Urteil des OLG Stuttgart vom 29.09.2015

treu und glauben, widerrufsrecht, verbraucher, fristberechnung

OLG Stuttgart Urteil vom 29.9.2015, 6 U 21/15
Verbraucherkreditvertrag: Abweichung der Widerrufsbelehrung von der
Musterbelehrung; Schutzwirkung bei Belehrung über die Widerrufsfolgen;
Einordnung der Widerrufsfrist als Ereignisfrist; Berechnung der Widerrufsfrist;
Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs
Leitsätze
1. Geringe textliche Abweichungen der Widerrufsbelehrung von der Musterbelehrung
lassen die Schutzwirkung des § 14 Abs.1 BGB-InfoV jedenfalls dann entfallen, wenn
die erteilte Belehrung aufgrund der vorgenommenen Änderungen nicht in gleichem
Maße deutlich ist wie die Musterbelehrung.
2. Entscheidet sich der Verwender dafür, eine Belehrung zu den Widerrufsfolgen zu
erteilen, obwohl ihm dies nach den Gestaltungshinweisen der Musterbelehrung
freigestellt ist, muss sie dem Muster entsprechen, um dem Verwender die
Schutzwirkung zu erhalten (Anschluss an BGH v. 28.6.2011 - XI ZR 349/10 Tz. 39).
3. Soweit § 312 d Abs. 2 BGB in der bis 10.6.2010 geltenden Fassung regelt, dass die
Widerrufsfrist nicht vor dem Tage des Vertragsschlusses beginnt, handelt es sich um
eine Ereignisfrist (§ 187 Abs.1 BGB) und nicht um eine Tagesanfangsfrist (§ 187 Abs.
2 BGB).
4. Belehrt der Darlehensgeber hinsichtlich der Voraussetzungen des Beginns der
Widerrufsfrist gemäß § 312 d Abs. 2 BGB dahin, dass die Frist "einen Tag nachdem"
die in der Belehrung beschriebenen Ereignisse eingetreten sind beginne, " jedoch
nicht vor dem Tag des Abschlusses des Darlehensvertrages", verstößt dies gegen
das Deutlichkeitsgebot, weil dadurch der Fehlvorstellung Vorschub geleistet wird, in
Bezug auf den Abschluss des Darlehensvertrages sei die Widerrufsfrist im Gegensatz
zu den weiteren genannten Ereignissen unter Einschluss des Tages des
Vertragsschlusses zu berechnen.
5. Zum Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts
Stuttgart vom 8.1.2015 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die
Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf
Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 29.697,15 EUR
Gründe
I.
1 Die Kläger verlangen nach Widerruf die Erstattung eines Aufhebungsentgelts, das
sie im Zuge der Ablösung von sechs Verbraucherdarlehen geleistet haben, die die
Beklagte in den Jahre 2004 bis 2010 gewährt hatte.
1.
2 Mit Schreiben vom 27.10.2004 bot die Beklagte dem Kläger zu 1 ein Darlehen in
Höhe von 80.000 Euro sowie ein Darlehen in Höhe von 200.000 Euro zu jeweils
fest vereinbarten Zinssätzen an (Kontonummer ... und ...). Dieses Angebot nahm
der Kläger zu 1 am 18.11.2004 an. Am 10.11.2004 schlossen die Parteien in
Bezug auf die Zinskonditionen einen Änderungsvertrag. Der Darlehens- und der
Änderungsvertrag enthielten folgende Widerrufsbelehrung:
3 Durch Vereinbarung vom 14.3.2008 verlängerten die Parteien den
Darlehensvertrag zu neuen Konditionen mit Wirkung ab 1.8.2010.
4 Am 27.11./8.12.2008 schloss der Kläger zu 2 einen weiteren Darlehensvertrag
(Kontonummer ...) mit der Beklagten über 30.000 Euro. Dieser Vertrag, sowie die
weiteren, später abgeschlossenen Verträge enthielten folgende
Widerrufsbelehrung:
5 Am 20.7./1.8.2011 verlängerten die Parteien das Darlehen zu neuen Konditionen
(B 4 a).
6 Am 22.1.2010 schloss der Kläger zu 1 nochmals einen Darlehensvertrag über
50.000 Euro (Kontonummer ...) mit der Beklagten. Darüber hinaus schloss der
Kläger zu 1 gemeinsam mit der Klägerin zu 2 am selben Tag einen Vertrag mit der
Beklagten, wonach diese Darlehen in Höhe von 86.600 Euro und in Höhe von
25.500 Euro zur Verfügung stellte. Diesen Verträgen war jeweils dieselbe
Widerrufsbelehrung beigefügt wie dem Vertrag vom 27.11./8.12.2008.
7 Bei den Verträgen vom 27.11./8.12.2008 und vom 22.1.2010 wurden zum
Vertragsschluss und im Rahmen der Vertragsanbahnung ausschließlich
Fernkommunikationsmittel eingesetzt. Ein persönlicher Kontakt bestand nicht.
8 Infolge der Veräußerung ihrer Immobilie baten die Kläger die Beklagte um die
Möglichkeit, die Darlehen vorzeitig abzulösen. Mit Schreiben vom 31.1.2012
unterbreitete die Beklagte je dem Kläger zu 1 sowie dem Kläger zu 1 und der
Klägerin zu 2 gemeinsam ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages
unter Vereinbarung eines entsprechenden Aufhebungsentgelts. Die Kläger
nahmen das Angebot am 6.2.2012 an und lösten sämtliche Darlehen im Februar
2012 ab, der Kläger zu 1 bezahlte ein Aufhebungsentgelt von insgesamt
25.408,18 Euro, darüber hinaus bezahlte er gemeinsam mit der Klägerin zu 2 ein
weiteres Aufhebungsentgelt in Höhe von 4.288,97 Euro.
9 Am 28.11.2013 widerriefen die Kläger ihre auf den Abschluss sämtlicher
Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen und forderten die Rückzahlung
der bezahlten Entgelte bis 6.12.2013. Dies verweigerte die Beklagte mit Schreiben
vom 23.12.2013.
10 Die Kläger haben die Rückzahlung der bezahlten Aufhebungsentgelte nebst
Zinsen verlangt. Sie sind der Auffassung, sie hätten sämtliche Verträge wirksam
widerrufen. Die erteilten Widerrufsbelehrungen seien jeweils falsch, auch könne
sich die Beklagte nicht auf die Schutzwirkung des Musters gem. § 14 Abs. 1 BGB
Info-V a. F. berufen. Die Beklagte habe die Musterbelehrung nicht unverändert
übernommen. Die Widerrufsfrist sei deshalb nicht abgelaufen. Die
Aufhebungsvereinbarung vom Februar 2012 beseitige das Widerrufsrecht nicht. Ihr
Widerruf verstoße nicht gegen Treu und Glauben.
11 Die Beklagte ist der Auffassung die Widerrufsfrist sei abgelaufen. Sie beruft sich
aber auf die Schutzwirkung der Musterbelehrung, die sie ohne inhaltliche
Bearbeitung übernommen habe. Die zweite von der Beklagten verwandte
Widerrufsbelehrung sei ordnungsgemäß. Darüber hinaus hätten die Parteien die
Verträge lange vor Ausübung des Widerrufs einvernehmlich aufgehoben, der
Vertrag sei weggefallen, der Widerruf gehe ins Leere. Im Übrigen sei mit der
Aufhebungsvereinbarung ein eigener Rechtsgrund für das Behalten-Dürfen der
Vorfälligkeitsentschädigung geschaffen worden. Jedenfalls hätten die Kläger ihr
Widerrufsrecht verwirkt und ihr Widerruf sei rechtsmissbräuchlich.
12 Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf die
tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
2.
13 Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat einen Anspruch der Kläger auf
Rückzahlung der entrichteten Aufhebungsentgelte bejaht. Der Widerruf der
Darlehensverträge sei wirksam. Die Widerrufsfrist sei nicht abgelaufen. Beide
Widerrufsbelehrungen seien fehlerhaft. Im ersten Fall handle es sich um einen
sogenannten „frühestens-Fall“, in den anderen Fällen entspreche die Belehrung
nicht dem Deutlichkeitsgebot, da über die Informationspflichten im Rahmen von
Fernabsatzverträgen nicht ausreichend informiert werde, denn die Belehrung
zitiere lediglich die „Vorschriften über Fernabsatzverträge (§ 312 c Abs. 2 BGB i. V.
m. § 1 Abs. 1, 2 und 4 BGB-InfoV)“, liste die entsprechenden Informationspflichten
aber nicht im Einzelnen auf. Darüber hinaus könne sich die Beklagte auch nicht
auf die Schutzwirkung des Musters berufen, denn beide Belehrungen enthielten
textliche Abweichungen. Die Prolongationsvereinbarungen stellten lediglich
Konditionenneuvereinbarungen dar, es sei kein neues Kapitalnutzungsrecht
eingeräumt worden, der ursprüngliche Vertrag und das diesbezügliche
Widerrufsrecht würden nicht berührt. Auch die Aufhebungsvereinbarung stehe der
Wirksamkeit des Widerrufs nicht entgegen. Letztlich hätten die Kläger ihr
Widerrufsrecht auch nicht verwirkt, noch sei dessen Ausübung
rechtsmissbräuchlich erfolgt.
3.
14 Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klagabweisung weiter. Sie
widerspricht der Auffassung des Landgerichts, im Fall der ersten
Widerrufsbelehrung würde die Schutzwirkung des § 14 BGB-InfoV nicht eingreifen.
Die Beklagte hätte die Belehrungstexte keiner inhaltlichen Bearbeitung
unterzogen, sondern lediglich sprachliche Anpassungen vorgenommen, die
unschädlich seien.
15 Darüber hinaus sei jedenfalls die zweite Widerrufsbelehrung zu den Verträgen aus
den Jahren 2008 bis 2010 richtig. Ein Verstoß gegen das Deutlichkeitsgebot liege
nicht vor. Soweit die Belehrung darauf hinweise, dass die Widerrufsfrist nicht vor
dem Tag des Abschlusses des Darlehensvertrages beginne, entspreche dies dem
Wortlaut des Gesetzes. Ein Missverständnis, wie diese Frist zu berechnen sei,
ergebe sich daraus nicht. Der Verweis auf die Informationen gemäß der
Vorschriften über Fernabsatzverträge sei ausreichend.
16 Das Landgericht habe zudem die Aufhebungsvereinbarungen nicht zutreffend
gewürdigt. Die Verträge seien beseitigt, die Widerrufe gingen ins Leere. Die mit den
Aufhebungsvereinbarungen eingegangenen Verpflichtungen der Kläger zur
Zahlung eines Aufhebungsentgelts bildeten einen selbständigen Rechtsgrund, der
durch den Widerruf nicht beseitigt werde.
17 Letztlich verstoße der Widerruf der Kläger gegen Treu und Glauben. Spätestens
mit Abschluss der Aufhebungsverträge hätte die Beklagte mit einem Widerruf nicht
mehr rechnen müssen. Die Kläger verhielten sich rechtsmissbräuchlich.
18 Die Beklagte beantragt:
19 Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Stuttgart vom 8.1.2015 (6 O
64/14) im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
20 Die Klage wird abgewiesen.
21 Die Kläger beantragen,
22 die Berufung zurückzuweisen.
23 Sie verteidigen das landgerichtliche Urteil unter Bezugnahme und Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens.
24 Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in zweiter Instanz wird auf die
eingereichten Schriftsätze verwiesen.
II.
25 Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat
zutreffend festgestellt, dass der Widerruf der Darlehensverträge wirksam ist und
demzufolge ein Anspruch der Kläger auf Rückzahlung der entrichteten
Aufhebungsentgelte besteht.
1.
26 Maßgeblich sind die Bestimmungen des BGB nach den Änderungen durch das
OLG - Vertretungsänderungsgesetz vom 23.7.2002 (BGBl. I S. 2850) (Art 229 § 9
Abs.1 Nr.2 EGBGB), das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über
Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2.12.2004 (BGBl. I. S 3102)
und das Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur
Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen vom
29.7.2009 (BGBl. I, S. 2413).
2.
27 Es handelt sich bei den Darlehensverträgen, die die Parteien in den Jahren 2004
bis 2010 geschlossen haben jeweils um Verbraucherdarlehen, bei denen sich ein
Widerrufsrecht der Kläger aus § 495 Abs. 1 BGB ergibt.
28 Soweit bei den Kreditverhältnissen, die in den Jahren 2008 bis 2010 begründet
wurden, nach den unstreitig anwendbaren Bestimmungen über
Fernabsatzverträge auch ein Widerruf gem. § 312 d Abs. 1, 355 BGB in Betracht
kommt, tritt dieses Widerrufsrecht hinter dem nach § 495 Abs. 1 BGB zurück;
jedoch sind in Bezug auf den Beginn der Widerrufsfrist die besonderen
Voraussetzungen in § 312 d Abs. 2 BGB zu berücksichtigen (§ 312 d Abs. 5 BGB).
3.
29 Als die Kläger - vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten - mit Schreiben vom
25.11.2013 ihre Vertragserklärungen widerrufen haben, die den nicht im
Fernabsatz geschlossenen Darlehensverträgen (Konto Nr. ... und ... vom
27.10./18.11.2004) zugrunde lagen, war die Widerrufsfrist nicht abgelaufen, weil
den Klägern keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt worden war.
a)
30 Die Widerrufsbelehrung ist nicht gemäß § 14 Abs. 1 der BGB-InfoV als
gesetzeskonform zu behandeln.
31 aa) Ein Unternehmer kann die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV nach
ständiger Rechtsprechung nur dann mit Erfolg geltend machen, wenn er
gegenüber dem Verbraucher ein Formular verwendet hat, das dem Muster der
Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der jeweils maßgeblichen Fassung sowohl
inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. Greift der
Unternehmer hingegen in das ihm zur Verfügung gestellte Muster durch eigene
Bearbeitung ein, tritt die Wirkung des § 14 Abs.1 BGB-InfoV nicht ein und zwar
unabhängig vom konkreten Umfang der vorgenommenen Änderungen (BGH v.
28.6.2011 - XI ZR 349/10 Tz. 37 ff.; v. 9.12.2009 - VIII ZR 219/08; v. 1.3.2012 - III
ZR 83/11; v. 18.3.2014 - II ZR 109/13).
32 bb) Es kann offen bleiben, ob geringfügige Abweichungen und lediglich
sprachliche Abweichungen der Widerrufsbelehrung von der Musterbelehrung die
Schutzwirkung des § 14 Abs.1 BGB-InfoV unberührt lassen (so OLG Frankfurt v.
7.7.2014 - 23 U 172/13; OLG Düsseldorf v. 7.12.2012 - 17 U 139/11). Das kommt
jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die erteilte Belehrung aufgrund der
vorgenommenen Änderungen - wie hier - nicht in gleichem Maße deutlich ist wie
die Musterbelehrung.
33 Eine Abweichung von der Musterbelehrung, mit der eine Einbuße an Deutlichkeit
verbunden ist, liegt bereits darin, dass die Beklagte die im Muster dem ersten
Absatz vorangestellte Zwischenüberschrift „Widerrufsrecht“ in ihre Belehrung nicht
übernommen hat. Zweck dieser Überschrift ist es, das Augenmerk des
Verbrauchers bereits bei oberflächlicher Betrachtung des Textes darauf zu lenken,
dass ihm das Gesetz ein Widerrufsrecht einräumt und dies Gegenstand der
nachfolgenden Belehrung ist. In der Belehrung der Beklagten fehlt diese mit der
Zwischenüberschrift verbundene Signalwirkung, sodass die Deutlichkeit der
vorliegenden Belehrung hinter der des Musters zurückbleibt.
34 Ebenfalls weniger deutlich ist die Belehrung über „Finanzierte Geschäfte“, weil die
Beklagte folgende Formulierung aufgenommen hat: „Bei einem finanzierten Erwerb
eines Grundstücks oder eines grundstückgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche
Einheit nur anzunehmen, wenn wir zugleich Ihr Vertragspartner im Rahmen des
anderen Vertrages sind oder wenn wir über die Zurverfügungstellung des
Darlehens hinausgehen […]“. Nach dem einschlägigen Gestaltungshinweis der
Musterbelehrung war hingegen einzufügen: „Dies ist nur anzunehmen, wenn die
Vertragspartner in beiden Verträgen identisch sind oder wenn der Darlehensgeber
über die Zurverfügungstellung des Darlehens hinaus geht [...]“. Durch ihre
Umformulierung überlässt die Beklagte die Subsumtion unter die Begriffe
„finanzierter Erwerbe eines Grundstücks oder eines grundstücksgleichen Rechts“
dem Verbraucher. Das Muster sieht jedoch vor, dass der Unternehmer die
Subsumtion vornimmt und entsprechend belehrt. Die von der Beklagten gewählte
Umformulierung bedeutet daher einen Verlust an Deutlichkeit und ist deshalb als
inhaltliche Bearbeitung des Musters einzuordnen.
35 Irrelevant ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte auf die Belehrung zu
den finanzierten Geschäften hätte verzichten können, da ein solches unstreitig
nicht vorlag. Entscheidet sich der Verwender für die Aufnahme dieser Passage in
die Widerrufsbelehrung, muss sie dem Muster entsprechen, um dem Verwender
die Schutzwirkung zu erhalten (BGH Urt. v. 28.6.2011 - XI ZR 349/10 Rn. 39).
b)
36 Die Berufung stellt nicht in Frage, dass die Belehrung hinsichtlich des Beginns der
Frist unzureichend ist. Die Formulierung „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung"
belehrt den Verbraucher nicht richtig über den nach § 355 Abs. 2 BGB
maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist. Der Verbraucher kann der Verwendung
des Wortes „frühestens“ zwar entnehmen, dass der Beginn des Fristlaufs noch von
weiteren Voraussetzungen abhängt, wird jedoch darüber im Unklaren gelassen,
um welche Voraussetzungen es sich dabei handelt (BGH, Urt. v. 9.12.2009 - VIII
ZR 219/08, Rn. 13, juris; Urt. v. 1.12.2010, VIII ZR 82/10, Rn. 12, juris).
4.
37 Auch in Bezug auf die späteren Darlehensverträge vom 27.11./8.12.2008 (Konto
Nr. 631.242279.6) und vom 22.1.2010 (Konto Nr. 631.261.675.9, Nr.
631.761.076.6 und Nr. 631.261.077.3), die unstreitig den Bestimmungen über den
Fernabsatz unterliegen, erfolgte der Widerruf noch rechtzeitig, weil die Kläger nicht
ordnungsgemäß belehrt wurden.
a)
38 Die Widerrufsbelehrungen sind nicht gemäß § 14 der BGB-InfoV als
gesetzeskonform zu behandeln, weil die Beklagte die maßgeblichen
Musterbelehrungen (sowohl in der ab 1.4.2008 als auch in der ab 4.8.2009
geltenden Fassung) in Bezug auf den Fristbeginn einer eigenen inhaltlichen
Bearbeitung unterzogen hat.
39 Soweit in der Belehrung ausgeführt wird, die Frist beginne einen Tag nachdem die
im Belehrungstext in vier Unterpunkten erläuterten Ereignissen eingetreten sind,
war dies von Gesetzes wegen zwar nicht erforderlich, weil das Gesetz vom
Unternehmer lediglich verlangt, das den Fristablauf auslösende Ereignis zu
nennen, ohne dass die weitere Fristberechnung gemäß §§ 187 ff. BGB erläutert
werden müsste (BGH v. 27.4.1994 - VIII ZR 223/93 Tz. 21). Der Bundesgerichtshof
sieht in einer solchen Belehrung aber lediglich eine unschädliche Anpassung an
die Regelung des § 187 BGB (BGH v. 20.11.2012 - II ZR 264/10; v. 18.3.2014 - II
ZR 109/13).
40 Neben weiteren Abweichungen in einzelnen Formulierungen und im Satzbau liegt
eine Bearbeitung insbesondere darin, dass der Fristbeginn in Bezug auf den
Vertragsschluss als weitere Bedingung abweichend vom Muster erläutert wird.
Nach dem Gestaltungshinweis (3) des Musters - den Beginn der Widerrufsfrist bei
Fernabsatzverträgen betreffend - soll bei der Erbringung von Dienstleistungen
hinzugefügt werden: „jedoch nicht vor Vertragsschluss“. Demgegenüber lauten die
Belehrungen der Beklagten insoweit wie folgt: “(…) nicht jedoch vor dem Tag des
Abschlusses des Darlehensvertrages“. Wie nachfolgend näher ausgeführt wird,
verstößt dies in der Zusammenschau mit den weiteren Hinweisen zum Fristbeginn
und zur Fristberechnung gegen das Deutlichkeitsgebot. Die Beklagte kann sich
deshalb nicht auf die Schutzwirkung gemäß § 14 Abs. 1 BGB-InfoV berufen (so
bereits Senat, Urt. v. 14.4.2015 - 6 U 66/14).
b)
41 Die Belehrung ist in Bezug auf die Information zur Fristberechnung irreführend.
42 aa) Der mit dem Widerrufsrecht bezweckte Schutz des Verbrauchers erfordert eine
unmissverständliche und für den Verbraucher eindeutige Belehrung. Der
Verbraucher soll dadurch nicht nur von seinem Widerrufsrecht Kenntnis erlangen,
sondern auch in die Lage versetzt werden, dieses unter Ausschöpfung der
Widerrufsfrist auszuüben. Er ist deshalb über den Beginn der Widerrufsfrist
eindeutig zu informieren (BGH v. 13.1.2009 - XI ZR 118/08; v. 10.3.2009 - XI ZR
33/08 -, BGHZ 180, 123-134).
43 Gemessen daran, fehlt der Belehrung der Beklagten die notwendige Eindeutigkeit,
weil darin zwar für die in einer Aufzählung zunächst genannten Bedingungen des
Fristbeginns (Erhalt der Widerrufsbelehrung, der Vertragsurkunde bzw. des
schriftlichen Antrags, der AGB sowie der Verbraucherinformationen) ein Hinweis
zur Fristberechnung gemäß § 187 Abs.1 BGB erteilt wird, für den Vertragsschluss
als weitere Bedingung des Fristbeginns ein solcher Hinweis zur Fristberechnung
aber fehlt. Der erste Halbsatz der Belehrung über den Fristbeginn macht deutlich,
dass die Frist erst einen Tag nach den in den folgenden Unterpunkten
aufgezählten Ereignissen beginnt. Eine solche Klarstellung erfolgt im zweiten
Halbsatz für den Vertragsschluss als weitere Voraussetzung nicht. Der gewählte
Satzbau lässt auch nicht erkennen, dass sich die einleitende Wendung „einen Tag
nachdem“ auch auf das Erfordernis des Vertragsschlusses beziehen soll. Vielmehr
lässt die Wendung „nicht vor dem Tag des Abschlusses des Darlehensvertrages“
auch die Deutung zu, bei der Fristberechnung sei gemäß § 187 Abs. 2 BGB der
Beginn des Tages des Vertragsschlusses maßgebend.
44 Gerade weil die Erläuterung zur Fristberechnung nicht auch auf alle
fristauslösenden Ereignisse erstreckt wurde ist diese Formulierung geeignet, beim
Verbraucher die Fehlvorstellung hervorzurufen, dass der Tag des
Vertragsschlusses bei der Fristberechnung mitzuzählen ist. Es wird nicht
hinreichend deutlich, dass die Frist auch in Bezug auf den Vertragsschluss gemäß
§ 187 Abs. 1 BGB zu berechnen ist und der Tag des Vertragsschlusses nicht
gemäß § 187 Abs. 2 BGB in die Frist einzurechnen ist.
45 bb) Dieses naheliegende Verständnis der Belehrung entspricht nicht der
Rechtslage, denn auch der gemäß § 312 d Abs. 2 BGB für den Fristbeginn
notwendige Vertragsschluss stellt ein Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB dar.
46 Allerdings kann dies dem Wortlaut des Gesetzes wegen der negativen Fassung
des Tatbestandes („nicht vor dem Tage des Vertragsschlusses“) nicht unmittelbar
entnommen werden. Der Text lässt offen, ob die Frist im Sinne des § 187 Abs. 1
BGB am Tag des Vertragsschlusses mit diesem Ereignis beginnt und dieser Tag
bei der Fristberechnung folglich nicht mitgezählt wird oder ob gemäß § 187 Abs. 2
BGB der Beginn des Tages des Vertragsschlusses der für den Anfang der Frist
maßgebende Zeitpunkt sein und bei der Fristberechnung mit berücksichtigt
werden soll.
47 Die Gesetzgebungsgeschichte gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der
Gesetzgeber in Bezug auf den Vertragsschluss eine Tagesanfangsfrist gemäß §
187 Abs. 2 BGB regeln wollte. Die Formulierung, dass die Frist für den Widerruf
eines Fernabsatzvertrages bei der Lieferung von Waren nicht vor dem Tag ihres
Eingangs beim Empfänger, bei der wiederkehrenden Lieferung gleichartiger Waren
nicht vor dem Tag des Eingangs der ersten Teillieferung und bei Dienstleistungen
nicht vor dem Tag des Vertragsabschlusses beginnt, geht auf das Gesetz über
Fernabsatzverträge vom 27.6.2000 (BGBl. I, S. 897) zurück. Dem Gesetzesentwurf
der Bundesregierung vom 9.2.2000 lässt sich zu der Regelung über den Beginn
der Widerrufsfrist in § 3 Abs. 1 S. 2 FernAbsG entnehmen, dass die Vorschrift
Artikel 6 Abs. 1 Unterabsatz 2 und 4 FARL in redaktionell gestraffter Form
zusammenfasse, wonach die Frist nämlich mit Erfüllung der Informationspflichten,
bei der Lieferung von Waren jedoch nicht vor deren Eingang beim Empfänger und
bei der Erbringung von Dienstleistungen nicht vor Abschluss des Vertrages
beginne (BT-Drucks. 14/2658, S. 43). Dass § 3 Abs. 1 S. 2 FernAbsG eine
Tagesanfangsfrist gemäß § 187 Abs. 2 BGB regeln könnte, wurde offensichtlich
nicht erwogen, vielmehr ist in dem Entwurf nur von den Ereignissen als
fristauslösenden Umständen die Rede.
48 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie vom 29.7.2009
(BGBl. 2009, 2355) wurde § 312 d Abs. 2 BGB dahingehend geändert, dass die
Widerrufsfrist unter anderem „nicht vor Vertragsschluss“ beginnt, sodass das
Gesetz nunmehr schon dem Wortlaut nach eindeutig eine Ereignisfrist regelt.
Begründet wurde die Neufassung des § 312d Abs. 2 BGB lediglich mit der
redaktionellen Anpassung der Verweisungen und einer Vereinfachung des
Wortlauts (Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 5.11.2008, BT-Drucks.
16/11643, S. 69). Eine Änderung des Regelungsgehalts der Norm sollte damit
offenbar nicht verbunden sein. Der Gesetzgeber ging also ersichtlich davon aus,
dass auch § 312 d Abs. 2 BGB in der hier anwendbaren Fassung insgesamt unter
§ 187 Abs. 1 BGB falle. Dem entspricht auch der Text der Musterbelehrung, der -
wie oben ausgeführt - den Vertragsschluss im Gestaltungshinweis (3) eindeutig als
fristauslösendes Ereignis beschreibt.
49 Für die Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB spricht der Umstand, dass auch die in §
355 BGB geregelten allgemeinen Bedingungen des Fristbeginns als Ereignisse im
Sinne des § 187 Abs. 1 BGB ausgestaltet sind. Die verlängernde Fristberechnung
gemäß § 187 Abs. 1 BGB stellt den gesetzlichen Regelfall dar. Ihre Anwendung ist
insbesondere dann gerechtfertigt, wenn einer gesetzlichen Frist - wie der
Widerrufsfrist - eine Schutzfunktion zukommt (Repgen in Staudinger, BGB (2014),
§ 187 Rn. 2). Eine verkürzende Fristberechnung, wie sie § 187 Abs. 2 BGB
vorsieht, entspricht danach nicht dem Zweck der gesetzlichen Regelung in § 312 d
Abs. 2 BGB. Ein sachlicher Grund, die Frist insoweit abweichend von den
allgemeinen Voraussetzungen des Fristbeginns gemäß § 355 BGB verkürzend zu
berechnen, besteht nicht. Auch nach der Kommentarliteratur richtet sich die
Berechnung der Widerrufsfrist gemäß § 312 d Abs. 2 BGB nach § 187 Abs. 1 BGB
(Wendehorst in Münchner Kommentar, BGB, 6. Aufl., § 312 d Rn. 86; Grüneberg in
Palandt, BGB, 68. Aufl., § 312 d Rn. 6; Palm in Erman, BGB 11. Aufl., § 187 Rn. 1;
Repgen in Staudinger, BGB (2004), § 187 Rn.6).
50 cc) Die Beklagte verteidigt sich ohne Erfolg mit dem Einwand, ihr könne nicht zum
Nachteil gereichen, dass sie hinsichtlich des Erfordernisses des Vertragsschlusses
den negativ formulierten und in seiner Auslegung nicht eindeutigen Gesetzestext
des § 312 d Abs. 2 BGB übernommen habe.
51 Der Mangel der Belehrung hat seinen Grund nicht allein in der Übernahme des
Gesetzestextes, sondern beruht entscheidend darauf, dass die Beklagte
ergänzende Erläuterungen zur Fristberechnung für alle fristauslösenden Umstände
bis auf den Vertragsschluss erteilt hat, und dadurch den unzutreffenden Eindruck
erweckt hat, dass die Frist unterschiedlich zu berechnen sei. Das wäre vermeidbar
gewesen, wenn die Beklagte - dem Vorschlag der Musterbelehrung folgend - den
Vertragsschluss positiv als weiteres für den Fristbeginn notwendiges Ereignis
beschrieben hätte, oder - sollte sie insoweit über die Rechtslage im Unklaren
gewesen sein - den Hinweis zur Fristberechnung insgesamt unterlassen hätte.
Durch die vorgenommene Differenzierung hat sie aber den unzutreffenden
Eindruck erweckt, die für den Fristbeginn maßgeblichen Ereignisse seien in Bezug
auf die Fristberechnung unterschiedlich zu behandeln.
5.
52 Die von den Parteien als Aufhebungsvertrag bezeichnete Vereinbarung vom 31.1./
6.2.12 hat weder das Widerrufsrecht der Kläger beseitigt noch steht sie dem
daraus folgenden Rückgewähranspruch der Kläger entgegen. Die Beendigung
des Schuldverhältnisses und die beiderseits vollständige Leistungserbringung
stehen dem späteren Widerruf nicht entgegen (BGH Urt. v. 7.5.14 - IV ZR 76/11,
Rn. 37; für die Beendigung durch Kündigung BGH Urt. v. 7.5.14 - IV ZR 76/11, Rn.
36, Juris; Urt. v. 29.7.15 - IV ZR 384/14, Rn. 30, juris).
a)
53 Entgegen der Ansicht der Beklagten haben die Parteien durch die genannte
Vereinbarung nicht das ursprüngliche Schuldverhältnis beseitigt, sondern dieses
nur geändert. Es besteht fort und kann deshalb auch nach Beendigung noch
widerrufen werden.
54 Mit Vertrag vom 31.1./6.2.12 haben sich die Parteien darauf geeinigt, dass die
Kläger zur vorzeitigen, sofortigen Rückzahlung des Darlehens berechtigt sein
sollen mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt auch keine Verpflichtung zur
Zinszahlung mehr besteht. Im Gegenzug versprachen die Kläger die Zahlung
eines „Aufhebungsentgelts“.
55 Durch diese Vereinbarung haben die Parteien das ursprüngliche Schuldverhältnis
nicht beseitigt, sondern lediglich die Bedingungen für die Beendigung modifiziert.
Sie haben den Fälligkeitszeitpunkt gegen Zahlung einer Entschädigung
vorverlagert. Die Beklagte sollte wirtschaftlich so gestellt werden wie sie stünde,
wenn das ursprüngliche Darlehen für den vereinbarten Festschreibungszeitraum
fortgeführt und mit Zinsen bedient worden wäre. Die Parteien haben mit der
Vereinbarung eine Änderung des Vertrages in dem Sinne herbeigeführt, dass sie
die vertraglich vereinbarte Erfüllungssperre beseitigt und den Erfüllungszeitpunkt
vorverlegt haben (BGH Urt. v. 1.7.1997 - XI ZR 267/96).
b)
56 Ein selbständiger Rechtsgrund für das Behalten-Dürfen des Aufhebungsentgelts
wurde durch die Vereinbarung vom 31.1./ 6.2.12 nicht geschaffen.
57 Zwar wäre es grundsätzlich möglich, dass ein Darlehensnehmer auf sein
Widerrufsrecht ganz oder zum Teil verzichtet und eine vergleichsweise Regelung
abschließt. Diese Möglichkeit des Vergleichs gilt auch bei zwingenden
Rechtssätzen. Voraussetzung ist aber dass der Vergleich einen Streit oder eine
Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt, sofern diese Zweifel
auch bei objektiver Beurteilung bestehen (BGH Urt. v. 22.5.1975 - KZR 9/74 -
BGHZ 65, 147).
58 Voraussetzung für einen diesen Grundsätzen folgenden wirksamen Verzicht wäre
allerdings, dass Unsicherheiten der Parteien gerade über das Widerrufsrecht
bestehen, dessen sich der Darlehensnehmer sodann begibt. Dazu müsste der
Darlehensnehmer denknotwendig wissen, dass ihm ein Widerrufsrecht überhaupt
noch zur Verfügung steht, um dann zu entscheiden, ob er dieses Recht - unter
bestimmten Bedingungen - aufgeben will. Diese Anforderung ist vorliegend nicht
erfüllt. Zum Zeitpunkt, als die Kläger die sogenannte Aufhebungsvereinbarung
unterzeichneten war ihnen gerade nicht bewusst, dass sie die Verträge auch
hätten widerrufen können.
6.
59 Die Ausübung des Widerrufsrechts der Kläger verstößt nicht gegen Treu und
Glauben.
a)
60 Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, der Widerruf der Darlehensverträge sei
rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB), weil nicht davon auszugehen sei, dass die
beanstandeten Belehrungsmängel bei den Klägern tatsächlich eine
Fehlvorstellung hervorgerufen habe, der Widerruf vielmehr ausschließlich durch
das allgemein gesunkene Zinsniveau motiviert sei.
61 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Wirksamkeit des
Widerrufs nicht voraus, dass der Mangel der Belehrung ursächlich dafür war, dass
der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Das
Gesetz knüpft unabhängig davon, ob der Verbraucher durch die unzureichende
Belehrung tatsächlich einer Fehlvorstellung über das Bestehen und die
Modalitäten der Ausübung eines Widerrufsrechts unterlag, allein an die objektive
Gesetzeswidrigkeit der Widerrufsbelehrung die Sanktion eines nicht befristeten
Widerrufsrechts des Verbrauchers. Entscheidend ist, dass die erteilte Belehrung
generell geeignet ist, den Verbraucher von der Ausübung seines gegen den
Darlehensvertrag gerichteten Widerrufsrechts abzuhalten (BGH v. 23.6.2009 - XI
ZR 156/08 Tz.25). Das Widerrufsrecht besteht selbst dann, wenn feststeht, dass
der Widerruf auch bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht rechtzeitig
ausgesprochen worden wäre, weil andernfalls das Ziel des Gesetzes unterlaufen
würde, den Unternehmer zu einer ordnungsgemäßen Belehrung über das
Widerrufsrecht anzuhalten (BGH v. 13.1.1983 - III ZR 30/82). Wie bei anderen
Gestaltungsrechten kommt es grundsätzlich auch nicht auf die Motive des
Verbrauchers an. Es soll seinem freien Willen überlassen bleiben, ob er seine
Vertragserklärung wirksam werden lassen will oder nicht (BGH v. 19.2.1986 - VIII
ZR 113/85). Entsprechend bedarf der Widerruf auch keiner Begründung.
62 Es stellt danach keinen Rechtsmissbrauch dar, sondern ist von der beschriebenen
Ausgestaltung des Widerrufsrechts durch das Gesetz und die Rechtsprechung
gedeckt, wenn ein Verbraucher dieses Recht nach längerer Zeit ausübt, obwohl er
nicht konkret durch den Mangel der Belehrung an der fristgerechten Ausübung
gehindert war. Genauso wenig handelt er missbräuchlich, wenn er, nachdem er
von seinem Widerrufsrecht Kenntnis erlangt hat, eine mittlerweile eingetretene
Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Anlass nimmt, sich
durch Widerruf von dem Vertrag zu lösen.
b)
63 Die Kläger haben ihr Widerrufsrecht nicht verwirkt.
64 aa) Bei der Verwirkung handelt es sich um einen Fall der unzulässigen
Rechtsausübung (§ 242 BGB), die in der illoyal verspäteten Geltendmachung
eines Rechts liegt. Der Einwand ist berechtigt, wenn seit der Möglichkeit der
Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere
Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen
Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall,
wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des
Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen
werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des
Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die
verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (BGH,
Urteil vom 23.1.2014 - VII ZR 177/13; Urteil vom 7.5.2014 - IV ZR 76/11).
65 bb) Ein in dem Sinne illoyales Verhalten der Kläger, dass diese in Kenntnis ihres
Widerrufsrechts über lange Zeit an dem Darlehensvertrag festgehalten und den
Widerruf erst nach dem Fehlschlagen der finanzierten Kapitalanlage erklärt hätten,
kann nicht festgestellt werden. Es ist nicht ersichtlich, dass bzw. wie lange die
Kläger vor Ausübung des Widerrufs Kenntnis von ihrem Recht hatten.
66 cc) Zwar ist eine Verwirkung auch ohne Rücksicht auf die subjektive Kenntnis und
Willensrichtung des Berechtigten möglich, wenn der Verpflichtete bei objektiver
Beurteilung aus dem Verhalten des Berechtigten schließen durfte, dass dieser sein
Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete mit einer
Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauchte und sich
entsprechend darauf einrichten durfte (BGH, Urteil vom 16.3.2007 - V ZR 190/06;
Urteil vom 27.6.1957 - II ZR 15/56).
67 Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht gegeben. Der Umstand, dass dem
Berechtigten der ihm zustehende Anspruch unbekannt war, steht der Verwirkung
jedenfalls dann entgegen, wenn die Unkenntnis des Berechtigten in den
Verantwortungsbereich des Verpflichteten fällt. Die mit der unterlassenen oder
nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verbundenen Nachteile hat
grundsätzlich der Geschäftspartner des Verbrauchers zu tragen (BGH, Urteil vom
18.10.2004 - II ZR 352/02). Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Unternehmer
regelmäßig schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er den mit dem
unbefristeten Widerrufsrecht verbundenen Schwebezustand selbst herbeigeführt
hat, indem er eine fehlerhafte Belehrung erteilt hat (BGH, Urteil vom 7.5.2014 - IV
ZR 76/11 -, Rn. 30, juris). Der Unternehmer, der gegen seine Pflicht verstoßen hat,
dem Verbraucher eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu erteilen, darf nicht
darauf vertrauen, er habe durch seine Belehrung die Widerrufsfrist in Lauf gesetzt.
Er muss erkennen, dass dem Verbraucher nach dem Gesetz ein zeitlich nicht
befristetes Widerrufsrecht zusteht, und darf folglich allein aus dem Umstand, dass
der Darlehensvertrag über lange Zeit erfüllt wird, nicht schließen, der Verbraucher
werde sein Widerrufsrecht nicht ausüben. Ohne konkrete gegenteilige
Anhaltspunkte ist vielmehr zu unterstellen, dass der Verbraucher zunächst keine
Kenntnis von seinem unbefristeten Widerrufsrecht hat, so dass der Widerruf auch
noch nach langer Zeit erfolgen kann, sollte der Verbraucher später von der
Rechtslage Kenntnis erlangen. Gegen die Schutzwürdigkeit des Unternehmers
spricht zudem, dass er den Schwebezustand durch eine Nachbelehrung beenden
kann (Senat, Urt. v. 21.4.2015 - 6 U 148/12; v. 29.5.2015, 6 U 110/14).
68 Das Vorliegen des Umstandsmoments kann auch nicht deshalb bejaht werden,
weil die Parteien am 31.1./6.2.12 einen sogenannten Aufhebungsvertrag
geschlossen haben. Wie bereits dargestellt, führt die beiderseitig vollständige
Vertragserfüllung nicht zum Verlust des Widerrufsrechts. Diese allein kann daher
auch nicht ausreichen, um die Annahme der Verwirkung zu rechtfertigen. Dies
widerspräche dem Schutzzweck der Regelung, wonach dem Verbraucher, der
sein Widerrufsrecht nicht kennt, unabhängig von der Vertragsbeendigung, sein
Widerrufsrecht erhalten bleiben soll.
69 Hinzu kommt, dass vorliegend zwischen der Ablösevereinbarung und dem
Widerruf lediglich ein Zeitraum von knapp 22 Monaten verstrichen ist. Dieser
Zeitraum bleibt schon hinter der regelmäßigen Verjährungsfrist zurück. Ein
schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten darauf, dass sie sich auf den Bestand der
Ablösung hätte verlassen dürfen, war zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht
begründet worden.
70 Soweit demgegenüber angenommen wird, eine Verwirkung komme in Betracht,
wenn der Darlehensvertrag bereits seit längerer Zeit vollständig abgewickelt ist und
eine Belehrung erteilt wurde, die zwar fehlerhaft ist, den Verbraucher über das
Bestehen eines befristeten Widerrufsrechts aber nicht im Unklaren lässt (OLG Köln
v. 25.1.2012 - 13 U 30/11; OLG Düsseldorf v. 9.1.2014 - 14 U 55/13; KG v.
16.8.2012 - 8 U 101/12), schließt sich der Senat dem aus den vorgenannten
Erwägungen nicht an.
71 Darüber hinaus ist hier weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass sich
die Beklagte im Vertrauen auf den Bestand dieser Vereinbarung so eingerichtet
hätte, dass ihr durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer
Nachteil entstehen würde.
7.
72 Da die Kläger die Darlehensverträge wirksam widerrufen haben, können sie die
Erstattung des geleisteten Aufhebungsentgelts verlangen (§§ 357 Abs.1 S.1 B,
346 BGB).
III.
73 Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
74 Angesichts der divergierenden Entscheidungen der Obergerichte zur Frage der
Verwirkung wird die Revision zugelassen. Die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 ZPO).