Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 26.07.2010

OVG Berlin-Brandenburg: öffentlich, eigentümer, eingriff, erfüllung, eigentum, privatrecht, kostenersatz, besitzer, klagebegehren, duldungspflicht

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 L 82.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 146 VwGO, § 40 Abs 1 VwGO,
§ 13 GVG, § 17a Abs 2 GVG, §
17a Abs 4 GVG
Rechtsweg bei Abwehr- und Beseitigungsansprüchen im
Zusammenhang mit geschädigter Hausanschlussleitung nach
Eindringen von Baumwurzeln aus öffentlichem Straßenraum
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 26. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die gemäß §§ 146, 173 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 und 4 Satz 3 GVG zulässige
Beschwerde gegen den Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht den
Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht
Berlin - Zivilsachen - verwiesen hat, ist unbegründet.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Kostenersatz für eine von ihr selbst in Auftrag
gegebene Beseitigung der durch Baumwurzeln verursachten Beschädigung ihres
Schmutzwasser-Hausanschlusskanals. Die Bäume befinden sich auf einer vor ihrem
Grundstück liegenden Grünfläche, die im Eigentum des Beklagten steht, über deren
Zugehörigkeit zum öffentlichen Straßenland zwischen den Beteiligten jedoch Streit
besteht.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 26. Juli 2010 den Verwaltungsrechtsweg
für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwiesen. Zur
Begründung hat das Gericht angeführt, selbst wenn die Fläche vor dem Haus
öffentliches Straßenland sei und die schädigenden Bäume hoheitlich gepflanzte
Straßenbäume seien, wäre die Beseitigung störender Baumwurzeln keine Aufhebung
oder Änderung früheren hoheitlichen Handelns, da die Bäume als solche nicht beseitigt
oder umgesetzt werden müssten. Für die Frage der Rechtswegzuständigkeit sei auch
nicht entscheidend, wer Eigentümer des Hausanschlusskanals sei.
Mit seiner Beschwerde macht der Beklagte geltend, es läge eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor, für die der Verwaltungsrechtsweg
gegeben sei, weil die Natur des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses dem
öffentlichen Recht zuzuordnen sei. Die von der Klägerin geltend gemachten Abwehr- und
Beseitigungsansprüche bezögen sich auf in öffentlichem Straßenland befindliche
Straßenbäume und deren Wurzeln. Die Bepflanzung von Straßen sei aber nach § 16 Abs.
3 Satz 1 des Berliner Straßengesetzes eine dem Gemeinwohl dienende Aufgabe, die
Erfüllung dieser Aufgabe erfolge hoheitlich, daher sei auch die Beseitigung von Teilen der
Bäume als schlichthoheitliches Handeln einzuordnen. Die Pflege der Bäume diene auch
dem Aufrechterhalten der Verkehrssicherheit. Ziel der Klägerin sei daher, einem Träger
öffentlicher Verwaltung durch das Gericht ein schlichthoheitliches Handeln zu gebieten.
Da die Klägerin für ihr Abwasserrohr öffentliches Straßenland im Wege der
Sondernutzung in Anspruch nehme, spreche auch die Sachnähe für eine öffentlich-
rechtliche Streitigkeit.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine Änderung der angegriffenen Entscheidung
nicht. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Zulässigkeit des
Verwaltungsrechtswegs verneint.
Maßgeblich für die Bestimmung des gemäß §§ 13 GVG, 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO
einzuschlagenden Rechtsweges ist, wenn - wie hier - keine spezialgesetzliche
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einzuschlagenden Rechtsweges ist, wenn - wie hier - keine spezialgesetzliche
Rechtswegzuweisung gegeben ist, die Natur des behaupteten Rechtsverhältnisses, aus
der der Klageanspruch hergeleitet wird (GmS-OGB, BGHZ 97, 312 [313 f.] = BVerwGE
74, 368 [370]). Dies ist auf der Grundlage des Klagebegehrens und des zu seiner
Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen. Öffentlich-rechtlich ist danach eine
Streitigkeit, deren Begehren sich als Folge eines Sachverhalts darstellt, der nach
öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Das ist der Fall, wenn der entscheidungserhebliche
Streitstoff einem Sonderrecht des Staates unterworfen ist, das im Interesse der
Erfüllung öffentlicher Aufgaben das allgemeine, bürgerliche Recht abändert (OVG Berlin,
Beschluss vom 31. Oktober 2001 - 8 L 29.98 -, juris; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl.
2005, § 40 Rn. 6 und 11 m. w. N.). Danach ist die Klage der Klägerin als privatrechtliche
Streitigkeit anzusehen, für die der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet
ist.
Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren auf das ihrer Auffassung nach bestehende
Eigentumsrecht am Hausanschlusskanal und macht eigentumsrechtliche Abwehr- und
Beseitigungsansprüche gemäß § 1004 BGB bzw. Kostenersatz gemäß § 812 BGB gegen
den Beklagten geltend. Entgegen der Ansicht des Beklagten bestimmt dieses die Natur
des Rechtsverhältnisses, nicht hingegen die öffentlich-rechtlich ausgestaltete
Duldungspflicht von Straßenbäumen durch Eigentümer und Besitzer von Grundstücken
an öffentlichem Straßenland. Auch in den Fällen, in denen die Eigentumsstörung nicht
oder nicht nur im Bereich des Privatgrundstücks, sondern im öffentlichen Straßenland
erfolgt, sind Abwehr- und Beseitigungsansprüche im ordentlichen Rechtsweg geltend zu
machen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1991 – V ZR 346/89 -, juris Rn. 8; s. a. BayObLG,
Urteil vom 26. März 1968 – RReg 1a Z 77/67 -, juris Rn. 33; OLG Celle, Urteil vom 21.
Oktober 2004 – 4 U 78/04 -, juris Rn. 9; KG, Urteil vom 26. September 1989 - 9 U
4069/88 -, S. 9 des Entscheidungsabdrucks; a. A. OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Mai
1990 – 9 L 93/89 -, juris Rn. 2). Ob durch einen Eingriff in das Eigentum ein
privatrechtlicher oder ein öffentlich-rechtlicher Beseitigungsanspruch ausgelöst wird,
bestimmt sich danach, ob der Eingriff nach seiner Rechtsqualität dem öffentlichen Recht
oder dem Privatrecht zugerechnet werden muss und ob mit dem Beseitigungsanspruch
die Aufhebung oder Änderung einer hoheitlichen Maßnahme begehrt wird (vgl. BGH,
Urteil vom 7. März 1986 – V ZR 92/85 -, juris Rn. 10). Selbst wenn vorliegend die
Anpflanzung der Bäume als schlichthoheitliches Handeln erfolgte, führte die Beseitigung
der in den Schmutzwasser-Hausanschlusskanal eingedrungenen Wurzeln - wie die von
der Klägerin zwischenzeitlich selbst veranlasste Instandsetzung des
Hausanschlusskanals zeigte - nicht zu einer Aufhebung oder Änderung dieser
Maßnahme, da die Bäume weder gefällt werden mussten noch ihr Standort verändert
worden ist; das Einwachsen bzw. Eindringen von Wurzeln ist keine hoheitliche
Maßnahme, sondern Folge des natürlichen Wachstums (vgl. OLG Celle, a. a. O.). Ob der
von der Klägerin mit ihrer Klage geltend gemachte Kostenersatzanspruch aufgrund von
Einwendungen, die ihren Grund in den öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Berliner
Straßengesetzes haben, gegebenenfalls ohne Erfolg bleiben wird, ist, ebenso wie die
Eigentümerstellung am Hausanschlusskanal, eine Frage der Begründetheit der Klage,
führt aber deshalb noch nicht zur Bejahung des Verwaltungsrechtswegs, denn auch die
Gerichte des ordentlichen Rechtswegs müssen einen Anspruch unter allen in Betracht
kommenden rechtlichen Gesichtspunkte prüfen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 GVG) und ebenso
anspruchshindernde oder –vernichtende Tatsachen mit berücksichtigen, unabhängig ob
sie im Privatrecht oder im öffentlichen Recht gründen. Dies wird letztlich durch das vom
Beklagten selbst angeführte Urteil des Kammergerichts vom 10. Dezember 2002 – 9 U
57/02 – bestätigt. Den prägenden Charakter erhält das hier streitige Rechtsverhältnis
hingegen durch die privatrechtlichen Eigentumsabwehransprüche, auf die im
vorgerichtlichen Schriftverkehr auch der Beklagte allein abgestellt hat.
Die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht ist mangels grundsätzlicher
Bedeutung der durch den Fall aufgeworfenen Rechtsfrage nicht zuzulassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung für
das Beschwerdeverfahren bedarf es wegen der insoweit gesetzlich bestimmten
Festgebühr (KV Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 17 a Abs. 4 Satz 4
GVG).
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