Urteil des HessVGH vom 06.12.1991

VGH Kassel: sri lanka, politische verfolgung, amnesty international, regierung, armee, ceylon, staatliche verfolgung, indien, polizei, ausreise

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UE 2547/85
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16 Abs 2 S 2 GG, § 1
Abs 1 AsylVfG, § 5 Abs 2
AsylVfG, § 7 Abs 1 S 2
AsylVfG, § 12 Abs 6 S 3
AsylVfG
(Kein politisches Asyl für einen 1984 aus dem Norden Sri
Lankas ausgereisten Tamilen - Überprüfung der
Voraussetzungen des AuslG § 51 Abs 1 J: 1990 bei
Altverfahren - Beanstandungsklage des
Bundesbeauftragten)
Tatbestand
Der klagende Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten wendet sich gegen die
Anerkennung des beigeladenen srilankischen Staatsangehörigen als
Asylberechtigten durch das beklagte Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge.
Der am 12. März 1951 in Manipay geborene Beigeladene ist srilankischer
Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit. Er verließ am 12. März 1984
sein Heimatland und reiste über Moskau, Berlin-Ost am 13. März 1984 in das
damalige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein, wo er um seine
Anerkennung als Asylberechtigter nachsuchte. Zur Begründung legte er ein in
Tamil verfaßtes handschriftliches Schreiben vor. Darin führte er aus: Er gehöre der
Minderheit der Tamilen an, die von der singhalesischen Mehrheit unterdrückt
werde. Dies alles habe er nicht mehr ertragen können und habe sich deshalb einer
tamilischen Freiheitsorganisation angeschlossen. Er sei einmal von der Polizei
verhaftet worden, als er Plakate geklebt habe. 17 Tage später sei er durch die Hilfe
eines Anwalts freigekommen. Er sei dann 1978 nach Oman gegangen. 1982 habe
er erfahren, daß seine Familie durch die Polizei mißhandelt werde und sei deshalb
zurückgenommen. Bei seiner Rückkehr sei er abermals durch die Polizei verhaftet
worden. 2 Monate später sei er erneut nach Oman gegangen. 1982 habe man
seinen Bruder eingesperrt. Daraufhin sei er zurückgekehrt und habe sich
versteckt. Im Juni 1983 sei er wieder verhaftet und auch wieder freigelassen
worden. Danach sei er ständig von der Polizei behelligt worden.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge am 30. März 1984 erklärte der Beigeladene: Er habe 12 Jahre bis 1974
die Schule besucht. Das Abitur habe er nicht bestanden. Bis 1978 habe er keine
Arbeitsstelle gefunden und im Elternhaus gelebt. Sodann habe er über einen
Arbeitsvermittler 1978 eine Beschäftigung als Bauarbeiter in Oman erhalten. Am
19. Juli 1980 sei er wegen der Schwierigkeiten, die seine Eltern mit der Polizei
hatten, nach Sri Lanka zurückgekehrt. Nach seiner Rückkehr sei er 2 Tage von der
Polizei eingesperrt worden. Am 23. September 1980 sei er wieder nach Oman
gefahren und erst am 11. März 1982 zurückgekehrt. Der Grund für die Rückkehr
sei gewesen, daß man seinen jüngeren Bruder an seiner Stelle eingesperrt habe.
Er habe sich gemeldet und sei 4 Tage eingesperrt worden. Seinen Bruder habe
man freigelassen. Er habe dann geheiratet und bis Dezember 1983 in Manipay das
Lebensmittelgeschäft des Vaters betrieben. Im Dezember 1983 habe er ein Visum
für Indien erhalten, wo er an einer Versammlung der schon erwähnten
Organisation habe teilnehmen wollen. Als er am 11. Januar 1984 aus Indien
zurückgekehrt sei, habe man ihn bei seiner Landung verhaftet und 15 Tage in
Jaffna im Gefängnis festgehalten. Nach seiner Heimkehr sei er ständig weiter
kontrolliert worden. Deshalb habe er am 12. März 1984 das Land verlassen. Er sei
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kontrolliert worden. Deshalb habe er am 12. März 1984 das Land verlassen. Er sei
nach Deutschland gekommen, weil in seiner Heimat sein Leben in Gefahr gewesen
sei. Während seiner Schulzeit habe er einen gewissen D. kennengelernt, der der
Tigerbewegung angehört habe und dessen Anweisungen er später gefolgt sei,
ohne selbst Mitglied der Tigerbewegung zu sein. Er habe Plakate geklebt und
Flugblätter verteilt. In der Zeit von 1974 bis 1978 sei er insgesamt dreimal
verhaftet und mehrere Tage festgehalten worden. Man habe ihn der Zugehörigkeit
zur Tigerbewegung verdächtigt, geschlagen und mißhandelt. Zuletzt habe er sich
an jedem zweiten Tag zur Kontrolle seiner Anwesenheit bei der Polizei melden
müssen. Dann sei er am 23. September 1980 nach Oman zurückgekehrt und
habe bereits 5 Tage zuvor aufgehört, sich bei der Polizei zu melden. In Oman habe
ihn der Brief seiner Schwägerin erreicht, worin diese ihn gebeten habe, wegen der
Verhaftung des Bruders zurückzukommen, denn dieser würde nur freikommen,
wenn er zurückkäme. Er sei dann zurückgekehrt und abermals eingesperrt worden.
Seinen Bruder habe man freigelassen. Man habe ihn, den Beigeladenen,
verdächtigt, Mitglied der Tigerbewegung zu sein, ihn geschlagen und mit Füßen
getreten. Außerdem sei er mit dem Kopf nach unten an den Füßen aufgehängt
worden. Den Namen des D. habe er nicht preisgegeben. Ihm sei von diesem
gedroht worden, daß man ihn dann umbringen würde. Nach 4 Tagen sei er wieder
freigekommen. Weil man ihn so schlecht behandelt habe, sei er seiner
Meldepflicht, die ihm wieder auferlegt worden sei, nicht nachgekommen. Er habe
im Verborgenen gelebt. Selbst seine Hochzeit habe heimlich stattgefunden. Man
habe von den Einkünften des Geschäftes gelebt, das nicht er, sondern seine Frau
betrieben habe. In dieser Zeit sei er häufig auf Schmuggelbooten nach Indien
gefahren und habe sich dort in Madurai aufgehalten. Er bitte darum, nicht zu
fragen, was er dort getan habe, denn wenn das unter den Tamilen seines Lagers
bekannt würde, sei sein Leben nichts mehr wert. Zum Schluß hätten die Kontrollen
immer mehr zugenommen und deshalb sei es ihm nicht mehr möglich gewesen,
illegal nach Indien zu gelangen. Im Dezember 1983 sei er deshalb legal nach
Indien gereist. Bei seiner Rückkehr sei er sofort verhaftet worden. Man habe ihn in
Jaffna in einen dunklen Raum gesperrt, wo er nichts zu essen und zu trinken
bekommen habe. Man habe ihn über seine Aktivitäten in Indien ausgefragt. Trotz
aller Mißhandlungen habe er nichts gesagt und wolle auch jetzt nichts sagen. Nach
15 Tagen sei er wieder freigekommen. Nach Indien habe er wegen der
verschärften Kontrollen nicht mehr fahren können. Er habe sich im Walde
verborgen gehalten und sei nur ab und zu nach Hause gekommen. Seine Frau
habe ihn schließlich gebeten, sich nach Deutschland in Sicherheit zu bringen. Sie
habe ihren Schmuck geopfert, um das Reisegeld zusammenzubringen. Ein
singhalesischer Busfahrer habe durch seine Beziehungen bewirkt, daß er
unbehelligt nach Colombo habe reisen und auch die Flughafenkontrolle habe
passieren können.
Mit Bescheid vom 25. Februar 1985 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Beigeladenen als Asylberechtigten an. Zur
Begründung führte es aus: Die Spannungen zwischen der tamilischen Minderheit
und der singhalesischen Mehrheit in Sri Lanka hätten ständig zugenommen und
sich nach den schweren Unruhen nach 1958 in immer kürzeren Abständen 1977,
1979, 1981 und 1983 entladen. Die srilankische Regierung bemühe sich bisher
ohne sichtbaren Erfolg mit legislativen und administrativen Maßnahmen, die
Ausschreitungen gegen Tamilen aber auch die auf einen unabhängigen
Tamilenstaat gerichteten Aktivitäten dauerhaft zu unterbinden. Insbesondere
bezüglich der Rassenunruhen in den überwiegend von Singhalesen bewohnten
Gebieten Sri Lankas sei im Juli/August 1983 die tamilische Minderheit einer
Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen und die damalige Verfolgungssituation
könne sich in absehbarer Zeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wiederholen. Bei
der Bekämpfung einer relativ kleinen terroristischen Minderheit komme es immer
wieder zu unverhältnismäßigen und oft auch willkürlichen Verfolgungsmaßnahmen
der Sicherheitskräfte, in erster Linie gegenüber jungen Tamilen, die sich aktiv zur
tamilischen Bewegung bekennen oder im Verdacht stehen würden, für eine der
tamilischen Organisationen tätig zu sein, die die gewaltsame Schaffung eines
eigenen Tamilenstaates Eelam anstrebten. Tamilische Antragsteller trügen immer
wieder glaubhaft vor, daß die Sicherheitskräfte bei Razzien und
Massenverhaftungen unter rigoroser Anwendung von Schußwaffen in der Regel alle
greifbaren jungen Männer der betroffenen Gebiete verhaften und in Militärlager
verbringen würden. Dort sei es zu Folterungen und Mißhandlungen gekommen,
bevor die Leute nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder aus der Haft entlassen
würden. Für eine längerfristig veränderte Sachlage ergäben sich keine greifbaren
Hinweise, zumal gerade seit dem Jahr 1984 die gewalttätigen tamilischen
Befreiungsorganisationen ihren bewaffneten Kampf gegen die srilankische
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Befreiungsorganisationen ihren bewaffneten Kampf gegen die srilankische
Regierung verstärkt hätten. Angesichts der Übergriffe seitens untergeordneten
Personals der Sicherheitskräfte gegenüber der einfachen tamilischen Bevölkerung
im Norden Sri Lankas müsse man davon ausgehen, daß sich die antitamilische
Einstellung dieser untergeordneten Amtswalter auch in besonderem Maße gerade
gegen diejenigen Tamilen richte, die wegen des oft pauschalen Verdachts der
Unterstützung einer der vielen tamilischen Befreiungsorganisationen
festgenommen würden. Dabei seien sie dem srilankischen Staat zurechenbaren
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Die Vorgehensweise der srilankischen
Sicherheitskräfte diene nicht nur der unmittelbaren Terrorismusbekämpfung,
sondern auch einer politisch motivierten Einschüchterung bestimmter
Bevölkerungskreise in den Tamilengebieten. Insbesondere jüngere Tamilen im
Alter zwischen 16 und 30 Jahren müßten im Norden Sri Lankas ständig mit
asylrechtlich relevanter Verfolgung rechnen. Zwar habe das
Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 30. Oktober 1984 eine
Gruppenverfolgung der tamilischen Bevölkerung insgesamt verneint. Dabei sei
jedoch zu berücksichtigen, daß sich nach der letzten mündlichen Verhandlung der
der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorausgehenden
Tatsacheninstanz (27. Januar 1984) im Verlauf des Jahres 1984 die Situation in den
überwiegend von Tamilen bewohnten Gebieten im Norden Sri Lankas drastisch
verändert habe. Dies gelte insbesondere für junge männliche Tamilen, die als
vermeintliche oder tatsächliche Sympathisanten bzw. Mitglieder der tamilischen
militanten Untergrundbewegungen Ziel der Maßnahmen der fast ausschließlich
singhalesischen Sicherheitskräfte seien.
Gegen den ihm am 26. März 1985 zugestellten Bescheid der Beklagten hat der
Kläger mit Schreiben vom 18. April 1985, das bei dem Verwaltungsgericht Kassel
am 22. April 1985 eingegangen ist, Klage erhoben. Er hat vorgetragen: Eine
mittelbare staatliche Verfolgung der Ceylon-Tamilen in Sri Lanka lasse sich nicht
feststellen. Insbesondere könne man nicht von einer fehlenden Schutzfähigkeit
des srilankischen Staates gegenüber Ausschreitungen der singhalesischen
Bevölkerung ausgehen. Die Unruhen seien in relativ kurzer Zeit nach ihrem
Ausbruch unter Kontrolle gebracht und beendet worden. Der Umstand, daß der
Staat nicht allen Tamilen ausnahmslos Schutz habe gewähren können, begründe
keine Gruppenverfolgung. Die Schutzfähigkeit fehle erst dann, wenn der Staat zur
Verhinderung solcher Übergriffe prinzipiell und auf "gewisse Dauer" außerstande
sei, weil er für das ganze Staatsgebiet oder einzelne Regionen das Gesetz des
Handelns an andere Kräfte verloren habe und seine staatlichen Sicherheits- und
Ordnungsvorstellungen insoweit nicht mehr durchzusetzen vermöge. Bei der
Beurteilung des Zeitmerkmals "gewisse Dauer" könne das Ausmaß der
Ausschreitungen nicht ausschlaggebend sein. Staatliche Gegenmaßnahmen auf
spontan auftretende und den Staat überraschende Ausschreitungen könnten
immer nur mit zeitlicher Verzögerung zur Wirkung gelangen. Unabhängig davon
bestehe für die Tamilen jedenfalls in den mehrheitlich von diesen bewohnten
Landesteilen im Norden Sri Lankas nicht die Gefahr, von pogromartigen
Ausschreitungen der Zivilbevölkerung betroffen zu werden. Soweit dort einzelne
Übergriffe von Sicherheitskräften gegenüber Ceylon-Tamilen vorgekommen seien,
könne man nicht von einer Gruppenverfolgung der Tamilen ausgehen. Den
Übergriffen seien nämlich regelmäßig gewalttätige Aktionen der tamilischen
Untergrundkämpfer vorausgegangen. Bei den dadurch provozierten Übergriffen
handele es sich deshalb um situationsbedingte und spontane Rache- und
Vergeltungsaktionen untergeordneter Amtsträger. Ziel solcher Exzesse seien
Einzelpersonen, nicht die gesamte Volksgruppe der Ceylon-Tamilen. Zu einer
gruppenweiten Verfolgung der tamilischen Bevölkerungsmehrheit im Norden seien
die dort stationierten Armee- und Polizeieinheiten schon aufgrund ihrer
personellen Stärke nicht in der Lage. Die Gefahr, Opfer eines solchen Übergriffs zu
werden, sei für den einzelnen Tamilen gering, auch wenn er erkennbar für einen
selbständigen Tamilenstaat eingetreten oder politisch aktiv gewesen sei. Diese
Gefahr erreiche deshalb nicht die für die Anerkennung erforderliche beachtliche
Wahrscheinlichkeit.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 1985 aufzuheben.
Die Beklagte hat sich zur Sache nicht geäußert.
Der Beigeladene hat unter Verteidigung des angefochtenen Bescheides beantragt,
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die Klage abzuweisen.
In der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 1985 hat das Verwaltungsgericht
den Beigeladenen informatorisch zu seinen Asylgründen gehört. Wegen des
Ergebnisses wird auf den Inhalt der Niederschrift vom 29. Oktober 1985 verwiesen.
Das Verwaltungsgericht Kassel hat durch Urteil vom 29. Oktober 1985 die Klage
abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im wesentlichen
ausgeführt: Der Beigeladene sei von der Beklagten zu Recht als Asylberechtigter
anerkannt worden. Zwar habe er nicht glaubhaft gemacht, daß er bis zu seiner
Ausreise im März 1984 in seiner Heimat bereits politisch verfolgt gewesen sei. Die
von ihm geschilderten mehrmaligen Festnahmen stellten keine politische
Verfolgung dar, obwohl der Beigeladene dabei gefoltert worden sei. Anlaß für die
Festnahmen sei nach der Schilderung des Beigeladenen der Umstand gewesen,
daß die Polizei durch ihn Auskünfte über die gewaltsamen Aktionen der
Tigerbewegung und über deren Mitglieder habe bekommen wollen. Ziel der
Verhöre sei damit ein Interesse der Strafverfolgung und nicht ein politisches Ziel
gewesen. Dem Beigeladenen drohe jedoch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei
einer Rückkehr nach Sri Lanka von seiten der srilankischen Sicherheits- und
Militärpersonen politische Verfolgung, die dem srilankischen Staat asylrechtlich
zuzurechnen sei. In dieser Frage trete das Gericht dem angefochtenen Bescheid in
der rechtlichen und in der Beurteilung der gegenwärtigen Situation im Norden Sri
Lankas bei, die auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine günstigere
Prognose zulasse. Die zur Bekämpfung von Terrorismus und Separatismus in
stärkerem Ausmaß in den Norden Sri Lankas verlegten Militär- und Polizeikräfte,
die sich fast ausschließlich aus Singhalesen zusammensetzten, schienen ihrer
Aufgabe nicht oder nur unzulänglich gewachsen zu sein. Statt gezielt gegen die
vom indischen Festland aus operierenden Widerstandskämpfer vorzugehen,
reagierten die Sicherheitskräfte auf jeden Terroranschlag mit Vergeltungsaktionen,
die sich wahllos gegen die vorwiegend tamilische Zivilbevölkerung richteten. Dabei
sei es zu Brandschatzungen und Verwüstungen gekommen. Vorwiegend junge
männliche Tamilen seien in großer Zahl verhaftet worden, weil man sie pauschal
verdächtigt habe, der Tigerbewegung anzugehören bzw. sie zu unterstützen. Zwar
würden diese Verhafteten nach einiger Zeit wieder freigelassen, seien jedoch
während ihrer Festnahme schweren Mißhandlungen durch die Sicherheitskräfte
und das Bewachungspersonal ausgesetzt. Die Sicherheitskräfte nähmen auf diese
Weise für Verluste, die in den eigenen Reihen durch Terrorakte entstanden seien,
an den Tamilen Rache, die in ihren Gewahrsam geraten seien. Ebenso wie das
beklagte Bundesamt sehe das Gericht darin politische Verfolgung in der Form der
dem srilankischen Staat zurechenbaren Drittverfolgung. Auch der Beigeladene
müsse bei seiner Rückkehr in den Norden Sri Lankas mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit seine - wenn auch kurzfristige - Verhaftung gewärtigen. Dabei
bestehe die aufgezeigte Gefahr von Übergriffen. Der Süden Sri Lankas könne dem
Beigeladenen nicht als innerstaatliche Fluchtalternative zugemutet werden, weil es
dort in der Vergangenheit immer wieder zu pogromartigen Übergriffen auf Tamilen
gekommen sei, weshalb die erforderlichen elementaren Lebensbedingungen für
den Beigeladenen im Süden Sri Lankas nicht gewährleistet seien.
Der Kläger hat gegen dieses, ihm am 25. November 1985 zugestellte Urteil mit
Schriftsatz vom 28. November 1985, der am 4. Dezember 1985 bei dem
Verwaltungsgericht Kassel eingegangen ist, Berufung eingelegt und zur
Begründung auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil und den Bescheid des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. Februar 1985 aufzuheben.
Die Beklagte hat sich auch im Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert.
Der Beigeladene verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat gemäß Beweisbeschluß vom 17. Dezember 1990 Beweis durch
Vernehmung des Beigeladenen als Partei erhoben. Wegen des Beweisthemas wird
auf den Beweisbeschluß, wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die
Niederschrift über den Termin zur Beweisaufnahme durch den beauftragten
Richter am 10. Januar 1991 Bezug genommen.
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Der Kläger, die Beklagte und der Beigeladene haben sich schriftsätzlich mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Beteiligten sind mit Schreiben des Senatsvorsitzenden bzw. des
Berichterstatters vom 26. April 1991, 18. Juni 1991 und 10. Oktober 1991 auf die
folgenden Erkenntnisquellen (SL 1) und dem Umstand ihrer voraussichtlichen
Berücksichtigung bei einer Entscheidung über die Berufung hingewiesen worden:
SL 1
1. 23.06.1982 Dr. Hofmann an VG Wiesbaden
2. 12.07.1982 Südasien-Institut an VG Wiesbaden
3. 25.10.1982 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
4. 1983 VG Wiesbaden, Informations- und Dokumentationsstelle für Asyl- u.
Ausländerrecht: Politische Chronologie der Demokratischen Sozialistischen
Republik Sri Lanka, 2. Aufl. 1983, und Sonderband, Jan. - Dez. 1983
5. 23.03.1983 Dr. Hellmann-Rajanayagam an VG Gelsenkirchen
6. 28.11.1983 Auswärtiges Amt an OVG Münster
7. 30.12.1983 Dr. Hellmann-Rajanayagam an Bundesamt
8. Februar 1984 ZDWF-Schriftenreihe Nr. 4: Bericht der Internationalen Juristen-
Kommission Genf, Ethnische Unruhen in Sri Lanka 1981 - 1983
9. 01.06.1984 amnesty-international: "Current Human Rights Concerns and
Evidence of Extrajudicial Killings by the Security Forces, July 1983 - April 1984",
External - ASA 37/05/84 -
10. 03.07.1984 Auswärtiges Amt an Bundesamt
11. 29.08.1984 Bundesamt für Polizeiwesen in Bern: Bericht über die Abklärungen
in Sri Lanka vom 11. bis 20. August 1984
12. Februar 1985 Parliamentary Human Rights Group: Sri Lanka - a Nation Dividing
Report of a visit
13. 28.08.1985 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
14. 25.09.1985 Dr. Hellmann-Rajanayagam an VG Hannover
15. 01.10.1985 Auswärtiges Amt an Bundesminister der Justiz
16. 03.01.1986 Dr. Hofmann an VG Neustadt
17. 10.01.1986 FAZ: Colombo droht den Tamilen
18. 04.02.1986 The Guardian: Colombo "plans big offensive"
19. 06.02.1986 Dr. Hofmann an VG Ansbach
20. 03.03.1986 FR: Ohne Nachsicht und mit eiserner Faust
21. 10.03.1986 Dr. Hofmann an die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
22. 19.05.1986 The Guardian: Colombo launches attack against Tamils
23. 29.08.1986 Die Zeit: Vertreibung aus dem Paradies
24. 09.12.1986 ZDF-Sende-Manuskript von Alexan der Niemetz: "Brudermord im
Paradies"; Sendetermin 9.12.1986, 19.30 h
25. 22.12.1986 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
26. 15.03.1987 Auswärtiges Amt: Lagebericht
27. 23.06.1987 Auswärtiges Amt: Lagebericht
28. 25.06.1987 FAZ: Indische Hilfsgüter für Tamilen
29. 26.06.1987 FAZ: Selbstmörderisches in Sri Lanka
30. 21.07.1987 FR: Sri Lankas Präsident bietet Tamilen Autonomie an
31. 03.08.1987 FAZ: Der Führer der tamilischen Rebellen befiehlt Waffenabgabe
32. 04.08.1987 FAZ: Tamilische Rebellen verzögern Waffenübergabe
33. 05.08.1987 FAZ: Ist Sri Lanka nun gerettet ?
34. 06.08.1987 FAZ: Tamilen legen Waffen nieder
35. 13.08.1987 FAZ: Interne Kämpfe der tamilischen Guerilla-Gruppen
36. 14.08.1987 FAZ: Tamilen streiten um Machtpositionen
37. 19.08.1987 FR: Attentat auf Sri Lankas Präsidenten
38. 20.08.1987 FR: Weitere Anschläge angedroht
39. 22.08.1987 Dr. Hofmann an VG Ansbach (Hinweis: mit engl. Text des lankisch-
indischen Abkommens vom 29.07.1987)
40. 30.09.1987 FAZ: Übergangsregierung für Tamilen-Gebiet
41. 30.09.1987 FR: Einigung in Sri Lanka
42. 08.10.1987 FAZ: Nach den Morden tamilischer Rebellen fliehen die
Singhalesen aus dem Osten Sri Lankas
43. 09.10.1987 FAZ: Indische Aktionen gegen Rebellen
44. 30.10.1987 Südasien Nr. 6-7/87: Text des Friedensvertrags zwischen Rajiv
Gandhi und J. R. Jayawardene
45. 22.07.1988 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
46. 09.08.1988 Sachverständige Dr. Hofmann an Hess. VGH
47. 11.08.1988 Sachverständige Dr. Hellmann Rajanayagam an Hess.VGH
47. 11.08.1988 Sachverständige Dr. Hellmann Rajanayagam an Hess.VGH
48. 14.12.1988 Auswärtiges Amt: Lagebericht sowie Ergänzungsbericht vom 10.
Februar 1989
49. 16.12.1988 FR: In Sri Lanka regiert das Chaos
50. 20.12.1988 FR: Blutiger Wahltag auf Sri Lanka
51. 21.12.1988 FAZ: Premadasa Staatspräsident in Sri Lanka
52. 22.12.1988 FAZ: Ein Präsident aus dem Volke Frau Bandaranaike will das
Wahlergebnis anfechten
53. 10.02.1989 Zeuge Walter Keller vor dem Hess. VGH
54. Nr.3/89 Zeitschrift "Flüchtlinge", Zurück in Sri Lanka: Das Leben beginnt von
vorn, Seite 20 bis 31
55. Mai 1989 amnesty international, Sri Lanka - Anhaltende
Menschenrechtsverletzungen, Zusammenfassung
56. 19.06.1989 FAZ: Indien und Sri Lanka auf Konfrontationskurs
57. 21.06.1989 FR: Ausnahmerecht auf Sri Lanka
58. Juni 1989 amnesty international, Sri Lanka Torture of Returned Asylum Seekers
59. 29.06.1989 FR: "Tiger" ziehen die Krallen ein
60. 07.07.1989 FAZ: Ausnahmezustand und Zensur in Sri Lanka
61. 07.07.1989 FR: Sri Lankas Truppen dürfen auf Regierungsgegner schießen
62. 10.07.1989 FAZ: Indiens Fiasko in Sri Lanka
63. 13.07.1989 FR: Sri Lanka sperrt Universitäten
64. 14.07.1989 FAZ: Bekanntester tamilischer Politiker in Sri Lanka ermordet
65. 19.07.1989 FR: Tamilenführer ermordet
66. 21.07.1989 FAZ: In 25 Tagen 542 Morde in Sri Lanka
67. 28.07.1989 FAZ: Ein Handzettel genügt, um den Markt in Colombo zu
schließen
68. 11.08.1989 Auswärtiges Amt: Lagebericht
69. 29.08.1989 FAZ: Streiks, Drohungen, Mordanschläge - Sri Lanka versinkt im
Terror
70. 15.09.1989 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
71. 02.11.1989 Auswärtiges Amt: Lagebericht
72. 06.11.1989 FR: Fahnen der Trauer
73. 14.11.1989 FAZ: Rebellenführer in Sri Lanka getötet
74. 14.11.1989 FR: Gefangenen Rebellenchef getötet
75. 16.11.1989 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
76. 15.12.1989 FR: Der Drache ist tot, der Terror geht weiter
77. 15.12.1989 FAZ: Tamilische Rebellen erobern Stellungen im Osten Sri Lankas
78. 13.02.1990 FAZ: Tamilische Guerilleros wollen sich an freien Wahlen beteiligen
79. 16.02.1990 FR: ai prangert Sri Lanka an
80. 19.02.1990 Auswärtiges Amt: Lagebericht 81. 21.02.1990 FR: Kurz gemeldet:
Journalist ermordet aufgefunden
82. 26.03.1990 FR: Inder verlassen Sri Lanka
83. 28.03.1990 FR: Bitten die "Tiger" Colombo noch zur Kasse?
84. 02.04.1990 FR: Tamilenführer verließ Urwald
85. 07.04.1990 FR: Opposition ruft zum Kampf
86. 20.04.1990 Auswärtiges Amt an Bundesamt
87. Mai 1990 Walter Keller: Sri Lanka - Informationen für HilfswerksvertreterInnen
im Asylverfahren
88. 28.05.1990 Auswärtiges Amt: Lagebericht
89. 11.06.1990 FR: Fremd und rechtslos blieben die Teepflücker von Hutton
90. 16.06.1990 FR: Tamilen töteten 23 Polizisten
91. 18.06.1990 FR: Waffenruhe in Sri Lanka
92. 22.06.1990 FAZ: Die östliche Provinz von Sri Lanka befreit
93. 23.06.1990 FR: Massaker in Sri Lanka
94. 25.06.1990 FR: Fluchtwelle auf Sri Lanka
95. 27.06.1990 FR: Colombo bombardiert Tamilen
96. 27.06.1990 FAZ: Zahlreiche Opfer bei Bombenangriff in Sri Lanka
97. 30.06.1990 FR: Geisterstadt auf Sri Lanka, Halbe Million Flüchtlinge/Anhaltende
Kämpfe im Norden
98. 02.07.1990 FR: Luftwaffe bombardiert Tamilen-Gebiet
99. 04.07.1990 Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf (514-516/11040)
100. 04.07.1990 Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf (514-516/11096)
101. 04.07.1990 FR: Setzt Sri Lanka Napalm ein?
102. 11.07.1990 FR: Tamilen flüchten mit Booten
103. 13.07.1990 FR: Normal ist wieder der Bürgerkrieg
104. 13.07.1990 FR: Tamilen flüchten nach Indien
105. 13.07.1990 Auswärtiges Amt: Lagebericht
106. 19.07.1990 ai an VG Gelsenkirchen
107. 24.07.1990 FR: Ausgangssperre in Sri Lanka
107. 24.07.1990 FR: Ausgangssperre in Sri Lanka
108. 25.07.1990 FR: Cholera-Bombe auf Jaffna?
109. 06.08.1990 FAZ: Massaker an 140 Muslimen in Sri Lanka
110. 07.08.1990 FR: Weitere Morde auf Sri Lanka
111. 08.08.1990 Auswärtiges Amt an Hess.VGH
112. 09.08.1990 FAZ: Dutzende Tote bei Überfällen in Sri Lanka
113. 13.08.1990 FR: Überfall mit giftigen Messern
114. 14.08.1990 FR: Racheakte nach dem Massaker
115. 15.08.1990 FR: Jetzt gilt die Taktik der verbrannten Erde
116. 16.08.1990 FR: Kirche für Aufteilung Sri Lankas
117. 27.08.1990 Der Spiegel: Keine Gnade
118. 29.08.1990 Auswärtiges Amt: Lagebericht
119. 11.09.1990 FR: Mordeten Soldaten 50 Tamilen?
120. 13.09.1990 FAZ: Mehr als 100 Tote bei Gefechten in Sri Lanka
121. 19.09.1990 amnesty international: Sri Lanka - An Update On Human Rights
Concerns
122. 22.09.1990 FR: Schläge gegen die Zivilbevölkerung
123. 27.09.1990 FR: Sri Lankas Armee räumt Fort
124. Oktober 1990 ai-Info, Walter Keller: Sri Lanka - Im Würgegriff der Gewalt
125. 11.10.1990 FR: Massenflucht der Tamilen
126. 12.10.1990 FR: Flüchtlinge unerwünscht
127. 18.10.1990 FR: Großoffensive im Norden Sri Lankas
128. 26.10.1990 FR: Racheakte zugegeben
129. 02.11.1990 FAZ: Offensive gegen die Tamilenrebellen
130. 06.11.1990 FR: Frauen-Guerilla stürmte Lager
131. 06.11.1990 FAZ: Tamilische Rebellen stürmen Armeelager
132. 06.11.1990 FR: Mindestens 60.000 Menschen in Sri Lanka "verschwunden"
133. 27.11.1990 FR: Blutige Kämpfe auf Sri Lanka
134. 29.11.1990 Auswärtiges Amt an VG Köln
135. 12.12.1990 FR: Nach Blutbad Schuldvorwürfe
136. 13.12.1990 NZZ: Massaker auf Sri Lanka?
137. 14.12.1990 Auswärtiges Amt an VG Ansbach mit Berichtigung vom
27.12.1990
138. 14./21.12.90 Zeuge Walter Keller vor dem Hess.VGH
139. 19.12.1990 NZZ: Erfolgsmeldungen der Armee Sri Lankas
140. 20.12.1990 NZZ: Erfolgsmeldungen der Truppen Sri Lankas
141. 21.12.1990 NZZ: Erfolgsmeldungen der Regierungstruppen Sri Lankas
142. 24.12.1990 NZZ: Offensive der Truppen Colombos in Sri Lanka
143. 26.12.1990 NZZ: Neue Kämpfe in Sri Lanka
144. 27.12.1990 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
145. 30.12.1990 Süddeutsche Zeitung: Colombo lehnt Gespräche mit Tamilen ab
146. 31.12.1990 Süddeutsche Zeitung: Rebellen in Sri Lanka verkünden
Waffenruhe
147. 31.12.1990 FAZ: Sagt endlich, wo unsere Männer sind!
148. Nr. 1/91 Südasien-Zeitschrift des Südasien-Büro, 11. Jahrgang, S. 6 bis 9, E
bis H, Rückseite
149. 02.01.1991 FAZ: Waffenruhe zwischen Regierung und Rebellen auf Sri Lanka
150. 03.01.1991 Süddeutsche Zeitung: Tamilen brechen Waffenruhe
151. 06.01.1991 Süddeutsche Zeitung: Colombos Opposition verweigert sich
152. 10.01.1991 FR: Mehr als 200.00 Tamilen flüchteten
153. 14.01.1991 NZZ: Ende der "Waffenruhe" in Sri Lanka
154. 14.01.1991 DW-Monitor-Dienst: Keine Verlängerung des Waffenstillstandes
durch srilankische Regierung
155. 16.01.1991 DW-Monitor-Dienst: LTTE für Verhandlungen ohne
Vorbedingungen in Sri Lanka
156. 16.01.1991 Auswärtiges Amt: Lagebericht
157. 19.01.1991 The Economist: Another round 158. 24.01.1991 The Guardian:
Villagers killed in attack 'by Tamil Tigers' 159. 25.01.1991 Walter Keller-Kirchhoff an
VG Ansbach mit Chronologie der wichtigsten Ereignisse in Sri Lanka für die Zeit
zwischen Juli 1990 und Januar 1991
160. 26.01.1991 The Guardian: Tamils drop truce as air forte strikes
161. 31.01.1991 The Guardian: India urges Tamil deal in Sri Lanka
162. 04.02.1991 FR: Sri Lanka: Keine Zukunft für den Inselstaat?
163. 08.02.1991 FAZ: Zivilisten sollen Tamilen Region in Sri Lanka räumen
164. 08.02.1991 Süddeutsche Zeitung: Norden Sri Lankas soll geräumt werden
165. 09.02.1991 The Guardian: Sri Lanka campaigners say 40,000 have
'disappeared'
166. 13.02.1991 FR: Neue Offensive gegen tamilische Rebellen
167. 15.02.1991 Walter Keller an VG Gelsenkirchen
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167. 15.02.1991 Walter Keller an VG Gelsenkirchen
168. 19.02.1991 The Guardian: Tiger ambush leaves 45 Sri Lankan troops dead
169. 03.03.1991 HNA: Bombe ferngezündet: 29 Tote auf Sri Lanka
170. 25.06.1991 amnesty international, die Menschenrechtssituation in Sri Lanka
171. Juli 1991 Dr. Tessa Hofmann: Gutachten zur Situation der Tamilen in Sri
Lanka; Gesellschaft für bedrohte Völker, Göttingen
172. 30.08.1991 Auswärtiges Amt an Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
173. 07.09.1991 Walter Keller-Kirchhoff: Gutachten zu den
Verwaltungsstreitsachen A 16 S 846/89 u.a. VGH Baden-Württemberg
174. 10.09.1991 Walter Keller-Kirchhoff: Gutachten zur Verwaltungsstreitsache AN
12 K 89.33313 VG Ansbach
175. 11.09.1991 amnesty international: Bericht Sri Lanka - The North East Human
rights violations in a con text of armed conflict
176. 17.09.1991 Walter Keller-Kirchhoff: Gutachten zur Verwaltungsstreitsache 4 K
10923/88 VG Gelsenkirchen
Dem Gericht liegen außer den vorgenannten Unterlagen die den Kläger
betreffenden Akten des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vor, die wie die zuvor genannten Dokumente Gegenstand der Beratung
waren. Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf deren Inhalt
sowie den Inhalt der Gerichtsakten, insbesondere die Verhandlungsniederschriften
vom 29. Oktober 1985 und 10. Januar 1991 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung kann aufgrund des zuvor erklärten erforderlichen
Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§§ 101
Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO).
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat
seine gegen den Anerkennungsbescheid des Bundesamts für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge gerichtete Klage nach dem gegenwärtigen Sachstand zu
Unrecht abgewiesen. Der Beigeladene hat keinen Anspruch auf Anerkennung als
Asylberechtigter gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. den Vorschriften des
Asylverfahrensgesetzes.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt,
wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat und dem deshalb eine Rückkehr in
sein Heimatland nicht zuzumuten ist (BVerfGE 54, 341 <357> = EZAR 200
Nr. 1; BVerwG, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Soweit Leib, Leben oder
persönliche Freiheit nicht unmittelbar gefährdet sind, sondern lediglich andere
Freiheitsrechte, wie etwa die auf ungehinderte berufliche und wirtschaftliche
Betätigung, sind nur solche Beeinträchtigungen asylrechtsbegründend, die nach
Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen,
was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems
allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, a.a.O.). Dies ist erst anzunehmen, wenn
die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen derart bedroht ist, daß jenes
Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist, das ein menschenwürdiges Dasein
erst ausmacht (BVerwG, Urteil v. 18. Februar 1986 - BVerwG 9 C 104.85 -, DVBl.
1986, 834 <837> mit Verweis auf BVerfGE 45, 187 <228>). Eine
Verfolgung ist politisch im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn sie auf die
Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder die politische Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerwGE 67, 195).
Insoweit kommt es jedoch nicht auf die subjektiven Gründe und Motive des
Verfolgenden an, sondern auf die (objektiv) erkennbare Gerichtetheit der
Maßnahme anhand ihres inhaltlichen Charakters (vgl. dazu BVerfG, Beschluß v. 10.
Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 <335, 338 unten;; BVerwG, Urteil
vom 20. November 1990 BVerwG 9 C 74.90 -). Politische Verfolgung ist
grundsätzlich staatliche Verfolgung, weil sie nur von einem Träger überlegener, in
der Regel hoheitlicher Macht ausgehen kann, was nicht ausschließt, dem Staat ihn
verdrängende und ersetzende staatsähnliche Organisationen gleichzustellen
(BVerfG, a.a.O.). 334 unter Verweis auf BVerwG, Urteil v. 3. Dezember 1985 -
BVerwG 9 C 22.85 -, Buchholz 402.85, § 1 AsylVfG Nr. 43 = EZAR 202 Nr. 6). Für
die Beurteilung, ob ein Asylsuchender politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 Abs.
2 Satz 2 GG ist, gelten unterschiedliche Maßstäbe je nach dem, ob er seinen
Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender Gefahr
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Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender Gefahr
politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik
Deutschland gekommen ist (BVerfG 80, 315, 344;; BVerwG, Urteil vom 15. Mai
1990 BVerwG 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 <140 f.>). Ist der Asylsuchende in
diesem Sinne vorverfolgt ausgereist, ist er asylberechtigt, wenn die
fluchtbegründenden Umstände im Zeitpunkt der Entscheidung ohne wesentliche
Änderung fortbestehen. Ist die Verfolgungsgefahr zwischenzeitlich beendet,
kommt eine Anerkennung als Asylberechtigter nur dann nicht in Betracht, wenn ihr
Aufleben oder die Entstehung einer erneuten Verfolgungsgefahr mit hinreichender
Sicherheit ausgeschlossen werden können. Gleiches gilt, wenn sich - bei
fortbestehender regional begrenzter politischer Verfolgung - nach der Einreise in
den Geltungsbereich des Grundgesetzes eine zumutbare inländische
Fluchtalternative eröffnet (BVerfG, a.a.O.). 345; BVerwG, a.a.O.). Bei unverfolgt
ausgereisten Asylsuchenden kann der Asylantrag nur dann Erfolg haben, wenn
ihnen aufgrund von beachtlichen Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung
droht (vgl. hierzu BVerfGE 74, 51 <64 ff.>; BVerwGE 77, 258 <260 f.>).
Droht den Betroffenen nur regionale Verfolgung, können sie auf Gebiete verwiesen
werden, in denen sie vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sind, es sei
denn, es drohten ihnen dort andere unzumutbare Nachteile und Gefahren
(BVerfGE 80, 345 f.; BVerwGE 85, 139 <140 f.>).
Die hierbei erforderlichen Prognosen müssen auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der
letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren
Zeitraum ausgerichtet sein (BVerwG, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096). Dies
gilt auch im vorliegenden Fall einer Anfechtungsklage (Beanstandungsklage) des
Bundesbeauftragten (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 24. Februar 1989 - 10 UE 2013/85
-, S. 17/18 des Urteilsumdrucks).
Das Grundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist ein Individualgrundrecht. Nur
derjenige kann es in Anspruch nehmen, der selbst - in seiner Person politische
Verfolgung erlitten hat; dabei steht der eingetretenen Verfolgung die unmittelbar
drohende Gefahr der Verfolgung gleich. Die Gefahr eigener politischer Verfolgung
eines Asylbewerbers kann sich aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben,
wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er
mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und
Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Sieht der Verfolger von
individuellen Momenten gänzlich ab, weil seine Verfolgung der durch das
asylerhebliche Merkmal gekennzeichneten Gruppe als solcher gilt, so kann eine
solche Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, daß jedes Mitglied der
Gruppe im Verfolgerstaat eigener Verfolgung jederzeit gewärtig sein muß.
Gruppengerichtete Verfolgungen, die von Dritten ausgehen, brauchen nicht ein
ganzes Land gewissermaßen flächendeckend zu erfassen. Unmittelbare
Betroffenheit des einzelnen durch gerade auf ihn zielende
Verfolgungsmaßnahmen sowie die Gruppengerichtetheit der Verfolgung stellen die
Eckpunkte eines durch fließende Übergänge gekennzeichneten Erscheinungsbildes
der politischen Verfolgung dar. Daher ist die gegenwärtige Gefahr politischer
Verfolgung für einen Gruppenangehörigen aus dem Schicksal anderer
Gruppenmitglieder möglicherweise auch dann herzuleiten, wenn diese
Referenzfälle es noch nicht rechtfertigen, vom Typus einer gruppengerichteten
Verfolgung auszugehen, insbesondere wenn die Gruppenangehörigen als
Minderheit in einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder
gesellschaftlicher Verachtung leben müssen, das Verfolgungshandlungen wenn
nicht gar in den Augen der Verfolger rechtfertigt, so doch tatsächlich begünstigt
(BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, InfAuslR 1991, 200
<206 f.>). Allerdings führt die Asylrelevanz von Gefährdungslagen zwischen
den genannten Eckpunkten nicht dazu, daß neben den bisherigen Formen der
Einzel- und Gruppenverfolgung eine dritte Kategorie asylerheblicher
Verfolgungsbetroffenheit tritt. Die vom Bundesverfassungsgericht genannten
Referenzfälle politischer Verfolgung sowie die Feststellung, daß die
Gruppenangehörigen als Minderheit in einem Klima allgemeiner moralischer,
religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung leben müssen, sind vielmehr
gewichtige Indizien für eine gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung. Sie können
in einem Asylbewerber begründete Verfolgungsfurcht entstehen lassen, so daß es
ihm nicht zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin
zurückzukehren. Es hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht
sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung, wann eine
Verfolgungsfurcht als begründet und asylrechtlich beachtlich anzusehen ist. Die für
eine Verfolgung sprechenden Umstände müssen jedoch nach ihrer Intensität und
Häufigkeit von einem solchen Gewicht sein, daß sich daraus bei objektiver
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Häufigkeit von einem solchen Gewicht sein, daß sich daraus bei objektiver
Betrachtung für den Asylbewerber die begründete Furcht ableiten läßt, selbst ein
Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden (BVerwG, Urteil vom 23. Juli
1991 - 9 C 154.90 -, DVBl. 1991, 1089 <1092 f.>).
Der Asylbewerber ist aufgrund seiner Mitwirkungspflicht gehalten, die in seine
eigene Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse,
so zu schildern, daß sie geeignet sind, den Asylanspruch lückenlos zu tragen
(BVerwG Urteil vom 23. November 1982 - 9 C 74.81 -, EZAR 630 Nr. 1; BVerwG
Urteil vom 22. März 1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 44,
BVerwG Urteil vom B. Mai 1984 - 9 C 181.83 -, EZAR 630 Nr. 13). Anders als bei
der Schilderung der persönlichen Erlebnisse genügt es bei der Darstellung der
allgemeinen Umstände im Herkunftsland, daß die vorgetragenen Tatsachen die
nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, Urteil
vom 23. November 1982, a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist der Beigeladene als unverfolgt aus
seinem Herkunftsland Ausgereister anzusehen.
Der Senat kann nicht feststellen, daß der Beigeladene vor seiner Ausreise von
individuellen Verfolgungsmaßnahmen betroffen gewesen ist. Die vom
Beigeladenen dazu abgegebenen Erklärungen in seinem schriftlichen Asylantrag,
den er bei seiner Festnahme in Bebra am 15. März 1984 übergeben hat, und bei
seinen Anhörungen durch das Bundesamt am 30. März 1984 sowie vor dem
Verwaltungsgericht am 29. Oktober 1985 und vor dem beauftragten Richter des
Senats am 10. Januar 1991 sind zum Teil widersprüchlich und enthalten zum Teil
gesteigertes Vorbringen, so daß dieser Vortrag nicht glaubhaft ist. So hat der
Kläger in seinem schriftlichen Asylantrag, den er wenige Tage nach seiner Ausreise
aus Sri Lanka abgegeben hat, angegeben, daß er bis zu seiner Ausreise nach
Oman nur einmal für 17 Tage verhaftet gewesen ist. Eine weitere Verhaftung gibt
er für die Zeit nach seiner ersten Rückkehr aus Oman im Jahr 1982 an. Dann will er
nach seinem Vortrag im Asylantrag zwei Monate später wieder nach Oman
ausgereist sein und nach der Verhaftung seines Bruders im Jahre 1982 erneut in
sein Heimatland zurückgekommen sein. Danach habe er sich versteckt und sei im
Juli 1983 wieder verhaftet worden. Nach diesem, sogleich bei der Einreise
übergebenen Asylbegehren ist der Beigeladene also dreimal in Sri Lanka verhaftet
gewesen. Demgegenüber hat er später angegeben, er sei bis zu seiner ersten
Ausreise nach Oman im Jahr 1978 dreimal verhaftet gewesen, nochmals im Jahre
1980 nach seiner ersten Rückkehr aus Oman und ein fünftes Mal bei seiner
zweiten Rückkehr im Jahre 1982 aus Oman. Die sechste Verhaftung hat er bei
seinen Vernehmungen bzw. gerichtlichen Anhörungen erwähnt. Sie soll
unmittelbar nach Rückkehr von einer legalen Ausreise Ende 1983 bzw. Anfang
1984 nach Indien erfolgt sein. Auffällig ist ferner, daß er in seinem schriftlichen
Asylbegehren, das er bei der Einreise im März 1984 überreicht hat, an keiner Stelle
schildert, er sei selbst bei den drei dort genannten Verhaftungen mißhandelt
worden, während das - wenn auch mit unterschiedlichem Grad - bei den späteren
Vernehmungen bzw. Anhörungen von ihm für jede Verhaftung behauptet wird.
Darüber hinaus hat er in seinem schriftlichen Asylantrag für die dritte Verhaftung
als Zeitpunkt den Juli 1983 angegeben. Für diesen Zeitraum hat er in den späteren
Vernehmungen bzw. Anhörungen keine Verhaftung behauptet. Schließlich hat er
bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht am 29. Oktober 1985 erklärt,
sein Freund D. habe einer Bewegung angehört, die, als er ihn während seiner
Schulzeit kennenlernte, noch nicht zur Tiger-Bewegung gehört habe. Bei seiner
Anhörung durch den beauftragten Richter des Senats am 10. Januar 1991 hat er
hierzu erklärt, sein Freund D. sei Mitglied der Tiger-Bewegung gewesen, ferner
hätten ihm Leute der Tiger-Bewegung bei seinen dreimaligen Verhaftungen vor
seiner ersten Ausreise nach Oman, also bis zum Jahre 1978 geholfen, damit er
wieder entlassen werde. Zu diesem Zeitpunkt hat jedoch nach seinen Erklärungen
am 29. Oktober 1985 vor dem Verwaltungsgericht sein Freund D. der Tiger-
Bewegung überhaupt noch nicht angehört, den wiederum der Beigeladene in
seiner Tätigkeit für die Bewegung unterstützt haben will. Daher ist nicht
einleuchtend, weshalb ihm seinerzeit Leute der Tiger-Bewegung geholfen haben
sollen, damit er wieder entlassen würde. Aufgrund dieses zum Teil
widersprüchlichen und gegenüber der ersten Erklärung zu seinen Verhaftungen im
schriftlichen Asylbegehren gesteigerten Vorbringens steht nicht zur Überzeugung
des Senats fest, daß der Beigeladene überhaupt verhaftet gewesen und dabei
mißhandelt worden ist.
Der Beigeladene kann sich aber auch nicht auf eine Gruppenverfolgung der
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Der Beigeladene kann sich aber auch nicht auf eine Gruppenverfolgung der
Tamilen im Zeitpunkt seiner Ausreise berufen.
Eine Gruppenverfolgung im Gegensatz zur Individualverfolgung ist anzunehmen,
wenn die Gruppe als solche Ziel einer politischen Verfolgung ist, so daß in der
Regel jede die Gruppenmerkmale aufweisende Person mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten hat, ohne daß sich
Verfolgungsmaßnahmen in jedem Mitglied der Gruppe konkretisieren müssen. Die
Annahme einer Gruppenverfolgung setzt also in jedem Fall eine Verfolgungsdichte
voraus, die die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen aufweist,
daß dabei nicht mehr nur von - möglicherweise zahlreichen - individuellen
Übergriffen gesprochen werden kann, sondern von einer ohne weiteres
bestehenden aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds (vgl.
BVerwG, Urteil v. 30. Oktober 1984 - BVerwG 9 C 24.84 -, EZAR 202 Nr. 3 und
Urteil v. 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 -, NVwZ 1990, 1175 = EZAR 202 Nr. 18
= DVBl. 1990, 1064 unter Verweis auf das Urteil vom 8. Februar 1989 - BVerwG 9
C 33.87 -, EZAR 202 Nr. 15). Gruppenverfolgung kann sich landesweit oder auch
nur regional oder lokal auf eine dort lebende Gruppe oder einen dort lebenden Teil
einer Gruppe beziehen, wobei dann allerdings die Möglichkeit einer inländischen
Fluchtalternative zu prüfen ist (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1984, EZAR 202
Nr. 3). Denn asylberechtigt im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist erst
derjenige, der in seinem Heimatstaat aufgrund politischer Verfolgung überall
schutzlos ist, der landesweit in eine ausweglose Lage versetzt worden ist, also
auch in einem verfolgungsfreien Teilraum seines Heimatlandes eine zumutbare
Zuflucht nicht finden kann und deshalb Schutz im Ausland suchen muß. Denn
derselbe Staat, der in einem Landesteil selbst aktiv verfolgt, kann den hiervon
Betroffenen in einem anderen Landesteil nicht nur nicht behelligen, sondern ihn
sogar vor dortiger Drittverfolgung in Schutz nehmen. Insbesondere in Ländern, in
denen kein Staat europäischer oder nordamerikanischer Prägung besteht, tritt der
Staat dann zwei- oder mehrgesichtig auf; er verfolgt in verschiedenen Regionen
unterschiedliche Ziele. Erscheint der Staatsleitung die Abwehr einer
separatistischen Bewegung in einem Landesteil nur unter Einsatz von Mitteln
erfolgversprechend, die als politische Verfolgung zu qualifizieren sein könnten, so
bedarf es in anderen Landesteilen, in denen derartige Bestrebungen fehlen, des
Einsatzes dieser Mittel nicht. Bei der Prüfung, ob der in einem Landesteil politisch
Verfolgte zumutbar auf verfolgungsfreie Teile seines Heimatstaates verwiesen
werden kann, ist zu berücksichtigen, daß auch dieser mehrgesichtige Staat immer
ein und derselbe Staat ist (BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000,
961/86 -, BVerfGE 80, 315 <342 f.>).
Zu unterscheiden ist im übrigen - wie bei der Einzelverfolgung zwischen
unmittelbarer und nur mittelbarer staatlicher Verfolgung, wobei erstere
voraussetzt, "daß mit ihr eigene staatliche Ziele durchgesetzt werden sollten und
daß diese Ziele - offen oder verdeckt - von eigenen staatlichen Organen oder
durch eigens vom Staat dazu berufene oder doch autorisierte Kräfte durchgesetzt
würden" (vgl. dazu und zum folgenden BVerwG, Urteil v. 15. Mai 1990, a.a.O.,
1176). Eine mittelbare staatliche Verfolgung geht von privater Seite aus und muß
nach den gleichen Kriterien wie bei der Einzelverfolgung dem Staat zurechenbar
sein. Dies ist der Fall, wenn er zur Schutzgewährung entweder nicht bereit oder in
der Lage ist, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall gegenüber den
möglichen Verfolgungsmaßnahmen einzusetzen (BVerfGE 80, 315
<335/336>). Dabei wird man dem Staat für Gegenmaßnahmen eine gewisse
Zeitspanne sowohl hinsichtlich ihrer Wirkung als auch ihrer Organisation und
Einleitung zubilligen und berücksichtigen müssen, daß es einen lückenlosen Schutz
gegen politisch motivierte Übergriffe nichtstaatlicher Stellen oder Einzelpersonen
nicht geben kann (so BVerwG, Urteil v. 3. Dezember 1985 - BVerwG 9 C 33.85 -,
EZAR 202 Nr. 5).
Daß der Beigeladene sein Heimatland im März 1984 nicht wegen einer
asylrelevanten Verfolgung seiner gesamten Volksgruppe verlassen hat, ist aus der
damaligen Lage in Sri Lanka und daraus, wie es zu ihr gekommen ist, herzuleiten
(vgl. insbesondere Dokument SL 1 Nr. 4):
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts übernahmen die Briten als Kolonialherren von den
Niederländern Ceylon und trennten es als Kronkolonie staatsrechtlich von Indien
ab. 1833 schufen sie durch die Verbannung des letzten singhalesischen Königs die
Voraussetzungen für eine einheitliche Verwaltung der Insel, auf der bis zur
Kolonialisation durch die Portugiesen im 16. Jahrhundert zwei singhalesische
Königreiche im Süden und ein tamilisches Königreich im Norden existiert hatten.
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Königreiche im Süden und ein tamilisches Königreich im Norden existiert hatten.
1867 begannen die Briten auf Ceylon mit der Anlage umfangreicher Teeplantagen
und siedelten als Arbeitskräfte bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs insgesamt
531.000 aus Südindien stammende sogenannte "Indien-Tamilen" im
ceylonesischen Hochland an. 1911 standen den 531.000 auf den
Hochlandplantagen lebenden "Indien-Tamilen" 528.000 Tamilen gegenüber, deren
Vorfahren ursprünglich seit dem zweiten Jahrhundert aus Südindien eingedrungen
und als "Ceylon-Tamilen" alteingesessen waren.
Im Jahre 1931 wurden durch die sogenannte Donoughmore Constitution
allgemeine Bürgerrechte für alle Einwohner Ceylons einschließlich der "Indien-
Tamilen" eingeführt. Aufgrund von Wahlen wurde ein Staatsrat gebildet, in dem die
Singhalesen die Mehrheit besaßen und mit dem Präsidenten des 1919
gegründeten Ceylon National Congress den Vorsitzenden stellten.
Während des Zweiten Weltkriegs kam es auf Ceylon zu verschiedenen
Parteigründungen. 1944 wurde als erste "ceylon-tamilische" Partei der All Ceylon
Tamil Congress (TC) gegründet, 1945/46 folgte die Gründung der United National
Party (UNP).
Im Jahre 1947 verabschiedete das britische Parlament den Ceylon Independence
Act, der Ceylon am 4. Februar 1948 die Unabhängigkeit als Dominium des British
Commonwealth of Nations verschaffte. Bei den noch 1947 durchgeführten ersten
Parlamentswahlen errang die UNP 42 der 94 Sitze im Repräsentantenhaus, der TC
erreichte sieben Sitze und die daneben kandidierende Partei der "indien-
tamilischen Plantagenarbeiter", der heute nicht mehr bestehende Ceylon Indian
Congress (IC), sechs Sitze. Die Wahlen führten zur Bildung einer UNP-Regierung
unter Ministerpräsident D. S. Senanayaki.
Die 1948 in Kraft getretene Verfassung des unabhängigen Ceylon enthielt im Art.
29 ausdrücklich eine Gleichstellung aller Volksgruppen und Religionen sowie ein
generelles Diskriminierungs- bzw. Privilegierungsverbot.
Am 18. September 1949 erfolgte die Gründung der Tamil Federal Party of Ceylon
(FP) durch ehemalige TC-Mitglieder. Diese Partei strebte zunächst nur eine
Föderalisierung Sri Lankas mit einem eigenen tamilischen Bundesland an. Im
September 1951 gründete Solomon W. R. D. Bandaranaike, ein ehemaliger UNP-
Minister, die Sri Lanka Freedom Party (SLFP), weil die UNP einen härteren Kurs zur
Aufwertung des Buddhismus und der singhalesischen Sprache damals nicht
mittragen wollte. 1955 verband sich die SLFP mit zwei kleineren Parteien zur
Mahajana Eksath Peruamuna (MEP = Vereinigte Volksfront). Die MEP gewann bei
den Parlamentswahlen am 6. April 1956 mit 51 Parlamentssitzen eine eindeutige
absolute Mehrheit und bildete unter Bandaranaike die Regierung. Im Juli 1956
wurde der "Official Languages Act" No. 33 verabschiedet, der Singhalesisch als
einzige offizielle Sprache Ceylons einführte. Mit einer gewissen Verzögerung kam
es 1958 als Reaktion auf diese Maßnahmen zu sich ausweitenden Tamilen-
Demonstrationen und im Gegenzug zu Pogromen an Tamilen durch
singhalesischen Mob, denen etwa 500 Menschen zum Opfer fielen. Die Regierung
rief den Notstand aus und beendete mit Hilfe der Armee zunächst die Unruhen.
Die Führer der FP wurden verhaftet, die Partei selbst kurzfristig verboten.
Am 17. Juli 1958 wurde vom Parlament nach Billigung durch eine Konferenz
buddhistischer Priester der "Tamil Language Act" No. 28 verabschiedet, der für
tamilische Schüler und Studenten ein Recht auf Unterricht in Tamil, die
Durchführung von Eignungsprüfungen für den öffentlichen Dienst bei Tamilen in
deren Sprache und die Möglichkeiten der Benutzung von Tamil auch im
Behördenverkehr in den Nord- und Ostprovinzen, den vornehmlichen
Siedlungsgebieten der "Ceylon-Tamilen" (Keller, SL 1 Nr. 87, S.5, 40), vorsah.
Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz wurden allerdings erst 1966
erlassen.
Am 25. September 1959 wurde Ministerpräsident Bandaranaike durch einen
buddhistischen Mönch ermordet. In der Folgezeit kam es in Ceylon zu einer
krisenhaften Entwicklung mit Verhängung des Notstands, mehrfacher
Parlamentsauflösung und wiederholten Umbildungen der Regierung. Diese
Entwicklung fand ein vorläufiges Ende durch die Parlamentswahlen am 20. Juli
1960, die zur Bildung einer SLFP-Regierung unter Ministerpräsidentin Sirimawo
Rattwate Bandaranaike, der Witwe des ermordeten Ministerpräsidenten, führte. Die
Regierungserklärung Frau Bandaranaikes wurde erstmals neben dem offiziellen
Singhalesisch (Sinhala) auch in Tamil verlesen. Bereits am 1. Januar 1961 wurde
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Singhalesisch (Sinhala) auch in Tamil verlesen. Bereits am 1. Januar 1961 wurde
allerdings der zwei Jahre später in Kraft getretene "Language of the Courts Act"
erlassen, mit dem das Englische als Amts- und Gerichtssprache durch
Singhalesisch ersetzt wurde. Als Reaktion hierauf lehnte die FP ab sofort jegliche
Zusammenarbeit mit der Regierung ab, ihre Anhänger besetzten in den Nord- und
Ostprovinzen Postämter und Bahnhöfe, was im April 1961 zur Verhängung des
unbefristeten Notstands und zur Inhaftierung von 45 FP-Funktionären für sechs
Monate führte.
Ende März 1965 kam es zur Bildung einer im wesentlichen von der UNP
getragenen Koalitionsregierung unter Beteiligung der FP, wobei letztere einen
Minister stellte. Vorausgegangen waren die Parlamentswahlen vom 22. März 1965,
bei denen die UNP die relative Mehrheit der Sitze errang, und eine als
"Senanayake-Chelvanayakam-Pact" bezeichnete Übereinkunft zwischen dem
Wahlsieger (UNP) und dem Führer der "Ceylon-Tamilen" (FP), Chelvanayakam. In
dem Abkommen wurde vereinbart, daß der "Tamil Language Act" von 1958
realisiert und der "Language of the Courts Act" von 1961 dahingehend ergänzt
werden sollte, daß in der Nord- bzw. Ostprovinz auch Tamil als Amts- und
Gerichtssprache zugelassen werden sollte. Außerdem wurde vereinbart, daß
Provinzräte (district councils) gebildet und die Landkolonisierung in den Nord- und
Ostprovinzen in erster Linie von Tamilen durchgeführt werden sollten. 1966 legte
die Regierung in Ausführungsbestimmungen zum Tamil Language Act fest, daß
Tamil im Schriftverkehr mit amtlichen Dienststellen im ganzen Land benutzt
werden konnte. Öffentliche Verlautbarungen und Rechtsnormen sollten von nun an
zweisprachig veröffentlicht werden. Im übrigen blieb der Senanayake-
Chelvanayakam-Pact ohne praktische Ergebnisse, was 1968 zum Austritt des FP-
Ministers aus der Regierung führte.
Im Mai 1970 kam es nach heftigen Angriffen der SLFP gegen die UNP, vor allem
wegen deren "tamilen-freundlicher" Sprachenpolitik, zu einem erdrutschartigen
Sieg der SLFP bei den Parlamentswahlen, die zur Bildung einer Koalitionsregierung
unter Leitung von Ministerpräsidentin Bandaranaike führten.
Eine der ersten Maßnahmen der neuen Regierung war der Erlaß der 1971 in Kraft
getretenen "Standardisierungs"-Verordnung, die erst nach dem UNP-Sieg bei den
Parlamentswahlen am 21. Juli 1977 aufgehoben wurde. Die Verordnung regelte
den Zugang zu den Universitäten nach Sprachenproporz, was vor allem die
damals an den Universitäten überproportional vertretenen Tamilen betraf.
Am 22. Mai 1972 trat auf Ceylon eine neue Verfassung in Kraft, mit der die
bisherige konstitutionelle Monarchie Ceylon zur Republik Sri Lanka erklärt wurde.
Das bisherige, aus zwei Kammern bestehende Parlament wurde durch eine auf
sechs Jahre gewählte Nationalversammlung ersetzt. Hinsichtlich der Religionen
wurde festgelegt, daß sie Kulturfreiheit genießen, wobei allerdings ausdrücklich
geregelt wurde, daß der Buddhismus zu schützen und zu fördern sei. Als Amts-
und Gerichtssprache wurde Singhalesisch beibehalten, jedoch mußten alle
Gesetze in Tamil übersetzt werden, der Tamil Language Act aus dem Jahre 1958
blieb in Kraft. Die neue Verfassung billigte nur den Singhalesen den Rechtstitel
"Staatsbürger aus Geburt" zu, Mitglieder anderer ethnischer Gruppen erhielten
den Status "registrierte Bürger". Danach gab es in Sri Lanka drei Kategorien von
Bürgern: die singhalesischen "Staatsbürger aus Geburt", die überwiegend
"Ceylon"-tamilischen "registrierten Bürger" und fast eine Million staatenloser
"Indien-Tamilen" auf den Plantagen. Das Diskriminierungs- bzw.
Privilegierungsverbot in Art. 29 der alten Verfassung aus dem Jahre 1948 trat
außer Kraft. Als Reaktion auf diese politische Entwicklung kam es noch im Jahre
1972 zur Bildung der Tamil United Front (TUF), der sich unter anderem die FP und
der TC anschlossen und aus der im Mai 1976 die heute noch existierende Tamil
United Liberation Front (TULF) hervorging.
Am 10. Januar 1974 ereignete sich der sogenannte "Jaffna-Zwischenfall". Während
der Abschlußkundgebung der "Vierten Internationalen Tamil-Forschungskonferenz"
in Jaffna griff die Polizei die rund 50.000 Personen umfassende Menge von
Teilnehmern an, worauf eine Panik entstand, während der neun Teilnehmer getötet
und viele andere verletzt wurden. Später wurde der Einsatzleiter der Polizei von
einem Tamilen ermordet. Die Regierung weigerte sich, die Vorfälle offiziell
untersuchen zu lassen.
Am 27. Juli 1975 wurde Alfred Duraiappah, SLFP-Bürgermeister von Jaffna und
angeblich Hauptverantwortlicher für den "Jaffna-Zwischenfall", ermordet. Daraufhin
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angeblich Hauptverantwortlicher für den "Jaffna-Zwischenfall", ermordet. Daraufhin
wurden 200 junge Tamilen unter dem Verdacht des Verstoßes gegen im Jahre
1971 in Kraft getretene Notstandsverordnungen festgenommen; von ihnen waren
46 noch im September des Jahres in Haft.
Am 15. Mai 1976 wurde auf dem ersten Nationalkongreß der TULF in Pannakam
die "Vaddukoddai Resolution" verabschiedet, mit der erstmals ausdrücklich die
Errichtung eines separaten tamilischen Staates ("Free, Sovereign, Secular
Socialist State of Tamil Eelam") gefordert wurde. Im Juli 1976 wurden vier
tamilische Parlamentarier angeklagt, weil sie ohne Erlaubnis ein Flugblatt verteilt
hatten, in dem ein eigener Tamilenstaat gefordert worden war. Das Verfahren
wurde im Dezember 1976 durch die Regierung eingestellt.
Am 16. Februar 1977 wurde der seit 1971 verhängte Ausnahmezustand in Sri
Lanka beendet, was unter anderem zur Freilassung der letzten 19 seit 1972 wegen
ihrer Forderung nach größerer Autonomie inhaftierten Tamilen führte.
Die Parlamentswahlen am 21. Juli 1977 brachten einen überwältigenden Sieg der
UNP, die 140 Parlamentssitze erlangte, während auf die bisher regierende SLFP
nur acht Sitze entfielen. Die TULF konnte in den Nord- und Ostprovinzen
insgesamt 18 Sitze für sich verbuchen, wobei sie alle 14 Sitze für die Nordprovinz
und vier der zwölf Sitze für die Ostprovinz erlangte. Neben den TULF-Abgeordneten
kam ein weiterer Tamile als UNP-Abgeordneter ins Parlament und erhielt einen
Ministerposten in der am 23. Juli 1977 gebildeten UNP-Regierung unter
Ministerpräsident Junius Richard Jayewardene.
Im Anschluß an die Wahlen entstanden im August und September 1977
Rassenunruhen mit Pogromen gegen Tamilen. Von Jaffna ausgehend, wo Tamilen
Polizisten und den buddhistischen Haupttempel angegriffen haben sollen, kam es
auf der ganzen Insel zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Tamilen,
singhalesischem Mob und der Polizei. Die Regierung reagierte mit einem
Ausgehverbot und schickte Polizei in die Unruhegebiete. 125 Tote, davon 97
Tamilen, und 4.000 verhaftete Personen waren das Ergebnis dieser Unruhen, in
deren Verlauf 40.000 Tamilen aus den umkämpften Gebieten in die Großstädte
der Nordprovinz oder in Flüchtlingslager der Armee flohen.
Am 4. Oktober 1977 verabschiedete das Parlament eine Verfassungsänderung,
mit der ein Präsidialsystem nach französischem Vorbild eingeführt wurde. Das Amt
des Präsidenten übernahm im Februar 1978 der bisherige Ministerpräsident
Jayewardene, Ministerpräsident wurde Ranasinghe Premadasa.
Am 6. Mai 1978 wurden, angeblich von Mitgliedern tamilischer
Jugendorganisationen, der Leiter der Untersuchungsabteilung für terroristische
Aktivitäten in den Nord- und Ostprovinzen, Polizeiinspektor Bastian Pillai, und vier
weitere Polizisten in der Nordprovinz bei Mannar ermordet. Am 15. Mai 1978 erließ
die Regierung gegen 38 mutmaßliche Mitglieder der Guerilla-Organisation
"Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) Haftbefehl. 27 gesuchte Tamilen,
darunter der Präsident der TYF (TULF Youth Front), Kasi Anandan, stellten sich
freiwillig. Am 19. Mai 1978 verabschiedete das Parlament das "Proscribing of
Liberation Tigers of Tamil Eelam and other Organizations Law" No. 16 und
verschärfte die Strafprozeßordnung durch Einfügung besonderer Bestimmungen.
Diese Sondervorschriften ermöglichten eine einjährige Vorbeugehaft für Personen,
die der Unterstützung vom Präsidenten verbotener Organisationen verdächtigt
wurden. Außerdem wurde die Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit
eingeschränkt. Durch die am 07. September 1978 in Kraft getretene dritte
Verfassung wurde die Insel Ceylon in "Demokratische Sozialistische Republik Sri
Lanka" umbenannt. Das Präsidialsystem mit Direktwahl wurde beibehalten, Sinhala
(Singhalesisch) blieb offizielle Amtssprache, daneben wurde jedoch Tamil als
Nationalsprache anerkannt. Die neue Verfassung enthielt ausdrücklich ein Verbot
aller Formen von Folter oder grausamer, unmenschlicher bzw. erniedrigender
Behandlung oder Strafe, ließ aber daneben beträchtliche
Grundrechtsbeschränkungen zu, wie etwa in Artikel 15 ein Abweichen von der
Unschuldsvermutung und dem Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen aus
Gründen der nationalen Sicherheit.
Im März 1979 verließ C. Rajaduraj, TULF-Abgeordneter und einer der
Vizepräsidenten dieser Partei, die TULF und trat im April als Minister für regionale
Einrichtungen in die Regierung ein, zu der fortan drei Tamilen gehörten.
Im Mai 1979 beanstandete der TULF-Oppositionsführer Amirthalingam, daß von
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Im Mai 1979 beanstandete der TULF-Oppositionsführer Amirthalingam, daß von
140.000 durch die Regierung im Jahre 1978 zur Verfügung gestellten Stellen
weniger als 1.000 mit Tamilen besetzt worden seien.
Mitte Juli 1979 kam es wegen andauernder lokaler Unruhen zwischen Tamilen und
Sicherheitskräften unter Beteiligung verbotener tamilischer
Untergrundorganisationen zur Verhängung des Ausnahmezustands über die
Provinz Jaffna. Am 19. Juli 1979 verabschiedete das Parlament in einem
beschleunigten Verfahren den Prevention of Terrorism (Temporary Provisions) Act
No. 48. Dieses Gesetz zur Terrorismusbekämpfung galt im Unterschied zu den
früheren Notstandsbestimmungen auf der Grundlage des Public Security Act für
drei Jahre, während die Notstandsbestimmungen auf Grund des letztmals 1979
novellierten Gesetzes über die öffentliche Sicherheit jeweils nur für einen Monat in
Kraft blieben. Das neue Gesetz sah unter anderem ein Festhalten in
Polizeigewahrsam bis 72 Stunden ohne Mitwirkung eines Richters und die
Ermächtigung des Verteidigungsministers vor, Gefangene bis zu 18 Monaten in
"incommunicado"-Haft unterzubringen. Noch am Tage des Inkrafttretens des
Prevention of Terrorism Act wurden nach Mitteilung der TULF-Opposition in der
Provinz Jaffna 147 Personen festgenommen und gefoltert. Am 27. Dezember 1979
wurden der Ausnahmezustand aufgehoben und etwa 100 Inhaftierte entlassen.
Bei einem Banküberfall am 25. März 1981 ermordeten in Neerveli tamilische
Jugendliche zwei Polizisten. In den folgenden Wochen wurden mindestens 25
Tamilen in Isolationshaft genommen. Auf einer Wahlversammlung der TULF am 31.
Mai 1981 wurden in Jaffna zwei Polizisten durch Schüsse getötet. Unmittelbar
anschließend unternahmen mehrere hundert bewaffnete und zum Teil in Zivil
gekleidete Polizisten mehrere Tage lang andauernde Vergeltungsmaßnahmen,
wobei Dutzende von Geschäften, Büros und Privathäuser, darunter das Parteibüro
der TULF und die tamilische Nationalbibliothek in Jaffna vernichtet wurden. Am z.
Juni 1981 verhängte die Regierung den Ausnahmezustand und eine
Ausgangssperre über die Provinz Jaffna. Am folgenden Tag wurden der Vorsitzende
und vier weitere Parlamentarier der TULF von Armeeoffizieren und dem
Polizeipräsidenten von Jaffna "versehentlich" verhaftet und auf Veranlassung des
Präsidenten wieder freigelassen. Nachdem in der Nacht zum 4. Juni 1981 fünf
junge Tamilen in Jaffna von Armee-Einheiten wegen Verstoßes gegen das
Ausgangsverbot erschossen worden waren, verhängte die Regierung den
Ausnahmezustand über das ganze Land. Am 9. Juni 1981 wurde diese
Entscheidung rückgängig gemacht, am folgenden Tag wurde auch der
Ausnahmezustand für die Provinz Jaffna aufgehoben.
Am selben Tag begann die TULF einen Parlamentsboykott, den sie am 23. Juni
1981 unterbrach, um in einer Parlamentssitzung gegen anhaltende
Ausschreitungen der Polizei in Jaffna zu protestieren. Am folgenden Tag beschloß
das Parlament, dem TULF-Oppositionsführer Amirthalingam das Vertrauen zu
entziehen, weil dieser einen separaten Tamilenstaat befürwortet habe. Nachdem
es Mitte August 1981 in den Ostprovinzen und in Colombo wieder zu Angriffen auf
Läden von Tamilen gekommen war, übertrug Staatspräsident Jayewardene am 12.
August 1981 die Polizeibefugnisse einschließlich Untersuchung und Festnahme der
Armee, die in den folgenden Tagen einige hundert Personen auf Grund der neuen
Sondervollmachten festnahm. Am 17. August 1981 verhängte die Regierung
erneut den Ausnahmezustand über ganz Sri Lanka und setzte Notstandsgesetze
in Kraft, die für Brandstiftung und Plünderung schwerere Strafen bis hin zur
Todesstrafe vorsahen. Am 17. Januar 1982 wurde der Ausnahmezustand erneut
aufgehoben. Gleichwohl beschloß das Parlament am 13. März 1982 eine nicht
mehr befristete Neufassung des Prevention of Terrorism Act (PTA) aus dem Jahre
1979, die insbesondere erweiterte Vollmachten für den Verteidigungsminister
vorsah, der nunmehr auch den Aufenthaltsort von Untersuchungshäftlingen frei
bestimmen konnte (vgl. Südasien-Institut, SL 1 Nr. 8, S. 2; Internationale Juristen
Kommission, SL 1 Nr. 8, S. 10 f.; ferner Gutachten Dr. Hofmann, SL 1 Nr. 1) .
Eine Anfang November 1981 berufene Kommission unter Leitung des
Staatspräsidenten, der neben 15 Ministern auch fünf Vertreter der TULF
angehörten, erarbeitete im Laufe des Jahres 1982 eine Reihe von Vorschlägen zur
Lösung der Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen (Auswärtiges Amt vom
25.10.1982, Dokument SL 1 Nr. 3). So sollten künftig verstärkt tamilische Soldaten
und Polizisten im Norden des Landes eingesetzt und Bürgerwehren geschaffen
werden. Die schon seit 1981 bestehenden regionalen Entwicklungsausschüsse
sollten echte Kompetenzen erhalten. In öffentlichen Veranstaltungen sollte für ein
besseres gegenseitiges Verständnis zwischen den Bevölkerungsgruppen geworben
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besseres gegenseitiges Verständnis zwischen den Bevölkerungsgruppen geworben
werden.
Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch die Frage der finanziellen Entschädigung
der tamilischen Opfer der Ausschreitungen im Mai/Juni 1981 geregelt (Auswärtiges
Amt a.a.O.). Präsident Jayewardene stellte aus eigenen Mitteln eine Million Rupien
für den Wiederaufbau der bei den Ausschreitungen zerstörten Bücherei in Jaffna
bereit und rief zur Einzahlung weiterer Spenden auf ein hierfür eingerichtetes
Sonderkonto auf. Mit der Auszahlung der staatlichen Entschädigungsleistungen an
tamilische Opfer der Ausschreitungen, deren Gesamtbetrag auf 22,6 Millionen
Rupien festgesetzt worden war, wurde 1982 begonnen.
Am 14. November 1982 wurden aufgrund des PTA drei katholische Priester sowie
ein anglikanischer Pfarrer, sämtlich Tamilen aus dem Bezirk Vavuniya, verhaftet.
Ihnen und neun weiteren, anläßlich einer Protestveranstaltung am 15. Dezember
1982 festgenommenen Personen wurde im wesentlichen vorgeworfen, Kenntnisse
über den sogenannten Neerveli-Bankraub am 25. März 1981 zu haben oder sogar
daran beteiligt gewesen zu sein. Außerdem wurden sie verdächtigt, Kenntnisse
über den Verbleib der Beute des Bankraubs zu besitzen und Terroristen versteckt
und unterstützt zu haben (Dr. Hellmann-Rajanayagam, Dokument SL 1 Nr. 5). Im
Januar 1983 wurde gegen die inhaftierten tamilischen Priester und Hochschullehrer
deswegen und wegen angeblicher Beihilfe zu einem Überfall auf die Polizeistation
Chavadachchere am 27. Oktober 1982 Anklage erhoben (vgl. hierzu und zum
folgenden VG Wiesbaden, Informations- und Dokumentationsstelle für Asyl- und
Ausländerrecht, Dokument SL 1 Nr. 4, Sonderband Januar bis Dezember 1983).
Am 28. Februar 1983 wurden von einem Einzelrichter des Obersten Gerichts
wegen Teilnahme am Neerveli-Banküberfall und der Ermordung zweier Polizisten
insgesamt sechs Tamilen nach den Bestimmungen des PTA zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt.
Anfang März 1983 wurden nach einem Sprengstoffanschlag auf einen
Militärlastwagen in der Provinz Jaffna, bei dem vier Soldaten verletzt worden waren,
sechs aus Trincomalee stammende tamilische Studenten verhaftet und ohne
Kontakt zu Anwälten oder Angehörigen drei bis fünf Tage lang im Armeelager
Gurunagar festgehalten und vernommen.
Am 6. April 1983 durchsuchten Armee und Polizei die Büros der "Gandhiyam"-
Society in Vavuniya und Trincomalee und nahmen unter anderem den
Organisationssekretär der Gesellschaft, Dr. Rajasunderam, fest. Am folgenden Tag
wurde auch der Präsident der "Gandhiyam"-Society, Arolanandam David,
verhaftet. Beide wurden zunächst ins Armeelager Gurunagar gebracht, wo sie
zumindest am 8. Mai 1983 stundenlang gefoltert worden sein sollen. Am 3. Juni
1983 wurden sie in das Welikada-Gefängnis in Colombo verlegt, wo Dr.
Rajasunderam am 27. Juli 1983 zusammen mit 16 weiteren tamilischen Häftlingen
von singhalesischen Mitgefangenen ermordet wurde.
Am 10. April 1983 starb im Armeelager Gurunagar in der Provinz Jaffna ein zwei
Wochen zuvor unter Terrorismusverdacht verhafteter Tamile namens
Navaratnarajah. Bei der amtlichen Leichenschau wurden an seinem Leichnam 25
äußere und zehn innere Verletzungen jüngsten Datums festgestellt.
Am 29. April 1983 wurden während der Kommunalwahlkampagne im Jaffna-Distrikt
in Point Pedro, Valvettiturai und Chavakachcheri drei Kandidaten, davon zwei der
UNP, vermutlich von "Tigers" erschossen.
Am 18. Mai 1983 fanden Nachwahlen zum Parlament und gleichzeitig
Kommunalwahlen statt. Da die TULF die Parlamentsnachwahl boykottierte, gaben
im Jaffna-Distrikt nur rund 15 % der eingetragenen Wahlberechtigten ihre Stimme
ab. Sowohl bei den Parlaments- als auch bei den Kommunalwahlen blieb die UNP
eindeutiger Wahlsieger, bei den Kommunalwahlen gewann die TULF in den Nord-
und Ostprovinzen die Mehrheit in allen Gemeinde- und Stadträten. Obwohl zur
Sicherung der Wahl 11.000 Polizeibeamte und 7.000 Soldaten aufgeboten wurden,
kam es zu insgesamt 191 Zwischenfällen, darunter fünf Bombenanschlägen auf
Wahllokale in Jaffna. Ein Soldat wurde von tamilischen Extremisten getötet, die mit
Schnellfeuergewehren ein Wahllokal in Jaffna angriffen. Unmittelbar nach
Schließung der Wahllokale um 17.00 Uhr verhängte der Präsident landesweit den
Ausnahmezustand. In einer Vergeltungsaktion plünderten und brandschatzten
rund 600 Soldaten in der näheren Umgebung des angegriffenen Wahllokals in
Jaffna 54 Häuser und Marktbuden sowie mehrere Fahrzeuge mit der Folge, daß
mehrere hundert Menschen obdachlos wurden. Ähnliche Racheakte fanden am 1.
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mehrere hundert Menschen obdachlos wurden. Ähnliche Racheakte fanden am 1.
Juni 1983 in Vavuniya als Reaktion auf den Angriff einer vierköpfigen
Extremistengruppe auf ein Fahrzeug der Luftwaffe statt. Unter anderem wurden
der Markt niedergebrannt und das örtliche Büro der "Gandhiyam"-Society
verwüstet. Über Vavuniya wurde eine Ausgangssperre verhängt, und am folgenden
Tag kam es zu lokalen Unruhen unter anderem in der südlich Colombos gelegenen
Stadt Panadura, wobei über 100 Personen verhaftet wurden. Mit einer am 3. Juni
1983 in Kraft gesetzten neuen Notstandsbestimmung (Public Security Act 15 A.)
wurde die bisher auch bei den durch Aktionen der Sicherheitskräfte verursachten
Todesfällen notwendige amtliche Leichenschau abgeschafft. Die Polizei wurde
ermächtigt, mit Genehmigung des Verteidigungsministers jede Leiche zu
beschlagnahmen, sie begraben oder einäschern zu lassen und zu bestimmen, wer
dabei anwesend sein darf. Von einem Sprecher des Verteidigungsministeriums
wurde diese Maßnahme damit begründet, daß "die Armee wie im Kriege reagieren"
können müsse. Präsident Jayewardene äußerte in diesem Zusammenhang, daß
die Sicherheitskräfte "mit einem stärkeren Muskel zur Bekämpfung des
Terrorismus auszustatten" seien.
Nach anhaltenden Unruhen mit mehreren Toten und Bombenanschlägen mit
Schwerpunkt in Trincomalee erließ die Regierung am 13. Juni 1983 zwei auf die
"Emergency (miscellanious provisions and powers) Regulation number one"
gestützte neue Notstandsverordnungen, mit denen sämtliche Prozessionen
verboten werden und für Waffen- und Sprengstoffbesitz Freiheitsstrafe nicht unter
zehn Jahren angedroht wurde. Den Anfang dieser bis dahin wohl schwersten
Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der verschiedenen Ethnien auf
Ceylon bildeten blutige Unruhen in Trincomalee, bei denen vor allem
singhalesische Banden Tamilen angriffen. Am 1. Juli 1983 verhaftete die Polizei in
Jaffna S. A. Tharmalingam, den Präsidenten der 1981 aus der TULF
hervorgegangenen Tamil Eelam Liberation Front (TELF), und deren
Generalsekretär, nachdem beide wegen der Ereignisse in Trincomalee zum
Proteststreik aufgerufen und die Entsendung einer UN-Friedenstruppe verlangt
hatten. Wegen ihrer Berichterstattung über die Trincomalee-Ereignisse wurden
zwei in Jaffna erscheinende Tageszeitungen verboten. Die Verhaftung der beiden
erwähnten TELF-Funktionäre führte in den folgenden Tagen zu mehreren
bewaffneten Racheaktionen militanter Tamilen im Jaffna-Distrikt. Am 15. Juli 1983
wurde bei einem bewaffneten Zusammenstoß zwischen tamilischen Separatisten
und einem Suchtrupp der Armee neben anderen Tamilen der Führer des
militärischen Flügels der "Tiger", Anton, getötet. Diese und andere Ereignisse
führten am 18. Juli 1983 zur Verlängerung des landesweit verhängten
Ausnahmezustands um einen weiteren Monat. Am 23. Juli 1983 wurden bei
Thinnavely in der Provinz Jaffna 13 Soldaten Opfer eines Überfalls tamilischer
Extremisten der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE). Dieses Vorkommnis löste
dann seinerseits ein einwöchiges landesweites Pogrom gegen die tamilische
Minderheit auf Ceylon aus. Ausgangspunkt dieser Massaker war die Beisetzung der
am Vortag getöteten Soldaten in Colombo, wo größere Banden von Singhalesen
planmäßig Tamilen und tamilisches Eigentum angriffen, innerhalb der ersten 24
Stunden bereits mehr als 100 Menschen töteten und Hunderte von Häusern und
Geschäften niederbrannten. Am 25. Juli 1983 griffen die Ausschreitungen auf
weitere Städte des Landes über. In Trincomalee zogen 150 marodierende
Marinesoldaten durch die Stadt, demolierten 175 Häuser und Geschäfte, töteten
einen Menschen und verletzten weitere zehn. 130 Matrosen wurden danach unter
Arrest gestellt. Insgesamt wurden an diesem Tag in den Nordprovinzen 20
unbewaffnete tamilische Zivilisten von Soldaten erschossen. Im Welikada-
Gefängnis in Colombo wurden 35 von insgesamt 73 wegen terroristischer
Handlungen verurteilten oder angeklagten Tamilen von singhalesischen
Mithäftlingen ermordet. Zwei Tage später wurden in demselben Gefängnis
nochmals 18 Tamilen umgebracht.
Ihren Höhepunkt erreichten die pogromartigen Ausschreitungen gegen Tamilen
am 29. Juli 1983, als allein in Colombo 15 Tamilen von singhalesischem Mob
erschlagen, 15 Plünderer von Sicherheitskräften erschossen und mehrere hundert
verhaftet wurden. Im näheren Umkreis der Hauptstadt wurden auf Bahnhöfen, in
Tempeln und ähnlichen Gebäuden Notunterkünfte für die bis dahin 35.000
obdachlosen Tamilen eingerichtet. Staatspräsident Jayewardene kündigte an
diesem Tag ein Verbot der TULF und die Aberkennung aller Bürgerrechte für
Separatisten an. In einer Rundfunk- und Fernsehansprache räumte er ein, daß
auch Mitglieder von Polizei und Armee an den Ausschreitungen beteiligt gewesen
seien. Am folgenden Tag machte die Regierung ausländische Verschwörer für die
Entwicklung verantwortlich, verbot die drei marxistisch orientierten Parteien, deren
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Entwicklung verantwortlich, verbot die drei marxistisch orientierten Parteien, deren
führende Funktionäre nunmehr mit Haftbefehl gesucht wurden, schloß die
Redaktionen von vier wichtigen Zeitungen und untersagte die Übermittlung von
Fernsehfilmen und Fotos ins Ausland. Außerdem durften Journalisten Colombo
nicht mehr verlassen.
Am 5. August 1983 verabschiedete das Parlament Sri Lankas die Sechste
Verfassungsänderung (Text und Übersetzung vgl. Auswärtiges Amt, Anlage zu
Dokument SL 1, Nr. 6), die unter anderem jede Form von Separatismus und seine
Propagierung unter Strafe stellte und allen Abgeordneten, Beamten und sonstigen
öffentlich Bediensteten aufgab, die Ablehnung des Separatismus durch
Eidesleistung zu bekräftigen. Aufgrund dieser Verfassungsänderung verloren die
14 TULF-Parlamentarier Ende Oktober 1983 ihre Parlamentssitze, weil sie den
Treueeid nicht innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen geleistet hatten.
Am 7. August 1983 gab die Regierung zu, daß nach dem Anschlag der "Tiger" am
23. Juli 1983 wütende Soldaten 20 Zivilisten im Jaffna-Distrikt erschossen hätten.
Zur Behebung der Schäden erließ die Regierung ein Notstandsgesetz - Emergency
(Rehabilitation of affected Property, Business or Industries) Regulations No. 1 of
1983 -, das die Durchführung der notwendigen Schadensregulierung durch eine
besondere Behörde vorsah.
Bis zum Jahresende 1983 dauerten die Unruhen in allen Teilen Sri Lankas, wenn
auch mit verminderter Heftigkeit, an, so daß sich Regierung und Parlament zur
Beibehaltung des immer wieder verlängerten Ausnahmezustands gezwungen
sahen, wobei verschiedentlich die Bestimmungen insbesondere über
Ausgangssperren - ebenso wie die bis 17. September beibehaltene Pressezensur
wiederholt gelockert wurden. Mit am 3. September 1983 in Kraft getretenen neuen
Notstandsbestimmungen wurden die Todesstrafe bzw. lebenslange Freiheitsstrafe
für Brandstiftung, Plünderung und einige andere Delikte, darunter auch
"Hervorrufen von Unzufriedenheit", Verbreitung von Gerüchten und falschen
Erklärungen sowie Verteilung von Flugblättern, angedroht. Unter derartigem
Verdacht Verhaftete konnten fortan drei Monate lang ohne richterliche Mitwirkung
in Polizeigewahrsam gehalten werden. Amnesty international London berichtete
zum Jahresende, daß während der letzten drei Monate des Jahres 1983 insgesamt
170 Personen nach den Vorschriften des PTA in "incommunicado"-Haft genommen
worden seien.
Nach im Februar 1984 veröffentlichten amtlichen Zahlen fielen den pogromartigen
Ausschreitungen insgesamt 471 Menschen zum Opfer. Im Zuge der
Auseinandersetzungen sei es zu rund 8.000 Brandstiftungen und fast 4.000
Plünderungen gekommen. 79.000 obdachlos gewordene Tamilen seien in 18
Notaufnahmelagern bei Colombo untergebracht worden, mehrere tausend andere
seien aus südlichen Landesteilen in den Jaffna-Distrikt verschifft worden. In der Zeit
von Juli bis November 1983 sollen 24.000 Tamilen aus Sri Lanka nach Indien
geflohen sein. TULF-Generalsekretär Amirthalingam bezifferte demgegenüber in
einer am 14. September 1983 veröffentlichten Stellungnahme die Zahl der
getöteten Tamilen auf 2.000, die Zahl der Obdachlosen auf 155.000 und die
Summe der zerstörten Häuser auf 10.000.
Zum Jahresende 1983 zeigte Präsident Jayewardene sichtlich Tendenzen zu einer
friedlichen Beilegung des Konflikts unter Einbeziehung der gemäßigten TULF. Am
11. Dezember 1983 wurde bekannt, daß nunmehr auch die vorher
ausgeschlossene TULF zu einer geplanten Allparteien-Konferenz eingeladen
werden sollte. Am 28. Dezember wurden die Nachwahlen für die aufgrund der
Eidesverweigerung der TULF-Abgeordneten freigewordenen Parlamentssitze auf
unbestimmte Zeit verschoben.
Das Jahr 1984 brachte in Sri Lanka, verglichen mit dem Vorjahr eine merkliche
Beruhigung der innenpolitischen Situation mit andauernden Bemühungen um eine
politische Lösung für ein Zusammenleben der verschiedenen
Bevölkerungsgruppen. Zwar kam es auch 1984 häufig zu Terroranschlägen
vorwiegend tamilischer Extremisten und blieben der Ausnahmezustand und die
hierdurch bedingten Sonderbestimmungen (Emergency Regulations) in Kraft
(Auswärtiges Amt, Dokument SL 1 Nr. 10, S. 9).
Aus all diesen Ereignissen kann jedoch bis zum Zeitpunkt der Ausreise des
Beigeladenen aus Sri Lanka im März 1984 weder von einer landesweit noch
regional beschränkten unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung der
tamilischen Volkszugehörigen gesprochen werden. Die geschichtliche Entwicklung
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tamilischen Volkszugehörigen gesprochen werden. Die geschichtliche Entwicklung
des Staates zeigt bis dahin keine einheitliche, auf konsequente Diskriminierung
der Tamilen hinauslaufende Tendenz. Selbst während der Regierungszeiten der
seit ihrer Gründung eher gegen eine Gleichberechtigung der Tamilen eingestellten
SLFP gab es keine ernstzunehmenden Versuche, die Existenz der Tamilen als
ethnische Minderheit zu leugnen oder sie zu vernichten. Seit der
Regierungsübernahme der UNP nach den Parlamentswahlen am 21. Juni 1977
wurden sämtliche rechtlichen Restriktionen gegenüber den Tamilen als
Volksgruppe, wie etwa die sogenannte Standardisierungsverordnung, aufgehoben;
in der am 7. September 1978 in Kraft getretenen dritten Verfassung wurde der
Sprachenkonflikt mit der Anerkennung von Tamil als weiterer Nationalsprache
rechtlich beigelegt. Auch die 1971 eingeführten Beschränkungen des Zugangs zur
Universität für tamilische Volkszugehörige wurden 1977 aufgehoben. Selbst bei
ihrer Fortgeltung wäre fraglich gewesen, ob der srilankische Staat dadurch mit
asylerheblicher Intensität in durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte
Rechtsgüter der Angehörigen der tamilischen Volksgruppe eingegriffen hätte. Das
gleiche muß für die in der Verfassung aus dem Jahre 1972 enthaltene, die
tamilische Volksgruppe diskriminierende Staatsbürgerregelung gelten. Auch die
Tatsache, daß Tamilen im Gegensatz zur englischen Kolonialzeit nur noch einen
eingeschränkten Zugang zu öffentlichen Ämtern haben (Die Zeit vom 23.08.1986,
SL 1 Nr. 21), würde noch keinen asylerheblichen Eingriff darstellen.
Die in der Zeit bis zur Ausreise des Beigeladenen feststellbaren Übergriffe der
singhalesischen Sicherheitskräfte gegenüber der tamilischen Zivilbevölkerung,
welche allenfalls unmittelbare staatliche Gruppenverfolgung sein könnten (BVerwG
Urteile v. 3. Dezember 1985 - BVerwG 9 C 33.85 -, a.a.O., S. 8 unten und 30.
Oktober 1984, a.a.O., S. 9; vgl. auch Ausführungen im Urteil v. 15. Mai 1990,
a.a.O., 1176), erfüllen jedoch aus zwei Gründen nicht die Voraussetzungen für die
Annahme einer unmittelbaren Gruppenverfolgung der Tamilen vor und bis zur
Ausreise des Beigeladenen aus seinem Heimatland: Zum einen waren die gegen
Leib, Leben und Eigentum der tamilischen Bevölkerung gerichteten Racheakte und
Übergriffe nicht flächendeckend. Im übrigen bestehen auch durchgreifende Zweifel
an der Asylerheblichkeit der Verfolgungsmaßnahmen insofern, als die Regierung
im August 1981 schwere Strafen für Brandstiftung und Plünderung einführte, die
erwähnte Kommission unter Leitung des Staatspräsidenten Jayewardene über die
bereits geschilderten Maßnahmen zur Lösung der Konflikte beriet und eine in
diesem Zusammenhang beschlossene Entschädigung der tamilischen Opfer der
Ausschreitungen 1982 erfolgte.
Die dargestellten Ereignisse, insbesondere die progromartigen Ausschreitungen
gegen Tamilen in den Jahren 1958, 1977 und 1983 können auch nicht als
mittelbare staatliche Gruppenverfolgung der Tamilen angesehen werden, weil
Ihnen die staatlichen Organe Sri Lankas nach einer hinnehmbaren Phase des
Zögerns wirksam entgegengetreten sind und den Betroffenen persönlichen Schutz
und materiellen Ausgleich für die erlittenen Schäden verschafft haben, wie sich aus
den bisherigen Ausführungen ergibt.
Es fehlt auch an einer sonstigen asylrelevanten Verfolgungslage, die weder direkte
Individualverfolgung noch Gruppenverfolgung ist; es sind nämlich keine
Referenzfälle (Drittverfolgungsfälle) oder ein sonstiges asylrelevant
verfolgungsgeneigtes Klima erkennbar, die jederzeit einen direkten Zugriff auf den
Beigeladenen erwarten ließen. Eine solche Lage, in welcher er sich begründet vor
Verfolgung wegen unverfügbarer Merkmale oder wegen religiöser oder politischer
Überzeugung fürchten müßte, ist aus den oben dargestellten Ereignisabläufen bis
zur Ausreise nicht abzuleiten. Einmal hat der Beigeladene ohnehin eine solche
Lage nicht durch irgendwelche asylrelevante Drittverfolgungsfälle wenigstens
schlüssig dargetan. Der Beigeladene kann zum anderen auch nach dem
objektiven Befund der vom Senat getroffenen Sachverhaltsfeststellungen eine
solche Lage nicht geltend machen. Ein von dauernder und willentlicher staatlicher
Schutzentziehung oder staatlicher Schutzunfähigkeit gekennzeichnetes Klima von
zahlreichen Bedrohungen oder Zugriffen auf Personen wegen ihrer
asylbedeutsamen Merkmale ist auch unter der Schwelle der Gruppenverfolgung für
die Zeit bis zur Ausreise des Beigeladenen aus Sri Lanka nicht zu erkennen. Der
Staat ist letztlich immer bemüht geblieben, allen seinen Bürgern, auch den
Tamilen, ein friedliches und ungestörtes Leben im Gesamtstaatsverband zu
ermöglichen und zu sichern.
Der nach alledem wegen fehlender Vorverfolgung anzuwendende Maßstab der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit schließt die Annahme aus, der Beigeladene
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überwiegenden Wahrscheinlichkeit schließt die Annahme aus, der Beigeladene
werde bei einer Rückkehr nach Sri Lanka jetzt oder in absehbarer Zeit politische
Verfolgung zu erwarten haben.
Individuelle Gründe für eine während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik
Deutschland entstandene Gefahr politischer Verfolgung im Falle der Rückkehr in
sein Heimatland sind bei dem Beigeladenen nicht ersichtlich. Nach den dem Senat
bekannten Informationen dürfte es einem Tamilen, der mehrere Jahre im
westlichen Ausland gelebt hat, generell möglich sein, über den Flughafen von
Colombo nach Sri Lanka einzureisen, ohne verhaftet zu werden, wenn er weder im
Verdacht steht, LTTE-Mitglied oder -Unterstützer zu sein, noch vor seiner Ausreise
ein Gewaltverbrechen begangen zu haben (Zeuge Keller vom 21. Dezember 1990,
S. 4, SL 1 Nr. 136, derselbe im Ergebnis ähnlich auch für die Zeit bis September
1991 auf Seite 7 SL 1 Nr. 174 und S. 27 SL 1 Nr. 173). Der Umstand, daß es einer
nicht geringen Zahl von Tamilen mit Wohnsitz in Deutschland gelungen ist, seit Juni
1990 zu Verwandtenbesuchen in den Norden Sri Lankas über Colombo und zurück
zu reisen, zeigt deutlich, daß keine wesentliche qualitative Verschärfung der
Kontrollen am Flughafen eingetreten ist (Auswärtiges Amt vom 30. August 1991 S.
7, SL 1 Nr. 172). Eine LTTE-Mitgliedschaft bzw. -Unterstützung durch den
Beigeladenen läßt sich nach den obigen Ausführungen nicht feststellen. Der
Beigeladene hat auch ausdrücklich erklärt, er habe vor seiner Ausreise in seinem
Heimatland kein Gewaltverbrechen begangen. Ferner hat er bei seiner
Vernehmung durch den beauftragten Richter des Senats auf entsprechende
Fragen verneint, während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland
sich politisch, insbesondere für eine Exilorganisation der Tamilen in irgendeiner
Weise betätig zu haben.
Der Beigeladene hat auch im Falle der Rückkehr in sein Heimatland gegenwärtig
und in absehbarer Zeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine asylrechtlich
relevante Gruppenverfolgung zu erwarten. Diese prognostische Beurteilung ergibt
sich aus der weiteren Entwicklung der inneren Verhältnisse Sri Lankas seit der
Ausreise des Beigeladenen bis heute.
Wie bereits erwähnt, brachte das Jahr 1984 in Sri Lanka, verglichen mit dem
Vorjahr, eine merkliche Beruhigung der innenpolitischen Situation mit
andauernden Bemühungen um eine politische Lösung für ein Zusammenleben der
verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Zwar kam es auch 1984 häufig zu
Terroranschlägen vorwiegend tamilischer Extremisten und blieben der
Ausnahmezustand und die hierdurch bedingten Sonderbestimmungen
(Emergency Regulations) in Kraft (Auswärtiges Amt, Dokument SL 1 Nr. 10, S. 9).
Jedoch wurden - im Sommer 1984 - auch regierungsamtlich deutliche Zweifel an
der Zweckmäßigkeit der Weitergeltung des PTA und verschiedener
Notstandsbestimmungen geäußert (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 6 f.). Die
Emergency Regulation No. 15 A, die von der Notwendigkeit einer post-mortem-
Untersuchung bei bestimmten Todesfällen entband, wurde aufgehoben. Trotz
dieser und anderer "vertrauensbildender Maßnahmen" der politischen Führung
blieb es auch 1984 in den Nordprovinzen dabei, daß die zur Terrorbekämpfung
weder ausgebildeten noch ausgerüsteten Sicherheitskräfte weitgehend mit wahllos
erscheinenden Razzien Terroristen auf die Spur zu kommen suchten. Dabei
wurden in der Regel in dem jeweils betroffenen Ort alle Männer im Alter zwischen
16 und ca. 30 Jahren verhaftet, in Militärstützpunkte gebracht und hier zunächst
durch Spezialisten des militärischen Nachrichtendienstes befragt. Offensichtlich
unverdächtige Personen wurden in der Regel innerhalb 48 Stunden entlassen, alle
übrigen nach Ablauf der Frist und entsprechender Meldung an den "Governments
Agent", den obersten Regierungsvertreter des Distrikts, dem zivilen nationalen
Sicherheitsdienst CID in den Raum Colombo überstellt, wo die CID dann die
weiteren Ermittlungen führte (Bundesamt für Polizeiwesen Bern, Dokument SL 1
Nr. 11, S. 15 ff.). Die etwa 40.000 im Zuge der Unruhen im Juli 1983 aus
Zentralceylon in die Nordprovinzen geflohenen Tamilen wurden dort weitgehend
absorbiert, die aus diesem Anlaß in den indischen Bundesstaat Tamil Nadu
ausreisenden rund 30.000 Tamilen wurden weder an der Ausreise noch an einer
Rückkehr nach Sri Lanka gehindert (vgl. hierzu und zum folgenden: Auswärtiges
Amt vom 03. Juli 1984, SL 1 Nr. 10). Gegenüber 400 Personen wurde noch im
Sommer 1984 im Zusammenhang mit den Juli-Ausschreitungen von den
Staatsanwaltschaften des Landes ermittelt, im Juni 1984 wurden durch den High
Court von Avissawella erstmals vier Singhalesen wegen gemeinschaftlich
begangener Brandstiftung am Haus eines Tamilen mit jeweils zehn Jahren Haft
bestraft.
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Vor allem im Laufe des Jahres 1984 wurden tamilische Geschäftsleute durch
Auszahlung erheblicher Versicherungssummen und der durch die
Wiederaufbaubehörde REPIA (Rehabilitation of Property and Industries Authority)
gewährten Beihilfen und Darlehen zur Wiedereröffnung ihrer Betriebe ermutigt mit
dem Ziel, den durch die Unruhen verursachten Verlust von zunächst 150.000
Arbeitsplätzen wettzumachen (vgl. hierzu auch Bundesamt für Polizeiwesen in
Bern, SL 1 Nr. 11, S. 10 ff.). Die Regierung setzte ihre schon vor 1983 betriebene
Siedlungspolitik im Norden des Landes fort mit dem Ziel, dort auch mehr
Singhalesen umzusiedeln, was ihr von seiten der tamilischen Politiker den Vorwurf
eintrug, die tamilische Stammbevölkerung unterwandern zu wollen (Bundesamt für
Polizeiwesen in Bern, a.a.O., vgl. zu den Bevölkerungsanteilen in den Nord- und
Ostprovinzen auch House of Commons, Parlamentary Human Rights Group, SL 1
Nr. 12).
Im Frühjahr 1984 gab die Regierung durch ihren Minister für Nationale Sicherheit
Athulathmudali erstmals öffentlich Garantien für die Sicherheit auch in den
singhalesischen Mehrheitsgebieten lebender Tamilen ab. Kurz vor dem Jahrestag
der Ausschreitungen gab die Regierung die Versicherung ab , daß "sich der Juli
1983 nicht wiederholen" werde. Unter zunehmendem internationalen Druck fand
sich die Regierung Sri Lankas im Sommer 1984 sogar zu erheblichen
Zugeständnissen hinsichtlich der Fortgeltung des Notstandsrechts insbesondere in
den Nordund Ostprovinzen bereit. Anläßlich eines USA-Besuchs im Juni 1984
kündigte Staatspräsident Jayewardene an, der PTA werde demnächst
"abgeschafft", weil er sich nicht bewährt habe. Die von Jayewardene einberufene
und seit 10. Januar 1984 tagende Allparteien-Versöhnungskonferenz unter
Beteiligung der TULF und der TC kam zwar nicht zu konkreten Ergebnissen, setzte
ihre Arbeit aber weiterhin fort. Am 5. Juni 1984 wurde in Jaffna die im August 1981
von singhalesischen Polizisten in Brand gesetzte tamilische Nationalbibliothek
wiedereröffnet, an der Feier nahm TULF-Generalsekretär Amirthalingam als
Ehrengast teil.
Nach der relativen Beruhigung des Konflikts im Süden Sri Lankas scheint es in der
Nordprovinz Ende 1984 und Anfang 1985 zu schweren Auseinandersetzungen
zwischen militanten Tamilen und Regierungstruppen gekommen zu sein. Daß
hierüber nur spärliche Berichte vorliegen, liegt daran, daß die Halbinsel Jaffna und
der Distrikt Mannar von der Regierung zu Sperrzonen erklärt wurden, was u.a. die
Folge hatte, daß im Februar 1985 einer nach Sri Lanka entsandten
Menschenrechtskommission des britischen Unterhauses der Zugang zu diesen
Distrikten verwehrt wurde mit dem Hinweis, daß Straßen und Eisenbahnstrecken in
den Norden vermint seien und Hubschrauber dort mit Raketenangriffen zu
rechnen hätten (Dokument SL 1 Nr. 12, S. 1). Um Waffentransporte für tamilische
Guerillas aus dem indischen Tamil Nadu auf dem Seeweg zu unterbinden, hatten
die Behörden Sri Lankas zu diesem Zeitpunkt einen über 200 Meilen langen
Küstenstreifen rund um die Nordspitze Ceylons zur Verbotszone und die Halbinsel
Jaffna und angrenzende Gebiete zur Sicherheitszone erklärt. Diese Maßnahmen
hatten erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen für die Bevölkerung, weil der
Fischfang, ein Schwerpunkt des Wirtschaftslebens im Norden Sri Lankas, praktisch
zum Erliegen kam und die Fischindustrie nach Süden abwanderte mit der Folge,
daß mehr als 100.000 Personen, darunter größtenteils Fischer und deren Familien,
in Flüchtlingslagern untergebracht werden mußten (SL 1 Nr. 12, S. 7 ff.).
Auch im Osten Sri Lankas scheint es im Herbst 1984 zu ernstzunehmenden
militärischen Auseinandersetzungen zwischen Streitkräften und tamilischen
Guerillas gekommen zu sein, wie die öffentliche Äußerung Staatspräsident
Jayewardenes zeigt, daß im Osten des Landes Krieg herrsche (vgl. hierzu und zum
folgenden Auswärtiges Amt vom 01. Oktober 1985, SL 1 Nr. 15). Das Scheitern der
Allparteien-Konferenz Ende des Jahres 1984 und erbitterte Gefechte zwischen
Sicherheitskräften und tamilischen Widerstandskämpfern mit beiderseitigen
Übergriffen auf die Zivilbevölkerung führten zu landesinternen Fluchtbewegungen
sowohl von Tamilen wie von zum Teil erst kürzlich angesiedelten Singhalesen in
weniger gefährdete Gebiete. In den Kampfgebieten arbeiteten Zivilverwaltung und
Gerichte vielfach nicht mehr. Den auch von der Regierung Sri Lankas
eingestandenen - erheblichen Übergriffen und Disziplinlosigkeiten der
Sicherheitskräfte gegenüber der tamilischen Bevölkerung waren unter der
Fortgeltung des PTA junge Männer zwischen 17 und 35 Jahren im besonderen
Maße ausgesetzt.
Auf indische Initiative kam es im Juni 1985 in Thimpu, der Hauptstadt des
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Auf indische Initiative kam es im Juni 1985 in Thimpu, der Hauptstadt des
Himalaya-Königreichs Bhutan, zu Gesprächen zwischen der Regierung Sri Lankas
einerseits und der TULF und fünf tamilischen Guerilla-Organisationen andererseits.
Für die Dauer der Gespräche wurde ein zunächst auf drei Monate befristeter
Waffenstillstand vereinbart, der allerdings schon Mitte August 1985 gebrochen
wurde, als Militäreinheiten in Vavuniya als Vergeltung für Landminenexplosionen
am 16. August 1985 über mehrere Dörfer herfielen und eine größere Anzahl
tamilischer Zivilpersonen umbrachten. Am folgenden Tag fand ein ähnliches
Massaker von Regierungsstreitkräften an tamilischen Fischern in der Gegend von
Trincomalee statt (Auswärtiges Amt vom 28. August 1985, SL 1 Nr. 13). Diese
Ereignisse führten zum Abbruch der Gespräche und zur Aufkündigung des
Waffenstillstandsabkommens durch die Tamilenorganisationen. Der als gemäßigt
geltende Sicherheitsminister Lalith Athulathmudali gab in einem von der "Times of
India" vom 28. August 1985 verbreiteten Interview zu, daß Exzesse der
Sicherheitskräfte vorgekommen sein könnten. Da deren Aufgabe aber die
Ausrottung des Terrorismus sei, dürfe man an ihre Aktionen und Handlungen
keinen zu strengen Maßstab anlegen. Er gebe den Sicherheitskräften ein großes
Maß an Spielraum und Ermessen für ihre Aktionen (Dr. Hellmann-Rajanayagam
vom 25. September 1985, SL 1 Nr. 14, S. 3). Daß dies gegen Jahresende 1985 zur
offiziellen Linie der Regierung Sri Lankas wurde, zeigt auch eine im November 1985
veröffentlichte Rede des Präsidenten Jayewardene, in der dieser erklärte, die
Armee besäße jegliche Vollmacht, den Terrorismus auszurotten; niemand dürfe
fordern, ihre Macht müsse kontrolliert werden (vgl. hierzu und zum folgenden: Dr.
Hofmann vom 03. Januar 1986, SL 1 Nr. 16). Welche Dimensionen der Krieg gegen
tamilische Guerillas aus der Sicht der Regierung annehmen sollte, zeigen eine
erhebliche Steigerung des Militärhaushalts für 1986 sowie die Anfang August 1985
erfolgte Gründung einer 10.000 Mann starken "nationalen Hilfstruppe" zur
Unterstützung der Armee in den Nord- und Ostprovinzen (vgl. hierzu FAZ vom 10.
Januar 1986, SL 1 Nr. 17).
Neben den Vorbereitungen für künftige militärische Auseinandersetzungen liefen
auf indische Initiative auch nach dem Scheitern der Gespräche in Thimpu
Vermittlungsbemühungen weiter. Ein unter Mitwirkung der srilankischen
Verhandlungskommission und des damaligen indischen Ministerpräsidenten Rajiv
Gandhi noch im August 1985 ausgearbeitetes Arbeitspapier sah unter Wahrung
der staatlichen Einheit Sri Lankas einen föderativen Staatsaufbau vor; die Nord-
und die Ostprovinzen sollten je eine eigene Regierung erhalten und ein gewähltes
Regionalparlament. Dieses Papier wurde von den tamilischen Extremistengruppen
zunächst als völlig unbefriedigend bezeichnet und abgelehnt, im Dezember 1985
durch die TULF aber doch beantwortet. Inzwischen waren die verstärkt mit
Hubschraubern ausgestatteten Regierungstruppen im Norden und Osten des
Landes jedoch dazu übergegangen, die Zivilbevölkerung durch "Search and
Destroy"-Operationen in ihre Einschüchterungs- und Racheaktionen
einzubeziehen. Beispiele hierfür nennt das Gutachten von Dr. Hofmann vom 6.
Februar 1986 (SL 1 Nr. 19, S. 2 ff.), auf das auch in diesem Zusammenhang
verwiesen wird. Im Februar und März 1986 wurde offenkundig, daß die Regierung
Sri Lankas nunmehr ausschließlich auf eine militärische Lösung des
Tamilenproblems setzte (The Guardian vom 04. Februar 1986, SL 1 Nr. 18, FR vom
03. März 1986, SL 1 Nr. 20). Seitdem wurden vermeintliche Stützpunkte
tamilischer Separatisten auch von Flugzeugen aus bombardiert, was zu
zahlreichen Opfern unter der tamilischen Zivilbevölkerung führte (vgl. auch Keller,
SL 1 Nr. 87, S. 7) und den Sicherheitsminister Athulathmudali zu der Bemerkung
bewegte, man habe die Zivilbevölkerung lange genug dazu aufgefordert, sich von
den Terroristen auch räumlich zu distanzieren. Mit dem Aufspüren wirklicher oder
vermeintlicher Terroristen im Kampfgebiet wurden neben regulären
Armeeeinheiten die inzwischen auf 16.500 Mann verstärkten singhalesischen
"Bürgerwehren" und in der Ostprovinz eine 1.000 Mann starke "Special Task Force"
betraut, die von sachkundigen Stellen für viele Terroraktionen gegenüber Tamilen
verantwortlich gemacht wurden (Dr. Hofmann vom 10. März 1986, SL 1 Nr. 21).
Im Mai 1986 begann die Armee von Sri Lanka eine Offensive mit dem Ziel, die
nach amtlicher Lesart schon ein Jahr zuvor an tamilische Guerillas
verlorengegangene Kontrolle über den Distrikt Jaffna wiederzuerlangen (The
Guardian vom 19. Mai 1986, SL 1 Nr. 22). Nachdem Armeeeinheiten drei Tage
lang vergeblich versucht hatten, die Stadt Jaffna einzunehmen, bombardierten
Flugzeuge das Geschäftszentrum der Stadt, während Hubschrauber 40 Minuten
lang das Gelände unter Maschinengewehrfeuer nahmen. Trotz dieses Angriffs und
heftiger Kämpfe auch am Elephant Pass kam die Offensive der Regierungstruppen
kaum voran. Ungeachtet der zahlenmäßigen Überlegenheit und tagelanger
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kaum voran. Ungeachtet der zahlenmäßigen Überlegenheit und tagelanger
Bombardements der srilankischen Luftwaffe, die das indische Außenministerium
als "Elemente des Völkermordes" kritisierte, endete die Offensive der
Regierungstruppen Ende Mai 1986 mit einem Fiasko. Die "Tiger" der LTTE
herrschten im Jaffna-Distrikt nunmehr fast uneingeschränkt (Walter Keller, SL 1 Nr.
87, S. 50), die Armee zog sich auf wenige Stützpunkte zurück; Gerichte,
Zivilverwaltung und Schulen existierten nicht mehr (DIE ZEIT vom 29. August 1986,
SL 1 Nr. 23).
Der Krieg verlagerte sich in den folgenden Monaten weitgehend nach Osten rund
um die Hafenstadt Trincomalee und in den Nordwesten in die Gegend um Mannar
(vgl. hierzu und zum folgenden: Alexander Niemetz, SL 1 Nr. 24). Die zunehmende
militärische Stärke der LTTE-Guerillas wird dadurch verdeutlicht, daß zum
Jahresende 1986 die regulären Truppen in Jaffna nur das dortige Fort besetzt
hielten, das über See- und Luftverbindungen versorgt wurde, während die LTTE
sowohl die Straßen- und Bahnverbindungen am Elephant Pass als auch die
Halbinsel Jaffna selbst einschließlich der Seehäfen Jaffna, Kankesanturai und Point
Pedro kontrollierte (Auswärtiges Amt vom 22. Dezember 1986, SL 1 Nr. 25).
Neben den zunehmenden militärischen Auseinandersetzungen im Norden der
Insel kennzeichneten die zweite Jahreshälfte 1986 Terroranschläge in Zentral-
Ceylon und in der Hauptstadt Colombo (DIE ZEIT vom 29. August 1986, SL 1 Nr.
23). Ein Sprengstoffanschlag der Terrorgruppe EROS (Eelam Revolutionary
Organization of Students) auf ein Touristenflugzeug der "Air Lanka" auf dem
Flughafen von Colombo am 4. Mai 1986 forderte 23 Todesopfer und war der
Auftakt einer Serie von Terroranschlägen, die zu einer starken Verunsicherung der
Bevölkerung in der Hauptstadt führten.
Trotz des Bürgerkriegs kam es im Mai 1986 und in der zweiten Jahreshälfte 1986
auch zu Bemühungen der srilankischen Regierung um eine friedliche Beilegung
des Konflikts (Auswärtiges Amt, Lageberichte Sri Lanka vom 15. März und 23. Juni
1987, SL 1 Nr. 26 u. Nr. 27), darunter auch Gespräche mit der indischen
Regierung, die offenbar aber zum Jahresende 1986 abgebrochen wurden.
Dies hatte Anfang 1987 die Folge eines wiederum härteren Vorgehens der
Sicherheitskräfte gegen Tamilen in den Nord- und Ostprovinzen.
"Säuberungsaktionen" der Militärs in den südlichen und östlichen Teilen der Nord-
und der Ostprovinz führten zwar zu einer weitgehenden "Befriedung" der Distrikte
Mannar, Vavuniya, Mullaitivu und Trincomalee. Diese Beruhigung wurde aber von
den Militärs nur unter Einsatz äußerst brutaler Methoden erreicht, wie die
Erschießung von ca. 50 bis 60 männlichen Tamilen in der Prawn Factory von
Kokadichcholai im Bezirk Batticaloa Ende Januar 1987 verdeutlicht (Auswärtiges
Amt vom 15. März 1987, SL 1 Nr. 26). Dieser Aktion der Militärs folgte ein
Massaker tamilischer Guerillas an den meist singhalesischen Bewohnern zweier
Dörfer im Distrikt Amparai.
Anfang 1987 versuchte die Armee, auch in Jaffna wieder militärische Aktionen
durchzuführen, während dort die LTTE bereits begonnen hatte, neben ihren
paramilitärischen Einrichtungen eine eigene Zivilverwaltung aufzubauen. Auch auf
der Halbinsel Jaffna führte die Armee nunmehr wieder "Säuberungsaktionen"
durch, bei denen eine größere Anzahl von Verlusten an Menschenleben auch unter
der Zivilbevölkerung zu beklagen war, wobei die Zielsetzung der militärischen
Operationen nicht eindeutig war (Auswärtiges Amt vom 23. Juni 1987, SL 1 Nr. 27).
Die durch die anhaltenden Kämpfe und die Greueltaten beider Seiten mehr und
mehr betroffene Bevölkerung Jaffnas (vgl. FAZ vom 26. Juni 1987, SL 1 Nr. 29)
erhielt Anfang Juni 1987 Unterstützung aus Indien, das ohne Zustimmung der
srilankischen Regierung Hilfsgüter über Jaffna abwerfen ließ. Aufgrund einer
Vereinbarung zwischen beiden Regierungen vom 15. Juni 1987 schickte Indien
dann zwei Schiffe mit 700 Tonnen Hilfsgütern nach Jaffna (FAZ vom 25. Juni 1987,
SL 1 Nr. 28). Weiterer Grund dafür war eine von der Regierung in Colombo über
den gesamten Norden verhängte Wirtschaftsblockade, die zu ernsthaften
Versorgungsschwierigkeiten führte (Keller, SL 1 Nr. 87, S. 8).
Offenbar unter Mitwirkung Indiens sah sich Präsident Jayewardene Ende Juli 1987
veranlaßt, mit dem Ziel einer Beendigung des Bürgerkriegs Zugeständnisse an die
Tamilen zu machen (FR vom 21. Juli 1987, SL 1 Nr. 30). Er bot an, der Schaffung
eines autonomen Staates unter Einschluß der beiden getrennt bleibenden
Provinzen im Norden und Osten der Insel zuzustimmen. Nachdem tamilische
Guerillas Zustimmung zu diesen Plänen signalisiert hatten, teilte
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Guerillas Zustimmung zu diesen Plänen signalisiert hatten, teilte
Sicherheitsminister Lalith Athulathmudali am 24. Juli 1987 mit, Indiens
Premierminister Gandhi werde in der folgenden Woche zur Unterzeichnung eines
entsprechenden Abkommens nach Colombo kommen. Nach Bekanntwerden
dieser Pläne kam es in den letzten Juli-Tagen in Colombo zu heftigen Protesten von
Singhalesen, gegen die die Regierung mit einem Militäreinsatz vorging, der zehn
Todesopfer und 150 Verletzte forderte.
Am 29. Juli 1987 unterzeichneten Gandhi und Jayewardene in Colombo das "Indo-
Srilankische Abkommen zur Wiederherstellung von Frieden und Normalität in Sri
Lanka" (Übersetzung SL 1 Nr. 44, englischer Originaltext Anlage zu SL 1 Nr. 39).
Das Abkommen sah im wesentlichen die Durchführung eines Referendums über
die Frage des Zusammenschlusses von Nord- und Ostprovinzen bis zum 31.
Dezember 1988 vor. Innerhalb von drei Monaten nach Abschluß des Abkommens
sollten Wahlen zu den Provinzräten durchgeführt werden, wobei zu den Wahlen zu
den Provinzräten in der Nord- und Ostprovinz indische Beobachter eingeladen
werden sollten. Die Feindseligkeiten auf der gesamten Insel sollten innerhalb von
48 Stunden nach Unterzeichnung des Vertrags eingestellt werden, innerhalb
weiterer drei Tage sollten alle im Besitz von militanten Gruppen befindlichen
Waffen abgegeben werden, die Armee sollte in ihre traditionellen Stützpunkte
zurückgezogen werden. Allen nach dem PTA und anderen Notstandsvorschriften
verfolgten Personen wurde eine Generalamnestie gewährt. Indien verpflichtete sich
in dem Abkommen, Operationen gegen Sri Lanka von seinem Territorium aus zu
unterbinden und auf Verlangen der Regierung Sri Lankas auch militärisch mit dem
Ziel der Verwirklichung der getroffenen Vereinbarungen in Sri Lanka einzugreifen.
Schließlich wurde vereinbart, daß die offizielle Sprache Sri Lankas Sinhala sei,
daneben aber Tamil und Englisch ebenfalls offizielle Sprachen sein sollten. In
einem Anhang zur Übereinkunft und einem Briefwechsel verpflichteten sich beide
Staatschefs u. a. zur Auflösung der "Home Guards" und zum Rückzug anderer
paramilitärischer Kräfte aus der Ost- und Nordprovinz Sri Lankas, zu
umfangreichen gegenseitigen Konsultationen in allen vom Abkommen berührten
Fragen und zu verschiedenen Details der künftigen Nutzung des Hafens
Trincomalee und anderer Häfen in Sri Lanka.
Während es in der ersten Zeit nach Abschluß des Abkommens trotz heftiger
Proteste von singhalesischer Seite und widersprüchlicher Erklärungen tamilischer
Guerilla-Organisationen zur Frage der Waffenabgabe (FAZ vom 03., 04., 05. und
06. August 1987, SL 1 Nr. 31 bis 34) den Anschein hatte, als könnte ein Ende der
militärischen Auseinandersetzungen erreicht werden, und obwohl die srilankische
Regierung mit der Ankündigung, im Rahmen des Friedensabkommens 5.300
Tamilen zu amnestieren, Vorleistungen erbrachte, zeigte sich bald, daß die
tamilischen Guerillas nicht wirklich auf die Bedingungen des Abkommens eingehen
wollten. Die verschiedenen Guerilla-Organisationen konnten sich offensichtlich
nicht über die Zusammensetzung der nach dem Abkommen vorgesehenen
Übergangsregierung für die Nordprovinzen einigen, was zu blutigen internen
Auseinandersetzungen führte (FAZ vom 13. und 14. August 1987, SL 1 Nr. 35 und
36; Dr. Hofmann vom 22. August 1987, SL 1 Nr. 39). Ein trotz größter
Sicherheitsvorkehrungen in Colombo von seiten singhalesischer Terroristen
durchgeführtes Bombenattentat auf die Regierung Sri Lankas am 18. August 1987
(FR vom 19. und 20. August 1987, SL 1 Nr. 37 und 38) zeigte überdies, daß die in
dem indisch-srilankischen Abkommen getroffenen Regelungen auch in der größten
Bevölkerungsgruppe auf teilweise entschlossene Ablehnung stießen. Nach
weiteren blutigen Auseinandersetzungen innerhalb verfeindeter Tamilengruppen,
in die auch indische Truppen eingriffen, kam es zwar auf indische Intervention hin
zur Bildung einer als Interimsrat bezeichneten Übergangsregierung für die Nord-
und Ostprovinzen unter Beteiligung der LTTE und der TULF; nachdem jedoch
Anfang Oktober 1987 13 in Regierungsgewahrsam befindliche tamilische
Extremisten mittels Zyankali in den Freitod gegangen waren und Mitglieder der
LTTE daraufhin 40 singhalesische Insassen eines von ihnen überfallenen Zuges auf
der Strecke von Colombo nach Batticaloa erschossen hatten, lebten erneut
ernsthafte Auseinandersetzungen zwischen tamilischen Guerillas und indischen
Truppen auf (FAZ vom 08. und 09. Oktober 1987, SL 1 Nr. 42 und 43).
Im weiteren Verlauf der indischen Intervention in Sri Lanka kam es zur Übernahme
der effektiven Gebietshoheit im Norden Sri Lankas durch die "Indian Peace Keeping
Force". Nachdem diese vergeblich und unter sowohl eigenen Opfern wie weiteren
Verlusten der Zivilbevölkerung und der Aufständischen eine Befriedung zu
erreichen suchte (vgl. insoweit Hess. VGH, Urteil vom 24. Februar 1989 - 10 UE
2013/85 -), begann sie sich seit Ende 1989 zurückzuziehen. Der Abzug der
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2013/85 -), begann sie sich seit Ende 1989 zurückzuziehen. Der Abzug der
indischen Truppen aus Sri Lanka wurde am 24. März 1990 abgeschlossen
(Auswärtiges Amt v. 02. April 1990, SL 1 Nr. 86), so daß von einer Verlagerung der
effektiven Gebietsgewalt in Sri Lanka auf Indien keine Rede mehr sein kann.
Schon während der Präsenz indischer Truppen im Norden und Osten Sri Lankas
hatten sich mit der Vereinigung der Nord- und der Ostprovinz im September 1988
und der Durchführung von Provinzratswahlen erste Anzeichen für das Entstehen
neuer staatlicher Strukturen in diesem Landesteil gezeigt (Auswärtiges Amt v. 14.
Dezember 1988 bzw. 10. Februar 1989, SL 1 Nr. 48; Zeuge Keller, Dokument SL 1
Nr. 53). Mitte Dezember 1988 erfolgte dort die Bildung einer Koalitionsregierung
unter Ausschluß der LTTE, als in ganz Sri Lanka im Hinblick auf die am 19.
Dezember 1988 bevorstehende Präsidentschaftswahl erhebliche Unruhen
herrschten (FR v. 16. Dezember 1988, SL 1 Nr. 49). Bei diesen
Präsidentschaftswahlen, die teilweise chaotisch verliefen, setzte sich der UNP-
Kandidat Ranasinghe Premadasa gegen die Oppositionskandidatin von der SLFP,
Sirimavo Bandaranaike mit knapper Mehrheit durch (FAZ v. 21. Dezember 1988,
SL 1 Nr. 51; FAZ v. 22. Dezember 1988, SL 1 Nr. 52).
Auch bei den Parlamentswahlen im Februar 1989, die zu einem Sieg mit absoluter
Mehrheit für die UNP führten, kam es zu zahlreichen Gewalttätigkeiten (vgl. dazu
und zum folgenden Keller, SL 1 Nr. 87, Seite 9, 30 ff.). Im Norden und Nordosten
Sri Lankas blieb es zunächst ruhig (FAZ vom 19. Juni 1989, SL 1 Nr. 56). Für
zahlreiche, in ihre ehemaligen Siedlungsgebiete heimkehrende Tamilen gab es ein
vom UNHCR unterstütztes Wiederaufbauprogramm (Flüchtlinge Nr. 3/89, SL 1, Nr.
54).
Das Jahr 1989 war in den südlichen Landesteilen vom Terror der singhalesisch-
radikalen JVP (Janatha Vimukthi Peramuna) geprägt, die gegen den
Friedensvertrag mit Indien und die Zugeständnisse an die tamilische Bevölkerung
kämpfte. Sie setzte in der zweiten Jahreshälfte zahlreiche Streiks (Transportwesen,
Hafen, Krankenhäuser) durch. Wegen der Streikwelle und zahlreicher Gewalttaten,
für die die JVP verantwortlich gemacht wurde, wurde im Juni erneut der nationale
Notstand verkündet, der erst im Januar aufgehoben worden war. Für den Juli wurde
eine Pressezensur verhängt, die Schulen wurden auf unbestimmte Zeit
geschlossen (FR vom 07. Juli 1989, SL 1 Nr. 61) und die Universitäten gesperrt (FR
vom 13. Juli 1989, SL 1 Nr. 63). Bis August soll die JVP 890 Morde begangen haben
(FAZ vom 29. August 1990, SL 1 Nr. 69), ca. 2100 Verdächtige wurden seit der
Verhängung des Ausnahmezustandes festgenommen. In diesem Zusammenhang
sollen Mißhandlungen in Polizei- und Vollzugshaft nach glaubwürdigen
Informationen unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit des Häftlings oft
vorgekommen sein (Auskunft des Auswärtigen Amtes v. 11. August 1989, SL 1 Nr.
68). Tausende vermeintliche oder tatsächliche JVP-Sympathisanten fielen den mit
Wissen der Regierung (vgl. Auswärtiges Amt vom 02. November 1989, FR vom 06.
November 1990, SL 1 Nr. 71 und 132) operierenden, sich aus den regulären
Streitkräften zusammensetzenden Killerkommandos zum Opfer. Auf ihr Konto ging
vermutlich die größte Zahl der Toten; dennoch war die Regierung hilflos, denn die
JVP machte mit dem Land, was sie wollte (so FR vom 06. November 1989, SL 1 Nr.
72). Nach einer weiteren Steigerung der gegenseitig angewandten Brutalität, von
der auch Angehörige von Soldaten und der Polizei betroffen waren, gelang es den
Streitkräften und paramilitärischen Einheiten Ende 1989, die gesamte Spitze der
JVP auszuschalten, wodurch diese praktisch bedeutungslos wurde.
Ab Mai 1989 verhandelte Präsident Premadasa zunächst heimlich mit der LTTE
über eine autonome, vereinte Nordostprovinz, kleiner als bisher, ohne die
singhalesischen und muslimischen Minderheiten (FAZ vom 19. Juni 1989, SL 1 Nr.
56). Ein unbefristeter Waffenstillstand mit den Regierungstruppen war eines der
Ergebnisse (FR vom 29. Juni 1989, SL 1 Nr. 59). Am 13. Juli 1989 wurde der Führer
der TULF, A. Amirthalingam, in Colombo von tamilischen Extremisten ermordet
(FAZ vom 14. Juli 1989, SL 1 Nr. 64). Fünf Tage später wurde der Führer der PLOT,
U. Maheswaran, ebenfalls in Colombo von Unbekannten getötet (FR vom 19. Juli
1989, SL 1 Nr. 65). Mit dem allmählichen Abzug der indischen Soldaten nahmen
die Auseinandersetzungen zwischen der LTTE und den anderen tamilischen
Organisationen wie der EPRLF und der ENDLF vor allem im Osten des Landes zu
(Auswärtiges Amt vom 16. November 1989, SL 1 Nr. 75). Überall, wo die indischen
Truppen abzogen, rückte die LTTE nach. Am 15. Dezember 1989 wurde die PFLT
(Peoples Front of Liberation Tigers) als politische Partei der LTTE anerkannt.
Seit Anfang des Jahres 1990 kam es im Osten des Landes nun auch vermehrt zu
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Seit Anfang des Jahres 1990 kam es im Osten des Landes nun auch vermehrt zu
Auseinandersetzungen zwischen Tamilen und Moslems, die in der ersten
Augusthälfte des Jahres einen Höhepunkt erreichten (vgl. dazu die
Zeitungsberichte SL 1 Nr. 109, 110, 112 bis 114, 116). Nach mehr als zwei Jahren
wurden alle Universitäten des Landes wieder geöffnet.
Mit Abschluß des indischen Truppenabzuges tauchten der ehemalige Chefminister
der halbautonomen Tamilenregierung des Nordostens Perumal (EPRLF) sowie die
Kader der tamilischen Organisationen, die mit den Indern zusammengearbeitet
hatten (EPRLF, PLOTS, ENDLF, TELO und EROS, der Studentenflügel der Tiger), in
Indien unter. Auch die tamilische National-Armee (TNA) verschwand. Noch vor
seiner Flucht ließ Perumal die Proklamation eines unabhängigen Staates der
Tamilen vornehmen, was jedoch allseits verurteilt wurde (FR vom 28. März 1990,
SL 1 Nr. 83; Auswärtiges Amt vom 28. Mai 1990, SL 1 Nr. 88). EPRLF und ENDLF
spielten fortan weder militärisch noch politisch eine Rolle (Auswärtiges Amt vom
20. April 1990, SL 1 Nr. 86). Wie die anderen tamilischen Organisationen, die von
der LTTE bekämpft werden, sollten sie bis zu neuen Provinzwahlen in den
tamilischen Gebieten ausgeschaltet sein (Auswärtiges Amt, SL 1 Nr. 88). Die
srilankische Armee und Polizei schritten zunächst gegen die Aktionen der LTTE, die
Abgaben erhob, über das Abhalten politischer Versammlungen entschied,
Polizeifunktion ausübte und Streitschlichtungstermine abhielt, nicht ein
(Auswärtiges Amt, SL 1 Nr. 86). Auch im Nordosten hatte die LTTE de facto die
Herrschaft übernommen; sie verhaftete unter anderem srilankische Polizisten, mit
denen es zu Zusammenstößen kam. Gespräche der Regierung mit von der LTTE
bekämpften tamilischen Gruppen in Richtung eines unabhängigen Tamilenstaates
blieben offen. Der Ausnahmezustand wurde gelockert, aber noch nicht
aufgehoben. Das Wiederaufbauprogramm des UNHCR im Norden des Landes
wurde "auf Sparflamme" weitergeführt (zum Vorstehenden vgl. Auswärtiges Amt,
SL 1 Nr. 88).
Schließlich brachen die Kampfhandlungen zwischen der LTTE, die die
vorhergehende, relativ ruhige Phase unter anderem dazu benutzt hatte,
größtenteils zwangsweise (Auswärtiges Amt vom 19. Februar 1990, SL 1 Nr. 80)
15.000 meist sehr junge Kämpfer zu rekrutieren (vgl. Keller, SL 1 Nr. 87, S. 37),
und den Regierungsstreitkräften neu aus, nachdem die LTTE am 11. Juni 1990 bei
Trincomalee 60 Polizisten gefangengenommen und 23 von ihnen getötet hatte (FR
vom 16. Juni 1990, SL 1 Nr. 90). 800 Polizisten soll sie verschleppt haben (FR vom
30. Juni 1990, SL 1 Nr. 97). Darüber, warum die LTTE den Waffenstillstand
gebrochen hat, gab es nur Spekulationen; sicher dürfte allerdings gewesen sein,
daß sie der Regierung bei den Verhandlungen kein Vertrauen mehr
entgegengebracht hat (FR vom 13. Juli 1990, SL 1 Nr. 103). Allein in den ersten
fünf Tagen fielen der Offensive der Separatisten 300 Personen zum Opfer, zwei
Tage später waren es schon 400 (FR vom 18. Juni 1990, SL 1 Nr. 91), Ende des
Monats mehr als 600; Tote gab es auch bei Kämpfen nördlich von Vavuniya und im
östlichen Teil des Mannar-Distrikts (FR vom 30. Juni 1990, SL 1 Nr. 97).
Im Norden griff die LTTE zunächst Militärbasen an. Kern der Auseinandersetzungen
bildete vor allem die Belagerung des Forts von Jaffna durch die LTTE, in dem sich
240 Soldaten und 60 Polizisten verschanzt hatten (FAZ vom 22. Juni 1990, SL 1 Nr.
92; FR vom 25. Juni 1990, SL 1 Nr. 94). Ende Juni wurden Bombenangriffe angeblich
auf tamilische Stellungen im Norden, vor allem in Jaffna, gemeldet, denen
zahlreiche Personen zum Opfer fielen. Die Regierung ließ in diesem
Zusammenhang verlauten, daß die Bewohner um die Festung in Jaffna herum
gewarnt worden seien (FR und FAZ vom 27. Juni 1990, SL 1 Nr. 95,96; vgl. auch
Auswärtiges Amt vom 08. August 1990, SL 1 Nr. 111). Die noch bewohnbaren oder
wiederaufgebauten Stadtteile von Jaffna, wo noch 120.000 Menschen lebten,
wurden durch die ständig fortgesetzten Bombenangriffe stark zerstört. Aber nicht
nur Jaffna, sondern auch Dörfer wurden bombardiert (Walter Keller, ai-Info, Oktober
1990, SL 1 Nr. 124). Die auf 70.000 Mann aufgestockte Armee galt als
schlagkräftig und voller Tatendrang, nachdem sie aus dem Kampf mit der JVP als
Sieger hervorgegangen war (FR vom 13. Juli 1990, SL 1 Nr. 103). Über den Einsatz
der Waffen gibt es bis heute widersprüchliche Berichte. So wurde erstmals Ende
Juni 1990 der angebliche Einsatz von Napalm im Zusammenhang mit der
Bombardierung der Festung von Jaffna gemeldet (FAZ, SL 1 Nr. 96; vgl. auch Der
Spiegel vom 27. August 1990, SL 1 Nr. 117). Auch ein britischer Journalist
bestätigte den Einsatz von Napalm in der Nähe von Jaffna; am 30. Juni 1990 sollen
die Ortschaft Tharmapuram und weitere Dörfer mit Napalm bombardiert worden
sein (FR vom 04. Juli 1990, SL 1 Nr. 101). Beide Seiten beschuldigten sich auch
immer wieder, chemische Waffen einzusetzen (FR, SL 1 Nr. 103), was ohne
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immer wieder, chemische Waffen einzusetzen (FR, SL 1 Nr. 103), was ohne
Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vorgekommen sein soll (Der Spiegel, SL 1 Nr.
117). Die LTTE warf der Regierung außerdem den Abwurf einer Cholera-Bombe auf
Jaffna vor, was jedoch dementiert wurde (FR vom 25. Juli 1990, SL 1 Nr. 108; FR
vom 15. August 1990, SL 1 Nr. 115). Teilweise sprach man in diesem
Zusammenhang aber ausdrücklich von Gerüchten, andere Quellen konnten den
Einsatz von chemischen und/oder biologischen Waffen einschließlich Napalm bis
heute nicht bestätigen (vgl. dazu und zum folgenden Auswärtiges Amt vom 29.
August 1990, SL 1 Nr. 118; Auswärtiges Amt vom 29. November 1990, S. 5, SL 1
Nr. 134; Zeuge Keller vom 14. Dezember 1990, S. 7, SL 1 Nr. 138). Dagegen sind
sicher Granaten, Raketen und Brandbomben in Jaffna verwendet worden. Auch mit
Benzin und Teer gefüllte und mit einem Zünder versehene Fässer sind eingesetzt
worden. Beim Auftreffen auf die Haut hat dieses Kampfmittel eine ähnliche
Wirkung wie Napalm. Berichtet wurde ebenfalls der Abwurf von Kanistern mit
übelriechendem Inhalt (wahrscheinlich Fäkalien). Solche Bomben werden von der
Bevölkerung als "Cholera-Bomben" bezeichnet (Keller-Kirchhoff vom 17.
September 1991, S. 16, SL 1 Nr. 176). Zu vielen Opfern kam es auch durch den
Einsatz von niedrig fliegenden Kampfhubschraubern seitens der srilankischen
Armee über besiedeltem Gebiet (Zeuge Keller vom 14. Dezember 1990, S. 6, SL 1
Nr. 138). Durch Angriffe der LTTE aus Wohngebieten heraus bedingte
Zielungenauigkeiten und Übergriffe einzelner Piloten sollen weitere Opfer unter der
Zivilbevölkerung verursacht worden sein, obgleich die Luftwaffe strikten Befehl
gehabt haben soll, die Zivilbevölkerung zu schonen (dazu und zum folgenden
Auswärtiges Amt vom 08. August 1990, SL 1 Nr. 111). Wahllose
Flächenbombardements und Dauerbombardements auch nachts (Auswärtiges
Amt vom 29. August 1990, SL 1 Nr. 118) wurden zunächst nicht bestätigt,
inzwischen kann aber von diesen Geschehnissen, die zu hohen Verlusten unter der
Zivilbevölkerung geführt haben, ausgegangen werden (Auswärtiges Amt vom 29.
November 1990, S. 4, SL 1 Nr. 134; Zeuge Keller vom 14. Dezember 1990, S. 5
Mitte, SL 1 Nr. 138). Sie dauern nach Flüchtlingsangaben nach wie vor an (FR vom
04. Februar 1991), waren aber zumindest im November 1990 in ihrer Ziellosigkeit
eingestellt (Auswärtiges Amt vom 29. November 1990, S. 4, SL 1 Nr. 134). In
einigen Fällen kam es auch zu Plünderungen, Brandschatzungen und
Vergewaltigungen durch Armeeangehörige. Exzesse wurden offiziell zugegeben
(Auswärtiges Amt v. 08. August 1990, SL 1 Nr. 111; FR v. 06. November 1990, SL 1
Nr. 132).
Im September 1990 war es der Regierungsarmee gelungen, die Belagerung der
Festung in Jaffna zu durchbrechen (FAZ vom 13. September 1990, SL 1 Nr. 120).
Heftige Kämpfe im Stadtgebiet und -Augenzeugenberichten zufolge - eine weitere
Zunahme der seit Juni 1990 schon beträchtlichen Verluste unter der
Zivilbevölkerung waren die Folge (FR vom 22. September 1990, SL 1 Nr. 122). Ein
Plan, den Norden von Sri Lanka zu evakuieren, um die Rebellen "ausräuchern" zu
können, stieß zunächst auf große Widerstände innerhalb der Bevölkerung und
wurde bisher auch nicht durchgeführt (Walter Keller, ai-Info, Oktober 1990, SL 1 Nr.
124; Auswärtiges Amt v. 29. November 1990, S. 7, SL 1 Nr. 134). Mitte Oktober
1990 setzte die inzwischen auf 80.000 Mann verstärkte srilankische Armee ihre
Großoffensive im Norden gegen die LTTE fort (FR vom 18. Oktober 1990, SL 1 Nr.
127). Am 1. November 1990 wurde mit Unterstützung der Luft- und
Seestreitkräfte eine Offensive gegen die Rebellen auf der Insel Mannar begonnen,
nachdem die moslemische Bevölkerung zuvor geflohen war (FAZ vom 02.
November 1990, SL 1 Nr. 129). Ebenfalls Anfang November stürmten weibliche
Verbände der LTTE ein Lager der Armee in Jaffna (FR und FAZ vom 06. November
1990, SL 1 Nr. 130, 131). Zu der bis dahin verlustreichsten Schlacht kam es, als
die LTTE das Armeelager bei Mankullam angriff und überrannte (FR vom 27.
November 1990, SL 1 Nr. 133; Zeuge Keller vom 14. Dezember 1990, S. 3 unten,
SL 1 Nr. 138). Dabei sollen mindestens 250 Soldaten und 200 bis 350 Kämpfer der
LTTE ums Leben gekommen sein. Erstmals hat die LTTE im Gegensatz zu ihrer
sonst üblichen Guerillataktik den Angriff konventionell mit einer Truppe von etwa
1000 Männern und Frauen geführt.
Nach mehreren erfolgreichen militärischen Gegenschlägen der Regierungsarmee
auf der Jaffna-Halbinsel und im Osten, denen in der zweiten Dezemberhälfte
mindestens 229 (NZZ vom 19., 20., 21., 24. und 26. Dezember 1990, SL 1 Nr. 139
bis 143) und noch einmal 110 (Süddeutsche Zeitung vom 30. Dezember 1990, SL
1 Nr. 145) LTTE-Kämpfer zum Opfer fielen, verkündeten die Rebellen eine
einseitige Waffenruhe zu Beginn des Jahres 1991 (Süddeutsche Zeitung vom 31.
Dezember 1990, SL 1 Nr. 146), die die Regierung zunächst akzeptierte und auf
ihre Ernsthaftigkeit prüfen wollte (FAZ vom 02. Januar 1991, SL 1 Nr. 149). Doch
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ihre Ernsthaftigkeit prüfen wollte (FAZ vom 02. Januar 1991, SL 1 Nr. 149). Doch
nachdem die LTTE selbst die Waffenruhe gebrochen hatte (Süddeutsche Zeitung
vom 03. Januar 1991, SL 1 Nr. 150) und Gespräche zwischen der Regierung und
der Opposition über das Waffenstillstandsangebot nicht zustandegekommen
waren (Süddeutsche Zeitung vom 06. Januar 1991, SL 1 Nr. 151), kündigte die
Regierung am 11. Januar 1991 eine neue militärische Offensive mit dem Ziel der
völligen Vernichtung der LTTE innerhalb von 6 Monaten an (NZZ vom 14. Januar
1991, SL 1 Nr. 153; vgl. ferner dazu und zum folgenden DW-Monitor-Dienst vom
14. Januar 1991, SL 1 Nr. 154). Nach den Worten des damaligen stellvertretenden
Verteidigungsministers Wijeratne wäre die Regierung nur dann zu Verhandlungen
und einem Waffenstillstand bereit, wenn die LTTE eine Erklärung gegen den Besitz
und den Einsatz von Waffen abgeben würde. Die Rebellen, die weiterhin
Verhandlungen ohne Vorbedingungen anboten (DW-MonitorDienst vom 16. Januar
1991, SL 1 Nr. 155), erklärten die Waffenruhe schließlich ihrerseits für beendet,
nachdem bei schweren Luftangriffen auf von der LTTE kontrolliertes Gebiet - die
Jaffna-Halbinsel und der Kilinochchi-Distrikt wurden am schlimmsten betroffen -
viele Gebäude zerstört und unabhängigen Berichten zufolge wieder viele
Zivilpersonen ums Leben gekommen sein sollen (The Guardian vom 24. und 26.
Januar 1991, SL 1 Nr. 158 und 160). Am 7. Februar 1991 rief die Regierung die
Zivilisten auf Jaffna auf, die Gegend zu verlassen, um eine militärische Offensive zu
ermöglichen; man sei darauf vorbereitet, die ca. eine Million Tamilen in Lagern
unterzubringen, bis die LTTE besiegt sei. Wijeratne sagte wörtlich: "Wenn die
Zivilisten unvorsichtigerweise bei der LTTE bleiben, wünschen wir ihnen viel Glück"
(FAZ vom 08. Februar 1991).
Die Armee soll bis 1992 auf 100.000 Mann aufgerüstet, zusätzlich sollen
paramilitärische Kräfte mit etwa 40.000 Freiwilligen aufgestellt werden; aus China
wurde neues Kriegsgerät angeschafft (Zeuge Keller vom 14. Dezember 1990, S. 4,
und vom 21. Dezember 1990, S. 2, SL 1 Nr. 138; The Guardian vom 26. Januar
1991, SL 1 Nr. 160).
Während die LTTE im Norden für ihre Aktionen zunächst noch Rückhalt in der
Bevölkerung hatte und jederzeit untertauchen konnte (FR, SL 1 Nr. 103), hat sich
die generell konfliktmüde Zivilbevölkerung in ihrer großen Mehrheit den Kämpfen,
wo sie nur konnte, durch Flucht entzogen. Sie wurde immer mehr Opfer als aktiv
oder moralisch Beteiligter (Auswärtiges Amt vom 29. November 1990, S. 6, SL 1
Nr. 134). Dies hängt zum großen Teil auch mit dem Verhalten der LTTE ihr
gegenüber zusammen. Die LTTE hat nicht nur alle gemäßigteren
Tamilenorganisationen bekämpft, sondern auch Zivilisten als lebende Schilde
benutzt. Als sicher gilt außerdem, daß sie die Taktik der verbrannten Erde
angewandt und dadurch ebenfalls Zivilisten getötet hat (Auswärtiges Amt, SL 1 Nr.
105). Im Nordosten soll sie Lebensmittellager angezündet haben (FR vom 24. Juli
1990, SL 1 Nr. 107). Für ihren Kampf verlangt sie Geld oder Gold und die
Gestellung eines Sohnes, angeblich rekrutiert sie auch Schulkinder (Walter Keller,
SL 1 Nr. 124; dazu und zum folgenden Auswärtiges Amt vom 29. November 1990,
S. 6 - 9, SL 1 Nr. 134). Niemand darf ohne Ausreisegenehmigung, für die eine
Gebühr zu entrichten ist (FR v. 11. Oktober 1990, SL 1 Nr. 125), ihren
Herrschaftsbereich verlassen, wobei junge Männer zwischen 12 und 25 Jahren und
junge Frauen zwischen 10 und 22 Jahren keine Ausreisegenehmigung erhalten,
damit sie zur Auffüllung der Kampftruppen der LTTE zur Verfügung stehen (Keller-
Kirchhoff vom 7. September 1991, S. 9, SL 1 Nr. 173). Die LTTE übt auf der dicht
besiedelten Jaffna-Halbinsel mit nur begrenzten Ausnahmen, ferner im Jaffna-
Distrikt südlich davon auf dem Festland die völlige Kontrolle über die
Zivilbevölkerung bis hin zur Gerichtsbarkeit einschließlich der Hinrichtung von
"Feinden und Verrätern" aus, hat jedoch keine eigene Hilfsorganisation aufgebaut.
Sie kämpft mit terroristischen Mitteln nicht nur gegen singhalesische, sondern
auch moslemische Zivilisten, von denen sie 80.000 aus der Nordprovinz vertrieben
haben soll. Gefangengenommene singhalesische Polizisten hat sie getötet
(Auswärtiges Amt vom 29. November 1990, S. 8 und S. 9, SL 1 Nr. 134). Durch
dieses Verhalten provoziert sie ihrerseits wiederum bewußt Übergriffe der
srilankischen Sicherheitskräfte (Zeuge Keller vom 21. Dezember 1990, S. 6 Mitte,
SL 1 Nr. 138). Ihr bevorzugtes Kampfmittel sind Minen, die selbst hergestellt
werden; inzwischen soll sie auch über Luftabwehrwaffen bis 90 mm Kaliber
verfügen, mit der sie erfolgreich Luftangriffe der Regierungstruppen abwehren
könne (Keller-Kirchhoff vom 7. September 1991, S. 11, SL 1 Nr. 173).
Zu den schwersten und bisher verlustreichsten Auseinandersetzungen zwischen
Regierungstruppen und der LTTE kam es zwischen dem 10. Juli und Anfang August
1991 um den sogenannten Elephant-Paß, einer Landverbindung zwischen der
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1991 um den sogenannten Elephant-Paß, einer Landverbindung zwischen der
Jaffna-Halbinsel und dem südlichen Festland, wobei sich die Regierungstruppen
letztlich an dieser Stelle behaupten konnten, nachdem die LTTE hier im offenen
Kampf die Entscheidung gesucht hatte. Bei diesen Kämpfen sollen etwa 600 LTTE-
Kämpfer und schätzungsweise 500 Soldaten der Regierungstruppen gefallen sein,
hinzukommen auf beiden Seiten große Zahlen von Verwundeten. Als Ergebnis aller
dieser letzten Auseinandersetzungen zwischen LTTE und den Regierungstruppen
ist festzuhalten, daß die LTTE nach wie vor die effektive Gebietsgewalt im Norden
in den Distrikten Jaffna, Mullaitivu und in Teilen der Distrikte Vavuniya (bis Omantai)
sowie Mannar mit Ausnahme der dem Norden vorgelagerten westlichen Inseln und
den Stützpunkten der Regierungstruppen ausübt (Auswärtiges Amt vom 30.
August 1991, S. 1 f., SL 1 Nr. 172; Keller-Kirchhoff vom 7. September 1991, S. 10
ff., 3, 7, 24, SL 1 Nr. 173).
Im Osten befanden sich die Distrikte Amparai, Trincomalee und Batticaloa wenige
Tage nach dem neuerlichen Ausbruch der Kämpfe im Juni 1990 wieder unter der
Kontrolle der srilankischen Armee (FAZ, SL 1 Nr. 92). Aus den Gebieten Batticaloa
und Amparai setzte eine neue Fluchtwelle ein (FR, SL 1 Nr. 94). Die Städte
Batticaloa und Trincomalee lagen in Schutt und Asche (FR, SL 1 Nr. 101),
Batticaloa war zudem angeblich menschenleer (FR, SL 1 Nr. 97). Nicht nur aus
diesen drei östlichen Distrikten, sondern auch aus Vavuniya mußte sich die LTTE in
den Dschungel zurückziehen (Auswärtiges Amt, SL 1 Nr. 105). Bereits im Juli
mehrten sich auch im Osten die Hinweise auf brutales Vorgehen der srilankischen
Armee gegen die tamilische Bevölkerung: Es wurde von angeblichen Massakern
berichtet, die von schwarzgekleideten Angehörigen einer Sondereinheit der Armee
begangen worden sein sollen. Von mindestens 30 erschossenen tamilischen
Männern, Frauen und Kindern war die Rede (FR, SL 1 Nr. 104). Auch amnesty
international berichtete von Hunderten extralegaler Exekutionen durch die
Regierungsstreitkräfte und von dem Verschwindenlassen von Zivilisten im
offensichtlichen Gegenzug zu Aktionen der LTTE, der ebenfalls schwere
Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden (ai vom 19. September 1990,
SL 1 Nr. 121 und vom 11. September 1991, SL 1 Nr. 175). Racheaktionen von
Moslemgruppen für die an ihrer Volksgruppe begangenen Greueltaten haben nach
der gleichen Quelle in manchen Fällen die Zustimmung der srilankischen
Sicherheitskräfte gehabt. Opfer von Gewalttaten, ferner von Großrazzien mit
anschließenden Verhaftungen ("Cordon and Search Operations", vgl. Zeuge Keller
vom 21. Dezember 1990, S. 3, SL 1 Nr. 138; "Screening Actions", vgl. Auswärtiges
Amt vom 29. November 1990, S. 5, 7, SL 1 Nr. 134) waren - wie in der
Vergangenheit - meist junge männliche Tamilen im Alter zwischen 15 und 35
Jahren. Mehrere hundert Fälle von Hinrichtungen und Verschleppungen durch die
srilankischen Sicherheitskräfte Ende Juni/Anfang Juli 1990 wurden aus Kalmunai,
Batticaloa und anderen Orten im Osten wie Veramunai, Sammanthurai, Nuitavur
und Karativu bekannt. Speziell im Trincomalee-Distrikt, in dem zu einem Drittel
Tamilen leben, kam es Mitte 1990 auch zu Vertreibungen von Tamilen (dazu und
zum folgenden Zeuge Keller vom 21. Dezember 1990, S. 2 f., SL 1 Nr. 138). Im
Batticaloa-Distrikt mit bis zu 80 $ Tamilen wurde im übrigen die Special Task Force
(STF) eingesetzt, der Gewaltakte wie willkürliche Erschießungen und
Verbrennungen mittels Autoreifen, also Gewaltakte wie bei den
Auseinandersetzungen mit der JVP im Süden des Landes, zugeschrieben wurden.
Ein Mitglied des Bürgerkomitees von Batticaloa sagte, Opfer seien nicht Mitglieder
der LTTE, wie die Regierung glauben machen wolle, sondern vorwiegend tamilische
Zivilisten (Walter Keller, ai-Info, Oktober 1990, SL 1 Nr. 124). In diesem Distrikt
fanden Luftangriffe auf Dörfer an der Küste südlich und nördlich von Batticaloa
statt, wobei tamilische Dörfer besonders betroffen waren. Auch im nördlichen Teil
des Amparai-Distriktes, in dem 35 % Tamilen leben, war die STF tätig, der seit Juni
1990 abermals Vergewaltigungen von Tamilinnen vorgeworfen werden. Gegen
tamilische Frauen wird im übrigen nicht in Form von Razzien, sondern mehr gezielt
auf konkrete Hinweise hin vorgegangen. Sie können ferner verhaftet werden, wenn
ein gesuchtes männliches Mitglied der Familie nicht greifbar ist.
Schließlich wurden am 07. Dezember 1990 nach Augenzeugenberichten in einem
Dorf bei Batticaloa 70 Tamilen Opfer eines Massakers, das nach der Behauptung
der LTTE von Regierungstruppen mit Unterstützung einer mit der LTTE
rivalisierenden Tamilengruppe begangen wurde (FR vom 12. Dezember 1990, SL 1
Nr. 133), was beide jedoch bestritten haben (NZZ vom 13. Dezember 1990, SL 1
Nr. 134).
Im übrigen gilt für diese Region des Landes im Hinblick auf das Verhalten der LTTE
der Zivilbevölkerung gegenüber ähnliches wie bereits zuvor für den Norden des
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der Zivilbevölkerung gegenüber ähnliches wie bereits zuvor für den Norden des
Landes geschildert. Ihre Gewaltakte richteten sich vornehmlich gegen Moslems
(vgl. die Meldungen SL 1, Nr. 109, 110, 112 bis 114, 116, 131), Singhalesen (vgl.
zuletzt The Guardian vom 24. Januar 1991, SL 1 Nr. 157), aber auch gegen die
eigene Volksgruppe: 30.000 Tamilen aus dem Batticaloa-Distrikt sind offenbar vor
ihnen geflohen (Zeuge Keller vom 21. Dezember 1990, S. 5, SL 1 Nr. 138).
Während die Rebellen der Regierung das Aushungern der Bevölkerung im Osten
vorwarfen, machte die Regierung ihrerseits die LTTE für die Lebensmittelknappheit
verantwortlich, da sie Lebensmittellager im Nordosten angezündet hätte (FR, SL 1
Nr. 107). Lebensmittelknappheit besteht jedoch unbestritten, und dies gilt auch für
den Norden (FR, SL 1 Nr. 97, Keller-Kirchhoff vom 7. September 1991, S. 13, SL 1
Nr. 173).
Hinsichtlich des Südens und Westens ergibt sich für die neueste Zeit folgendes
Bild:
In Colombo wurden etwa Anfang Juli 1990 angeblich 7.000 junge Tamilen als
Faustpfand in "Schutzhaft" genommen (FR vom 13. Juli 1990, SL 1 Nr. 103). Über
die Zahl gibt es jedoch widersprüchliche Meldungen. Einerseits sollen die Zahlen
zwischen 2.000 und 7.000 schwanken (Zeuge Keller vom 21. Dezember 1990, S. 4,
SL 1 Nr. 138), andererseits ist nur von 600 vielfach nur vorübergehend
festgenommenen, schließlich ausnahmslos freigelassenen Tamilen im Raum
Colombo die Rede (Auswärtiges Amt, SL 1 Nr. 111 und 118). Zweck der
Großrazzien dürfte die Suche nach LTTE-Leuten gewesen sein. Später sollen in
Colombo dann noch einmal etwa 300 junge männliche Tamilen ohne festen
Wohnsitz oder in Gemeinschaftsunterkünften verhaftet worden sein (Auswärtiges
Amt vom 29. November 1990, S. 10, SL 1 Nr. 134). Amnesty international sprach
von Hunderten von jungen Tamilen, die in Colombo und anderen südlichen
Distrikten verhaftet worden seien, nachdem die LTTE im Juni Polizeistationen im
Osten überfallen hatte. Manche dieser jungen Tamilen seien freigelassen worden,
andere in Haft geblieben, mehrere habe man verschleppt. Auch nach den
Angaben des Zeugen Keller a.a.O.). haben die Verhaftungen nicht nur Colombo,
sondern auch das Hochland im Süden um Kandy und Nuwara Eliya betroffen. Die
Verhaftungen dauerten nach diesem Bericht an, die Leute würden in den
Gefängnissen in Colombo und Kandy, aber auch in Polizeistationen und
Armeecamps gefangengehalten. Während es den Verhafteten in den
Gefängnissen noch vergleichsweise gut gehe, werde der Verbleib derer in den
Polizeistationen und Armeelagern oft nicht bekanntgegeben.
Am 03.02.1991 verübte die LTTE einen Bombenanschlag auf den Staatsminister
der Verteidigung Wijeratne und am 21.06.1991 auf die Einsatzzentrale der
Streitkräfte. Insbesondere auch als Folge dieser Anschläge werden ein- und
ausreisende Tamilen männlichen und weiblichen Geschlechts zwischen 16 und 36
Jahren, welche keinen ständigen Wohnsitz im Süden und Westen nachweisen
können, erkennungsdienstlich mit dem Ziel behandelt, festzustellen, ob es sich
um LTTE-Kämpfer oder -Helfer handelt (Auswärtiges Amt vom 30. August 1991, S.
7, SL 1 Nr. 172). So wurden bei den Überprüfungsaktionen (screening actions) im
Gefolge des Anschlags auf die Einsatzzentrale der Streitkräfte in Colombo und
Umgebung sowie im zentralen Hochland ca. 1177 Personen vorläufig
festgenommen, von denen 1063 freigelassen worden sind. Gegen etwa 114
Verdächtige sind Haftbefehle erlassen worden (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 11).
Allgemein erfolgen bei Razzien zum Zwecke der Überprüfung ("screening")
lediglich vorläufige Festnahmen. Erst wenn das "screening" den Verdacht bestätigt,
werden die Betreffenden festgenommen und kommen in Untersuchungshaft. Kann
z.B. ein Tamile bei der Fahndung nach untergetauchten LTTE-Angehörigen in
Colombo und Umgebung sowie im zentralen Hochland keinen stichhaltigen Grund
("valid reason") für den Aufenthalt an dem Ort nachweisen, an dem er aufgegriffen
wurde, so wird er, insbesondere wenn er der entsprechenden Altersgruppe von
Tamilen angehört, genauer überprüft und wenn sich hierdurch weitere
Verdachtsmomente ergeben, ist seine Verhaftung zum Zwecke weiterer
Ermittlungen wahrscheinlich (Auswärtiges Amt, a.a.O.). S. 12 f.). Bei den
Überprüfungen bedienen sich die staatlichen Sicherheitskräfte auch der Hilfe von
Angehörigen der Tamilenorganisation, die in Opposition zur LTTE stehen (PLOTE,
EPDP, TELO). Angehörige dieser Organisationen beteiligen sich aber auch an
Kampfhandlungen gegen die LTTE im Norden und Osten, zum Teil zusammen mit
regulären Truppen, aber auch selbständig (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 14 f.).
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Aufgrund der seit Juni 1990 wieder aufgelebten Auseinandersetzungen zwischen
LTTE und Regierungstruppen sind zahlreiche Tamilen, aber auch ca. 40.000
Moslems aus ihrem Heimatort geflohen und sind zum Teil in über das ganze Land
verbreiteten ca. 470 Flüchtlingslagern untergekommen, von denen sich 303 in der
Nordostprovinz befinden. Offiziell wird die Zahl der Flüchtlinge innerhalb und
außerhalb von Flüchtlingslagern mit 673.685 angegeben, hinzukommen weitere
1.090.961 Personen, die wegen der Auseinandersetzungen wirtschaftliche Not
leiden (Keller-Kirchhoff vom 10. September 1991, S. 3, SL 1 Nr. 174). Unabhängige
Schätzungen beziffern die Anzahl der Flüchtlinge sogar auf über eine Million (ai
vom 11.09.1991, S. 22 der deutschen Übersetzung, SL 1 Nr. 175).
Gegenwärtig sind Reisen vom Süden in den Norden bzw. in umgekehrter Richtung -
abgesehen von akuten Kampfhandlungen - möglich, wenn auch risikoreich. Der
Reisende muß mit mehreren Kontrollen auf beiden Seiten rechnen, auch durch
Angehörige der in Opposition zur LTTE stehenden Tamilenorganisation (Keller-
Kirchhoff vom 10. September 1991, S. 15, SL 1 Nr. 174). Jugendliche männliche
und weibliche Tamilen setzen sich bei einer Rückkehr in den Norden derzeit der
Gefahr einer Rekrutierung durch die LTTE zur Verstärkung ihrer stark dezimierten
Kampftruppen aus. Seit Ausbruch der Kämpfe im Juni 1990 soll eine nicht geringe
Zahl von srilankischen Tamilen mit deutschem Wohnsitz über Colombo in den
Norden zu ihren Verwandten gereist und wieder über Colombo nach Deutschland
zurückgekehrt sein. Dabei sollen auch Schmuggel- und Schleichwege benutzt
worden sein, allerdings mit nicht geringem Risiko, durch Minen oder Beschuß (von
beiden Seiten) verletzt oder getötet zu werden. Daneben reisen täglich zu Fuß
oder per Fahrrad - allerdings nicht während der verhängten Ausgangssperren in
Zeiten von Kampfhandlungen in den jeweils betroffenen Gebieten -eine große Zahl
von im Norden ansässigen Personen zur Beschaffung von Nahrungsmitteln und
Vorräten in den Süden und wieder zurück (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 7, SL 1 Nr.
172). Nach der neuesten Verboten dürfen u.a. folgende Güter nicht in den Norden
gebracht werden: Trockenmilchprodukte, Medikamente, Treibstoffe (mit Ausnahme
von Kerosinöl), Seife, Streichhölzer, Kerzen, Schultaschen, Plastiktüten,
Schokolade und andere Süßigkeiten, Motorradhelme, elektrische und
elektronische Güter, Eisen- und Aluminiumplatten, Zement, Holzbohlen und
anderes Bauholz, Stacheldraht, leer Säcke, Metalle, Düngemittel, Batterien,
Radioersatzteile, Reifen, Fahrzeuge und Ersatzteile, Motorräder,
Schreibmaschinen, Druckmaschinen, Papier und andere zum Drucken notwendige
Artikel, Fotokopiermaschinen, Alkoholika, Schuhe und Chemikalien (Keller-Kirchhoff
vom 7. September 1991, S. 15, SL 1 Nr. 173).
Bei den nach wie vor andauernden Auseinandersetzungen mit der LTTE zeigen sich
der srilankische Staat bzw. die in seinem Namen Handelnden von ganz
verschiedenen Seiten (janusköpfig). Einerseits wird bei den Angriffen im Norden
durch die srilankische Luftwaffe bzw. durch Beschuß von Schiffen aus der Tod von
zahlreichen Zivilisten im Kauf genommen, was indes zum Teil damit
zusammenhängt, daß diese Zivilisten als "human shields" von der LTTE benutzt
werden (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 15, SL 1 Nr. 172), gelegentlich soll auch von
Helikoptern aus regelrecht Jagd auf Leute gemacht werden, die erkennbar
Zivilisten sind (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 15 f., SL 1 Nr. 172; Keller-Kirchhoff vom
7. September 1991, S. 42, SL 1 Nr. 173; ai vom 11. September 1991, S. 20 der
deutschen Übersetzung, SL 1 Nr. 175). Andererseits sollen aber vor Luftangriffen
Flugblätter abgeworfen worden sein, um die Zivilisten zu warnen, wenn auch der
angekündigte Zeitpunkt der Bombardierung manchmal nicht eingehalten worden
ist, d.h. früher mit der Bombardierung begonnen worden ist (ai, a.a.O., S. 20, SL 1
Nr. 175). Nach wie vor "verschwinden" einerseits im Osten Menschen oder werden
ohne Gerichtsverfahren exekutiert. Häufig werden Menschen im Alter zwischen 12
und 41 Jahren, aber auch Mütter und wenige Monate alte Kleinkinder sowie alte
Leute verschleppt, zum Teil durch sogenannte Todesschwadronen. Viele bleiben
verschwunden (ai, a.a.O., S. 32 - 46 der deutschen Übersetzung, SL 1 Nr. 175).
Andererseits ist von der Regierung zur Untersuchung von solchen Fällen des
"Verschwindens" ab 11.01.1991 eine Präsidialkommission eingesetzt und
inzwischen eine sogenannte task force zur Überwachung der fundamentalen
Rechte von Häftlingen aufgestellt worden (ai, a.a.O., S. 58 u. 61 der deutschen
Übersetzung, SL 1 Nr. 175), wenn auch nach Auskunft des Auswärtigen Amtes
weiter davon auszugehen ist, daß Übergriffe in der Regel nicht geahndet werden
(a.a.O., S. 16, SL 1 Nr. 172; ai vom 11. September 1991, S. 18 f. der deutschen
Übersetzung, SL 1 Nr. 175).
Insgesamt sollen in Sri Lanka zwischen dem 11. Juni 1990 und Ende August 1991
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Insgesamt sollen in Sri Lanka zwischen dem 11. Juni 1990 und Ende August 1991
schätzungsweise 12.000 Menschen bei den Auseinandersetzungen zwischen
militanten Tamilen einerseits und Regierungstruppen sowie singhalesischen
Sicherheitskräften andererseits getötet worden sein. Davon kommen ca. 1500
Getötete auf die Kampftruppen der LTTE und ebenso viele auf Seiten der
singhalesischen Truppen sowie der Sicherheitskräfte (Keller-Kirchhoff vom 7.
September 1991, S. 3, SL 1 Nr. 173).
Aus den vorstehend geschilderten Ereignissen ergibt sich für den Norden Sri
Lankas, daß der Staat spätestens ab Mai 1986 im Jaffna-Distrikt, der
Herkunftsregion des Beigeladenen, in der er auch vor seiner Ausreise noch seinen
Lebensmittelpunkt hatte - auf die Verhältnisse an diesem Ort ist zur Aufstellung
der Verfolgungsprognose anzuknüpfen (vgl. Urt. des erkennenden Senats vom 22.
März 1991 - 10 UE 2044/86 -, S. 65 des Urteilsumdrucks) -, seine
Herrschaftsgewalt de facto und effektiv an die LTTE verloren hat und es damit an
der zur Annahme einer politischen Verfolgung notwendigen effektiven
Gebietsgewalt des srilankischen Staates im Sinne wirksamer hoheitlicher
Überlegenheit fehlt, da er im umkämpften Gebiet faktisch nur mehr die Rolle einer
in einem offenen Bürgerkrieg militärisch kämpfenden Bürgerkriegspartei einnimmt
(vgl. dazu BVerfGE 80, 315 <340>). Bereits zu Beginn des Jahres 1987 hat die
LTTE dort mit dem Aufbau einer Zivilverwaltung begonnen. Unterbrochen wurde
die Gebietsgewalt der LTTE lediglich während der Zeit der Besetzung des Nordens
durch die IPKF zwischen Juli 1987 und März 1990. Danach ist sie ohne
Einschränkung wieder aufgelebt, gilt auch noch heute bis auf kleinere lokale
Ausnahmen fort und ist nicht etwa auf weitgehend unbesiedeltes Gebiet wie in den
anderen nördlichen Distrikten von Mullaitivu, Mannar und Vavuniya beschränkt
(vgl. dazu Auswärtiges Amt vom 30. August 1991, Seite 1 f., SL 1 Nr. 172; Keller-
Kirchhoff vom 7. September 1991, Seite 7 f., SL 1 Nr. 173). Typisch militärische
Maßnahmen des zur Bürgerkriegspartei gewordenen Staates, die der
Rückeroberung des Gebietes dienen, über das er de facto die Gebietsgewalt an
den Bürgerkriegsgegner verloren hat, stellen im allgemeinen keine politische
Verfolgung dar. Durch die im Gegensatz zur in den sonstigen genannten
nördlichen Distrikten herrschende Guerillabürgerkriegslage ist der srilankische
Staat im Jaffna-Distrikt in eine dem offenen Bürgerkrieg vergleichbare Situation
geraten, in der er ebenfalls das Gesetz des Handelns als übergreifende und
effektive Ordnungsmacht verloren hat, so daß seine Maßnahmen den Charakter
asylrechtlich erheblicher Verfolgung selbst dann verlieren, wenn sie
völkerrechtswidrig sein und insbesondere den Genfer Rot-Kreuz-Konventionen von
1949 und den Zusatzprotokollen von 1977 widersprechen sollten (BVerfGE 80, 315
<341». Auch die dem Beigeladenen im Falle der Rückkehr auf dem Weg in den
Norden Sri Lankas drohenden Gefahren resultieren gerade aus der
Bürgerkriegssituation und stellen daher ebenfalls keine politische Verfolgung dar.
Die gelegentlich militärischer Maßnahmen im Bürgerkrieg von Soldaten oder
Sicherheitskräften des srilankischen Staates ungeahndet begangenen Exzesse
gegenüber der Zivilbevölkerung sind daher - so leidvoll sie auch für Betroffene sein
mögen - asylrechtlich unerheblich.
Politische Verfolgung wäre demgegenüber im Norden Sri Lankas erst dann
gegeben, wenn der srilankische Staat den Kampf in einer Weise führen würde, die
auf die physische Vernichtung von auf der Gegenseite stehenden oder ihr
zugerechneten und nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen
gerichtet wäre, obwohl diese keinen Widerstand mehr leisten wollen oder können
oder an dem militärischen Geschehen nicht oder nicht mehr beteiligt sind, vollends
wenn die Handlungen seiner Kräfte "in die gezielte physische Vernichtung oder
Zerstörung der ethnischen, kulturellen oder religiösen Identität des gesamten
aufständischen Bevölkerungsteiles umschlagen" würden (BVerfGE 80, 315 <340,
341>). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.
Auch wenn - wie eingehend dargestellt - die srilankische Luftwaffe zeitweise wahllos
Städte, Dörfer und ganze Landstriche im Norden bombardiert hat bzw. ebenso
durch Beschuß von Schiffen aus vorgegangen wird, was in jedem Fall zu schweren
Verlusten bei der tamilischen Zivilbevölkerung ohne Rücksicht auf Alter und
Geschlecht geführt hat, kann nicht davon gesprochen werden, daß die
Maßnahmen der srilankischen Regierung auf die gezielte physische Vernichtung
oder Zerstörung der ethnischen, kulturellen oder religiösen Identität des gesamten
aufständischen Bevölkerungsteils, nämlich der srilankischen Tamilen, gerichtet
waren. Denn dem Senat liegen keinerlei Anhaltspunkte für solche genozidartigen
Maßnahmen gegen die im Süden und Südwesten des Landes lebenden Tamilen
vor (so auch Zeuge Keller vom 14. Dezember 1990, S. 4 Mitte, SL 1 Nr. 138). Für
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vor (so auch Zeuge Keller vom 14. Dezember 1990, S. 4 Mitte, SL 1 Nr. 138). Für
eine beabsichtigte oder bereits ins Werk gesetzte Zerstörung der ethnischen
kulturellen oder religiösen Identität der Tamilen in der Nordprovinz finden sich
ebenfalls keine Anhaltspunkte. Alle vom Senat in Betracht gezogenen objektiven
Ereignisabläufe führen zu dem Schluß, daß sich der srilankische Staat allein den
teilweise weit gediehenen gewaltsamen politischen, speziell territorialen
Sonderungsbestrebungen mit dem Versuch, sie auszuschalten, durch Einsatz von
Gewalt widersetzt. Nirgends ist erkennbar, daß die aufständische Tamilen
treffenden Maßnahmen auf eine Identitätseliminierung in ethnischer, kultureller
und religiöser Hinsicht gerichtet sind. Schon der Umstand der - wenn auch
minimalen, so doch in diesen Regionen üblichen - Versorgung der außerordentlich
großen Zahl von tamilischen Flüchtlingen in anderen Landesteilen spricht
dagegen.
Ebensowenig kann von einer Vorgehensweise die Rede sein, die auf die physische
Vernichtung von auf der Gegenseite stehenden oder ihr zugerechneten und nach
asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen gerichtet ist, obwohl diese
keinen Widerstand mehr leisten wollen oder können oder an dem militärischen
Geschehen nicht oder nicht mehr beteiligt sind. Der Senat kann nicht feststellen,
daß die Maßnahmen des srilankischen Staates im Norden auf die physische
Vernichtung dieser tamilischen Bevölkerungsgruppe gerichtet sind. Zwar kommen
immer wieder in dieser Region Übergriffe von Soldaten oder Sicherheitskräften
gegen unbeteiligte Tamilen vor, die zu deren Tod führen und weitgehend vom
Staat nicht geahndet werden. Die Maßnahmen des srilankischen Staates sind aber
nicht generell auf die physische Vernichtung dieser unbeteiligten
Bevölkerungsgruppe gerichtet, wie schon der Umstand zeigt, daß auch
Maßnahmen ergriffen werden, um die Zivilbevölkerung generell vor den
Kampfmaßnahmen zu schützen, indem z.B. Flugblätter abgeworfen werden, die
vor einer bevorstehenden Bombardierung warnen, um der unbeteiligten
Bevölkerung die Flucht zu ermöglichen. In bezug auf den der LTTE zugerechneten
Bevölkerungsteil kann zwar weiterhin davon ausgegangen werden, daß er von den
srilankischen Sicherheitskräften ohne begründete Verdachtsmomente verhaftet,
gefoltert und mißhandelt wird, darüber hinaus teilweise spurlos verschwindet. Der
Senat vermag jedoch nicht festzustellen, daß solche Personen ausnahmslos
"physisch vernichtet", d.h. getötet werden. In diesem Zusammenhang muß
nochmals darauf hingewiesen werden, daß es - was auch das
Bundesverfassungsgericht in seiner oben zitierten Entscheidung vom 10. Juli 1989
betont hat - nicht ausreicht, daß der Staat völkerrechtswidrig vorgeht.
Politische Verfolgung wäre daher, sofern nicht doch noch die
Bürgerkriegsmaßnahmen zukünftig in asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen im
Rahmen des Bürgerkriegs umschlagen, wofür schon wegen der beträchtlichen
Dauer der obwaltenden Verhältnisse keine überwiegende Wahrscheinlichkeit
besteht, erst dann wieder denkbar, wenn der Staat seine prinzipielle Gebietsgewalt
in bestimmten Gebieten, also im Herkunftsgebiet des Beigeladenen,
zurückerobern würde (BVerfGE 80, 315 <341>). Auch dieses ist jedoch nicht
überwiegend wahrscheinlich. Wie dargestellt, dauert der Kampf gegen die LTTE
bereits Jahre, obwohl die Regierung schon mehrfach in der Vergangenheit ein
baldiges und schnelles Ende der militärischen Auseinandersetzungen angekündigt
hat. Seit 1986 wurde ständig der Militärhaushalt angehoben, eine kontinuierliche,
personelle Aufstockung der Armee und sonstigen Sicherheitskräfte betrieben und
deren Ausrüstung verbessert, ohne daß dies letztlich zu einer entscheidenden
Schwächung der LTTE geführt hätte. Ebensowenig sind deutliche Auswirkungen des
schärferen Vorgehens der indischen Behörden im Bundesstaat Tamil Nadu gegen
die LTTE auf deren Kampfesstärke erkennbar (vgl. dazu The Economist vom 19.
Januar 1991, SL 1 Nr. 156). Schließlich hat der letzte Aufruf der Regierung an die
tamilische Bevölkerung im Norden des Landes, sich aus dem Kampfgebiet
zurückzuziehen, ebenso wie ähnliche Aufrufe in der Vergangenheit, offenbar
keinerlei Wirkungen gehabt. Auch aus diesem Grund ist eine "militärische Lösung"
in absehbarer Zeit unwahrscheinlich (vgl. zu dieser Einschätzung FR v. 04. Februar
1991), zumal der srilankische Staat bei einer Vorgehensweise, die jede
Rücksichtnahme auf die tamilische Zivilbevölkerung ausschließen würde, mit
einem abermaligen Eingreifen Indiens rechnen müßte (vgl. dazu den Bericht in The
Guardian vom 31. Januar 1991, SL 1 Nr. 159).
Schließlich wäre selbst dann, wenn man in den obigen Maßnahmen der
srilankischen Regierung eine politische Verfolgung sehen wollte, jedenfalls eine
überwiegende Wahrscheinlichkeit, im Falle der Rückkehr in seine Heimatregion von
diesen betroffen zu werden, für den Beigeladenen nicht gegeben. Dies ergibt sich
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diesen betroffen zu werden, für den Beigeladenen nicht gegeben. Dies ergibt sich
unter anderem schon daraus, daß in der Zeit vom 11. Juni 1990 bis Ende August
1991 den Auseinandersetzungen in Sri Lanka zwischen militanten Tamilen
einerseits und Regierungstruppen sowie singhalesischen Sicherheitskräften
andererseits schätzungsweise 12.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Davon
kommen ca. 1500 Getötete auf die Kampftruppen der LTTE und ebensoviele auf
Seiten der singhalesischen Truppen sowie Sicherheitskräfte (Keller-Kirchhoff vom
7. September 1991, S. 3, SL 1 Nr. 173). Danach sind abzüglich der getöteten
Kombattanten auf beiden Seiten in dieser Zeit etwa 9.000 zivile Opfer zu beklagen
gewesen. Selbst wenn diese sämtlich in der nordöstlichen Provinz Sri Lankas
getötet worden sein sollten, so steht dieser Zahl von 9.000 eine Zahl von
mindestens zwei Millionen dort lebenden Personen gegenüber (nach der dem
Bericht von Keller-Kirchhoff vom 10. September 1991, SL 1 Nr. 174, als Anlage 1
beigefügten Tabelle über die Zahl der Flüchtlinge innerhalb und außerhalb von
Flüchtlingslagern und wirtschaftlich betroffenen Personen am z. August 1991,
erstellt durch das "Ministry of Reconstruction, Rehabilitation and Social Welfare",
errechnet sich eine Einwohnerzahl von mindestens zwei Millionen für die
Nordostprovinz, wobei diese Zahlen nur die in irgendeiner Weise von Auswirkungen
des Bürgerkriegs betroffenen Personen betrifft). Bei diesem offen zutage
tretenden Zahlenverhältnis kann davon ausgegangen werden, daß der
Beigeladene im Falle der Rückkehr eher nicht, also nicht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit zum Opfer der bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen im
Norden Sri Lankas werden würde, wie immer man diese auch asylrechtlich
bewertet.
Eine politische Verfolgung des Beigeladenen im Falle seiner Rückkehr in seine
Heimatregion durch die LTTE kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil deren
im Vorstehenden geschilderte Maßnahmen gegenüber der tamilischen
Bevölkerung nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfen. Sie gelten den in ihrem
Herrschaftsbereich lebenden Personen in ihrer Gesamtheit und ohne Rücksicht auf
ihre Volkszugehörigkeit. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn bestimmte
Maßnahmen gezielt der Bekämpfung eines politischen Gegners dienen würden.
Solche Maßnahmen sind aber in bezug auf die Person des Beigeladenen weder
vorgetragen noch sonstwie ersichtlich, da dieser weder einer von der LTTE
bekämpften Tamilenorganisation angehört noch sonst irgendwelche Angriffspunkte
im Verhältnis zur LTTE aufweist, vielmehr im Gegenteil nach seinem eigenen
Vorbringen die LTTE bis kurz vor seiner Ausreise tatkräftig unterstützt haben will.
Aus dem Vorstehenden ergeben sich schließlich keine Anhaltspunkte für dem
Beigeladenen im Falle der Rückkehr drohende Verfolgungsmaßnahmen, die
zwischen den "Eckpunkten" der unmittelbaren Betroffenheit des Einzelnen durch
gerade auf ihn zielende Verfolgungshandlungen sowie der Gruppengerichtetheit
der Verfolgung liegen. "Referenzfälle" oder sonstige Umstände für ein Klima
überwiegend wahrscheinlichen Zugriffs auf ihn wegen seiner asylrelevanten
Merkmale im Falle seiner Rückkehr hat er nicht geltend gemacht. Auch insoweit
gilt, daß die noch in absehbarer Zeit weiterbestehende Bürgerkriegssituation zwar
ein erhebliches Gefahrenmoment für ihn darstellen kann, daß diese aber eben
gerade der Qualitäten asylbedeutsamen Zugriffs auf ihn und seine tamilischen
Landsleute ermangelt und sich dies auch in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Die
Furcht vor den allgemeinen, nicht durch Asylrelevanz gekennzeichneten
Gewaltmaßnahmen eines Bürgerkriegs darf auch in diesem Zusammenhang nicht
mit der begründeten Furcht vor politischer Verfolgung als Indiz für das Vorliegen
der Voraussetzungen der Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG verwechselt werden. Insoweit
bleibt es aufgrund der dem Senat zugänglichen Quellen auch im vorliegenden
Zusammenhang bei der Feststellung, daß der srilankische Staat seine
Schutzfunktion gegenüber Angriffen auf den von der Menschenwürde bestimmten
Kern der Existenz nicht aufgekündigt hat, auch wenn er sie nach westlich
orientierten Maßstäben gelegentlich nur verzögerlich wahrnimmt.
Die Berufung des Bundesbeauftragten hat nach alledem Erfolg. Etwas anderes
ergibt sich auch nicht deswegen, weil sich inzwischen der Begriff des Asylantrags
geändert hat. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG i.d.F. des Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes
zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) wird mit
jedem Asylantrag sowohl die Feststellung, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG 1990 vorliegen, als auch, wenn der Ausländer dies nicht ausdrücklich
ablehnt, die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt. In der Entscheidung über
jeden Antrag ist gemäß § 12 Abs. 6 Satz 3 AsylVfG n.F. in beiden Richtungen zu
befinden, es sei denn, es läge eine Beschränkung auf das erstgenannte Begehren
vor. Jede der beiden Feststellungen ist selbständig anfechtbar (§ 12 Abs. 6 Satz 4
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vor. Jede der beiden Feststellungen ist selbständig anfechtbar (§ 12 Abs. 6 Satz 4
AsylVfG n.F.). Mangels einer dahingehenden Übergangsvorschrift gilt dies auch für
Anträge, welche vor dem Inkrafttreten dieser Neuregelung gemäß Art. 15 Abs. 2
des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts gestellt und noch nicht
bestandskräftig beschieden worden sind.
Die vorbeschriebene Neuregelung hat den Streitgegenstand des vorliegenden
Verfahrens nicht von Gesetzes wegen - automatisch mit der Folge erweitert, daß
dies vom Gericht bei seiner Entscheidung hätte berücksichtigt werden müssen.
Denn der Bescheid des Bundesamts hat seinerzeit nur über die Anerkennung des
Beigeladenen als Asylberechtigter entschieden (§§ 7 Abs. 1 und 12 Abs. 6 AsylVfG
a.F.), nicht aber über das Vorliegen der Voraussetzungen für ein
Abschiebungsverbot (§ 14 Abs. 1 AuslG 1965, heute § 51 Abs. 1 AuslG 1990). Nur
diese Entscheidung ist Gegenstand der Beanstandungsklage des
Bundesbeauftragten, auf welche hin das mit der Berufung des
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten angefochtene Urteil des
Verwaltungsgerichts ergangen ist.
Die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens sind gemäß § 154 Abs. 1
bis 3 VwGO in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zwischen der Beklagten
und dem Beigeladenen aufzuteilen, weil beide im Rechtsstreit gleichermaßen
unterliegen.
Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich
der Kosten und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus den §§ 167 VwGO, 708
Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
i.d.F. des 4. VwGOÄndG vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I, 2809) nicht vorliegen.
R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde innerhalb eines Monats
nach Zustellung dieser Entscheidung angefochten werden. Die Beschwerde ist
beim
Hessischen Verwaltungsgerichtshof Brüder-Grimm-Platz 1 3500 Kassel
durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule
einzulegen; juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können
sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt
vertreten lassen. Die Beschwerde muß die Entscheidung bezeichnen, die
angefochten werden soll.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieser
Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Hessischen
Verwaltungsgerichtshof einzureichen. In der Begründung muß entweder
- die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden
oder
- die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Gemeinsamen
Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes bezeichnet werden, wenn geltend
gemacht wird, von ihr werde in der in dem vorliegenden Verfahren ergangenen
Entscheidung abgewichen und die Entscheidung beruhe auf dieser Abweichung,
oder
ein Verfahrensmangel bezeichnet werden, auf dem die Entscheidung beruhen
kann.
Bamberger Dittmann Michel
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.