Urteil des HessVGH vom 22.02.1988

VGH Kassel: amnesty international, indien, politische verfolgung, polizei, regierung, anerkennung, spiegel, verhaftung, bevölkerung, bundesamt

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UE 3565/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Gründe
I.
Der am ...1958 geborene Kläger ist indischer Staatsangehöriger und nach seinen
Angaben vor der Ausländerbehörde der Beklagten zu 2) am 11.11.1980 Hindu. Er
verließ sein Heimatland am 28.09.1980 auf dem Luftweg und gelangte zunächst
nach Wien, von wo er nach 9 Tagen in die Bundesrepublik Deutschland einreiste.
Unter dem 14.10.1980 stellte er durch seine damaligen Bevollmächtigten einen
Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter, den er wie folgt begründete: Er sei
Angehöriger der "Nexlide-Partei", einer den Kommunisten nahestehenden Partei.
Er habe von seiner Partei den Auftrag erhalten, mit zwei anderen Parteimitgliedern
von einem sehr wohlhabenden Mann namens D. einen Geldbetrag für arme Leute
zu beschaffen. Bei dieser Aktion sei es zu Gewalttätigkeiten gekommen, bei denen
Herr D. ums Leben gekommen sei. Seit diesem Vorfall habe ihn die Polizei
gesucht. Während seine beiden anderen beteiligten Parteimitglieder inzwischen
von der Polizei verhaftet worden seien, sei es ihm gelungen zu entkommen. Er
habe sich seitdem in Neu Delhi im Untergrund aufgehalten und sei am 28.09.1980
außer Landes gegangen. Einer Ladung zur persönlichen Anhörung vor dem
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 29. Juni 1981 kam
der Antragsteller ohne Angabe von Gründen nicht nach. Mit Bescheid vom 5.
August 1981 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigten ab. Dieser Bescheid
wurde zusammen mit einer Abschiebungsandrohung der Beklagten zu 2) den
damaligen Bevollmächtigten des Klägers am 11.09.1981 zugestellt.
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17.09.1981, der am nächsten Tag
bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden eingegangen ist, Klage erhoben. Er hat
diese mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 13.06.1986, der zunächst nicht
zu den Gerichtsakten gelangt und auf entsprechende Nachfrage des
Berichterstatters im Berufungsverfahren durch seinen Bevollmächtigten am
24.11.1987 in Durchschrift zu den Gerichtsakten gereicht worden ist, wie folgt
begründet: Seit seiner Ausreise aus Indien habe sich die Lage dort völlig verändert.
Er stütze sein Asylbegehren "nunmehr" auf die Tatsache, daß alle Inder mit dem
Namen Singh Sikhs seien und daß er und seine Familie als Sikhs in Indien sowohl
durch die indischen Behörden als auch durch die Hindubevölkerung schweren
Verfolgungen ausgesetzt seien, daß sogar ihr Leben gefährdet sei. Sein Heimatort
liege etwa 40 km von Amritsar entfernt. Bei der Erstürmung des Goldenen
Tempels in Amritsar seien hunderte von Sikhs getötet worden. Die Lage der Sikhs
habe sich seit dieser Zeit weiter verschlechtert, insbesondere nachdem Indira
Gandhi von ihrer aus Sikhs bestehenden Leibwache getötet worden sei. Die
Ausschreitungen und Übergriffe der Behörden gegen Sikhs dauerten an. Seine in
Indien verbliebenen Eltern und Geschwister seien Anhänger der Bewegung für
einen freien und selbständigen, von Indien unabhängigen Punjab und würden
deshalb von den Behörden verfolgt. Sein Bruder L. S. sei im Oktober 1985 und sein
Bruder B. S. im Februar 1986 verhaftet worden. Auch er, der Kläger, sei von der
Polizei wiederholt gesucht worden und in Gefahr gewesen verhaftet zu werden. Der
von ihm genannte Zeuge R. S., der nach Abschluß seines Asylverfahrens nach
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von ihm genannte Zeuge R. S., der nach Abschluß seines Asylverfahrens nach
Indien zurückgekehrt und seit kurzem wieder in der Bundesrepublik Deutschland
sei, könne über die Verfolgungssituation der Sikhs berichten und seine, des
Klägers, Angaben über seine Asylgründe bestätigen. Diesem Zeugen sei auch
bekannt, daß ein indischer Asylbewerber namens B. S. nach seiner Rückkehr im
August 1985 erschossen worden sei. Ebenso könne er bestätigen, daß sein, des
Klägers, Freund J. S. vor einigen Monaten ebenfalls erschossen worden sei.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden am 25.
Juni 1986 hat der Kläger bei einer informatorischen Anhörung erklärt: Er habe
Indien verlassen, weil er Mitglied der Naxaliten gewesen sei. Diese Partei sei
gegründet worden, um Armen zu helfen und die Reichen zu schwächen. Er sei seit
1977 Parteimitglied gewesen. Während seiner dreijährigen Mitgliedschaft vor seiner
Ausreise sei er in Städte und Dörfer gegangen und habe Mitglieder geworben. Auf
Versammlungen habe er inhaltlich vorbereitete Reden, die nicht von ihm
stammten, gehalten. Anlaß für seine Ausreise sei die Schießerei in Kala Singya bei
einer Versammlung gewesen. An dieser Versammlung in einem Sikh-Tempel
hätten 200 Zuhörer teilgenommen, plötzlich habe man Schüsse gehört und die
Polizei sei erschienen. An der Versammlung habe auch Herr G. S., der Organisator
der Versammlungen in seinem Gebiet, teilgenommen. Dieser habe die Pistole
gezogen und zwei Polizisten niedergeschossen. Er selbst habe die beiden toten
Polizisten gesehen und später erfahren, daß drei Mitglieder bei der Schießerei
getötet worden seien. Herr G. S. habe ihm seine Pistole gegeben, er habe auch
geschossen, aber "leider" sei niemand tot gewesen. Er habe natürlich einen
Polizisten erschießen wollen, weil die Polizei, die von reichen Leuten geschickt
worden sei, sie immer vertrieben habe. Nachdem ihm der Inhalt der Antragsschrift
seines Bevollmächtigten vom 14.10.1980 übersetzt und vorgehalten worden war,
hat der Kläger erklärt: Bezüglich der zwei Leute könne er nur sagen, daß sie im
Gefängnis gewesen und dann auch geflohen seien. Er habe seinem Anwalt erzählt,
was er auch heute gesagt habe. Bei dem Anwalt habe ein Freund aus Bangladesh
in die englische Sprache übersetzt, aber der Anwalt habe auch wenig Englisch
verstanden. Was sein damaliger Bevollmächtigter dann geschrieben habe, wisse
er, der Kläger, nicht. Er könne gegenwärtig nicht nach Indien zurückkehren, weil
seit drei Jahren Unruhe im Punjab sei. Die Leute seien gegen die Sikhs. Davor habe
auch er Angst. Zwei seiner Freunde seien zurückgegangen, einer davon sei jetzt
tot. Die Polizei suche ihn noch.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 05.08.1981 und den Bescheid der Beklagten zu 2) vom 08.09.1981
aufzuheben und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu
verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat durch Urteil vom 25. Juni 1986 "die Klage"
abgewiesen und die Berufung gegen das Urteil nicht zugelassen. Auf die
Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung hat der
erkennende Senat mit Beschluß vom 24. November 1987 - 10 TE 2552/86 - die
Berufung gegen das Urteil vom 25. Juni 1986 hinsichtlich des asylrechtlichen
Verfahrensteils zugelassen.
Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung vor: Er sei Sikh. Die Angehörigen
dieser Religionsgemeinschaft würden wegen ihrer Religion und wegen ihrer
politischen Überzeugung sowohl von der einheimischen Bevölkerung als auch von
den Behörden schweren Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt, die sogar in
vielen Fällen zum Tod der betroffenen Sikhs geführt hätten. Er habe bereits
vorgetragen, er müsse als Sikh und Kämpfer für ein unabhängiges, freies Khalistan
in seiner Heimat mit Verhaftung, Verurteilung und eventuell sogar mit
lebensbedrohenden Maßnahmen rechnen. Aus diesem Grund habe er seine
Heimat Indien verlassen. Ihm könne nicht zugemutet werden, gegenwärtig unter
den in Indien herrschenden Zuständen dorthin zurückzukehren. Seine beiden
Brüder seien Ende des Jahres 1985 bzw. Anfang des Jahres 1986 von der Polizei
verhaftet worden. Auch nach ihm werde von der Polizei gefahndet, auch er habe
verhaftet werden sollen. Die Zeitschrift "DER SPIEGEL" schildere in ihrer Ausgabe
vom 22.06.1987, was eine Verhaftung für einen Sikh bedeute. Mit jeder Stunde,
die ein junger Sikh vermißt werde, sänken die Aussichten, ihn lebend wieder zu
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die ein junger Sikh vermißt werde, sänken die Aussichten, ihn lebend wieder zu
sehen. Meist verlören sich seine Spuren in einem Polizeirevier. Nach zwei oder drei
Wochen lägen die Leichen in den Korn- oder Reisfeldern an der nahegelegenen
Grenze zu Pakistan. Die Bedeutung des Umstandes, daß er, der Kläger, von der
Polizei gesucht werde, liege daher auf der Hand. Ihm könne deshalb nicht
zugemutet werden, nach Indien zurückzukehren, weil für ihn die Bedrohung direkt
und persönlich sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Bescheid des Bundesamts für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 05.08.1981 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen.
Die Beklagte zu 1), zugleich alleinige Berufungsbeklagte hat im
Berufungsverfahren keine Stellungnahme abgegeben.
Der Berichterstatter hat mit Verfügung vom 21.12.1987 die Beteiligten darauf
hingewiesen, daß der Senat voraussichtlich folgende Dokumente bei seiner
Entscheidung berücksichtigen und zumindest zum Teil verwerten wird:
I N D I E N Naxaliten
1. 1975 Indo-Asia, Heft 4: "Wen traf das Verbot?" 2. 1975 Indo-Asia, Heft 4: "Was in
Indien geschah" 3. Sept. 1978 Auswärtiges Amt: Anlage zum Schreiben des
Auswärtigen Amtes an das VG Ansbach vom 23.10.1978 4. 16.12.1978 amnesty
international an Bundesamt 5. 15.04.1980 Auswärtiges Amt an VG Schleswig 6.
18.04.1980 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen 7. 02.06.1980 Auswärtiges Amt
an VG Düsseldorf 8. 29.06.1980 Auswärtiges Amt an VG Neustadt 9. 01.07.1980
Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen 10. 28.07.1980 Auswärtiges Amt an VG
Gelsenkirchen 11. 21.08.1980 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen 12.
19.01.1981 Max-Planck-Institut Freiburg an VG Ansbach 13. 04.02.1981
Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen 14. 08.04.1981 Auswärtiges Amt an VG
Gelsenkirchen 15. 28.04.1981 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen 16.
01.06.1981 Auswärtiges Amt an VG Hamburg 17. 11.06.1981 Auswärtiges Amt an
VG Bremen 18. 14.06.1981 Gutachten: Frau Dr. Marlies Näth Saarbrücken für das
VG Saarlouis 19. 09.07.1981 Deutsch-Indische Gesellschaft e.V. Stuttgart an VG
Karlsruhe 20. 04.08.1981 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe 21. 20.08.1981
Südasien-Institut Heidelberg an VG Saarlouis 22. 12.09.1981 Dr. Sarma Marla an
VG Stuttgart 23. Mai 1983 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen 24. 20.08.1987
FAZ: "Terroranschläge in Indien - Reisesperre für Minister"
I N D I E N Khalistan-Bewegung / Akali Dal
1. 19.09.1980 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart 2. 20.01.1981 Auswärtiges Amt an
VG Neustadt 3. 04.06.1981 Südasien-Institut an VG Stuttgart 4. 03.09.1981
Protokoll des VG Stuttgart (Dr. Jagjit Singh als Zeuge) 5. 24.11.1981 Auswärtiges
Amt an BMdJ 6. 11.05.1982 Auswärtiges Amt an BMdJ 7. 04.06.1982 Südasien-
Institut an VG Stuttgart 8. 29.06.1982 Protokoll des VG Wiesbaden (Dr. Jagjit Singh
als Zeuge) 9. 20.09.1982 Auswärtiges Amt an VG Hamburg 10. 30.10.1982 Dr.
Sarma Marla an VG Ansbach 11. 09.06.1983 Dr. Venzky an VG Ansbach 12.
21.06.1983 Auswärtiges Amt an VG Hamburg 13. 15.11.1983 FAZ: "Den von den
Menschen verfälschten wahren Glauben suchend" 14. 24.01.1984 Auswärtiges Amt
an BMdJ 15. 16.04.1984 Der Spiegel: "Mutter Erde lechzt nach Blut" 16. 06.06.1984
Südasien-Institut an Bayer. VGH mit Ergänzungsgutachten vom 08.08.1984 17.
23.07.1984 Auswärtiges Amt an Bundesamt 18. 13.08.1984 Auswärtiges Amt an
VG Wiesbaden 19. 20.08.1984 Auswärtiges Amt an VG Köln 20. 29.08.1984
Auswärtiges Amt an Hess. VGH 21. 11.10.1984 Auswärtiges Amt an Bundesamt
22. 08.11.1984 Auswärtiges Amt an Bundesamt 23. 23.01.1985 Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland New Delhi an Auswärtiges Amt 24. 12.03.1985
Auswärtiges Amt an OVG Münster 25. 04.04.1985 Südasien-Institut an Hess. VGH
26. 12.04.1985 SZ: "Regierung Gandhi kommt den Sikhs entgegen" 27.
61.07.1985 Der Spiegel: "SIKHS - Separate Rasse" 28. 26.07.1985 FAZ: "Viel Beifall
für Rajiv Gandhi" 29. 12.08.1985 Auswärtiges Amt an Hess. VGH 30. 29.08.1985
FR: "Ein neuer Name steht auf der Mordliste" 31. 07.01.1986 FAZ: "Terror
extremistischer Sikhs gefährdet das Befriedungsabkommen für den Punjab" 32.
13.01.1986 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden 33. 21.01.1986 ALL INDIA RADIO
AFP vom 20.01.1986 nach Monitor-Dienst: "Schießereien im Goldenen Tempel ..."
34. 17.02.1986 Südasien-Institut an Hess. VGH 35. 06.03.1986 Sachverständige
Dr. Gräfin Bernstorff vor dem Hess. VGH 36. 25.06.1986 FR: "Im Punjab steht Rajiv
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Dr. Gräfin Bernstorff vor dem Hess. VGH 36. 25.06.1986 FR: "Im Punjab steht Rajiv
Gandhi vor der ersten großen Schlappe" 37. 01.07.1986 Auswärtiges Amt an VG
Minden 38. 02.07.1986 FAZ: "Abhauen oder Tod droht das Kommando Khalistan"
39. 14.07.1986 FR: "Shivas Armee marschiert" 40. 17.07.1986 Dr. Venzky vor dem
VG Köln (Anl. z. Protokoll) 41. 18.07.1986 amnesty international an OVG Münster
42. 04.08.1986 Institut f. Auslandsbeziehungen an VG Wiesbaden 43. 13.08.1986
Auswärtiges Amt an OVG Rheinland-Pfalz 44. 27.08.1986 Auswärtiges Amt an VG
Koblenz 45. 15.03.1987 Auswärtiges Amt : Lagebericht Indien 46. 17.03.1987
Auswärtiges Amt an VG Stuttgart 47. 12.05.1987 The Guardian: "Gandhi pressed
to impose direct rule an Punjab" 48. 13.05.1987 FAZ: "Der Punjab jetzt Neu-Delhi
unterstellt" 49. 13.05.1987 SZ: "Delhi schickt Truppen in den Punjab" 50.
13.03.1987 ALL INDIA RADIO HS vom 12.05.1987 nach Monitor-Dienst: "Punjab
erneut der indischen Zentralregierung unterstellt" 51. 13.05.1987 The Guardian:
"Punjab calls in troops as final assault is prepared" 52. 14.05.1987 NZZ:
"Politischer Scherbenhaufen im Pandschab" 53. 14.05.1987 ALL INDIA RADIO HS
vom 13.05.1987 nach Monitor-Dienst: "Verhaftungen u. verstärkte
Sicherheitsmaßnahmen im Punjab" 54. 14.05.1987 SZ: "Massenverhaftungen bei
Razzien im Punjab" 55. 14.05.1987 FR: "Verhaftungswelle in Punjab" 56. 15.05.1987
NZZ: "Verhaftung von Sikhs im Pandschab" 57. 15.05.1987 India Weekly: "Akalis
reject need for President's rule in Punjab" ... 58. 18.05.1987 ALL INDIA RADIO HS
vom 15.05.1987 nach Monitor-Dienst: "Weitere Verhaftungen im Punjab" 59.
19.06.1987 FAZ: "Indische Oppositionsparteien in Haryana in Führung" 60.
20.06.1987 FR: "Gandhis Kongreßpartei vernichtend geschlagen" 61. 22.06.1987
Der Spiegel: "Haben Sie die vielen Geier kreisen sehen?" 62. 26.06.1987 FAZ:
"Indiens Polizei wieder im Tempelbezirk" 63. 30.06.1987 Auswärtiges Amt:
Lagebericht Indien 64. 09.07.1987 FR: "Gewaltakte nach Massenmord" 65.
09.07.1987 FAZ: "Generalstreik in Nordindien" 66. 11.07.1987 FAZ: "Sikh-
Extremisten ermorden ehemaligen Minister des Punjab" 67. 25.07.1987 FAZ.
"Korruptionsfälle und der heiße Sommer wecken Sehnsucht nach dem Sturm" 68.
28.07.1987 Auswärtiges Amt an Hess. VGH 69. 28.07.1987 Auswärtiges Amt an
Bundesamt 70. 01.08.1987 FAZ: "Zusammenstöße zwischen Polizei und
Demonstranten in Indien" 71. 02.08.1987 NDR-Sendemanuskript (WELTSPIEGEL):
"Terror in Punjab - Rajiv Gandhis Umgang mit der Macht" 72. 04.08.1987 NZZ:
"Neue Bluttat extremistischer Sikhs..." 73. 08.08.1987 FR: "Wieder Blutbad in
Punjab" 74. 09.08.1987 NZZ: "Zahlreiche Tote bei einem Massaker ..." 75.
10.08.1987 SZ: "Sikh-Bürgermeister ermordet" 76. 10.-24. Aug. 1987 Der Spiegel
(Nrn. 33-35): "Unsere Völker 1987 sind verrückt geworden" 77. 25.08.1987 SZ: "Ein
Land - regiert nur noch vom Haß" 78. 25.08.1987 The Guardian: "Congress- I
killing" 79. 09.09.1987 FR: "Gandhi greift in Partei durch" 80. 10.09.1987 FAZ:
"Sikh-Priester fordern 'Befreiung aus der Sklaverei' " 81. 11.09.1987 The Guardian:
"Rebel leader shot" 82. 17.09.1987 FAZ: "Der tägliche Totentanz im Punjab" 83.
19.10.1987 amnesty international an Hess. VGH 84. 20.10.1987 Auswärtiges Amt
an Hess. VGH 85. 22.10.1987 Sitzungsniederschrift Hess. VGH
Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
auf die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sowie der zuständigen Ausländerbehörde
(je 1 Heft) Bezug genommen.
II.
Über die nur hinsichtlich des asylrechtlichen Verfahrensteils anhängige Berufung
kann nach Anhörung der Beteiligten gemäß Art. 2 § 5 EntlG durch Beschluß
entschieden werden, da weder eine mündliche Verhandlung anberaumt noch eine
Beweisaufnahme angeordnet worden ist, eine mündliche Verhandlung nicht
erforderlich erscheint und diese Entscheidung einstimmig ergeht.
Die zugelassene Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die
Klage gegen den den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter
ablehnenden Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 5. August 1981 im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Das gilt auch bei
Berücksichtigung des vom Verwaltungsgericht nicht nachvollziehbar gewürdigten
Vortrags des Klägers bei seiner gerichtlichen Anhörung am 25. Juni 1986, daß er
im Falle der Rückkehr nach Indien auch als Mitglied der Glaubensgemeinschaft der
Sikhs und wegen seines Eintretens für einen von Indien unabhängigen Sikh-Staat
Verfolgung durch den indischen Staat befürchte.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt,
wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
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wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfGE 54, 341 <357> = EZAR
200 Nr. 1; BVerwG, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Eine Verfolgung ist
politisch im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn sie auf die Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die
politische Überzeugung des Betroffenen zielt; insoweit kommt es entscheidend auf
die Motive für die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen an (BVerwGE 67, 184 =
NVwZ 1983, 674; BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5). Soweit Leib, Leben oder
persönliche Freiheit nicht unmittelbar gefährdet sind, sondern lediglich andere
Freiheitsrechte wie etwa die auf freie Religionsausübung und ungehinderte
berufliche und wirtschaftliche Betätigung, sind nur solche Beeinträchtigungen
asylrechtsbegründend, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde
verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats
aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG,
a.a.O.). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem
Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische
Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so daß es ihm nicht
zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren; die
hierbei erforderliche Zukunftsprognose muß auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der
letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren
Zeitraum ausgerichtet sein (BVerwG, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096). Einem
Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann bei einer Änderung
der politischen Verhältnisse im Verfolgerstaat eine Rückkehr dorthin nur
zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfGE 54, 341 <360>
= EZAR 200 Nr. 1; vgl. auch BVerwG, EZAR 200 Nr. 7 = Buchholz 402. 24 § 28
AuslG Nr. 37). Der Asylbewerber ist aufgrund seiner Mitwirkungspflicht gehalten,
die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen
Erlebnisse, so zu schildern, daß sie geeignet sind, den Asylanspruch lückenlos zu
tragen (BVerwG, EZAR 630 Nr. 1; BVerwG, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44;
BVerwG, EZAR 630 Nr. 13). Anders als bei der Schilderung der persönlichen
Erlebnisse genügt es bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im
Herkunftsland, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende
Möglichkeit ergeben, daß ihm bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht
(BVerwG, EZAR 630 Nr. 1).
Zwar hat der Kläger in dem erst im Berufungsverfahren auf gerichtliche Anordnung
nachgereichten Schriftsatz vom 13.06.1986 erklärt, er stütze sein Asylbegehren
"nunmehr" auf seine Eigenschaft als Sikh, womit er möglicherweise seine früheren
Antragsgrund, als Mitglied der "Naxaliten-Partei" verfolgt worden zu sein,
fallengelassen hat. Geht man aber zugunsten des Klägers davon aus, daß er seine
früheren Antragsgrund weiterhin aufrecht erhält, so ist sein Antrag zu Recht
abgelehnt worden, weil sein Vortrag hierzu nicht glaubhaft und auch im
wesentlichen asylrechtlich unerheblich ist. Asylrechtlich unerheblich ist der in der in
diesem Zusammenhang wiederholt geänderte Vortrag des Klägers, in seinem
Heimatland von der Polizei gesucht worden zu sein, weil er an Tötungsdelikten
beteiligt gewesen sei. Polizeiliche Maßnahmen zur Ergreifung eines Menschen, der
an der Tötung eines Anderen bzw. an dem Versuch dazu teilgenommen hat,
stellen keine asylrechtlich erhebliche Verfolgung dar, weil eine solche staatliche
Maßnahme nicht auf seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, Religion
oder Nationalität und ähnlichem im obigen Sinne abstellt, sondern eine Straftat
verfolgt wird, wie das bei gleicher Sachlage in jedem Staat geschehen würde.
Darüber hinaus widerspricht sich der Vortrag des Klägers zum Anlaß seiner
Ausreise aus Indien wegen seiner Zugehörigkeit zur Naxaliten-Partei in
wesentlichen Punkten. Während er in seinem Antragsschreiben vom 14.10.1980
erklärt, er sei geflohen, weil die Polizei ihn gesucht habe, nachdem ein Inder
namens D. von ihm und zwei anderen getötet worden sei, hat er in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden am 25.06.1986 vorgetragen,
er sei geflohen, weil er seine Verhaftung befürchtet habe, nachdem er in einer
Versammlung mit Tötungsabsicht auf Polizisten geschossen habe. Der Kläger
kann diesen Widerspruch nicht allein mit Verständigungsschwierigkeiten zwischen
ihm und seinen damaligen Bevollmächtigten erklären. Denn zumindest hat er
seinen damaligen Bevollmächtigten zur Antragsbegründung vom 14.10.1980 zu
erkennen gegeben, daß er wegen der Beteiligung an der Tötung des Herrn D. von
der Polizei gesucht werde, während er in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht Wiesbaden am 25. Juni 1986 erklärt hat, er sei geflohen, weil er
wegen Schießens mit einer Pistole auf Polizisten verhaftet werden sollte.
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Der Kläger kann sein Asylbegehren auch nicht mit Erfolg auf seine bloße
Mitgliedschaft in der Naxaliten-Bewegung stützen. Er hat - abgesehen von seinen
oben bereits bewerteten Beteiligungen an Tötungsdelikten bzw. dem Versuch
hierzu - keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß er wegen dieser bloßen
Mitgliedschaft in Indien unmittelbar oder mittelbar staatlichen
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen ist. Darüber hinaus ergibt sich aus
den beigezogenen Unterlagen (vgl. Indien, Naxaliten, Nr. 16), daß in Indien nur
solche Angehörige der Naxaliten-Bewegung mit staatlichen
Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssen, die im Verdacht stehen, sich an nach
allgemeinem Strafrecht strafbaren Handlungen beteiligt zu haben, was aus den
oben angeführten Gründen asylrechtlich unerheblich ist.
Dem Kläger drohen im Falle der Rückkehr in sein Heimatland Indien auch nicht
wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sikhs
Verfolgungsmaßnahmen. Geht man zugunsten des Klägers davon aus, daß er der
Glaubensgemeinschaft der Sikhs angehört, wofür sein Name "Singh" spricht,
obwohl er bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland angegeben hat, er
sei Hindu, so gilt folgendes:
In seinen Urteilen vom 22. Oktober 1987 - 10 UE 3116/86 und 10 UE 3134/86 - hat
der Senat, gestützt auf die auch in das vorliegende Verfahren eingeführten
Erkenntnisquellen, die Auffassung vertreten, Sikhs aus dem Punjab gehörten
keiner dort und generell in Indien aus politischen Gründen kollektiv verfolgten
religiösen Minderheit an. Die Urteile enthalten zu dieser Frage im wesentlichen
folgende Ausführungen:
1.
Maßgeblich für diese Einschätzung ist die politische Situation in der Heimat des
Klägers bei seiner Ausreise sowie im jetzigen Zeitpunkt. Die für die Beurteilung
insoweit bedeutsame politische Entwicklung in Indien und insbesondere im Punjab
stellt sich nach den vorliegenden Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der
historischen Entwicklung wie folgt dar, wobei der Senat sich für die Zeit bis Anfang
1986 auf die Feststellungen in seinem Urteil vom 6. März 1986 - X OE 1119/81 -
stützt, die er sich erneut zu eigen macht:
Im 15. Jahrhundert schuf der Hindu Nanak die Keimzelle der
Glaubensgemeinschaft der Sikhs (FAZ zu 13), die dann seit 1699 vom zehnten
Sikh-Guru Gobind als militante, theoretisch kastenlose Brüderschaft reorganisiert
wurde. In neuerer Zeit kam die Forderung nach einem Sikh-Homeland (Khalistan),
seit 1940 im Zusammenhang mit Plänen zur Teilung Indiens auf (siehe hierzu und
zum folgenden Südasien-Institut zu 7, Der Spiegel zu 76). Sie hatte bei den
Teilungsverhandlungen keine wirkliche Chance, da die Sikhs im damals ungeteilten
Punjab eine Minderheit von etwa 1/7 darstellten. Erst aufgrund der Massenflucht
von Sikhs aus Pakistan bei der Teilung Indiens erlangten die Sikhs in Teilen des
indischen Ost-Punjab die Mehrheit. Innerhalb der indischen Union als entschieden
säkularistischem Staat war die Forderung nach einem religiös geprägten
autonomen Sikh-Teilstaat tabu. An ihre Stelle trat die Agitation der Sikh-Partei
Akali Dal für eine auf das Punjab-Sprachgebiet beschränkte Provinz. 1966 wurde
zwar diese Forderung wenigstens im Prinzip durch Ausgliederung des neuen
Gliedstaates Haryana erfüllt, auch wurde Gurmukhi als Amtssprache eingeführt.
Politischer Streit entzündete sich jedoch an der Entscheidung, Chandigarh als
gemeinsame Hauptstadt von Punjab und Haryana formell im Status eines zentral
verwalteten Unionsstaates zu belassen. Die Unzufriedenheit eines Teils der Sikhs
wurde weiter durch die folgenden Faktoren geschürt (Auswärtiges Amt zu 5), die
zugleich Tendenzen zur Besinnung auf die eigenen kulturellen und religiösen Werte
förderten: Nach der Reduzierung der Sikh-Mehrheit im Punjab von 56 % auf 52 %
der Bevölkerung durch Abwanderungen zeichnete sich der Verlust der politischen
Dominanz der Sikhs im Punjab ab. Die von der Zentralregierung betriebene
Reduzierung des überproportionalen Anteils von Sikhs im Militär von früher 33 %
auf jetzt 12 % wird als Angriff auf eine durch Leistung erworbene Position
empfunden. Auf wirtschaftlichem Gebiet fühlt sich der als Grenzregion exponierte
Punjab durch die Zentralregierung gegenüber anderen Unionsstaaten
benachteiligt. Man meint, der Punjab führe ohne Kompensation wesentlich mehr
ab, als Mittel zurückflössen. Viele Sikhs fühlen sich aus diesen und anderen
Gründen von der übermächtigen Hindu-Mehrheit unterdrückt.
Die politische Situation der einzelnen Sikh-Gruppen ist durch eine zunehmende
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Die politische Situation der einzelnen Sikh-Gruppen ist durch eine zunehmende
Zersplitterung gekennzeichnet. Die Idee eines Sikh-Staates wird mit
unterschiedlicher Intensität verfochten. Über den Grad der wünschenswerten
Autonomie bestehen mehr oder weniger weitreichende, häufig auch recht
unpräzise formulierte Vorstellungen, die von einem Sonderstatus innerhalb der
Indischen Union mit zahlreichen möglichen Modifikationen bis zur völligen
Unabhängigkeit reichen. Als Beispiel für eine "autonome-Region" mit einer eigenen
Gliedstaaten-Verfassung wird auf Kaschmir verwiesen (die Gliedstaaten-
Verfassung ist sonst einheitlich in der indischen Unions-Verfassung geregelt).
Teilweise wird die Anerkennung einer Sikh-Nation durch die UN bzw. ein
Assoziierten-Status bei der UN entsprechend der PLO gefordert (Südasien-Institut
zu 3, S. 5).
Während die Khalistan-Bewegung offenbar von der indischen Unionsregierung
anfangs lediglich als "Kuriosität ohne ernsthafte politische Basis" angesehen wurde
(Südasien-Institut zu 3, S. 11), spitzte sich die Situation im Punjab seit dem
Spätsommer des Jahres 1981 immer mehr zu (vgl. Auswärtiges Amt zu 5, 29; Der
Spiegel zu 15 ) . Es kam zu religiös bzw. politisch motivierten Morden an Hindus
und zu gewaltsamen Versuchen, verhaftete Verdächtige freizupressen (u.a. durch
eine Flugzeugentführung). Bombenanschläge (z. B. auf Kinos und öffentliche
Verkehrsmittel) führten zu zahlreichen Todesopfern. Radikale Sikhs blockierten den
Straßen- und Zugverkehr, entweihten Hindu-Tempel und verübten zahlreiche
Attentate auf Polizisten. Im September 1983/84 verschärfte sich die Situation,
nachdem ein Anschlag auf einen Sikh-Tempel in Rajasthan verübt worden war und
der militante Sikh-Führer Bhindranwale mit der Ermordung aller Hindus im Punjab
gedroht hatte (Auswärtiges Amt zu 29). Der Terror von Sikh-Extremisten und die
dadurch provozierten gewalttätigen Reaktionen von Hindus führten zu Hunderten
von Todesopfern unter Polizeibeamten, politischen Gegnern und völlig
unbeteiligten, aufs Geratewohl herausgegriffenen Angehörigen der jeweils anderen
Gruppe. Nachdem der Terror immer mehr eskalierte und es zugleich zu einer
Vielzahl von Gewalttaten kam, setzte die indische Regierung - beginnend mit der
Erstürmung des Goldenen Tempels in Amritsar am 5./6. Juni 1984 - das Militär
gegen die Sikh-Extremisten ein.
Nach dem Gutachten des Südasien-Instituts vom 4. April 1985 (zu 25, S. 3 f.)
scheint es beim Sturm auf den Tempel und bei den nachfolgenden
systematischen Durchsuchungsaktionen im ganzen Gebiet des Punjab zu
Übergriffen gekommen zu sein. Es lägen auch - allerdings umstrittene - Berichte
über Erschießungen nach der Festnahme im Zusammenhang mit
Kampfhandlungen um den Goldenen Tempel vor.
Nach amtlichen Angaben wurden bei der Eroberung des Tempelkomplexes 400
"Terroristen", die sich ergaben, in Haft genommen. In der Folgezeit stieg dann die
Zahl der verhafteten Sikhs - darunter auch führende Mitglieder des Akali Dal, die
später freigelassen wurden - auf mehrere tausend (Südasien-Institut zu 16, S. 21,
Auswärtiges Amt zu 17). Die Zahl gewalttätiger Aktionen von Sikhs ging
gleichzeitig erheblich zurück.
Am 31. Oktober 1984 wurde Indira Gandhi durch zwei ihrer Leibwache
angehörende Sikhs ermordet (vgl. zum folgenden Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland vom 23. Januar 1985 zu 23, Auswärtiges Amt zu 29). Nach dem Mord
kam es in mehreren Städten Indiens zu blutigen Ausschreitungen gegen Sikhs,
denen die indische Regierung nach drei Tagen wirksam entgegentrat. Von den
Übergriffen betroffen waren überwiegend ärmere Schichten der Sikhs. Die
Ausschreitungen konzentrierten sich auf Delhi und mit wesentlich geringerer
Intensität auf einige andere Städte. Im Punjab, in dem Armee-Einheiten stationiert
waren und sind, gab es keine Gewaltakte gegen Sikhs (Deutsche Botschaft zu 23).
1900 Verdächtige, die sich an Ausschreitungen gegen Sikhs beteiligt hatten,
wurden nach Pressemeldungen verhaftet.
Nach seinem Sieg bei den Parlamentswahlen vom Dezember 1984, der der
Congress-Partei eine Zweidrittelmehrheit im Zentralparlament in Neu-Delhi
einbrachte, erklärte der neue Premierminister Rajiv Gandhi, er wolle das Punjab-
Problem vordringlich lösen (vgl. zum folgenden das Gutachten des Südasien-
Instituts vom 17. Februar 1986, zu 34). Im Bundesstaat Punjab wurde im
Dezember 1984 nicht gewählt, da der Staat seit 1983 unter President's rule (d.h.
der direkten Verwaltung durch die Zentralregierung) stand. Nach eingehenden
Verhandlungen zwischen Beamten der Zentralregierung und dem Akali Dal wurde
am 25. Juli 1985 ein Abkommen geschlossen, das von Premierminister Gandhi und
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am 25. Juli 1985 ein Abkommen geschlossen, das von Premierminister Gandhi und
Sant Harthand Singh Longowal, dem Vorsitzenden der Akali Dal-Partei,
unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen wurde von allen im Zentralparlament
vertretenen Parteien, von der Presse und der politischen Öffentlichkeit stark
begrüßt und befürwortet. Tatsächlich kam es den Forderungen, die die Sikhs seit
Jahren stellten, sehr nahe und fand in kritischen Punkten der
Auseinandersetzungen flexible Formulierungen (vgl. Südasien-Institut zu 34). Das
elf Punkte umfassende Abkommen besagte u.a.: Abfindung der Hinterbliebenen
der Unschuldigen, die bei Unruhen nach dem 1. August 1982 getötet wurden (1.1);
Rehabilitierung derer, die aus der Armee (nach den Ereignissen von 1984 wegen
Meuterei) entlassen wurden. Die Bekanntmachungen, wonach das Gesetz über die
Sondervollmachten der Streitkräfte (Armed Fortes Special Powers Act) auf den
Punjab angewendet wird, wurden zurückgezogen. Die bestehenden Sondergerichte
(Special Courts) sollten sich nur noch mit kriegerischen Handlungen und
Flugzeugentführungen befassen. Alle anderen Fälle sollten an die ordentlichen
Gerichte weitergeleitet werden (6.1, 6.2). Die Regelung der territorialen Ansprüche
und Konflikte mit dem Nachbarstaat Haryana sollte durch eine Kommission gelöst
werden, die Hauptstadt Chandigarh sollte - und zwar vom 26. Januar 1986 (dem
Nationalfeiertag) an - einzig Punjab gehören. Der Bau des SYL-
Bewässerungskanals sollte bis zum 15. August 1986 fertiggestellt werden (7.9).
Politisch wesentlich war der Punkt 8, der sich auf die Beziehungen zwischen den
Bundesstaaten und der Zentralregierung bezog. Die Sikhs hatten in der
sogenannten Anandpur Sahib Resolution von 1973, die zu einem der Kernstücke
der Auseinandersetzungen wurde, weitestgehende Autonomie des "Neuen Punjab"
gefordert. Die Zentralregierung sollte lediglich für Außenpolitik, Verteidigung,
Währung, Post und Telekommunikation sowie Eisenbahnen zuständig bleiben. Im
Absatz 8.1 der Vereinbarung vom 25. Juli 1985 wurde festgehalten, daß der Akali
Dal diese Resolution vollkommen im Einklang mit der indischen Verfassung sieht
und daß es das Anliegen sei, die "wahren föderativen Merkmale der Verfassung"
zutage treten zu lassen. Zweck der Resolution sei es, "dem Einzelstaat größere
Autonomie zu verleihen", in der Absicht, "die Einheit und Integrität des Landes zu
stärken ...". Die Zentralregierung hingegen stellte diesen Punkt der Anandpur
Sahib Resolution der bereits unter Indira Gandhi eingesetzten Sakaria-Kommission
zur Entscheidung anheim. Die Akalis bekannten sich also in diesem Punkt des
Abkommens eindeutig zur Indischen Union, ohne ihre Autonomieforderungen
ausdrücklich zu präzisieren. Die Einzelheiten wurden an die Sakaria-Kommission
verwiesen.
Die in dem Abkommen vom 25. Juli 1985 manifestierten Befriedungsbemühungen
der indischen Zentralregierung einerseits und des Akali Dal andererseits sieht der
Senat aufgrund der inzwischen eingetretenen weiteren politischen Entwicklung als
gescheitert an. Die extremistischen Sikhs - darunter Dr. Jagjit Singh Chauhan, der
in Großbritannien lebende Vorsitzende des International Council of Sikhs - lehnten
das Abkommen von Anfang an ab. Der Unterzeichner des Abkommens, Sant
Harchand Singh Longowal, wurde von extremistischen Sikhs am 20. August 1985
während einer öffentlichen Veranstaltung ermordet. Am 25. September 1985
fanden Wahlen im Punjab statt und ergaben eine Mehrheit für den Akali Dal im
Landesparlament von 73 der 115 Sitze. Die Congress Party konnte nur 32 Sitze
gewinnen. Die extremistische United Akali Dal-Partei und die All India Sikh Student
Federation (AISSF) hatten zum Boykott der Wahlen aufgerufen, die Wahlbeteiligung
betrug trotzdem etwas über 60 %, ein für Indien normaler Anteil. Am 29.
September 1985 bildete die Akali Dal-Partei die Regierung unter Surjit Singh
Barnala. Am 1. Januar 1986 teilte die Regierung von Punjab mit, daß während ihrer
ersten hundert Tage im Amt die Freilassung von 4.449 Personen angeordnet
worden sei, davon seien 3.487 auf freien Fuß gesetzt worden (Südasien-Institut zu
34; vgl. auch Auswärtiges Amt zu 20). Keiner dieser Freigelassenen sei seither in
Gewalttaten verwickelt worden. Trotz dieser großzügigen Haltung der Regierung
von Punjab kam es schon kurz nach ihrer Amtsübernahme zu neuen Ausbrüchen
von Gewalt. Züge wurden überfallen, Kongreßpolitiker ermordet und am 27.
November 1985 ein Anschlag auf den Obersten Priester des Goldenen Tempels in
Amritsar verübt. Im Januar 1986 besetzten Extremisten der AISSF und Schüler des
Damdami Taksal den Goldenen Tempel. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen
mit gemäßigten Sikhs (Südasien- Institut zu 34).
Die im Abkommen vom 25. Juli 1985 vorgesehene Klärung von territorialen Fragen
einschließlich des Bewässerungsproblems zwischen Punjab und dem Nachbarstaat
Haryana scheiterte nun endgültig. Der Grund hierfür ist wohl darin zu sehen, daß
die Regierung des Punjab sich zu der im Abkommen vereinbarten Abtretung
ländlicher Gebiete an Haryana als Gegenleistung für den Verzicht auf Chandigarh
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ländlicher Gebiete an Haryana als Gegenleistung für den Verzicht auf Chandigarh
nicht bereit finden wollte und deshalb ihre Mitwirkung an der Ernennung des
Unterhändlers verweigerte, der nach dem Abkommen die Landtauschaktion
überwachen sollte (vgl. hierzu Südasien-Institut zu 34, S. 6; Frankfurter Rundschau
vom 25. Juni 1986, zu 36). Das wiederholte Verschieben des Termins für die
Übergabe der gemeinsamen Hauptstadt Chandigarh seitens der indischen
Zentralregierung an den Punjab ging einher mit ständig anwachsenden, mit
unverhohlenen Drohungen gegen die im Punjab verbliebenen Hindus verbundenen
terroristischen Aktivitäten extremistischer Sikh-Organisationen, die zu einer
Fluchtbewegung Tausender von Hindus aus dem Punjab führten (Frankfurter
Rundschau zu 36 und vom 14. Juli 1986, zu 39; FAZ vom 2. Juli 1986, zu 38; Zeugin
Dr. Vensky vor dem Verwaltungsgericht Köln, Seiten 22 ff. des Protokolls vom 17.
Juli 1986, zu 40). Der Terror von Seiten extremistischer Sikhs erzeugte Reaktionen
auf Seiten der Hindus, deren militante Organisation "Shiv Sena" (Shivas Armee)
sich an blutigen Zusammenstößen mit Sikhs beteiligte, bei denen mehrere Sikh-
Tempel (Gurdwaras) in Flammen aufgingen und die durch die Polizei nur mit
Gewalt und durch Verhängung unbefristeter Ausgangssperren beigelegt werden
konnten (vgl. hierzu und zum folgenden Frankfurter Rundschau zu 39). Der
gewaltsam ausgetragene Konflikt zwischen extremistischen Sikh- und Hindu-
Organisationen blieb nicht auf den Punjab beschränkt, sondern schwappte auch in
andere Landesteile, selbst in die Hauptstadt Delhi über, wo mehrere
Demonstrationen gegen den Sikh-Terror im Punjab von der Polizei gewaltsam
aufgelöst wurden und 1500 "Soldaten Shivas" wegen Landfriedensbruchs
festgenommen wurden.
Sowohl die indischen Zentralregierung als auch die Barnala-Regierung im Punjab
waren trotz dieser bedrohlichen Entwicklung - jedenfalls bis Anfang 1987 - bemüht,
die Möglichkeit einer dauerhaften politischen Lösung auf der Basis des Gandhi-
Longowal-Abkommens vom 25. Juli 1985 offenzuhalten, und beschränkten sich bei
der Anwendung von Notstandsvorschriften und strafrechtlichen Bestimmungen auf
besonders krasse Fälle, etwa bei der Verhaftung des Führers der AISSF, Harinder
Singh Khalon, wegen Verdachts des Mordes und der Anstiftung zum Aufruhr am 5.
Juli 1986 (Auswärtiges Amt, Lagebericht Indien vom 15. März 1987, zu 45; Auskunft
vom 17. März 1987 zu 46).
Anfang Mai 1987 hatte sich die Sicherheitslage im Punjab so ungünstig entwickelt,
daß das Parlament in Delhi Premierminister Gandhi zur Wiedereinführung der
President's rule im Punjab drängte (vgl. hierzu und zum folgenden The Guardian
vom 12. Mai 1987, zu 47). Amarjit Kaur, Parlamentsabgeordneter der Congress
Party und selbst Sikh, äußerte im Parlament die Vermutung, die Regierung Barnala
spiele offen den militanten Sikhs in die Hände: "Die Sicherheitssituation im Punjab
ist schrecklich. Wir diskutieren die Situation. Mein Standpunkt ist der, daß die
Regierung Barnala es versäumt hat, den Terrorismus zu kontrollieren".
Am Abend des 11. Mai 1987 beschloß das Kabinett in Delhi, den Bundesstaat
Punjab direkt der Zentralregierung zu unterstellen. Noch am selben Abend wurden
Tausende von Bereitschaftspolizisten und Soldaten in den Punjab verlegt, um
gegen etwaige Unruhen vorzugehen. Regierungssprecher Ranohan Rao teilte nach
der Kabinettssitzung mit, President's rule sei verhängt worden, weil die Regierung.
des Punjab nicht in der Lage gewesen sei, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten.
Seit Jahresbeginn seien mehr als 300 Menschen bei Gewalttaten im Punjab ums
Leben gekommen, es herrsche allgemeine Gesetzlosigkeit, die mit Plünderungen,
Bankraub, Brandstiftung und Mord um sich greife und die Bürger des Bundeslands
in Angst versetze (FAZ zu 48; Süddeutsche Zeitung zu 49; Monitor-Dienst zu 50;
The Guardian zu 51; NZZ zu 52). Am 13. Mai 1987 setzte in ganz Indien,
vornehmlich aber im Punjab, eine Verhaftungswelle gegen führende Sikh-
Funktionäre ein, nachdem die Regierung des Punjab die Verhaftung von Aktivisten
der AISSF, der United Akali Dal und des Damdami Taksal (Religionsschule der Sikh-
Fundamentalisten) angeordnet hatte (ALL INDIA RADIO zu 53). Am 13. Mai 1987
und in den folgenden Tagen verhafteten die auf 70.000 Mann verstärkten
Sicherheitskräfte im Punjab mehr als 500 Sikhs, darunter ein noch von Barnala
entlassenes Mitglied der gerade abgesetzten Punjab-Regierung, Harbhajan Singh
Sandhu, und einen Abgeordneten der Akali Dal-Partei namens Johar Singh
(Süddeutsche Zeitung zu 54; Frankfurter Rundschau zu 55; NZZ zu 56; Monitor-
Dienst zu 58).
Nach Wiedereinführung der President's rule im Punjab wurde von offizieller
indischer Seite auch verbal eine härtere Gangart gegenüber den Sikh-Extremisten
eingeschlagen. Der Polizeichef des Punjab, der Christ Julio Francis Ribeiro, wird mit
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eingeschlagen. Der Polizeichef des Punjab, der Christ Julio Francis Ribeiro, wird mit
der Äußerung zitiert (Der Spiegel zu 61), es sei "Krieg, die Terroristen können
jederzeit zuschlagen", wobei sich schon verdächtig mache, wer jung sei, Bart und
Turban trage und womöglich noch eine Motorrad fahre. In den letzten Wochen
habe er, Ribeiro, 1300 jugendliche Sikhs einsperren lassen, von denen 200 wieder
entlassen worden seien (Der Spiegel zu 61). Die sachverständige Zeugin Strieder,
Verfasserin der zitierten Reportage im Spiegel vom 22. Juni 1987, hat bei ihrer
Vernehmung durch den Senat am 22. Oktober 1987 (zu 85) zwar einerseits
bekräftigt, Polizeichef Ribeiro habe bei ihrem Interview keinen Zweifel daran
gelassen, daß gegen als Terroristen verdächtigte Personen mit drastischen Mitteln
vorgegangen werde, wobei Ribeiro unverhohlen eingeräumt habe, daß es dabei zu
Übergriffen, ja zu gestellten Erschießungen auf der Flucht im Rahmen sogenannter
Scheingefechte (fake encounters) komme; es finde nämlich ein Kampf Auge um
Auge, Zahn um Zahn statt. Andererseits hat die Zeugin Strieder allerdings die in
ihrer Reportage enthaltene Formulierung, daß schon verdächtig sei, wer jung sei,
Bart und Turban trage und womöglich noch ein Motorrad fahre, ausdrücklich als
Wiedergabe eines persönlichen Eindrucks von den Verhältnissen im Punjab und
nicht als Äußerung des Polizeichefs selbst bezeichnet. Aufgrund dieser Aussage
steht zur Überzeugung des Senats fest, daß jugendliche Sikhs nicht wegen ihrer
Gruppenzugehörigkeit Ziel polizeilicher Aktionen sind, sondern deshalb, weil nach
den Erfahrungen der Polizei, die von der Zeugin Strieder unter Hinweis auf
Reaktionen ihrer Begleiter beim Herannahen jugendlicher Motorradfahrer im
Grunde bestätigt worden sind, militante Sikh-Extremisten ihre Mittäter und
Gehilfen in hohem Maße aus dem Kreis der jugendlichen Sikhs mit den in der
Reportage wiedergegebenen Merkmalen rekrutieren.
Mitte Juni 1987 erlitt die Congress Party Premierminister Gandhis bei den Wahlen
im Unionsstaat Haryana eine vernichtende Wahlniederlage, die als persönliche
Schlappe Rajiv Gandhis angesehen wurde (FAZ vom 19. Juni 1987, zu 59;
Frankfurter Rundschau vom 20. Juni 1987, zu 60). Im Vorfeld und nach dieser Wahl
wurde zwischen der - mit der Wiedereinführung der President's rule verbundenen -
Absetzung der Regierung Barnala und dem Wahlkampf der Congress Party im
Bundesstaat Haryana ein Zusammenhang insofern gesehen, als Premierminister
Rajiv Gandhi bei der Absetzung der Regierung Barnala die Absicht unterstellt
wurde, mit dieser Geste der "starken Hand" der Congress Party in Haryana einen
Wahlsieg zu sichern (WELTSPIEGEL vom 2. August 1987, zu 71, Seite 6 f.).
Wenige Tage nach den Wahlen in Haryana, am 25. Juni 1987, stürmten etwa 600
Polizisten den Goldenen Tempel in Amritsar, nahmen mindestens 100 Sikhs - nach
Meldungen des indischen Rundfunks sogar 200 - fest und führten eine etwa
zweistündige Razzia im Tempelkomplex durch; anschließend wurde die Umgebung
des Tempels bis auf weiteres zum Sperrgebiet erklärt (FAZ vom 26. Juni 1987, zu
62). Die Stadt Amritsar, in der sich nach wie vor führende Mitglieder der militanten
Sikh-Organisationen aufhalten, wurde von starken Polizeikräften und
paramilitärischen Einheiten besetzt (Der Spiegel zu 61; WELTSPIEGEL zu 71, Seite
5). Obwohl dieses Eindringen staatlicher Ordnungskräfte in die heiligste Stätte der
Sikhs offenbar nicht entfernt das Ausmaß des von Indira Gandhi angeordneten
Tempelsturms am 6. Juni 1984 erreichte, zog es erhebliche Reaktionen militanter
Sikh-Organisationen nach sich. Am 6. und 7. Juli veranstalteten Sikh-Terroristen im
Punjab und im Nachbarstaat Haryana zwei Massaker, bei denen mehr als 70
Hindus getötet und fast 150 verletzt wurden (FR und FAZ vom 9. Juli 1987, zu 64
und 66; WELTSPIEGEL vom 2. August 1987, zu 71). Militante Hindus reagierten auf
diese Gewaltaktionen mit Großdemonstrationen in Delhi und anderen indischen
Städten, wobei es vor allem in der im Grenzgebiet zum Punjab gelegenen Stadt
Sirsa zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, nachdem
demonstrierende Hindus versucht hatten, einen Heiligenschrein der Sikhs in Brand
zu stecken, und mehrere Sikhs verprügelt hatten (FR und FAZ vom 9. Juli 1987, zu
64 und 65). Auch in Delhi selbst kam es zu schweren Auseinandersetzungen
zwischen Polizei und demonstrierenden Hindus. Über Sirsa wurde eine unbefristete
Ausgangssperre verhängt, nachdem Hindus zehn Häuser von Sikhs, ein Hotel und
ein Kino in Brand gesteckt hatten; am Vortag hatten militante Sikhs dort 34
Hindus getötet (FAZ zu 65). Die oppositionelle Bharatiya Janata Party (BJP) rief aus
Protest gegen die von Sikhs begangenen Massaker zu einem Generalstreik auf,
der am 8. Juli 1987 das Leben in drei nordindischen Bundesstaaten weitgehend
lahmlegte, worauf in Haryana das Militär in Alarmbereitschaft versetzt wurde.
Trotz derartiger, spektakulärer Reaktionen von offizieller indischer Seite werden in
der indischen Öffentlichkeit, insbesondere in der Presse, in jüngerer Zeit Zweifel
geäußert, ob die Zentralregierung noch in der Lage ist, dem Sikh-Terrorismus im
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geäußert, ob die Zentralregierung noch in der Lage ist, dem Sikh-Terrorismus im
Punjab und in den Nachbarregionen Einhalt zu gebieten. Das Magazin "India
Today" nannte Versuche des Punjab-Polizeichefs Ribeiro, eigene Erfolge im Kampf
gegen den Terrorismus mit Zahlen zu belegen, eine "perverse Propagandaübung"
(Süddeutsche Zeitung vom 25. August 1987, zu 77). Ribeiro hatte die Steigerung
der Zahl der von Sikhs im Punjab getöteten Menschen auf 146 in den ersten vier
Wochen nach Wiedereinführung der President's Rule gegenüber 80 Getöteten im
Vormonat mit der Bemerkung kommentiert, er habe im selben Zeitraum "404
Terroristen getötet oder festgenommen" (vgl. hierzu und zum folgenden
Süddeutsche Zeitung, a.a.O.).
Nach wie vor steigt die Zahl der Terrorüberfälle im Punjab von Monat zu Monat.
Während im gesamten Jahr 1986 im Punjab von Terroristen insgesamt 640
Menschen umgebracht worden sind, waren es in den ersten Monaten dieses Jahres
bis 22./23. August 1987 schon 776. Zu den Opfern dieser Terrorwelle gehören
auch sechs Angehörige des Innenministers Buta Singh, eines Sikhs, die am 19.
August 1987 während einer Hochzeitsfeier von Sikhs zusammen mit anderen
Hochzeitsgästen erschossen wurden. Der Ankündigung von Premierminister Rajiv
Gandhi, der nach mehreren Überfällen von Sikhs auf mit Hindus besetzte Busse
geäußert hatte, man werde nicht rasten und ruhen, "bis diese Extremisten
ausgerottet sind oder sich ergeben haben", sind bislang Taten mit nachprüfbaren
Erfolgen offenbar nicht gefolgt, so daß nicht nur in der indischen
Medienöffentlichkeit, sondern auch in der Bevölkerung des Punjab die
Überzeugung an Raum gewinnt, die Region sei der Ordnungsmacht der indischen
Zentralregierung entglitten. Die Ursachen für mangelnde Fahndungserfolge und
unzureichende Präventivmaßnahmen der Regierungsstellen sind neben Mängeln
im Polizeiapparat selbst offenbar auch darin zu sehen, daß die Bevölkerung des
Punjab einschließlich der Hindus, eingeschüchtert durch den Terror der Sikh-
Organisationen, die polizeilichen Schutz- und Aufklärungsmaßnahmen in keiner
Weise unterstützt (vgl. auch hierzu Süddeutsche Zeitung, a.a.O.; FAZ vom 17.
September 1987, zu 82).
In jüngster Zeit mehren sich die Anzeichen dafür, daß extremistische Sikhs im
Punjab die wirkliche oder vermeintliche Schwäche des durch Korruptionsaffären in
seinem Parteiapparat und eine Serie von sieben schweren Wahlniederlagen (vgl.
FAZ vom 9. September 1987, zu 79) in Bedrängnis geratenen Premierministers
Rajiv Gandhi für ihre Zwecke nutzen wollen. Die Ermordung Radhej Shyam
Malhotras, des Leiters des Jugendflügels der Congress I Party im Punjab, durch
Sikh-Terroristen (The Guardian vom 25. August 1987, zu 78) dürfte ebenso als
Provokation des Premierministers persönlich zu verstehen sein wie der erstmals
offene Aufruf von vier höchsten Priestern der Sikh-Religion zur Bildung eines Sikh-
Staates Khalistan auf indischem Boden am 9. September 1987 (FAZ zu 80).
Bezeichnend ist die in Amritsar veröffentlichte Erklärung der Geistlichen,
insgesamt 16 militante Sikh-Organisationen hätten sich jetzt geeinigt und seien
entschlossen, "den entscheidenden Krieg für ihre Befreiung" zu führen (FAZ
a.a.O.). Daß damit ein wirklicher Sezessionskrieg mit militärisch organisierten
Verbänden gemeint sein könnte, ergibt sich daraus, daß sich schon seit 1986 zu
verschiedenen Terroranschlägen eine "Khalistan Liberation Force" bekannt hat (Dr.
Gräfin Bernstorff in ihrem Gutachten vom 7. April 1987 für VG Ansbach, Seite 3).
Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat der
Ansicht, daß der Aufruf der vier Priester zwar ein Symptom für eine zunehmende
Radikalisierung auch von Teilen des Sikh-Klerus ist, daß ihm aber für die weitere
Entwicklung im Punjab nur geringe Bedeutung zukommt. Dies folgt einmal daraus,
daß der Aufruf ohnehin nur von vier der fünf Mitglieder des sogenannten Panthic
Committee stammt. Das fünfte Mitglied dieses für die Interpretation und
Einhaltung der Lehre zuständigen theologischen Gremiums, Oberpriester
Professor Darschan Singh Ragi, ist schon vor der Erklärung der vier restlichen
Mitglieder aus dem Komitee ausgeschieden, weil er offenbar den Zug zur
Radikalisierung nicht mitmachen wollte (Sachverständige Dr. Gräfin Bernstorff und
sachverständige Zeugin Strieder bei ihrer Vernehmung durch den Senat, Seiten 5
und 7 des Protokolls vom 22. Oktober 1987). Die Erklärung der verbliebenen
Mitglieder des Komitees, die allesamt Absolventen der Damdami Taksal sind
(Auswärtiges Amt zu 69), hat im übrigen auch nach ihrer Veröffentlichung harte
Kritik aus der religiösen Führung der Sikhs gefunden. Das Shiromani Gurdwara
Prabandhak Committee (SGPC), ein für die Verwaltung der Sikh-Tempel und ihrer
Besitztümer zuständiges Gremium (Sachverständige Dr. Gräfin Bernstorff vor dem
Senat, Seite 5 des Protokolls vom 22. Oktober 1987), hat Mitte September 1987
die veröffentlichte Erklärung der vier verbliebenen Mitglieder des Panthic
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die veröffentlichte Erklärung der vier verbliebenen Mitglieder des Panthic
Committee wiederholt öffentlich und heftig kritisiert .... Abgesehen davon, daß die
Erklärung der vier Priester für die gewöhnlichen Sikhs ohnehin kein Aufruf zu einem
religiösen Krieg ist und damit auch keine religiöse Pflicht zur Teilnahme an einem
derartigen Krieg auslöst (Sachverständige Dr. Gräfin Bernstorff vor dem Senat,
a.a.O.), ist die politische Bedeutung des Aufrufs der Priester auch durch die
Tatsache erheblich gemindert, daß die dargestellte Entwicklung die Zerstrittenheit
in der religiösen Führung der Sikhs offenkundig hat werden lassen.
Nach allem sieht der Senat in der Tatsache, daß sich ein Teil der Priesterschaft der
Sikhs offen zu den militanten Sikh-Separatisten bekannt hat, kein Ereignis, das der
Auseinandersetzung mit der indischen Zentralregierung eine neue Qualität geben
und in einen offenen Bürgerkrieg überleiten könnte. Nach wie vor besteht kein
Anhaltspunkt dafür, daß - abgesehen von den aus religiösen Gründen
auszunehmenden Tempelbezirken - Teile des Punjab-Gebiets dem administrativen
und militärischen Zugriff der indischen Zentralregierung entzogen werden
könnten. Die sich mehrenden gewalttätigen Aktionen extremistischer Sikhs im
Punjab und darüber hinaus sind mithin nach wie vor und auf absehbare Zukunft als
Untergrundaktionen in einem von der indischen Ordnungsmacht kontrollierten
Gebiet und nicht etwa als Teil eines dort stattfindenden Bürgerkriegs anzusehen.
Daß die Gewaltaktionen das öffentliche Leben im Punjab erheblich beeinträchtigen
und zu bestimmten Tageszeiten völlig lahmlegen (Sachverständiger Dr. Marla vor
dem Senat, Seite 10 des Protokolls vom 22. Oktober 1987), ändert hieran nichts.
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Die rechtlichen Grundlagen für das Einschreiten der mittlerweile auf 70.000 Mann
verstärkten Sicherheitskräfte im Punjab (vgl. FAZ zu 82) haben sich seit der
Grundsatzentscheidung des Senats vom 6. März 1986 - X OE 1119/81 - kaum
geändert. Nach wie vor steht den Sicherheitskräften ein breites Spektrum
strafrechtlicher und präventivpolizeilicher Maßnahmen zur Verfügung, wobei Polizei
und Militär weitgehende Befugnisse eingeräumt sind und in jüngster Zeit eine
deutliche Tendenz zur Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten und zur
Erleichterung der Strafverfolgung deutlich geworden ist.
Im einzelnen stellt sich das rechtliche Instrumentarium für die Bekämpfung
sezessionistischer Bestrebungen von Sikhs im Punjab heute wie folgt dar:
Nach dem Unlawful Activities (Prevention) Act 1967 können sezessionistische
Aktivitäten auch gewaltloser, rein propagandistischer Art zur Bestrafung führen.
Sezessionistische Propaganda ist nach sec. 13 (1) verboten und mit Freiheitsstrafe
bis zu sieben Jahren bedroht. Der Grundtatbestand der "Unlawful Activities" im
Sinne dieses Gesetzes aus dem Jahre 1967 ist schon bei rein verbalem,
argumentativem bzw. agitatorischem Eintreten für das Sezessionsziel erfüllt, ohne
daß es auf weitere im politischen Sinne kriminelle und insbesondere gewalttätige
oder terroristische Akte ankommt (Südasien-Institut zu 16, Seite 3). Zumindest
die Gefährdung der öffentlichen Friedensordnung oder die Vorbereitung von
Gewalttätigkeiten setzen hingegen die Bestimmungen in sec. 153 A und B Indian
Penal Code (IPC) voraus, die für bestimmte Störungen des gesellschaftlichen
Gleichgewichts zwischen religiösen, rassischen, sprachlichen oder regionalen
Gruppen, Kasten oder Vereinigungen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder
Geldstrafe androhen. Todesstrafe, lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe wird
schließlich in sec. 121 bis 123 IPC für verschiedene Formen des bewaffneten
Aufstands einschließlich Versuchs-, Vorbereitungs- und Teilnahmehandlungen
angedroht (vgl. Südasien-Institut zu 16, Seite 8 ff.). Bei den letztgenannten
Delikten ist die Strafverfolgung gemäß sec. 17 Unlawful Activities (Prevention) Act
bzw. sec. 196 des Code of Criminal Procedure (CCP) in der Fassung des Criminal
Law Amendment Act, 1972 von der vorherigen Ermächtigung (previous sanction)
der Regierung abhängig, wobei ihr ein unüberprüfbares Ermessen hinsichtlich der
Zweckmäßigkeit eines Strafverfahrens zusteht (Südasien-Institut zu 3, Seite 17
ff.).
Strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten sieht im übrigen auch der am 23. Mai 1985
erlassene Terrorist and Disruptive Activities (Prevention) Act, 1985 vor, den das
indische Parlament am 24. August 1987 in neuer Fassung ... beschlossen hat.
Dieses ursprünglich für zwei Jahre in ganz Indien geltende Gesetz definiert
Terrorismus als Gewaltanwendung durch Bomben, Waffen und andere Methoden,
die Tod, Verletzung oder Sachschaden zur Folge haben (II, 3, 1) und droht dafür
bei Todesfolgen die Todesstrafe, bei Sachbeschädigung Freiheitsstrafe von nicht
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bei Todesfolgen die Todesstrafe, bei Sachbeschädigung Freiheitsstrafe von nicht
weniger als fünf Jahren an (Südasien-Institut zu 34, Seite 7; Dr. Gräfin Bernstorff,
Gutachten vom 7. April 1987 für VG Ansbach, Seite 6 f.).
Für das Strafverfahren gegen Terroristen und des Terrorismus verdächtige
Personen gelten im Punjab und zum Teil auch in anderen Gebieten
Sondervorschriften, die die Bildung von Ausnahmegerichten mit besonderer
Zuständigkeit (Special Courts) ermöglichen und für bestimmte Fälle die
Unschuldsvermutung zugunsten des Beschuldigten durch eine Verlagerung der
Beweislast auf ihn beseitigen. Diese mit der Terrorist Affected Areas (Special
Courts) Ordinance, 1984 (vgl. zum Inhalt Südasien-Institut, Zusatzgutachten vom
8. August 1984, zu 16) im Juli 1984 eingeleitete Entwicklung hat sich in der am 24.
August 1987 vom indischen Parlament beschlossenen Neufassung des Terrorist
Disruptive Activities (Prevention) Act dadurch fortgesetzt, daß nunmehr vor der
Polizei abgelegten Geständnissen volle Beweiskraft beigelegt werden und in
bestimmten Verdachtssituationen eine Beweislastumkehr stattfinden soll (vgl.
hierzu Sachverständige Dr. Gräfin Bernstorff vor dem Senat, Seite 4 des Protokolls
vom 22. Oktober 1987, zu 85).
Neben diesen strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten haben Regierung, Militär
und Polizei im Punjab auch die Möglichkeit präventivpolizeilicher Maßnahmen nach
verschiedenen Vorschriften. Wesentlich ist dabei vor allem die Möglichkeit der
vorbeugenden Verhaftung, die insbesondere der ursprünglich für ganz Indien mit
Ausnahme von Jammo und Kaschmir geltende National Security Act, 65/1980
bietet (vgl. zur ursprünglichen Fassung Südasien-Institut zu 16, Seiten 17 ff.).
Voraussetzung für die Verhängung von Präventivhaft ist danach eine befürchtete
Gefährdung der Staatsgewalt und der öffentlichen Ordnung. Bei der Anwendung
dieser Bestimmungen schon in der Ursprungsfassung, auf die insbesondere seit
1984 zahlreiche Verhaftungen gestützt wurden, hatten die Behörden ein weites
Ermessen und unterlagen nur einer formalen Kontrolle durch die Gerichte, die nur
in eingeschränktem Umfang eine Überprüfung der von der Behörde angestellten
Erwägungen zuließ (Südasien-Institut zu 7, Seite 6 und zu 16, Seiten 17 ff.). Der
National Security Act hat, soweit er im Punjab und im Unionsterritorium
Chandigarh angewendet wird, inzwischen eine erhebliche Verschärfung erfahren.
Durch die Sondervorschriften des Armed Forces (Punjab and Chandigarh) Special
Powers Act, 1983 (vgl. Südasieninstitut zu 25, Seite 3), dessen sec. 4 die
Anordnung von Präventivhaft auch durch Offiziere der Armee zuläßt, und durch die
am 22. Juli 1987 erlassene National Security (Amendment) Bill, 1987, die
wiederum eine am 9. Juni 1987 verkündete National Security (Amendment)
Ordinance ersetzt hat, sind speziell für Punjab und Chandigarh Sondervorschriften
geschaffen worden, die in anderen Teilen Indiens nicht gelten. Durch das Gesetz
vom 22. Juli 1987 ist es ermöglicht worden, einen Beschuldigten für 15 statt bisher
zehn Tage ohne Bekanntgabe der Gründe in Haft zu halten, Anordnungen von
Offizieren sollen ohne Bestätigung durch die Regierung für 20 statt bisher 15 Tage
in Kraft bleiben. Ferner wird der Zeitraum, innerhalb dessen Präventivhaft
vollzogen werden kann, ohne daß der Betroffene ein unabhängiges
Kontrollgremium, den sogenannten Advisory Board, anrufen kann, von drei auf
sechs Monate verlängert (vgl. hierzu die von dem Sachverständigen Dr. Marla
anläßlich seiner Vernehmung durch den Senat vorgelegte Kopie von Text und
Begründung des Gesetzes vom 22. Juli 1987; ferner Südasien-Institut,
Zusatzgutachten vom 8. August 1984, Seite 3, zu 16; Auswärtiges Amt vom 30.
Juni 1987, zu 63). Mit diesem neuen Gesetz wird im wesentlichen derselbe
Rechtszustand hergestellt, wie er in Bezug auf Verhängung und Vollzug von
Präventivhaft schon einmal durch den am 18. Mai 1984 erlassenen National
Security (Amendment) Act, 1984 geschaffen worden war.
Neben vorbeugender Verhaftung von Personen stehen den Behörden aufgrund im
Dezember 1986 verabschiedeter Ausführungsverordnungen zum Terrorist and
Disruptive Activities (Prevention) Act weitere Möglichkeiten präventivpolizeilichen
Handelns zur Verfügung. So können bei Bedarf alle Telefonleitungen abgehört und
die Anschlüsse verdächtiger Personen gesperrt werden. Die Regierung kann
Gebiete zu "prohibited places and areas" erklären und die Bewegungsfreiheit von
Zivilpersonen in derartigen Zonen drastisch einschränken (vgl. im einzelnen Dr.
Gräfin Bernstorff, Gutachten für das VG Ansbach vom 7. April 1987, Seite 7 f.).
3.
Über die tatsächliche Anwendung der geschilderten rechtlichen Instrumente und
ihre Ursachen liegen für die Jahre 1986 und 1987 nur wenige gesicherte
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ihre Ursachen liegen für die Jahre 1986 und 1987 nur wenige gesicherte
Erkenntnisse vor.
1986 sollen nach Mitteilung des Innenministers Buta Singh vor dem
Unionsparlament in Delhi bei Auseinandersetzungen im Punjab 421 Personen
getötet worden sein, darunter 193 Sikhs. Unter den Toten seien 69 Terroristen und
35 Polizisten gewesen, die übrigen seien Zivilpersonen. Im gesamten Jahr seien
1334 Terroristen verhaftet worden (Dr. Gräfin Bernstorff im Gutachten vom 7. April
1987 unter Bezugnahme auf die Overseas Hindustan Times vom 22. November
1986).
Im Jahre 1987 hat die Zahl der Verhaftungen von Sikhs deutlich zugenommen,
wobei allerdings verläßliche Zahlen nicht genannt werden können. Einigermaßen
zuverlässig ist nur bekannt, daß im Rahmen der Verhaftungswelle im Punjab nach
Wiedereinführung der President's rule Mitte Mai 1987 mindestens 513 als militant
geltende Sikhs verhaftet wurden (All India Radio laut Monitor-Dienst, zu 53 und 58),
wobei die Verhaftungswelle Aktivisten der AISSF, des United Akali Dal und der
Damdami Taksal (Religionsschule der Sikh-Fundamentalisten) galt. Ob darin jene
400 Sikhs enthalten sind, nach denen Mitte Mai 1987 landesweit gefahndet wurde
(SZ vom 14. Mai 1987, zu 54), ist nicht bekannt. Bei der bereits erwähnten Razzia
im Tempel von Amritsar am 25. Juni 1987 wurden mindestens 100 - nach
Meldungen des indischen Rundfunks 200 - militante Sikh-Studenten verhaftet (FAZ
zu 62). Anläßlich einer Demonstration in Delhi am 31. Juli 1987 wurden annähernd
1000 Personen vorübergehend festgenommen (FAZ zu 79; NZZ zu 72). In
Amritsar verhängten die Behörden am 7. August 1987 ein unbefristetes
Ausgehverbot nach Terroranschlägen von Sikhs (NZZ zu 74). Ohne
Zahlenangaben wird berichtet (FAZ zu 82), daß im Gefängnis von Jodhpur Sikhs
einsitzen, die dort zum Teil seit 1984 ohne Urteil festgehalten werden.
Es hat sich weder durch die ins Verfahren eingeführten Dokumente noch durch die
Beweisaufnahme klären lassen, ob und in welchem Umfang gegen inhaftierte
Sikhs Strafverfahren durchgeführt worden oder noch anhängig sind bzw. welcher
Anteil der Verhafteten sich in Präventivhaft befindet. Die Sachverständige Dr.
Gräfin Bernstorff (vgl. Seite 4 des Protokolls vom 22. Oktober 1987) hat bekundet,
daß sie nichts über gerichtliche Verurteilungen von Terroristen gelesen habe,
obwohl sie hierauf geachtet habe. Allerdings sei in der indischen Presse über
Freilassungen von Sikh-Terroristen durch Special Courts berichtet worden, was
dafür spreche, daß nach wie vor Strafverfahren auch gegen militante Sikhs im
Punjab durchgeführt werden. Auch der von dem Sachverständigen Dr. Marla
erwähnte Strafprozeß vor einem Special Court gegen den demnächst in Jodhpur
inhaftierten SGPC-Vorsitzenden Tohra ist ein Indiz dafür, daß nach wie vor
Strafverfolgung zumindest gegen prominente Sikhs stattfindet. Allerdings spricht
viel dafür, daß die Strafrechtspflege in bezug auf extremistische Sikhs im Punjab
und angrenzenden Gebieten weitgehend zum Erliegen gekommen ist und die
durch Veröffentlichungen bekanntgewordenen Verhaftungen von Sikhs aufgrund
der Vorschriften über die Präventivhaft erfolgt sind. Schon im Sommer 1984 wurde
seitens eines indischen Regierungssprechers zur Begründung der Einführung von
Special Courts ausdrücklich erwähnt, daß häufig ordentliche Gerichtsverfahren im
Punjab nicht mehr möglich seien, unter anderem weil Zeugen durch terroristische
Drohungen eingeschüchtert würden (Südasien-Institut zu 16, Seite 14). Von
Einschüchterung der Zeugen terroristischer Aktivitäten, aber auch von Polizisten
und ihren Informanten, Richtern und ihren Angehörigen durch militante Sikhs wird
auch in neuester Zeit immer wieder berichtet (Süddeutsche Zeitung vom 25.
August 1987, zu 77; FAZ vom 17. September 1987, zu 82; ...). Es ist deshalb für
den Senat nachvollziehbar, daß in der am 22. Juli 1987 veröffentlichten amtlichen
Begründung für die National Security (Amendment) Bill, 1987 neben anderen
Motiven Angriffe extremistischer und terroristischer Elemente im Punjab und in
Chandigarh auf Personen, die an der Untersuchung und Verfolgung von Straftaten
("cases") beteiligt waren, als Beweggrund für den Erlaß des Gesetzes ausdrücklich
genannt wurden.
Der Senat ist deshalb bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß die
bekanntgewordenen Verhaftungen von Sikhs im Punjab vornehmlich aufgrund der
Vorschriften über die Präventivhaft erfolgt sind und Strafverfahren, möglicherweise
im Hinblick auf bestehende Beweisschwierigkeiten (vgl. auch Auswärtiges Amt zu
63), nur in wenigen Fällen eingeleitet oder gar durchgeführt worden sind. Das
Auswärtige Amt hat in seinem Lagebericht vom 30. Juni 1987 (a.a.O.) auch auf
zusätzliche Beweisschwierigkeiten in den Terroristenprozessen hingewiesen, die
dadurch entstehen, daß das indische Strafrecht keine dem § 129 a StGB
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dadurch entstehen, daß das indische Strafrecht keine dem § 129 a StGB
vergleichbare Vorschrift kennt. Dies scheint auch von Regierung und Parlament in
Indien als Manko gesehen zu werden, wie die Einführung auch dem indischen
Strafrecht sonst fremder Schuldvermutungen zu Lasten des Beschuldigten durch
die Terrorist Affected Areas (Special Courts) Ordinance vom 14. Juli 1984 und die
vom indischen Parlament am 24. August 1987 verabschiedete Neufassung des
Terrorist Disruptive Activities (Prevention) Act zeigen (vgl. Südasien-Institut,
Zusatzgutachten vom 8. August 1984, Seite 2, zu 16; Sachverständige Dr. Gräfin
Bernstorff vor dem Senat, Seite 4 des Protokolls vom 22. Oktober 1987). Gerade
die zuletzt erwähnte Gesetzesinitiative läßt keinen Zweifel, daß nach Auffassung
des indischen Parlaments die Bewältigung des Terrorismus-Problems im Punjab
durch die Strafjustiz zu wünschen übrig läßt, was darauf hindeutet, daß es zu
Verurteilungen inhaftierter Sikhs bisher nicht oder nur in geringem Maße
gekommen ist.
4.
Das Vorgehen der indischen Sicherheitskräfte gegen wirkliche oder vermutete
Sikh-Extremisten scheint mitunter recht brutal zu sein. Neben den rund 35.000
regulären Polizeibeamten sind im Punjab auch paramilitärische Einheiten der
Central Reserve Police (CRP) und der Border Security Force (BSF) eingesetzt (vgl.
Dr. Gräfin Bernstorff im Gutachten vom 7. April 1987, Seite 4). Schon während der
Amtszeit der Regierung Barnala wurde von Teilen der Sikh-Opposition der Vorwurf
erhoben, die Sicherheitsorgane hätten unschuldige Jugendliche erschossen und
nachträglich zu Opfern gestellter Grenzzwischenfälle erklärt (Auswärtiges Amt vom
15. März 1987, zu 45, Seite 3). Die damalige Regierung des Punjab hatte eine
ministerielle Untersuchungskommission zur Prüfung der Vorwürfe eingesetzt, über
deren Arbeitsergebnisse nichts bekannt geworden ist. Der Vorwurf, daß die
Sicherheitskräfte einen "schmutzigen Krieg" mit gestellten "Schießereien" und
"Fluchtversuchen" führen, sind bis in die jüngste Zeit erhoben worden, wobei auch
von Folterverhören die Rede ist (FAZ vom 17. September 1987, zu 82). Die von
der Zeugin Strieder in ihrem am 22. Juni 1987 im Spiegel erschienen Beitrag (zu
61) wiedergegebenen Äußerungen des Polizeichefs Ribeiro deuten darauf hin, daß
das robuste bis brutale Vorgehen der Polizei Methode hat und es sich nicht etwa
um Übergriffe einzelner Beamter handelt. Frau Strieder hat bei ihrer Vernehmung
durch den Senat glaubhaft bekundet, daß Polizeichef Ribeiro ihr gegenüber
anläßlich des Interviews im Mai 1987 unumwunden eingeräumt habe, auch die
Methode des Scheingefechts (fake encounter) werde von Polizeibeamten in
seinem Zuständigkeitsbereich durchaus und mit seinem Einverständnis
angewandt.
Was die Behandlung aus dem Ausland zurückkehrender Sikhs in Indien anlangt, ist
lediglich bekannt, daß Mitglieder extremistischer Gruppen, die selbst an der
Vorbereitung von Gewalttaten beteiligt oder darüber informiert sind bzw. bei denen
entsprechende Verdachtsmomente bestehen, bei der Einreise mit Verhaftung
rechnen müssen (Auswärtiges Amt vom 15. März 1987, zu 45, Seite 4). Hierauf
braucht, da derartige Fahndungsmaßnahmen offensichtlich asylrechtlich nicht
relevant sind und der Antragsteller darüber hinaus auch eindeutig nicht zu dem
möglicherweise betroffenen Personenkreis gehört, nicht eingegangen zu werden.
Die durch eine ins Verfahren eingeführte Veröffentlichung in der Passauer Neuen
Presse vom 18. Juli 1987 (Blatt 113 GA) aufgekommene Befürchtung, auch aus
Europa nach Indien abgeschobene indische Asylbewerber ohne Bezug zu
extremistischen Sikh-Organisationen könnten in ihrem Heimatland nachhaltige
Repressalien bis hin zur vorsätzlichen Tötung durch indische Ordnungskräfte zu
erwarten haben, hat sich nicht bestätigt. Wie aufgrund der eingeholten
Stellungnahme von amnesty international vom 19. Oktober 1987 und der mit
Fernschreiben vom 20. Oktober 1987 erteilten amtlichen Auskunft des
Auswärtigen Amts vom 20. Oktober 1987 zur Überzeugung des Senats feststeht,
ist es außerordentlich unwahrscheinlich, daß die von der Passauer Neuen Presse
genannten abgeschobenen Asylbewerber in Indien aufgrund eines den dortigen
Behörden anzulastenden Fremdverschuldens zu Tode gekommen sind. Dabei
kommt der Auskunft von amnesty international deshalb besondere Bedeutung zu,
weil die Passauer Neue Presse in dem zitierten Artikel gemeldet hatte, diese
Organisation sei mit einem der in der Reportage geschilderten Fälle befaßt worden.
Der in der Stellungnahme von amnesty international vom 19. Oktober 1987
geschilderte Fall eines aus der Schweiz nach Indien abgeschobenen und dort unter
dem Vorwurf staatsfeindlicher Aktionen verhafteten Sikhs ist asylrechtlich
offensichtlich schon deshalb ohne Bedeutung, weil der Festgenommene nach dem
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offensichtlich schon deshalb ohne Bedeutung, weil der Festgenommene nach dem
Inhalt der Stellungnahme später von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen -
offenbar strafrechtlicher Natur - freigesprochen wurde.
5.
Nach allem ist der Senat der Überzeugung, daß in Indien und speziell im Punjab
derzeit eindeutig keine politische Verfolgung der Sikhs stattfindet, wobei
offenbleiben kann, ob die Masse der nicht in extremistischen Organisationen
tätigen Sikhs, zu der der Kläger zu zählen ist, überhaupt - abgesehen von
gelegentlichen Belästigungen durch Ausgangssperren und sonstige
Behinderungen des öffentlichen Lebens - nennenswerten Beeinträchtigungen
ausgesetzt ist. Zielgerichtete, mit großem personellen Einsatz durchgeführte
Fahndungsmaßnahmen gelten ausschließlich einer relativ kleinen Gruppe
gewalttätiger Sikhs mit sezessionistischen Bestrebungen, die sie - wie unter II. 1.
dargestellt - mit Gewalt gegen Personen und Sachen und durch Einschüchterung
auch der Sikh-Bevölkerung im Punjab durchzusetzen gedenken. Ungeachtet der
hier nicht zu beantwortenden Frage, ob die indischen Ordnungskräfte in ihrem
Kampf gegen mit terroristischen Mitteln verfolgte Sezessionsbestrebungen
politisch und psychologisch geschickt vorgehen, geht es ihnen erkennbar nicht um
eine Unterdrückung oder gar Vernichtung der Sikhs als religiöse Minderheit mit
historisch gewachsenen Autonomiebestrebungen, sondern um die Erhaltung des
indischen Staatsverbands und den Schutz der im Punjab lebenden, fast zur Hälfte
aus Hindus bestehenden Bevölkerung vor den Folgen des nun auch von Sikh-
Klerikern als "Krieg" bezeichneten Terrors extremistischer Sikhs.
Neben den Zielen sind auch die von offizieller indischer Seite in dieser
Auseinandersetzung angewandten Methoden asylrechtlich nicht relevant. Denn
ungeachtet der Tatsache, daß auch Unbeteiligte dabei in Mitleidenschaft gezogen
werden können, sind sowohl die getroffenen legislativen Maßnahmen als auch
deren Vollzug durch Polizei und Militär im Punjab angesichts der unter II. 1.
dargestellten Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine nicht
unangemessene Reaktion.
Selbst die nicht unproblematische Präventivhaft erscheint wegen der Praktiken der
Sikh-Terroristen, auf die die einschlägigen, unter Ziffer II. 2. dargestellten
rechtlichen Instrumente zugeschnitten sind, nicht als Indiz für eine asylrechtlich
relevante Verfolgungsmotivation.
Für diese Einschätzung ist neben einem Vergleich der angewendeten Maßnahmen
mit den Methoden, durch die sie provoziert werden, auch maßgebend, daß die hier
relevanten Vorgänge sich in einem Land abspielen, in dem die Machtausübung der
Exekutive durch ein offenbar funktionierendes parlamentarisches System und eine
kritische Presse kontrolliert wird. Die von dem Sachverständigen Dr. Marla zur
Erläuterung seines Gutachtens dem Senat vorgelegten Ausschnitte aus indischen
Zeitungen zeigen, daß die Presse in Indien nach wie vor sachlich und auch kritisch
über Behördenmaßnahmen gegen Sikh-Extremisten berichtet (vgl. etwa The Times
of India vom 19. September 1987 "Probe into encounter death", Blatt 196 GA;
ferner Sachverständige Dr. Gräfin Bernstorff vor dem Senat, Seite 6 des Protokolls
vom 22. Oktober 1987).
Im Rahmen der vorzunehmenden Prognose kann allerdings nicht ausgeschlossen
werden, daß der sowohl von Polizeichef Ribeiro als auch neuerdings offiziell von
Sikh-Geistlichen proklamierte "Krieg" in absehbarer Zeit Ausmaße annimmt, die
jeden Bewohner des Punjab und namentlich jeden dort lebenden Sikh in
Mitleidenschaft ziehen. In dieser Auseinandersetzung verfolgt der durch die
indische Zentralregierung repräsentierte Staat indessen offenbar nicht das Ziel,
die Sikhs aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung zu verfolgen.
Anknüpfungspunkt für Maßnahmen der Sicherheitskräfte sind bislang stets
wirkliche oder vermutete terroristische Aktivitäten der Betroffenen, denen
ihrerseits allerdings eine politische Motivation zugrundegelegen haben mag,
gewesen. Trotz der plakativen Drohungen des Polizeichefs Ribeiro und des
Premierministers Gandhi selbst fehlt es an Anhaltspunkten dafür, daß künftig die
gesamte Sikh-Bevölkerung im Punjab oder auch nur wesentliche Teile davon
wegen ihrer Stellung als religiöse Minderheit Opfer staatlicher Zwangsmaßnahmen
werden könnten.
Damit fehlt den Regierungsmaßnahmen im Punjab eine asylrechtlich relevante
Motivation. Es ist anerkannt, daß gerade ein Mehrvölkerstaat wie Indien in
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Motivation. Es ist anerkannt, daß gerade ein Mehrvölkerstaat wie Indien in
besonderem Maße auf die Sicherung seiner staatlichen Einheit und seines
Gebietsbestandes bedacht sein und dieses Ziel auch durchsetzen darf, ohne die
hiervon Betroffenen notwendigerweise im asylrechtlichen Sinne politisch zu
verfolgen (BVerwG, Urteile vom 17. Mai 1983 - 9 C 874.82 - BVerwGE 67, 195 - 200
f. -, und vom 16. Juli 1986 - 9 C 155.86 -, InfAuslR 1986, 294 - 297 -).
Nach den bisher vorliegenden Informationen scheint der Punjab trotz der
verschärften Auseinandersetzungen zwischen separatistischen Sikhs, militanten
Hindus und staatlichen Sicherheitskräften noch nicht in eine Lage geraten zu sein,
die es angebracht erscheinen ließe, von Bürgerkrieg oder bürgerkriegsähnlichen
Zuständen zu sprechen. Denn wie die Reaktionen der indischen Polizei im Punjab
und in Haryana auf Racheakte militanter Angehöriger der "Shiv Sena"-Bewegung
zeigen, versuchen die Sicherheitskräfte noch immer eine neutrale
Ordnungsfunktion wahrzunehmen. Selbst wenn es im Zuge der weiteren
Entwicklung zu einem Bürgerkrieg im Punjab kommen sollte und die indische
Zentralregierung künftig als Bürgerkriegspartei gegen sezessionistische
Bestrebungen der Sikhs vorgehen sollte, wäre dies, folgt man der (Sri Lanka-
)Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 3. Dezember 1985 -
9 C 33.85 u.a. -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 43 = InfAuslR 1986, 85; Urteil
vom 16. Juli 1986 - 9 C 155.86 -, InfAuslR 1986, 294), keine politische Verfolgung
der betroffenen Sikhs, weil kein Zweifel daran besteht, daß Zweck der Verfolgung
ausschließlich die Erhaltung und Sicherung der staatlichen Einheit Indiens und
seines Gebietsbestandes wäre.
Der Senat hat indessen keinen Anlaß, zu dieser Frage abschließend Stellung zu
nehmen, weil sich ein Bürgerkrieg nach den derzeit verfügbaren Informationen
nicht mit der hier erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit abzeichnet. Trotz
der zunehmenden Störungen des öffentlichen Lebens durch den Sikh-Terrorismus
im Punjab und den angrenzenden Gebieten gibt es nach heutigem Kenntnisstand -
im Gegensatz etwa zum Norden Sri Lankas - mit Ausnahme der aus religiösen
Rücksichten besonders zu betrachtenden Tempelbezirke in Indien kein Gebiet, das
dem militärischen oder administrativen Zugriff der Zentralregierung entzogen
wäre. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, daß die indische Zentralregierung und die
ihr nachgeordneten Polizeikräfte im Punjab in absehbarer Zukunft ihre neutrale
Ordnungsfunktion aufgeben und in die Rolle einer Bürgerkriegspartei geraten
könnten, so daß sich die Frage, ob und wieweit sich die vom
Bundesverwaltungsgericht in seinen oben zitierten Entscheidungen entwickelten
Grundsätze auf Indien übertragen lassen, derzeit nicht stellt.
Nach allem besteht nach Überzeugung des Senats kein ernsthafter Zweifel, daß
der Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Indien vor politischer Verfolgung durch
unmittelbare staatliche Maßnahmen sicher ist.
6.
Es ist ferner außerordentlich unwahrscheinlich, daß den Sikhs insgesamt oder dem
Kläger persönlich eine dem indischen Staat zurechenbare mittelbare Verfolgung in
Gestalt von Übergriffen privater Gruppen oder Personen bevorsteht. Insofern hat
sich gegenüber der Situation, die der Entscheidung des Senats vom 6. März 1986
- X OE 1119/81 - (vgl. Seite 44 des Urteilsabdrucks) zugrundelag, nichts
Entscheidendes geändert. Wie ... dargestellt, ist die indische Polizei
Ausschreitungen von Hindus, namentlich der radikalen Organisation "Shiv Sena",
gegen Sikhs als Reaktion auf Terrorakte gegen Hindus zuletzt im Sommer 1986
wirksam entgegengetreten (vgl. oben Seite 18). Im übrigen zeigt die von dem
Sachverständigen Dr. Marla bei seiner Vernehmung durch den Senat unter
Hinweis auf einen Artikel in der Times of India vom 17. September 1987
hervorgehobene Bildung von Friedens- und Entwicklungskomitees in 2622 Dörfern
im Punjab, daß es der indischen Regierung nach wie vor um eine Befriedung dieses
Gebiets und eine Mobilisierung auch der Sikh-Bevölkerung gegen den Terrorismus
geht. Dieses Ziel wäre schwerlich zu erreichen, wenn die Regierung Racheakte der
Hindu-Bevölkerung gegen Sikhs, die derzeit offenbar auch nicht aktuell sind,
dulden würde."
Diese Ausführungen macht sich der Senat auch für den vorliegenden Fall zu eigen.
Daher bedarf es keines Eingehens mehr auf den von dem Kläger zitierten Artikel in
der Zeitschrift "Der Spiegel" vom 22.6.1987. Jener Bericht ist schon Gegenstand
der Berufungsverfahren gewesen, die mit den angeführten Urteilen des Senats
vom 22.10.1987 abgeschlossen worden sind, und ist auch bereits vor der
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vom 22.10.1987 abgeschlossen worden sind, und ist auch bereits vor der
Einreichung seitens des Klägers durch Verfügung des Berichterstatters vom
21.12.1987 in das vorliegende Verfahren eingeführt worden.
Außerdem kann der Kläger sein Asylbegehren auch nicht auf die Behauptung
stützen, der von ihm benannte Zeuge R. S. habe bei einem Aufenthalt in Indien
erfahren, daß die indische Polizei nach dem Kläger fahnde. Dieser Vortrag
begründet schon deshalb das Asylbegehren des Klägers nicht schlüssig, weil der
Kläger nicht angibt, weshalb nach ihm gefahndet wird. Indische Polizeibehörden
könnten nämlich gerade deshalb (noch) nach dem Kläger fahnden, weil er, wie er
selbst vorträgt, in Indien an der Tötung eines Privatmannes beteiligt gewesen ist
bzw. mit der Pistole auf Polizisten geschossen hat. Ferner ist der Vortrag des
Klägers unerheblich, der von ihm benannte Zeuge könne bestätigen, daß ein
indischer Asylbewerber bei seiner Rückkehr ebenso wie sein Freund J. S. getötet
worden seien. Der Kläger legt hierzu noch nicht einmal schlüssig dar, daß diese
Tötungen - sofern sie denn überhaupt geschehen sein sollten - aus politischen
Motiven, z.B. nur wegen der Zugehörigkeit dieser beiden Menschen zur
Glaubensgemeinschaft der Sikhs erfolgt sei. Ebensowenig kann sich der Kläger
schließlich mit Erfolg auf die Verhaftung seiner beiden Brüder berufen. Er hat nicht
substantiiert vorgetragen, weshalb und wie lange sich seine beiden Brüder in Haft
befunden haben und weshalb ihm im Falle der Rückkehr nach Indien ebenfalls eine
Verhaftung aus gleichem (nicht vorgetragenen) Grunde und nicht eine Verhaftung
wegen seiner Beteiligung an der Tötung eines Privatmannes oder wegen dem
Schießen auf Polizisten droht.
Die Klage gegen den seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter
ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 5. August 1981 ist nach alledem von dem Verwaltungsgericht im
Ergebnis zu Recht abgewiesen worden. Der dagegen gerichteten Berufung ist
deshalb der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die
Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 13 Abs. 1, 73
Abs. 1 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.