Urteil des OLG Stuttgart vom 27.01.2016

verbreitung, herausgabe, gestaltung, öffentliche aufgabe

OLG Stuttgart Urteil vom 27.1.2016, 4 U 167/15
Wettbewerbsrecht: Vertrieb eines illustrierten Amtsblatts durch eine Gemeinde
als Wettbewerbshandlung; Verstoß gegen das Gebot der Staatsfreiheit der
Presse als Wettbewerbsverletzung
Tenor
1. Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Landgerichts
Ellwangen vom 24.09.2015 (Az. 4 0 135/15) abgeändert:
Der Verfügungsbeklagten wird es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR,
ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten,
untersagt, ab dem 01.01.2016 das „Stadtblatt“ kostenfrei an alle Haushalte der
Großen Kreisstadt C. zuzustellen/zustellen zu lassen, wenn das „Stadtblatt" wie in der
Anlage AS 19 gestaltet ist.
2. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 100.000,00 EUR
Gründe
I.
1
1. Die Parteien streiten über die Berechtigung der Verfügungsbeklagten (im
Folgenden: Beklagte) zur kostenlosen Verteilung eines Stadtblatts.
2
Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) verlegt die Tageszeitung H.
Tagblatt und ein Anzeigenblatt Wochenpost. Die Beklagte vertreibt seit 1968 das
Stadtblatt, im Untertitel Amtsblatt der Großen Kreisstadt C. Bis 2003 erfolgte dies
kostenlos, seitdem gegen Entgelt. Die Beklagte hat es sich, wie dies ihrem
eigenen Internetauftritt zu entnehmen ist, zur Aufgabe gemacht, mit der
Herausgabe des Stadtblatts „über das gesamte politische und gesellschaftliche
Leben“ in der Gemeinde zu berichten (AS 4, AS 16). Der Gemeinderat der
Beklagten hat am 25.06.2015 beschlossen, das Stadtblatt ab dem 01.01.2016
wieder kostenlos zu verteilen.
3
Die Klägerin ist der Auffassung, der kostenfreie Vertrieb verstoße angesichts des
(umfangreichen) redaktionellen Teils gegen das Gebot der Staatsferne der Presse
und begehrt insoweit wegen eines daraus zu folgernden Wettbewerbsverstoßes
ein Unterlassungsgebot.
4
Die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts ergeben sich aus der nachfolgenden
tabellarischen Auflistung der maßgeblichen Eckdaten:
5
Datum
Beschreibung
Fundstelle,
Blatt
Seit 2003
Stadtblatt erscheint in der jetzigen Form und wird
kostenpflichtig vertrieben (Aufl. ca. 4.000 Stück)
19
20.12.2005 Schreiben des RP S wegen Rüge der Klägerin
21, B 7
22.12.2014 Aufforderung der Beklagten zur Mitteilung über
Konditionen für Druck und Vertrieb
22, B 10
12.02.2015 Angebot der Klägerin
22, B 11
25.06.2015 Beschluss des Gemeinderats über die kostenfreie
Verteilung des Stadtblatts mit Onlinevariante
5, 21, AS 8
02.07.2015 Erste Beratung des Gemeinderats über
Redaktionsstatut
20
14.07.2015 Abmahnung
6, AS 13 =
B 12
21.07.2015
Ablehnung
der
Abgabe
einer
Unterlassungserklärung
AS 14 = B
13
22.07.2015 Ausdruck der Homepage mit Nachweis der
Ausschreibung (geplante Auflage: ca. 17.000 Stück)
5, AS 10,
11
24.07.2015 Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen
Verfügung
2
27.07.2015 Eingang der Schutzschrift der Beklagte
17
05.08.2015 Angebotseröffnung
AS 11, AS
20
16.09.2015 Ablauf der Angebotsfrist
AS 20
24.09.2015 Beratung des Gemeinderats über Redaktionsstatut
20
24.09.2015 Mündliche Verhandlung vor dem LG Ellwangen
115
08.10.2015 Urteil des LG Ellwangen
119
6
2. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
zurückgewiesen, weil es an der erforderlichen Eilbedürftigkeit fehle. Die Klägerin
habe bereits seit Dezember 2014 Kenntnis von den Planungen der Beklagten
gehabt, der Gemeinderatsbeschluss habe demgegenüber nichts substantiell
Neues gebracht, zumal der Anspruch ausschließlich mit der inhaltlichen
Gestaltung des redaktionellen Teils des Stadtblatts begründet werde. Diese Frage
sei nicht abhängig von der Durchführung einer Ausschreibung, der Vergabe von
Verlagsleistungen, der Finanzierung oder Bezuschussung, der Auflagenhöhe und
der Frage, ob das Stadtblatt kostenlos oder entgeltlich vertrieben werde.
7
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zu den Feststellungen
des Landgerichts wird auf das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 24.09.2015
(Az. 4 O 135/15) Bezug genommen (Blatt 119 – 129; § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
ZPO).
8
3. Die Berufung der Klägerin rügt eine rechtsfehlerhafte Entscheidung.
9
a. Für § 2 Nr. 1 UWG sei zwischen internen Planungsüberlegungen, deren
Umsetzung in konkrete Vorbereitungshandlungen und den dann folgenden
Handlungen auf dem Markt zu differenzieren. Bis zum Gemeinderatsbeschluss
vom 25.06.2015 habe es lediglich verwaltungsinterne Überlegungen, einen Plan
für eine Umstellung gegeben, weshalb der (verwaltungs-) interne Bereich noch
nicht verlassen worden sei und keine geschäftlichen Handlungen vorgelegen
hätten. Erst mit dem Gemeinderatsbeschluss seien konkrete, nach außen
wirkende Vorbereitungshandlungen eingeleitet worden. Die Phase bis zum
Beschluss vom 25.06.2015 habe noch keine fassbaren Außenwirkungen gehabt.
Der Gemeinderat hätte das Projekt auch scheitern lassen können, eine
Reduzierung des Seitenumfangs oder ähnliches beschließen können, weshalb
bezogen auf den Zeitraum vor dem Gemeinderatsbeschluss in keinem Fall von
geschäftlichen Handlungen im Sinne von § 2 Nr. 1 UWG ausgegangen werden
könne.
10 Auch die vom Landgericht genannten Schreiben vom 22.12.2014 (B 10) und
22.01.2015 (B 15) hätten lediglich Planungsüberlegungen, das Fehlen einer
endgültigen Grundlage, den Versuch, einen Überblick über realistische
Zukunftsmöglichkeiten zu erhalten, das Bemühen um das Aufzeigen
verschiedener Varianten genannt, weshalb auch insoweit noch keine Basis für
einen (vorbeugenden) wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch bestanden
habe.
11 Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, der Gemeinderatsbeschluss habe
nichts substantiell Neues gebracht, sei festzuhalten, dass erst dieser Beschluss
den erforderlichen Grad an Verbindlichkeit erreicht habe, mit dem eine konkrete
Begehungsgefahr begründet worden sei.
12 b. Das Landgericht habe zudem rechtsfehlerhaft das Wiederaufleben einer
Dringlichkeit in Abrede gestellt. Mit den Gemeinderatsbeschlüssen vom
25.06.2015 sei der Vertrieb grundlegend neu gestaltet worden, die Position des
Stadtblatts auf dem Leser- und Anzeigenmarkt gravierend verändert worden. Mit
einer Gratisverteilung würden viermal mehr Empfänger erreicht, weshalb das
Stadtblatt eine bis dahin nicht vorhandene Attraktivität als lokaler Werbeträger
bekomme. Angesichts dieser wesentlichen Veränderung der Umstände, vor allem
durch die Intensivierung des Verletzungsverhaltens sei die Dringlichkeit wieder
aufgelebt, neu entstanden. Die unerlaubte Beeinflussung des Pressemarktes sei
unabhängig davon, wie ein Medium vertrieben werde, immer gegeben, wenn das
Gebot der Staatsfreiheit der Presse verletzt werde.
13 c. Mit der beabsichtigten Gratis-Vollverteilung werde dem Gebot der Staatsfreiheit
der Presse zuwider gehandelt. Bei dem streitbefangenen Stadtblatt handle es sich
um eine kommunale Wochenzeitung, die presseähnlich über das gesamte lokale
Geschehen in C berichte und damit die engen Grenzen für gemeindliche
Aktivitäten auf dem Gebiet der Presse überschreite. Die Beklagte würde nur dann
die engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse beachten, wenn sie ein Amtsblatt
herausbringe, das diesen Namen tatsächlich verdient, indem es sich im Rahmen
der kommunalen Öffentlichkeitsarbeit auf die redaktionelle Darstellung der eigenen
Aktivitäten beschränkt.
14 Die Klägerin beantragt (Blatt 136, 222):
15 Die Antragsgegnerin wird unter Aufhebung des Urteils des LG Ellwangen vom
24.09.2015 (Az. 4 0 135/15) verurteilt,
16 es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise
Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, untersagt,
ab dem 01.01.2016 das „Stadtblatt“ kostenfrei an alle Haushalte der Großen
Kreisstadt C zuzustellen/zustellen zu lassen, wenn das „Stadtblatt" wie in der
Anlage AS 19 gestaltet ist.
17 hilfsweise
18 es jeweils bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise
Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu
unterlassen,
19 eine Ausschreibung betreffend die kostenfreie, an alle Haushalte in der Großen
Kreisstadt C erfolgende wöchentliche Verbreitung des „Stadtblatt"
durchzuführen/durchführen zu lassen, wenn das „Stadtblatt" wie in der Anlage AS
19 gestaltet ist,
20 hilfsweise
21 die auf eine Ausschreibung betreffend die kostenfreie, an alle Haushalte in der
Großen Kreisstadt C erfolgende wöchentliche Verbreitung des „Stadtblatt"
eingegangenen Angebote zu eröffnen/eröffnen zu lassen, wenn das „Stadtblatt"
wie in der als Anlage AS 19 gestaltet ist,
22 hilfsweise
23 einen Auftrag betreffend die kostenfreie, an. alle Haushalte in der Großen
Kreisstadt C erfolgende wöchentliche Verbreitung des „Stadtblatt" zu
erteilen/erteilen zu lassen, wenn das „Stadtblatt" wie in der Anlage AS 19 gestaltet
ist,
24 hilfsweise
25 die kostenfreie, an alle Haushalte in der Großen Kreisstadt C erfolgende
wöchentliche Verbreitung des „Stadtblatt" durch Zuweisungen im kommunalen
Haushalt zu finanzieren, wenn das „Stadtblatt" wie in der Anlage AS 19 gestaltet
ist.
26 Die Beklagte beantragt (Blatt 185, 223):
27 Die Berufung wird zurückgewiesen.
28 4. Die Berufungserwiderung der Beklagten verteidigt das landgerichtliche Urteil.
Der Antrag sei nicht hinreichend bestimmt, da unklar bleibe, worin der
wettbewerbswidrige Gehalt der beanstandeten Handlungen konkret bestehen
solle (Blatt 202 – 204). Der geänderte Antrag auf Unterlassung einer kostenfreien
Verteilung sei nicht in den bisherigen Anträgen enthalten, seine Stellung nach 5 ½
beziehungsweise 11 ½ Monaten führe zum Wegfall der Dringlichkeit (Blatt 224 –
228).
29 a. Bezüglich der ursprünglich gestellten Anträge fehle es bereits an einer
geschäftlichen Handlung nach §§ 3 Abs. 1, 2 Nr. 1 UWG, da Durchführung der
Vergabe, Angebotseröffnung, Auftragserteilung und die Mittelzuweisung in
Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben erfolgten. Insbesondere die Vergabe erfolge
aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorgaben (Blatt 196 – 197).
30 Zudem fehle es wegen der bereits durchgeführten Ausschreibung und Vergabe an
der notwendigen Wiederholungsgefahr (Blatt 197).
31 b. Das Landgericht habe mit zutreffenden Erwägungen einen Verfügungsgrund
verneint. Die Anlagen B 10 und B 15 hätten bereits eine Erstbegehungsgefahr
begründet, denn hier sei bereits die Absicht einer kostenlosen Verteilung mitgeteilt
worden. Es habe sich auch nicht nur um bloße verwaltungsinterne Überlegungen
gehandelt. Insoweit komme es nicht darauf an, ob damit schon eine geschäftliche
Handlung vorliege (Blatt 186 – 194).
32 c. Es bestehe auch kein Verfügungsanspruch. Ein Verstoß gegen den Grundsatz
der Staatsferne der Presse liege nicht vor. Danach sei den Gemeinden eine
Pressetätigkeit zwar nur in engen Grenzen gestattet; entscheidendes Kriterium sei
aber weiter, dass die lokale Presse hierdurch in ihrer wirtschaftlichen Existenz
bedroht werde. Dies habe die Klägerin weder vorgetragen noch glaubhaft
gemacht. Aufgrund des unterschiedlichen Erscheinungsturnus, des
unterschiedlichen Grads an Objektivität und der unterschiedlichen thematischen
Schwerpunktsetzung fehle es an der notwendigen Vergleichbarkeit. Das Urteil des
BGH zur „Tagesschau App“ sei nicht vergleichbar, denn es betreffe ein anderes
Medium, die Passage in Rn. 66 des Urteils, wonach Rundfunkanstalten
ausführlich und umfassend über sämtliche Themen berichten dürften, die auch
Gegenstand der Berichterstattung der Zeitungen seien, sprächen eher für die
Beklagte. Sämtliche Themen mit kommunalem Bezug seien insoweit als
redaktionelle Öffentlichkeitsarbeit der Kommune zuzulassen, zumal mit der
Klägerin als einzigem weiteren Presseanbieter das Risiko einer einseitigen
interessengeleiteten Information bestehe (Blatt 198 – 201).
33 § 20 GemO berechtige zur Unterrichtung über die allgemein bedeutsamen
Angelegenheiten der Gemeinde, weshalb die Beklagte über das gesamte
kommunalrelevante Geschehen berichten dürfe (Blatt 229 – 231). Zudem sei das
im Laufe der Jahre geänderte Staatsverständnis zu berücksichtigen, wonach der
Staat auch als Dienstleister verstanden werde, weshalb ein Stadtblatt als Medium
über die Stadt des Bürgers umfassend berichten dürfe (Blatt 231).
34 Das Verhalten der Klägerin verstoße gegen § 242 BGB, denn sie habe selbst die
nun angeblich wettbewerbswidrige Dienstleistung angeboten, ihr gehe es zudem
offensichtlich darum, ihre Monopolstellung im Stadtgebiet der Beklagten
aufrechtzuerhalten. Insoweit sei auch § 8 Abs. 4 UWG tangiert (Blatt 201 – 202).
35 d. Soweit es um das Verbot einer inhaltlichen Gestaltung gehe, seien die
Ansprüche verwirkt, da die Klägerin diese Gestaltung seit über 10 Jahren
hinnehme und insoweit 2005 vom Regierungspräsidium abschlägig beschieden
worden sei (Blatt 202).
36 5. Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst der dazu vorgelegten Anlagen Bezug genommen. Hinsichtlich
des Vortrags in der mündlichen Verhandlung wird außerdem auf das Protokoll der
Sitzung vom 16.12.2015 verwiesen. Die Beklagte hat nach der mündlichen
Verhandlung nochmals die nicht mehr bei der Akte befindlichen Anlagen B 1 – B
13 vorgelegt und sich in einem weiteren Schriftsatz zur Frage einer im Termin
angesprochenen Vergleichsregelung geäußert und weitere Rechtsausführungen
gemacht.
II.
37 Die Berufung ist zulässig, sie wurde insbesondere innerhalb der vorgegebenen
Fristen ordnungsgemäß eingelegt und begründet. Sie ist begründet, denn das von
der Beklagten herausgegebene Stadtblatt verstößt jedenfalls in der
herausgegebenen Form bei einer kostenfreien Vollverteilung gegen den
Grundsatz der Staatsfreiheit der Presse. Der geltend gemachte Anspruch
rechtfertigt sich aus §§ 3a (früher 4 Nr. 11), 8, 3 UWG.
38 1. Es kann offen bleiben, ob die von der Klägerin in der Berufungsbegründung
formulierten Anträge den Kern der eigentlichen Rechtsverletzung getroffen haben.
Der zuletzt gestellte Hauptantrag erfüllt jedenfalls diese Anforderung.
39 a. Unterlassungsanträge müssen – über den Wortlaut der Verbotsnorm hinaus –
die konkrete Verletzungsform erfassen, wobei es zulässig ist, gewisse
Verallgemeinerungen vorzunehmen, sofern auch in diesen jeweils das
Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (BGH
NJW 2000, 1792 [1794] – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge). Nach
§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein,
dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308
Satz 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht
erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem
Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bliebe (ständige
Rechtsprechung, BGH BeckRS 2015, 17208 Rn. 10 – Rückkehrpflicht V; BGH
NJW-RR 2010, 1343 [1344 Rn. 21]; BGH NJW 2005, 2550 [2551] - „statt”-Preis;
BGHZ 156, 1 [8 f.] = NJW 2003, 3406 [3408] = GRUR 2003, 958 – Paperboy
ausführlich dazu z.B. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren,
10. Aufl. 2011, § 51 Rn. 3 – 28).
40 b. Die Klägerin begehrte schon nach ihren ursprünglichen Berufungsanträgen
Unterlassung der Ausschreibung für eine kostenfreie Verbreitung, hilfsweise 1)die
Eröffnung der Angebote, 2)Erteilung eines entsprechenden Auftrags
beziehungsweise 3)das Verbot der kommunalen Finanzierung.
41 Aus dem zur Begründung dieser Anträge gehaltenen Vortrag der Klägerin ergibt
sich, dass ein Verstoß gegen das Gebot der Staatsfreiheit der Presse gerügt
wurde und wird (Blatt 4, 6, 9, 53f), weil das Stadtblatt sich nicht auf die Funktion
eines Amtsblattes beschränke, sondern als kommunale Wochenzeitung Produkte
privater Verlage ersetze (Blatt 6, 9), die Grenzen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit
massiv überschreite (Blatt 9, 53b, 53c, 53f) und die geplante Auflagensteigerung
(4.200 auf ca. 17.000 beziehungsweise 4.000 auf 16.000; Blatt 4, 5, 52) eine neue
Qualität begründe (Blatt 15). Weiter wird ausgeführt, das Unterlassungsbegehren
diene dazu, der Beklagten vor Augen zu führen, dass sie ein zu einer
kommunalen Stadtillustrierten mutiertes Produkt herausgebe, das in dieser Form
nicht auf dem Markt agieren dürfe (Blatt 53e, 53g). Es wird die nach Ansicht der
Klägerin rechtswidrige Subvention durch finanzielle Zuwendungen gerügt (Blatt
14). Die Beklagte sei nicht berechtigt, ein über die öffentliche Selbstdarstellung
hinausgehendes Printmedium unter Verwendung öffentlicher Mittel
herauszugeben (Blatt 15), das Stadtblatt sei kein „schnödes“ Amtsblatt, sondern
ein bunt bebildertes Presseprodukt (Blatt 79). Damit solle jedoch ein kommunales
Amtsblatt mit amtlichen Bekanntmachungen nicht verhindert werden, das diesen
Namen auch verdiene (Blatt 6, 53f).
42 In der Sache wurde damit von Anfang an geltend gemacht, dass das Stadtblatt
nicht mehr in der derzeitigen Aufmachung erscheinen dürfe, wenn es durch die
geplante kostenfreie Verteilung zu einer Vervierfachung der Auflage kommt. Der
mit dem Schriftsatz vom 08.12.2015 angekündigte und nun als Hauptantrag
gestellte Unterlassungsantrag bezüglich einer kostenfreien Verteilung trifft damit
den Kern der eigentlichen Rechtsverletzung, indem auf die Anlage AS 19 Bezug
genommen wird.
43 2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die (kostenfreie oder
kostenpflichtige) Verteilung des Stadtblatts als geschäftliche Handlung
anzusehen.
44 a. Nach der Legaldefinition von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist geschäftliche Handlung
jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden
Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der
Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder
mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder
Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Erforderlich ist danach ein Tun oder
Unterlassen (Verhalten) mit Unternehmensbezug, im Zeitraum vor, bei oder nach
einem Geschäftsabschluss, das auf die Marktteilnehmer einwirken und das
Marktgeschehen beeinflussen kann (Marktbezug der Handlung), wobei eine
objektive Eignung zur Absatzförderung bestehen muss, wozu auch die
Gewinnung, Erweiterung oder Erhaltung des Kundenstamms zählt (BGH GRUR
1986, 615 [618] - Reimportierte Kraftfahrzeuge; KG GRUR-RR 2005, 162).
45 Diese Voraussetzungen müssen auch dann vorliegen, wenn Ansprüche – wie hier
– gegen die öffentliche Hand geltend gemacht werden. Wenn die öffentliche Hand
ausschließlich erwerbswirtschaftliche (fiskalische) Zwecke mit den Mitteln des
Privatrechts verfolgt, handelt sie stets zur Förderung des Absatzes des eigenen
Unternehmens (BGH GRUR 2006, 428 Rn. 12 – Abschleppkosten-Inkasso; BGH
GRUR 1973, 530 – C Stadtblatt; Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 33. Aufl. 2015, §
4 Rn. 13.18). Dann besteht wie bei anderen Unternehmen auch eine tatsächliche
Vermutung für das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung (BGH GRUR 1990,
463 [464] – Firmenrufnummer). In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob eine
Gewinnerzielungsabsicht besteht (BGH GRUR 1993, 917 [919] – Abrechnungs-
Software für Zahnärzte; BGH GRUR 1981, 823 [825] – Ecclesia-
Versicherungsdienst; BGH GRUR 1974, 733 [734] – Schilderverkauf) und wofür
die erzielten Einnahmen verwendet werden (Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 33.
Aufl. 2015, § 4 Rn. 13.18). Unerheblich ist außerdem, ob mittelbar auch öffentliche
Zwecke mit verfolgt werden (Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4
Rn. 13.18). Das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung ist aber auch dann nicht
ausgeschlossen, wenn die öffentliche Hand zur Erfüllung einer öffentlichen
Aufgabe handelt, insoweit ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, ob gleichzeitig
eine geschäftliche Handlung vorliegt oder ob die Wettbewerbsförderung als völlig
nebensächlich hinter anderen Beweggründen zurücktritt (BGH WRP 1993, 106
[108] – EWG-Baumusterprüfung; BGH GRUR 1990, 609 [613] – Werbung im
Programm; BGH GRUR 1974, 733 [734] – Schilderverkauf; vgl. vertiefend
Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 13.19 – 13.26). Soweit die
öffentliche Hand Verbrauchern Waren oder Dienstleistungen im Wettbewerb mit
privaten Anbietern anbietet, ist grundsätzlich auch eine geschäftliche Handlung
anzunehmen, auch wenn damit gleichzeitig eine öffentliche Aufgabe erfüllt wird
(BGH NJW 1995, 1658 [1659] – Remailing I; BGH GRUR 1990, 609 [613] –
Werbung im Programm; Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn.
13.24).
46 Für die Herausgabe und Verbreitung von Presseerzeugnissen durch die
öffentliche Hand wird angenommen, dass nur die ausschließlich gesetzlich
vorgeschriebenen amtlichen Veröffentlichungen – kommunale Amtsblätter ohne
ergänzende redaktionelle Inhalte und ohne Inserate – aus der
wettbewerbsrechtlichen Betrachtung ausgeschieden werden können. Die
Herausgabe und Verbreitung von Printprodukten mit einer von öffentlichen
Aufgaben losgelösten pressemäßigen Berichterstattung und einem Inserateteil
und auch reine Unterhaltungsblätter stellen demgegenüber ohne weiteres eine
geschäftliche Handlung dar (Degenhart AfP 2009, 207 [213]; Erlass des
Innenministeriums über die Herausgabe eigener Amtsblätter durch die Gemeinden
und Landkreise, GABl. 1967, S. 518: „Der Charakter als Amtsblatt wäre allerdings
in Frage gestellt, wenn die Druckschrift nach ihrer Ausgestaltung, insbesondere
durch eine über örtliche Ereignisse hinausgehende Berichterstattung über
Tagesereignisse in unzulässiger Weise Merkmale einer Zeitung oder Zeitschrift
annehmen würde.“).
47 b. Da das von der Beklagten herausgegebene C Stadtblatt neben den amtlichen
Mitteilungen auch einen allgemeinen redaktionellen Teil und einen Anzeigenteil
enthält, stellt die (kostenpflichtige und auch kostenfreie) Verteilung den Vertrieb
einer Ware dar, die angesichts der bestehenden Wettbewerbssituation jedenfalls
auf dem Anzeigenmarkt eine geschäftliche Handlung im oben genannten Sinne
begründet. Das Bestreiten der Beklagten (Blatt 60) ist auch deshalb nicht
nachvollziehbar, weil schon in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom
23.09.1973 (GRUR 1973, 530 – C Stadtblatt) zutreffend ausgeführt wird, dass die
Beklagte für den Bereich des Anzeigengeschäfts eine Betätigung zu privaten
Mitbewerbern auf dem Boden des Privatrechts entfaltet, weil insoweit keine
hoheitlichen Rechte bestehen, sondern eine wettbewerbliche Tätigkeit auf gleicher
Ebene. Gleiches gilt für die redaktionellen Beiträge, die sowohl derzeit als auch
nach der Planung für das kostenlose Stadtblatt von der Beklagten verantwortet
werden.
48 Bei der Herausgabe des Stadtblatts handelt es sich insoweit auch nicht um eine
hoheitliche Tätigkeit. Soweit die Gemeinden – wie hier die Beklagte –
entsprechende Blätter selbst verlegen und auch Anzeigenwerbung betreiben,
handelt es sich grundsätzlich um ein wirtschaftliches Unternehmen
(Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, Stand: 20.
Erglfg. Oktober 2013, § 102 Rn. 45; Erlass des Innenministeriums über die
Herausgabe eigener Amtsblätter durch die Gemeinden und Landkreise, GABl.
1967, S. 518). Die Beklagte muss es deshalb hinnehmen, wenn ihr Verhalten
auch am Maßstab des Wettbewerbsrechts gemessen wird.
49 3. Die Klägerin steht mit ihren Produkten auch in einem unmittelbaren
Wettbewerbsverhältnis zur Beklagten, weil ein unmittelbares
Konkurrenzverhältnis am Anzeigenmarkt und auch bezüglich der redaktionellen
Beiträge vorliegt. Es ist offenkundig und Allgemeingut, dass (insbesondere
Gratis-) Medien für Werbeträger umso attraktiver sind, je interessanter und
hochwertiger die redaktionellen Inhalte sind (so auch die Klägerin, Blatt 52 und
die dazu bislang ergangene Rechtsprechung, z.B. BGH GRUR 1969, 287 [288]
– Stuttgarter Wochenblatt; OLG Saarbrücken NJW 1971, 892 [893]) und je
mehr Konsumenten durch das Medium angesprochen werden.
50 a. Der Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG, der auch bei in Zukunft
drohender Zuwiderhandlung besteht (§ 8 Abs. 1 Satz 2 UWG), steht jedem
Mitbewerber zu (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG). Insoweit ist erforderlich, dass es sich beim
Verletzten um einen Unternehmer handelt, der zum jeweiligen Verletzer als
Anbieter oder Nachfrager von Waren in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis
steht. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind an das Bestehen eines
konkreten Wettbewerbsverhältnisses im Interesse eines wirksamen
wettbewerbsrechtlichen Individualschutzes keine hohen Anforderungen zu stellen.
Insbesondere setzt ein konkretes Wettbewerbsverhältnis nicht notwendigerweise
eine Behinderung des Absatzes einer bestimmten Ware durch eine andere
voraus. Vielmehr reicht es aus, dass sich der Verletzer durch seine
Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu
dem Betroffenen stellt. Es genügt daher, wenn zwischen den Vorteilen, die jemand
durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen
sucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselwirkung
in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde
Wettbewerb beeinträchtigt werden kann. Nicht ausreichend ist es allerdings, wenn
die Maßnahme den anderen nur irgendwie in seinem Marktstreben betrifft (BGH
GRUR 2014, 1114 [1116 Rn. 32] – nickelfrei; BGH GRUR 2014, 573 Rn. 21 –
Werbung für Fremdprodukte; Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 33. Aufl. 2015, § 8
Rn. 3.27).
51 b. Bei der Klägerin handelt es sich um eine juristische Person, die Tages- und
Wochenzeitungen vertreibt, mithin um ein privatrechtlich organisiertes
Unternehmen, welches damit in Konkurrenz zum Stadtblatt der Beklagten agiert.
Das von der Beklagten vertriebene Stadtblatt in seiner konkreten Ausgestaltung
geht auch nach den Einräumungen der Beklagten (Blatt 66) über den Umfang
eines klassischen Amtsblatts hinaus, weil nicht nur Nachrichten über Organe und
Gremien der Beklagten verbreitet werden, sondern z.B. auch über die Tätigkeiten
von Vereinen und der Kirche, das gesellschaftliche Leben und allgemein berichtet
wird.
52 Wenn Gemeinden – wie hier die Beklagte - entsprechende Blätter selbst verlegen
und auch Anzeigenwerbung betreiben, handelt es sich grundsätzlich um ein
wirtschaftliches Unternehmen (Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-
Württemberg, Stand: 20. Erglfg. Oktober 2013, § 102 Rn. 45).
53 Soweit die Beklagte vorgetragen hat, dass sie als Organ der öffentlichen Hand mit
der Herausgabe des Stadtblatts keine erwerbswirtschaftlichen Ziele verfolge (Blatt
26 ff.), ist dieser Vortrag nicht nachvollziehbar, denn es soll ein umfangreicher
Finanzierungsanteil durch Werbeeinnahmen erreicht werden (was sich z.B. aus
der Anlage AS 8 ergibt), für das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses aber
auch unerheblich. Der Erlass des Innenministeriums über die Herausgabe eigener
Amtsblätter durch die Gemeinden und Landkreise führt im Übrigen aus, dass die
Amtsblätter bei der Aufnahme von Anzeigen zu den örtlichen Tageszeitungen in
einem Wettbewerbsverhältnis stehen (GABl. 1967, S. 518). Ein konkretes
Wettbewerbsverhältnis ist danach evident.
54 4. Die Herausgabe des Stadtblatts jedenfalls in der konkreten Gestaltung, wie sie
aus der Anlage AS 19 ersichtlich ist, verstößt gegen den Grundsatz der
Staatsfreiheit der Presse, der als sogenannte Marktverhaltensregel den Vorwurf
eines unlauteren wettbewerbswidrigen Verhaltens begründet. § 20 GemO, der im
Lichte dieses Grundsatzes und der im Lichte der sich wechselseitig
beschränkenden Art. 5 GG (Pressefreiheit) und Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG
(Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung) auszulegen ist, führt nicht zu
einer weitergehenden Befugnis der Beklagten.
55 a. Die in der Generalklausel von § 3 Abs. 1 UWG genannte erforderliche
Unlauterkeit des geschäftlichen Verhaltens ist in §§ 3a, 4 UWG konkretisiert
worden, dazu gehört auch der Verstoß gegen sogenannte Marktverhaltensregeln
(§ 3a UWG, früher § 4 Nr. 11 UWG).
56 aa. Das Gebot der Staatsfreiheit der Presse stellt nach der neueren
höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Marktverhaltensregelung dar, da dieses
(auch) dem Schutz von Presseunternehmen diene (BGH BeckRS 2015, 17161
Rn. 59 Tagesschau App; BGH GRUR 2012, 728 Rn. 11 – Einkauf Aktuell;
Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 13.64a; MüKo/Schaffert,
UWG, 2. Aufl. 2014, § 4 Nr. 11 Rn. 16; Degenhart AfP 2009, 207 [213 f.]).
Staatsfreiheit der Presse bedeutet insoweit nicht nur Freiheit von staatlicher
Einflussnahme und Lenkung. Dieser Grundsatz wird auch dann berührt, wenn sich
die öffentliche Hand durch unmittelbar oder mittelbar staatlich verantwortete
Publikationen pressemäßig betätigt (Degenhart AfP 2009, 207 f.; Löffler/Cornils,
Presserecht, 6. Aufl. 2015; § 1 LPG Rn. 172). Staatliche Pressetätigkeit ist zwar
nicht völlig ausgeschlossen, steht aber – auch soweit es um die von Art. 28 Abs. 2
Satz 1 GG garantierte kommunale Selbstverwaltung geht – unter einem erhöhten
Rechtfertigungszwang, weil Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG insoweit engere Schranken
zieht (Degenhart AfP 2009, 207 [208]; Löffler/Cornils, Presserecht, 6. Aufl. 2015; §
1 LPG Rn. 172, 174 f.).
57 bb. Öffentlich-rechtliche Körperschaften dürfen Druckwerke grundsätzlich nur
herausgeben, soweit sie mit der Veröffentlichung ihre öffentlichen Aufgaben
erfüllen (Bekanntgabe von Rechtsvorschriften) oder in zulässigem Umfang
Öffentlichkeitsarbeit betreiben (BVerfGE 63, 230 [243 f., juris Rn. 53 – 56];
BVerfGE 44, 125 [147 f., juris Rn. 63 – 81]). Die Verbreitung staatlicher
Informationen setzt eine Aufgabe der handelnden Stelle und die Einhaltung der
gesetzlichen Zuständigkeitsgrenzen voraus (BVerfGE 105, 252 [268; juris Rn. 50];
BVerfGE 20, 56 [99, juris Rn. 117]). Redaktionelle Beiträge pressemäßiger Art sind
demnach nur zulässig, wenn sie mit der öffentlichen Aufgabe zusammenhängen
oder von untergeordneter Bedeutung sind (Schürmann AfP 1993, 435 [437]; a.A.
im Sinne eines völligen Verbots Ricker in FS Löffler, 1980, 287 [298 ff., insbes. 300
f.]; Kohl AfP 1981, 326 [330]).
58 cc. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt zunächst ganz
allgemein, dass sich am Bild der freien Presse substantiell nichts ändern darf
(BVerfGE 12, 205 [260, juris Rn. 182]), wobei der Staat grundsätzlich nicht in den
privatrechtlich organisierten Wettbewerb der Presseunternehmen eingreifen dürfe
(BVerfGE 20, 162 [175, juris Rn. 37]). Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthält danach nicht
nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern garantiert als
objektive Grundsatznorm die Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt
(BVerfGE 80, 124 [133, juris Rn. 27]). Staatliche Präsenz im Bereich der Presse
steht deshalb nach zutreffender Auffassung der Literatur grundsätzlich im
Widerspruch zur Meinungs- und Wettbewerbsneutralität staatlichen Handelns
(Daiber, Grenzen staatlicher Zuständigkeit, 2006, 188; Degenhart AfP 2009, 207
[209]).
59 dd. Im Ausgangspunkt ist staatliche Öffentlichkeitsarbeit zulässig, soweit es darum
geht, Informationen aus dem staatlichen Bereich zu verbreiten. Bei Informationen
über staatliche Aufgabenerfüllung geht es darum, dass Regierung und
gesetzgebende Körperschaften – bezogen auf ihre Organtätigkeit – der
Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu
lösenden Fragen darlegen und erläutern (BVerfGE 44, 125 [147 f., juris Rn. 64];
BVerfGE 20, 56 [100, juris Rn. 118]). Für das Amtsblatt einer Gemeinde oder Stadt
bedeutet dies, dass jedenfalls über die Tätigkeit des Gemeinderates und auch die
Aktivitäten des Bürgermeisters und der Gemeindebehörden berichtet werden darf,
soweit die Angelegenheiten der Gemeinde betroffen sind.
60 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Frage unzulässiger
Wahlwerbung haben Kriterien entwickelt, um die zulässige Öffentlichkeitsarbeit
von unzulässiger Wahlwerbung abzugrenzen. Danach müssen allgemein die
zugewiesenen Aufgaben- und Kompetenzbereiche eingehalten werden, die
Beiträge dürfen keine offene oder versteckte Werbung für einzelne Parteien oder
Gruppen enthalten, allgemein finde die Öffentlichkeitsarbeit ihre Grenze dort, wo
Wahlwerbung beginnt, wobei gerade in der Vorwahlzeit das Gebot äußerster
Zurückhaltung zu gelten habe (BVerfGE 63, 230, juris Rn. 53 – 56; BVerfGE 44,
125 [149 ff., juris Rn. 68 – 71]). Zur Bewertung wird auf die Inhalte abgestellt, die
äußere Form und Aufmachung (mehr Reklame als Information), ein Anwachsen
der Arbeit in Wahlkampfnähe, wobei Veröffentlichungen, die sich im Wesentlichen
auf die Wiedergabe des Textes kürzlich verabschiedeter oder in naher Zukunft in
Kraft tretender Gesetze beschränken, wettbewerbsneutral und durch einen akuten
Anlass gerechtfertigt sein sollen. Diese Kriterien können auch für die
Beantwortung der Frage nach einem Verstoß gegen den Grundsatz der
Staatsfreiheit der Presse herangezogen werden, weil die Einhaltung der
zugewiesenen Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten, eine inhaltliche Bewertung
sowie die zeitliche Nähe zu bestimmten Ereignissen insoweit übertragbare
Kriterien darstellen.
61 ee. Staatliche Informationspolitik soll und darf sich über die herkömmliche
Öffentlichkeitsarbeit hinaus (s.o. dd.) auch auf wichtige Vorgänge außerhalb oder
weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit beziehen, dies
insbesondere dann, wenn die Informationsversorgung der Bevölkerung auf
interessengeleiteten, mit dem Risiko der Einseitigkeit verbundenen Informationen
beruht und die gesellschaftlichen Kräfte nicht ausreichen, um ein hinreichendes
Informationsgleichgewicht herzustellen (BVerfGE 105, 252 [269, juris Rn. 53];
BVerfGE 105, 279 [302, juris Rn. 74). Die staatliche Informationstätigkeit in diesem
erweiternden Sinn bleibt jedoch thematisch begrenzt und anlassbezogen. Das
Bundesverfassungsgericht stellt z.B. auch darauf ab, dass die Informationen
andernfalls nicht verfügbar sind (BVerfGE 105, 252 [269, juris Rn. 53]).
Allgemeine, thematisch nicht spezifizierte Publikationstätigkeit wird hierdurch nicht
legitimiert (so auch Degenhart AfP 2009, 207 [210]).
62 In der Literatur wird dazu zutreffend ausgeführt, entscheidendes Kriterium für die
staatliche Informationstätigkeit bezüglich der Kommunikationsinhalte sei der
Aufgabenbezug, zulässig sei die Erfüllung staatlicher Informationspflichten
(Degenhart AfP 2009, 207 [211]). Ein thematischer Aufgabenbezug legitimiere
aber nicht Informationstätigkeit mit dem Mittel einer beherrschten beziehungsweise
staatseigenen Presse (Degenhart AfP 2009, 207 [211]; Ladeur DVBl 1984, 224
[225]). In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die zitierten
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Berichterstattung über
besondere Sachverhalte betraf, wie den Glykol-Skandal und die Warnung vor
einer Sekte. Allgemeine kommunale Öffentlichkeitsarbeit über alle Themen mit
kommunalem Bezug wird damit nicht legitimiert. Der Staat (hier die Gemeinde) darf
keine eigene Pressetätigkeit betreiben, weshalb gerade keine Berichterstattung
„über das gesamte politische und gesellschaftliche Leben“ (so aber der eigene
Anspruch der Beklagten, vgl. die Anlage AS 4 = AS 16) erfolgen darf.
63 Soweit die Beklagte ausgeführt hat, mit der Klägerin als einzigem weiteren
Presseanbieter bestehe das Risiko einer einseitigen interessengeleiteten
Information, fehlt dazu allerdings der notwendige substantiierte Vortrag. Zudem
darf die Beklagte wegen der vorgegebenen Staatsfreiheit der Presse insoweit
nicht die Rolle eines möglichen Konkurrenten übernehmen.
64 ff. § 20 der Gemeindeordnung für B-W (GemO) führt insoweit nicht zu einer
anderen Bewertung. Dort ist letzten Endes nur positiv festgehalten, dass eine
kommunale Öffentlichkeitsarbeit stattfinden darf (dies ergibt sich aus den
Formulierungen in Abs. 1 und Abs. 2 über die Unterrichtung über allgemein
bedeutsame Angelegenheiten der Gemeinde sowie wichtige Planungen und
Vorhaben). § 20 GemO enthält aber inhaltlich keine anderen oder gar
weitergehenden Maßstäbe als diejenigen, die vom Bundesverfassungsgericht zur
Staatsfreiheit der Presse definiert worden sind (s.o. aa. – ee.). Der Begriff der
allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde (§ 20 Abs. 1 GemO)
erfasst alle Vorgänge und Tatsachen, die nicht nur geringfügige Auswirkungen auf
das Leben der örtlichen Gemeinschaft und seine Weiterentwicklung haben oder
deren Kenntnis für das Verständnis der Kommunalpolitik der Gemeinde
unentbehrlich ist – maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls
(Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für B-W, Stand: 20. Erglfg. Oktober 2013,
§ 20 Rn. 2). Daneben besteht nach § 20 Abs. 2 GemO eine besondere
Informationspflicht für alle wichtigen Planungen und Vorhaben der Gemeinde.
65 Soweit sich die Beklagte auf den seit 01.12.2015 geltenden neuen Absatz 3 zu §
20 GemO beruft, der wiederum die Zulässigkeit der Unterrichtung über die
allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde regelt und einen Raum
für die Berichterstattung der Gemeinderatsfraktionen einräumt, ist damit ebenfalls
keine Ausweitung der oben dargestellten Maßstäbe verbunden. Hier ist positiv
geregelt worden, dass auch die Fraktionen des Gemeinderats berechtigt sind, ihre
Auffassungen zu den Angelegenheiten der Gemeinde darzulegen. Allerdings ist
diese Erweiterung der zulässigen Inhalte ausdrücklich auf die Fraktionen
beschränkt, weshalb damit keine grundsätzliche Erweiterung einer
Berichterstattungskompetenz der Gemeinde – hier also der Beklagten –
verbunden ist. Aus der positiven Regelung einer gesetzlichen Ausnahme für die
Fraktionen ergibt sich vielmehr im Umkehrschluss, dass der Begriff der
bedeutsamen Angelegenheiten, über die der Gemeinderat berichten darf, im
Lichte des Grundsatzes der Staatsfreiheit der Presse eher eng zu verstehen ist,
weil ansonsten keine Regelung dieser Ausnahme erforderlich gewesen wäre.
66 gg. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in einem früheren Rechtsstreit der
Parteien für die damals kostenlose Verteilung des Stadtblatts (verlangt worden war
damals unter anderem ein generelles Anzeigenverbot, hilfsweise die Unterlassung
von Werbeanzeigen, soweit ein Umfang von mehr als 50% überschritten ist)
festgehalten, dass mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts zum Schutz des
Bestands einer freien Presse erst dann eingegriffen werden kann, wenn konkrete
Tatsachen vorgetragen und erwiesen sind, dass im Einzelfall ein Anzeigenblatt
(hier das Stadtblatt der Beklagten) eine Tageszeitung derartig beeinträchtigt, dass
sie ihre Funktion im Rahmen des Art. 5 GG nicht mehr erfüllen kann, es aber
dagegen Sache des Gesetzgebers bleiben müsse, möglichen Fehlentwicklungen
zu begegnen, wenn der Bestand der Presse ernsthaft gefährdet werde. Gewisse
Einbußen im Anzeigengeschäft seien für eine Bestandsgefährdung nicht
ausreichend (BGH GRUR 1973, 530 [531 f.] – C Stadtblatt). Diese Entscheidung
hatte aber die Frage der Wettbewerbswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt der
Gefährdung des Wettbewerbsbestands (allgemeine Marktbehinderung) zum
Gegenstand (BGH GRUR 1973, 530 [531 f. unter II. 3. a]) der Gründe, siehe auch
Köhler/Bornkamm/Köhler, § 4 Rn. 13.46, 13.48, i. V. m. Rn. 12.1 ff.).
67 Vorliegend geht es hingegen um einen Verstoß gegen den Grundsatz der
Staatsfreiheit der Presse, der unter § 3a UWG (vormals § 4 Nr. 11 UWG) zu
subsumieren ist. Sieht man mit dem Bundesgerichtshof (s. o. aa.) richtigerweise
das aus Art. 5 Abs. Satz 2 GG abzuleitende Gebot der Staatsferne der Presse als
auch dem Schutz der Presseunternehmen dienende Marktverhaltensregelung an,
muss konsequenterweise wie auch sonst der bloße (Norm-)Verstoß hiergegen
genügen und kann es – von der Spürbarkeit i. S. v. § 3a UWG abgesehen, die hier
ohne weiteres gegeben ist – nicht auf das Vorliegen weiterer Voraussetzungen
ankommen (so offenbar auch Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4
Rn. 13.64a und 13.69). In der Literatur wird dazu zutreffend ausgeführt, dass der
staatlichen Pressetätigkeit insoweit engere Schranken gezogen seien, weil Art. 5
GG eine Vormachtstellung privater Pressetätigkeit begründe (Degenhart AfP 2009,
207 [214]). Degenhart führt weiter zu Recht aus, das Grundrecht der Pressefreiheit
aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schütze die rechtlichen und faktischen
Rahmenbedingungen für die private Presse. Dabei gehe es nicht um die Erhaltung
von Marktstrukturen oder den Schutz einzelner Presseunternehmen vor
Wettbewerb auf dem Anzeigenmarkt, sondern um den Schutz gegen ein
bestimmtes Marktverhalten der öffentlichen Hand, wenn diese durch redaktionelle
Gestaltung ihrer Publikationen die grundrechtliche Gewährleistung einer
staatsfreien und privatwirtschaftlichen Presse unterläuft (Degenhart AfP 2009, 207
[214]). Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Da es um das Gebot der Einhaltung
der Staatsfreiheit der Presse als Norm, die Marktverhaltensregelung i. S. v. § 3a
UWG (früher 4 Nr. 11 UWG) ist, geht, kommt es nicht noch zusätzlich auf eine
Existenzgefährdung der privaten Presse an, denn es soll verhindert werden, dass
der Staat die ihm von Art. 5 GG gesteckten Grenzen überschreitet. Eine von der
staatlichen Informationsaufgabe losgelöste pressemäßige Berichterstattung ist
unzulässig und damit ausgeschlossen (Degenhart AfP 2009, 207 [212]).
68 b. Das von der Beklagten herausgegebene C Stadtblatt verstößt in seiner in Anl.
AS 19 wiedergegebenen Gestaltung gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit der
Presse, denn sie überschreitet die so zu ziehenden Grenzen staatlicher
beziehungsweise kommunaler Informationstätigkeit.
69 Der – auch durch die beabsichtigte kostenfreie Verteilung weitergehende –
Verstoß gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit der Presse folgt schon allein
daraus, dass ausweislich der Mitteilung auf der Homepage der Beklagten das
offizielle Amtsblatt über das gesamte politische und gesellschaftliche Leben in C
berichtet (AS 4 = AS 16), weiterhin gute Qualität in Information und Aufmachung
beabsichtigt ist (Ausschreibung AS 21), dass Inhalte aufgenommen werden sollen,
die nicht in den originären Zuständigkeitsbereich der Beklagten fallen (z.B.
Bekanntmachungen von anderen Zweckverbänden, Behörden und öffentlich-
rechtlichen Institutionen, lokale Wirtschaftsberichterstattung, vgl. die Anlagen B 3,
B 10), eine Ausweitung der Konkurrenz zur Klägerin beabsichtigt ist, weil eine
höhere Reichweite für Werbeerlöse (AS 8) nur erzielt werden kann, wenn das
Stadtblatt wegen des redaktionellen Teils auch gelesen wird und sich nicht darauf
beschränkt, amtliche Nachrichten zu verbreiten (was in der Rechtsprechung als
wesentliches Kriterium angesehen wird, vgl. nur BGH GRUR 1969, 287 [288] –
Stuttgarter Wochenblatt; OLG Saarbrücken NJW 1971, 892 [893]), wobei die
Beklagte ausdrücklich auf dem (unzutreffenden) Standpunkt steht, dass alle
lokalen und übergeordneten Themen mit spezifischem Bezug zu ihr von der
zulässigen redaktionellen Öffentlichkeitsarbeit erfasst seien (Blatt 200), der
Oberbürgermeister als maßgebliches Vertretungsorgan der Gemeinde in einem
Interview sogar ausgeführt hat, er begrüße es, dass die Stadt eine eigene Zeitung
mit journalistischen Beiträgen herausgebe (AS 30), außerdem eingeräumt hat,
dass er das Stadtblatt als kommunalpolitisches Instrument benutzt (AS 30).
70 Die Auswertung des als Anlage AS 19 vorgelegten Exemplars des Stadtblatts
belegt ebenfalls, dass die dargestellten Grenzen überschritten sind, weil nicht nur
über die eigenen Projekte und Vorhaben der Stadt und ihrer Verwaltung berichtet
wird, keine Beschränkung auf den Bereich der eigenen kommunalen
Öffentlichkeitsarbeit erfolgte, sondern eine von der staatlichen
Informationsaufgabe losgelöste pressemäßige Berichterstattung über Aktivitäten
und Ereignisse mit und ohne Gemeindebezug, indem beispielsweise eine
umfassende Darstellung auch der sonstigen Geschehnisse in der Gemeinde
vorgenommen wird (Kirchen, Verbände, Bürgerinitiativen, Vereine, Sport, und vor
allem lokale Wirtschaftsnachrichten). Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Presse
erlaubt aber nur die Verbreitung von Informationen aus dem gemeindlichen
Bereich (Belange aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich der Gemeinde) und die
Information über punktuelle Ereignisse, um gegebenenfalls ein
Informationsgleichgewicht herzustellen (also umgekehrt ein Informationsdefizit
auszugleichen).
71 Jedenfalls in dieser Kombination von zulässigen amtlichen Mitteilungen mit einer
Berichterstattung über Aktivitäten und Ereignisse mit und ohne Gemeindebezug,
indem eine umfassende Darstellung auch der sonstigen Geschehnisse in der
Gemeinde vorgenommen wird (Kirchen, Verbände, Bürgerinitiativen, Vereine,
Sport, lokale Wirtschaftsnachrichten), ist der Klägerin darin beizupflichten, dass die
maßgebliche Trennlinie überschritten und der Grundsatz der Staatsfreiheit der
Presse verletzt worden ist.
72 Die Beklagte steht auf dem – unzutreffenden – Standpunkt, dass sämtliche
Beiträge, die einen Bezug zur Kommune selbst aufweisen, also lokale Themen
betreffen, zulässige kommunale Öffentlichkeitsarbeit darstellen (Blatt 200). Dies ist
angesichts der oben dargestellten Grenzen ein zu weitgehendes Verständnis.
73 Die Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, sie
dürfe wegen der Monopolstellung der Klägerin und dem damit verbundenen Risiko
einer interessengeleiteten und einseitigen Berichterstattung Pressetätigkeit
entfalten, denn dies bedeutet im Ergebnis, dass die Beklagte selbst definiert, wann
der Grundsatz der Staatsfreiheit der Presse tangiert ist.
74 5. Soweit die Beklagte geltend macht, die Klägerin handle rechtsmissbräuchlich,
weil sie mit einem Gegenstandswert von 500.000,00 EUR und einer Vertragsstrafe
von 100.000,00 EUR abgemahnt habe, es gehe ihr nur darum, etwaige
Konkurrenten vom Markt zu verdrängen (Blatt 28 ff.), kann der Senat dieser
Auffassung nicht folgen.
75 Die Klägerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der in der Abmahnung
angegebene Gegenstandswert angesichts der jährlichen Aufwendungen von
400.000,00 EUR (AS 22) nicht überhöht ist. Der Klägerin geht es primär um eine
Unterlassung der kostenfreien Verteilung des Stadtblatts in der derzeitigen
Aufmachung, weil der Grundsatz der Staatsfreiheit der Presse verletzt wird (s.o.) –
dies ist nicht rechtsmissbräuchlich, sondern die nachvollziehbare
Geltendmachung von eigenen Rechten.
76 Die Tatsache der Verhandlungen der Parteien im Dezember 2014 begründet auch
kein widersprüchliches Verhalten im Sinne des § 242 BGB, denn mit den
Verhandlungen war keine Erklärung verbunden, dass die grundsätzliche
Veröffentlichungspraxis der Beklagten trotz des Verstoßes gegen den Grundsatz
der Staatsfreiheit der Presse hingenommen wird. Zudem lässt es die
Rechtsordnung grundsätzlich zu, dass eine Partei ihre Rechtsansicht ändert (BGH
NJW 2005, 1354 [1356]).
77 6. Die Klägerin hat ihre Ansprüche auch nicht verwirkt. Selbst wenn man davon
ausgeht, dass die bisherige Gestaltung des Stadtblatts seit ca. 10 Jahren bekannt
ist und eine Anfrage beim Regierungspräsidium erfolgte (Anlage B 7), fehlt es am
notwendigen sogenannten Umstandsmoment. Ein Recht ist erst verwirkt, wenn
eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende längere Zeitspanne
verstrichen ist (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich auf Grund des Verhaltens
des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr
geltend machen (Umstandsmoment, Vertrauenstatbestand). Die Anfrage beim
Regierungspräsidium konnte kein Vertrauen bei der Beklagten erwachsen lassen,
dass die Klägerin tatsächlich auf Dauer keine Ansprüche geltend machen wird.
Zudem ist zu bedenken, dass durch die laufende Veröffentlichung des Stadtblatts
immer wieder aufs Neue entsprechende Rechtsverletzungen begangen werden,
weshalb die Beklagte im Hinblick darauf kein Vertrauen entwickeln konnte und
kann.
78 7. Da die Beklagte auf dem Standpunkt steht, sie sei zu einer entsprechenden
Veröffentlichung legitimiert, ist die notwendige Erstbegehungsgefahr unzweifelhaft
zu bejahen.
79 8. Die Kenntnis der Klägerin von Planungen der Beklagten, das Stadtblatt ab dem
01.01.2016 kostenfrei zu verteilen, führt nicht zu einer Widerlegung der
Dringlichkeitsvermutung, denn dabei handelte es sich bis zum Beschluss des
Gemeinderats vom 25.06.2015 um bloße Vorbereitungshandlungen, die
Tatsache, dass das Stadtblatt auch in den vergangenen Jahren in einem
derartigen Umfang erschienen ist, führt nicht zu einer anderen Bewertung.
80 a. § 12 Abs. 2 UWG bestimmt, dass zur Sicherung der Ansprüche auf
Unterlassung aus dem UWG einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung
und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 der Zivilprozessordnung
bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden können. § 12 Abs. 2 UWG
enthält insoweit eine widerlegliche tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit (BGH
GRUR 2000, 151 [152] – Späte Urteilsbegründung). Die Vermutung der
Dringlichkeit kann aber widerlegt werden, wenn der Antragsteller durch sein
Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es ihm nicht eilig ist, indem er z.B. mit der
Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig, sondern nur
schleppend betreibt (BGH GRUR 2000, 151 [152] – Späte Urteilsbegründung;
OLG Düsseldorf GRUR-RR 2014, 273 [275] – Unzulässige Kostenpauschale -
Rücklastschriftkosten; OLG Hamburg GRUR-RR 2010, 57; OLG Koblenz GRUR
2011, 451 [452]), obwohl er die den Wettbewerbsverstoß begründenden
Tatsachen kennt oder grobfahrlässig nicht kennt (Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG,
33. Aufl. 2015, § 12 Rn. 3.15 und 3.15a). Die Kenntnis von bloßen
Vorbereitungshandlungen steht der Kenntnis vom späteren Wettbewerbsverstoß
nicht gleich (Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 33. Aufl. 2015, § 12 Rn. 3.15a).
81 b. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Planungen und Vorbereitungen
der Beklagten für eine kostenlose Verteilung des Stadtblatts schon seit Ende 2014
liefen und die Klägerin hierüber auch im Hinblick auf das eingeforderte Angebot
informiert war. Es handelte sich aber insoweit um bloße Vorbereitungshandlungen,
die die Klägerin noch nicht zu einem gerichtlichen Vorgehen legitimiert hätten. Die
auch für einen (vorbeugenden) Unterlassungsanspruch erforderliche manifeste
Konkretisierung erfolgte endgültig erst mit dem Beschluss des Gemeinderats vom
25.06.2015, denn erst ab diesem Zeitpunkt stand hinreichend sicher fest, dass die
vorherigen Planungen tatsächlich realisiert und umgesetzt werden, dass das
Stadtblatt in Zukunft kostenfrei verteilt werden soll und damit im Blick auf den
erheblich vergrößerten Adressatenkreis (Vervierfachung der Auflage) der Eingriff
in die Rechtspositionen der Klägerin in bedeutendem Maß intensiviert werden soll.
82 Die vorherige bloße Planungs- und Vorbereitungsphase ergibt sich insbesondere
auch aus den von der Beklagten für ihre Ansicht angeführten Anlagen B 10 und B
15, denn dort wird von „Planungen“ gesprochen (B 10), es gebe noch „keine
endgültige Grundlage für eine mögliche Beauftragung oder spätere
Zusammenarbeit“ (B 15), man wolle sich „einen Überblick über realistische
Zukunftsmöglichkeiten“ verschaffen und sich „verschiedene Varianten“ aufzeigen
lassen (B 15).
83 Die Klägerin hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass der (vorbeugende)
Unterlassungsanspruch einen erstmals unmittelbar bevorstehenden Eingriff
verlangt, die theoretische Möglichkeit eines Wettbewerbsverstoßes nicht genügt,
hierfür vielmehr greifbare Anhaltspunkte erforderlich sind
(Köhler/Bornkamm/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 8 Rn. 1.15, 1.17, 1.23,
1.25). Angesichts dieser Anforderungen an die Berechtigung zur Geltendmachung
eines Unterlassungsanspruchs, die ggf. ein Zuwarten verlangen, kann nicht auf
der Ebene der Dringlichkeitsvermutung deren Wegfall angenommen werden,
wenn ein Anspruchsteller Vorbereitungshandlungen und Planungen bis zu dem
Zeitpunkt hinnimmt, in dem der (künftige) Rechtsverstoß (hier die kostenlose
Verteilung ab dem 01.01.2016) hinreichend sicher feststeht.
84 Auch die Kenntnis der Klägerin von der Gestaltung des Stadtblatts in der
Vergangenheit (bei kostenpflichtigem Vertrieb) führt nicht zu einer Widerlegung der
Dringlichkeit, denn es liegt offenkundig auf der Hand, dass die kostenpflichtige
Auflage von ca. 4.000 Stück hinsichtlich der Attraktivität für Anzeigenkunden völlig
anders zu bewerten ist als eine Auflage von 17.000 Stück, die kostenfrei in allen
Haushalten verteilt wird. Die Verletzungshandlung bekommt hier eine derart
geänderte Qualität und Intensität, dass insoweit nicht von einem früheren
kerngleichen Verstoß ausgegangen werden kann, der ansonsten die Dringlichkeit
widerlegen könnte (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2014, 273 [275] – Unzulässige
Kostenpauschale - Rücklastschriftkosten). Es begründet einen erheblichen
Unterschied, ob ein Druckerzeugnis mit einem redaktionellen Teil entgeltlich oder
unentgeltlich verteilt wird (ebenso OLG Saarbrücken NJW 1971, 892 [893]).
III.
85 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.