Urteil des OLG Stuttgart vom 04.11.2014

rechtsberatung, innerstaatliches recht, beurteilungsspielraum, auskunft

OLG Stuttgart Beschluß vom 4.11.2014, 4 Ws 373/14 (V); 4 Ws 374/14 (V)
Hilfe während des Strafvollzugs: Antrag eines Strafgefangenen auf Zugang zu
einzelnen Gerichtsentscheidungen und juristischer Kommentarliteratur
Leitsätze
§ 41 Abs. 2 JVollzGB III begründet keinen subjektiven Rechtsanspruch auf einzelne
konkrete, vom Gefangenen zu bestimmende Leistungen oder Maßnahmen bei der
Beratung in für ihn bedeutsamen rechtlichen Fragestellungen. Der Anstalt steht bei der
Frage, wie dem jeweiligen Gefangenen bei einer bedeutsamen rechtlichen
Fragestellung Beratung ermöglicht wird bzw. wie ihm zu helfen ist, ein
Beurteilungsspielraum zu.
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts -
Strafvollstreckungskammer - Ulm vom 26. August 2014 wird als unbegründet, die
Beschwerde gegen diesen Beschluss wird als unzulässig
v e r w o r f e n.
2. Die Beschwerde des Verurteilten vom 1. Juli 2014 gegen den Beschluss des
Landgerichts – Strafvollstreckungskammer – Ulm vom 18. Juni 2014 wird als
unzulässig
v e r w o r f e n.
3. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seiner Rechtsmittel.
4. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren, aus dem die zu
entrichtende Gebühr zu berechnen ist, wird auf 100 EUR festgesetzt.
5. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines
Rechtsanwaltes für die Rechtsbeschwerde- und Beschwerdeverfahren wird
z u r ü c k g e w i e s e n.
Gründe
I.
1 Der Beschwerdeführer verbüßt seit 4. März 2013 in der Justizvollzugsanstalt … im
offenen Vollzug eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren aus einem Urteil des
Landgerichts … vom 11. Juli 2012 wegen Betrugs in 120 Fällen. Insgesamt
befindet sich der Antragsteller zum dritten Mal in Haft. Mit Schreiben vom 24. März
2014 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag bei der
Strafvollstreckungskammer gemäß § 109 StVollzG. Er beantragte, „die
Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller in Anträgen vom 21.03.2014
genannte Auskünfte, Kopien oder Ausdrucke zu erteilen, hilfsweise den
Antragsteller neu zu verbescheiden“. Dabei handelte sich beim angegebenen
Datum „21.3.2014“ um ein Schreibversehen, ersichtlich ging es ihm um seine
Anträge vom 10. März 2014. Der Antragsteller hatte darin von der
Justizvollzugsanstalt vier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie
die Kopie einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Jena unter Angabe einer
Fundstelle verlangt. Des Weiteren hatte er allgemein um Auskunft gebeten, „was
die gängigen Kommentare - Arloth, Callies/Müller-Dietz, Schwind/Böhm/Jehle und
AKA-StVollzG“ zum Thema „Verletztengeld“ sagen. In der angefochtenen
Verfügung vom 21. März 2014 hatte die Justizvollzugsanstalt die Anträge des
Gefangenen vom 10. März 2014 auf Auskunft sowie auf Aushändigung von
Kopien von Rechtsprechung und Kommentarliteratur abgelehnt. Der Antragsteller
trug gegenüber der Strafvollstreckungskammer vor, er habe mit den Anträgen vom
10. März 2014 verschiedene „Auskünfte bzw. Ausdrucke/Kopien aus BVerfGE“
begehrt, die Antragsgegnerin habe in der Bücherei keinerlei Kommentar zum
StVollzG oder JVollzGB III; erst „seit heute“ solle es dort einen „alten Arloth aus
2008“ geben. Das Begehren habe einen konkreten Bezug zu den offenen
Verfahren bei der Strafvollstreckungskammer. Nähere Einzelheiten dazu wurden
nicht ausgeführt. Der Antragsteller trug weiter vor, aus §§ 40f. JVollzGB III bestehe
ein Rechtsanspruch auf das Geforderte.
2 Die Justizvollzugsanstalt hat gegenüber der Strafvollstreckungskammer mit
Schreiben vom 17. April 2014 Stellung genommen, eine Kopie der angefochtenen
Verfügung vom 21. März 2014 und der vorausgegangenen schriftlichen Anträge
des Antragstellers vorgelegt und die Verwerfung des Antrags als unbegründet
beantragt.
3 Der Antragsteller hat auf das Vorbringen der Antragsgegnerin erwidert und erklärt,
der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 17. April 2014 werde bestritten; ohne
weitere Begründung oder Erklärung hat er zudem seine Anträge wiederholt.
4 Im angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer unter Nummer 1
die Anträge insgesamt als unbegründet zurückgewiesen. § 41 Abs. 2 JVollzGB III
schreibe der Justizvollzugsanstalt vor, dass Gefangenen eine Beratung in für sie
bedeutsamen rechtlichen Fragestellungen zu ermöglichen ist. Bei der Art der
Hilfestellung habe die Justizvollzugsanstalt angesichts der unbestimmten
Rechtsbegriffe „bedeutsam“ und „Beratung“ einen Beurteilungsspielraum, in
dessen Rahmen sie mehrere gleichermaßen vertretbare Entscheidung treffen
könne. Sie könne etwa dem Gefangenen Literatur zur Verfügung stellen, ihn auf
eine Gefangenenbibliothek verweisen, ihm Einsicht in ein
Rechtsanwaltsverzeichnis gewähren, ihn an eine Rechtsberatungsstelle verweisen
oder ihm Ausgang bzw. eine Ausführung zur Rechtsberatung gewähren. Die
gerichtliche Überprüfbarkeit eines derartigen Beurteilungsspielraums sei
eingeschränkt. Das Gericht dürfe die Entscheidung der Anstaltsleitung nicht durch
eine eigene ersetzen, vielmehr beschränke sich die justizielle Überprüfung darauf,
ob ein Beurteilungsdefizit, ein Beurteilungsmissbrauch oder eine
Beurteilungsüberschreitung vorliegen. Die Justizvollzugsanstalt habe die Grenzen
des eingeräumten Beurteilungsspielraums eingehalten; im Hinblick auf die
zutreffenden Argumente und das Ergebnis der Entscheidung sei die Ausübung
des Beurteilungsspielraums nicht zu beanstanden. Die Entscheidung gehe von
richtigen und vollständig ermittelten Tatsachengrundlagen aus, alle wesentlichen
Gesichtspunkte seien berücksichtigt. Das Ergebnis sei nicht gesetzwidrig, halte
sich innerhalb des durch den Beurteilungsspielraum gezogenen Rahmens und sei
auch nicht unverhältnismäßig, sondern vielmehr vertretbar und deshalb nicht zu
beanstanden.
5 Unter Nummer 2 des Beschlusstenors hat die Strafvollstreckungskammer den
Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines
Rechtsanwalts und Pflichtverteidigers wegen Aussichtslosigkeit der
Rechtsverfolgung zurückgewiesen.
II.
6 Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht erhoben worden. Der Antragsteller
hat die Sachrüge rechtzeitig zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt. Seine
selbstverfasste Eingabe vom 28. August 2014 entspricht dagegen nicht der nach §
118 StVollzG zu fordernden Form.
7 Die Rechtsbeschwerde ist zulässig im Sinne des § 116 Abs. 1 StVollzG, weil es
geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu
ermöglichen. Rechtsprechung eines Obergerichts zu der Frage, inwieweit § 41
JVollzGB III einen subjektiven Rechtsanspruch hinsichtlich einzelner konkreter
Maßnahmen bei der Beratung in für die Gefangenen bedeutsamen rechtlichen
Fragestellungen begründet, gibt es - soweit ersichtlich - bisher nicht. Die
Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
1.
8 § 41 Abs. 2 JVollzGB III begründet keinen subjektiven Rechtsanspruch auf
einzelne konkrete, vom Gefangenen zu bestimmende Leistungen oder
Maßnahmen bei der Beratung in für ihn bedeutsamen rechtlichen Fragestellungen.
Der Anstalt steht bei der Frage, wie dem jeweiligen Gefangenen bei einer
bedeutsamen rechtlichen Fragestellung Beratung ermöglicht wird bzw. wie ihm zu
helfen ist, angesichts der unbestimmten Rechtsbegriffe „bedeutsam“ und
„Beratung“ ein Beurteilungsspielraum zu (so auch Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 73
Rn. 2 i.V.m. § 41 BW JVollzG Buch 3 Rn. 2; zur Schuldenregulierung: Senat,
Beschluss vom 13. Oktober 2014 - 4 Ws 33/14(V), zur Veröffentlichung
vorgesehen).
9
a) § 41 JVollzGB III fasst nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers die
bisherigen Regelungen in § 72 und § 73 StVollzG zusammen (s. Gesetzentwurf
der Landesregierung, Landtagsdrucksache 14/5012, S. 222). Der Gesetzgeber
hat sich auf Grund der Vielgestaltigkeit der im Einzelfall notwendigen Hilfe darauf
beschränkt, lediglich die Grundsätze und die besonders bedeutsamen Bereiche
der sozialen Hilfe im Strafvollzug zu regeln (Egerer in BeckOK Strafvollzug BW,
JVollzGB III § 40 Rn.5). Der Gesetzgeber selbst gibt keinen Hinweis, dass er
dabei über die bisherigen Regelungen in § 72 und § 73 StVollzG hinausgehend
einen Rechtsanspruch auf eine ganz bestimmte, vom Gefangenen selbst
auszuwählende Maßnahme hätte schaffen wollen. Vielmehr ergibt sich - auch in
Zusammenschau mit § 40 JVollzGB III - , ein breites Spektrum von möglichen
Maßnahmen, auf das die Justizvollzugsanstalt zurückgreifen kann.
10 Aus den Regelungen zur Hilfe während des Vollzugs war auch unter der Geltung
des Strafvollzugsgesetzes kein eigener Anspruch des Gefangenen auf
spezifische Hilfsangebote abzuleiten. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung
wird auch nach §§ 71 ff. StVollzG der Vollzugsanstalt ein Beurteilungsspielraum
zuerkannt (s. Beck in BeckOK StVollzG, § 71 Rn. 11; Arloth, aaO, § 71 Rn. 1a;
Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11.Aufl., §71 Rn. 1; Schwind/Böhm/Jehle/
Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 6. Aufl., § 71 Rn. 2 u. 4). Schon der Entwurf zum
Strafvollzugsgesetz sah bezüglich des dann Gesetz gewordenen § 73 (im Entwurf
zunächst § 66), dass soziale Hilfe in vielfältiger Form notwendig werden kann; er
überließ es aber bewusst „der Methodik der Sozialarbeit, im Einzelfall wirkungsvoll
Beistand zu leisten“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 7/918, S. 75).
Welche Hilfe gemäß § 41 Abs. 2 JVollzGB III einem Gefangenen während des
Vollzuges im Einzelfall zu leisten ist, lässt sich nicht allgemein sagen. Daher steht
der Anstalt auch bei der Entscheidung über die Art der Hilfestellung ein
Beurteilungsspielraum zu (zu § 73 StVollzG bei Rechtsberatung: KG, Beschluss
v. 17. Juni 1996 - 4 Ws 293/96 Vollz, NStZ 1997, 427/428). Diese Entscheidung
ist nach Maßgabe der jeweiligen Schwierigkeit und persönlichen Verhältnisse des
Gefangenen zu treffen (zu § 73 StVollzG bei Hilfe zur Bearbeitung eines
Rentenantrages: LG Meiningen, Beschluss v. 12. Februar 2008 - 4 StVK 914/07,
juris).
11 b) Auch aus der Empfehlung des Europarates REC (2006) 2 vom 11. Januar
2006, insbesondere den Nrn. 23.1 - 23.6, die sich mit Fragen der Rechtsberatung
befassen, ergibt sich - anders als der Antragsteller meint - kein individueller
Anspruch eines Gefangenen auf eine ganz bestimmte konkrete Maßnahme. Die
REC (2006) 2 sind Empfehlungen, die keine subjektiven Rechte und Pflichten des
Gefangenen begründen (Arloth, aaO, Einl Rn. 11; Calliess/Müller-Dietz, aaO, Einl
Rn. 59; Laubenthal, Strafvollzug, 6. Auf., Rn. 38), mögen sie auch ergänzend oder
als Auslegungshilfe bei der Anwendung des deutschen Vollzugsrechts zu
berücksichtigen sein (Laubenthal, aaO, Rn. 33).
12 Auch § 6 Abs. 1 JVollzGB I führt - anders als der Antragsteller meint - nicht dazu,
dass dadurch sämtliche Empfehlungen des Europarates aus REC (2006) 2
unmittelbar geltendes, innerstaatliches Recht würden; eine derart weitgehende
Intention ist weder dem Gesetzestext noch den Gesetzgebungsmaterialien (s.
Landtagsdrucksache, aaO, S.171) zu entnehmen. Im Übrigen regelt § 6 Abs. 1
JVollzGB I die Materie „bauliche und organisatorische Gestaltung der Anstalten
sowie deren Gliederung“ (Egerer; aaO, JVollzGB I § 6) und kann schon daher
keine weitergehende Wirkung für die Frage der Gewährung sozialer Hilfen
entfalten.
13 Satz 2 von Nr. 23.1 REC (2006) 2 und die nachfolgenden Nrn. 23.2. bis 23.3 REC
(2006) 2 zeigen, dass auch der dort vorgesehene Anspruch auf Rechtsberatung
sich nicht - zumindest nicht ausschließlich - in Rechtsberatung durch die
Vollzugsbehörden erschöpfen muss; „hierzu in angemessener Weise den Zugang
zu ermöglichen“ ist schon dem Wortsinn nach etwas anderes als Rechtsberatung
in eigener Person als Anstalt zu erbringen.
14 c) In erster Linie obliegt Rechtberatung den rechtsberatenden Berufen und nicht
dem Anstaltspersonal, insbesondere auch nicht den Sozialarbeitern im Vollzug.
Ihnen obliegt vielmehr die Vorklärung, ob und wieweit juristischer Rat benötigt wird
(KG, aaO; Arloth, aaO, § 73 Rn. 2; Beck in BeckOK StVollzG, § 73 Rn. 4). Zwar
hat der Vollzugsstab nicht nur die Pflicht, den Gefangenen über seine Rechte und
Pflichten innerhalb der Anstalt zu informieren, sondern darüber hinaus die
Verpflichtung, ihm auch bei der Gewinnung derjenigen Informationen behilflich zu
sein, die seine Stellung im bürgerlichen und sozialen Leben betreffen (KG, aaO).
Allerdings folgt aus § 41 Abs. 2 JVollzGB III wie auch aus § 73 StVollzG keine
Verpflichtung für die Anstalt zu einer umfassenden und gründlichen
Rechtsberatung, wie sie Rechtsanwälten obliegt (zu § 73 StVollzG:
Calliess/Müller-Dietz, aaO, § 73 Rn. 4). Zurecht weist die
Strafvollstreckungskammer darauf hin, dass es im Rahmen des
Beurteilungsspielraums unterschiedliche vertretbare Arten der Hilfestellung gibt,
mit der eine Vollzugsanstalt die grundsätzlich gebotene Hilfe leisten kann (s. auch
Arloth, aaO § 73 Rn. 2); sie kann Fachliteratur, auch in einer
Gefangenenbibliothek, bereit stellen, Ratgeber oder Informationsbroschüren zu
bestimmten Rechtsfragen vorrätig halten, Rechtsanwaltslisten zur Einsicht und
zur Auswahl eines Anwalts des Vertrauens auslegen, auf die Rechtsantragsstelle
oder die Möglichkeiten für Prozesskostenhilfe verweisen und die Vermittlung in
anwaltliche Rechtsberatung nach dem Beratungshilfegesetz unterstützen. Auch
der Verweis auf die Beratungshilfe durch das Amtsgericht, soweit dem Anliegen
durch eine sofortige Auskunft, einen Hinweis auf andere Möglichkeiten für Hilfe
oder die Aufnahme eines Antrags oder einer Erklärung entsprochen werden kann
(§ 3 Abs. 2 BerHG), ist möglich. Denkbar ist auch die Überlassung bestimmter
Entscheidungen oder Aufsätze in Kopie bzw. - je nach den örtlichen
Gegebenheiten und unter Wahrung der Erfordernisse der Sicherheit und Ordnung
der Anstalt - die Einräumung von Zugriffsmöglichkeiten auf elektronische
Rechtsprechungssammlungen oder Internet basierte Recherchemöglichkeiten o.
ä..
15 d) Der der Anstalt bei der Entscheidung über die Art der Hilfestellung zustehende
Beurteilungsspielraum bedeutet auch, dass ein Gefangener nicht - wie hier - ohne
Koordination und Abstimmung sowie ohne gemeinsame planerische
Überlegungen mit den zur Hilfe berufenen Vollzugsmitarbeitern quasi gleichsam
auf einseitigen „Zuruf“, bestimmte Handlungen einfordern kann. Voraussetzung
für das Tätigwerden der Anstalt ist, dass ein Gefangener genau darlegt, in welcher
rechtlichen Angelegenheit er sachkundigen Rat bzw. Hilfe benötigt (KG, aaO).
Schon zur Beurteilung der „Bedeutsamkeit“ einer rechtlichen Fragestellung ist es
u. U. unerlässlich, dass ein Gefangener Einzelheiten des Gewünschten offenlegt,
auch um die Rechtsprobleme auf die wesentlichen bzw. tatsächlich relevanten
Punkte eingrenzen zu können und Erfolg Versprechendes oder zumindest
Nachvollziehbares von Querulatorischem unterscheiden und gegebenenfalls
Letzteres ausscheiden zu können. Es ist daher legitim, dass sich die
Vollzugsanstalt - um Missbrauchsgefahren zu begegnen und querulatorisches
Vorbringen zu erkennen - angesichts nur begrenzter personeller und sachlicher
Ressourcen vorbehält, vor einer Fertigung und Aushändigung einer Kopie einer
gewünschten Entscheidung - sofern diese überhaupt für die Anstalt zur Verfügung
stehen sollte - im Einzelfall jeweils zu prüfen, ob die Kenntnis dieser Entscheidung
tatsächlich (noch) der Hilfe bei einer aktuell für den Gefangenen bedeutsamen
rechtlichen Fragestellung dient und wenn ja, in welcher Beziehung die
angeforderte Entscheidung zur Rechtsfrage steht und welche Relevanz die
Entscheidung für die Fragestellung insgesamt hat. Je mehr die Anstalt auf Grund
bisheriger Erfahrungen mit dem Gefangenen befürchten muss, dass es sich um
keine für ihn bedeutsame rechtliche Fragestellung handelt oder dass die
Fragestellung möglicherweise mittlerweile schon überholt ist oder im konkreten
Einzelfall bereits gerichtlich beantwortet wurde oder dass sich das Begehren
insgesamt als rechtsmissbräuchlich darstellen könnte, desto genauer darf sie vor
einer Entscheidung über die Aushändigung von beantragten Kopien ein
konkretes rechtliches Interesse des Gefangenen prüfen und den dazu
erforderlichen Vortrag verlangen.
2.
16 a) Die gerichtliche Überprüfung eines Beurteilungsspielraums ist eingeschränkt.
Die Strafvollstreckungskammer darf die Entscheidung der Anstaltsleitung nicht
durch eine eigene ersetzen. Die Überprüfung durch die Gerichte beschränkt sich
vielmehr darauf, ob die Vollzugsbehörde von einem unzutreffenden oder
unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist oder nicht alle
entscheidungsrelevanten Umstände berücksichtigt hat, ob sie bei ihrer
Entscheidung die richtigen Bewertungsmaßstäbe angewendet hat oder für die
Bewertung sachfremde Erwägungen maßgeblich waren und ob die Grenzen ihrer
Entscheidungsprärogative eingehalten wurden (Beurteilungsüberschreitung) (s.
Arloth, aaO, § 115 Rn. 16).
17 b) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist es nicht zu beanstanden, dass die
Strafvollstreckungskammer hier keinen Fehler beim Gebrauch des
Beurteilungsspielraums feststellen konnte. Auch der Senat sieht dies so. Dabei
kann offen bleiben, ob in bestimmten Konstellationen der Beurteilungsspielraum
auf Null reduziert sein könnte, was dann zur Fertigung einzelner Kopien von
Entscheidungen zwingen könnte. Eine solche Konstellation lag ersichtlich nicht
vor.
18 (1) Die Justizvollzugsanstalt war angesichts des nur unzureichenden Vortrags
des Gefangenen in seinen Anträgen vom 10. März 2014, was in der
angeforderten Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts und den
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entschieden wurde, woher er
diese Kenntnis hatte, zu welchem Zweck er diese Entscheidung verwenden wollte
bzw. ob und inwieweit diese in aktuell noch anhängigen Verfahren relevant sein
konnten, nicht verpflichtet, Kopien zu fertigen. Angesichts der senatsbekannten
Übung des Gefangenen, eine kaum noch zu überschauende Anzahl von
Gerichtsverfahren nicht nur bei der Strafvollstreckungskammer, sondern bei einer
Vielzahl von Gerichten der ordentlichen und der Fachgerichtsbarkeit zu führen
und dort sich wiederholende und überschneidende Prozessgegenstände und
unstatthafte bzw. unzulässige Rechtsbehelfe/Rechtsmittel zu verfolgen, musste
die stellvertretende Anstaltsleiterin auch nicht von sich aus allein aus dem Kontext
der Schreiben oder - wie dies möglicherweise bei anderen Gefangenen ohne
derart ausufernde Gerichtstätigkeit geboten sein könnte - allein aus der Tatsache
der Anfrage die Relevanz der angefragten Entscheidungen für eine bedeutsame
Rechtsfrage des Gefangenen erkennen oder folgern. Angesichts der Erfahrungen
mit dem Gefangenen in der Vergangenheit - wie der Senat vielfach selbst in
Schriftsätzen des Gefangenen feststellen konnte - musste sie vielmehr auch mit
der Möglichkeit rechnen, dass die gewünschten Entscheidungen überhaupt
nichts mit den konkreten Rechtsfragen zu tun haben und die Zitate nur der
Irreführung dienen, dass sie lediglich ins Blaue hinein als einschlägig behauptet
werden oder dass der Gefangene ihnen völlig abwegig Relevanz für die
jeweiligen Rechtsfragen zuspricht. Daher lag es hier im Rahmen des
Beurteilungsspielraums, weitere Begründung zu fordern und sich vor dem
Fertigen der beantragten Kopien z. B. genauer erläutern und begründen zu
lassen, welchen Gegenstand die durch Zitieren der Aktenzeichen in Bezug
genommenen Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer hatten, in welchem
Stadium sich diese befanden, weswegen dafür die Kenntnis der gewünschten
Entscheidungen erforderlich sein sollte und wieso weder der Zugang zur
Gefangenenbibliothek, in die absehbar auch ein Kommentar zum
Strafvollzugsgesetz eingestellt werden sollte, noch die auf seiner Zelle
befindlichen umfangreichen Bestände an juristischer Literatur ausreichend sein
sollten.
19 (2) Es hält sich ebenfalls im Rahmen des Beurteilungsspielraums, dass die
Justizvollzugsanstalt nicht Auskunft erteilte, was „die gängigen Kommentare …
zum Thema bzw. zu den Streitfragen sagen“, sondern den Gefangenen auf die
Bibliothek, in die absehbar auch ein Kommentar zum Strafvollzugsgesetz
eingestellt werden sollte, und die auf seiner Zelle befindlichen umfangreichen
Bestände an juristischer Literatur verwies. Schon angesichts der Unbestimmtheit
der Anfrage konnte nicht erkannt werden, zu welchem „Thema“ der Gefangene
genau die erbetene Hilfe wünschte. Die angeführten Schlagworte „Verletztengeld“
bzw. „Lockerungsfragen bzw. Sonderausgang“ sind zu komplex, als dass sie
einer einfachen, klar begrenzten Auskunft zugänglich wären. Im Übrigen
überstiege das vom Gefangenen Geforderte den Bereich der Hilfe bei der
Beratung in für die Gefangenen bedeutsamen rechtlichen Fragestellungen bei
Weitem; es stellt sich letztlich schon als die eigentliche Rechtsberatung dar, die im
vom Gefangenen geforderten Umfang unter Einbeziehung aller „gängigen
Kommentare“ u. U. nicht einmal von einem Angehörigen eines rechtsberatenden
Berufs zu erwarten bzw. zu leisten wäre. Das Geforderte verlangt eine wertende
Sichtung und Auswahl der rechtlichen Problematiken, zu der die Anstalt nicht
verpflichtet ist.
III.
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