Urteil des OLG Stuttgart vom 18.02.2016

erstreckung, bewilligungsverfahren, ausnahme, zustandekommen

OLG Stuttgart Beschluß vom 18.2.2016, 8 WF 339/15
Leitsätze
Die Formulierung, dass die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss
einer Vereinbarung erstreckt wird, kann auch außerhalb der Regelung des § 48 Abs. 3
RVG dazu führen, dass dem beigeordneten Rechtsanwalt für einen Mehrvergleich
über nicht rechtshängige Ansprüche eine Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr
aus der Staatskasse zu erstatten sind.
Tenor
1. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Nagold vom 16.11.2015 (1 F 128/15) wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1 Zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner war unter dem im Rubrum
genannten Aktenzeichen ein Familienverfahren wegen Trennungsunterhalts
anhängig, sowie unter dem Aktenzeichen 1 F 73/15 ein Scheidungsverfahren. In
der mündlichen Verhandlung vom 27.08.2015 zum Unterhaltsverfahren haben die
damaligen Eheleute nach ausführlicher Erörterung der gesamten familiären und
finanziellen Situation einen Vergleich zur Regelung des Trennungsunterhalts und
der Scheidungsfolgen geschlossen (Kindesunterhalt, nachehelicher Unterhalt,
Wohnungsrecht; Versorgungsausgleich). Auf Antrag hat der Familienrichter die der
Antragstellerin bereits für das Trennungsunterhaltsverfahren bewilligte
Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss der getroffenen Vereinbarung erstreckt.
2 Auf die Erinnerung der Verfahrensbevollmächtigten hat der Familienrichter den
Festsetzungsbeschluss des Rechtspflegers abgeändert und ihr auch die
Erstattung einer Differenzverfahrensgebühr und einer Differenzterminsgebühr
hinsichtlich der nicht anhängigen, aber in die Vereinbarung einbezogenen
Gegenstände zugesprochen.
3 Dagegen wendet sich die Bezirksrevisorin unter Hinweis auf die überwiegende
Auffassung unter den Oberlandesgerichten und auf eine Entscheidung des
Bundesgerichtshof zum Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren (NJW 2004, 2595).
Anders als im Scheidungsverbundverfahren stehe dem beigeordneten
Rechtsanwalt bei einem Mehrvergleich über nicht rechtshängige Gegenstände in
Zivilverfahren und isolierten Familienverfahren lediglich die Einigungsgebühr aus
dem erhöhten Wert zu. Im Falle einer uneingeschränkten Beiordnung zum
Mehrwert des Vergleichs würde im Ergebnis die Bewilligung von
Verfahrenskostenhilfe erfolgen, ohne dass die zuvor nach §§ 113, 114 ZPO
erforderliche Prüfung der Erfolgsaussicht erfolgt sei. § 48 Abs 3 RVG sei als
ausdrückliche Spezialregelung, wie jedenfalls durch die Neuregelung durch das 2.
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz klargestellt sei, nicht analogiefähig.
II.
4 Die nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 bis 8 RVG zulässige Beschwerde hat in der
Sache keinen Erfolg. Der Senat teilt die Auffassung des Familienrichters, dass sich
die Erstreckung der Beiordnung durch den Beschluss im Termin vom 27.08.2015
auf alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten bezieht, also
auch auf die angefallene 0,8 - Verfahrensgebühr (Nr. 3101 Ziff. 2 VV RVG) und die
Differenzterminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG.
5 Gemäß § 48 Abs. 1 RVG richtet sich der Vergütungsanspruch des im Wege der
Verfahrenskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts nach dem Beschluss, durch
den Verfahrenskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.
Die Frage nach der Erstattung zweifelsfrei angefallener Gebühren ist daher in
erster Linie eine solche nach der Auslegung des Bewilligungsbeschlusses (OLG
Köln, Beschluss vom 29.04.2013 - 25 WF 235/12, AGS 2013, 350).
6 Vor der Neufassung des § 48 Abs. 3 RVG durch das 2.
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz war (auch) bei Mehrvergleichen in
Ehesachen in der Rechtsprechung streitig, ob sich die Beiordnung in der
Ehesache auch auf die durch den Abschluss des Vergleichs ausgelöste
Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr erstreckt (vgl. dazu
Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Aufl., § 48 Rn. 164 ff; AnwK-RVG /
Fölsch/Schafhausen/N. Schneider/Thiel § 48 Rn. 15; bejahend OLG
Stuttgart/Senat FamRZ 2008, 1010). Diesen Streit hat der Gesetzgeber durch die
Neufassung von § 48 Abs. 3 RVG dahingehend entschieden, dass im Falle eines
Vertragsabschlusses alle in diesem Zusammenhang anfallenden Gebühren zu
erstatten sind. Nur auf diese Weise erhielten Parteien mit geringem Einkommen die
gleiche Möglichkeit, ihre Streitigkeiten umfangreich beizulegen wie Parteien mit
ausreichend hohem Einkommen (BT-Drs. 17/11471 S. 470).
7 Für den Mehrvergleich außerhalb von Ehesachen (§ 48 Abs. 5 RVG) blieb die
Frage, ob im Falle einer ausdrücklichen Erstreckung der Beiordnung auf den
Abschluss einer getroffenen Vereinbarung dadurch auch die Erstattung der
Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr erfasst ist, streitig (verneinend, meist mit
Hinweis auf ein Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 48 RVG, u.a.: OLG Celle - 10 WF
28/15, AGS 2015, 236; OLG Dresden AGS 2015, 289; OLG Koblenz AGS 2014,
1877; OLG Köln - 12 WF 130/14, AGS 2015, 89; bejahend: OLG Celle - 15 UF
166/13, AGS 2014, 580; N.Schneider NZFam 2015, 231; AnwK-RVG a.a.O;
Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O. Rn. 168 ff.).
8 Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
9 Ausgangspunkt ist gemäß § 48 Abs. 1 RVG der die Beiordnung aussprechende
Beschluss. Schon bisher lag es nahe, dass von Formulierungen wie „für den
Abschluss eines Vergleichs“ oder „auf den Abschluss der getroffenen
Vereinbarung erstreckt“ nicht nur die Einigungsgebühr, sondern auch die
Verfahrens- und die Terminsdifferenzgebühr erfasst sein sollen, weil der
Vergleichsabschluss selbst eine 0,8-Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr
auslöst (Gerold/Schmidt a.a.O. Rn. 181; Thiel AGS 2014, 351; OLG Köln AGS
2013, 350) . Das gilt und galt - auch nach Auffassung des Senats (FamRZ 2008,
1010) - jedenfalls im Zusammenhang mit § 48 Abs. 3 RVG. Wenn in
Beiordnungsbeschlüssen außerhalb von § 48 Abs. 3 RVG die gleiche
Formulierung verwendet wird, ist in der Regel davon auszugehen, dass das
Gericht damit dasselbe meint (Gerold/Schmidt a.a.O. Rn. 170). Der entscheidende
Unterschied zwischen § 48 Abs. 3 RVG und § 48 Abs. 5 RVG liegt darin, dass § 48
Abs. 3 RVG in Ehesachen die Erstreckung der Verfahrenkostenhilfe auf den
Abschluss des Mehrvergleichs kraft Gesetzes anordnet, während § 48 Abs. 5 RVG
in anderen mit dem Hauptverfahren zusammenhängenden Angelegenheiten eine
ausdrückliche Erstreckung durch gerichtlichen Beschluss verlangt. Hat das Gericht
auf Antrag die Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss des
Mehrvergleichs bewilligt, besteht kein zwingender Grund die Fallkonstellationen
unterschiedlich zu behandeln. Insbesondere bestünde der vom Bundesgerichtshof
(NJW 2004, 2595) angenommene Wertungswiderspruch (im PKH-
Bewilligungsverfahren könne eine Beiordnung nur für die Einigungsgebühr
erfolgen) auch bei der gesetzlichen Erstreckung nach § 48 Abs. 3 RVG
(ausführlich dazu Gerold/Schmidt a.a.O Rn. 172 -174). Davon abgesehen
erscheint zweifelhaft, ob die Rechtsprechung zum PKH-Bewilligungsverfahren auf
den Mehrvergleich im Zusammenhang mit einem Hauptsacheverfahren
übertragbar ist (so auch Thiel AGS 2014, 351).
10 Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Begründung des Gesetzgebers zwar im
Zusammenhang mit der Einigung in Ehesachen erfolgt ist, aber so gefasst ist, dass
sie auch auf Mehrvergleiche in anderen Verfahren passt (Gerold/Schmidt a.a.O.
Rn 174). Im hier zu beurteilenden Verfahren kommt hinzu, dass Gegenstand des
Mehrvergleichs eine Vereinbarung zu Gegenständen beinhaltet, die in § 48 Abs. 3
RVG genannt sind, wenngleich das Bezugsverfahren keine Ehesache, sondern
ein Unterhaltsverfahren war.
11 Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Umfang die Verfahrenskostenhilfe
auf nicht anhängige Gegenstände erstreckt werden kann, ist dem Richter weder
verwehrt noch unmöglich, die Voraussetzungen von Verfahrenskostenhilfe nach §
114 ZPO zu prüfen. Insbesondere muss die Rechtsverfolgung bzw. die
Rechtsverteidigung auch für den noch nicht rechtshängigen Gegenstand Aussicht
auf Erfolg haben und darf nicht mutwillig erscheinen, wobei die Erfolgsaussicht
nicht schon darin besteht, dass das Zustandekommen eines Vergleichs zu
erwarten ist (AnwK - RVG a.a.O. Rn. 14).
12 Solange in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird, ob die Formulierung
„für den Abschluss einer Vereinbarung“ - wie vom Senat für ausreichend erachtet -
sich auch auf die Differenzverfahrens- und Differenzterminsgebühr erstreckt,
empfiehlt es sich, bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Erstreckung der
Verfahrenkostenhilfe in Fällen des § 48 Abs. 5 RVG die Formulierung der
Bewilligungsentscheidung an § 48 Abs. 3 S. 1 RVG zu orientieren.
13 Die Beschwerde der Bezirksrevisorin ist danach als unbegründet zurückzuweisen.
14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 RVG.