Urteil des OLG Stuttgart vom 16.11.2015

besonderer gerichtsstand, bezirk, geschäftsführer, gesellschaft

OLG Stuttgart Beschluß vom 16.11.2015, 14 AR 2/15
Leitsätze
Zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten kann eine Bestimmung des örtlich
zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bereits dann erfolgen, wenn ein
gemeinsamer besonderer Gerichtsstand aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen
nicht zweifelsfrei festzustellen ist.
Tenor
Zum örtlich zuständigen Gericht wird
das
Landgericht X
bestimmt.
Gründe
I.
1
Der Antragsteller macht gegen die Antragsgegner Ansprüche aus § 64 S. 1
GmbHG geltend, weil diese als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin trotz
deren Überschuldung ab dem Jahr 2010 weitere Zahlungen in Höhe von
insgesamt 157.635,43 EUR bzw. 213.540,59 EUR veranlasst hätten und daher
zur Rückzahlung dieser Beträge in die Insolvenzmasse verpflichtet seien.
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Der Antragsteller hat am 23.12.2014 beim Amtsgericht ... einen Mahnbescheid
gegen beide Antragsgegner über einen Betrag von 157.635,43 EUR sowie einen
weiteren Mahnbescheid gegen den Antragsgegner Ziffer 1 über 55.905,16 EUR
beantragt. Nach Zustellung und Widerspruch durch die Antragsgegner sind die
jeweiligen Verfahren an das Landgericht X (Az. ...) bzw. an das Landgericht Y (Az.
... und ...) als im Mahnantrag angegebene Gerichte abgegeben worden.
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Nach Aufforderung zur Anspruchsbegründung hat der Antragsteller den am
14.09.2015 beim Oberlandesgericht eingegangenen Antrag auf Bestimmung des
örtlich zuständigen Gerichts gestellt und beantragt, das Landgericht X für örtlich
zuständig zu erklären, da die Insolvenzschuldnerin im dortigen Bezirk ihren Sitz
habe.
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Der Antragsgegner Ziffer 2 hat diesem Antrag zugestimmt. Der Antragsteller Ziffer
1 hat sich zu dem Antrag nicht geäußert.
II.
5
1. Das Oberlandesgericht Stuttgart ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das im
Rechtszug zunächst höhere Gericht für die Bestimmung der Zuständigkeit
zuständig, da beide mit der Sache befassten Gerichte zum hiesigen Bezirk
gehören.
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2. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hat bei einer Klage gegen Streitgenossen, die bei
verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, eine
Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn für den Rechtsstreit ein
gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist.
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Nach dem Vorbringen des Antragstellers würden die Antragsgegner für etwaige
Rückzahlungsansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG als damalige Geschäftsführer
der Insolvenzschuldnerin gemeinschaftlich haften und sind daher Streitgenossen
im Sinne des § 60 ZPO (vgl. Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 64 Rn.
60).
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Die Antragsgegner haben ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des
Landgerichts Y bzw. des Landgerichts X.
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Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand lässt sich zudem nicht zweifelsfrei
feststellen. Zwar wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass es sich bei der
Rückzahlungspflicht des § 64 S. 1 GmbHG um ein Fortwirken der
Geschäftsführerpflichten handele, die grundsätzlich am Sitz der Gesellschaft zu
erfüllen seien, so dass ein besonderer Gerichtsstand nach § 29 Abs. 1 ZPO
eröffnet wäre (vgl. Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch,
5. Aufl. 2015, § 92 Rn. 192). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
handelt es sich bei dem geltend gemachten, zugunsten der Insolvenzgläubiger
bestehenden Anspruch nach § 64 S.1 GmbHG jedoch um eine Ersatzforderung
eigener Art, die nicht unmittelbar an die Geschäftsführerpflichten gegenüber der
Gesellschaft anknüpft (vgl. BGH, Beschluss vom 11.02.2008 - II ZR 291/06 =
NJW-RR 2008, 1066). Es bestehen daher zumindest erhebliche Zweifel, ob
Ersatzansprüche nach dieser Vorschrift dem Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1
ZPO unterfallen (vgl. Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 64 Rn.
14a). Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand wird auch nicht durch § 19a
ZPO begründet, weil diese Vorschrift allein auf Passivprozesse des
Insolvenzverwalters Anwendung findet (vgl. BGH, Urteil vom 27.05.2003 - IX ZR
203/02 = NJW 2003, 2916).
10 Die Zweifel am Bestehen eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstands sind für
die Eröffnung einer Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das
nächsthöhere Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ausreichend. Da diese Norm
eine Bestimmung des zuständigen Gerichts auch bereits vor Einleitung des
gerichtlichen Verfahrens zulässt, kommt es insoweit auch nicht darauf an, ob
eines der zuerst befassten Gerichte bereits Zweifel an seiner Zuständigkeit hat
erkennen lassen (vgl. zu letzterem: BayObLG, Beschluss vom 10.11.2003 - 1Z AR
114/03 = NJW-RR 2004, 944; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.10.2005 - 15 AR
44/05 = OLGR 2006, 357). Entscheidend ist vielmehr, dass derartige Zweifel
bereits jetzt gegeben sind und durch eine Bestimmung des zuständigen Gerichts
zum jetzigen Zeitpunkt Zuständigkeitsstreitigkeiten für das weitere Verfahren
vermieden werden können (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.02.2014
- 1 AR 28/13, zitiert nach Juris; OLG München, Beschluss vom 08.01.2013 - 34
AR 336/12 = ZIP 2013, 435). Denn die Vorschrift des § 36 ZPO dient in erster Linie
der Prozessökonomie durch Vermeidung von Verfahrensverzögerungen durch
Streitigkeiten über das zuständige Gericht.
11 Einer Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO stehen auch keine
schützenswerten Belange der Antragsgegner entgegen. Insbesondere ist ein
entsprechender Antrag auch im Mahnverfahren nach Abgabe der Verfahren an
die Prozessgerichte des jeweiligen allgemeinen Gerichtsstands noch möglich,
soweit der Antragsteller noch keine Antragsbegründung eingereicht bzw. in einer
solchen einen Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts angekündigt hat
(vgl. BGH, Beschluss vom 17.09.2013 – X ARZ 423/13 = NJW-RR 2013, 1531).
Zwar ist der Antragsteller vorliegend in sämtlichen Verfahren bereits zur
Begründung seines Antrags aufgefordert worden. Er hat hierauf jedoch
unverzüglich den am 14.09.2015 beim Oberlandesgericht eingegangenen Antrag
auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gestellt.
12 3. Als örtlich zuständiges Gericht ist das Landgericht X zu bestimmen, weil eine
Verhandlung vor diesem Gericht zweckmäßig erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom
20.05.2008 - X ARZ 98/08 = NJW-RR 2008, 1514). Insbesondere befindet sich im
dortigen Bezirk der Sitz der Insolvenzschuldnerin, so dass sich dort auch die für
die vorliegenden Streitigkeiten relevanten Zahlungsvorgänge zugetragen haben.
Zudem haben der Antragsteller und der Antragsgegner Ziffer 2 sich für die örtliche
Zuständigkeit des Landgerichts X ausgesprochen. Schließlich wäre das
Landgericht X auch bei Annahme des Vorliegens eines gemeinsamen
besonderen Gerichtsstands nach § 29 Abs. 1 ZPO das örtlich zuständige Gericht.
Demgegenüber sind Gründe, die eine Verhandlung vor dem Landgericht Y
zweckdienlich erscheinen ließen, nicht erkennbar.
13 4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da die entstandenen Kosten Teil
des Klageverfahrens sind (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 37 Rn.
3a).