Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 25.06.2010

OVG Berlin-Brandenburg: handel mit betäubungsmitteln, öffentliche urkunde, straftat, zustellung, cannabis, bewährung, verbrechen, falschbeurkundung, geständnis, wohnung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 M 73.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 166 VwGO, § 114 ZPO, § 180
ZPO, § 418 ZPO, § 34d Abs 2
Nr 1 GewO
Gewerberecht - Versagung einer Erlaubnis als
Versicherungsmakler wegen rechtskräftiger Verurteilung wegen
eines Verbrechens (mangelnde Zuverlässigkeit)
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom
25. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen die erstinstanzliche Versagung von
Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die
Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO),
ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Es kann offen bleiben, ob die Würdigung des Verwaltungsgerichts zutrifft, die Klage sei
unzulässig, weil sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Widerspruchsbescheids erhoben worden sei. Die Zustellung des Widerspruchsbescheids
erfolgte zwar ausweislich der Zustellungsurkunde im Wege der Ersatzzustellung durch
Einlegen in den Hausbriefkasten des Klägers am 13. März 2010, so dass die am
Mittwoch, den 14. April 2010, bei dem Verwaltungsgericht eingegangene Klage verspätet
wäre. Hiergegen wendet sich der Kläger im Beschwerdeverfahren indes mit dem
Einwand, die Zustellung des Widerspruchsbescheids sei nicht nach § 180 ZPO bewirkt
worden, weil er am Tag der Zustellung, einem Samstag, durchgehend in seiner Wohnung
anwesend gewesen sei, ohne dass ein Postmitarbeiter einen Zustellungsversuch
unternommen habe; dies könne seine ebenfalls anwesend gewesene Ehefrau bezeugen.
Damit zieht der Kläger die in Nr. 9 und 10.1 der Zustellungsurkunde beurkundete
Tatsache, dass die Postmitarbeiterin das Schriftstück zu übergeben versucht hat, die
Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung des Klägers aber nicht möglich war, in
Zweifel.
Die Zustellungsurkunde begründet als öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1
ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Die vom Postzusteller bezeugte
Tatsache ist zwar dem Gegenbeweis zugänglich (vgl. § 418 Abs. 2 ZPO). Zur
Substantiierung des nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässigen Beweisantritts für die
Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde beurkundeten Tatsache muss allerdings eine
gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache dargelegt
werden; schlichtes Bestreiten genügt nicht. Die dargelegten Umstände müssen geeignet
sein, ein Fehlverhalten des Postzustellers und damit eine Falschbeurkundung in der
Zustellungsurkunde zu belegen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. März 1992 - 2 B 22.92
- juris Rn. 4; vom 12. Dezember 1991 - 5 B 64.91 - juris Rn. 1; vom 16. Mai 1986 - 4 CB
8.86 - juris Rn. 3; Urteil vom 13. November 1984 - 9 C 23.84 -, NJW 1985, 1179, 1180;
vgl. ferner BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2000 - X ZB 13/00 - juris Rn. 5; vom 28. Juli
1999 - VIII ZB 3/99 - juris Rn. 12). Ob der Vortrag des Klägers diesen Anforderungen
genügt, so dass im Klageverfahren der Frage einer möglichen Falschbeurkundung ggf.
durch Beweiserhebung weiter nachzugehen wäre, bedarf keiner Entscheidung.
Denn unbeschadet einer etwaigen Verfristung hätte die Klage nach der im Verfahren
über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gebotenen summarischen Prüfung
voraussichtlich in der Sache keinen Erfolg. Auf dieser Grundlage spricht alles dafür, dass
die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Erlaubnis als
Versicherungsmakler nach § 34 d Abs. 1 GewO zu Recht abgelehnt hat. Nach § 34 d Abs.
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Versicherungsmakler nach § 34 d Abs. 1 GewO zu Recht abgelehnt hat. Nach § 34 d Abs.
2 Nr. 1 GewO ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen,
dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht
besitzt; die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt in der Regel nicht, wer in den letzten fünf
Jahren vor Stellung des Antrages u.a. wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt
worden ist. Das ist hier der Fall. Das Amtsgericht Tiergarten von Berlin verurteilte den
Kläger am 29. Februar 2008 wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln
(Cannabis) in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge (Cannabis) in der Zeit vom 1. Dezember 2006 bis 8. März 2007
rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt wurde. Der hier einschlägige Straftatbestand des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG
(unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) ist als
Verbrechen ausgestaltet, weil die Tat im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr
bedroht ist (vgl. § 12 Abs. 1 StGB). Danach sind die Voraussetzungen für den
Regelversagungsgrund des § 34 d Abs. 2 Nr. 1 GewO gegeben.
Die hiervon abweichende Annahme der Zuverlässigkeit für das
Versicherungsvermittlungsgewerbe vor Ablauf der 5-Jahres-Frist bedarf besonderer
Rechtfertigung. Diese kann sich aus der Straftat oder aus dem Verhalten des
Betroffenen nach der Straftat und nach der Verurteilung ergeben, wobei eine seit der
Verurteilung straffreie Führung nicht ausreicht (zur entsprechenden Regelvermutung in §
34 c Abs. 2 Nr. 1 GewO vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 1984 - OVG Bf VI
40/84 -, GewArch 1985, 265, 266). Ob eine Ausnahme von der Regelvermutung vorliegt,
hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Marcks, in: Landmann/Rohmer,
Gewerbeordnung, § 34 c Rn. 92; s. a. Schönleiter, ebd., § 34 d Rn. 66 ff.).
Es ist auch in Ansehung der vom Kläger vorgetragenen Umstände nicht ersichtlich, dass
die gesetzliche Regelvermutung in seinem Fall ausnahmsweise nicht greifen würde. Die
als Besonderheiten geltend gemachten Umstände sind nicht geeignet, die gesetzliche
Regelvermutung für die Unzuverlässigkeit zu widerlegen. Sie begründen keinen
atypischen Sachverhalt, der es rechtfertigen würde, den Kläger trotz der rechtskräftigen
Verurteilung wegen eines Verbrechens bereits vor Ablauf der 5-Jahres-Frist als
zuverlässig anzusehen.
Nach dem im Urteil des Amtsgerichts vom 29. Februar 2008 festgestellten Sachverhalt
hat der Kläger gemeinschaftlich mit einer weiteren Person in drei Wohnungen jeweils
Cannabis-Pflanzen aufgezogen, um das aus der Aufzucht zu erwartende Cannabis
gewinnbringend weiterzuverkaufen. Bei der Strafzumessung hat das Gericht dem Kläger
sein umfassendes Geständnis strafmildernd zugute gehalten. Das Urteil enthält ferner
die Feststellung, dass sich der bis dahin unbestrafte Kläger sowie der ebenfalls
verurteilte Mittäter aufgrund erheblicher Schwierigkeiten im Rahmen ihrer
Versicherungsmaklertätigkeit zu ihren Taten veranlasst gesehen hätten. Die Gründe des
Strafurteils lassen keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die vom Kläger begangene
Straftat wegen ihrer Besonderheiten nicht geeignet wäre, die gesetzliche
Regelvermutung zu rechtfertigen.
Zwar handelt es sich bei dem begangenen Delikt nicht um eine Straftat aus dem
Bereich der Eigentums- oder Finanzkriminalität. Der Bundesgesetzgeber ist insoweit bei
der Umsetzung der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 9. Dezember 2002 über Versicherungsvermittlung (ABl. EG Nr. L 9 vom 15. Januar
2003, S. 3; vgl. auch BTDrucks 16/1935, S. 18) über deren Mindestanforderungen
hinausgegangen, indem er neben Straftaten aus dem Bereich der Eigentums- oder
Finanzkriminalität (vgl. Artikel 4 Abs. 2 erster Unterabsatz Satz 2 der Richtlinie) auch die
Verurteilung wegen eines Verbrechens als die Zuverlässigkeit regelmäßig
ausschließenden Versagungsgrund in § 34 d Abs. 2 Nr. 1 GewO aufgenommen hat.
Damit hat der Gesetzgeber die Versagungsgründe für das
Versicherungsvermittlungsgewerbe an bereits vorhandene Tatbestände anderer
gewerblicher Bereiche in der Gewerbeordnung angeglichen (vgl. etwa § 34 b Abs. 4 Nr. 1
- Versteigerergewerbe, § 34 c Abs. 2 Nr. 1 GewO - Makler, Bauträger, Baubetreuer).
Auch wenn die vom Kläger begangene Straftat nicht in unmittelbarem Zusammenhang
mit der beabsichtigten gewerblichen Tätigkeit steht, stellt das Strafurteil immerhin eine
Verbindung hiermit her, indem es darauf verweist, dass sich der Kläger aufgrund
erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten im Rahmen der Versicherungsmaklertätigkeit
zu seinen Taten veranlasst gesehen habe. Die Stellungnahme des Klägers vom 15. März
2009 bestätigt diese Einschätzung, wonach er den Handel mit Betäubungsmitteln aus
„Frustration“, „Dummheit“ und als „Trotzreaktion“ ob der - seiner Ansicht nach
unverschuldet - eingetretenen finanziellen Zwangslage begonnen habe. Ungeachtet
dessen sollte mit der Einordnung des Straftatbestands nach § 29 a BtMG als Verbrechen
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dessen sollte mit der Einordnung des Straftatbestands nach § 29 a BtMG als Verbrechen
deutlich gemacht werden, dass der illegale Umgang mit Betäubungsmitteln in nicht
geringen Mengen stets und nicht erst nach einer Gesamtabwägung von Tat und Täter
außerordentlich verwerflich ist (vgl. Weber, Betäubungsmittelgesetz, 3. Aufl. 2009, § 29 a
Rn. 37). Das Gewicht der dem Kläger zur Last fallenden Straftat wird durch sein
umfassendes Geständnis jedenfalls aus gewerberechtlicher Sicht nicht gemindert.
Gleiches gilt für den Umstand, dass die zweijährige Freiheitsstrafe zur Bewährung
ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wurde; die dem zugrunde
liegende günstige Sozialprognose des Strafgerichts orientiert sich an den in § 56 StGB
festgelegten Maßstäben und rechtfertigt nicht die Annahme, der Kläger verfüge zugleich
auch über die gewerberechtlich erforderliche Zuverlässigkeit, die sich nach spezifisch
gewerberechtlichen Grundsätzen bemisst.
Dass der Kläger eigenen Angaben zufolge in seiner bisherigen Tätigkeit einen großen
Mandantenstamm erworben hat und ihm im Hinblick auf die bisher konkret ausgeübte
Tätigkeit kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist, rechtfertigt ebenfalls keine vom Regelfall
abweichende Beurteilung. Denn der hier einschlägige Versagungsgrund des § 34 d Abs.
2 Nr. 1 GewO betrifft nicht tätigkeitsspezifische Umstände, sondern solche, die nicht in
unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung der angestrebten Tätigkeit als
Versicherungsvermittler stehen und die der Gesetzgeber gleichwohl als gleichermaßen
gewichtig befunden hat, um die Annahme der Unzuverlässigkeit für die Ausübung des
Versicherungsvermittlungsgewerbes regelmäßig zu tragen (vgl. auch Schulze-Werner, in:
Friauf, Gewerbeordnung, § 34 d Rn. 37).
Der Hinweis des Klägers auf sein außerberufliches Engagement ist ebenfalls nicht
geeignet, die gesetzliche Regelvermutung maßgeblich zu erschüttern. Sein Einsatz für
die Gleichstellung von Ausländern in der Versicherungswirtschaft lässt ebenso wenig wie
seine Eignung als Kommandierender einer Jagdkampfeinheit der österreichischen
Streitkräfte durchgreifende Rückschlüsse darauf zu, dass er das angestrebte Gewerbe
entgegen der gesetzlichen Regelvermutung zukünftig ordnungsgemäß ausüben würde.
Die vom Kläger selbst angeführten eigenen Verdienste in Lebensbereichen außerhalb
des Versicherungsvermittlungsgewerbes sind auch bei der für die
Zuverlässigkeitsprüfung anzustellenden Gesamtschau mit den vorerwähnten Aspekten
insgesamt nicht geeignet, die gesetzliche Regelvermutung der Unzuverlässigkeit zu
widerlegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer
Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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