Urteil des HessVGH vom 24.02.2000

VGH Kassel: örtliche zuständigkeit, rechtskräftiges urteil, behörde, duldung, beiladung, beendigung, stadt, asylbewerber, asylverfahren, rücknahme

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 TG 651/00
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 55 AuslG 1990, § 50 Abs
4 AsylVfG 1992, § 10a Abs
1 S 1 AsylbLG, § 10a Abs 1
S 2 AsylbLG, § 10b Abs 3
AsylbLG
(Örtlich zuständiger Sozialleistungsträger im Falle
abgelehnter und anschließend geduldeter Asylbewerber)
Gründe
Die mit Beschluss des Senats vom heutigen Tag -- 1 TZ 4310/99 -- zugelassene
Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Gießen vom 25. November 1999 hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hätte den Antragsgegner nicht im Wege der einstweiligen
Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) an die Antragstellerin verpflichten dürfen.
Ein Anordnungsanspruch im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist nicht
glaubhaft gemacht worden; denn entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts ist der Antragsgegner örtlich nicht zuständig für die
Gewährung der begehrten Leistung. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich im
vorliegenden Fall nicht nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, sondern nach Satz 2 der
Vorschrift. Danach ist die Behörde zuständig, in deren Bereich sich der
Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält, mithin hier die Stadt G.
Die Antragstellerin, deren Asylverfahren durch rechtskräftiges Urteil des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 9. September 1997 -- 9 E 31500/94.A (1) --
negativ abgeschlossen worden ist, war ursprünglich aufgrund einer
entsprechenden Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung des Bundesamts für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge dem Landkreis M zugewiesen worden.
Seit Beendigung des Asylverfahrens wird ihr Aufenthalt nach § 55 Ausländergesetz
(AuslG) geduldet.
Zwar bestimmt § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, dass für Leistungen nach diesem
Gesetz diejenige Behörde örtlich zuständig ist, in deren Bereich der
Leistungsberechtigte aufgrund der Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung
zugewiesen worden ist. Diese auf § 50 Abs. 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG)
beruhende Entscheidung bleibt zwar grundsätzlich auch bei unanfechtbarer
Ablehnung oder Rücknahme des Asylantrags bis zu dessen aufenthaltsrechtlicher
Abwicklung wirksam; sie wird jedoch gegenstandslos, wenn dem Ausländer ein
asylverfahrensunabhängiger Aufenthalt ermöglicht wird. Dies kann auch im Wege
einer Duldung nach § 55 AuslG geschehen (wie hier: BVerwG, Urteil vom 31. März
1992 -- 9 C 155.90 -- NVwZ 1993, 276 = EZAR 221 Nr. 36 zu § 22 Abs. 4 AsylVfG
a.F.; OVG NW, Beschlüsse vom 18. April 1989 -- 19 B 585/89 -- NVwZ-RR 1990, 330
zu § 22 Abs. 4 AsylVfG a.F. sowie vom 30. Januar 1997 -- 25 B 2973/96 -- Juris;
ebenso im Ergebnis VG Ansbach, Beschluss vom 4. November 1998 -- AN 4 E
98.01563 -- InfAuslR 1999, 315; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 1999,
Rdnr. 18 zu § 50 AsylVfG; Marx, AsylVfG, 4. Aufl., Rdnr. 28 zu § 50; a.A. Deibel, Das
neue Asylbewerberleistungsrecht, ZAR 1998, 1, 35; Hohm in GK-AsylbLG, Rdnr. 32
zu § 10).
Die entgegenstehende Ansicht beruft sich darauf, dass mit dem AsylbLG
ursprünglich eine umfassende leistungsrechtliche Regelung einschließlich
entsprechender Verfahrensvorschriften für den Personenkreis getroffen werden
sollte, der den Vorschriften des AsylVfG unterliegt (vgl. Deibel, a.a.O., ZAR 1998,
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sollte, der den Vorschriften des AsylVfG unterliegt (vgl. Deibel, a.a.O., ZAR 1998,
35 unter Berufung auf BT-Drucksache 13/2746, S. 18). Diese Begründung vermag
jedoch die Annahme einer Fortgeltung der asylverfahrensrechtlichen
Zuweisungsentscheidung und damit der Anwendbarkeit des § 10a Abs. 1 Satz 1
AsylbLG nicht mehr in allen Fällen zu tragen. Der Gesetzeszweck hat sich vielmehr
zwischenzeitlich dadurch erweitert, dass aufgrund des Ersten Gesetzes zur
Änderung des AsylbLG vom 26. Mai 1997 (BGBl. I S. 1130) u.a. auch Kriegs- und
Bürgerkriegsflüchtlinge sowie geduldete Ausländer im Sinne von §§ 32, 32a, 55
AuslG aus dem Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG)
ausgeschlossen und in den leistungsberechtigten Personenkreis nach dem
AsylbLG aufgenommen worden sind (vgl. § 1 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 AsylbLG). Dies
rechtfertigt es, die Geltungsdauer einer asylverfahrensrechtlichen
Zuweisungsentscheidung jedenfalls in den Fällen, in denen der Ausländer sich
nach Beendigung des Asylverfahrens rechtmäßig weiter hier aufhalten darf, auf die
Dauer des Asylverfahrens zu beschränken; denn der Aufenthalt des nachträglich in
den sachlichen Geltungsbereich des AsylbLG einbezogenen Personenkreises wird
ohnehin nicht durch eine Zuweisungsentscheidung geregelt.
Vor diesem Hintergrund ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, bei Ausländern,
die eine Duldung nach § 55 AuslG nach negativem Abschluss ihres Asylverfahrens
erhalten, weiterhin nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zu verfahren. Die örtliche
Zuständigkeit des Leistungsträgers richtet sich in diesen Fällen vielmehr gemäß §
10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG nach dem (rechtmäßigen) tatsächlichen Aufenthalt des
Berechtigten.
Für diese Auslegung spricht auch der Gesetzeszusammenhang, worauf der
Antragsgegner zu Recht hingewiesen hat. Aus der kostenerstattungsrechtlichen
Vorschrift des § 10b Abs. 3 AsylbLG, nach welcher die Behörde des bisherigen
Aufenthaltsorts im Falle eines rechtmäßigen Umzugs des Leistungsberechtigten
gegenüber der nunmehr zuständigen Behörde für einen bestimmten Zeitraum
erstattungspflichtig ist, kann geschlossen werden, dass der Gesetzgeber von der
Möglichkeit eines Wechsels der örtlichen Zuständigkeit bei rechtmäßigem
Aufenthaltswechsel ausgeht, nicht hingegen von einer strikten Bindung an die
asylverfahrensrechtliche Zuweisungsentscheidung. Die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, diese Vorschrift sei nur in den Fällen des Austritts aus einer
Einrichtung im Sinne von § 10a Abs. 2 AsylbLG anwendbar, findet im
Gesetzeswortlaut keine Stütze.
Schließlich wird mit der Anwendung des § 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG auch den
Bedürfnissen der Verwaltungspraxis Rechnung getragen. Unter diesen Umständen
bleibt der Antragstellerin nichts anderes übrig, als beim örtlich zuständigen
Leistungsträger, dem Landkreis G, erneut die Gewährung von Leistungen nach
dem AsylbLG zu beantragen. Die von der Antragstellerin angeregte Beiladung des
zuständigen Leistungsträgers kam nicht in Betracht, da die Voraussetzungen einer
einfachen oder notwendigen Beiladung nach § 65 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) nicht gegeben sind. Die Entscheidung des Senats bindet unmittelbar nur
die Parteien des vorliegenden Verfahrens.
Als unterliegende Partei hat die Antragstellerin gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die
Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Diese bestehen lediglich aus den
außergerichtlichen Kosten der Beteiligten, da Gerichtskosten gemäß § 188 Satz 2
VwGO nicht erhoben werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.