüchtlinge auf andere Kategorien von Flüchtlingen vom 30. Juni
1928 (abgedruckt in: Societe des Nations, Recueil des Traites, Bd. 89 (1929), S.
64) erreichen. Da die Kläger 1956 und später geboren sind und erst 1985 die
Türkei verlassen haben, kann dieses Abkommen auf sie ohnehin nicht angewandt
werden (ständige und vom Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 17.05.1985
-- 9 C 874.82 --, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, bestätigte Rechtsprechung
des Hess. VGH, vgl. z. B. 11.08.1981 - X OE 649/81 --, ESVGH 31, 268, 07.08.1986
- X OE 189/82 --, 01.02.1988 - 12 OE 419/82 - sowie 25.02.1991 -- 12 UE 2583/85 -
u. - 12 UE 2106/87 --). Der Senat kann deshalb offenlassen, ob dem durch die
genannte Vereinbarung geschützten Personenkreis überhaupt noch ein Anspruch
auf Asylanerkennung oder Asylgewährung in anderer Form zusteht, nachdem die
früher in § 28 AuslG 1965 enthaltene Bezugnahme auf Art. 1 GK und die dort in
Abschn. A Nr. 1 enthaltene Verweisung auf die erwähnte Vereinbarung entfallen
44
45
46
47
Abschn. A Nr. 1 enthaltene Verweisung auf die erwähnte Vereinbarung entfallen
sind und bei denjenigen Ausländern, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung
ausländischer Flüchtlinge genießen, lediglich die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
(i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) AuslG vorliegen, was letztlich bedeutet, daß eine
Asylanerkennung allein an die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG
anknüpft (vgl. Koisser/Nicolaus, ZAR 1991, 9, u. Hess. VGH, 15.03.1991 - 10 UE
1538/86 --).
3. Der Senat hat auch nicht feststellen können, daß die religiöse Minderheit der
Jeziden, der die Kläger ausweislich ihrer insoweit glaubhaften Angaben in ihrem
(zweiten) Asylverfahren und der Eintragungen in ihren Nüfen angehören -- im
früheren Nüfus des Klägers zu 1) war sogar ausdrücklich "Yezidi" eingetragen --, in
der Türkei bis zur Ausreise der Kläger im Juni 1985 einer unmittelbaren oder
mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt war. In asylrechtlicher Hinsicht tritt
hinter die Zugehörigkeit der Kläger zur Religionsgruppe der Jeziden deren
außerdem gegebene kurdische Volkszugehörigkeit weitgehend zurück; denn
jezidische und muslimische Kurden empfinden jedenfalls in der Südosttürkei
regelmäßig keinerlei gemeinsame Identität, und die Unterdrückungsmaßnahmen,
aus denen die Jeziden ihre Furcht vor politischer Verfolgung vor allem herleiten,
gehen in ihren angestammten Siedlungsgebieten überwiegend gerade von
muslimischen Kurden aus (Dokumente I. 9., S. 13; I. 60., S. 15).
Asylerhebliche Bedeutung haben nicht nur unmittelbare Verfolgungsmaßnahmen
des Staates; auch Verfolgungsmaßnahmen Dritter kommen als politische
Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in Betracht, wenn sie dem
jeweiligen Staat zuzurechnen sind (vgl. BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. --,
BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1, 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. --, BVerfGE
76, 143 = EZAR 200 Nr. 20, u. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. --, BVerfGE 80, 315
= EZAR 201 Nr. 20). Es begründet die Zurechnung, wenn der Staat zur
Schutzgewährung entweder nicht bereit ist oder wenn er sich nicht in der Lage
sieht, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall gegenüber
Verfolgungsmaßnahmen bestimmter Dritter (hinreichend) einzusetzen (vgl.
BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. --, a.a.O.), wobei dem Staat für
Schutzmaßnahmen besonders bei spontanen und schwerwiegenden Ereignissen
eine gewisse Zeitspanne zugebilligt werden muß (BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87
--, BVerwGE 79, 79 = EZAR 202 Nr. 13) und seine asylrechtliche Verantwortlichkeit
erst dann endet, wenn die Schutzgewährung seine Kräfte im konkreten Fall
übersteigt (vgl. BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. --, a.a.O.). Asylrelevante
politische Verfolgung - und zwar sowohl unmittelbar staatlicher als auch mittelbar
staatlicher Art - kann sich ferner nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern auch
gegen durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppen von Menschen richten
mit der regelmäßigen Folge, daß jedes Gruppenmitglied als von dem
Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80
u. a. --, a.a.O., u. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. --, a.a.O.; BVerwG, 02.08.1983 -
9 C 599.81 --, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1, u. 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --,
a.a.O.). Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt eine Verfolgungsdichte
voraus, die in quantitativer Hinsicht die Gefahr einer so großen Vielzahl von
Eingriffshandlungen aufweist, daß ohne weiteres von einer aktuellen Gefahr
eigener Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds gesprochen werden kann (BVerwG,
08.02.1989 - 9 C 33.87 --, EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-RR 1989, 502, 15.05.1990 - 9
C 17.89 --, EZAR 202 Nr. 18 = NVwZ 1990, 1175, u. 24.07.1990 -- 9 C 78.89 --,
NVwZ 1990, 337 = InfAuslR 1990, 337). Allerdings braucht eine gruppengerichtete
Verfolgung, die von Dritten ausgeht, nicht das ganze Land gewissermaßen
flächendeckend zu erfassen (BVerwG, 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. --, EZAR
202 Nr. 20 = DVBl. 1991, 531). Als nicht verfolgt ist beim Gegebensein einer
Gruppenverfolgung nur derjenige Gruppenangehörige anzusehen, für den die
Verfolgungsvermutung widerlegt werden kann (BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87 --,
a.a.O.).
Der Senat legt seiner Beurteilung der Lage der Religionsgemeinschaft der Jeziden
in der Türkei sowie deren Verhältnisses zu anderen dort lebenden religiösen und
ethnischen Gruppen die anhand der vorliegenden schriftlichen Unterlagen (S. 15 ff.
bezeichnet) gewonnenen nachfolgend dargestellten Erkenntnisse zugrunde (vgl.
dazu auch Hess. VGH, 05.11.1990 - 12 UE 1124/89 --; VGH Baden-Württemberg,
10.05.1990 - A 12 S 200/90 --, InfAuslR 1990, 356, u. 10.01.1991 - A 12 S 635/89 --
; OVG Nordrhein-Westfalen, 28.02.1989 - 18 A 10362/86 --; OVG Rheinland-Pfalz,
06.07.1988 - 13 A 225/87 --).
Der Name der Jeziden knüpft an an den Kalifen Jazid I. und kennzeichnet diese als
47
48
Der Name der Jeziden knüpft an an den Kalifen Jazid I. und kennzeichnet diese als
Anhänger einer in den Auseinandersetzungen um die Nachfolge des Propheten
Mohammed entstandenen religiösen Gemeinschaft, deren religiöses Bekenntnis
sich durch Aufnahme vorislamischen - zoroastrischen und nestorianischen --
Gedankenguts von der Grundlage des Korans gelöst hat (I. 1., S. 807; I. 2., S. 162
f.; I. 9.; I. 10., S. 5). Die Jeziden selbst sind sich ihrer Abstammung nicht sicher,
manche nehmen Jazid, manche Christus, manche einen Stammvater Ezdar oder
Ezdan bzw. Ized an (I. 1., S. 807; I. 2. S. 162 f.; Ende/Steinbach, Der Islam in der
Gegenwart, 2. Aufl. 1989, S. 519). Nach Auffassung der Muslime und insbesondere
der Schiiten war Jazid, der von ihnen als erbitterter Feind von Mohammeds Vetter
und Schwiegersohn Ali und dessen Familie, als der Mörder dessen Sohnes Hussain
und der Schänder der Heiligen Kaaba erachtet wird und der Islam und Koran auf
das frechste verspottet habe, der Stifter der Jeziden; sie nennen diese
"Teufelsanbeter" (I. 1., S. 807; I. 2., S. 163). Die Glaubensgemeinschaft der Jeziden
ist in Laien (Muriden) und Priester gegliedert (I. 1., S. 809; I. 2., S. 142; I. 10., S. 6).
Ihr politisches und religiöses Oberhaupt ist der im Irak residierende Emir von
Sheikhan, der traditionell seine Legitimation von Jazid herleitet (I. 1., S. 806 f.; I. 2.,
S. 142). Darunter steht in der geistlichen Hierarchie der Baba Sheikh oder Sheikh
Nasir, der oberste Priester (I. 1., S. 810; I. 2., S. 143 f.; I. 10., S. 6; I. 14.; I. 30. - b --
, S. 8 f.); dies gilt jedenfalls in der gegenwärtigen Situation, in der es keinen von
allen Jeziden allgemein anerkannten Baba Sheikh gibt (I. 41., S. 4). In der
Hierarchie folgen dann - bei den Jeziden Ostanatoliens -- Sheikhs und Pirs (I. 1., S.
809; I. 9.; I. 42.). Den Sheikhs obliegt ebenso wie den Pirs die religiöse
Unterweisung und Betreuung der Muriden (I. 17.; I. 23., S. 21; I. 41., S. 10), die
wiederum für den finanziellen Unterhalt der Priester sorgen (I. 2., S. 145; I. 10., S.
16). Die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Jeziden beruht allein auf
Abstammung (I. 1., S. 808; I. 10., S. 3 f.; I. 14.). Ihre Mitglieder sind auf das Leben
in einer Religionsfamilie angewiesen (I. 10., S. 16 ff.; I. 18., S. 14 ff.; I. 23., S. 22; I.
30. - b --, S. 12 f.; I. 55., S. 9), deren Mindestgröße neun Personen betragen soll (I.
30. - b --, S. 3 u. 82); den Muriden sind dabei kraft Geburt bestimmte Sheikh- und
Pir-Geschlechter zugeordnet (I. 2., S. 143). Sie wählen außerdem je einen Sheikh
als "Bruder der anderen Welt" und Pir als "Murebbi" (Lehrer), die jeweils anderen als
den erblich zugeordneten Sheikh- und Pir-Kasten entstammen müssen (I. 1., S.
809; I. 2., S. 196 f.; I. 30. - b --, S. 14 f.; I. 41., S. 11). Sowohl bei Priestern als auch
bei Muriden herrscht jeweils Endogamie (I. 41., S. 9); weder Einheirat in die
Glaubensgemeinschaft noch Konversion zu dieser sind möglich; bei einer
Mischheirat verliert ein Jezide zwingend seinen Glauben (I. 2., S. 204; I. 10., S. 3; I.
23., S. 23 f.; I. 41., S. 5; I. 63.).
Die, so die Auffassung der Jeziden, im 12. Jahrhundert durch den Sufi-Sheikh Ali
Ben Musafir reformierte Religion kennt eine Schöpfungsgeschichte; ihre
Grundlagen sind das "Buch der Offenbarung" und das "Schwarze Buch" (I. 1., S.
807; I. 2., S. 168 f.; I. 9.; I. 10., S. 4; I. 30. - b --, S. 10). Zentralfigur religiöser
Verehrung ist nicht Gott, der lediglich die Schöpfung vollendet hat, sondern sein im
Symbol des Pfaues verkörperter erster Engel Melek Taus, der auch Gibrail oder
Gabriel genannt wird; er hat nach dem Sündenfall eine Metamorphose zum Guten
durchgemacht; der Vorwurf der Muslime, die Jeziden seien "Teufelsanbeter",
besteht daher zu Unrecht, denn Melek Taus trägt zwar luziferische Züge, gilt aber
von alters her als rehabilitiert mit in Wahrheit heute guten Wesenszügen (I. 1., S.
807 f.; I. 2., S. 164 f.; I. 10., S. 7; I. 26., S. 9; Ende/Steinbach, a.a.O., S. 520). Die
Religion der Jeziden ist trotz der genannten zwei Bücher im wesentlichen mündlich
tradiert (I. 9.; I. 10., S. 4); sie enthält zahlreiche, teilweise unvereinbare Mythen (I.
30. -- b --, S. 11 f.). Die Jeziden glauben an eine Auferstehung (Wiedergeburt,
Seelenwanderung), an ein letztes Gericht, an Verdammnis (zumindest in einigen
Mythen) und an Seligsprechung (I. 1., S. 807; I. 9.; I. 30. - b --, S. 14). Christus gilt
möglicherweise als einer ihrer Propheten; demgegenüber ist Mohammed, der nach
ihrer Auffassung nicht in den Himmel gekommen sein soll, nur ein untergeordneter
Prophet, während sein Vetter und Schwiegersohn Ali keine religiöse Bedeutung
besitzt (I. 2., S. 169 f. u. 201 f.). Zentrale Kultstätte ist das Grabmal des
Nationalheiligen Sheikh Adi in der Nähe von Mossul im Irak, in dem im September
die Hochfeste gefeiert werden (I. 1., S. 806 f.; I. 2., S. 171; I. 23., S. 29; I. 41., S. 5);
die Wallfahrt nach Sheikh Adi soll jeder Jezide einmal jährlich machen (I. 1., S. 808;
I. 2., S. 175; I. 9.). Andere Feste sind das Neujahrsfest und der Jahrestag der
Weltschöpfung im März und im Januar (I. 2., S. 178 u. 180). Als wöchentliche Ruhe-
bzw. Feiertage werden teilweise Mittwoch, teilweise Freitag genannt (I. 23., S. 25),
teilweise wird der Samstag als wöchentlicher Ruhetag, der Mittwoch als religiöser
Feiertag bezeichnet (I. 1., S. 808; I. 2., S. 181). Die Jeziden beten täglich (I., S. 808;
I. 10., S. 18; I. 23., S. 25; I. 41., S 8; I. 50.). Als Riten sind Taufe (durch Abschneiden
der ersten Locke), bei Knaben die allerdings nicht überall beachtete Beschneidung
49
50
der ersten Locke), bei Knaben die allerdings nicht überall beachtete Beschneidung
(I. 1., S. 809; I. 2., S. 195 f.; I. 9.; I. 41., S. 3 f.), die manchmal auch erst nach dem
Tod vollzogen wird (I. 41., S. 3), Ehe- und umfangreiche Totenriten bekannt (I. 1., S.
809; I. 10., S. 7 f. u. 18.; I. 23., S. 26 f.; I. 30. - b --, S. 14 f.; I. 55., S. 9). Die Jeziden
kennen Fastengebote, so u. a. das Jazid-Fasten an drei Tagen im Dezember und
ein dreitägiges Fasten vor dem Neujahrsfest (I. 18., S. 7 f.; I. 41., S. 11). Für die
Muriden ist Fasten nur an wenigen Tagen zwingend vorgeschrieben, es bleibt
ansonsten dem frommen Bedürfnis des einzelnen überlassen (I. 41., S. 11). Ferner
werden Speiseverbote beachtet, wobei Schweinefleisch, Wild, Fisch und Gemüse
tabu sind; dabei scheinen sich allerdings Aufweichungen abzuzeichnen; zwingend
untersagt ist wohl nur noch der Genuß von Schweinefleisch (I. 23., S. 23; I. 41., S.
9; I. 42.). Ansonsten ist es strikt verboten, Melek Taus zu verleugnen und das Wort
"Sheytan" (Teufel) zu verwenden (I. 1. S. 808; I. 7., S. 44; I. 41., S. 9; I. 49.). Die
Jeziden schließen sich als Glaubensgemeinschaft bewußt gegen Andersgläubige ab
und sind bestrebt, ihre Religion geheimzuhalten (I. 10., S. 5; I. 55., S. 9). Zu
diesem Zweck ist es gestattet, sich im Beisammensein mit Angehörigen anderer
Religionen wie Muslimen und Christen deren Religion anzunähern, wobei die
Grenze die Verleugnung von Melek Taus bildet (I. 2., S. 204; I. 10., S. 16; I. 30. - b -
-, S. 11; I. 48.; Ende/Steinbach, a.a.O., S. 519).
Jeziden leben - straff nach Stämmen und Sippen gegliedert - im allgemeinen zwar
nicht in geschlossenen Siedlungsgebieten, jedoch in festen Ansiedlungen als
Bauern im Irak (um Mossul), in Armenien und Transkaukasien sowie in der
Osttürkei in den Gegenden um Midyat, Mardin, Karacali, Urfa, Birecik und
Diyarbakir (I. 1., S. 806 f.; I. 10., S. 10; I. 30. - b --, S. 1). Während ihre Zahl in der
Türkei in den zwanziger Jahren auf ca. 90.000 bis 100.000 geschätzt (I. 30. - b --, S.
1; I. 40.) und zu Beginn der 80er Jahre von Sachverständigen mit etwa 10.000 bis
20.000 angenommen wurde (I. 10., S. 24 f.; I. 30. - b --, S. 1; I. 37., S. 4; I. 40.),
sind nach aktuellen Erkenntnissen infolge der starken Abwanderung nach
Westeuropa heute nur noch ca. 2.000 Jeziden in der Türkei anzutreffen (I. 40.; I.
56., S. 4; I. 60., S. 4 f.). Bei ihnen handelt es sich vorwiegend um alte Leute, die
weiterhin in den ursprünglich rein jezidisch bewohnten Dörfern Ostanatoliens leben
und versuchen, ihren Lebensunterhalt wie früher durch Landwirtschaft und
Viehzucht zu bestreiten; dort gibt es jedoch praktisch keine intakten jezidischen
Dörfer mehr, die Bewohner aller Altersschichten aufweisen (I. 14.; I. 28.; I. 30. - b --,
S. 76 f.; I. 37., S. 5 f.; I. 40., I. 41., S. 7; I. 55., S. 7; I. 60., S. 8; I. 61.). Soweit das
Auswärtige Amt in verschiedenen Stellungnahmen der letzten Jahre wesentlich
höhere Zahlen für die ganze Türkei genannt hat (I. 43.; I. 44.; I. 50.) - so sollen zum
Beispiel nach einer Auskunft vom 28. Oktober 1988 allein in Istanbul bis 40.000
Jeziden leben, von denen der überwiegende Teil ein Universitätsstudium absolviert
habe (I. 38.), bzw. gibt es nach einer Auskunft vom 11. April 1988 (I. 52.)
zumindest eine substantielle Zahl von Jeziden, die jedenfalls in den Städten
überwiegend besser als der Durchschnitt lebe --, kann dem nicht gefolgt werden (I.
60., S. 13). Bis heute ist nicht belegt, auf welchen Informationen diese
Zahlenangaben beruhen, und das Auswärtige Amt hat auf Nachfrage in seiner
Stellungnahme vom 23. August 1989 (I. 59.) seine Angaben selbst relativiert.
Demgegenüber werden die auf eine wesentlich niedrigere Zahl ausgerichteten
sachverständigen Schätzungen durch verschiedene Umstände belegt, so zum
Beispiel durch die Darstellung des Rückgangs der Zahl jezidischer Familien in
einzelnen früher als reine Jezidendörfer bekannten Orten (I. 24.; I. 28.; I. 30. - b --,
S. 3 f.; I. 37., S. 5 f.; I. 54.; I. 55., S. 7) einerseits und das Anwachsen der Jeziden in
den Ländern Westeuropas andererseits (I. 60., S. 5: bisher ca. 18.000 Jeziden in
der Bundesrepublik Deutschland); insbesondere ist es trotz konkreter
Nachforschungen auch nicht gelungen, in Istanbul eine nennenswerte Zahl von
Jeziden - geschweige denn die vom Auswärtigen Amt für Istanbul angenommene
Zahl - zu finden (I. 55., S. 7; I. 56., S. 10 f.; I. 60., S. 13).
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kann nicht sicher festgestellt werden, daß
die Angehörigen der jezidischen Religionsgemeinschaft in der Türkei in dem hier
maßgeblichen Zeitraum bis zur Ausreise der Kläger im Juni 1985 unter einer an die
Religion anknüpfenden Gruppenverfolgung zu leiden hatten. Dies gilt zunächst
hinsichtlich einer unmittelbaren staatlichen Verfolgung (a). Es dürfte ferner auch
hinsichtlich einer dem türkischen Staat zurechenbaren Verfolgung durch Dritte
zutreffen; mindestens wäre andernfalls die betreffende Verfolgungsvermutung für
die Kläger widerlegt (b). Für die Frage nach dem Vorliegen einer an die religiöse
Grundentscheidung anknüpfenden Gruppenverfolgung ist allgemein zu beachten,
daß eine aus Gründen der Religion stattfindende Verfolgung nur dann asylerheblich
ist, wenn die Beeinträchtigungen der Freiheit der religiösen Betätigung nach
Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR
51
Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR
147/80 u. a. --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Es muß sich um Maßnahmen
handeln, die den Gläubigen als religiös geprägte Persönlichkeit ähnlich schwer
treffen wie bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder die physische
Freiheit (BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 --, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7),
indem sie ihn physisch vernichten, mit vergleichbar schweren Sanktionen
bedrohen, seiner religiösen Identität berauben oder daran hindern, seinen Glauben
im privaten Bereich und durch Gebet und Gottesdienst zu bekennen (BVerfG,
01.07.1987 - 2 BvR 472/86 u. a. --, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20, u.
10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. --, BVerfGE 81, 58 = EZAR 203 Nr. 5).
a) Aus den in das Verfahren eingeführten Gutachten, Auskünften und
Erkenntnisquellen ergeben sich insgesamt keine tragfähigen Anhaltspunkte für
eine vom türkischen Staat ausgehende und zielgerichtete Verfolgung der
gesamten jezidischen Religionsgemeinschaft bis zur Ausreise der Kläger Mitte der
80er Jahre. Insoweit folgt der erkennende Senat der ständigen und vom
Bundesverwaltungsgericht nicht beanstandeten Rechtsprechung des früher für
Asylsachen allein zuständigen 10. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
(vgl. etwa 29.09.1983 - X OE 1351/81 --, 01.03.1984 - X OE 358/82 --, ESVGH 34,
202, u. - X OE 364/82 --, 26.04.1984 - X OE 1116/81 - u. 19.07.1984 - X OE 1329/81
--). Zur Annahme einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung zur damaligen
Zeit reichen staatliche Anordnungen und Maßnahmen, welche zur
Verschlechterung der Lebenssituation der Jeziden beitrugen - wie etwa staatliche
Aufforstungsprogramme, durch die Ländereien ihrer traditionellen Nutzung als
Weideland entzogen wurden, Umsiedlungsaktionen und die Übertragung der
Aufgaben der Dorfmiliz an die Agas und deren Leute (I. 17.; I. 18., S. 13 f.; I. 24.; I.
30. - b --, S. 2, 33 f., 59 u. 72 f.; I. 37., S. 9; I. 49.; I. 55., S. 5 f.; I. 56., S. 8 f.) - für
sich allein nicht aus. Gleiches gilt im Ergebnis für die Neuorganisation des
Religionsunterrichts an staatlichen Schulen in den Jahren 1982 bis 1985 (vgl. hierzu
auch VGH Baden-Württemberg, 10.01.1991 - A 12 S 635/89 --). Seinerzeit wurde
der bisherige Moralkundeunterricht mit dem Religionsunterricht zusammengelegt
und als Pflichtfach eingeführt, für den Unterricht wurden "Allgemeine Prinzipien der
Religionslehre und des Ethikunterrichts" festgelegt, und es wurde ein
Ausbildungsprogramm für diese Fächer verabschiedet (V. 9.; V. 10., S. 9 ff.; V. 13.,
S. 20). Allerdings wirkte sich die Umgestaltung des Religionsunterrichts auf die
jezidischen Glaubensangehörigen deswegen als noch wesentlich stärkerer Eingriff
aus als bei Angehörigen christlicher Religionen, weil es für Jeziden eine Todsünde
ist, die 112. Sure des Korans auszusprechen; damit aber fängt jede islamische
Unterrichtsstunde an (I. 30. - b --, S. 3 u. 19; I. 37., S. 12). Würden sie dies tun,
lösten sie sich selbst aus der jezidischen Glaubensgemeinschaft (I. 30. - b --, S.
22). Die Ausnahmeregelungen zugunsten türkischer Staatsangehöriger
christlichen und jüdischen Glaubens, die diese Schüler von der Pflicht zur
Teilnahme bei bestimmten Teilen des Unterrichts entbinden (vgl. Nr. 4 der Anlage
zu V. 5. u. Nr. 4 in V. 10., S. 23), greifen zugunsten von Schülern jezidischen
Glaubens nicht ein (I. 37., S. 11). Folge ist, daß sie vor der Alternative stehen,
entweder diese Todsünde (ständig) zu begehen oder den Schulbesuch überhaupt
aufzugeben (I. 36.). Damit greift der türkische Staat in die Freiheit der religiösen
Betätigung der Jeziden in einer Weise ein, die die Menschenwürde und das religiöse
Existenzminimum antastet. Denn auch wenn Jeziden grundsätzlich von den
Möglichkeiten Gebrauch machen können, die ihnen ihre Religion bietet, um sich im
Notfall zum Selbstschutz durch Verstecken und Verbergen der eigentlichen
Religionsinhalte an die Umgebung anzupassen (sogenanntes "takkiyeh"), so findet
diese Verhaltensweise ihre Grenze bei der Verletzung essentieller Tabus; dazu
aber gehört das Verbot, die 112. Sure des Korans auszusprechen (I. 30. - b --, S. 3
u. 11; I. 37., S. 12; I. 41., S. 5). Insoweit ist allerdings zu beachten, daß die
asylrelevante Belastung nur eines bestimmten genau abgegrenzten Kreises von
Gruppenangehörigen - hier: der eine Schule besuchenden und in der Regel
minderjährigen Personen - nicht bereits eine Verfolgung der Religionsgruppe
insgesamt darstellt (BVerwG, 24.08.1989 - 9 B 301.89 --, NVwZ 1990, 80 =
InfAuslR 1989, 348), wenngleich der Zugriff auf die Angehörigen einer solchen
Untergruppe - zumal ihr grundsätzlich jedes Mitglied der Religionsgruppe im
Verlaufe seines Lebens eine Zeitlang anzugehören pflegt - ein gewisses Indiz für
eine Verfolgung aller Gruppenangehörigen sein kann. Wären nämlich Angehörige
weiterer Untergruppen - etwa die Wehrpflichtigen, Frauen bestimmten Alters
und/oder minderjährige Kinder - ebenfalls asylrechtlich erheblicher Verfolgung
ausgesetzt gewesen, so könnte sich eine Verdichtung bis hin zur
Gruppenverfolgung aller Mitglieder der betreffenden Religionsgruppe ergeben. So
verhielt es sich jedoch zur Zeit der Ausreise der Kläger (noch) nicht.
52
53
54
55
b) Die Jeziden in der Türkei scheinen in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis Mitte
der 80er Jahre auch (noch) keiner mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung in
der Weise ausgesetzt gewesen zu sein, daß sie von Dritten ihres religiösen
Bekenntnisses wegen verfolgt wurden und hiergegen staatlichen Schutz - trotz an
sich gegebener Schutzfähigkeit des türkisches Staates -- nicht erhalten konnten.
Mindestens wäre die sich hieraus ergebende Verfolgungsvermutung in der Person
der Kläger, die bis zu ihrer Ausreise zunächst in einem reinen Jezidendorf und dann
in einem Christenviertel in Midyat gelebt haben, widerlegt.
Die Jeziden sehen sich wegen ihrer Religion grundsätzlich der Verachtung durch die
muslimische Bevölkerung ausgesetzt (I. 9.; I. 10., S. 8 ff.; I. 14.; I. 17.; I. 18., S. 10
u. 15; I. 24.; I. 37, S. 4 f.; I. 55., S. 7); dies drückt sich zum Beispiel darin aus, daß
die gütliche Beilegung eines Streites (etwa Durchbrechung des Prinzips der
Blutrache durch Friedensschluß im Anschluß an eine Straftat) zwischen Jeziden und
Muslimen grundsätzlich nicht möglich ist (I. 24.). Außerdem werden die Jeziden von
den muslimischen Agas, die angesichts der weithin noch die gesellschaftlichen
Verhältnisse bestimmenden Feudalstruktur als Großgrundbesitzer die wirklichen
Machthaber in den abgelegenen Gebieten im Osten bzw. Südosten der Türkei sind,
als Leibeigene betrachtet (I. 55., S. 6 f.) und sind ihnen auch aufgrund der
Unmöglichkeit, außerhalb ihrer Dörfer zu leben bzw. in das Wirtschaftsleben
integriert zu werden, ausgeliefert (I. 9.; I. 10., S. 21; I. 11.; I. 24.; I. 55., S. 6 f.).
Dieses "Ausgeliefertsein" findet seinen Ausdruck darin, daß zunehmend
muslimische Kurden, insbesondere die Agas, sich das Land der Jeziden aneignen
(I. 11.; I. 16.; I. 22.; I. 30. - a --; I. 37., S. 6; I. 40.), daß Jeziden überfallen und
bestohlen und ihnen Ernte und Vieh weggenommen werden, daß (insbesondere
junge) Frauen entführt oder als "Geiseln" für die vollständige Bezahlung von
Schulden festgehalten werden (I. 14.; I. 28.; I. 30. - b --, S. 36 f.; I. 37., S. 8; I. 55.,
S. 10; I. 56., S. 7 f.) und daß ihnen unter Hinweis auf die Religionszugehörigkeit
unberechtigt Arbeitslohn vorenthalten oder ihnen gekündigt wird (I. 28.), wenn sie
nicht ohnehin schon wegen der jezidischen Religionszugehörigkeit erst gar nicht
eingestellt werden (I. 31.). Daß es in vielen Fällen zu Übergriffen von Muslimen auf
Jeziden kommt - in Form von Überfällen, Landwegnahmen, Viehdiebstählen,
Entführungen jüngerer Frauen, Vorenthaltung von Arbeitslohn, Kündigungen nach
Aufdeckung der Religionszugehörigkeit, Mißhandlungen während der
Wehrdienstleistung (I. 15.; I. 22.; I. 28.; I. 32.; I. 35.) --, wird auch vom Auswärtigen
Amt eingeräumt. Allerdings ist in dessen Stellungnahmen in der Regel Wert auf die
Aussage gelegt, es komme "in Einzelfällen" zu derartigen Vorkommnissen (I. 25.; I.
26., S. 9; I. 38.; I. 39.; I. 43.; I. 44.; I. 57.). Mißt man aber die Zahl der bekannt
gewordenen "Einzelfälle" an der geringen Zahl der noch in der Türkei verbliebenen
Jeziden und berücksichtigt man, daß praktisch für alle Jezidendörfer über einen
längeren Zeitraum hinweg vergleichbare Vorkommnisse geschildert werden, so
kann nicht mehr von bloßen "Einzelfällen" die Rede sein.
Während die vorliegenden Erkenntnisquellen die Annahme rechtfertigen, daß die
Selbstverteidigungskraft der Jeziden früher jedenfalls dort, wo sie noch in
geschlossenen Siedlungsverbänden mit weitgehend homogener
Bevölkerungsstruktur -- also insbesondere in reinen Jezidendörfern mit intaktem
Sozialgefüge -- lebten, im großen und ganzen - oft im Zusammenwirken mit
Angehörigen christlicher Religionen, die in den Dörfern der Umgebung lebten und
in ähnlicher Weise von Übergriffen betroffen waren (I. 24.; I. 28.; I. 37., S. 9; I. 49.) -
ausreichte, um sich zu schützen, sind sie infolge der zwischenzeitlich erfolgten
Abwanderung ihrer Glaubensgenossen gegenwärtig auf staatliche Hilfe
angewiesen. Denn Dörfer mit stärkerem jezidischem Bevölkerungsanteil und einer
normalen Altersstruktur, die - wie früher -- Schutz bieten könnten, gibt es heute in
der Türkei praktisch nicht mehr (I. 14.; I. 28.; I. 30. - b --, S. 76 f.; I. 37., S. 5 f.; I.
40.; I. 41., S. 7; I. 55., S. 7; I. 60., S. 8; I. 61.).
Bei staatlichen türkischen Stellen aber vermochten und vermögen die Jeziden
gegen Übergriffe der dargestellten Art von seiten Dritter keinen effektiven Schutz
zu erlangen (I. 10., S. 19; I. 11.; I. 14.; I. 24.; I. 28.; I. 30. - b --, S. 75; I. 32.; I. 37., S.
8 f.; I. 40.). Selbst das Auswärtige Amt räumt in seinen Stellungnahmen inzwischen
wenn auch nicht die systematische Duldung von Übergriffen auf die jezidische
Bevölkerung durch türkische Behörden, so doch eine "gewisse bürokratische
Nachlässigkeit" gegenüber der Verfolgung von Straftaten an Jeziden ein (I. 38.; I.
43.). Zudem ist sogar festzustellen, daß dann, wenn Übergriffe angezeigt werden,
nicht nur staatliche Stellen nicht eingreifen, sondern den Druck auf die Jeziden oft
noch verstärken (I. 24.; I. 28.; I. 30. - b --, S. 75). Während zunächst für die Zeit
nach dem Militärputsch im September 1980 eine Verbesserung der allgemeinen
56
57
nach dem Militärputsch im September 1980 eine Verbesserung der allgemeinen
Situation angenommen werden konnte (I. 16.; I. 22.; I. 55., S. 7), was auch den
Jeziden zugute gekommen sein dürfte (I. 17.; I. 37., S. 7 f.) - so wurde die
Infrastruktur im Osten und Südosten der Türkei wesentlich verbessert (I. 17.; I. 28.;
I. 30. - a --; I. 43.) und ein dichtes Netz von Gendarmeriestationen angelegt (I. 28.;
I. 43.) mit dem Ziel, den staatlichen Ordnungsanspruch generell auch in
abgelegenen Dörfern durchzusetzen (I. 26., S. 9; I. 27., S. 9) --, hat sich in der
Folgezeit die Sicherheitslage für die Jeziden zusehends verschlechtert (I. 24.).
Hierzu haben nicht zuletzt die wachsenden Islamisierungstendenzen (I. 15.; I. 37.,
S. 7 u. 10; I. 55., S. 7) beigetragen, die zur Folge haben, daß muslimische Kurden
sicher sein können, daß ihre vielfältigen Übergriffe auf Jeziden von staatlichen
Stellen nicht in der gebotenen Weise geahndet werden (I. 24.; I. 28.; I. 30. - b --, S.
75; I. 32.; I. 40.).
Auch wenn derzeit gezielte staatliche Anweisungen von oben, gegen Jeziden
vorzugehen, fehlen (I. 24.; I. 38.; I. 43.), ist zu beobachten, daß die von den Agas
organisierte Entvölkerung der von Jeziden besiedelten Gebiete tatsächlich von
staatlichen Stellen nicht nur hingenommen, sondern unterstützt wird (I. 11.; I. 30. -
b --, S. 42 u. 75; I. 32.; I. 37., S. 6; I. 41., S. 7; I. 60., S. 2); die beschleunigte
Ausstellung von Reisepässen und die umfassende Organisation der Ausreise
ganzer Gruppen von Jeziden (Schleusung) sind ohne staatliche Unterstützung
nicht denkbar (I. 30. - b --, S. 87 u. 92 ff.; I. 32.; I. 37., S. 6). Daß der in den Medien
an bestimmte Bevölkerungskreise gerichteten Aufforderung zum Verlassen der
Türkei (I. 34.) entgegengetreten würde, ist nicht ersichtlich. Verständlich wird ein
solches Verhalten dann, wenn man zugrundelegt, daß derzeit der türkische Staat
offenbar die aus der Vergangenheit bis heute festzustellende Verfolgung der
Jeziden durch ihre muslimischen Nachbarn aus religiösen Gründen insbesondere in
den Provinzen Mardin und Siirt bewußt für seine Ziele instrumentalisiert, einen
Sicherheitsgürtel entlang der türkisch-syrischen und der türkisch-irakischen
Grenze zu schaffen, um im Kampf gegen die militärischen Aktivitäten der PKK
bestehen zu können (I. 30. - a --; I. 30. - b --, S. 53).
Es bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner abschließenden Entscheidung
darüber, ob die genannten Erkenntnisse - jedenfalls bei Mitberücksichtigung des
aktiven Handelns staatlicher türkischer Stellen - die Feststellung zulassen, daß
bereits im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger die Religionsgemeinschaft der Jeziden
in der Türkei in ihren angestammten Siedlungsgebieten einer asylrelevanten
Gruppenverfolgung ausgesetzt war. Denn selbst wenn dies zu bejahen wäre, griffe
die daraus resultierende Verfolgungsvermutung zugunsten der Kläger nicht ein,
weil sie aus einem ausschließlich von Jeziden bewohnten Dorf stammen, in dem
zum Zeitpunkt ihrer Ausreise die Sozialstrukturen noch weitgehend intakt waren
und die Selbstverteidigungskraft im großen und ganzen noch zum Schutz der
Dorfbewohner ausreichte. Heimatdorf der Kläger ist nämlich ... (Kurdisch:), Bezirk,
Provinz, das etwa 12 oder 13 Kilometer östlich von ... liegt, und dort lebten - wie
der Senat vor allem den insoweit glaubhaften Angaben des Klägers zu 1) bei
seiner informatorischen Anhörung durch das Verwaltungsgericht und bei seiner
Vernehmung durch den Berichterstatter des Senats entnimmt (vgl. ferner I. 15.; I.
49.; I. 52. (Anlage); I. 54.; I. 61.) - früher und auch noch zum Zeitpunkt der
Ausreise der Kläger 40 bis 70 Familien ausschließlich jezidischer
Religionszugehörigkeit; eine allgemeine Abwanderungsbewegung aus diesem Dorf
setzte den Angaben des Klägers zu 1) zufolge erst nach der Ausreise der Kläger
ein. Die Kläger haben - wie im folgenden Abschnitt (also unter B I. 4.) aufgezeigt
werden wird - auch keine an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfenden
asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen dargetan, die sie von ihrem Gewicht her
schon damals zu der berechtigten Annahme hätten veranlassen können, daß sie
selbst sich als Jeziden in ... in einer ausweglosen Lage befanden. Dies gilt für die
Kläger zu 2) bis 5) auch für den Zeitraum, als sie - während der Kläger zu 1)
inhaftiert war bzw. sich nach seiner Flucht verborgen hielt -- nach ... in ein zuvor
dort gekauftes, in einem Christenviertel gelegenes Haus umgezogen waren bzw.
erst nach diesem Umzug geboren wurden und dort bis zur Ausreise lebten. Denn
der Schutz der Großfamilie wirkte sich gleichwohl (noch) zu ihren Gunsten aus; dies
wird etwa daraus deutlich, daß die Eltern des Klägers zu 1) sich ab und zu, wenn
sie sich um die Kläger zu 2) bis 5) sorgten, besuchsweise bei diesen aufhielten und
daß diese ihrerseits gelegentlich zu Besuch bei den Eltern der Klägerin zu 2) in ...
weilten und dann - wie etwa die Umstände bei der versuchten Entführung der
Klägerin zu 2) zeigen -- jedenfalls nicht darauf angewiesen waren, sich ohne den
Schutz männlicher Angehöriger außerhalb der jeweiligen Wohnung bzw. außerhalb
solcher Örtlichkeiten aufzuhalten, die vorwiegend von Jeziden oder von Christen
besiedelt waren. Die Kläger zu 2) bis 5) haben überdies nichts dafür dargetan, daß
58
59
60
besiedelt waren. Die Kläger zu 2) bis 5) haben überdies nichts dafür dargetan, daß
ihnen vor ihrer Ausreise gerade in ... asylerhebliche und auf ihre Religion gerichtete
Übergriffe gedroht hätten.
4. Waren demnach die Kläger bis zu ihrer Ausreise zwar (noch) keiner
Gruppenverfolgung ausgesetzt, so war doch der Kläger zu 1) persönlich damals
von asylrelevanter individueller Verfolgung betroffen (a). Der Senat hat
demgegenüber nicht festzustellen vermocht, daß (auch) die Kläger zu 2) bis 5) vor
ihrer Ausreise (Einzel-)Verfolgung erlitten haben oder daß ihnen - was
eingetretener Verfolgung gleichstünde (BVerfG, 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. --,
EZAR 202 Nr. 20 = DVBl 1991, 531) - solche Verfolgung seinerzeit unmittelbar
drohte (b).
a) Der Kläger zu 1) war dadurch politischer Vorverfolgung ausgesetzt, daß er kurze
Zeit nach seiner Rückkehr in die Türkei aufgrund einer Denunziation wegen
Unterstützung kurdischer Aktivisten ca. einen Monat lang inhaftiert und gefoltert
wurde und daß er, nachdem ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen war, bis
zu seiner Ausreise jederzeit mit einer erneuten Verhaftung rechnen mußte, wenn
er von den Sicherheitsbehörden ausfindig gemacht worden wäre.
Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers zu 1) in den einzelnen Stadien seines
Asyl(folge)verfahrens weist zwar - wie im Bundesamtsbescheid vom 27. August
1986 zu Recht hervorgehoben ist - eine Anzahl von Ungereimtheiten auf, und zwar
insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts und des Ortes der Festnahme,
hinsichtlich des Ablaufs und des Inhalts der während der Inhaftierung erfolgten
Befragungen des Klägers zu 1), der Umstände seiner Flucht und seines
anschließenden Aufenthalts sowie hinsichtlich des Schicksals von ebenfalls
verhafteten Angehörigen. Gleichwohl erachtet der Senat den betreffenden Vortrag
des Klägers zu 1) aufgrund dessen überzeugenden Bekundungen bei seiner
Vernehmung am 26. März 1991 zumindest im maßgebenden Kern für glaubhaft.
Denn zum einen stimmen diese weitestgehend mit seinen eigenen Angaben bei
der Vorprüfungsanhörung überein, und deshalb nimmt der Senat dem Kläger zu 1)
auch ab, daß die - vor allem auffälligen - Widersprüche zu dem anwaltlichen
Asylantrag vom 1. Juli 1985 auf Mißverständnisse bzw. unzureichende
Deutschkenntnisse des damals im Anwaltsbüro als Dolmetscher fungierenden
muslimischen Kurden zurückzuführen sind. Dem steht die ausdrückliche
Bezugnahme der Kläger zu 1) und 2) auf die Ausführungen der Bevollmächtigten
bei der Ausländerbehörde am 5. Juli 1985 schon deshalb nicht entgegen, weil die
dortige Anhörung in deutscher Sprache durchgeführt wurde, zumal der anwaltliche
Asylantrag den Klägern zu 1) und 2) ihren glaubhaften Angaben zufolge zu einem
früheren Zeitpunkt nicht zurückübersetzt worden war. Auch aus dem Umstand,
daß der Kläger zu 1) in seinem Asylerstverfahren seine und der Klägerin zu 2)
Religionszugehörigkeit ausweislich der am 9. Oktober 1978 von der
Ausländerbehörde aufgenommenen Niederschrift mit "orthodox-christlich"
angegeben und sich zur weiteren Begründung seines damaligen Asylbegehrens
und seiner später erhobenen Klage ebenfalls auf Übergriffe gegen Christen
berufen hat, kann - entgegen der im Bundesamtsbescheid vom 27. August 1986
vertretenen Auffassung - nicht auf mangelnde Glaubwürdigkeit des Klägers zu 1)
geschlossen werden; denn zum einen fand die damalige Anhörung bei der
Ausländerbehörde in aramäischer Sprache statt, der der Kläger zu 1) offenbar
nicht hinreichend mächtig ist, und zum anderen beruhte die im ersten
Klageverfahren erneut erfolgte Berufung auf die Verfolgung der christlichen
Glaubensgemeinschaften ersichtlich - nachdem der Kläger zu 1) bei der
Vorprüfungsanhörung am 24. März 1980 zweifelsfrei klargestellt und durch Vorlage
seines früheren Nüfus belegt hatte, daß er und die Klägerin zu 2) jezidischer
Religionszugehörigkeit sind -- auf einem Versehen der damals bevollmächtigten
Rechtsanwälte. Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger zu
1) kurz nach seiner Rückkehr von dem Aga, der die Gegend um ... kontrolliert,
denunziert worden ist, für die kurdische Sache tätig (gewesen) zu sein (vgl. zu dem
vorbenannten Aga I. 30. -- b --, S. 77, und zu der Praxis von Denunziationen
mißliebiger Personen durch Agas I. 56., S. 7, wodurch die Glaubhaftigkeit der
Angaben des Klägers zu 1) im übrigen bestätigt wird). Weiter ist davon
auszugehen, daß der Kläger zu 1) daraufhin zu einem nicht näher bestimmbaren
Zeitpunkt zwischen sieben und 25 Tagen nach seiner Rückkehr in ... im Hause
seiner Eltern von Gendarmen festgenommen und über ... ins Gefängnis nach ...
gebracht wurde, daß er dort u. a. auf die Fußsohlen geschlagen und gezwungen
wurde, barfuß über Glasscherben zu laufen, und zwar mit dem Bemerken, dies
geschehe wegen seines Eintretens für einen autonomen kurdischen Staat, daß er
schließlich nach ca. einem Monat mit Hilfe eines von seinem Vater bestochenen
61
schließlich nach ca. einem Monat mit Hilfe eines von seinem Vater bestochenen
Wärters durch ein von diesem offengelassenes Toilettenfenster in die
Abwasserkanalisation gelangen und aus dem Gefängnis fliehen konnte und daß er
im Anschluß daran bis zur Ausreise allenfalls nachts ab und zu die Kläger zu 2) bis
5) in ..., wohin diese zwischenzeitlich umgezogen waren, aufgesucht oder sich in
sein Heimatdorf begeben hat, während er sich im übrigen abwechselnd bei
verschiedenen Angehörigen seiner Mutter in dem 15 bis 20 Kilometer von Oyuklu
entfernten Dorf (Kurdisch:) aufgehalten oder in den Bergen um das Vieh
gekümmert hat. Ferner ist - insbesondere aufgrund der Aussage der Klägerin zu 2)
bei ihrer Vernehmung am 26. März 1991 - als glaubhaft anzusehen, daß der Kläger
zu 1) nach seiner Flucht aus dem Gefängnis seitens des türkischen Staates
ständig gesucht wurde, indem häufig Soldaten bei der Klägerin zu 2) erschienen
und nach dem Kläger zu 1) fragten. Letztendlich glaubt der Senat dem Kläger zu
1) auch, daß er - durch Einschaltung eines entsprechend bezahlten Mittelsmannes
namens, der sich die erforderlichen Unterlagen bei der Klägerin zu 2) holte, bzw.
des Bürgermeisters von - die Verlängerung und Erweiterung (auf die Kläger zu 2)
bis 5)) seines Passes am 30. April 1985 und die Ausstellung eines neuen Nüfus am
4. Juli 1983 erreichen konnte, ohne persönlich bei den hierfür zuständigen
Behörden vorzusprechen, und ferner, daß es ihm - da eine computerunterstützte
oder sonst an Fahndungslisten orientierte Überprüfung des Passes seinen
substantiierten Angaben zufolge bei der Ausreise nicht stattgefunden hat --
gelang, trotz alledem am 21. Juni 1985 legal die Türkei zu verlassen. Nach den
dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen können nämlich zum einen das
Auftreten namhafter Fürsprecher - und der vom Kläger zu 1) beauftragte
Mittelsmann scheint einer Aga-Familie angehört zu haben (vgl. I. 30. - b --, S. 77) -
und die Zahlung von Bestechungsgeldern anläßlich der Beantragung von
Personalpapieren damals zur Außerachtlassung dort vorliegender Informationen
durch die für die Ausstellung zuständigen Stellen geführt haben (III. 5.; III. 12.; III.
13.; III. 15.), und zum andern fand ein lückenloser Abgleich mit den
Fahndungslisten auch anläßlich der Ausreisekontrollen jedenfalls zum damaligen
Zeitpunkt nicht statt (vgl. III. 5.), und im übrigen kann für den Einzelfall ohnehin ein
nachlässiges Vorgehen der Grenzbeamten - so wie es der Kläger zu 1) geschildert
hat - nicht ausgeschlossen werden. Noch verbleibende geringfügige
Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten sind zur Überzeugung des Senats auf
den niedrigen Bildungsstand des Klägers zu 1), der keine Schule besucht hat und
für den insbesondere Zeitbegriffe keine maßgebliche Bedeutung haben,
zurückzuführen und/oder damit zu erklären, daß seit der Festnahme des Klägers
zu 1) nunmehr fast zehn Jahre vergangen sind und so weit zurückliegende
Vorgänge in der Erinnerung erfahrungsgemäß verblassen.
Die dem Kläger zu 1) zur Überzeugung des Senats widerfahrenen Maßnahmen
stellten von ihrer Intensität her einen asylerheblichen Eingriff dar. Sie gingen über
das hinaus, was auch mit Blick auf die in der Südosttürkei allgemein übliche
Behandlung Beschuldigter im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren (noch)
hingenommen werden muß. Denn der Kläger zu 1) wurde nicht nur wenige Tage
sistiert, sondern ca. einen Monat lang inhaftiert, und außer dem damit
verbundenen Eingriff in die physische Freiheit des Klägers zu 1) kam es
währenddessen zu schwerwiegenden und menschenunwürdigen
Beeinträchtigungen seiner körperlichen Integrität durch Amtswalter des türkischen
Staates. All dies ist als politische Verfolgung zu qualifizieren, weil dadurch dem
Kläger zu 1) in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen
zugefügt wurden. Die spezifische Zielrichtung der Maßnahmen ist dabei nach ihrer
"erkennbaren Gerichtetheit", nicht nach den den Verfolgenden leitenden
subjektiven Gründen und Motiven zu beurteilen (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR
502/86 u. a. --, BVerfGE 80, 315 = EZAR 201 Nr. 20), wobei es unerheblich ist, ob
der Kläger zu 1) - der seinen Angaben zufolge nie etwas mit Politik zu tun hatte -
irrtümlich, nämlich aufgrund einer unbegründeten Denunziation des Agas, oder zu
Recht in die Verfolgung einbezogen worden ist (BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 14.87 --,
EZAR 202 Nr. 12 = NVwZ 1988, 637). In Anbetracht der wegen (angeblicher)
Tätigkeit des Klägers zu 1) für die kurdische Sache erfolgten Denunziation und der
von ihm selbst bekundeten Verlautbarungen der ihn während seiner Inhaftierung
kontaktierenden Amtswalter des türkischen Staates ist davon auszugehen, daß
damals gegen den Kläger zu 1) mit dem Ziel ermittelt worden ist, ihn einer Straftat
nach den - in diesem Jahr aufgehobenen (vgl. II. 81.) - Art. 141 und/oder 142 TStGB
(vgl. IV. 1.) zu überführen. Angesichts der Unbestimmtheit und Weite der
vorgenannten Straftatbestände (IV. 2.) und der jedenfalls damals noch
praktizierten Anwendung dieser Vorschriften (vgl. II. 20.; II. 21.; II. 36.), für die etwa
auch das Urteil des Militärgerichts Nr. 3 der Ausnahmezustandskommandantur
Ankara (IV. 7.) Beispiele und Anhaltspunkte bietet, mußte der Kläger zu 1) damit
Ankara (IV. 7.) Beispiele und Anhaltspunkte bietet, mußte der Kläger zu 1) damit
rechnen, daß die ihm vorgeworfene Tätigkeit - sollte sie als erwiesen angesehen
werden - als Separatismus qualifiziert, infolgedessen das Tatbestandsmerkmal der
"Schwächung der Nationalgefühle" als erfüllt angesehen und sein Verhalten unter
Art. 141 Abs. 4 sowie Art. 142 Abs. 3 TStGB subsumiert werden würde (vgl. II. 21.;
II. 36.; IV. 4.; IV. 5.; IV. 27.). Daß nach den Staatsschutzvorschriften der Art. 140 ff.
TStGB erfolgende Bestrafung in aller Regel politische Verfolgung darstellte,
entspricht der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. etwa
Hess. VGH, 02.05.1988 - 12 OE 503/82 --, InfAuslR 1988, 267, 18.09.1989 - 12 UE
2700/84 --, 25.02.1991 - 12 UE 2106/87 - u. 18.03.1991 - 12 OE 166/82 --). Zu
beachten ist, daß für die Beurteilung der Frage, ob Staatsschutzvorschriften eines
Staates bereits als solche oder doch jedenfalls in ihrer praktischen Anwendung
gezielt auf asylerhebliche Merkmale bei dem Betroffenen gerichtet sind, die jeweils
herrschenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse maßgebend sind, wobei
der strafrechtliche Zugriff eines Staates auf seine Bürger, wenn er allein wegen
des Innehabens einer politischen Überzeugung erfolgt, in aller Regel eine politische
Verfolgung indiziert. Dabei darf das "Innehaben" einer politischen Überzeugung
nicht im Sinne einer Beschränkung auf den Bereich des forum internum
verstanden werden, sondern muß ein Mindestmaß an Äußerungs- und
Betätigungsmöglichkeiten umfassen. Die politische Überzeugung wird deshalb
dann in asylerheblicher Weise unterdrückt, wenn ein Staat mit Mitteln des
Strafrechts auf Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des Einzelnen schon
deshalb zugreift, weil dieser seine - mit der Staatsraison nicht übereinstimmende -
politische Meinung nicht "für sich behält", sondern sie nach außen bekundet und
sich mit ihr Dritten gegenüber "hören läßt" und damit notwendigerweise eine
geistige Wirkung auf die Umwelt ausübt und meinungsbildend auf andere einwirkt
(vgl. BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 --, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19, u. -
9 C 198.86 --, EZAR 201 Nr. 12, 30.08.1988 - 9 C 14.88 --, BVerwGE 80, 136 =
EZAR 201 Nr. 15, sowie 08.02.1989 -- 9 C 29.87 - u. 12.12.1989 - 9 C 39.88 --).
Auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung wie die strafrechtliche
Verfolgung separatistischer oder politisch-revolutionärer Aktivitäten zur
Verteidigung des Staates oder seiner politischen Identität können den Charakter
politischer Verfolgung haben, wenn die Sanktion der ein solches politisches
Rechtsgut betreffenden Strafnorm der Äußerung oder Betätigung einer politischen
Überzeugung gilt bzw. die Sanktion schärfer ist, als dies sonst zur Verfolgung
ähnlicher Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat üblich ist
(BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR 502/86 u. a. --, a.a.O., 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 --,
BVerfGE 81, 142 = EZAR 200 Nr. 26, u. 09.10.1990 - 2 BvR 1446/85 --). Die für
eine Bestrafung des Klägers zu 1) damals in Betracht kommenden türkischen
Staatsschutzvorschriften ließen die asylrechtlich gebotene geistige
Auseinandersetzung zwischen den durch sie geschützten Prinzipien und den ihnen
nicht entsprechenden Ideen im Wege freier Meinungsäußerung nicht zu. Denn
jedenfalls dort, wo das unter Strafe gestellte politische Handeln von nur geringem
Gewicht erschien, sollten mit auf ihrer Grundlage erfolgenden Bestrafungen nicht
nur Angriffe auf die zur kemalistischen Staatsverfassung der Türkei gehörenden
Prinzipien des Nationalismus und des Populismus abgewehrt, sondern gleichzeitig
auch entgegenstehende Überzeugungen unterdrückt werden. Dies wird zunächst
daran deutlich, daß unverhältnismäßig hohe Strafen schon für Verhaltensweisen
angedroht wurden, die weit davon entfernt waren, die Staatsordnung der Türkei
aktuell zu gefährden (II. 21.; IV. 6.). So kam es für die Strafbarkeit nach Art. 141
TStGB auf den Zweck der Vereinigung an, nicht darauf, welche Mittel - etwa Gewalt
- sie einsetzte (Rumpf, InfAuslR 1986, 250 (261)), und auch nicht darauf, ob die zu
verteidigenden Rechtsgüter tatsächlich auch gefährdet waren. Kennzeichnend für
Art. 141 TStGB war ferner, daß die Ziele, deren Anstreben strafrechtlich geahndet
wurde, so unbestimmt und umfassend umschrieben waren, daß breiter Raum für
eine Auslegung unter Gesichtspunkten politischer Opportunität bestand. Dies galt
insbesondere für das Ziel, "die Nationalgefühle zu schwächen" (Art. 141 Abs. 4 u.
Art. 142 Abs. 3 TStGB). Besonders deutlich wurde die tatbestandliche Weite und
Unbestimmtheit auch in der Formulierung des Art. 142 Abs. 1 und 3 TStGB, der
das Treiben von "Propaganda" unter Strafe stellte, wobei dieser Begriff völlig
unscharf blieb. Zwar hatte der Große Senat des Türkischen Militärkassationshofs
den Begriff des Propagandatreibens dahingehend ausgelegt, daß die "Preisung"
kurdisch-separatistischer Ideen straffrei war und daß nur ein nach seiner Intensität
darüber hinausgehendes, an andere Personen gerichtetes - aber nicht notwendig
öffentliches - Verhalten mit den Ziel, Anhänger für seine Ideen zu gewinnen, den
Straftatbestand erfüllte (II. 20.; II. 21.; Rumpf, a.a.O., 262 (m.N. in Fn. 69)).
Indessen waren in der praktischen Rechtsanwendung durch die türkischen
Strafgerichte die Anforderungen, die an die Intensität des über die Preisung
hinausgehenden und damit die Strafbarkeit begründenden Verhaltens gestellt
62
hinausgehenden und damit die Strafbarkeit begründenden Verhaltens gestellt
wurden, derart gering, daß bereits eine Meinungsäußerung bestraft wurde, die
meinungsbildend wirken und andere überzeugen sollte, mit der also eine Wirkung
auf die Umwelt angestrebt wurde. So sind beispielsweise als strafbare Propaganda
angesehen worden "An die Völker der Türkei" gerichtete Flugblätter, in denen
nebeneinander türkische und kurdische Wörter und Sätze verwendet wurden, die
Behauptung der Existenz eines kurdischen Volkes - auch im Rahmen eines
Briefwechsels zwischen Gleichgesinnten oder eines Schülers während des
Unterrichts --, die bloße Andeutung der Möglichkeit eines kurdischen Staates, das
Absingen kurdischer Lieder, der Vertrieb von Tonbandkassetten mit in kurdischer
Sprache gesungenen Volksliedern, der Verkauf separatistischer Zeitschriften und
das Nichtverhehlen einer entsprechenden politischen Überzeugung und sei es
auch im engen Kreise (II. 20.; II. 21.; II. 36.; Rumpf, a.a.O., 262 f. (m.N.
insbesondere in Fn. 71 bis 73)). Die Vorschrift bot danach eine Handhabe dafür,
nahezu jede Form der politischen Meinungsäußerung, die nicht der herrschenden
Doktrin entsprach, zu bestrafen, und sie wurde auch vielfach in diesem Sinne
gehandhabt. Es kann demnach zwar nicht gesagt werden, daß die türkischen
Gerichte bei der Bestrafung nach den Staatsschutzbestimmungen über deren
Anwendung hinaus die Gesinnung bestimmter Personen oder Personengruppen
treffen wollten; indessen bedurfte es einer solchen Verfahrensweise auch gar nicht,
weil insbesondere Art. 142 TStGB eine inkriminierte politische Gesinnung schon
tatbestandsmäßig voraussetzte und diese deshalb bereits durch die Bestrafung in
Anwendung der Vorschrift getroffen wurde (vgl. II. 21.; IV. 4.; IV. 5.; IV. 6.; IV. 16.; IV.
24.; IV. 25.). Waren nach alledem die Staatsschutzvorschriften, auf deren
Grundlage gegen den Kläger zu 1) damals mit dem Ziel seiner Bestrafung
ermittelt wurde, maßgeblich darauf ausgerichtet, die Äußerung oder Betätigung
der politischen Überzeugung zu treffen, so gilt dies - mangels entgegenstehender
Anhaltspunkte -- auch für die der Bestrafung häufig vorausgehenden und auch hier
vorausgegangenen Maßnahmen im Rahmen des strafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens, zumal wenn sie - wie im Falle des Klägers zu 1) -- härter
erscheinen als bei der Verfolgung ähnlicher Straftaten von vergleichbarer
Gefährlichkeit; denn z. B. Folter ist jedenfalls dann asylerheblich, wenn sie wegen
asylrelevanter Merkmale eingesetzt oder im Blick auf diese Merkmale in
verschärfter Form angewendet wird (BVerfG, 20.12.1989 -- 2 BvR 958/86 --,
BVerfGE 81, 142 = EZAR 200 Nr. 26).
Die danach im Gefängnis in ... im September/Oktober 1981 erlittene Vorverfolgung
des Klägers zu 1) wirkte bis zu dessen Ausreise am 21. Juni 1985 fort. Denn der
Kläger zu 1) war - wie festgestellt - nicht etwa mangels Beweisen freigelassen
worden, sondern er war aus dem Gefängnis geflohen und nach ihm wurde in der
Folgezeit von seiten des Staates gesucht. Anhaltspunkte dafür, daß diese Suche
nunmehr aus anderen Gründen als wegen der vor seiner ersten Inhaftierung
erfolgten Denunziation durch den Aga geschehen sein könnte, sind nicht
ersichtlich; insbesondere kann dafür nicht etwa ein für den Kläger zu 1) noch
anstehender Wehrdienst bedeutsam gewesen sein, da er bereits in den Jahren
1976 und 1977 beim Militär gewesen war. Selbst wenn das Interesse des
türkischen Staates an der Person des Klägers in den gut dreieinhalb Jahren
zwischen dessen Flucht aus dem Gefängnis und der Ausreise nachgelassen haben
oder gar entfallen sein sollte - hierauf könnte die Ausstellung von Personalpapieren
auf seinen richtigen Namen, das ungehinderte Passieren der Grenzkontrolle und
der Umstand hindeuten, daß der Kläger zu 1) nicht aufgespürt worden war, obwohl
er sich überwiegend bei Verwandten seiner Mutter in einem nicht allzu weit vom
Heimatort entfernten Jezidendorf aufhielt, ferner das Fehlen genauer Angaben
dazu, in welchem zeitlichen Abstand vor der Ausreise zuletzt nach dem Kläger zu
1) gefragt worden ist --, so ändert dies nichts daran, daß der Kläger zu 1) jedenfalls
aufgrund der ihm bekannten Gegebenheiten begründet annehmen durfte, daß er
sich bei einem weiteren Verbleib in der Türkei in einer ausweglosen Lage befände.
Zumindest aus seiner berechtigten Sicht bestand damals - bei der insoweit
erforderlichen rückschauenden Betrachtung - auch keine Möglichkeit, in andere
Landesteile auszuweichen und dort vor Verfolgung hinreichend sicher zu sein (vgl.
BVerfG, 10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. --, BVerfGE 81, 58 = EZAR 203 Nr. 5).
Denn der Kläger zu 1) war nicht nur von der regional zuständigen Gendarmerie
sistiert und verhört, sondern in das Gefängnis von Mardin gebracht worden, und
deshalb mußte er davon ausgehen, daß nach seiner Flucht landesweit nach ihm
gesucht würde. Dem steht auch nicht entgegen, daß er mehrere Jahre in Yenice
untertauchen konnte, zumal der Kläger dort keine feste Unterkunft hatte, sondern
abwechselnd bei verschiedenen Angehörigen seiner Mutter lebte; im übrigen hielt
er sich seinen glaubhaften Angaben zufolge häufig nicht in dem betreffenden Dorf
auf, sondern hütete das Vieh in den Bergen.
63
64
65
66
b) Eine individuelle Vorverfolgung (auch) der Kläger zu 2) bis 5) hat der Senat
demgegenüber nicht festzustellen vermocht.
Soweit zur Begründung des Asylfolgeantrags hinsichtlich der Klägerin zu 2)
anwaltlich vorgetragen worden ist, diese sei nach der Flucht des Klägers zu 1) aus
dem Gefängnis selbst mehrfach verhaftet worden, um den Aufenthaltsort des
Klägers zu 1) in Erfahrung zu bringen, ist die Klägerin zu 2) hierauf bei ihren
eigenen Anhörungen bzw. Vernehmungen nicht zurückgekommen. Die Klägerin zu
2) hat darüber hinaus bei ihrer Vernehmung am 26. März 1991 ausdrücklich --
entgegen früheren Angaben bei der Vorprüfungsanhörung - bekundet, zu keinem
Zeitpunkt kurdischen Aktivisten Geld oder Essen gegeben zu haben. Der Senat
hält deshalb nur für glaubhaft, daß die Klägerin zu 2) von Soldaten aufgesucht,
nach dem Kläger zu 1) gefragt und geschlagen wurde und daß sie bei einer
solchen Gelegenheit einmal - es mag im Winter 1983/84 gewesen sein - die
Haustreppe hinabstürzte und sich den Fuß brach. Es kann dahinstehen, ob dieser
Sturz auf ein bewußtes Verhalten von Soldaten zurückzuführen war, wie die
Klägerin zu 2) geltend macht, oder ob es sich um einen Unfall handelte. Denn
jedenfalls würde es an der asylrechtlichen Zurechenbarkeit zum türkischen Staat
deshalb fehlen, weil die Klägerin zu 2), obwohl sie hierzu jedenfalls mit Hilfe von
Verwandten imstande und ihr dies zumutbar gewesen wäre, offenbar keine
Beschwerde an höherer Stelle geführt hat. Gleiches gilt auch für die ihr anläßlich
der Suche nach dem Kläger zu 1) ihren Angaben zufolge verabreichten Schläge,
soweit diese überhaupt von ihrer Intensität her als asylrelevante Eingriffe in die
körperliche Unversehrtheit qualifiziert werden konnten. Ebensowenig reichen die
völlig unsubstantiiert gebliebenen Angaben der Klägerin zu 2) bei der
Vorprüfungsanhörung, ihr sei nach dem Sturz eine Behandlung im Krankenhaus in
Midyat verwehrt worden, zur Annahme einer ihr widerfahrenen Vorverfolgung aus,
zumal die Klägerin zu 2) hierauf später nicht mehr zurückgekommen ist. Soweit
bei dem Sturz der Klägerin zu 2) und bei anderen Gelegenheiten auch der Vater
des Klägers zu 1) Opfer von Übergriffen türkischer Soldaten gewesen sein soll,
können jedenfalls die Kläger zu 2) bis 5) daraus keine eigene Vorverfolgung
herleiten, weil sie - abgesehen von der Frage der Eingriffsintensität, der
Zurechenbarkeit und der an asylrelevante Merkmale anknüpfenden
Zielgerichtetheit - hiervon nicht selbst betroffen waren und auch nicht hinreichend
substantiiert dargetan ist, daß ihnen vergleichbare Beeinträchtigungen seinerzeit
unmittelbar drohten.
Soweit die Klägerin zu 2) geschildert hat, anläßlich eines Besuchsaufenthalts bei
ihren Schwiegereltern in, der zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt --
möglicherweise im Jahre 1984 - stattgefunden habe, Opfer eines
Entführungsversuchs geworden zu sein, ist dies zur Überzeugung des Senats
glaubhaft. Gewisse Ungereimtheiten hinsichtlich der Anzahl der Täter - laut
Vorprüfungsanhörung sollen es vier, laut Vernehmung durch den Berichterstatter
des Senats wohl nur drei gewesen sein - mögen auf sich beruhen. Denn
ungeachtet dessen kann jedenfalls eine asylrechtliche Verantwortlichkeit des
türkischen Staates nicht angenommen werden, weil die Klägerin zu 2) bei der
Vernehmung am 26. März 1991 nicht sicher sagen konnte, ob überhaupt Anzeige
erstattet worden ist; und dies wäre durchaus möglich gewesen, zumal der
Entführungsversuch letztlich fehlgeschlagen war und außer der Klägerin zu 2)
selbst genügend andere Angehörige in der Region lebten, die staatliche Stellen
hätten einschalten können. Außerdem kann aufgrund der bei der
Vorprüfungsanhörung von der Klägerin zu 2) gemachten Angabe, die erstattete
Anzeige habe nichts erbracht, für den Fall, daß man von einer Anzeigeerstattung
einmal ausgeht, ein Fehlverhalten staatlicher Stellen nicht festgestellt werden,
zumal der Klägerin zu 2) die Täter unbekannt waren und Ermittlungen demzufolge
möglicherweise von vornherein als aussichtslos erscheinen mußten.
Was schließlich das Vorbringen angeht, die Klägerin zu 2) und ganz allgemein die
jezidischen Frauen hätten außerhalb des Dorfes grüne bzw. blaue Kleidung tragen
müssen, um nicht als Jezidinnen erkannt zu werden, fehlt es schon an einem
asylrelevanten Eingriff in das sog. religiöse Existenzminimum (vgl. oben unter B I.
3.). Denn den Jeziden ist nach dem "Schwarzen Buch" nur untersagt, dunkel- bzw.
schwarzblaue Kleidung zu tragen (I. 42.; I. 47.), und über den gemeinten Blauton
bestehen überdies unterschiedliche Auffassungen, und deshalb kann die
betreffende Taburegel in der Praxis kaum eingehalten werden (I. 47.) und wird das
Tragen blauer Kleidungsstücke jedenfalls nicht als Sünde angesehen (I. 41., S. 8
f.).
67
68
69
Hinsichtlich der Kläger zu 3) bis 5) sind eigene Asylgründe weder vorgetragen noch
sonst ersichtlich. Insbesondere waren diese bei der Ausreise im Juni 1985
offensichtlich noch nicht schulpflichtig, und konnten sie schon deshalb nicht von
durch die Ausgestaltung des Religionsunterrichts bedingten Eingriffen damals
betroffen sein. Die Schulpflicht beginnt in der Türkei nämlich nach Vollendung des
6. Lebensjahres (V. 2., S. 534; V. 3.; V. 4.), und der als Pflichtfach erteilte
Religionsunterricht setzt erst zu Beginn des 4. Grundschuljahres (V. 9., S. 239 u.
246; V. 10., S. 22), also frühestens nach Vollendung des 9. Lebensjahres ein. Die
Klägerin zu 3) war im Zeitpunkt ihrer Ausreise noch nicht einmal 6 Jahre alt, die
Kläger zu 4) und 5) waren noch jünger, und daher kann auch nicht angenommen
werden, daß ihr bzw. ihnen an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfende Verfolgung
im Zusammenhang mit dem Religionsunterricht damals schon unmittelbar drohte.
5. War danach der Kläger zu 1) vor seiner Ausreise aus der Türkei im Juni 1985
politisch verfolgt, so ist ihm eine Rückkehr schon dann nicht zumutbar, wenn eine
Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. --,
BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Erst recht kann ihm - ebenso wie den
unverfolgt ausgereisten Klägern zu 2) bis 5) - eine Asylanerkennung dann nicht
versagt werden, wenn selbst bei Anlegung des "normalen"
Wahrscheinlichkeitsmaßstabs (vgl. BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80 --, EZAR 200
Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096, 25.09.1984 - 9 C 17.84 --, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200
Nr. 12, 03.12.1985 - 9 C 22.85 --, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760, 27.06.1989 -
9 C 1.89 --, BVerwGE 82, 171 = EZAR 200 Nr. 25) mit Verfolgung zu rechnen ist.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, daß den Klägern bei einer Rückkehr in
ihre angestammte Heimat nach der derzeitigen Sachlage mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung als Angehörigen der nunmehr kollektiv
verfolgten Gruppe der Jeziden droht, der sie auch nicht in andere Landesteile
zumutbar ausweichen können.
Die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen belegen nämlich zur
Überzeugung des Senats, daß sich die Situation der Jeziden in der Türkei in den
letzten Jahren so negativ entwickelt hat, daß jedenfalls für den heutigen Zeitpunkt
davon ausgegangen werden muß, daß kein Jezide, der sich seiner
Glaubensgemeinschaft verbunden fühlt und ihren Traditionen gemäß leben will,
unverfolgt bleibt. In ihren angestammten Siedlungsgebieten sehen sich die
ohnehin nur noch in geringer Zahl verbliebenen Jeziden Übergriffen und
Maßnahmen ausgesetzt, die sich als asylrelevante Verfolgung darstellen (a).
Anhaltspunkte dafür, daß die Kläger von dieser Verfolgung im Falle ihrer jetzigen
Rückkehr in ihr Heimatdorf oder in dessen Umgebung nicht betroffen würden, sind
nicht ersichtlich (b). Andere Regionen des Landes oder die Großstädte der
Westtürkei kommen als inländische Fluchtalternative gegenwärtig nicht in Betracht
(c). Des weiteren handelt es sich hierbei infolge der zwischenzeitlichen
Veränderung der Verhältnisse um einen objektiven und damit auf jeden Fall
beachtlichen Nachfluchttatbestand (d). In die in diesem Zusammenhang
getroffene Prognoseentscheidung hat der Senat nicht nur solche Maßnahmen
einbezogen, die von Dritten - insbesondere von muslimischen Kurden, in den
Heimatregionen der Jeziden an der Spitze von den Agas (I. 9.; I. 10., S. 21; I. 11.; I.
24.; I. 55., S. 6 f.) - ausgehen und denen gegenüber der türkische Staat die Jeziden
nicht mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln schützt mit der Folge, daß sie ihm
asylrechtlich zuzurechnen sind (ebenso VGH Baden-Württemberg, 10.05.1990 - A
12 S 200/90 --, InfAuslR 1990, 356, u. 10.01.1991 - A 12 S 635/89 --, sowie OVG
Rheinland-Pfalz, 06.07.1988 - 13 A 225/87 --; a. A. OVG Nordrhein-Westfalen,
28.02.1989 - 18 A 10362/86 --); vielmehr findet eine vom Staat zu verantwortende
Diskriminierung der Jeziden ebenso entweder durch staatliches Handeln
unmittelbar oder dadurch statt, daß der Staat die Unterdrückung der Jeziden durch
muslimische Kurden bewußt für die Verfolgung eigener politischer Ziele
einkalkuliert und ausnutzt. Diese Verfolgungsmaßnahmen überschreiten je für sich
von ihrer Intensität und Schwere her die Grenze zur Asylrelevanz, und der Senat
ist zu der Überzeugung gelangt, daß jetzt zurückkehrende Jeziden mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit durch eine oder mehrere dieser Maßnahmen getroffen werden
(vgl. zum Überzeugungsmaßstab BVerwG, 27.06.1989 - 9 C 1.89 --, BVerwGE 82,
171 = EZAR 200 Nr. 25) mit der Folge, daß gläubigen Jeziden nirgends in der
Türkei der Lebensraum verbleibt, der dem einzelnen eine angemessene Existenz
und damit ihnen als Gruppe das Überleben als religiöse Minderheit ermöglichen
könnte. Bei dieser Einschätzung hat der Senat darauf Bedacht genommen, daß
eine spezifisch asylrechtliche Gefährdungslage auch dann vorliegen kann - und
hier vorliegt --, wenn sie sich nicht ohne weiteres als Erscheinungsform politischer
70
71
72
73
hier vorliegt --, wenn sie sich nicht ohne weiteres als Erscheinungsform politischer
Verfolgung mit herkömmlichen heuristischen Begriffen erfassen läßt (vgl. BVerfG,
23.01.1991 -- 2 BvR 902/85 u. a. --, EZAR 202 Nr. 20 = DVBl. 1991, 531).
a) Dafür, daß die Jeziden in ihren angestammten Siedlungsgebieten jedenfalls
heute einer asylrelevanten Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, sprechen bereits
die oben - unter B I. 3. b - gewonnenen Erkenntnisse. Hinzu kommen staatliche
Anordnungen und Maßnahmen, die - mögen sie von ihrem Wortlaut her auch
neutral gefaßt sein und sich an alle Bewohner der Region richten - gerade die
allgemeine Lebenssituation der Jeziden in ihren angestammten Dörfern so
verschlechtern, daß die Vertreibung weiter gefördert wird; dies gilt etwa, wie
ebenfalls oben - unter B I. 3. a - schon angesprochen wurde, für die staatlichen
Aufforstungsprogramme, durch die zusätzliche Ländereien ihrer Nutzung in
traditioneller Form als Weideland entzogen werden (I. 17.; I. 18., S. 13 f.; I. 24.; I.
30. - b --, S. 72 f.; I. 55., S. 5 f.; I. 56., S. 8 f.), und für die Umsiedlungsaktionen in
zentrale Staatsfarmen oder zentrale Dörfer (I. 30. - b --, S. 2 u. 59; I. 49.) sowie für
die Übertragung der Aufgaben der Dorfmiliz an die örtlichen Agas und deren
Leute, die für die Jeziden zur Folge hat, daß gerade diejenigen Personen vor Ort -
ausgestattet mit Waffen - eine hoheitliche Stellung bekleiden, gegen die sie Schutz
bei staatlichen Stellen zu erlangen suchen (I. 30. - b --, S. 2 u. 33 f.; I. 37., S. 9; I.
56., S. 8). Auch die für jezidische Schulkinder in religiöser Hinsicht
einschneidenden Konsequenzen der 1982 bis 1985 erfolgten Neuorganisation des
Religionsunterrichts wurden bereits oben - unter B I. 3. a - dargelegt. Die negative
Einstellung staatlicher türkischer Stellen gegenüber Jeziden wird im übrigen daraus
deutlich, daß ihnen der Zugang zu höheren Bildungsschichten verschlossen ist (I.
14.; I. 17.; I. 28.); ob überhaupt irgendwo in der Türkei Jeziden in der öffentlichen
Verwaltung tätig sind, ist nicht feststellbar (I. 38.; I. 55., S. 10). Auch das
Auswärtige Amt räumt inzwischen ein, daß der Akademikeranteil erheblich
niedriger als in der islamischen, armenischen oder griechischen Bevölkerung ist (I.
59.). Des weiteren wird der Bau von Moscheen in Jezidendörfern schon dann
veranlaßt, wenn (noch) gar keine Muslime im Ort wohnen (I. 28.; I. 30. - b --, S. 2; I.
37., S. 7).
All den im einzelnen festgestellten Übergriffen Dritter auf Jeziden wohnt ebenso wie
den staatlichen Maßnahmen bzw. dem bewußten Unterlassen von
Schutzmaßnahmen zugunsten von Jeziden auch die für die Bejahung der
Asylrelevanz notwendige Zielgerichtetheit (vgl. BVerfG, 20.12.1989 - 2 BvR 958/86
--, BVerfGE 81, 142 = EZAR 200 Nr. 26) inne, d. h., die handelnden Personen
knüpfen auf Seiten der Betroffenen maßgeblich an deren Zugehörigkeit zur
Religionsgemeinschaft der Jeziden und damit an ein asylerhebliches Merkmal an
(vgl. auch VGH Baden-Württemberg, 10.05.1990 - A 12 S 200/90 --, InfAuslR 1990,
356; OVG Rheinland-Pfalz, 06.07.1988 - 13 A 225/87 --). Vor allem wird mit diesen
Handlungen der grundsätzlichen Mißachtung der jezidischen Religion durch den
Islam Ausdruck verliehen; sie erfolgen in dem Bewußtsein, daß Jeziden keinerlei
Rechte haben und man deswegen ohne Bedenken gegen sie vorgehen darf (I. 9.; I.
10., S. 8 ff.; I. 14.; I. 17.; I. 18., S. 10 u. 15; I. 24.; I. 37., S. 4; I. 55., S. 7).
b) Die aufgrund der danach derzeit gegebenen Gruppenverfolgung der Jeziden in
ihren angestammten Siedlungsgebieten für jeden Angehörigen dieser
Religionsgemeinschaft streitende Verfolgungsvermutung ist für die Kläger heute --
anders als noch zum Zeitpunkt ihrer Ausreise - nicht mehr zu widerlegen. Seither
hat sich die Situation in ihrem Heimatdorf nämlich grundlegend verändert.
Außerdem ist der Senat auch davon überzeugt, daß es sich bei den Klägern um
gläubige und den Traditionen ihrer Glaubensgemeinschaft gemäß lebende Jeziden
handelt.
Aufgrund der Beweisaufnahme im vorliegenden Verfahren und der sonst
vorliegenden Erkenntnisquellen (vgl. I. 54., I. 61.) steht für den Senat fest, daß in,
das zur Zeit der Ausreise der Kläger noch über eine völlig intakte
Bevölkerungsstruktur verfügte, etwa ein bis zwei Jahre später - also zwischen Mitte
1986 und Mitte 1987 - aufgrund stetiger Abwanderung nur noch zehn jezidische
(Rest-)Familien lebten, die vorwiegend aus älteren Leuten bestanden, und daß
diese - darunter auch die Eltern des Klägers zu 1) - schließlich ebenfalls, und zwar
wohl in etwa gleichzeitig, ausgereist sind. Seither ist das Dorf vollständig von
Jeziden verlassen. Lediglich in einem zwei Kilometer entfernten Nachbardorf leben
noch etwa 20 jezidische Restfamilien, wobei es sich jeweils um sehr alte Leute
handelt, die dort ihren Lebensabend verbringen. Haus und Land der Familie des
Klägers zu 1) in, die unverkäuflich waren, dürften zwischenzeitlich von Muslimen
aus umliegenden Dörfern übernommen worden sein, soweit sie nicht verfallen sind
74
75
76
77
aus umliegenden Dörfern übernommen worden sein, soweit sie nicht verfallen sind
bzw. brachliegen. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, daß
die den Klägern im Rückkehrfalle zugute kommende Verfolgungsvermutung
gegenwärtig zu widerlegen ist. Sie können, zumal nähere Verwandte -
insbesondere die Eltern und sämtliche Geschwister der Kläger zu 1) und 2) - nicht
mehr in der Türkei leben, auch nicht innerhalb ihrer Heimatregion in ein anderes
ursprünglich von Jeziden bewohntes Dorf ausweichen, weil sich die Lage dort
ähnlich darstellt, denn Dörfer mit stärkerem jezidischem Bevölkerungsanteil gibt
es in den angestammten Siedlungsgebieten praktisch keine mehr (I. 14.; I. 28.; I.
30. - b --, S. 76 f.; I. 37., S. 5 f.; I. 41., S. 7; I. 55., S. 7; I. 60., S. 8; I. 61.).
Ebensowenig können die Kläger darauf verwiesen werden, wieder - wie schon die
Kläger zu 2) bis 5) vor ihrer (letzten) Ausreise - in der Stadt Wohnung zu nehmen,
denn das dortige Haus der Familie, welches in einer von Christen bewohnten
Gegend lag, wurde den Angaben des Klägers zu 1) bei der Vorprüfungsanhörung
zufolge nach der Ausreise von Muslimen in Besitz genommen, nachdem diese die
Brüder des Klägers zu 1) daraus vertrieben hatten.
Für die Kläger kann auch nicht etwa mit der Erwägung die Verfolgungsvermutung
als widerlegt angesehen werden, daß es sich bei ihnen gar nicht um gläubige
Jeziden handle. Vielmehr ist der Senat der Überzeugung, daß die Kläger aus ihrem
traditionellen Glauben und Brauchtum verhafteten jezidischen Familien stammen
bzw. eine solche Familie bilden und daß sie auch selbst im Rahmen der ihnen
eröffneten tatsächlichen Möglichkeiten danach leben. In diesem Zusammenhang
sei nur erwähnt, daß der Heimatort Oyuklu der Kläger als ehemals reines
Jezidendorf bekannt ist (vgl. I. 15.; I. 49.; I. 52. (Anlage); I. 54.; I. 61.) und daß auch
sonst - nicht zuletzt aufgrund der ausdrücklichen Eintragung der
Religionszugehörigkeit "Yezidi" in dem früheren Nüfus des Klägers zu 1) - Zweifel
an der ernsthaften Zugehörigkeit der Kläger zur religiösen Minderheit der Jeziden
zu keiner Zeit während des Asyl(folge)verfahrens aufgetreten sind. Anhaltspunkte
dafür, daß die Kläger sich von den überlieferten Bräuchen in nicht nur
unbedeutenden Einzelpunkten abgewandt hätten oder daß sie bereit wären, ihren
Glauben zu verleugnen und letztlich aufzugeben, vermochte der Senat nicht
festzustellen.
c) Nach Überzeugung des Senats wären die Kläger in der Türkei auch nicht
außerhalb der angestammten Siedlungsgebiete der Jeziden - etwa in einer der
Großstädte der Westtürkei, insbesondere in Istanbul - vor politischer Verfolgung
hinreichend sicher, und deshalb können sie auch nicht auf andere Landesteile als
inländische Fluchtalternative verwiesen werden.
Allerdings ist, wer von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen ist, erst dann
politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn er dadurch
landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird, wenn er also in anderen Teilen
seines Heimatstaates eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann. Eine derartige
inländische Fluchtalternative besteht, wenn der Betroffene in den in Betracht
kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm
jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer
Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus
politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am
Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR 502/86 u. a. --,
BVerfGE 80, 315 = EZAR 201 Nr. 20, u. 10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. --,
BVerfGE 81, 58 = EZAR 203 Nr. 5; BVerwG, 15.01.1991 - 9 C 82.89 --). Ist jemand
vor einer regionalen, an seine Religionszugehörigkeit anknüpfenden politischen
Verfolgung geflohen, so ist er am Ort einer in Betracht kommenden
Fluchtalternative dann nicht hinreichend sicher vor politischer Verfolgung, wenn der
Staat ihn durch eigene Maßnahmen daran hindert, das religiöse Existenzminimum
zu wahren; entsprechendes gilt, wenn die dort ansässige Bevölkerung die Wahrung
des religiösen Existenzminimums durch aktives, mit dem für alle geltenden Recht
unvereinbares Handeln unmöglich macht, ohne daß der Staat die nach seiner
Rechtsordnung hiergegen allgemein in Betracht kommenden Maßnahmen ergreift
(BVerfG, 10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. --, a.a.O.). An einer zumutbaren
inländischen Fluchtalternative fehlt es dann, wenn sich ein Asylbewerber den an
dem betreffenden Ort drohenden existentiellen Nachteilen und Gefahren nur durch
Aufgabe einer das religiöse Existenzminimum wahrenden Lebensweise entziehen
könnte (vgl. BVerfG, 08.11.1990 - 2 BvR 945/90 --).
Gegenwärtig besteht für Jeziden außerhalb ihrer angestammten Siedlungsgebiete
keine inländische Fluchtalternative. Auch dort gerieten sie nämlich in eine
ausweglose Lage, zumal eine Chance zur Sicherung der Existenz jetzt überall in
78
79
80
ausweglose Lage, zumal eine Chance zur Sicherung der Existenz jetzt überall in
der Türkei nur noch für diejenigen Jeziden besteht, die zur Verleugnung und damit
längerfristig zur Aufgabe ihres Glaubens bereit sind (so auch VGH Baden-
Württemberg, 10.05.1990 - A 12 S 200/90 --, InfAuslR 1990, 356, 17.05.1990 - A 12
S 533/90 --, 22.11.1990 - A 12 S 915/89 - u. 10.01.1991 -- A 12 S 635/89 --; OVG
Rheinland-Pfalz, 09.03.1988 - 12 A 202/87 - u. 06.07.1988 - 13 A 225/87 --; a. A.
Bay. VGH, 25.03.1987 - 11 B 84 C. 150 --; OVG Nordrhein-Westfalen, 01.08.1989 -
18 A 10020/88 --).
Hinsichtlich der Situation der Jeziden außerhalb ihrer Hauptsiedlungsgebiete ist
davon auszugehen, daß insbesondere in Istanbul keine nennenswerte Zahl von
ihnen lebt (I. 37., S. 13; I. 41., S. 2; I. 55., S. 8; I. 63.), sondern höchstens
Einzelpersonen. Die Zahlenangaben des Auswärtiges Amtes von 40.000 und mehr
haben sich als gegenstandslos erwiesen (I. 38.; I. 59.); selbst die von Schnoor
genannte Zahl von 2.000 (I. 60., S. 5) für Istanbul ist zu hoch gegriffen, denn die
Delegation hat praktisch keinen Kontakt mit Jeziden dort gehabt, wodurch dies
hätte verifiziert werden können (I. 55., S. 8; I. 60., S. 13). Insbesondere ist nichts
dafür ersichtlich, daß sich Sheikhs oder Pirs dort aufhalten (I. 23., S. 22 f.). Es mag
sein, daß Jeziden in Istanbul - abgesehen von der Gestaltung des
Religionsunterrichts - keine direkten staatlichen Maßnahmen zu befürchten haben
(I. 22.). Gleichwohl wird dem Jeziden, der bewußt nach seiner Religion leben will,
dies dort nicht gelingen; eine Überlebenschance hat vielmehr nur, wer seine
religiöse Existenz verloren gibt (I. 18., S. 18 f.; I. 21.; I. 30. - b --, S. 82). Zum einen
fehlen die für die religiöse Betreuung notwendigen Geistlichen; zum anderen ist es
praktisch nicht möglich, den die Religion eigentlich ausmachenden archaischen
Gruppenzusammenhalt zu finden (I. 18., S. 14 f.), zumal die Jeziden nur eine
angeborene, nicht eine erworbene religiöse Identität haben (I. 1., S. 808; I. 10., S. 3
f.; I. 14.). "Gemeinde" ist unabdingbare Voraussetzung für "Jezide sein"; ohne
"Gemeinde", die voraussetzt, daß sich neun mündige Erwachsene
zusammenfinden, ist die Existenz als Jezide suspendiert (I. 30. - b --, S. 3, 13 u.
82). Hinzu kommen die besonderen Begräbnisbräuche (I. 30. - b --, S. 14 f. u. 83
ff.; I. 55., S. 9). Sobald ein Jezide sich als solcher zu erkennen gibt, wird es ihm
darüber hinaus nicht gelingen, sich eine Existenzgrundlage aufzubauen (I. 11.; I.
21.; I. 30. - b --, S. 113). Wegen der bereits aufgezeigten Einstellung des Islam
gegenüber dieser religiösen Minderheit kann es ein muslimischer Arbeitgeber nicht
verantworten, neben Muslimen Jeziden arbeiten zu lassen (I. 9.; I. 10., S. 24; I. 18.,
S. 18; I. 24.; I. 28.; I. 37., S. 13); daß dies so ist, wird für "Einzelfälle" auch vom
Auswärtigen Amt als möglich angesehen (I. 31.). Wird die wahre
Religionszugehörigkeit eines Jeziden entdeckt - etwa dadurch, daß er bestimmte
Tabuvorschriften respektiert (I. 30. - b --, S. 82) --, verliert er seinen Arbeitsplatz,
weil er den Arbeitsfrieden stört (I. 18., S. 18; I. 30. - b --, S. 82), bzw. ist die
Existenzgrundlage als Geschäftsmann entzogen (I. 24.; I. 56., S. 45; I. 59.).
Ohnehin ist es für einen gläubigen Jeziden schwierig, bei der Suche nach Arbeit die
Religion zu verleugnen, denn vor der Einstellung muß der Nüfus vorgelegt werden
(I. 21.; I. 24.; I. 31.; I. 49.). In diesem ist eine Spalte für "Religionszugehörigkeit"
vorgesehen; bei Nichtmuslimen ist entweder deren Religion ausdrücklich
eingetragen, oder es finden sich Striche bzw. Kreuze (I. 16.; I. 24.; I. 30. - b --, S.
113; I. 49.; I. 59.). Die genannten Schwierigkeiten treten auch dann auf, wenn man
entsprechend einem Schreiben des Amtes für religiöse Angelegenheiten annimmt,
daß für solche Jeziden, die damit einverstanden sind, in die für das
Glaubensbekenntnis bestimmte Spalte des Nüfus "Muslim" eingetragen wird
(Anlage zu I. 63.); denn aus dem Textzusammenhang dieses Schreibens ergibt
sich, daß von einer solchen Person dann angenommen wird, sie "sei dem
islamischen Glauben treu geblieben", was sich aber wiederum mit dem
Selbstverständnis der Jeziden und bestimmten Tabus nicht vereinbaren läßt. Denn
auch dem "takkiyeh" - d. h. der Verleugnung des Glaubens - sind bestimmte
Grenzen gesetzt, die ein solches Verhalten auf Dauer unmöglich machen, ohne
vom Glauben abtrünnig zu werden (I. 30. - b --, S. 3; I. 55., S. 9).
Die vorstehend aufgezeigten Beeinträchtigungen sind auch außerhalb der
angestammten Siedlungsgebiete der Jeziden auf ein aktives Tun entweder des
Staates oder der ihnen gegenüber feindlich eingestellten muslimischen Umgebung
zurückzuführen, was dem türkischen Staat, wie oben - unter B I. 3. b) -- dargelegt,
zuzurechnen ist. Dadurch werden die Jeziden in anderen Landesteilen ebenso wie
in ihrer Heimatregion gehindert, dasjenige Maß an Zusammenhalt in
Religionsfamilien zu finden, welches sie zur Wahrung ihres religiösen
Existenzminimums benötigen (vgl. BVerwG, 15.01.1991 - 9 C 82.89 --).
Die Kläger sind zur Überzeugung des Senats, wie ebenfalls oben - unter B I. 5. b) -
80
81
Die Kläger sind zur Überzeugung des Senats, wie ebenfalls oben - unter B I. 5. b) -
ausgeführt wurde, gläubige Jeziden mit der Folge, daß ihnen im Rückkehrfalle auch
außerhalb der angestammten Siedlungsgebiete der Jeziden politische Verfolgung
wegen ihrer Religionszugehörigkeit drohen würde. Insbesondere wären die Kläger in
Istanbul nicht hinreichend sicher, zumal sie dort wie auch in der übrigen Türkei
über keinen familiären oder sonstigen sozialen Rückhalt verfügen; bereits anläßlich
ihrer Ausreise hielten die Kläger sich dort nur drei oder vier Tage in einem Hotel
auf.
d) Auch wenn die Kläger zu 2) bis 5) unverfolgt ausgereist sind und sich die ihnen
im Rückkehrfalle drohende Verfolgung mithin als sog. Nachfluchttatbestand
darstellt, fehlt es auch in Bezug auf sie nicht an der Asylrelevanz. Zwar setzt das
Asylgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 --, BVerfGE 72, 51 =
EZAR 200 Nr. 18, 17.11.1988 - 2 BvR 442/88 --, InfAuslR 1989, 31, u. 08.03.1989 -
2 BvR 627/87 --, BayVBl. 1989, 561) von seinem Tatbestand her grundsätzlich den
Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus und kann deshalb
grundsätzlich nicht auf sog. subjektive Nachfluchttatbestände erstreckt werden,
die der Asylbewerber risikolos vom gesicherten Ort aus durch eigenes Tun
geschaffen hat; etwas anderes gelte - als allgemeine Leitlinie - nur dann, wenn die
selbst geschaffenen Nachfluchttatbestände sich als Ausdruck und Fortführung
einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar
betätigten Überzeugung darstellten. Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum zwar
vorwiegend auf Kritik gestoßen (vgl. u. a. Brunn, NvwZ 1987, 301; J. Hofmann, ZAR
1987, 115, und DÖV 1987, 491; R. Hofmann, NVwZ 1987, 295; Huber, NVwZ 1987,
391; Kimminich, JZ 1987, 194; Wolff, InfAuslR 1987, 60; Wollenschläger/Becker, ZAR
1987, 51). Dennoch hat sich das Bundesverwaltungsgericht ihr zwischenzeitlich
unter Hinweis auf die seiner Ansicht nach insoweit bestehende Bindungswirkung
gemäß § 31 BVerfGG angeschlossen und ausgeführt, seine frühere
Rechtsprechung zu den subjektiven Nachfluchttatbeständen sei überholt und die
Vorschrift des § 1a AsylVfG laufe für solche Nachfluchttatbestände leer, die nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon vom
Anwendungsbereich des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ausgeschlossen seien, und
regele für die beachtlichen Nachfluchttatbestände darüber hinaus, daß bestimmte,
ihre Herbeiführung betreffende Umstände bei der Asylentscheidung außer
Betracht zu bleiben hätten (BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 --, BVerwGE 77, 258
= EZAR 200 NR. 19, 20.10.1987 - 9 C 147.86 --, 20.10.1987 - 9 C 42.87 --, InfAuslR
1988, 22, 22.06.1988 - 9 B 65.88 --, InfAuslR 1988, 255, u. - 9 B 189.88 --, InfAuslR
1988, 254, sowie 06.12.1988 -- 9 C 91.87 --, InfAuslR 1989, 135). Außerdem hat
das Bundesverwaltungsgericht die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten
Grundsätze im Hinblick auf weitere Fallgruppen selbstgeschaffener
Nachfluchttatbestände präzisiert - etwa bezüglich der Asylantragstellung
(30.08.1988 - 9 C 80.87 --, InfAuslR 1988, 337, 30.08.1988 - 9 C 20.88 --, InfAuslR
1989, 32, 25.10.1988 - 9 C 50.87 --, InfAuslR 1989, 173, 17.01.1989 - 9 C 56.88 --,
BVerwGE 81, 170 = EZAR 200 Nr. 23, u. 11.04.1989 - 9 C 53.88 --) sowie bezüglich
sog. aktiver oder passiver Republikflucht (vgl. einerseits 06.12.1988 - 9 C 22.88 --,
InfAuslR 1989, 169, andererseits 21.06.1988 - 9 C 5.88 --, EZAR 201 Nr. 14 =
NVwZ 1989, 68) - und dabei entschieden, daß auch eine wegen dieser
Verhaltensweisen im Rückkehrfalle drohende politische Verfolgung wie ein
selbstgeschaffener Nachfluchtgrund zu behandeln und deshalb asylrechtlich
unbeachtlich sei, wenn der Ausländer sich nicht bereits im Zeitpunkt seines
diesbezüglichen Verhaltens in einer politisch bedingten Zwangslage befunden
habe, als deren Erscheinungsform sich eine "latente Gefährdungslage" darstelle, in
der keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung bestanden habe. Der Senat hat
zur Frage der Asylerheblichkeit selbstgeschaffener Nachfluchttatbestände ebenso
wie zu der einer möglichen Bindung an die betreffende Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (kritisch hierzu VGH Baden-Württemberg, 19.11.1987 -
A 12 S 761/86 --, NVwZ-RR 1989, 46) bisher noch nicht grundsätzlich Stellung
genommen. Der vorliegende Fall bietet ebenfalls keine Veranlassung für eine
diesbezügliche Grundsatzentscheidung. Denn es fehlt schon an der vom
Bundesverfassungsgericht zugrunde gelegten Ausgangssituation, daß der
Asylbewerber den Nachfluchttatbestand risikolos vom gesicherten Ort aus durch
eigenes Tun geschaffen hat; die den Asylanspruch der Kläger zu 2) bis 5)
begründenden Umstände sind nämlich nicht von ihnen selbst herbeigeführt
worden, sondern allein dadurch entstanden, daß nach der Ausreise der Kläger die
meisten Jeziden aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten - auch und gerade
aus ihrem Heimatdorf Oyuklu - abgewandert und nach Westeuropa gekommen
sind und sich die Situation der in der Türkei verbliebenen wenigen Jeziden dadurch
wesentlich verändert darstellt (vgl. oben unter B I. 5. a u. b). Insofern liegt -
82
83
84
85
wesentlich verändert darstellt (vgl. oben unter B I. 5. a u. b). Insofern liegt -
bezogen auf die Kläger zu 2) bis 5) - hier ein objektiver Nachfluchttatbestand vor,
dem Asylrelevanz zukommt (vgl. BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 --, a.a.O.,
17.11.1988 - 2 BvR 442/88 --, a.a.O., u. 08.03.1989 - 2 BvR 627/87 --, a.a.O.).
6. Demgegenüber konnte sich Senat nicht die Überzeugung verschaffen, daß in
Bezug auf den vorverfolgten Kläger zu 1) eine Wiederholung individueller
Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist (a) bzw. daß der unverfolgt ausgereisten Klägerin zu 2) im
Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche (Einzel-
)Verfolgung droht (b). Dagegen ist eine derartige Verfolgung der Klägerin zu 3) -
nicht jedoch der Kläger zu 4) und 5) - nach ihrer Rückkehr beachtlich
wahrscheinlich (c).
a) Was den Kläger zu 1) angeht, für den in Anbetracht seiner Vorverfolgung bei der
jetzt anzustellenden Prognose der "herabgeminderte" Wahrscheinlichkeitsmaßstab
anzulegen ist, fehlt jeder Anhalt dafür, daß in Zusammenhang mit der früher
erfolgten Inhaftierung oder sonst wegen Eintretens für die kurdische Sache bei
einer jetzigen Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen sein könnten. Zwar
kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Kläger zu 1) im Zeitpunkt seiner
Ausreise noch gesucht wurde, nachdem er aufgrund einer Denunziation des Aga
im September/Oktober 1981 ca. einen Monat lang inhaftiert und ihm die Flucht
gelungen war; indessen deuten einige Umstände darauf hin, daß schon bei der
Ausreise im Juni 1985 das Interesse des türkischen Staates an der Person des
Klägers zu 1) nachgelassen haben oder gar entfallen gewesen sein könnte (vgl.
dazu im einzelnen oben unter B I. 4. a). Jedenfalls hat der Kläger auf
ausdrückliches Befragen bei seiner Vernehmung am #6. März 1991 konkrete
Anhaltspunkte dafür, daß er in der Türkei noch immer gesucht werde, nicht nennen
können und darauf hingewiesen, daß jedenfalls der Aga gegenwärtig nicht nach
ihm suche, weil ihm sein hiesiger Aufenthalt bekannt sei. Im Hinblick darauf, daß
seit der Flucht des Klägers aus dem Gefängnis zwischenzeitlich fast zehn Jahre
vergangen sind, daß der Kläger zu 1) seinen eigenen Bekundungen bei der
vorgenannten Vernehmung zufolge zu keiner Zeit politisch tätig war und auch zu
keiner Zeit kurdischen Aktivisten Unterstützung gewährt hat, kann jedenfalls für
den Fall einer Rückkehr des Klägers zu 1), sofern er seinen Aufenthalt außerhalb
seiner früheren Heimatregion nähme und deshalb dem Aga nicht auffiele,
hinreichend sicher ausgeschlossen werden, daß es nochmals zu gegen ihn
gerichteten Verfolgungsmaßnahmen käme. Bei alledem kann offenbleiben, welche
türkischen Strafbestimmungen auf den Kläger zu 1) dann Anwendung fänden und
ob es sich hierbei um politische Verfolgung i. S. d. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG
handeln würde (vgl. zu Art. 8 Abs. 1 des sog. Anti-Terror-Gesetzes - Nr. 3713 -
vom 12.04.1991 etwa Hess. VGH, 13.05.1991 -- 12 OE 350/82 --).
b) Ebensowenig konnte sich der Senat die Überzeugung verschaffen, daß der
unverfolgt ausgereisten Klägerin zu 2) bei einer jetzigen Rückkehr mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit asylrelevante (Einzel-)Verfolgung in Form ihrer Entführung und
anschließenden Zwangsbekehrung zum Islam droht.
Allerdings ist davon auszugehen, daß für eine jetzt aus dem Ausland allein
zurückkehrende Jezidin jüngeren oder mittleren Alters, die in der Türkei über
keinen familiären oder sozialen Rückhalt (mehr) verfügt und die demzufolge eine
ausreichende materielle Lebensgrundlage nicht zu erreichen vermag, beachtlich
wahrscheinlich ist, Opfer von Übergriffen Andersgläubiger, und zwar insbesondere
von Entführungen durch muslimische Männer, zu werden. Hiergegen können sich
solche Jezidinnen, die nicht in materiell gesicherten Verhältnissen leben und über
keine verwandtschaftlichen oder sonstigen gesellschaftlichen Anknüpfungspunkte
verfügen, regelmäßig nicht wirksam schützen. Sie sind nämlich, da der Sozialhilfe
vergleichbare staatliche Leistungen in der Türkei nicht gewährt werden (V. 12.; V.
14.; V. 15.; V. 16.), darauf angewiesen, sich nach ihrer Rückkehr allein - also ohne
den Schutz eines männlichen Begleiters -- in der Türkei zu bewegen, um
möglicherweise eine Unterkunft und eine Arbeitsstelle zu erlangen und die sonst
anfallenden lebensnotwendigen Besorgungen zu erledigen (vgl. zu den
besonderen Problemen der Flüchtlingsfrauen auch den Beschluß Nr. 39 (XXXVI)
des Exekutiv-Komitees für das Programm des UNHCR von 1985 und Gebauer, ZAR
1988, 120). Ohne Kontaktaufnahme mit anderen Menschen werden
entsprechende Bemühungen selbstverständlich keinen Erfolg haben, und dabei
wird spätestens bei Vorlage der Personalpapiere wegen des daraus ersichtlichen
Geburtsorts und wegen der darin enthaltenen Eintragungen an der für die
Religionszugehörigkeit vorgesehenen Stelle deutlich, daß es sich jeweils nicht um
86
Religionszugehörigkeit vorgesehenen Stelle deutlich, daß es sich jeweils nicht um
muslimische Frauen handelt. Bei der Vielzahl von Versuchen, die allein und ohne
verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkt zurückkehrende Jezidinnen
erfahrensgemäß unternehmen müssen, bis sie eine Unterkunft und einen
Arbeitsplatz gefunden haben, wird zwangsläufig eine größere Anzahl von Personen
von ihrer Religion und ihrer persönlichen Situation Kenntnis erhalten. Dies alles
schafft für sie eine besondere Gefahrenlage, zumal das Risiko für potentielle
Entführer deshalb gering ist, weil es mangels Verwandter des Opfers an Personen
fehlt, die ihre Tat überhaupt zur Anzeige bringen könnten. Wenn Jezidinnen danach
auch nicht ohne weiteres als solche auf der Straße zu erkennen sein mögen, so
droht ihnen doch aufgrund der zuvor dargelegten Umstände, sofern sie zur
Sicherung ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlage und ihrer gesellschaftlichen
Stellung nicht ausnahmsweise aus anderen Gründen imstande sind, mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Entführung durch muslimische Männer. Die
vorliegenden Berichte über Entführungen von jezidischen Mädchen und Frauen, die
mit schutzbereiten Personen - insbesondere eingebunden in ihre Familie --
zusammenlebten (I. 14.; I. 30. - b --, S. 36 f. u. 80; I. 55., S. 10 f.; I. 56., S. 7 f.),
belegen überzeugend die überall in der Türkei unter den vorgenannten Umständen
bestehende hohe Entführungsgefahr und zwingen unter den in der Türkei
insgesamt obwaltenden Lebensumständen nach Überzeugung des Senats zu der
Schlußfolgerung, daß wirtschaftlich, sozial und gesellschaftlich ungesicherten
alleinstehenden Jezidinnen in weit höheren Maße, nämlich mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit, Entführung droht. Daß über Entführungen solcher Frauen
verhältnismäßig wenig Tatsachenmaterial vorliegt, erklärt sich daraus, daß es
alleinlebende Frauen jüngeren oder mittleren Alters in der Türkei aufgrund der dort
herrschenden traditionellen Familienstrukturen tatsächlich selten geben dürfte und
Entführungsfälle der Öffentlichkeit kaum bekannt werden. Der beachtlich
wahrscheinlichen Entführung folgt mit derselben Wahrscheinlichkeit regelmäßig die
Aufnahme in den Haushalt des Entführers und/oder die Heirat mit ihm, und damit
ist notwendig der Wechsel der Religionszugehörigkeit für die nichtmuslimische Frau
verbunden. Dem wird sich die betroffene Jezidin auch in großstädtischen
Verhältnissen grundsätzlich nicht entziehen können, weil der Entführer sie, um ihre
Flucht zu verhindern, jedenfalls zunächst in seinem Haus festhalten und ihr keine
Möglichkeit eröffnen wird, Kontakt nach außen aufzunehmen.
Die Entführung und der ihr zwangsläufig nachfolgende aufgenötigte Übertritt zum
Islam sind ihrer Intensität nach als Verfolgung zu qualifizieren. Dadurch wird nicht
nur die persönliche Freiheit des Opfers beschränkt, sondern zugleich -- in ähnlich
schwerer Weise - in dessen sexuelles und religiöses Selbstbestimmungsrecht
eingegriffen; denn infolge der auf zwangsweise Bekehrung gerichteten
Einwirkungen kann die betroffene Frau ein an ihrer Religion ausgerichtetes Leben
nicht mehr führen und ist ihr ein vom Glauben geprägtes "Personsein" nicht einmal
mehr im Sinne eines religiösen Existenzminimums gestattet, weil sie ihren
Glauben im privaten oder im nachbarlich-kommunikativen Bereich nicht bekennen
darf und tragende Inhalte ihrer Glaubensüberzeugung verleugnen oder gar
preisgeben muß (vgl. BVerwG, 06.03.1990 - 9 C 14.89 --, BVerwGE 85, 12 = EZAR
202 Nr. 17, u. - 9 C 16.89 --). Übergriffe der vorgenannten Art knüpfen auch
erkennbar an die Religionszugehörigkeit des Opfers an (Hess. VGH, 05.11.1990 -
12 UE 1124/89 --; OVG Rheinland-Pfalz, 06.07.1988 - 13 A 225/87 --), denn sie
führen nach ihrem inhaltlichen Charakter objektiv und nicht nur aus der subjektiven
Sicht derjenigen, die sie vornehmen, zur Aufgabe des jezidischen Glaubens und
zur zwangsweisen Übernahme des islamischen. Dem steht nicht entgegen, daß
Frauen muslimischen Glaubens ebenfalls entführt werden, weil die Täter - auf die
von diesen objektiv verfolgte Zielrichtung und nicht auf die Position des türkischen
Staates kommt es insoweit an (BVerwG, 14.03.1984 - 9 B 412.83 --, Buchholz
402.25 Nr. 20 zu § 1 AsylVfG) - bei der Entführung einer jezidischen Frau bewußt
deren Schutzlosigkeit als einer alleinstehenden Angehörigen einer religiösen
Minderheit ausnutzen und deshalb den Übertritt zum Islam zumindest auch in
Anknüpfung an deren religiöse Grundentscheidung betreiben (vgl. BVerwG,
06.03.1990 - 9 C 14.89 --, a.a.O., u. - 9 C 16.89 --). Zugleich wird der
grundsätzlichen Mißachtung der jezidischen Religion Ausdruck verliehen und in
dem Bewußtsein gehandelt, daß Jeziden keinerlei Rechte haben und man deshalb
bedenkenlos gegen sie vorgehen darf; die Entführung einer jezidischen Frau
erscheint darüber hinaus auch noch deshalb aus muslimischer Sicht als
"verdienstvolle Tat", weil nicht nur eine "Ungläubige" zum "wahren Glauben"
bekehrt, sondern zudem der jezidischen Religionsgemeinschaft ein Mitglied
entzogen und deren Fortbestandsmöglichkeit dadurch eingeschränkt wird (I. 1., S.
810; I. 14.; I. 37., S. 8; I. 55., S. 10 f.).
87
88
Der türkische Staat muß sich die alleinstehenden Jezidinnen drohenden Übergriffe
unter Berücksichtigung der dem Senat vorliegenden Unterlagen (I. 14.; I. 30. - b --,
S. 36 f. u. 80; I. 55., S. 10 f.; I. 56., S. 7 f.) als mittelbare staatliche Verfolgung
asylrechtlich zurechnen lassen. Allerdings ist eine Verantwortlichkeit des Staates
für Verfolgungsmaßnahmen Dritter nur dann anzunehmen, wenn diese auf eine
Anregung des Staates zurückgehen oder doch dessen Unterstützung oder
Billigung genießen oder wenn er sie tatenlos hinnimmt (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR
147/80 u. a. --, BVerfGE, 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1; BVerwG, 02.08.1983 - 9 C
818.81 --, BVerwGE 67, 317 = EZAR 202 Nr. 1). Danach genügt der Staat zwar den
asylrechtlich an ihn zu stellenden Anforderungen, wenn er mit den ihm zur
Verfügung stehenden Mitteln im großen und ganzen Schutz gewährt, auch wenn
dieser Schutz nicht lückenlos ist, weil seine Bemühungen mit unterschiedlicher
Effektivität greifen; Übergriffe sind dem Staat jedoch asylrechtlich zurechenbar,
wenn er ihnen nicht entgegenwirkt, indem er präventive Vorkehrungen unterläßt,
um sie zu verhindern, und indem er, wenn sie gleichwohl vorkommen, weder den
Opfern Schutz gewährt noch gegen die Täter Sanktionen verhängt (vgl. BVerwG,
22.04.1986 - 9 C 318.85 u. a. --, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8, u.
02.07.1986 - 9 C 2.85 --, Buchholz 402.25 Nr. 49 zu § 1 AsylVfG). Diese
asylrechtlichen Anforderungen an die staatliche Sicherheitspolitik folgen
unmittelbar aus der staatlichen Schutzverpflichtung gegenüber den eigenen
Staatsangehörigen. Danach kann der Senat aufgrund der ihm vorliegenden
Erkenntnisse auch unter Berücksichtigung der neueren einschlägigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (06.03.1990 - 9 C 14.89 --, a.a.O.,
u. - 9 C 16.89 --) eine asylrechtliche Verantwortlichkeit des türkisches Staates für
die alleinstehenden Jezidinnen im Falle ihrer jetzigen Rückkehr drohende
Entführung und für den dieser zwangsläufig nachfolgenden aufgenötigten Übertritt
zum Islam nicht verneinen. Insbesondere kann aufgrund der getroffenen
Feststellungen nicht darauf abgestellt werden, daß es sich bei den alleinstehenden
Jezidinnen, denen es nicht gelingt, Wohnung, Arbeit und ein sie sicherndes
gesellschaftliches Umfeld zu finden, und die deshalb besonders gefährdet sind, nur
um Einzelfälle handele, in denen der Staat keinen Schutz gewähren müsse (so für
Christinnen in entsprechender Lage BVerwG, 06.03.1990 -- 9 C 14.89 --, a.a.O., u. -
9 C 16.89 --). Denn allein in ihr Heimatland zurückkehrende Jezidinnen ohne
dortigen persönlichen Anknüpfungspunkt befinden sich - wie oben dargelegt -
typischerweise in der Situation, daß sie weder Unterkunft noch Arbeit noch soziale
Kontakte haben; sie sind demzufolge regelmäßig der Gefahr einer Entführung mit
den beschriebenen Konsequenzen ausgesetzt, und unter diesem Umständen
würde es die Ausgrenzung einer ganzen Untergruppe aus der Verantwortlichkeit
des Staates bedeuten, wollte man ihn insoweit von seiner Schutzpflicht freistellen.
Im Hinblick darauf, daß effektiver Schutz im nachhinein praktisch kaum möglich ist,
weil erfolgte Entführungen von allein und in wirtschaftlicher Not in der Türkei
lebenden Jezidinnen in der Regel gar nicht zur Kenntnis staatlicher Stellen
gelangen werden, da dem Opfer verbundene Angehörige, die Anzeige erstatten
könnten, ja gerade nicht vorhanden sind, müssen dem türkischen Staat in
besonderem Maße präventive Vorkehrungen abverlangt werden, bevor er von
seiner diesbezüglichen Verantwortlichkeit entlastet werden kann. Zwar werden
Entführungen allgemein tatsächlich nur schwer zu verhindern sein, soweit nicht
ausnahmsweise und rein zufällig Organe der Polizei oder anderer staatlicher
Stellen Zeugen sind. Indessen könnte der Staat z. B. dadurch präventiv tätig
werden, daß er alleinstehenden Jezidinnen das zum Leben Notwendige zur
Verfügung stellt und damit ihre besondere Gefährdungslage auf das allgemeine
Maß herabmindert. Derartige Vorkehrungen sind den vorliegenden
Erkenntnisquellen indessen nicht zu entnehmen; vielmehr werden in der Türkei der
Sozialhilfe vergleichbare Leistungen gerade nicht bzw. nur in der Weise gewährt,
daß die hier betroffene Bevölkerungsgruppe nicht davon profitieren kann (V. 12.; V.
14.; V. 15.; V. 16.). Nach alledem genügt der türkische Staat insgesamt mit
seinem staatlichen Sicherheits- und Schutzsystem hinsichtlich der besonders
gefährdeten Untergruppe allein zurückkehrender Jezidinnen ohne
verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkt den ihm obliegenden - insbesondere
präventiven -- Verpflichtungen nicht, so daß ihm Übergriffe auf derartige Personen
grundsätzlich zuzurechnen sind.
Hängt danach die Möglichkeit eines verfolgungsfreien Lebens für jetzt allein in die
Türkei zurückkehrende Jezidinnen jungen und mittleren Alters entscheidend von
ihrem wirtschaftlichen und sozialen Status, von der familiären Situation, die sie im
Rückkehrfall vorfinden, und von sonstigen persönlichen Voraussetzungen - etwa
von Schul- und beruflicher Bildung, von Sprachkenntnissen und von ihrer
Arbeitsfähigkeit - ab, so ist festzustellen, daß jedenfalls eine Entführung und
89
90
91
Arbeitsfähigkeit - ab, so ist festzustellen, daß jedenfalls eine Entführung und
anschließende Zwangsbekehrung der Klägerin zu 2) im Falle ihrer jetzigen
Rückkehr nicht beachtlich wahrscheinlich ist.
Die insoweit anzustellende Prognose fällt schon deshalb zu Lasten der Klägerin zu
2) aus, weil sie nicht allein in die Türkei zurückkehren wird. Insoweit ist davon
auszugehen, daß Familienmitglieder nach der Lebenserfahrung einander in
Notsituationen nicht mutwillig im Stich lassen und einander nicht einem
unsicheren Schicksal preisgeben, dessen erkennbar bedrohliche Folgen sie ohne
eigene Gefährdung oder übermäßige Anstrengung abwenden können, und deshalb
spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß der Ehemann und Vater einer mit
ihrem Asylbegehren erfolglos gebliebenen Familie diese heimbegleitet, wenn sie
ohne ihn einer Existenzgefährdung ausgesetzt wäre (BVerwG, 06.03.1990 - 9 C
14.89 --, BVerwGE 85, 12 = EZAR 202 Nr. 17, - 9 C 15.89 - u. - 9 C 16.89 --). Die
genannte Vermutung gilt aber nur für das Verhältnis von Eltern zu ihren noch
sorgebedürftigen Kindern und von Eheleuten untereinander und überdies nur
dann, wenn nicht ihr entgegenstehende Tatsachen festgestellt sind wie etwa die
Anerkennung des Familienvaters als politisch Verfolgter oder dessen erklärte
Absicht, auf keinen Fall in das Herkunftsland zurückzukehren (BVerwG, 06.03.1990
- 9 C 14.89 --, a.a.O., - 9 C 15.89 - u. - 9 C 16.89 --). In Bezug auf die Klägerin zu 2)
greift zwar die vorgenannte Vermutung deshalb nicht ein, weil ihrem Ehemann,
dem Kläger zu 1), wegen des ihm zustehenden Anspruchs auf Anerkennung als
Asylberechtigter (vgl. oben unter B I. 5.) eine Rückkehr an sich unzumutbar ist. Der
Kläger zu 1) hat indessen bei seiner Vernehmung am 26. März 1991 auf
entsprechende Frage ausdrücklich erklärt, daß er ungeachtet dessen für den Fall,
daß die Kläger zu 2) bis 5) in die Türkei abgeschoben würden, diese freiwillig
begleiten würde, weil sein Leben und das seiner Familie zusammengehörten. Dann
aber liefe die Klägerin zu 2) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, in
ihrer Heimat entführt und zwangsislamisiert zu werden. Denn sie wäre der
Notwendigkeit enthoben, sich selbst um eine Unterkunft oder um Arbeit zu
bemühen oder sich sonst ohne schützende männliche Begleitung außerhalb der
Wohnung zu bewegen; sie wäre demzufolge gerade nicht solchen Situationen
ausgesetzt, in denen sich typischerweise das Entführungsrisiko verwirklicht. Diese
Feststellungen stehen übrigens nicht in Widerspruch dazu, daß der Senat oben -
unter B I. 5. b -- die für die Klägerin zu 2) aufgrund der derzeit gegebenen
Gruppenverfolgung der Jeziden streitende Verfolgungsvermutung heute als nicht
(mehr) widerlegt erachtet hat. Denn der der Klägerin zu 2) durch die Begleitung
des Klägers zu 1) zuteil werdende Schutz schließt nur die beachtliche
Wahrscheinlichkeit für eine gerade ihr drohende Entführung aus, nicht hingegen für
die ihr als einer Angehörigen der jezidischen Religionsgemeinschaft sonst
allgemein drohenden asylrelevanten Maßnahmen.
c) Dagegen hat der Senat die Überzeugung gewonnen, daß die unverfolgt
ausgereiste Klägerin zu 3) - nicht aber die Kläger zu 4) und 5) - bei einer jetzigen
Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit individueller Verfolgung
ausgesetzt wäre. Diese ergibt sich im vorliegenden Fall zwar nicht daraus, daß eine
Waisenhauseinweisung erfolgen würde und damit notwendigerweise die Aufgabe
des jezidischen Glaubens verbunden wäre (aa); sie folgt für die Klägerin zu 3) aber
aus der ihr im Rückkehrfalle abverlangten Teilnahme am Religionsunterricht und
dem dort zu erwartenden Zwang, laufend die 112. Sure des Korans beten zu
müssen, was den Klägern zu 4) und 5) aufgrund ihres Alters in absehbarer Zeit
noch nicht bevorsteht (bb).
aa) Allerdings ist davon auszugehen, daß dann, wenn ein jezidisches Kind allein in
die Türkei zurückkehrt und sich seine Eltern und volljährigen Verwandten allesamt
im Ausland befinden, die Aufnahme in ein staatliches türkisches Waisenhaus
erfolgt (ebenso OVG Rheinland-Pfalz, 06.07.1988 - 13 A 225/87 --). Denn eine
jezidische Pflegefamilie wird sich angesichts der geringen Anzahl noch in der Türkei
verbliebener Jeziden - zumal bei deren Altersstruktur -- schwerlich finden lassen,
und jezidische Waisenhäuser gibt es ganz offensichtlich nicht. Entsprechende
Einrichtungen christlicher Konfessionen sind auf die Fürsorge für eigene
Kirchenmitglieder beschränkt, und deshalb ist ihnen die Aufnahme jezidischer
Kinder legal nicht möglich (vgl. V. 6.; V. 7.; V. 8., S. 8; V. 11., S. 6). Danach müssen
alleinstehende jezidische Minderjährige, sofern nicht ausnahmsweise von Gerichts
wegen eine Privatperson -- dann aber regelmäßig muslimischen Glaubens - zum
Vormund bestellt wird (V. 11., S. 7), mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit
rechnen, in ein staatliches türkisches Waisenhaus eingewiesen zu werden (vgl. V.
8., S. 5). Die Verhältnisse in solchen Waisenhäusern entsprechen nicht unseren
Standards (V. 1.). Zwar sind die Erzieher auf die kemalistisch-laizistische
92
Standards (V. 1.). Zwar sind die Erzieher auf die kemalistisch-laizistische
Staatsideologie verpflichtet, andererseits aber auch von den islamischen
Vorstellungen der Bevölkerungsmehrheit geprägt (V. 6.; V. 7.; V. 8., S. 5 f. u. 8 f.).
Wenn auch Kontakte des Kindes zu jezidischen Glaubensgenossen nicht
gewaltsam unterbunden werden dürften (vgl. V. 6.; V. 7.), so führt der in der
Einrichtung herrschende Druck und die Angst vor Benachteiligungen letztlich doch
dazu, daß das Kind selbst von einer solchen Kontaktaufnahme Abstand nehmen
wird (V. 8., S. 9; V. 11., S. 6). Auf keinen Fall ist gewährleistet, daß jezidische Kinder
in staatlichen türkischen Waisenhäusern im Sinne ihrer Religion erzogen werden
(vgl. V. 1.; V. 8., S. 5 u. 7); insbesondere werden sie nicht an einer Unterweisung
durch jezidische Geistliche teilnehmen (vgl. V. 8., S. 7; V. 11., S. 7) oder gar in eine
Religionsfamilie eingebunden sein können; die Erhaltung ihrer religiösen Identität
ist somit nicht möglich (vgl. V. 11., S. 6). Inwieweit Repressalien, Schläge und
Ehrverletzungen durch muslimische Altersgenossen von den Aufsichtspersonen
unterbunden oder geahndet werden, hängt weitgehend von deren persönlicher
Einstellung und Durchsetzungskraft ab (vgl. V. 7.; V. 8., S. 11 f.; V. 11., S. 6).
Die Aufnahme in ein staatliches türkisches Waisenhaus führt demnach für ein
jezidisches Kind zwangsläufig zum Verlust seines Glaubens (vgl. zu den
besonderen Problemen der Flüchtlingskinder auch den Beschluß Nr. 47 (XXXVIII)
des Exekutiv-Komitees für das Programm des UNHCR von 1987). Dies ist rechtlich
als asylrelevanter Eingriff in die Religionsfreiheit zu qualifizieren, und zwar
unabhängig davon, ob ein Vorteil für das Kind darin zu erblicken sein mag, daß
durch die Waisenhausunterbringung wenigstens sein Lebensunterhalt
sichergestellt ist und es nicht gleichsam "auf der Straße" leben muß (vgl. hierzu
BVerwG, 06.03.1990 - 9 C 14.89 --, BVerwGE 85, 12 = EZAR 202 Nr. 17, u. -- 9 C
15.89 --). Gleichwohl wird nämlich bei einem Kind, das - wie die zwischen sechs und
zehn Jahre alten Kläger zu 3) bis 5) - bisher in einem jezidischen Familienverband
aufgewachsen ist und deshalb zweifellos eine eigene, ihm bewußte religiöse
Identität besitzt, durch die ihm in einem staatlichen türkischen Waisenhaus
widerfahrene Behandlung in das religiöse Existenzminimum eingegriffen. Dieses
umfaßt die Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich, wie etwa den
häuslichen Gottesdienst, aber auch die Möglichkeit zum Reden über den eigenen
Glauben und zum religiösen Bekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen
Bereich, ferner das Gebet und den Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in
persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu
und Glauben unter sich wissen darf (BVerfG, 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. --,
BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20, u. 10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. --,
BVerfGE 81, 58 = EZAR 203 Nr. 5). Es mag dahinstehen, ob ein jezidisches Kind in
einem staatlichen türkischen Waisenhaus Gelegenheit zum privaten Gebet findet;
jedenfalls ist ihm von dort aus nach den im vorstehenden Absatz getroffenen
Feststellungen eine Einbindung in eine jezidische Religionsfamilie nicht möglich,
und mindestens deshalb ist sein religiöses Existenzminimum im Waisenhaus nicht
gewährleistet. Der Senat verkennt nicht, daß die Intensität des Eingriffs je nach
dem Alter der betroffenen Minderjährigen unterschiedlich sein wird. So dürften
ältere Kinder durch die ihnen in einem staatlichen türkischen Waisenhaus
auferlegten Einschränkungen insofern stärker betroffen werden, als sie diese
infolge ihrer längeren jezidischen Erziehung subjektiv als einschneidender
empfinden; andererseits werden sie aufgrund ihrer meist ausgeprägteren
religiösen Überzeugung eher in der Lage sein, trotzdem innerlich an ihrem
Glauben festzuhalten. Demgegenüber werden jüngere Kinder zwar mehr
unbewußt, dafür aber auch ohne effektive Abwehrmöglichkeit den Verlust ihrer
jezidischen Erziehung ertragen müssen. Das religiöse Existenzminimum wird zur
Überzeugung des Senats freilich in allen diesen Fällen angetastet. Dieser Umstand
ist auch nicht -- wie das Bundesverwaltungsgericht angenommen hat (06.03.1990
- 9 C 14.89 --, a.a.O., u. - 9 C 15.89 --) - lediglich die Konsequenz eines
asylrechtlich irrelevanten Anpassungsprozesses, dem ein zielgerichtetes Verhalten
nicht zu entnehmen sei. Allerdings schützt das Asylrecht nicht vor einer
Entwicklung, die sich für den Einzelnen als Folge einer sich verändernden Situation
seiner Umwelt und seiner Lebensbedingungen in seinem Heimatland ergibt
(BVerwG, 15.02.1984 - 9 CB 191.83 --, EZAR 203 Nr. 2 = Buchholz 402.25 Nr. 18
zu § 1 AsylVfG, u. 06.03.1990 - 9 C 14.89 --, a.a.O., u. - 9 C 15.89 --). Indessen
kommt auch einem derartigen Anpassungsdruck Verfolgungscharakter zu, wenn
der Betroffene in Bezug auf seine religiöse Überzeugung und Betätigung mit einer
zwangsweisen Umerziehung, mit Zwangsassimilation oder mit einer auf
Unterwerfung ausgerichteten gezielten Disziplinierung zu rechnen hat (BVerwG,
31.03.1981 - 9 C 6.80 --, BVerwGE 62, 123 = EZAR 200 Nr. 6, u. 06.03.1990 - 9 C
14.89 --, a.a.O., u. - 9 C 15.89 --). So aber stellt sich die Situation in staatlichen
türkischen Waisenhäusern für jezidische Kinder nach den dem Senat derzeit
93
94
türkischen Waisenhäusern für jezidische Kinder nach den dem Senat derzeit
vorliegenden Erkenntnissen dar. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß im Falle
alleiniger Rückkehr die Aufnahme in das Waisenhaus und demzufolge auch die dort
stattfindende Behandlung gegen den Willen des Kindes und seiner Eltern erfolgen,
da ihnen aufgrund der gegebenen tatsächlichen Verhältnisse insoweit keine Wahl
bleibt. Die im Waisenhaus demnach erfolgende zwangsweise Erziehung stellt sich
auch als "Umerziehung" dar, weil jezidische Kinder dort nach den Erkenntnissen
des Senats und nach der Lebenserfahrung gleichsam "rund um die Uhr" unter
indoktrinierender islamischer Bevormundung stehen (vgl. V. 8., S. 7; V. 11., S. 6),
demzufolge die elementaren Möglichkeiten jezidischer Religionsausübung nicht
haben und deshalb notwendigerweise ihren jezidischen Glauben verlieren werden.
Jezidische Kinder haben in staatlichen türkischen Waisenhäusern auch mehr zu
ertragen als muslimische Kinder, die ebenfalls ohne elterliche Betreuung dort
großgezogen werden, eben weil sogleich nach der Aufnahme der jezidischen
Kinder deren religiöses Existenzminimum angetastet wird. Jezidische Kinder
werden in diesem Falle in ähnlich einschneidender Weise betroffen, wie dies der
früher für Asylsachen allein zuständige 10. Senat des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofes für afghanische Kinder im Falle einer ihnen
aufgezwungenen atheistischen und kommunistischen Erziehung und Ausbildung in
der Sowjetunion angenommen hat (Hess. VGH, 19.12.1985 - 10 UE 1647/84 - u.
03.06.1986 - 10 OE 40/83 --; offengelassen von BVerwG, 27.02.1987 - 9 C 264.86 -
-; vgl. hierzu jetzt auch BVerwG, 04.12.1990 - 9 C 93.90 --). Der hiernach mit der
Aufnahme in ein staatliches türkisches Waisenhaus für jezidische Kinder
verbundene Eingriff in die Religionsfreiheit ist dem türkischen Staat auch
zuzurechnen. Zwar mag dieser asylrechtlich nicht gehalten sein, die Einweisung
jezidischer Kinder in die bestehenden Einrichtungen zu verhindern oder gar
jezidische Waisenhäuser zu errichten; auch wird der türkische Staat nicht ohne
weiteres in der Lage sein, muslimisches Eiferertum und daraus resultierende
Übergriffe gegenüber Jezidenkindern lückenlos abzustellen (vgl. hierzu BVerwG,
06.03.1990 - 9 C 14.89 --, a.a.O., u. - 9 C 15.89 --). Eingriffe in das religiöse
Existenzminimum, seien sie nun unmittelbar oder nur mittelbar staatlicher Art,
sind dem türkischen Staat aber auch dann zurechenbar, wenn er ihnen nicht
entgegenwirkt, indem er beispielsweise präventive Vorkehrungen trifft, um
Übergriffe zu verhindern, und indem er, wenn solche Übergriffe gleichwohl
vorkommen, den Opfern Schutz gewährt und gegen pflichtwidrig Handelnde
Sanktionen verhängt (vgl. BVerwG, 22.04.1986 - 9 C 318.85 u. a. --, BVerwGE 74,
160 = EZAR 202 Nr. 8; ferner BVerfG, 10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. --, BVerfGE
81, 58 = EZAR 203 Nr. 5). Im Hinblick darauf, daß effektiver Schutz im nachhinein
praktisch kaum möglich ist, weil nach im Waisenhaus erfolgter zwangsweiser
Aufgabe des Glaubens das Kind selbst keine Beschwerde führen wird und hierzu
bereite Angehörige sich gerade nicht in der Türkei befinden, muß der türkische
Staat in besonderem Maße präventiv tätig werden. Dies könnte dadurch
geschehen, daß er durch Rechts- und/oder Verwaltungsvorschriften sicherstellt,
daß jezidische Kinder, die in staatliche türkische Waisenhäuser eingewiesen sind,
dort von allen religiösen Übungen und Handlungen islamischer Art freigestellt
werden und ausreichenden Freiraum zum Gebet und zur Kontaktaufnahme mit
Glaubensgenossen haben und daß sie insbesondere ohne Angst vor gravierenden
Nachteilen Zugang zu einer jezidischen Religionsfamilie finden können. Derartige
Vorkehrungen hat der türkische Staat ausweislich der dem Senat vorliegenden
Erkenntnisse bisher nicht getroffen; vielmehr nimmt er die jezidischen Kindern in
den von ihm betriebenen Waisenhäusern widerfahrende Behandlung mindestens
billigend in Kauf.
Gleichwohl fällt die hinsichtlich der Kläger zu 3) bis 5) für den jetzigen Rückkehrfall
insoweit zu treffende Prognose zu ihren Lasten aus, weil sie nicht ohne Begleitung
ihrer Eltern, der Kläger zu 1) und 2), in die Türkei zurückkehren werden und
deshalb nicht mit ihrer Aufnahme in ein staatliches türkisches Waisenhaus zu
rechnen haben. Denn die Kläger zu 1) und 2) haben bei ihrer Vernehmung am 26.
März 1991 ausdrücklich angegeben, sie würden im Falle einer Abschiebung ihrer
Kinder in die Türkei diese begleiten. Unter diesen Umständen hat außer Betracht
zu bleiben, daß ein solches Verhalten wegen des den Klägern zu 1) und 2)
zustehenden eigenen Asylanerkennungsanspruchs nach der Lebenserfahrung
nicht ohne weiteres vermutet werden kann (vgl. BVerwG, 06.03.1990 - 9 C 14.89 --,
a.a.O., u. - 9 C 15.89 --).
bb) Dagegen hat die Klägerin zu 3), da sie im Rückkehrfalle noch für die Dauer
mindestens eines Schuljahres der Schulpflicht und der Pflicht zur Teilnahme am
Religionsunterricht unterliegt, wegen dessen konkreter Ausgestaltung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfende
95
96
97
beachtlicher Wahrscheinlichkeit an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfende
Verfolgung zu erwarten (vgl. hierzu schon oben unter B I. 3. a). Für die jetzt sechs
und sieben Jahre alten Kläger zu 4) und 5) steht ein diesbezüglicher Eingriff in
absehbarer Zeit nicht bevor.
Die Vorschriften des Art. 24 der 1982 in Kraft getretenen türkischen Verfassung
sehen vor, daß niemand gezwungen werden darf, an Gottesdiensten, religiösen
Zeremonien und Feiern teilzunehmen oder seine religiöse Anschauung und seine
religiösen Überzeugungen zu offenbaren (Abs. 3) und daß die Religions- und
Sittenerziehung und -lehre unter der Aufsicht und Kontrolle des Staates
durchgeführt werden und religiöse Kultur- und Sittenlehre in den Grund- und
Mittelschulen zu den Pflichtfächern gehören (Abs. 4). Auf der Grundlage der
letztgenannten Verfassungsbestimmung ist in den Jahren 1982 bis 1985 der
bisherige Moralkundeunterricht mit dem Religionsunterricht zusammengelegt und
als Pflichtfach eingeführt worden (I. 30. - b --, S. 19; V. 9.; V. 10., S. 9 ff.; V. 13., S.
20). Mit Beschluß vom 3. Oktober 1986, Nr. 28, des Erziehungs- und
Ausbildungsausschusses, veröffentlicht im Mitteilungsblatt des Ministeriums für
nationale Erziehung, Jugend und Sport vom 20. Oktober 1986, Nr. 2219 (Anlage zu
V. 5.; V. 10., S. 21 ff.), wurden "Allgemeine Prinzipien der Religionslehre und des
Ethikunterrichts" festgelegt und ein Ausbildungsprogramm für diese Fächer
verabschiedet. Danach ist der Grundsatz des Laizismus immer zu beachten und
zu schützen und darf niemand zu religiösen Handlungen gezwungen werden;
außerdem ist bestimmt, daß, wenn den Kindern die "nationale Moral gelehrt wird",
unter den Religionen nicht unterschieden wird, um den Kindern später die
Anpassung an die Gesellschaft zu erleichtern. Insgesamt kommt in dem
Ausbildungsprogramm aber deutlich zum Ausdruck, daß der Islam die Religion der
Türkei und Mohammed ein Vorbild für die Türken sein soll (V. 10., S. 28 ff.). Der
Unterricht ist dadurch auf die angenommenen Bedürfnisse der muslimischen
Mehrheitsbevölkerung ausgerichtet und beinhaltet vornehmlich die Vermittlung
der islamischen Glaubensinhalte, Sitten und Bräuche sowie der mit dem Islam
verbundenen nationalen Geschichte und Kultur. Das Lernen von Koranversen wird
in den Nrn. 4, 19, 22 und 25 der "Allgemeinen Prinzipien der Religionslehre und des
Ethikunterrichts" ausdrücklich vorgesehen bzw. vorausgesetzt. Von den
Schulkindern wird demnach unter anderem verlangt, daß sie die 112. Sure des
Korans aufsagen, mit der jede islamische Unterrichtsstunde beginnt (I. 30. - b --,
S. 3 u. 19; I. 37., S. 12). Diese enthält die Kernaussage der islamischen Religion,
nämlich die Bekräftigung der Einzigkeit Gottes und das Verbot, ihm einen
(weiteren) Gott "beizugesellen". Jezidischen Schülern wird - anders als Christen und
Juden - nach den geltenden Bestimmungen abverlangt, in vollem Umfang am
islamischen Religionsunterricht teilzunehmen (I. 37., S. 11). Durch das Sprechen
der 112. Koran-Sure setzen sich gläubige jezidische Kinder in Widerspruch zu
wesentlichen Inhalten ihres Glaubens, weil danach neben Gott zentrale Figur
religiöser Verehrung der Melek Taus ist, und daher bedeutet dessen Verleugnung
die Verletzung eines essentiellen Tabus der jezidischen Religionsgemeinschaft (I.
30. - b --, S. 3 u. 11; I. 37., S. 12; I. 41., S. 5).
Jezidischen Schulkindern wird durch die vorgenannte Ausgestaltung des
Religionsunterrichts eine grundlegende Verleugnung wesentlicher Glaubensinhalte
abverlangt, und dadurch ist in mit dem Gebot der Menschenwürde unvereinbarer
Weise ihr religiöses Existenzminimum betroffen. Da für jezidische Kinder -- anders
als für Christen und Juden (vgl. Nr. 4 der Anlage zu V. 5.; V. 10., S. 23) -
Befreiungen staatlicherseits nicht vorgesehen sind, ist zur Überzeugung des
Senats auch eine spezifische Zielrichtung gegen die übrigen nichtislamischen
Kinder erkennbar, wobei der erfolgende Eingriff sich nicht als bloße Nebenfolge des
Religionsunterrichts darstellt; vielmehr sind es gerade die konkreten
Unterrichtsinhalte, die den Eingriff in das asylrechtlich geschützte Rechtsgut der
religiösen Betätigung ausmachen (ebenso OVG Bremen, 07.12.1988 - 2 BA 30/86
u. a. --; VGH Baden-Württemberg, 10.01.1991 - A 12 S 635/89 --). Dies zu
erdulden oder aber unter Mißachtung geltenden türkischen Rechts und mit der
Folge unzureichender Schulbildung einfach der Schule fernzubleiben, kann solchen
jezidischen Kindern, die der Teilnahmepflicht am Religionsunterricht im Rückkehrfall
nicht nur ganz kurzfristig oder in absehbarer Zeit danach unterliegen, asylrechtlich
nicht zugemutet werden.
Danach droht der Klägerin zu 3), nicht hingegen den Klägern zu 4) und 5) im
Rückkehrfall (auch insoweit) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante
Verfolgung. Die Schulpflicht beginnt in der Türkei nämlich nach Vollendung des
sechsten Lebensjahres und besteht mindestens für fünf Grundschuljahre fort, also
bis nach Vollendung des elften Lebensjahres (V. 2., S. 531 u. 534; V. 3.; V. 4.). In
98
99
100
101
bis nach Vollendung des elften Lebensjahres (V. 2., S. 531 u. 534; V. 3.; V. 4.). In
diesem Umfang ist die Schulpflicht in der Praxis heute auch weitgehend
verwirklicht, und zwar selbst in entlegeneren Gebieten; soweit darüber
hinausgehend von einer zusätzlichen dreijährigen gesetzlichen Schulpflicht bis
nach Vollendung des vierzehnten Lebensjahres berichtet wird, fehlt es offenbar
bisher an der praktischen Umsetzung (V. 2., S. 534). Der seit der Neugestaltung in
den Jahren 1982 bis 1985 als Pflichtfach bestehende Religions- und Ethikunterricht
setzt freilich nicht schon zu Beginn der Grundschule, sondern erst mit der vierten
Klasse ein und wird von da an mit zwei Wochenstunden in der Primar- und
Sekundarstufe bis einschließlich der elften Klasse erteilt (V. 9., S. 246). Unter
diesen Umständen ist davon auszugehen, daß die am 23. August 1980 geborene
Klägerin zu 3), geht man einmal von ihrer rechtzeitigen Einschulung in
Deutschland im Sommer 1987 aus, im Rückkehrfall mindestens noch das fünfte
Grundschuljahr in der Türkei zu absolvieren haben wird. Dies kann ihr - wie in den
beiden vorstehenden Absätzen aufgezeigt - asylrechtlich nicht abverlangt werden.
Dagegen wird die am 1. Mai 1984 geborene Klägerin zu 4) derzeit allenfalls das
erste Schuljahr durchlaufen haben, während der am 30. März 1985 geborene
Kläger zu 5) noch gar nicht eingeschult sein wird. Beiden steht daher im Falle ihrer
Rückkehr in die Türkei frühestens in zwei bzw. drei Jahren die verpflichtende
Teilnahme am Religionsunterricht bevor. Der Senat vermag derzeit indessen
weder sicher abzusehen, wie sich die persönlichen Verhältnisse der Kläger zu 4)
und 5) währenddessen entwickeln werden, noch ist ihm - zumal angesichts der in
jüngster Zeit sichtbar gewordenen Liberalisierungstendenzen in anderen
Bereichen (z. B. des Staatsschutzstrafrechts und des Gebrauchs der kurdischen
Sprache, vgl. II. 79.; II. 80.; II. 81.; II. 82.; II. 83.) - eine sachgerechte Prognose
darüber möglich, wie sich die Gestaltung des Religionsunterrichts zu den
betreffenden Zeitpunkten darstellen wird. Dann aber kann nicht festgestellt
werden, daß den Klägern zu 4) und 5) in absehbarer Zeit individuelle asylrelevante
Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Auch wenn die Klägerin zu 3) unverfolgt ausgereist ist und sich die ihr im
Rückkehrfalle drohende Verfolgung mithin (auch insoweit) als sog.
Nachfluchttatbestand darstellt (vgl. dazu schon oben unter B I. 5. d), schließt dies
ihre Asylanerkennung wegen der ihr nach den vorstehenden Ausführungen
drohenden individuellen Verfolgung nicht aus. Denn die hierfür maßgeblichen
Umstände sind nicht von ihr selbst - risikolos und durch eigenes Tun --
herbeigeführt worden, sondern allein durch Zeitablauf eingetreten, nämlich
dadurch, daß sie mittlerweile aufgrund ihres Alters verpflichtet ist, zur Schule zu
gehen und am Religionsunterricht teilzunehmen. Insofern liegt (auch insoweit) ein
objektiver Nachfluchttatbestand vor, dem Asylrelevanz zukommt.
7. Der Asylanerkennung der Kläger steht schließlich § 2 Abs. 1 AsylVfG nicht
entgegen, denn sie waren nicht bereits in Belgien, Luxemburg oder den
Niederlanden, wo sie sich vor ihrer Einreise ins Bundesgebiet - wenn überhaupt --
allenfalls für wenige Tage aufgehalten haben, vor politischer Verfolgung sicher.
Voraussetzung hierfür wäre nämlich, daß die Flucht - bei Beurteilung nach
objektiven Maßstäben - in einem der betreffenden Drittländer ihr Ende gefunden
hatte (BVerwG, 21.06.1988 - 9 C 12.88 --, EZAR 205 Nr. 9 = InfAuslR 1988, 297, u.
17.01.1989 - 9 C 41.88 --). Daran fehlt es im vorliegenden Fall, weil die Kläger sich
in den genannten Staaten ersichtlich nur zur Durchreise aufgehalten und von
Anfang an beabsichtigt haben, zu im Bundesgebiet befindlichen Verwandten
weiterzureisen.
II.
Die Kläger erfüllen, wie sich aus den obigen Ausführungen (unter B I.) ergibt, auch
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Zu der entsprechenden Feststellung
ist die Beklagte ist die im Tenor zum Ausdruck gebrachte Fassung des
Urteilsausspruchs geboten.
Seit dem Inkrafttreten des neuen Ausländerrechts am 1. Januar 1991 wird nämlich
mit jedem Asylantrag sowohl die Feststellung, daß die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG vorliegen, als auch, wenn der Ausländer dies nicht ausdrücklich
ablehnt, die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt (§ 7 Abs. 1 Satz 2
AsylVfG); und demzufolge ist in der Entscheidung des Bundesamts für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ausdrücklich festzustellen, ob die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und ob der Antragsteller als
Asylberechtigter anerkannt wird (§ 12 Abs. 6 Satz 3 AsylVfG). Da dem
Berufungsverfahren eine Asylverpflichtungsklage der Kläger zugrundeliegt, für
102
103
Berufungsverfahren eine Asylverpflichtungsklage der Kläger zugrundeliegt, für
deren Beurteilung die gegenwärtige Sach- und Rechtslage maßgebend ist, sind --
angesichts des Fehlens von ihre Anwendung ausschließenden
Übergangsbestimmungen -- die genannten Vorschriften hier anzuwenden. Denn
die Erweiterung der Begriffsbestimmung für den Asylantrag erweitert automatisch
auch den Begriff des Asylverfahrens. § 12 Abs. 6 Satz 3 AsylVfG soll gewährleisten,
daß weder das Bundesamt noch im Falle der Klage die Gerichte von sich aus die
Entscheidung über einen Asylantrag auf die Frage der Anerkennung als
Asylberechtigter beschränken können (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs
der Bundesregierung, BT-Drs. 11/6321, S. 88 f.). Vor dem Hintergrund der
allgemein mit der Gesetzesänderung verfolgten Ziele der Konzentration und
Beschleunigung von Asylverfahren (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 48 f., und, in anderem
Zusammenhang, Hess. VGH, 23.11.1990 - 12 TH 1760/90 --, EZAR 632 Nr. 10) ist
grundsätzlich davon auszugehen, daß die Entscheidung über einen vor
Inkrafttreten der neuen Verfahrensvorschriften gestellten Asylantrag auch darauf
zu erstrecken ist, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Hess.
VGH, 25.02.1991 - 12 UE 2583/85 - u. - 12 UE 2106/87 -- sowie 15.03.1991 - 10 UE
1538/86 --). Die danach kraft Gesetzes wirksam gewordene Erweiterung der
Begriffsbestimmung für den Asylantrag gilt regelmäßig auch für die gerichtliche
Entscheidung in solchen Fällen, in denen der Asylantrag zwar noch nach früherem
Recht gestellt ist, in denen aber erst nach Inkrafttreten der Neuregelung gerichtlich
entschieden wird. Eine Ausnahme hiervon ist nur dann anzunehmen, wenn der von
der gerichtlichen Nachprüfung betroffene Asylbewerber selbst ausdrücklich eine
Entscheidung über nur eine der beiden nach § 12 Abs. 6 Satz 4 AsylVfG
selbständig anfechtbaren Feststellungen wünscht. Gibt der Asylbewerber keine
sein Rechtsschutzbegehren in diesem Sinne einschränkende Erklärung ab, so kann
regelmäßig ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß er eine umfassende
gerichtliche Überprüfung erstrebt. Dies gilt ungeachtet der Beteiligtenstellung, die
der Asylbewerber in dem fraglichen Rechtsstreit innehat, mithin auch dann, wenn
er nicht selbst Kläger oder Berufungskläger ist; vor allem bedarf es bei
Verfahrensgestaltungen der zuletzt genannten Art keiner besonders
einzulegenden Anschlußberufung des Asylbewerbers, um eine gerichtliche
Entscheidung auch hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG zu erreichen (im Ergebnis ebenso Hess. VGH, 25.02.1991 - 12 UE 2583/85
--; a. A. insoweit Hess. VGH, 15.03.1991 - 10 UE 1538/86 --).
Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, daß die Prüfung des klägerischen
Asylbegehrens auch darauf zu erstrecken ist, ob die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG in der Person der Kläger vorliegen. Denn dem von diesen gestellten
Berufungsantrag vom 19. Oktober 1988, der ausdrücklich am 26. März 1991 zu
Protokoll erklärten Nichtaufrechterhaltung des auf Zurückverweisung gerichteten
Hilfsantrags und dem sonstigen Verhalten der Kläger nach Inkrafttreten der
Neuregelung ist nicht zu entnehmen, daß sie keine gerichtliche Entscheidung
darüber wünschen. Davon abgesehen ist den Klägern unter dem 28. März 1991
ausdrücklich Gelegenheit gegeben worden, sich zu der möglichen Bedeutung der
§§ 12 Abs. 6 Satz 3 AsylVfG, 51 Abs. 1 AuslG für das vorliegende Verfahren zu
äußern, und hiervon haben sie - in Kenntnis der ihren Bevollmächtigten vom
Berichterstatter des Senats mündlich zur Kenntnis gebrachten einschlägigen
Senatsrechtsprechung (Hess. VGH, 25.02.1991 - 12 UE 2583/85 - u. - 12 UE
2106/87 --) - keinen Gebrauch gemacht.
Die Kläger erfüllen, wie sich aus den obigen Ausführungen (unter B I.) ergibt, auch
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Zu der entsprechenden Feststellung
ist die Beklagte nach Maßgabe des Urteilstenors verpflichtet, was zur Folge hat,
daß die Kläger als ausländische Flüchtlinge anzusehen sind (§ 51 Abs. 3 AuslG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.