Urteil des OLG Stuttgart vom 06.11.2014

treu und glauben, rückabwicklung, vertragsschluss, versicherungsnehmer

OLG Stuttgart Urteil vom 6.11.2014, 7 U 147/10
Altvertrag über eine Kapital-Rentenversicherung: Widerspruch des als
Versicherungsvertreter tätigen Versicherungsnehmers mehrere Jahre nach
Vertragsschluss wegen unzureichenden Hinweises auf das gesetzliche
Widerspruchsrecht
Leitsätze
Ein Versicherungsvertreter, der das Recht zum Widerspruch bei Abschluss eines
Versicherungsvertrages kennt, handelt rechtsmißbräuchlich, wenn er sich nach
Jahren auf sein Recht zum Widerspruch beruft, weil das ihm übersandte
Policenbegleitschreiben keinen drucktechnisch hervorgehobenen Hinweis auf dieses
Widerspruchsrecht enthalten habe.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom
13.07.2010 - 22 O 587/09 - wird
zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Kosten des Revi-
sionsverfahrens und des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert:
bis 20.10.2014: 22.272,56 EUR
danach: 5.211,04 EUR
Gründe
I.
1 Die Berufung des Klägers richtet sich - nach der Zurückverweisung durch den
Bundesgerichtshof - noch gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart soweit
hierdurch seine Ansprüche auf bereicherungsrechtlicher Grundlage abgewiesen
worden waren.
2 Mit Wirkung zum 01.12.1998 schloss der Kläger - der zum damaligen Zeitpunkt
und bis Ende 2006 als Versicherungsvertreter gemäß §§ 84 ff. HGB für die
Beklagte tätig war - bei der Beklagten eine Kapital-Rentenversicherung mit
aufgeschobener Rentenzahlung ab. Es wurde eine jährliche Beitragszahlung in
Höhe von damals 20.000,00 DM (entspricht 10.225,84 EUR) vereinbart. Die
Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Anlage K 3, Bl. 27 ff d. A.) und die
Verbraucherinformation nach § 10 a VAG a. F. erhielt der Kläger erst mit dem
Versicherungsschein und einem Begleitschreiben vom 17.11.1998 (vgl. Bl. 209 ff.
d. A.: Reproduktion der bei der Beklagten digital gespeicherten
Vertragsunterlagen).
3 Der Kläger hat für die Jahre 1998 bis 2002 jeweils die jährlichen Beiträge geleistet.
Mit Mitteilung vom 05.12.2002, 9.45 Uhr (Anlage BLD 9, Bl. 253 d.A.), hat der
Kläger bei der Beklagten die beitragsfreie Weiterführung des Vertrages beantragt
und um Rücküberweisung des letzten Jahresbeitrages gebeten.
4 Im Jahre 2004 nahm der Kläger einen Änderungsvorschlag der Beklagten vom
14.09.2004 (Bl. 357 ff. d.A.) mit Erklärung vom 17.09.2004 (Bl. 361 d.A.) an und
leistete für die Zeit vom 01.12.2002 bis 30.11.2003 einen weiteren Jahresbeitrag in
Höhe von 10.225,84 EUR. Insgesamt zahlte der Kläger Prämien in Höhe von
51.129,20 EUR (vgl. Anlage K 1, Bl. 24 d.A.).
5 Am 01.06.2007 kündigte der Kläger den Vertrag zum 31.08.2007 und die Beklagte
zahlte am 14.09.2007 einen Rückkaufswert in Höhe von 52.705,05 EUR (vgl.
Anlage 1, Bl. 62 d.A. bzw. Anlage BLD 4, Bl. 327 f. d.A. ) aus, wobei unstreitig
keine Stornokosten abgezogen wurden.
6 Mit Anwaltsschreiben vom 31.03.2008 erklärte der Kläger der Beklagten
gegenüber den Widerspruch nach § 5 a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. sowie den „Widerruf“
und forderte die Beklagte zur Rückerstattung der unbezifferten Beiträge und
Zinsen auf (Anlage K 5, Bl. 41 ff. d.A.).
7 Erstinstanzlich hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass kein wirksamer
Vertrag zu Stande gekommen sei, weil § 5 a VVG a.F. gegen Europarecht
verstoße. Zudem sei der Vertrag nach § 306 Abs. 3 BGB unwirksam, weil die
wesentlichen Vertragsklauseln überraschend und mehrdeutig und darüber hinaus
intransparent seien. Aufgrund der Europarechtswidrigkeit des § 5 a VVG sei das
Widerspruchsrecht nicht erloschen. Dieses sei aufgrund der vorangegangenen
Kündigung auch nicht ausgeschlossen. Die Kündigungserklärung sei in einen
wirksamen Widerspruch umzudeuten. Erstinstanzlich hatte der Kläger auch einen
Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsabschluss sowie
hilfsweise eine Stufenklage auf Auskunft und noch zu beziffernde Zahlung geltend
gemacht. Als Hauptanspruch hat der Kläger aufgrund seiner Zinsberechnung
(Anlage K 2, Bl. 25 f d.A.) und unter Berücksichtigung der nach der Kündigung
erhaltenen Zahlung einen restlichen Zahlungsanspruch in Höhe von 22.272,56
EUR gegenüber der Beklagten geltend gemacht.
8 Die Beklagte ist der Klage erstinstanzlich entgegengetreten mit dem Hinweis
darauf, dass ein Widerspruch nach Kündigung des Vertrages nicht in Betracht
komme. Darüber hinaus sei nach § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. das
Widerspruchsrecht erloschen.
9 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand
des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 13.07.2010 (Bl. 95 ff. d.A.) Bezug
genommen.
10 Das Landgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen,
dass der Vertrag spätestens 1 Jahr nach Zahlung der ersten Jahresprämie
rückwirkend wirksam geworden und das Widerspruchsrecht erloschen sei. Wegen
der rechtlichen Erwägungen und der Begründung des Landgerichts im Einzelnen
wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.
11 Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers, mit der er den Hilfsantrag nicht
mehr weiter verfolgt hatte, hat der Senat mit Urteil vom 31.03.2011 (Bl. 220 ff. d.A.)
zurückgewiesen und die Auffassung des Landgerichts geteilt. Im Urteil hat der
Senat die Revision beschränkt auf die Rechtsfrage, ob die Vorschriften des § 5 a
VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung den Regelungen der
Europäischen Union entsprechen, zugelassen.
12 Auf die gegen das Urteil des Senats eingelegte unbeschränkte Revision hat der
Bundesgerichtshof zunächst mit Beschluss vom 28. März 2012 (Bl. 85 ff. d.A des
BGH - VersR 2012, 608) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der
Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
13 „Ist Art. 15 Abs. 1 S. 1 der Zweiten Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 08.
November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die
Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen
Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie
79/267/EWG (Zweite Richtlinie Lebensversicherung) unter Berücksichtigung des
Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG vom 10. November 1992 zur
Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung
(Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG und
90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung) dahin auszulegen, dass er
einer Regelung - wie § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG in der Fassung des Dritten Gesetzes
zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen
Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) -
entgegensteht, nach der ein Rücktritts- oder Widerspruchsrecht spätestens ein
Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, selbst wenn der
Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt oder Widerspruch
belehrt worden ist?“ (vgl. Bl. 85 ff. der Akten des Bundesgerichtshofs zu IV ZR
76/11).
14 Hierauf hat die 1. Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union mit Urteil vom
19. Dezember 2013 (C-209/12, VersR 2014, 225 ff.) die Vorlagefrage bejaht und
entschieden, dass die genannten Artikel dahingehend auszulegen seien, dass sie
einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Rücktrittsrecht
spätestens 1 Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn
der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt belehrt worden ist
(vgl. Bl. 157 ff. d. A. des BGH).
15 Mit Urteil vom 07.05.2014 (Bl. 248 ff. d.A.) hat der Bundesgerichtshof die Revision
des Klägers gegen das Urteil des Senats vom 31.03.2011 als unzulässig
verworfen, soweit sie sich gegen die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs
richtete. Insoweit sind das Berufungsurteil vom 31.03.2011 und das Urteil des
Landgerichts vom 13.07.2010 jeweils rechtskräftig.
16 Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wurde das Senatsurteil aufgehoben und die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens und des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen
Union, an den Senat zurückverwiesen.
17 Zur Begründung wird auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07.05.2014 (Bl.
248 ff. d.A.) vollumfänglich Bezug genommen.
18 Der Kläger hat nach der Zurückverweisung weiter vorgetragen, dass sein
Anspruch weder verjährt noch verwirkt sei. Im Übrigen vertieft er seinen bereits
zuvor gehaltenen Vortrag.
19 Der Kläger beantragt:
20 Unter Abänderung des am 13.07.2010 verkündeten Urteils des Landgericht
Stuttgart Az. 22 O 587/09,
21 I. Die Beklagte wird zur Zahlung an den Kläger von EUR 5.211,04 verurteilt
zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus
seit dem 15.09.2007.
22 II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche
Rechtsverfolgungskosten in Höhe von EUR 1.574,85 zuzüglich Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
23 Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
24 Sie verweist zunächst auf die mittlerweile im Dezember 2011 vertragsgemäß
erfolgte weitere Zahlung an den Kläger in Höhe von 17.061,52 EUR, die bereits in
der Abrechnung nach der erklärten Kündigung angekündigt worden war (Anlage B
1, Bl. 62 d.A.).
25 Die Beklagte vertieft ebenfalls zunächst ihr bisheriges Vorbringen und weist
insbesondere darauf hin, dass dem Kläger die Tatsache eines 14-tägigen
Widerspruchsrechts bekannt gewesen sei, da er für die Beklagte bis 2006
jahrelang als Versicherungsvertreter gemäß §§ 84 ff. HGB tätig gewesen sei und in
dieser Zeit zahlreiche Lebens- und Rentenversicherungsverträge - darunter auch
die vorliegend streitgegenständliche Rentenversicherung - vermittelt habe.
26 Der Kläger verhalte sich in besonderer Weise treuwidrig, wenn er mit seinem
Wissen als Versicherungsvertreter jahrelang auf einen Vertrag Beiträge zahle,
diesen dann beitragsfrei stellen und später wieder aktivieren lasse, um sich dann
neun Monate nach der von ihm erklärten Kündigung des Vertrages darauf zu
berufen, dieser sei von Anfang an unwirksam.
27 Wegen der weiteren Einzelheiten des im Berufungsverfahren erfolgten
Parteivorbringens wird auf die eingereichten Anwaltsschriftsätze ergänzend Bezug
genommen.
II.
28 Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
29 Das Landgericht hat die Klage auf Rückzahlung weiterer Beträge aus dem
streitgegenständlichen Rentenversicherungsvertrag zwischen den Parteien und
auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Ergebnis zu Recht
abgewiesen.
30 Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Herausgabe der
geleisteten Beiträge sowie auf Nutzungsersatz gemäß §§ 812, 818 BGB in Höhe
von weiteren 5.211,04 EUR, weil er sich auf eine Unwirksamkeit des Vertrages
nicht berufen kann (A.) bzw. weil eventuelle bereicherungsrechtliche Ansprüche
durch die unstreitigen Zahlungen der Beklagten erfüllt sind, § 362 BGB (B.).
A.
1.
31 Der Kläger kann von der Beklagten keine (weiteren) Zahlungen beanspruchen,
weil es ihm vorliegend unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben wegen
rechtsmissbräuchlichen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt ist, sich in Kenntnis
eines für ihn bestehenden Widerspruchsrechts nach jahrelanger Durchführung der
von der Beklagten mit dem Versicherungsschein vom 17.11.1998 gewährten
Versicherung auf die Unwirksamkeit des Vertrages zu berufen und hieraus
Bereicherungsansprüche herzuleiten.
1.1
32 Vorliegend kann dahinstehen, ob zwischen den Parteien ein (voll) wirksamer
Versicherungsvertrag über die streitgegenständliche Rentenversicherung nach
dem sog. Policenmodell gemäß § 5 a VVG a.F. zu Stande gekommen ist.
33 Der Kläger hatte sich die Rentenversicherung 1998 als damaliger Hauptvertreter
der Beklagten selbst vermittelt und hierfür auch eine Abschlussprovision von der
Beklagten erhalten. Der Kläger war bis zur Kündigung des Vertretervertrages durch
die Beklagte Ende 2006 ständig mit der Vermittlung auch von Lebens- und
Rentenversicherungen für die Beklagte betraut. Aufgrund dessen war dem Kläger,
wie er bei seiner Anhörung vor dem Senat auch angab, die Tatsache eines 14-
tägigen Widerspruchsrechts als eine Möglichkeit, sich von einem
Versicherungsvertrag zu lösen, bekannt. Nach seinen Angaben seien ihm jedoch
die juristischen Zusammenhänge im Einzelnen nicht klar gewesen. Als
Hauptvertreter der Beklagten wusste der Kläger allerdings, dass einem
Versicherungsnehmer ein befristetes Widerspruchsrecht zustand. Dieses Wissen
ergibt sich bereits aus der Tatsache der Tätigkeit des Klägers als
Versicherungsvermittler. Dieser ist insoweit gehalten, seine Kunden entsprechend
zu beraten und zu unterrichten und diese - jedenfalls auf entsprechende
Nachfragen - auch korrekt zu informieren. Die hierbei relevanten Voraussetzungen
nicht zu kennen, machte der Kläger nicht geltend.
34 Der Kläger ist damit ebenso zu behandeln wie ein über sein Widerspruchsrecht
ordnungsgemäß belehrter Versicherungsnehmer.
35 Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob im vorliegenden Fall bei
Übersendung des Versicherungsscheins an den Kläger eine ordnungsgemäße
Widerspruchsbelehrung erfolgte oder nicht, kommt es daher vorliegend nicht an.
1.2
36 Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auch nicht auf die Frage an, ob
ein Vertragsschluss nach dem sog. Policenmodell gegen europarechtliche
Richtlinien verstößt oder nicht.
37 Dem Kläger, welcher vorliegend einem ordnungsgemäß belehrten
Versicherungsnehmer gleichzustellen ist, ist es nach Treu und Glauben wegen
widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung
des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen.
1.2.1
38 Die Generalklausel des § 242 BGB verbietet widersprüchliches Verhalten, wenn für
den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder wenn besondere
Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom
16. Juli 2014 - IV ZR 88/13 Rn. 25 m.w.N.; Urteil vom 07. Mai 2014 - IV ZR 76/11
[Bl. 248 ff. d.A.], Rn. 40). Eine Rechtsausübung kann wegen widersprüchlichen
Verhaltens unzulässig sein, wenn das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich
unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig
schutzwürdig erscheinen.
1.2.2
39 So liegt der Fall hier. Das Verhalten des Klägers ist objektiv widersprüchlich.
40 Die ihm aufgrund seiner Tätigkeit als Versicherungsvertreter bekannte
Widerspruchsfrist ließ er bei Vertragsschluss 1998 und auch im Zuge der
Vertragsänderungen in den Jahren 2002 und 2004 ungenutzt verstreichen.
Stattdessen zahlte er jeweils die vereinbarten Prämien, um den Vertrag dann
weitere 3 Jahre später zu kündigen. Nach der Kündigung ließ er weitere 9 Monate
vergehen, bis er sich entschied, dem Vertragsschluss zu widersprechen und sich
darauf zu berufen, ein Vertrag sei nicht wirksam zu Stande gekommen.
41 Mit seinem im eigenen Interesse begründeten und über lange Zeit fortgeführten
Verhalten setzt sich der Kläger in Widerspruch, wenn er nun geltend macht, ein
Vertrag habe nie bestanden (vgl. BGH NJW-RR 1990, 417 f.; NJW-RR 1987, 335
f.).
1.2.3
42 Dem Kläger war aufgrund seiner Tätigkeit für die Beklagte bekannt, dass er den
Vertrag nicht hätte zu Stande kommen lassen müssen und ihm die Beklagte ein
Recht zur Lösung zugestand. Vor diesem Hintergrund können seine
Prämienzahlungen nur als Ausdruck seines Willens, den Vertrag durchzuführen,
verstanden werden. Da die Beklagte die Prämien entgegennahm und erkennbar
von einem bestehenden Versicherungsvertrag ausging, konnte der Kläger bis zur
Kündigung erwarten, Versicherungsschutz zu genießen, den er zweifelsfrei bei
Eintritt eines Versicherungsfalles auch in Anspruch genommen hätte. Hierbei
kommt es nicht darauf an, dass der Kläger nicht sicher wissen konnte, ob das
Policenmodell gemeinschaftsrechtswidrig war und ihm - wenn es so wäre - der
Anspruch auf Rückzahlung der Prämien zustünde. Ein Rechtsverlust durch
widersprüchliches Verhalten kann wegen der an Treu und Glauben ausgerichteten
objektiven Beurteilung selbst dann eintreten, wenn der Berechtigte keine Kenntnis
von seiner Berechtigung hat (BGH VersR 2014, 1065 Rn. 36 m.w.N.).
1.2.4
43 Ebenso wenig sind für den aus widersprüchlichem Verhalten hergeleiteten
Einwand des Rechtsmissbrauchs unredliche Absichten oder ein Verschulden des
Klägers erforderlich. Durch das Verhalten des Rechtsinhabers muss nur ein ihm
erkennbares, schutzwürdiges Vertrauen der Gegenseite auf eine bestimmte Sach-
oder Rechtslage hervorgerufen worden sein (BGH a.a.O. Rn. 37 m.w.N.).
44 Die jahrelangen Prämienzahlungen des Klägers haben bei der Beklagten ein
solches - dem Kläger durch die erfolgte Zahlung einer Abschlussprovision auch
erkennbares - schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet.
Dieses Vertrauen wurde durch den Freistellungsantrag des Klägers im Jahre 2002
und die Fortführung des Vertrages durch weitere Beitragszahlungen im Jahre 2004
noch verstärkt. Das Verhalten des Klägers sprach aus Sicht der Beklagten dafür,
dass er selbst den Vertrag durchführen, ihn als wirksam behandeln und erfüllen
wolle und begründete das schutzwürdige Vertrauen der Beklagten, der Kläger
halte am Bestehen des Vertrages - auch für die Vergangenheit - fest.
45 Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte dem Kläger
im Vertrauen auf die Wirksamkeit des geschlossenen Vertrages die für die
Vermittlung angefallene Abschlussprovision bezahlt hat.
1.2.5
46 Auch wenn die Beklagte vorliegend durch die Wahl des Policenmodells die
Ursache für die vom Kläger behauptete Unwirksamkeit des Vertrages gesetzt
hatte, ist ihr Vertrauen vorliegend gleichwohl gegenüber dem Verhalten des
Klägers schutzwürdig, da dieser unabhängig von den Umständen des
vorliegenden Vertragsschlusses gerade durch seine Tätigkeit für die Beklagte über
sein Widerspruchsrecht ausreichend informiert war. Die Frage, ob bei der
Überlassung des Versicherungsscheins auch eine zusätzliche Belehrung in
gesetzesgemäßer Fassung gegenüber dem eigenen Versicherungsvertreter
erfolgt ist, bleibt in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
1.2.6
47 Der - von Amts wegen zu berücksichtigende - im Berufungsverfahren von der
Beklagten auch geltend gemachte Einwand von Treu und Glauben greift auch im
Falle einer - zu Gunsten des Klägers unterstellten - Gemeinschaftsrechtswidrigkeit
des Policenmodells durch (BGH a.a.O. Rn. 41 m.w.N.).
48 Dem Kläger ist es deshalb vorliegend verwehrt, bereicherungsrechtliche
Ansprüche aufgrund der - unterstellten - Unwirksamkeit des streitgegenständlichen
Versicherungsvertrages geltend zu machen.
2.
49 Mangels Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten
Nebenforderungen in Form von Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten.
B.
1.
50 Der Kläger hätte allerdings auch bei Annahme eines wirksamen Widerspruchs und
einer dann durchzuführenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung keinen
Anspruch auf Herausgabe der von ihm geleisteten Zahlungen sowie auf
Nutzungsersatz gegen die Beklagte, weil entsprechende Ansprüche des Klägers
durch die unstreitigen Zahlungen der Beklagten bereits erfüllt wären, § 362 BGB.
1.1
51 Unterstellt, der Kläger sei nicht ordnungsgemäß über das ihm bei dem hier
beabsichtigten Vertragsschluss nach dem sog. Policenmodell zustehende
Widerspruchsrecht gemäß § 5 a VVG a.F. belehrt worden, und dieser hätte daher
ungeachtet sich vorliegend aus dem Grundsatz von Treu und Glauben
aufdrängender Bedenken gegen eine entsprechende Rechtsausübung (vgl. oben
A.) dem von ihm bereits im Jahre 2007 gekündigten Versicherungsvertrag noch
durch das Anwaltsschreiben vom 31.03.2008 wirksam widersprechen können,
ergäbe sich bei der hiernach durchzuführenden bereicherungsrechtlichen
Rückabwicklung, dass dem Kläger insoweit keine Ansprüche mehr zustehen.
1.2
52 Wird von einem bis zum erklärten Widerspruch zunächst schwebend unwirksamen
und später endgültig unwirksamen Vertrag zwischen den Parteien ausgegangen,
so hat nach dem in dieser Sache ergangenen Revisionsurteil des
Bundesgerichtshofs vom 07.05.2014 (Bl. 248 ff. d.A.) die Rückabwicklung nach
bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen.
1.2.1
53 Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung gegenseitiger Verträge hat nach den
Grundsätzen der sog. Saldotheorie zu erfolgen.
54 Danach ist der Bereicherungsanspruch bei beiderseits ausgeführten
gegenseitigen nichtigen Verträgen ein von vornherein in sich beschränkter
einheitlicher Anspruch auf Ausgleich aller mit der Vermögensverschiebung
zurechenbar zusammenhängender Vorgänge in Höhe des sich dabei ergebenden
Saldos. Es ist deshalb durch Vergleich der durch den Bereicherungsvorgang
hervorgerufenen Vor- und Nachteile zu ermitteln, für welchen Beteiligten sich ein
Überschuss ergibt. Leistung und Gegenleistung sind dabei in Fortgeltung des bei
Vertragsschluss gewollten Austauschverhältnisses für die bereicherungsrechtliche
Rückabwicklung entsprechend § 818 Abs. 3 BGB grundsätzlich zu saldieren. Dies
bedeutet bei ungleichartigen Leistungen, dass der Bereicherungsschuldner die
erlangte Leistung nur Zug um Zug gegen seine volle Gegenleistung
herauszugeben braucht, ohne dass es der Geltendmachung eines
Zurückbehaltungsrechts bedarf (so BGH, Urteil vom 20. März 2001 - XI ZR 213/00,
NJW 2001, 1863).
1.2.2
55 Der Kläger kann daher gemäß § 818 Abs. 2 BGB grundsätzlich zunächst den
Ersatz des Wertes der von ihm im Zeitraum von Ende 1998 bis Ende 2004
geleisteten Prämien in Höhe von 51.129,20 EUR (vgl. Anlage K 1, Bl. 24 d.A.)
verlangen.
1.2.3
56 Der Kläger muss sich im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung
allerdings den Versicherungsschutz anrechnen lassen, den er jedenfalls bis zur
Beendigung des Vertrages aufgrund der Kündigung vom 01.06.2007 genossen
hat. Es ist davon auszugehen, dass er diesen im Versicherungsfall in Anspruch
genommen und sich - selbst bei zwischenzeitlich erlangter Kenntnis von seinem
Widerspruchsrecht - gegen eine Rückabwicklung entschieden hätte. Mit Blick
darauf führte eine Verpflichtung des Versicherers zur Rückgewähr sämtlicher
Prämien zu einem Ungleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft der Versicherten.
Erlangter Versicherungsschutz ist ein Vermögensvorteil, dessen Wert nach den §§
812 Abs. 1 S. 1, 818 Abs. 2 BGB zu ersetzen sein kann (vgl. Revisionsurteil des
BGH - IV ZR 76/11 - Rn. 45 m.w.N.).
1.2.3.1
57 Bei der hier streitgegenständlichen Rentenversicherung mit Aufschubzeit und
Kündigung während der Aufschubzeit ist der Wert des Versicherungsschutzes
allerdings eher marginal. Der Kläger hatte während der Aufschubzeit
Versicherungsschutz nur insoweit, als die Beitragsrückzahlung im Todesfall vor
Rentenbeginn versichert war. Die dafür anzusetzenden Risikokosten schätzt das
Gericht vorliegend gemäß § 287 Abs. 2 ZPO mit dem von der Beklagten
angegebenen jährlichen Betrag von 8,25 EUR; dies auch vor dem Hintergrund,
dass der Kläger selbst mit Schriftsatz vom 13.10.2014 vorgetragen hat, im hier
vorliegenden Fall lägen die Risikoversicherungskosten bei monatlich 1,00 EUR,
was einem Jahresbetrag von 12,00 EUR entspräche. Vorliegend ist von einem
Versicherungsschutz, welcher im Versicherungsfall auch in Anspruch genommen
worden wäre, für die Dauer bis zur Kündigung, also für einen Zeitraum von 8
Jahren und 6 Monaten (Dezember 1998 bis 01.06.2007), auszugehen, weshalb
das Gericht die entsprechenden Kosten auf 66 EUR schätzt.
1.2.3.2
58 Auf diese Risikoabsicherung entfallende Verwaltungskosten fallen demgegenüber
nicht maßgeblich ins Gewicht und sind daher mit Blick auf die vorgenommene
Schätzung zu vernachlässigen.
1.2.4
59 Darüber hinaus sind auch die angesichts des Zeitablaufs nicht mehr
zurückzufordernden Kosten der Vermittlung in Abzug zu bringen. Hierbei handelt
es sich nicht um bloße Verwaltungskosten (so aber OLG Köln, Urteil vom 15.
August 2014 - 20 U 39/14), sondern um Kosten des Erwerbs und der
Vertragsausführung, die grundsätzlich zu den Aufwendungen auf die erlangte
Sache zählen, welche die Bereicherung mindern (dazu allgemein BGH, Urteil vom
15. Oktober 1992 - IX ZR 43/92, NJW 1993, 648).
60 Die Beklagte hat die Abschlusskosten mit insgesamt 1.957,58 EUR angegeben,
wobei hierin ein Betrag in Höhe von 1.310,03 EUR enthalten ist, welcher dem
Kläger selbst als Vermittlungsprovision für den streitgegenständlichen
Versicherungsvertrag zugeflossen ist.
61 Soweit der Kläger Grund und Höhe der angegebenen Abschlusskosten
(Vertreterprovision sowie Kosten für Risikoprüfung und Policierung) ohne weitere
Begründung bestritten hat, legt das Gericht den von der Beklagten angegebenen
Betrag im Wege der Schätzung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO für den
vorzunehmenden Abzug zu Grunde. Insoweit geht der Senat mit Blick auf aus
anderen Verfahren gewonnenen Erfahrungswerten und die in § 4 Abs. 1 der
Deckungsrückstellungsverordnung bestimmte Obergrenze der im Wege der
Zillmerung zu ermittelnden Abschlusskosten davon aus, dass ein Ansatz von bis
zu 4 % der Beitragssumme des ursprünglich abgeschlossenen
Versicherungsvertrages nicht zu beanstanden wäre.
62 Diese Grenze übersteigen die von der Beklagten geltend gemachten Kosten nicht.
1.2.5
63 Nicht abzuziehen sind - entgegen der Auffassung der Beklagten -
Verwaltungskosten für den gesamten Vertrag über die hier streitgegenständliche
Versicherung, nachdem hier unterstellt wird, dass der Kläger dem
Zustandekommen wirksam widersprochen hat.
64 Insoweit trägt die Beklagte hier das Entreicherungsrisiko.
1.2.6
65 Weiter im Saldo zu berücksichtigen ist die für den Kläger abgeführte
Kapitalertragsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag. Um diesen Betrag ist die
Beklagte nicht mehr bereichert. Sie hat insoweit eine Steuerschuld des Beklagten
ausgeglichen.
1.2.7
66 Demnach ergibt sich folgende Abrechnung bezüglich der von der Beklagten
erbrachten Leistungen bzw. der in die Saldierung einzustellenden Abzüge:
67
Ausgezahlter Rückkaufswert
52.705,05 EUR
geleistete Kapitalertragssteuer 4.322,45 EUR
weitere Kapitalzahlung
17.061,52 EUR
Risikokosten
66,00 EUR
Abschlusskosten
1.957,58 EUR
76.112,60 EUR
68 Der Kläger hat hingegen weniger, insgesamt 75.061,55 EUR, geltend gemacht:
69
Rückzahlung der geleisteten Prämien 51.129,20 EUR
Herausgabe gezogener Nutzungen
23.932,35 EUR
75.061,55 EUR
70 Dies zeigt, dass sich selbst aus dem Vortrag des Klägers kein weiterer Anspruch
auf bereicherungsrechtlicher Grundlage ergibt. Hierbei ist noch nicht einmal
berücksichtigt, dass die gezogenen Nutzungen wohl nicht in Höhe einer
Verzinsung auf der Grundlage des gesetzlichen Verzugszinssatzes geltend
gemacht werden können.
71 Die Berufung des Klägers hätte daher auch bei Annahme eines wirksam
ausgeübten Widerspruchsrechts in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
III.
1.
72 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 S. 1 ZPO.
2.
73 Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711,
713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.
3.
74 Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Die
Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts
noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern die
Entscheidung des Revisionsgerichts.
75 An der kurzzeitig vertretenen Rechtsauffassung, die Revision zur Überprüfung
europarechtlicher Fragestellungen zum sog. Policenmodell zuzulassen (vgl. OLG
Stuttgart, Urteil vom 31.10.2013 - 7 U 129/13), hält der Senat nicht fest, weil diese
Rechtsfrage durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.07.2014
(VersR 2014, 1065) entschieden wurde.
IV.
76 Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene, nicht
nachgelassene Schriftsatz des Klägervertreters vom 04.11.2014 gibt keinen
Anlass zur Wiedereröffnung der Verhandlung.