Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 19.11.2010

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 RS 5.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 103 Abs 1 GG, § 108 VwGO,
§ 152a VwGO
Anhörungsrüge gegen die richterliche Rechtsfindung als solche
Leitsatz
Erfolglose Anhörungsrüge zum Beschluss vom 19. November 2010 - OVG 1 S 204.10 -
Tenor
Die Anhörungsrüge der Antragstellerin zu 1) gegen den Beschluss des Senats vom 19.
November 2010 - OVG 1 S 204.10 - wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin zu 1) trägt die Kosten des Rügeverfahrens.
Gründe
Die Anhörungsrüge der Antragstellerin zu 1) ist unbegründet. Sie hat nicht dargelegt,
dass der Senat durch den Beschluss vom 19. November 2010 ihren Anspruch auf
rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (vgl. § 152 a Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Der Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die
Gerichte, die Beteiligten im Rahmen der prozessualen Vorgaben zu Wort kommen zu
lassen, ihren Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und ihn bei der Entscheidung zu
berücksichtigen. Das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn das Gericht prozessrechtswidrig
keine Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt oder entscheidungserheblichen Vortrag
übersieht. Die prozessuale Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs bietet hingegen
keinen Schutz vor einer (vermeintlich) falschen Sachverhaltswertung oder
Rechtsanwendung. Dahingehende Rügen betreffen die richterliche Rechtsfindung als
solche, nicht aber den - unter anderem durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten -
äußeren Verfahrensgang. Ebenso wenig verpflichtet der Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs die Gerichte, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der
Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (vgl. hierzu BVerfGE 96, 205, 216 f.).
Nach diesen Grundsätzen hat die Anhörungsrüge im Ergebnis keinen Erfolg. Es kann
offenbleiben, ob der Senat vor Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist zur
Stellungnahme entscheiden durfte. Denn selbst wenn dies nicht anzunehmen wäre,
fehlte es an der Entscheidungserheblichkeit des Gehörsverstoßes (vgl. § 152a Abs. 1 Nr.
2 VwGO). Ein etwaiger Gehörsverstoß wäre nur entscheidungserheblich, wenn es als
nicht ausgeschlossen angesehen werden könnte, dass bei einer vorherigen
Berücksichtigung einer umfänglicheren Beschwerdeerwiderung anders über die
Beschwerde entschieden worden wäre (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar
2009 - 1 BvR 165/09 - juris Rn. 35; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010,
§ 152a Rn. 21). Der Zusammenhang insoweit muss bereits mit der Anhörungsrüge
schlüssig dargelegt werden; das ist nicht der Fall. Unter Berücksichtigung der in der
Sache gemachten Ausführungen der Antragstellerin im Rügeverfahren hält der Senat bei
erneuter Überprüfung an dem angegriffenen Beschluss fest; das Vorbringen der
Antragstellerin in der Rügeschrift und den späteren, im Übrigen außerhalb der
Darlegungsfrist des § 152 a Abs. 2 Satz 1 VwGO eingegangenen Schriftsätzen unter
Einbeziehung des Verweises auf den – freilich durch Senatsbeschluss vom 14. Januar
2011 (OVG 1 S 221.10, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen) geänderten – Beschluss
des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. November 2010 (VG 35 L 395.10) rechtfertigt die
beantragte Änderung des Beschlusses vom 19. November 2010 und die Zurückweisung
der Beschwerde nicht.
Die Antragstellerin kann nicht ernsthaft annehmen, dass der Senat Ausführungen und
Auffassungen in den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts sowie die bindende
Auslegung des Unionsrechts oder die - allerdings nur in Gestalt einer Presseerklärung
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Auslegung des Unionsrechts oder die - allerdings nur in Gestalt einer Presseerklärung
des Bundesverwaltungsgerichts bekannten und in Vorabrezensionen (etwa von Sievers,
www.isa-casinos.de/law/articles/31634, oder Pagenkopf, www.isa-
casinos.de/law/articles/31573) erörterten - Revisionsurteile des
Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2011 nicht berücksichtigen und - soweit
geboten - seiner Entscheidungsfindung zugrundelegen würde. Im Einzelnen:
Mit dem Vorbringen der Antragstellerin zur Frage des Erlaubnisvorbehalts (Seite 9 ff. der
Rügeschrift) hat sich der Senat in dem angegriffenen Beschluss bereits eingehend
auseinandergesetzt, wenn auch nicht mit dem von der Antragstellerin für richtig
gehaltenen Ergebnis (vgl. Seite 5 ff. des Beschlussabdrucks). Ebenso wenig gibt die
Rügeschrift Veranlassung, die Zulässigkeit des Sportwettenmonopols unter
verfassungsrechtlichen sowie unter europarechtlichen Gesichtspunkten (vgl. Seite 5 ff.
der Rügeschrift) anders als in dem angegriffenen Beschluss zu bewerten (vgl. Seite 7 ff.
des Beschlussabdrucks). Das gilt auch in Ansehung der zwischenzeitlich ergangenen
Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C 13.09, 8 C
14.09 und 8 C 15.09, vgl. insoweit Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr.
110/2010 vom 24. November 2010, abrufbar unter www.bverwg.de).
Soweit die Antragstellerin zu 1) schließlich geltend machen will, sie sei nicht im bzw. nicht
über das Internet tätig (vgl. S. 2 der Rügeschrift, S 5 f. des Schriftsatzes vom 10. Januar
2011), hat der Senat sich gerade mit dieser Problematik in der die Antragstellerin
betreffenden Entscheidung befasst und vertiefende Ausführungen dazu gemacht,
weshalb er diese Betrachtung nach dem Sachverhalt für eine gekünstelte Konstruktion
hält. Danach verlieren Wettveranstaltungen, die (auch) im Internet durchgeführt werden,
diesen Charakter nicht dadurch und im Bereich des Landes Berlin, dass ein Vermittler
die Angebote hier ausdruckt und in seinem Büro getätigte Abschlüsse auf diese
Angebote via Internet der Internetveranstaltung zuführt (vgl. zuletzt Senatsbeschlüsse
vom 14. Januar 2011, a.a.O., und vom 13. Dezember 2010 - OVG 1 S 201.10 - Seite 7
des Beschlussabdrucks). Weshalb diese Auffassung „tatsächlich und rechtlich nicht
haltbar“ sein sollte, legt die Rüge nicht dar; sie beruft sich zwar auf angeblich einhellige
Rechtsprechung, vermag aber keine obergerichtlichen Entscheidungen als Belege
anzuführen. Inwiefern die Verbotsnorm in § 4 Abs. 4 GlüStV dabei „exorbitant“
ausgeweitet wird, ist nicht erläutert und erschließt sich dem Senat nicht. Diese Vorschrift
lautet bekanntlich: „Das Veranstalten und Vermitteln von öffentlichen Glücksspielen im
Internet ist verboten“; insofern will eher scheinen, dass die Antragstellerin die Norm
einschränkend interpretieren möchte, was wohl ihrem Interesse, nicht aber Sinn und
Zweck des Gesetzes entsprechen dürfte, der angesichts von § 1 GlüStV über das
allerdings im Vordergrund stehende Ziel der Bekämpfung der Wettsucht deutlich
hinausreicht und auch etwa die Ziele des Verbraucherschutzes vor betrügerischen
Machenschaften und der Kriminalitätsbekämpfung umfassen dürfte, was nicht im
Widerspruch zu Unionsrecht zu stehen scheint (vgl. EuGH, Urteil vom 8. September
2009 - Rs. C-42/07 – Liga Portuguesa, Rn. 69 ff., zur Eignung des Verbots nach dem
GlüStV, Urteil vom 8. September 2010 – Rs. C-46/08 – Carmen Media, Rn. 100 ff). Nach
den dem Senat bekannten Vertragsgestaltungen mit den Wettanbietern können die als
Inhaber der Wettbüros fungierenden Personen keinen bestimmenden Einfluss auf das
Wettangebot nehmen; sie sind – wenn nicht überhaupt nur Bereitsteller von
Internetterminals und Kassenhalter - reine Vermittler zu den Internetveranstaltungen
Dritter. Insoweit ist die Frage nach einer unionsrechtlich zulässigen und im
Glücksspielstaatsvertrag grundsätzlich auch nicht-diskriminierend kodifizierten Erlaubnis
einerseits des Vermittlers andererseits des Veranstalters berechtigt und stellt auch die
Anwendung des umfassenden strafrechtlichen Verbots gemäß § 284 StGB unter
Berufung auf Ausführungen des EuGH (Urteil vom 8. September 2010 – Rs C-316/07 u.a.
- Stoß, Rn. 115; Urteil vom 6. März 2007 – Rs. C-338/04 u.a. – Placanica, Rn. 69) nicht in
Frage. Denn danach setzt die Straflosigkeit bei Nichterfüllung einer
Verwaltungsformalität voraus, dass der Mitgliedstaat die Erfüllung dieser Formalität
unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hätte. Ein solcher
Verstoß liegt nicht vor, wenn bei – unterstellter - Unanwendbarkeit der Bestimmungen
zum staatlichen Veranstaltungsmonopol infolge des Anwendungsvorrangs des
Unionsrechts das Erlaubniserfordernis bestehen bleibt. Davon ist in Ansehung der
übrigen Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrages und des dazu erlassenen
Ausführungsgesetzes vor dem Hintergrund der Regelungsziele allerdings auszugehen,
was handgreiflich dadurch belegt wird, dass das Erlaubniserfordernis ebenso wie die in
den anwendbar bleibenden Bestimmungen enthaltenen materiellen Verbote auch den
staatlichen Monopolveranstalter betreffen.
Die Form der Anhörungsrüge in einigen Wendungen gibt im Übrigen Veranlassung, den
Bevollmächtigten der Antragstellerin um die gebotene Sachlichkeit zu bitten; der vor
Obergerichten bestehende Vertretungszwang durch Bevollmächtigte dient auch dazu,
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Obergerichten bestehende Vertretungszwang durch Bevollmächtigte dient auch dazu,
etwa bestehendes Unverständnis, Missfallen oder Zorn eines unterlegenen Beteiligten in
die gebotene Form eines sachlichen Vortrages zu kanalisieren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf
es im Hinblick auf die gesetzlich bestimmte Festgebühr nicht.
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