Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 24.09.2007

OVG Berlin-Brandenburg: satzung, rechtsgrundlage, vollstreckung, kirche, zahl, rechtssicherheit, gesetzesänderung, vollstreckbarkeit, sammlung, quelle

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 9 B 65.08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 8 Abs 6 S 3 KAG BB vom
17.12.2003
Keine Heilung eines Ausgangsbescheides durch nachträgliches
Inkrafttreten einer Satzung; es ist fraglich, ob eine mittelbare
Anknüpfung an das Nutzungsmaß nach Inkrafttreten des KAG
BB § 8 Abs 6 S 3, Fassung 2003 zulässig bleibt
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder)
vom 24. September 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Abwasseranschlussbeitrag für
den im Jahr 2002 erfolgten Anschluss seines Grundstücks an die zentrale öffentliche
Abwasserentsorgungsanlage.
Der von dem Beklagten vertretene Zweckverband beschloss erstmals am 26. Mai 1993
eine Gebühren- und Beitragssatzung (GBS-ES 1993). Die nachfolgende Beitrags- und
Gebührensatzung vom 16. Juli 1997 (BGS-ES 1997) maß sich Geltung ab dem Tag ihrer
Bekanntmachung bei und enthielt eine Tiefenbegrenzungsregelung. Eine
Tiefenbegrenzungsregelung enthielt gleichfalls die Beitrags- und Gebührensatzung vom
11. Dezember 2001 (BGS-ES 2002), die ein In-Kraft-Treten zum 1. Januar 2002
bestimmte. Die am 5. November 2002 beschlossene Beitrags- und Gebührensatzung für
den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis 31. Dezember 2002 (BGS-ES 1996-2002) trat
rückwirkend zum 1. Januar 1996 in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2002 außer
Kraft. Ebenfalls am 5. November 2002 wurde die Beitrags- und Gebührensatzung mit
Wirkung ab dem 1. Januar 2003 (BGS-ES 2003)beschlossen. Diese wurde von der am 17.
August 2004 beschlossenen und am 21./22. August 2004 öffentlich bekannt gemachten
Beitrags- und Gebührensatzung abgelöst, die nach ihrem § 30 zum 1. Juli 2004 in Kraft
trat (BGS-ES 2004). Am 28. Januar 2009 wurde eine neue Beitrags- und
Gebührensatzung mit Wirkung ab dem 1. Februar 2009 beschlossen (BGS-ES 2009).
Der Beklagte zog den Kläger mit Bescheid vom 17. November 2003 zu einem
Abwasseranschlussbeitrag in Höhe von 3 000,14 EUR heran. Den dagegen eingelegten
Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2004 zurück.
Der Kläger hat am 25. Oktober 2004 (Montag) Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht
hat der Klage durch Urteil vom 24. September 2007 mit der Begründung stattgegeben,
dass es dem angegriffenen Bescheid an einer satzungsmäßigen
Ermächtigungsgrundlage fehle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat durch Beschluss vom 23. April 2008
zugelassene Berufung des Beklagten, zu deren Begründung er u. a. ausführt, dass
zumindest die BGS-ES 2004 eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei.
Der Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder)
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die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder)
vom 24. September 2007 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und die von dem Beklagten eingereichten Satzungsunterlagen und
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den
angegriffenen Bescheid des Beklagten zu Recht aufgehoben. Der Bescheid ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 -
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
Dem angegriffenen Bescheid fehlt es an der nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des
Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg - KAG - erforderlichen
satzungsrechtlichen Grundlage.
Die Rechtswirksamkeit der BGS-ES 2009 kann dahingestellt bleiben. Diese Satzung
kommt vorliegend als Rechtsgrundlage nicht in Betracht, da sie erst nach dem Ergehen
des Beitragsbescheides sowie des Widerspruchsbescheides in Kraft getreten ist. Ein
ohne ausreichende Satzungsgrundlage erlassener Abgabenbescheid ist zwar durch den
nachträglichen Erlass einer Satzung grundsätzlich heilbar. Ob eine Heilung nur eintritt,
wenn sich der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Satzung mit dem des Erlasses des
Ausgangsbescheides bzw. zumindest des Widerspruchsbescheides deckt oder eine zu
einem späteren Zeitpunkt wirksam werdende Satzung ausreichen kann, beantwortet
sich nach dem einschlägigen materiellen Recht (BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - 8 C
87/88 -, juris). Nach der Rechtsprechung des Senats bedarf es für einen
Abgabenbescheid nach dem Kommunalabgabengesetz einer Abgabensatzung, die
spätestens für den Zeitpunkt seines Wirksamwerdens bzw. des Erlasses des
Widerspruchsbescheides Geltung hat (Urteil vom 9. September 2009 - OVG 9 B 60.08 -,
juris). Diese Voraussetzung erfüllt die BGS-ES 2009 im Hinblick auf den angefochtenen
Bescheid nicht.
Als Rechtsgrundlage scheidet auch die BGS-ES 2004 aus. Sie misst sich zwar Geltung für
den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides zu, ist jedoch wegen Verstoßes
gegen das Kommunalabgabengesetz unwirksam.
Nach der am 1. Februar 2004 in Kraft getretenen Änderung des § 8 Abs. 6 Satz 3 KAG
durch Art. 5 des Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen
Aufgaben vom 17. Dezember 2003 (Zweites Entlastungsgesetz; GVBl. I S. 294, 296) darf
die Vorteilsbemessung in Bezug auf Beiträge bei leitungsgebundenen Einrichtungen und
Anlagen nur noch nach dem Maß der baulichen oder sonstigen Nutzung, nicht aber nach
der Art der Nutzung erfolgen. Diese Gesetzesänderung, die nach der
Übergangsregelung des § 18 KAG in der Fassung des Zweiten Entlastungsgesetzes
vorliegend jedenfalls seit dem 1. Juli 2004 und damit für die BGS-ES 2004 gilt, lässt es
als fraglich erscheinen, ob Regelungen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung
Differenzierungen enthalten dürfen, die ihrerseits doch noch an die Nutzungsart
anknüpfen. Mit Blick hierauf könnte § 5 Abs. 4 Buchstabe a BGS-ES 2004 unwirksam
sein. Nach dieser Bestimmung gelten Grundstücke, die mit einer Kirche bebaut sind, als
eingeschossig bebaubar. Hierin liegt eine Abweichung von den allgemeinen Regelungen
des § 5 Abs. 1 und 2 BGS-ES 2004, weil nicht wie dort auf die zulässige, sondern auf die
vorhandene Bebauung abgestellt wird; diese Abweichung könnte artbezogen und danach
unzulässig sein.
Das muss hier aber nicht weiter geklärt werden. Denn jedenfalls sind § 4 Abs. 1 Satz 2
und Abs. 3 BGS-ES 2004 wegen Verstoßes gegen § 8 Abs. 6 Satz 3 KAG nichtig. Die
Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 2 BGS-ES 2004 sieht vor, dass die Vorteilsbemessung
nach der Zahl der zulässigen Vollgeschosse "und der Art der zulässigen Nutzung"
erfolgt. Nach § 4 Abs. 3 BGS-ES 2004 wird bei Grundstücken, die aufgrund ihrer
Zweckbestimmung nur untergeordnet bebaubar sind (z. B. Sportplätze, Freibäder,
Friedhöfe und Dauerkleingärten), sowie bei Grundstücken, auf denen nur Stellplätze und
Garagen errichtet werden können, die Grundstücksfläche abweichend von § 4 Abs. 2
BGS-ES 2004 [lediglich] mit 0,5 multipliziert; dies wird durch einen weiteren
Klammerzusatz als "Artabschlag" bezeichnet. Nach dem klaren und erkennbar
aufeinander bezogenen Wortlaut beider Bestimmungen hat der Satzungsgeber
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aufeinander bezogenen Wortlaut beider Bestimmungen hat der Satzungsgeber
vorliegend eindeutig ein Regelungssystem wählen wollen, das die Vorteile auch nach der
Art der baulichen Nutzung bemisst, obwohl dies unzulässig ist. Eine Zulässigkeit der
genannten Bestimmungen lässt sich auch nicht mit dem Argument begründen, dass § 4
Abs. 3 BGS-ES 2004 zwar formal einen Artabschlag regele, der Sache nach aber nur
Grundstücke betreffe, bei denen mit der besonderen Nutzungsart stets auch ein
besonderes niedriges Nutzungsmaß einhergehe, so dass es sich in Wahrheit nur um
eine unglücklich formulierte, aber rechtlich zulässige Regelung zum Nutzungsmaß
handele. Dem steht bereits entgegen, dass es mit dem Prinzip von Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit nicht vereinbar ist, Regelungen entgegen einer vom Satzungsgeber selbst
ausdrücklich getroffenen Einordnung auszulegen. Abgesehen davon bleibt festzuhalten,
dass die in § 4 Abs. 3 BGS-ES 2004 beispielhaft aufgezählten Grundstücke zwar
durchaus häufig ein eher niedriges Nutzungsmaß aufweisen, dass dies aber nicht für alle
Fälle etwa von Dauerkleingärten, Sportplätzen oder Freibädern zwingend ist. Vielmehr
können derartige Grundstücke ein Maß zulässiger baulicher Nutzbarkeit aufweisen, das
auch in Ansehung der Grundstücksfläche mehr als nur untergeordnet ist. Der in § 4 Abs.
3 BGS-ES 2004 geregelte Artabschlag kann danach keineswegs allein mit dem niedrigen
Nutzungsmaß begründet werden, sondern es handelt sich auch bei materiell-rechtlicher
Betrachtung um einen echten und damit unzulässigen Artabschlag.
Die genannten Regelungen sind danach nichtig. Das führt auch mit Blick auf den insoweit
anwendbaren Rechtsgedanken des § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit der Satzung. Dabei
kann offen bleiben, ob die Satzung ohne die genannten Vorschriften überhaupt eine
vollständige Maßstabsregelung enthielte. Wenn dem so wäre, müsste mit Blick auf die
verbleibenden Maßstabsregelungen davon ausgegangen werden, dass Grundstücke
jeweils mindestens mit dem Nutzungsfaktor 1,0 zu bewerten wären. Dass der
Satzungsgeber dieses bei Kenntnis der Unzulässigkeit der in § 4 Abs. 3 BGS-ES 2004
getroffenen Regelungen so geregelt hätte, steht indessen nicht fest. Vielmehr liegt
durchaus nahe, dass er eine Regelung getroffen hätte, in der bestimmte Grundstücke
allein auf Grund ihres Nutzungsmaßes mit einem geringeren Nutzungsfaktor als 1,0
bewertet worden wären.
Die vor dem In-Kraft-Treten des Zweiten Entlastungsgesetzes erlassenen
Beitragssatzungen des Zweckverbandes sind einschließlich ihrer unselbständigen
Änderungssatzungen gleichfalls unwirksam und stellen ungeachtet etwaiger
satzungsrechtlicher Regelungen zum Außer-Kraft-Treten der Vorgängersatzungen keine
geeignete Rechtsgrundlage für die Erhebung der streitigen Beiträge dar (Urteil des
Senats vom 9. September 2009, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711
Zivilprozessordnung - ZPO -.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht
vorliegen.
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